Der wettbewerbsrechtliche Folgenbeseitigungsanspruch als Instrument des kollektiven Rechtsschutzes zur Rückforderung von Negativzinsen im Einlagengeschäft
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Kapitel: Überblick und Einordnung des Folgenbeseitigungsanspruchs
- A. Herkunft und Entwicklung des Folgenbeseitigungsanspruchs
- I. Wurzeln im öffentlichen Recht
- II. Einzug in das Zivilrecht
- III. Erscheinungsformen des Folgenbeseitigungsanspruchs
- 1. Folgenbeseitigung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG
- 2. Folgenbeseitigung nach § 4 Abs. 1a FinDAG
- a. Grundlagen
- b. Voraussetzungen
- c. Reichweite und Umfang
- IV. Rechtsschutzziel des Folgenbeseitigungsanspruchs
- V. Zusammenfassung
- B. Abgrenzung des Folgenbeseitigungsanspruchs zu den übrigen Ansprüchen des UWG
- I. Beseitigungsansprüche nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG
- II. Unterlassungsansprüche nach § 8 UWG
- III. Schadensersatzansprüche nach § 9 UWG
- IV. Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG
- V. Zusammenfassung
- C. Einordnung in das Lauterkeitsrecht und Verhältnis zum Unterlassungsklagengesetz
- I. Gesetzeszweck und Schutzzweck des UWG
- 1. Schutz der rechtmäßig handelnden Mitbewerber
- 2. Verbraucherschutz
- II. Umsetzung der UGP-Richtlinie
- 1. Schutzzweck und Regelungsinhalt der Richtlinie
- 2. Richtlinienkonforme Auslegung
- III. Unterlassungsklagengesetz als lex specialis?
- 1. Schutzrichtung und Schutzobjekt des Unterlassungsklagengesetzes
- 2. Keine Sperrwirkung des Unterlassungsklagengesetzes
- IV. Zusammenfassung
- D. Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung und Einordnung in das System des kollektiven Rechtsschutzes
- I. Individualrechtsschutz
- II. Schlichtungsverfahren
- III. Unechte Sammelklage
- IV. Verhältnis zur allgemeinen Musterfeststellungsklage
- V. Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 Nr. 3 ZPO
- VI. Rechtsschutzdefizit
- VII. Zusammenfassung
- E. Zwischenergebnis
- 2. Kapitel: Der Folgenbeseitigungsanspruch als Produkt der richterlichen Rechtsfortbildung
- A. Folgenbeseitigungsanspruch als richterliche Rechtsfortbildung
- I. Voraussetzungen für richterliche Rechtsfortbildung
- II. Bestehende gesetzliche Regelungen
- 1. Regelungen im UWG
- 2. Allgemeine Musterfeststellungsklage
- III. Element des „Rationalen Desinteresses“ als Rechtsnotstand
- IV. Verstoß gegen das Wahlrecht des Schuldners
- V. Zusammenfassung
- B. Entwicklung und Stand der Rechtsprechung
- I. Entwicklung der Rechtsprechung bis 2017
- II. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.12.2017 (Az. I ZR 184/15)
- III. Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 10.04.2018 (Az. 14 U 82/16)
- IV. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31.03.2021 (Az. IV ZR 221/19)
- V. Urteil des Landgerichts Berlin vom 28.10.2021 (Az. 16 O 43/21)
- VI. Urteil des Oberlandesgerichts Rostock vom 15.11.2023 (Az. 2 U 15/21)
- VII. Übrige Rechtsprechung
- VIII. Zusammenfassung und Stellungnahme
- C. Inhaltliche Ausgestaltung des Folgenbeseitigungsanspruchs
- I. Tatbestand
- 1. Unlautere Geschäftliche Handlung
- a. Geschäftliche Handlung
- b. Unlauterkeit
- i. Unlauterkeit nach § 3 Abs. 2 UWG
- ii. Unlauterkeit nach § 3a UWG
- 2. Fortwirkender bzw. fortdauernder Störungszustand
- 3. Rechtswidrigkeit des Störungszustands
- 4. Verschulden
- 5. Geringfügigkeit
- 6. Verhältnismäßigkeit
- a. Geeignetheit
- b. Erforderlichkeit
- c. Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)
- II. Rechtsfolge
- 1. Auskunftsanspruch
- 2. Information der Verbraucher
- 3. Rückerstattung bereits vereinnahmter Gelder
- III. Zusammenfassung
- D. Zwischenergebnis
- 3. Kapitel: Negative Zinsen als ein Anwendungsfall des Folgenbeseitigungsanspruchs
- A. Grundsätzliche Einordnung und Hintergrund
- B. Begriffsklärung und gesetzliche Grundlage von Zinsen
- I. Begriffsklärung
- II. Zinsen im Rahmen eines Darlehensvertrags
- III. Vergütung im Rahmen eines Verwahrungsvertrags
- IV. Gesetzliches Leitbild
- V. Zusammenfassung
- C. Rechtsnatur des Vertrags
- I. (Einlagen-)Verwahrung kein Zahlungsdienst
- II. Verwahrentgeltklauseln als AGB
- 1. Verwahrentgelt als Preisnebenabrede
- 2. Verwahrentgelt als Preishauptabrede
- III. Kein Ausschluss bei zusätzlicher Vereinbarung einer Kontoführungsgebühr
- IV. Zusammenfassung und Ergebnis
- D. Zulässigkeit der Erhebung von Verwahrentgelten
- I. Keine Unwirksamkeit wegen Abweichung vom gesetzlichen Leitbild
- II. Mögliche Unwirksamkeit wegen Intransparenz und überraschender Klausel
- III. Unterscheidung zwischen Bestands- und Neukunden
- 1. Störung der Geschäftsgrundlage
- 2. Einseitige Leistungsbestimmung
- 3. AGB-Änderung
- 4. Konkludente Vereinbarung
- 5. Ergänzende Entgeltvereinbarung / Änderungskündigung
- IV. Zusammenfassung und Ergebnis
- E. Stand der Rechtsprechung
- F. Zwischenergebnis
- 4. Kapitel: Ausblick
- A. Der „New Deal for Consumers“ der Europäischen Kommission
- B. Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher / RL (EU) 2020/1828
- C. Umsetzungsstand Deutschland: Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG
- I. Auf Leistung gerichtete Abhilfeklage
- II. Ausweitung der Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG
- D. Zwischenergebnis
- Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse
- Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Wirksamkeit von Entgeltklauseln im Bankvertragsrecht beschäftigt die Gerichte und die Finanzwirtschaft schon einige Zeit. Die in Verwahrung genommenen Kundenguthaben mit negativen Zinsen zu bepreisen, ist jedoch eine Neuerung in der Finanzwelt. Zumindest war es dies, bis im Jahr 2021 und während der Anfertigung dieser Arbeit die Notenbanken rund um den Globus damit begannen, eine Zinswende einzuleiten und die Leitzinsen nach jahrelanger Niedrigzinsphase wieder zu erhöhen. Die Geschäftsbanken folgten wenig später und die Negativzinsen gehörten der Vergangenheit an - zumindest vorerst. Jedoch blieben viele rechtliche Fragen rund um die in Form von negativen Zinsen erhobenen Entgelte für die in Verwahrung genommenen Kundenguthaben bestehen.
Auf den ersten Blick mag die Entgeltlichkeit einer Aufbewahrungsleistung nicht verwundern, schließlich geht schon das gesetzliche Leitbild in § 689 BGB davon aus, dass eine Aufbewahrung - zumindest bei beweglichen Sachen - grundsätzlich nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Bei Buchgeld und der hierbei üblichen Zinszahlung kollidiert diese Überlegung jedoch mit der gesetzlichen Annahme, dass der Darlehensgeber von dem Darlehensnehmer einen Zins erhält und nicht umgekehrt der Darlehensgeber einen Zins oder ein Entgelt für die Verwahrung des gezahlten Geldbetrags zu leisten hat.1
Schließlich war es aber nicht die Privatwirtschaft, die die Idee der Umkehr dieses Zins-Gedankens entwickelte, sondern die Europäische Zentralbank höchst selbst, die den Einlagenzins für Kreditinstitute auf unter 0 % senkte2 und somit faktisch eine Bepreisung des ihr zur Aufbewahrung überlassenen Geldes einführte. Die Institute wiederum nahmen diesen Ansatz in der Folge auf3, um die hierdurch verursachten Kosten - so zumindest die Argumentation - an die eigenen Kunden weiterzureichen.4
Neuen Zündstoff erhielt die Diskussion schließlich dadurch, dass bei detaillierter Betrachtung dieser Praxis der Verdacht aufkommt, dass die den Banken durch den negativen Einlagenzins entstehenden Kosten doch deutlich niedriger sein könnten, als die ihrerseits von den Kunden verlangten Entgelte.5 In der Folge könnte es sich also nicht nur um ein bloßes Weiterreichen der Kosten gehandelt haben, sondern der Versuch der Institute gewesen sein, in einem ansonsten eher schwierigen Marktumfeld des Einlagengeschäfts mit Verbrauchern eine neue Einnahmemöglichkeit zu erschließen.
Praktisch relevant und interessant wird die Frage nach der Zulässigkeit negativer Zinsen im Einlagengeschäft jedoch zusätzlich durch die Idee und ggf. bereits eingetretene Entwicklung eines Folgenbeseitigungsanspruchs als Werkzeug des kollektiven Verbraucherschutzes.
Im Zusammenspiel mit einer solchen Klagemöglichkeit erhöht sich das Verwendungsrisiko in Bezug auf die Erhebung negativer Zinsen für die Institute enorm. Denn ein solcher Folgenbeseitigungsanspruch, der bspw. von einem Verbraucherverband für alle betroffenen Verbraucher auf einmal geltend gemacht werden könnte, würde das finanzielle Risiko, welches die Institute mit Einführung und Erhebung negativer Zinsen eingehen, erheblich erhöhen.
Zwar besteht grundsätzlich die Gefahr, dass Klauseln und Entgelte für unwirksam erklärt werden, Banken sich in der Folge auf selbige nicht mehr berufen dürfen und sich ihre Einnahmen demnach für die Zukunft verändern. Bezogen auf die bereits vereinnahmten Entgelte konnten sich die Institute bisher jedoch darauf verlassen, dass nur ein begrenzter Teil der Kunden die zu Unrecht vereinnahmten Entgelte zurückfordern würde.6
Dieses, auch als Streuschäden bezeichnete Problem,7 ermöglicht durchaus eine risikoaffine Herangehensweise bei der Einführung neuer Entgelte. Sobald die Institute hingegen Gefahr laufen, im Rahmen des kollektiven Rechtsschutzes auf einmal für die Gesamtheit der vereinnahmten Entgelte für die Vergangenheit in Anspruch genommen zu werden, wird ein solcher Folgenbeseitigungsanspruch für sie zu einem greifbaren finanziellen Geschäftsrisiko.
A. Gegenstand der Untersuchung
Die vorliegende Arbeit soll untersuchen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein solcher Folgenbeseitigungsanspruch besteht, sowie, ob die Erhebung von negativen Zinsen im Einlagengeschäft gegenüber Verbrauchern einen Anwendungsfall eines solchen Anspruchs darstellen könnte.
Hierbei sind zunächst Ursprung, Reichweite und Voraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruch zu beleuchten. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit auf unzulässige Geschäftsbedingungen gilt es sodann zu unterscheiden. Zum einen zwischen solchen Klauseln, deren Unwirksamkeit und somit die Unzulässigkeit der Erhebung hierauf gestützter Entgelte bereits höchstrichterlich entschieden worden ist und den Marktteilnehmern daher auch bekannt sein muss. Und zum anderen - wohl zahlenmäßig weitaus größeren Menge - derartiger Klauseln, auf die Entgelte gestützt werden, zu deren Zulässigkeit entweder noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung besteht oder aber deren Zulässigkeit noch nicht einmal Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Diskussion ist, sei es, weil es sich um eine dem individuellen Geschäftsmodell entspringende Neuerung handelt oder sie Ausfluss einer zwar branchenweit bestehenden, jedoch noch nie dagewesene Situation ist.
Unter letztgenannte Kategorie dürfte die Erhebung von negativen Zinsen im Einlagengeschäft gegenüber Verbrauchern fallen, zumindest zu dem Zeitpunkt, in dem sie eingeführt wurden. Hierzu ist anzumerken, dass die Idee zu dieser Arbeit im Jahr 2020 entstand, somit zur „Hochphase“ der negativen Zinsen und der beginnenden Erhebung ebensolcher im Privatkundengeschäft.
Eine enorme Bedeutung könnte dem Folgenbeseitigungsanspruch des Weiteren durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. April 20218 zukommen, in dem dieser die von etlichen Banken verwendeten Klauseln zur Zustimmungsfiktion bei der Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für unzulässig erklärte.9
Der Folgenbeseitigungsanspruch könnte in der Folge eine wirksame Ergänzung des kollektiven Rechtsschutzes bei der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen darstellen - sofern der Anspruch in dieser Form existieren sollte. Dies zu untersuchen, soll ein Teil der vorliegenden Arbeit sein und einen Beitrag in der Diskussion um die Mittel des kollektiven Rechtsschutzes im Zivilrecht leisten sowie einen Ausblick auf die zukünftige Ausgestaltung eines möglichen Folgenbeseitigungsanspruchs bei Verwendung unwirksamer allgemeiner Geschäftsbedingungen wagen.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Einführung negativer Zinsen für Verbraucher im Wege einer Regelung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in einer hiervon zu trennenden selbstständigen Vereinbarung zu sehen, welche zuletzt auch in der Rechtsprechung recht kritisch gesehen wurde10. Der Frage nach der Rechtmäßigkeit selbiger - insbesondere vor allem nicht nur dem Grunde, sondern auch der Höhe nach - kommt jedoch dann besondere praktische Bedeutung zu, wenn man die möglichen Auswirkungen eines Folgenbeseitigungsanspruchs betrachtet. Denn Negativzinsen - in der Bankenpraxis mehrheitlich als Verwahrentgelt bezeichnet - wurden zwischenzeitlich von einem Großteil der Banken in Deutschland erhoben und betrugen meist -0,5 %.11 Hieraus ergeben sich beträchtliche Haftungsrisiken für die Institute, die sich im Zusammenspiel mit dem Folgenbeseitigungsanspruch zügig realisieren könnten.
So täuscht der Eindruck, es handle sich um zwei voneinander zu trennende, unabhängige Rechtsprobleme. Zum einen nämlich um die Frage nach der durch die Rechtsprechung der letzten Jahre möglicherweise vorangetriebenen Weiterentwicklung des kollektiven Rechtsschutzes im deutschen Zivilrecht. Und zum anderen um die doch zumindest in Teilen bereits untersuchte Frage12 nach der Zulässigkeit von Negativzinsen im Bankvertragsrecht. Denn macht man sich mit der bisherigen Rechtsprechung und dem Meinungsstand vertraut, wird klar, dass die tatbestandliche Ausgestaltung eines möglichen Folgenbeseitigungsanspruchs darüber entscheiden wird, ob die Erhebung negativer Zinsen bzw. eines Verwahrentgelts grundsätzlich als einer der Anwendungsfälle verstanden werden kann, selbst in dem Fall, dass die Erhebung negativer Zinsen unterstellt sicher unzulässig wäre. Zudem dürfte sodann - soviel darf an dieser Stelle der Untersuchung bereits vorweg genommen werden - die Rechtsnatur und die Ausgestaltung der Erhebung negativer Zinsen bzw. eines Verwahrentgelts entscheidend sein. Denn nur weil ein Folgenbeseitigungsanspruch grundsätzlich besteht und ggf. auch zu einer Rückzahlung zu Unrecht entrichteter Gebühren und Entgelte verpflichten kann, so muss zudem die Erhebung negativer Zinsen bzw. eines Verwahrentgelts die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Folgenbeseitigungsanspruchs erfüllen.
Die Frage nach der Anwendung eines möglichen Folgenbeseitigungsanspruchs in Kombination mit der Erhebung negativer Zinsen kann daher nur in einer einheitlichen Untersuchung erfolgen.
Details
- Seiten
- 200
- Erscheinungsjahr
- 2025
- ISBN (PDF)
- 9783631929551
- ISBN (ePUB)
- 9783631929568
- ISBN (Paperback)
- 9783631929452
- DOI
- 10.3726/b22517
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2025 (Januar)
- Schlagworte
- kollektiver Rechtsschutz Verbraucherschutz Streuschäden Verbandsklage Negativzinsen Beseitigungsanspruch Folgenbeseitigungsanspruch UWG Zivilprozessrecht Bankrecht Wettbewerbsrecht Verwahrentgelt
- Erschienen
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2025. 200 S.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG