Nachhaltigkeit im Bankenaufsichtsrecht
Eine Untersuchung des europäischen und nationalen Aufsichtsrechts auf Zielkonflikte
Zusammenfassung
Das aktuelle Regulierungskonzept ist dagegen von einem veränderten Zielverständnis geprägt: Nachhaltigkeitsziele werden hauptsächlich mit Klimazielen und entsprechenden Investitionslenkungszielen in Verbindung gebracht, was sich nicht ohne Weiteres in den aufsichtlichen Regulierungsansatz einzuordnen vermag.
Inwieweit durch die Nachhaltigkeitsregulierung im europäischen und nationalen Bankenaufsichtsrecht Zielkonflikte entstehen, ist Gegenstand dieses Buches.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titelseite
- Copyright-Seite
- Widmung
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Einleitung
- A. Einführung und Stand der Forschung
- B. Gang der Untersuchung
- Teil 1: Die Ziele des Bankenaufsichtsrechts
- A. Grundlagen
- I. Bankenaufsicht und Rechtsquellen des Bankenaufsichtsrechts
- II. Zur Herleitung aufsichtsrechtlicher Ziele
- III. Zur Maßgeblichkeit des Sekundärrechts und der formellen Gesetze
- B. Der Zielkatalog des europäischen und nationalen Bankenaufsichtsrechts
- I. Zielherleitung
- 1. Europäisches Bankenaufsichtsrecht
- 2. Nationales Bankenaufsichtsrecht
- 3. Zwischenergebnis
- II. Zum Ziel der Sicherstellung der Finanzstabilität
- 1. Mikro- und makroprudenzielle Dimension
- 2. Zur ordnungspolitischen Begründung des Finanzstabilitätsziels
- III. Zum Kundenschutzziel
- 1. Einlegerschutz
- 2. Anlegerschutz als Ziel des Bankenaufsichtsrechts
- 3. Zum Verbraucherschutz im Bankenaufsichtsrecht
- IV. Zum Verhältnis der Ziele
- V. Zu den weiteren Zielen des Bankenaufsichtsrechts
- C. Zusammenfassung und Ergebnisse Teil 1
- Teil 2: Nachhaltigkeitsregulierung im Bankenaufsichtsrecht: ein neuer Zielekanon?
- A. Nachhaltigkeitsverständnis unter Sustainable Finance vs. traditionelles aufsichtsrechtliches Verständnis
- I. Nachhaltigkeitsverständnis im Lichte von Sustainable Finance
- 1. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung
- 2. Abgrenzung zum unternehmerischen Nachhaltigkeitskonzept
- 3. Einreihung des ESG-Konzepts
- II. Das traditionelle aufsichtsrechtliche Nachhaltigkeitsverständnis
- 1. Finales Nachhaltigkeitsverständnis
- 2. Materielles Nachhaltigkeitsverständnis
- 3. Parallelen zum Nachhaltigkeitsverständnis unter Sustainable Finance
- III. Zwischenergebnis
- B. Die Ziele der Nachhaltigkeitsregulierung im Bankenaufsichtsrecht
- I. Zielherleitung
- II. Das Finanzstabilitätsziel als Ziel der Nachhaltigkeitsregulierung
- 1. Zielkonformität der Berücksichtigung von ESG-Risiken
- a) ESG-Faktoren
- b) ESG-Risiken als finanzielle Risiken
- aa) Umweltrisiken
- bb) Sozialrisiken
- cc) Governance-Risiken
- c) ESG-Risiken als Treiber bekannter Risikoarten
- aa) Kreditrisiko
- bb) Markt(-preis)- und Liquiditätsrisiko
- cc) Operationelles Risiko und Reputationsrisiken
- d) Zwischenergebnis
- 2. Zielkonformität der bankenaufsichtsrechtlichen ESG-Risikovorgaben
- a) ESG-Risikomanagement als Bestandteil einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation
- aa) Berücksichtigung von ESG-Risiken in der Geschäftsstrategie
- (1) Analyse des Geschäftsumfelds
- (2) Ausweitung des Zeithorizonts für die strategische Planung
- (3) Strategische Ziele und Transitionspläne
- (4) Entwicklung nachhaltiger Produkte
- bb) ESG-Risikosteuerung
- (1) Steuerung des Kreditrisikos
- (a) Kreditwürdigkeitsprüfung, Bewertung von Sicherheiten und Kreditvergabekriterien
- (b) Preisgestaltung und Umsetzung der Engagement Policy
- (2) Steuerung sonstiger Risiken
- cc) Berücksichtigung von ESG-Risiken im ICAAP und in Stresstests
- dd) Gestaltung von Vergütungssystemen
- ee) Anforderungen an das Leitungsorgan und die Besonderen Funktionen
- ff) Bewertung der Zielkonformität
- (1) Konfliktträchtiger Wandel des bankaufsichtsrechtlichen Nachhaltigkeitsverständnisses?
