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Literarische Debüts revisited

Ästhetiken – Konstellationen – Diskurse

von Katrin Dautel (Band-Herausgeber:in) Carola Hilmes (Band-Herausgeber:in) Peter C. Pohl (Band-Herausgeber:in)
©2025 Sammelband 496 Seiten

Zusammenfassung

Das literarische Debüt erhält gegenwärtig große Aufmerksamkeit. Es unterliegt besonderen Vermarktungsstrategien, kann auf diverse Preise hoffen und prägt zumeist das Image des Autors oder der Autorin. Dabei ist es aus literaturwissenschaftlicher Sicht unklar, worum es sich bei einem Debüt handelt. Zu unterschiedlich sind die Anfänge, zumal im historischen Vergleich. Der vorliegende Band umfasst zweiundzwanzig Einzelanalysen literarischer Debüts von Ernst Toller bis Helene Hegemann, die sich auf die Zwischenkriegszeit, Nachkriegszeit und Gegenwartsliteratur verteilen. Die Beiträge von internationalen Germanistinnen und Germanisten belegen die Heterogenität und Vielfalt des Phänomens ‚Debüt‘, z. B. an medialen, generischen und sozialen Faktoren, die es prägen und auf deren Basis Neubewertungen vorgenommen werden können. Der Band unterbreitet ferner einen terminologischen Vorschlag, mit dem sich debütspezifische Konstellationen differenziert beschreiben, analysieren und systematisieren lassen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Ästhetiken, Konstellationen und Diskurse literarischer Debüts (Peter C. Pohl, Katrin Dautel, Carola Hilmes)
  • Teil I: Vom Standgericht zur Bücherverbrennung: Debüts zwischen den Kriegen
  • Einleitung (Carola Hilmes)
  • Konsekration als Prozess. Ernst Tollers Debüt vor dem Standgericht (Michael Pilz)
  • Joseph Roth und wie viele Debüts? (Johann Georg Lughofer)
  • Schreiben als Nachfahrin einer Sagenfigur. Zu Die Toten auf der Insel Djal. Eine Sage aus dem Holländischen (1924) von Anna Seghers (Loreto Vilar)
  • Doppeltes Debüt. Gabriele Tergit – Reportage und Roman (Liane Schüller)
  • Ein Debüt und seine zerrissenen Ketten. Zu Elias Canettis Erstlingsroman Die Blendung (1935) (Anne D. Peiter)
  • Teil II: Alliierte, Mitgefangene, Kollaborateure: Debütieren in der Nachkriegszeit
  • Einleitung (Peter C. Pohl)
  • „… ohne die traurigen Möglichkeiten des Menschlichen …“ Ilse Aichingers Debüt-Erzählung Das vierte Tor (Wiebke Lundius)
  • Freiheit und Erfolg. Alfred Anderschs Die Kirschen der Freiheit (1952) – komplexe Autofiktionalität als literarisches Debüt (Jörg Schuster)
  • „Wer Grass sagt, meint Blechtrommel.“ Günter Grass und sein Debüt Die Vorzüge der Windhühner (1956) (Joanna Bednarska-Rydzewska)
  • Das mehrfache Debüt des Peter Hacks (Kai Köhler, Shaswati Mazumdar)
  • Schriftsteller statt Bierkistenträger. Die literarischen Anfänge Gert Jonkes (Maja Dębska)
  • „Kleinmeister des bösartig Bunten“. Walter Kempowskis Haftbericht Im Block (1969) (Lutz Hagestedt)
  • Erkundung des Marginalen in der Autofiktion: Helga Schütz (*1937), Vorgeschichten oder schöne Gegend Probstein (1971) (Yvonne Delhey)
  • Kollekte und Konsekration. Henscheids Die Vollidioten (1973) als Beispiel kollaborativer Werkpolitik (Peter C. Pohl)
  • „Zehn Jahre lang auf den Erfolg gewartet“ – Brigitte Kronauers literarische Debüts (Julia Bertschik)
  • Teil III: Race, Gender, Spectacle: Debütieren in der Gegenwart
  • Einleitung (Katrin Dautel)
  • Auftritt, Einschnitt: Rainald Goetz’ Eintritt in den Literaturbetrieb (Lena Hintze)
  • Erste Auftritte. Die Ästhetik türkisch-deutscher Literaturdebüts am Beispiel von Emine Sevgi Özdamars Mutterzunge (1990) und Feridun Zaimoglus Kanak Sprak (1995) (Patrick Graur)
  • Geschlechtslose Männer und (un)sichtbare Frauen. Zur Darstellung nicht-konsensueller Sexualität und ihrer Kanonisierungsbedeutung in Christian Krachts Faserland und Marlene Streeruwitz’ Verführungen. (Leonard Nadolny)
  • Rückkehr zum Anfang? Fortschreibungen und Revisionen von Debütromanen in Bret Easton Ellis’ Imperial Bedrooms und Christian Krachts Eurotrash (Manuel Bauer)
  • Wiedergelesen: Das Blütenstaubzimmer (1997) von Zoë Jenny und ein Rückblick auf das sog. Literarische Fräuleinwunder (Carola Hilmes)
  • Juli Zehs Roman Adler und Engel (2001) als Reflexion auf das Debütieren: geschlechterspezifische und mediale Aspekte von Erzählen, Autorschaft und Publikum (Katrin Dautel)
  • Debüt im Debüt im Debüt – live, Strobo und Axolotl Roadkill als literarische Debüts (Ricarda Julia Vodermair)
  • Harte Tür – Literatursoziologische Beobachtungen zu Debütpreisen (Kevin Kempke)
  • Autorinnen und Autoren
  • Personenverzeichnis
  • Reihenübersicht

Literarische Debüts revisited Ästhetiken – Konstellationen – Diskurse

Herausgegeben von

Katrin Dautel, Carola Hilmes und Peter C. Pohl

Logo: Published by Peter Lang.
PETER LANG
Lausanne • Berlin • Bruxelles • Chennai • New York • Oxford

ISBN 978-3-0343-5009-9 (Print) ISBN 978-3-0343-5040-2 (E-PDF)
ISBN 978-3-0343-5041-9 (EPUB) DOI 10.3726/b22004
ISSN 1660-0088 (Print) ISSN 2235-5898 (E-Book)

Autorenangaben

KATRIN DAUTEL, Dr., Senior Lecturer am Department of German, University of Malta. Studium der Germanistik und Italianistik in Tübingen, Bonn, Florenz und Malta. Forschungsschwerpunkte: Konstruktionen von Räumlichkeit und Insularität, Intermedialität, Migration und Ökokritik in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

CAROLA HILMES, Dr. phil. habil. – apl. Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt / Main u. Mitglied im Cornelia Goethe Centrum für Geschlechterforschung. Forschungsschwerpunkte: Schriftstellerinnen der Romantik, Gender Studies, Autobiographie, Reiseliteratur und deutschsprachige Gegenwartsliteratur.

PETER C. POHL, Privatdozent Mag. Dr. (Universität Innsbruck), Senior Scientist. Studium der Germanistik, Kulturwissenschaft, Philosophie und Politologie in Heidelberg, Bremen und Avignon. Forschungsschwerpunkte: Literatur des 18. bis 21. Jahrhunderts, Geschichte der Bildung, Gender und Diversity Studies.

Über das Buch

Das literarische Debüt erhält gegenwärtig große Aufmerksamkeit. Es unterliegt besonderen Vermarktungsstrategien, kann auf diverse Preise hoffen und prägt zumeist das Image des Autors oder der Autorin. Dabei ist es aus literaturwissenschaftlicher Sicht unklar, worum es sich bei einem Debüt handelt. Zu unterschiedlich sind die Anfänge, zumal im historischen Vergleich. Der vorliegende Band umfasst zweiundzwanzig Einzelanalysen literarischer Debüts von Ernst Toller bis Helene Hegemann, die sich auf die Zwischenkriegszeit, Nachkriegszeit und Gegenwartsliteratur verteilen. Die Beiträge von internationalen Germanistinnen und Germanisten belegen die Heterogenität und Vielfalt des Phänomens ‚Debüt’, z. B. an medialen, generischen und sozialen Faktoren, die es prägen und auf deren Basis Neubewertungen vorgenommen werden können. Der Band unterbreitet ferner einen terminologischen Vorschlag, mit dem sich debütspezifische Konstellationen differenziert beschreiben, analysieren und systematisieren lassen.

Zitierfähigkeit des eBooks

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Peter C. Pohl, Katrin Dautel, Carola Hilmes

Ästhetiken, Konstellationen und Diskurse literarischer Debüts

Im Januar 1891 beginnt in der Zeitschrift Deutsche Dichtung eine Artikelserie. Verantwortlich für Die Geschichte meines Erstlingswerks zeichnet der Publizist und Schriftsteller Karl Emil Franzos. Die Reihe läuft bis 1894 und enthält Selbstaussagen zum literarischen Debüt von einigen heute noch bekannten Autorinnen und Autoren wie Marie von Ebner-Eschenbach oder Theodor Fontane. Viele Beitragende sind jedoch, entgegen der Annahmen des Herausgebers, mittlerweile in Vergessenheit geraten.1 Ein Jahr nach Abschluss der Serie veröffentlicht Franzos in dem Buch Die Geschichte des Erstlingswerks. Selbstbiographische Aufsätze die meisten Aufsätze erneut. Der Band enthält neben neu angefragten Texten von Schriftstellerinnen und Schriftstellern theoretische Ausführungen zum Erstlingswerk. Sie basieren auf der im Dezember 1890 geschriebenen kurzen Vorbemerkung, die Franzos dem ersten Selbstzeugnis (Conrad Ferdinand Meyers Äußerungen zu Huttens letzte Tage) vorausschickte.2 Die ausführlicheren Erwägungen stellen den Anfang der Forschungsgeschichte des deutschsprachigen Debüts dar – und finden sich zugleich in den Gegenstandsbereich verstrickt: Zum einen gibt es hier eine zeittypische Definition des Debüts mit Rekursen auf Genieästhetik und Positivismus, zum anderen grenzt sich Franzos von einem Konkurrenzprodukt ab, indem er den Primat seiner Aktivität anhand der Entstehungsgeschichte des Bandes begründet. Der Anfang der deutschsprachigen literarischen Debütforschung gibt so unfreiwillig Auskunft über die Schwierigkeiten des Unterfangens; denn Franzos sucht mit seiner Arbeit nicht nur nach den Anfängen anderer; er sucht vielmehr nach den Wurzeln seines Buches in einem anderen Genre und Medium, den Aufsätzen der Zeitschriftenserie. Entscheidende Forschungsfragen – wie die, ab welchem Zeitpunkt, in welcher medialen, generischen Form ein Werk zum Werkbeginn, ein Text zum Debüt wird – werden dabei nicht nur explizit angesprochen, sondern auch implizit verhandelt.

Zu den explizit genannten Merkmalen von Debüts, die Franzos auch für seinen Band beansprucht, gehört deren Originalität. Erstlinge und Debüts haben gemein, dass mit ihnen etwas Neues und Eigenes beginnen soll. Franzos schreibt eingangs, er habe „[h]‌eute, wo mir der letzte Bogen dieses Buchs druckfertig vorliegt“, Kenntnis von Jerome K. Jeromes My First Book. With an Introduction by Jerome K. Jerome3 erhalten, und kommentiert: „Eine Nachahmung liegt vor, aber nicht meinerseits.“4 Die Reihe in Deutscher Dichtung habe ja bereits im Januar 1891 angefangen; zudem wisse er, „schon nach dem Wenigen, was ich heute vom Inhalt erfahre“, dass Jerome „mein Programm mit praktischem Sinn aus dem Innerlichen ins Äußerliche, aus dem Ernsten ins Heitere gewandelt“ und ferner die „schnelle Lieferung der Beiträge bewirkt“ habe. Der pragmatische, geschäftstüchtige und heitere Engländer (Stereotype aus dem Inventar des germanozentrischen Kulturchauvinismus) habe anderes getan als derjenige, dem dereinst die Idee kam. Franzos wollte „ernste Selbstanalysen“ für seine Zeitschrift, es seien „so viele und wertvolle geworden, daß sich der Gedanke einer Buchausgabe von selbst aufdrängte“ (alle Zitate VI). Während der Arbeiten am Buch sei der Konkurrent nun auf den Plan getreten, die Idee schlecht nachahmend. Franzos’ Buch ist demnach kein Neuanfang, sondern eine seine Bestandteile als vorhergehende Publikationen kontextualisierende Revision. Es benötigt im Hinblick auf den literarischen Erstling wie den Sammelband scheinbar mehr als einen Text, um Anfang zu sein, nämlich eine Kommunikation, die ihn als solchen kenntlich macht.

Franzos’ Einleitung stellt ein symptomatisches Artefakt dar. Sein Symptomcharakter wird auch daran deutlich, dass er die von ihm entwickelten, scheinbar universellen ästhetischen Kriterien des Debüts – dass nur der Autor „sich und Anderen Aufschluss darüber zu geben vermag, wie ihm der Gedanke zu seinem ersten größeren Werk aufgegangen“5 sei – auf sich und die beginnende Debütforschung anwendet – „Ich habe nun mitzuteilen, wie mir einst der Gedanke zu meiner Anregung kam und wohin sie zielte.“ – und unbeabsichtigt ergänzt. Franzos verfolgt zwar einen genieästhetischen, autorzentrierten Ansatz, kommt aber nicht umhin, kontextuelle Faktoren anzuführen, die die Kommunikation über das Debüt geradezu erzwingen. So erlaube es die Reflexion auf bzw. die Darlegung der Anfänge, „sein Lebenswerk vor Mißdeutung zu schützen“ (beide Zitate VI). Den Schutz des eigenen Werks verfolgt auch Franzos – da enden jedoch, vorerst, die Überschneidungen zwischen Debütforschung und Debüt. Denn sich mit jenem mirakulösen ‚Ringen‘ zu befassen, das den literarischen Erstling hervorbringt, sei nicht wegen ‚lapidarer‘ urheberrechtlicher Bedenken für Autor wie Öffentlichkeit relevant. Einerseits handle es sich um eine heroische Tat: Die „erste Höhe, die man erstiegen, die erste Schlacht, die man geschlagen hat – um wie vieles Frühere und Spätere sich die Schatten des Vergessens breiten mögen, dies leuchtet fort.“ (VII) Andererseits sei der Erstling „bezeichnend für des Dichters Wesen“; „dies erste Buch“ sei „geradezu der Schlüssel zu seinem Schaffen[.]‌“ (VII) Eine spezielle Bedeutung hat der Erstling in Franzos’ Augen demnach für Schriftstellerinnen und Schriftsteller und deren Leserschaft, weil erstere durch die Debüt-Beschreibung letzterer Originalität, Kühnheit und Kohärenz des Werks vermitteln können. Es handelt sich bei den von Franzos erbetenen Debütkonstruktionen offenkundig, mit Steffen Martus gesprochen, um werkpolitische Strategien.6

Damit ist zwar angedeutet, welche Funktion die Reflexion des Erstlings in der literarischen Kommunikation besitzt, nicht aber gesagt, was einen Text zum Debüt macht. Diesbezüglich entwickelt Franzos seine Ästhetik des Erstlings: Unter „Erstlingswerk durfte nicht etwa die erste Schreib- und Dichtübung des künftigen Schriftstellers verstanden werden, sondern sein erstes, größeres Werk, mit dem er in die Öffentlichkeit getreten.“ Keine „unreife[n]‌ Versuche“ (beide Zitate IX) fielen darunter, sondern öffentliche Hervorbringungen besonderer Güte. Wir haben es hier mit mehreren Faktoren zu tun (literarische Qualität; der Moment, der das Werk einläutet; der erste öffentliche Auftritt), die nicht schlüssig ineinandergreifen. Wie sieht es mit einem reifen, aber nicht veröffentlichten Text aus – darf er, weil Öffentlichkeit fehlt, noch als Erstling gelten? Wie wäre mit einem unreifen unveröffentlichten Versuch zu verfahren, in dem sich für den Autor oder die Autorin das Spätere gleichwohl abzeichnet? Scheiden misslungene, aber publizierte Texte aus? Nicht wenige der von Franzos für die Geschichte des Erstlingswerks angefragten Schreibenden, in der Reihenfolge ihres Erscheinens im Buch Fontane, Heyse, Ebner-Eschenbach, Hopfen und Sudermann, präsentieren Schülerarbeiten und „Jugendsünden“7; einige sind von zufälligen Weitergaben ihrer Texte (Heyse), deren Vergessen oder ausgebliebenem Druck (Sudermann) betroffen; Julius Wolff wusste „eine recht stattliche Anzahl von Körben vorzuweisen, die sich mein Till bei den Verlegern geholt hatte“8, ehe das Werk mit fünfjähriger Verspätung und eben nicht als erstes Buch erscheint. Andere, wie Heyse, sehen im Erstling „eine unreife, schon bei Lebzeiten des Dichters mit Recht vergessene Leistung.“ (XIV) Und Hopfen schreibt ähnlich: „Nicht dasjenige, das er zuerst hat drucken lassen, noch viel weniger das, was ihm zuerst einen Namen gemacht hat; der Erstling ist eben der erste und kein anderer.“9

Mit erstaunlicher Ignoranz seinen Beitragenden gegenüber insistiert Franzos auf der Vierheit Autor, Werk, Sinn, Öffentlichkeit. Für den „Anekdoten-Schatz aus dem Schriftsteller- und Verleger-Leben“ (VIII), den sein Band (notabene: auch dank seiner Debütgeschichte) hebt, hat er keinen Blick. Zufälle oder Zwänge, wie die Abhängigkeit von Korrektor:innen, Lektor:innen oder Förderer:innen, berücksichtigt seine Ästhetik nicht. Sie spielen jedoch in zahlreichen Textsammlungen zum Debüt eine Rolle.10 Und sie werden von vielen Aufsätzen des vorliegenden Bandes Literarische Debüts revisited. Ästhetiken – Konstellationen – Diskurse fokussiert. Unser Buch enthält Analysen literarischer Debüts von 1919 bis 2010, von Toller bis Hegemann, die sich auf drei zeitliche Abschnitte, Zwischenkriegszeit, Nachkriegszeit und Gegenwartsliteratur, verteilen. Jedem Teil steht eine kurze historische und inhaltliche Einleitung voran. Unsere Auswahl ist weder umfassend noch repräsentativ, allerdings ist den meisten Beiträgen gemein, dass sie unter Debüt etwas anderes als Franzos verstehen. Es werden z. B. Texte behandelt, die weder umfangreich noch von den Autorinnen und Autoren als Debüts bezeichnet worden sind, in denen sich aber ihre Poetiken abzeichnen. Aichingers kurze Erzählung Das vierte Tor, publiziert in der Alliiertenzeitung Wiener Kurier, Hacks Hörspiele im Westrundfunk stuften ihre Schöpfer als werkirrelevant ein. Es drängt sich der Eindruck auf, die Texte seien zurückgewiesen worden, weil es in Anbetracht der sie determinierenden medialen, ökonomischen, sozialen Faktoren schwerfiel, sie als Beispiel einer individuellen Ästhetik zu formatieren. Ferner werden Texte als Debüts besprochen, die erst nach spätem Erfolg mit einem anderen Werk oder einem langwierigen Etablierungsprozess, wie bei Canetti und Kronauer, entdeckt worden sind. Das ‚autorisierte‘ Debüt, das Schreibende präferieren und werkpolitisch erläutern, das ‚vergessene‘ Debüt, das Kritik und Wissenschaft diskutieren, sowie das mediale Debüt, das der Betrieb inszeniert, können ganz unterschiedliche Texte sein.

Weniger einseitig als Franzos’ Ästhetik sind Christian Kortmanns Überlegungen. Kortmann kommt das Verdienst zu, mit seiner Studie Die aus dem Nichts kommende Stimme. Zur Ästhetik des literarischen Debüts in der Mediengesellschaft (2006) die Debütforschung in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft etabliert zu haben. Seine Ästhetik des literarischen Debüts gründet auf fünf Fallstudien (in chronologischer Reihenfolge): 1) Arno Schmidts Leviathan (1949) – als Beispiel für die „Einführung einer Autorfigur“11; 2) Ian Flemings Casino Royal (1953) – als Beispiel für die Einführung einer für die Popkultur wichtigen Figur; 3) Françoise Sagans Bonjour tristesse (1954) – als Roman, in dem es um die Einführung einer neuen Stimme der jungen Generation geht; Roman und Autorin sind ein Beispiel für das von Kortmann so getaufte literarische One-hit-Wunder; 4) If Only They Could Talk (1970) von James Herriot (Pseudonym für den britischen Tierarzt James Alfred ‚Alf‘ Wight) – als Beispiel für ein spätes Debüt, dessen Text autobiografisch beglaubigt wird; 5) Starfisch rules (1997) von Tobias O. Meißner – als Debüt eines innovativen Außenseiters der Literaturszene, der auf Medienmix setzt und so versucht, die Kluft zwischen Hoch- und Popkultur zu überbrücken.12 Kortmann behandelt „kommerziell oder in den Wertungen der Kritik“ (18) erfolgreiche und kulturprägende literarische Debüts, wobei er zuweilen zwischen dem eher rückwärtsgewandten Begriff des Erstlings und dem dynamisch-performativen Begriff des Debüts unterscheidet; es markiert den „Beginn einer beruflichen Laufbahn“ (232). Kortmanns Liste debüt-typischer Aspekte – Bruch mit der Tradition, Jugend, Enthusiasmus, Neubeginn, Gründungsmythos, Starimage und mediale Vernetzungen – sind ‚Indizien‘ (16) zur Orientierung im literarischen Feld und für Einzelanalysen hilfreich. Denn die Komplexität des Phänomens zeigt sich daran, dass sich Debütkonstruktionen zur Ausstellung ihrer Neuheit Veränderungen zunutze machen und nicht selten einen neuen bzw. veränderten Zugriff erfordern.

Kortmann konstatiert ferner die zunehmende „kulturindustrielle Durchformung des literarischen Marktes“ (12) und führt das gestiegene Interesse an Autorinnen und Autoren auf den „Kultur-Markt“ und dessen „Image- und Marketing-Konzeption“ (beide 289) zurück.13 Tatsächlich steigert und bedient die mediale Vermarktung – von den Autorenbildern in Franzos’ und Jeromes Sammelbänden (hier war allerdings Jerome der Erste!) über die Inszenierung von Autorschaft in den 1990er Jahren (Popliteratur, Fräuleinwunder) bis hin zu den aktuell beliebten Homestories in sozialen Medien – den Hunger nach Nähe zum Autor. Auch andere Forschungen, etwa von Rose Bartmer, Matteo Galli und Susanne Krones, bestätigen, dass Debüts in der Medienwelt insbesondere der 1990er Jahre an Bedeutung gewonnen haben.14 Gleichwohl nimmt Kortmann eine Verkürzung vor; er behauptet, „die Ästhetik des Debüts [könne sich] nur entfalten, wo es Pressefreiheit gibt – in einem freien demokratischen Markt.“ In der DDR, wo „die Kommunikation grundlegend durch Denk- und Publikationsverbote gestört ist“, sei der „Debüt-Charakter […] verstümmelt.“ (Beide 290) Die Studie von Kai Köhler und Shaswati Mazumdar zu Peter Hacks widerlegt diese Meinung: Hacks hat seine Debüts und deren Ästhetik in Kenntnis feldspezifischer Besonderheiten in West wie Ost bewusst positioniert. Kortmanns Annahme, das Debüt habe durch marktwirtschaftliche Strukturen an Bedeutung gewonnen, ist jedoch unbedingt beizupflichten – Singularität und Innovativität, die schon bei Franzos mit dem Erstling verbunden waren, kommen einem medial-ökonomischen System entgegen, das Einmaligkeit prämiert und dadurch seriell produziert.15 Seine Schlussfolgerung jedoch, außerhalb von demokratischen Marktwirtschaften mit ihren Mediengesellschaften gäbe es keine Debütästhetik, trifft nicht zu. Es ist viel eher von einer ökonomischen Universalisierung von Strategien der Singularisierung auszugehen, die im Kunstsystem seit Jahrhunderten zirkulieren.

Die von Franzos und Kortmann skizzierten Debütästhetiken tendieren also zur Auratisierung des Anfangs und zur Mythisierung wirtschaftlich- kultureller Gegebenheiten; der Debütforschung sollte es an der Demythisierung des Anfangs durch eine differenzierte Analyse seiner kontextuellen Faktoren gelegen sein. Für eine literaturwissenschaftliche Debütforschung erscheinen uns die Fragen entscheidend, in welchen Zusammenhängen welche Texte als Debüt oder Erstling bezeichnet worden sind, werden können und warum. Das kann auch Dramen betreffen, die im Selbstverlag in feudalen Gesellschaften anonym vertrieben wurden (Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand, 1773). Wir schlagen nach der Sichtung der facettenreichen Beiträge des Bandes vor, weniger nach einer überzeitlichen Ästhetik des Debüts zu fahnden, die tendenziell Annahmen aus habituellen Vorprägungen bestätigte, sondern von Debütkonstellationen zu sprechen, die bestimmte z. B. ästhetische und poetische Debütkonstruktionen erzwingen, prämieren, provozieren. Die Konstellationen – Netzwerke aus Verlagen, Freundschaften, Kooperationen, Lektoren, Medien, Institutionen, Institute, Zeitschriften, Zeitungen usw. – bedingen nicht nur Moment und Art des Erscheinens, sondern konstituieren sich neu, wenn Texte rückwirkend als Debüt bezeichnet, besprochen und untersucht werden. Der Versuch, eine Terminologie zu entwickeln, die nicht dekretiert, sondern Komplexität zulässt und ergänzt werden kann, hat sich uns aufgedrängt, weil die im Rahmen dieses Bandes präsentierten Ansätze diverse inhaltliche, ästhetische, generische und kontextuelle (historische, politische, juristische, soziale, kulturelle und mediale) Aspekte literarischen Erscheinens untersuchen und aufeinander beziehen. Sie vermögen das vermeintlich erstmalige Auftauchen von Autor oder Autorin und Werkstil differenziert zu betrachten, hier zu relativieren, dort zu präzisieren – und stellen gängige Debütästhetiken vor kaum lösbare Herausforderungen.

Die Vielschichtigkeit von Debütkonstruktionen und -konstellationen ist immens, allerdings lassen sich einige für die Debütforschung besonders interessante Querschnittsthemen benennen. Die Frage nach dem Genre des Debüts gehört hierzu. Obgleich sich Autorpoetiken auch in kleiner Prosa (Ilse Aichinger), in Gedichtzyklen (Günter Grass) oder journalistischen Texten (Joseph Roth, Gabriele Tergit) ausbilden, benennen Autoren zumeist einen Roman als ihren Debüttext.16 Die Bevorzugung des Romans hat diverse, auch ökonomische, Gründe; aber eine Fokussierung auf den Roman als alleinigem Genre für ein Debüt, so vorteilhaft sie für Literaturkritik und Verlage auch sein mag, wäre für die Forschung absurd, ein Bertolt Brecht, eine Marieluise Fleißer oder ein Jan Wagner haben auch debütiert. Versteift man sich auf den Roman, reproduziert man die kulturellen und ökonomischen Strukturen, in denen Debüts auf ihn verengt werden. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Funktion von Gatekeepern: Ein flagrantes Beispiel für ihre Bedeutung ist das rückwirkende Debüt Ernst Tollers vor dem Standgericht in den Gutachten von Thomas Mann und Gerhart Hauptmann: Sie verwandeln den angeklagten Revoluzzer in einen verheißungsvollen Dichter. Die Gutachten fungieren in der Folge als epitextuelle Marker, die für Tollers folgende Tätigkeit als Autor wegweisende Bedeutung haben. Lektoren, wie Fritz J. Raddatz bei Walter Kempowski, auch Ehepartner (Egon Günther bei Helga Schütz) haben Einfluss auf die Debüttexte genommen. Ab den 1990er Jahren spielen zudem verstärkt Literaturagenturen eine Rolle, die – im Spannungsfeld zwischen ökonomischem und künstlerischem Interesse – als ‚Headhunter‘ des Literaturbetriebs auf der Suche nach neuen Autor:innen eine Filterfunktion einnehmen und mittlerweile als einflussreiche Kollaborateur:innen aus dem Alltag des Verlagswesens nicht mehr wegzudenken sind. Ferner widerspricht das ostentativ herausgestellte kollaborative Schreiben bei Henscheid dem Gedanken, das Debüt sei eine singuläre und innovative Leistung eines unbekannten Autors bzw. einer Autorin. Fragen nach Autor- und Werkherrschaft im Debüt werden in der Gegenwartsliteratur auch in Juli Zehs Erstling verhandelt, in dem das Endprodukt des Schreibprozesses nicht mehr eindeutig auf einen/eine Urheber:in zurückzuführen ist. Soziale Faktoren beeinflussen Debütkonstellationen allerdings nicht nur hinsichtlich der Entstehungsbedingungen. Dies machen die gender-Differenzen in der Rezeption im Vergleich von Christian Krachts und Marlene Streeruwitz’ (Prosa-)Erstlingen sinnfällig17 – Differenzen, die sich im Fall der transkulturellen Literatur einer Emine Sevgi Özdamar oder eines Feridun Zaimoglu (im Bezug auf die Kategorie race) nochmals anders ausbilden. Auch der Vergleich mit der eher positiv konnotierten Popliteratur und dem eher abfällig so genannten Literarischen Fräuleinwunder zeigt Geschlechtsdiskriminierung.

In Anbetracht einer solchen phänomenalen Vielfalt ist es opportun, die heterogenen Debütkonstruktionen als Sinnofferten in einem medialen Ringen um Aufmerksamkeit und Deutungshoheit zu sehen. Sie sind alles andere als beliebig, sondern durch Vorbilder und Moden geprägt bzw. durch Regularitäten strukturiert, die aus der spezifischen Struktur und den Dynamiken des literarischen Feldes hervorgegangen und in Debütdiskursen kondensiert sind.18 Autorinnen und Autoren, aber auch Literaturkritik und Literaturwissenschaft verleihen dem Diskurs Zeitlichkeit und Dichte durch Kommentierungen von Debüts, die auf ähnlich gelagerte, vorhandene und künftige Aussagen bezogen werden können. Beispielsweise lassen sich die im 19. Jahrhundert dominanten genieästhetischen Erklärungsversuche in der Nachkriegsliteratur (nicht nur bei Hacks) finden: Henscheids autobiografische Äußerungen zu Die Vollidioten sind eine Exempel für eine scheinbar antiquierte Sinngebung, die im Kontext der Romanpoetik jedoch als bewusstes Spiel mit der Tradition erscheint, durch die sich die Neue Frankfurter Schule den Anschein von Klassizität und die kulturelle Kompetenz gibt, (anders als Hacks) Klassizitätsansprüche satirisch zu konterkarieren. Ferner sind in den letzten Jahren verstärkt reflexive Poetiken zu verzeichnen, die das Debütieren im Debüt (Juli Zeh) thematisieren oder eigene Debüts (auto-)fiktional in späteren Romanen ‚reframen‘ (Bret Easton Ellis, Christian Kracht, Marlene Streeruwitz). Diese retrograden (auto-)fiktionalen Debütkonstruktionen belegen, dass sich kontemporäre Künstler:innen im Umgang mit Authentizitätsbedürfnissen und -angeboten in ihrer Werkentwicklung souverän an kurrenten Sinngebungen im Debütdiskurs bedienen und durch deren Enttäuschung oder Erfüllung Nachfolgekommunikationen provozieren.

Mit den von uns vorgeschlagenen Konzepten – Debütkonstruktion, Debütkonstellation, Debütdiskurs – lassen sich debüt-spezifische Phänomene differenziert beschreiben, analysieren und systematisieren, ohne dass der Bezug zur Etymologie verloren ginge. Im Gegenteil: Verzeichnet das Französische vier Bedeutungen von ‚débuter‘ – ‚Beginn einer Sache eigener Dauer‘, ‚erste berufliche Schritte tun‘, ‚erstmals etwa bei einer Theateraufführung in die Öffentlichkeit treten‘, ‚einen Spielzug machen, der entscheidet, wer das Spiel beginnen darf‘19 –, so finden sich alle Konnotationen beibehalten. Beginnend mit der letzten Bedeutung, lässt sich sagen, dass Debütkonstruktionen Einsätze in einem Kommunikationsspiel sind, bei dem sich durch die Platzierung von Texten und Personen als Debüts und Debütant:innen Nachfolgekommunikationen ergeben, ein Spiel beginnen kann. Bei der sprachlichen und kulturellen Inszenierung literarischer Debüts geht es überdies sowohl um Texte als auch um Menschen, die nicht nur erste berufliche Schritte tun, sondern sich als Künstler:innen zu behaupten versuchen und eine Bühne betreten. In der Mediengesellschaft wird der Akt des Erscheinens wichtiger und ritualisierter. Das Debüt wird zur Trinität von Text, Person und Ereignis, bei der Autorinnen und Autoren ähnlich der Debütantinnen der englischen Gentry des 18. Jahrhunderts in die literarische Öffentlichkeit eingeführt werden.20 Es sind in Debütkonstellationen dabei bestimmte Debütpraktiken entstanden, die wiederum in Texten über Debüts, wie Marlene Streeruwitz’ Nachkommen (2014) behandelt werden können: einem Roman, der sexistische Debütkonstruktionen und -konstellationen im männlich dominierten Literaturbetrieb der 1990er Jahre satirisch beschreibt. Der Text weist sowohl auf Streeruwitz’ eigenes Prosadebüt zurück, das sich somit anders konstruieren lässt, wie er auch durch Streeruwitz’ nächsten Roman, Die Reise einer jungen Anarchistin nach Griechenland (2015) – dem fiktionalen Debütroman der Protagonistin aus Nachkommen –, mit neuer Bedeutung angereicht wird.

Resümieren wir: Autorinnen und Autoren über das Debüt sprechen zu lassen, das ist die entscheidende Neuheit, die mit Franzos’ Namen verbunden ist. Sie stellt eine kommunikative Offerte eines relativ ausdifferenzierten literarischen Feldes dar, die Ende des 19. Jahrhunderts formuliert und seit den 1970er Jahren in zunehmender Frequenz unterbreitet wurde. Die nächsten Bände, die Selbstaussagen zu Debüts sammeln, finden sich auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs bei Gerhard Schneider (1974) und Hans Daiber (1979) und nach der Wende bei Karl Corino (1995), Renatus Deckert (2007) und Uta Graßhoff (2009). Die Zunahme der Bände zeigt, dass die Kommunikation über das Debüt und das Debüt an Bedeutung und Selbstverständlichkeit gewonnen hat. Auf Ebene der argumentativen Begründung, wie es zum Erstling kam oder wie er nun rückblickend zu werten sei, finden sich ganz unterschiedliche Taktiken der Werkvermittlung, Markenbildung und Kundenbindung: auktoriale Selbstbeweihräucherung, kritische Hinterfragung im Stile marxistisch-leninistischer Abbitte, offene Korrektur, ironische Relativierung. Jedoch verdeutlichen alle Textsammlungen: Das Sprechen über das Debüt hat sich als öffentliche, multipolare und pluriversale Ergänzung der privaten und einseitigen Kommunikation von Schreibenden und Lesenden etabliert, die diverse Sprecherpositionen aktiviert. Literaturvermittelnde (der Kritiker Corino, der Journalist Daiber, die Lektorin Graßhoff) sind an der Aufblähung der literarischen Kommunikation und Ausweitung der Debütkonstellationen ebenso wie die Autorinnen und Autoren und die Leser:innenschaft beteiligt. Der Inszenierungswert von Debüts, die Anzahl der Sprecherinnen und Sprecher in Debütdiskursen hat in unserem Untersuchungszeitraum stets zugenommen. Indes Franzos sich noch in Begründungsnöten sah, finden sich heute zahlreiche Literaturpreise, die nach prämierungswürdigen Erstlingen fahnden. Ein aktuelles Beispiel für den zunehmenden Stellenwert von Literaturpreisen im Kontext von Debütdiskursen und deren medialer Inszenierung ist die noch nicht lange zurückliegende Verleihung des Deutschen Buchpreises an Kim de l’Horizon für den Erstlingsroman Blutbuch (2022), der Fragen nach nicht-binären Zuschreibungen von Autor:innenschaft und literarischer Innovationskraft des Erstlingswerks ins Zentrum stellt. In Solidarität mit den Frauen im Iran rasierte sich De l’Horizon bei der Preisverleihung die Haare ab; die Preisverleihung wurde damit auch über den literarischen Kontext hinaus zu einem politischen Ereignis. De l’Horizon manifestierte sich somit als Figur des öffentlichen Diskurses, bei dem das literarische In-Erscheinung-Treten vom unmittelbaren Bezug auf den Erstling getrennt wurde. Die höchst kompetitiven und selektiven Literatur-, Förder- und Debütpreise werden auf diese Weise zu wichtigen, auch imageprägenden Inszenierungsinstanzen von erstmalig auftretenden Autor:innen und sie erhöhen die Schwierigkeit, auch mit dem „verflixte[n]‌ zweite[n]“21 Buch zu reüssieren.

Inwieweit es bei der literarischen Kommunikation noch um den Text geht, sei dahingestellt. Die Expansion von Debütkonstruktionen und Debütkonstellationen aber hat nicht nur dem literarischen Feld zu mehr Differenzierung verholfen, sie hat auch den Blick der Literaturwissenschaft für historische Zusammenhänge geschärft, die den Eintritt in die literarische Öffentlichkeit bedingen können und auch früher bedingt haben. Es steht nun an, diesem Forschungsinteresse nachzugehen und idealerweise komparatistische Untersuchungen anzustreben, ferne diachrone Vergleiche anzustellen. Dass es feldintern abweichende Debütkonstellationen und -konstruktionen gibt, zeigen unsere Studien; es steht zu vermuten, dass diese Abweichungen im historischen und translingualen Vergleich noch zunehmen. Wir möchten mit unserem Band den Ball ins Spiel bringen bzw. das Spielfeld erweitern.


1 Vgl. hierzu wie zu den einzelnen Beiträgen des Bandes den informativen Artikel von Scheichl (2003).

2 Franzos (1890/91). Kortmann (2006, 12) schreibt, dass „Franzos als einer der Ersten das Reflexionspotenzial des Debüts erkannt“ habe und siedelt den Beginn in der Vorbemerkung (1890/1891) an, obgleich die ausführlichen Überlegungen zum Debüt sich nicht dort, sondern in der Einleitung (1894) finden.

3 Jerome (1894).

Details

Seiten
496
Erscheinungsjahr
2025
ISBN (PDF)
9783034350402
ISBN (ePUB)
9783034350419
ISBN (Paperback)
9783034350099
DOI
10.3726/b22004
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Dezember)
Schlagworte
Zwischenkriegszeit Nachkriegszeit Gegenwartsliteratur Erstlingswerk Poetik Popliteratur Literarisches Fräuleinwunder 20. Jahrhundert Literatursoziologie Debüt
Erschienen
Lausanne, Berlin, Bruxelles, Chennai, New York, Oxford. 2025. 496 S.
Produktsicherheit
Peter Lang Group AG

Biographische Angaben

Katrin Dautel (Band-Herausgeber:in) Carola Hilmes (Band-Herausgeber:in) Peter C. Pohl (Band-Herausgeber:in)

Katrin Dautel, Dr., Senior Lecturer am Department of German, University of Malta. Studium der Germanistik und Italianistik in Tübingen, Bonn, Florenz und Malta. Forschungsschwerpunkte: Konstruktionen von Räumlichkeit und Insularität, Intermedialität, Migra-tion und Ökokritik in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Carola Hilmes, Dr. phil. habil. – apl. Professorin an der Goethe- Universität Frankfurt / Main u. Mitglied im Cornelia Goethe Centrum für Geschlechterforschung. Forschungsschwerpunkte: Schriftstellerinnen der Romantik, Gender Studies, Autobiographie, Reiseliteratur und deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Peter C. Pohl, Privatdozent Mag. Dr. (Universität Innsbruck), Senior Scientist. Studium der Germanistik, Kulturwissenschaft, Philosophie und Politologie in Heidelberg, Bremen und Avignon. Forschungsschwerpunkte: Literatur des 18. bis 21. Jahrhunderts, Geschichte der Bildung, Gender und Diversity Studies.

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Titel: Literarische Debüts revisited