- (2) Implikationen der Berücksichtigung von ESG-Risiken im aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP)
- b) Offenlegung von ESG-Risiken nach Art. 449a CRR
- aa) Qualitative Offenlegung
- bb) Quantitative Offenlegung
- cc) Fokus: Green Asset Ratio
- dd) Bewertung der Zielkonformität
- c) ESG-Risiken im Lichte der derzeitigen Eigenmittelregulierung
- d) Auswirkungen auf die makroprudenzielle Aufsicht
- 3. Zwischenergebnis
- III. Das Ziel der Neuausrichtung der Kapitalflüsse
- 1. Mittelbare Zielfinalität der ESG-Risikovorgaben
- 2. Green Supporting Factor
- a) Vergleichbare Unterstützungsfaktoren unter der CRR
- b) Mögliche Ausgestaltung
- 3. Brown Penalising Factor
- C. Zusammenfassung und Ergebnisse Teil 2
- Teil 3: Zielkonfliktuntersuchung am Beispiel eines möglichen Anpassungsfaktors
- A. Zu den möglichen Zielbeziehungen
- B. Finanzstabilität vs. Neuausrichtung der Kapitalflüsse: ein Zielkonflikt?
- I. Risikobasierter Ansatz
- 1. Green Supporting Factor
- 2. Brown Penalising Factor
- II. Wirtschaftspolitischer Ansatz
- 1. Green Supporting Factor
- 2. Brown Penalising Factor
- C. Lösung des Zielkonflikts
- I. Das Neuausrichtungsziel als legitimes Bankenaufsichtsrechtsziel
- 1. Zum Fehlen eines abschließenden primär- und verfassungsrechtlichen Zielkatalogs
- a) Rechtsetzungskompetenzen
- aa) Nationales Bankenaufsichtsrecht
- bb) Europäisches Bankenaufsichtsrecht
- (1) Art. 114 AEUV
- (2) Art. 53 AEUV
- b) Aufsichtsmandate
- c) Sonstige rechtliche Implikationen
- 2. Zur Möglichkeit der Berücksichtigung von Umweltschutzbelangen im Bankenaufsichtsrecht
- II. Zur Vorrangstellung des Finanzstabilitätsziels im Konfliktfall
- 1. Rechtliche Anhaltspunkte zur Vorrangstellung des Finanzstabilitätsziels
- 2. Eigenmittelregulierung als exklusives Instrument für das Finanzstabilitätsziel
- 3. Finanzstabilität als notwendige Bedingung der Neuausrichtung
- D. Zusammenfassung und Ergebnisse Teil 3
- Schluss
- Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
a. F. |
alte Fassung |
AGB |
Allgemeine Geschäftsbedingungen |
AMLD |
Anti-Money Laundering Directive |
BaFin |
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht |
BMF |
Bundesministerium für Finanzen |
BPF |
Brown Penalising Factor |
BRRD |
Bank Recovery and Resolution Directive |
BTAR |
Banking Book Taxonomy Aligned Ratio, Banking Book Taxonomy Aligned Ratio |
CAR |
Capital Adequacy Ratio |
CCM |
Climate Change Mitigation, Climate Change Mitigation |
COE |
cost of equity capital |
COVID-19 |
Corona Virus Disease 2019 |
CRD |
Capital Requirements Directive |
CRR |
Capital Requirements Regulation |
CSRD |
Corporate Sustainability Reporting Directive |
DGSD |
Deposit Guarantee Schemes Directive |
EAD |
Exposure at Default |
EBA |
European Banking Authority |
EEFIG |
Energy Efficiency Financial Institutions Group |
EPC |
Energy Performance Certificate, Energy Performance Certificate |
ESFS |
European System of Financial Supervision |
ESMA |
European Securities and Markets Authority |
ESRB |
European Systemic Risk Board |
ESZB |
Europäisches System der Zentralbanken |
EU |
Europäische Union |
EZB |
Europäische Zentralbank |
FSAP |
Financial Sector Assessment Program |
GABV |
Global Alliance for Banking on Values |
GAR |
Green Asset Ratio |
GLP |
Green Loan Principles |
GSF |
Green Supporting Factor |
HLEG |
High-Level Expert Group on Sustainable Finance |
ILO |
International Labour Organization |
IPCC |
Intergovernmental Penal on Climate Change |
IRB |
Internal Ratings Based |
IT |
Information Technology |
ITS |
Implementing Technical Standards |
IWF |
Internationalen Währungsfonds |
KfW |
Kreditanstalt für Wiederaufbau |
KMU |
kleine und mittlere Unternehmen |
KPI |
Key Performance Indicators |
LAAP |
Internal Liquidity Adequacy Assessment Process |
LGD |
Loss Given Default |
MiFID II |
Markets in Financial Instruments Directive |
MiFIR |
Markets in Financial Instruments Regulation |
NACE |
Nomenclature des Activités Économiques dans la Communauté Européenne |
NGFS |
Network for Greening the Financial System |
NPL |
Non Performin Loans |
PD |
Probability of Default |
PR |
Principles for Responsible Banking, Principles for Responsible Banking |
PRI |
Principles for Responsible Investment |
RAROC |
Risk Adjusted Return on Capital |
ROE |
Return on equity |
RTS |
Regulatory Technical Standards |
RWEA |
Risk Weighted Exposure Amount |
SDGs |
Sustainable Development Goals |
SREP |
Supervisory Review and Evaluation Process |
SRM |
Single Resolution Mechanism |
SSM |
Single Supervisory Mechanism |
TCFD |
Task Force on Climate-related Financial Disclosures |
THG |
Treibhausgas |
UN |
United Nations |
UNCED |
United Nations Conference on Environment and Development |
UNEP FI |
United Nations Environment Programme Finance Initiative |
Einleitung
A. Einführung und Stand der Forschung
Mit dem Aktionsplan „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2018 wurde der Ruf nach bankenaufsichtsrechtlichen Vorgaben laut, um den Bankensektor aufgrund seiner besonderen Rolle als Intermediär für Nachhaltigkeitsziele zu instrumentalisieren.1
„Nachhaltigkeitsziele“, verstanden als auf den Bankensektor bezogene Beständigkeitsziele, sind den Regulierungsvorschriften traditionell immanent. Der bisherige Regulierungsansatz fokussierte dabei auf eine Risikobegrenzung und nachhaltige Erhaltung des Bankensektors, ganz im Lichte der Erkenntnisse aus der letzten Finanzkrise. Hieran anknüpfend besteht ein Grundkonsens zur Zielrichtung der Bankenaufsicht:2 Sie hat den Bankensektor als Gesamtheit und die Bankgläubiger zu schützen.3 Unter diesem Post-Krisenbewusstsein wird mit dem Stichwort der Bankenaufsicht das Ziel der Stabilität der Banken, wie auch des ganzen (internationalen) Finanzsystems assoziiert.
Das aktuelle Regulierungskonzept ist dagegen von einem veränderten Zielverständnis geprägt. Nachhaltigkeitsziele werden hauptsächlich mit Klimazielen in Verbindung gebracht, was sich nicht ohne Weiteres in den bankenaufsichtlichen Regulierungsansatz einzuordnen vermag. Das Störgefühl kann sich auf ein konzeptionelles Novum stützen, da dem Aktionsplan als Quelle aller „modernen“ Nachhaltigkeitsbestrebungen das Pariser Klimaschutzübereinkommen zugrunde liegt, dessen Ziel die Begrenzung der globalen Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Stand ist.4 Die Bedeutung der Geschäftstätigkeit der Banken für das Klimaziel zeigt sich dabei durch folgende Gedankenkette: Um das Klimaziel zu erreichen, bedarf es in diesem Jahrhundert eines globalen Net Zero an Treibhausgasemissionen.5 Hierfür sind private Finanzflüsse enormen Ausmaßes nötig.6 Durch eine entsprechende Lenkung der Kapitalflüsse soll der Privatsektor die erforderlichen Investitionen tätigen. Der Finanzsektor soll bei dieser Lenkung keine untergeordnete, assistierende Rolle einnehmen, die eine klimazielkonsistente Finanzierung lediglich ermöglicht oder vereinfacht. Vielmehr soll er an das Klimaziel angepasst und als Ganzes „akklimatisiert“7 werden.
Die angesprochenen Investitionen verdeutlichen letztlich den Aussagegehalt von „Sustainable Finance“ (nachhaltige Finanzierung/nachhaltiges Finanzwesen).8 Das Begriffspaar bezieht sich auf eine Berücksichtigung umweltbezogener, sozialer sowie governance-bezogener Erwägungen in Investitionsentscheidungen und meint mithin die Berücksichtigung von „Nachhaltigkeit“ durch Finanzmarktakteure.9 Mit Blick auf politische Strategien beschreibt Sustainable Finance die Aufnahme einer so verstandenen Nachhaltigkeit in die Finanzmarktpolitik, welche sowohl die Finanzmarktregulierung als auch -aufsicht miteinbezieht.10 „Nachhaltigkeitsregulierung“ soll vorliegend diejenigen Finanzmarktregulierungsmaßnahmen erfassen, die sich auf den Aktionsplan (inkl. der Sustainable-Finance-Strategie der Europäischen Kommission)11 stützen.
Im Zuge der Umsetzung des Aktionsplans ist zu beobachten, dass Vorgaben in das Finanzmarktaufsichtsrecht Einzug finden, welchen Kapitallenkungsgedanken zwecks Erreichung von Klima- und Umweltzielen zugrunde liegen. Die Nachhaltigkeitsregulierung steht im Lichte dieses Lenkungsziels, wenngleich die Regulierung – vor allem im Bankenaufsichtsrecht – auch einen zweiten Risikoblickwinkel betrachtet, indem insbesondere versucht wird, den Gefahren, denen der Finanzsektor durch den Klimawandel ausgesetzt ist, zu begegnen.
Im Sinne eines umfassenden Anpassungsansatzes werden alle drei Säulen der Bankenregulierung durch die Ziele der Nachhaltigkeitsregulierung neu betrachtet: Neben neuen ESG-Risikooffenlegungsvorgaben unter Säule 3 zählen hierzu aufsichtliche Erwartungen und rechtliche Vorgaben zum ESG-Risikomanagement unter Säule 2. Als Lenkungsinstrument für das Ziel der Neuausrichtung der Kapitalflüsse wird zudem ein „grüner“ Unterstützungsfaktor (Green Supporting Factor) unter Säule 1 diskutiert, mithin ein Eigenmittelrabatt für grüne Risikopositionen.12 Ob ein solcher den Zielen der Eigenmittelunterlegung gerecht wird, ist dagegen zweifelhaft. Er würde jedenfalls die Kreditvergabefunktion des Bankensektors (wieder) in den Vordergrund rücken, nach jahrzehntelangen Verschärfungen der Eigenmittelvorgaben.
Anhand der angerissenen Diskussion um einen „grünen“ Unterstützungsfaktor zeigt sich exemplarisch, dass sich die neuen und geplanten Vorgaben nicht ohne Weiteres unter das klassische Regulierungskonzept fassen lassen, sondern Fremdkörper13 darstellen können und damit unter Umständen ein Wandel der Zielrichtung der Bankenregulierung erkennbar ist. Dadurch kann es im Bankenaufsichtsrecht zu Zielkonflikten kommen.14
Gegenstand dieser Ausarbeitung ist es zu untersuchen, ob und inwieweit durch die Nachhaltigkeitsregulierung im europäischen und nationalen Bankenaufsichtsrecht Zielkonflikte auftreten und Lösungsvorschläge zu unterbreiten.
Die Forschung hat sich bisher nur begrenzt oder mittelbar mit Zielkonflikten im Bankenaufsichtsrecht durch die Nachhaltigkeitsregulierung befasst. Zielkonflikte werden überwiegend lediglich angerissen15 oder mittelbar behandelt, indem einerseits danach gefragt wird, ob Aufsichtsbehörden ein „grünes“ Aufsichtsmandat zugesprochen werden sollte und im Falle einer Bejahung, inwieweit dieser Auftrag reiche16 oder indem der mögliche grüne Unterstützungsfaktor auf seine negativen Auswirkungen auf die Finanzstabilität untersucht und abgelehnt wird.17
Mit einer eingehenden Untersuchung auf Zielkonflikte hat sich dagegen Colaert befasst.18 Anders als in der vorliegenden Untersuchung betrachtet Colaert dabei die gesamte Finanzmarktregulierung und identifiziert einen Zielekanon bestehend aus den Schutzgütern Finanzstabilität, Marktintegrität (und -effizienz) sowie Verbraucherschutz.19 Nach Colaert ist „Sustainable Finance“ noch kein autonomes20 Regulierungsziel, da sich die ergriffenen Maßnahmen (noch) unter den traditionellen Zielen erklären ließen.21 Dagegen könne insbesondere ein Green Supporting Factor Sustainable Finance zu einem eigenständigen Regulierungsziel erstarken lassen.22 Ein solcher würde aber einen Zielkonflikt zu den traditionellen Zielen bedeuten.23 Nach Colaert sei das Finanzstabilitätsziel im Konfliktfall vorrangig, da die Finanzstabilität fundamental für das Sustainable-Finance-Ziel sei und dieses durch alternative, nicht-konfliktäre Instrumente verwirklicht werden könne.24 Anders als die Untersuchung von Colaert begrenzt die vorliegende Arbeit die Ziel- und Zielkonfliktuntersuchung auf das Bankenaufsichtsrecht und soll auch rechtliche Lösungsparameter aufzeigen.
Im Hinblick auf die Identifizierung der Ziele der Nachhaltigkeitsregulierung wird in der Forschung hauptsächlich der Aktionsplan herangezogen.25 Dagegen erfolgt vorliegend eine vorrangige Betrachtung der bankenaufsichtsrechtlichen Vorgaben und gesetzgeberischen Aussagen. Diese Vorgehensweise impliziert zwar keinen unterschiedlichen Zielkanon. Im Gegenteil, der Aktionsplan als Ausgangspunkt der Regulierung definiert die Zielrichtung. Durch eine isolierte Betrachtung der bankenaufsichtsrechtlichen Normen werden die Ziele der Nachhaltigkeitsregulierung aber eingegrenzt. Die so eingegrenzten Ziele werden durch die Heranziehung der ihnen dienenden bankenaufsichtlichen Instrumente zudem materiell definiert.
Mit Blick auf die Teilfrage der traditionellen Ziele des Bankenaufsichtsrechts finden sich einige Untersuchungen, die die „Ziele“ des Finanzmarktaufsichtsrechts bzw. der Finanzmarktaufsicht als Vor- oder Nebenfrage zu anderen juristischen oder wirtschaftlichen Themen behandeln.26 Auch inhaltlich eingehende Untersuchungen der Zielsetzungen des Aufsichtsrechts sind zu finden.27 Die bisherige Forschung schließt es gleichwohl nicht aus, eine eigene Herleitung der Ziele vorzunehmen, da einerseits der Zielbegriff durch die anschließende Zielkonfliktuntersuchung und die entsprechenden Lösungsansätze beeinflusst wird und andererseits die tatsächlich bestehende Zielpolygonlandschaft im Bankenaufsichtsrecht aufgezeigt und in Relation zu den ausgemachten Hauptzielen gesetzt wird.
B. Gang der Untersuchung
Die Arbeit soll zeigen, dass die aktuellen bankenaufsichtsrechtlichen Vorgaben der Nachhaltigkeitsregulierung nicht in einem Zielkonflikt zu den traditionellen Zielen des Bankenaufsichtsrechts stehen. Vielmehr werden traditionelle Ziele weiterverfolgt und die (geplanten) Vorgaben verhalten sich zielkonform, auch soweit sie sich positiv auf das Neuausrichtungsziel auswirken. Dagegen kann mit Blick auf einen möglichen grünen Unterstützungsfaktor als ein exklusives Instrument für das Neuausrichtungsziel ein Zielkonflikt auftreten. Für die Lösung des Zielkonflikts wird trotz einer ausgemachten grundsätzlichen Legitimität des Neuausrichtungsziels als Aufsichtsziel ein Vorrang der traditionellen Ziele des Bankenaufsichtsrechts aufgezeigt.
In Teil 1 werden die traditionellen Ziele des Bankenaufsichtsrechts dargestellt. Nachdem die Grundlagen aufgezeigt werden, insbesondere die relevanten Rechtsquellen und das Zielbegriffsverständnis für die vorliegende Untersuchung (Teil 1A.), werden die Ziele Finanzstabilität (Teil 1 B. II.) und Kundenschutz (Teil 1B.III.) anhand des Aufsichtsrechts und der Rechtsetzungsmaterialien belegt und materiell ausgefüllt. Im Anschluss wird ihr Verhältnis zueinander geklärt (Teil 1B.IV.). Schließlich werden sie den weiteren Zielen des Bankenaufsichtsrechts gegenübergestellt (Teil 1B.V.).
In Teil 2 werden die Ziele der Nachhaltigkeitsregulierung im Bankenaufsichtsrecht dargestellt und erläutert. Hierfür wird zunächst das Nachhaltigkeitsverständnis im Lichte der Nachhaltigkeitsregulierung beleuchtet (Teil 2 A. I.) und vom traditionellen Nachhaltigkeitsverständnis im Bankenaufsichtsrecht abgegrenzt (Teil 2 A. II.). Im Anschluss werden die Ziele der Nachhaltigkeitsregulierung, die mit bankenaufsichtlichen Mitteln verfolgt werden, aufgezeigt, und anhand der ihnen dienenden aufsichtsrechtlichen Instrumente erläutert (Teil 2 B. II.Teil 2 B. III.). Soweit auch traditionelle Ziele mit der Nachhaltigkeitsregulierung verfolgt werden, werden die neuen Instrumente auf ihre Zielkonformität untersucht (Teil 2B.II.1. und Teil 2B.II.2.).
In Teil 3 erfolgt nach dem Aufzeigen denkbarer Zielbeziehungen (Teil 3A.) eine Zielkonfliktuntersuchung am Beispiel möglicher Anpassungsfaktoren unter Säule 1 (Teil 3B.). Nachdem die grundsätzliche Legitimität des Neuausrichtungsziels als Aufsichtsziel untersucht wird (Teil 3C.I.), werden Lösungsansätze für einen Vorrang des bankenaufsichtsrechtlichen Finanzstabilitätsziels aufgezeigt (Teil 3C.II.).
1 Europäische Kommission, Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums.
2 Vor der Jahrtausendwende fielen die wissenschaftlichen Antworten auf die Frage nach den Zielsetzungen der Bankenaufsicht noch sehr heterogen aus, wenngleich die Notwendigkeit einer Bankenaufsicht – trotz verschiedener (ökonomischer) Begründungen – allgemein anerkannt war. Es herrschte weder Einigkeit darüber, welche konkreten Ziele die Bankenaufsicht verfolgt, noch wie einzelne Ziele zueinanderstehen (hierzu Regnery, Bankenaufsicht, Bankeneigenkapital und Wettbewerb, S. 5). Es zeigte sich ein „ziemlich verwirrendes Bild von Zielen, Instrumenten und ökonomischen Begründungen“ (Liepmann, Bankenverhalten und Bankenregulierung, S. 15; hierzu auch Niethammer, Die Ziele der Bankenaufsicht, S. 19).
3 Degenhart, Zweck und Zweckmäßigkeit bankaufsichtlicher Eigenkapitalnormen, S. 22 spricht vom „spezielle[n] Gläubigerschutzziel“ und „sektorale[n] Funktionssicherungsziel“.
4 Vereinte Nationen, Pariser Klimaschutzübereinkommen, Art. 2 und 3. Mittlerweile ist auch der sog. Green Deal bedeutsam, der ambitioniertere Treibhausgasreduzierungsziele für die EU festlegt, siehe Europäische Kommission, Der europäische Grüne Deal. Das Ziel der Klimaneutralität ist nunmehr im Europäischen Klimagesetz festgehalten, siehe Art. 2 Verordnung (EU) 2021/1119 vom 30.06.2021, ABl. L 243, 1.
5 Dieses Ziel ist im Europäischen Klimagesetz festgehalten, siehe Art. 2 Abs. 1 Verordnung (EU) 2021/1119 vom 30.06.2021, ABl. L 243, 1.
6 Nach Schätzungen der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2018 müssen Investitionsrückstände von jährlich mindestens 180 Mrd. Euro aufgeholt werden (siehe Europäische Kommission, Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums, S. 3). Dies dürfte sich aufgrund der COVID-19-Pandemie deutlich erhöht haben, vgl. Europäische Kommission, Strategie zur Finanzierung einer nachhaltigen Wirtschaft, S. 1.
7 Zu dieser treffenden Wortwahl De Arriba-Sellier, Common Market Law Review 58 (2021), S. 1097 (1098).
8 Vgl. hierzu Waschbusch/Kiszka/Strauß, Nachhaltigkeit in der Bankenbranche, S. 21, dort Fn. 1.
Details
- Seiten
- 346
- ISBN (PDF)
- 9783631934104
- ISBN (ePUB)
- 9783631934111
- ISBN (Paperback)
- 9783631933909
- DOI
- 10.3726/b22695
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2025 (Mai)
- Schlagworte
- Bankenaufsichtsrecht Nachhaltgkeitsregulierung Grüner Unterstützungsfaktor Green Supporting Factor Governance-Risiken Sozialrisiken Umweltrisiken ESG-Faktoren ESG-Risiken CRR III CRD VI Nachhaltigkeit ESG Unternehmensführungsrisiken
- Erschienen
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2025. 346 S.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG