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Die sozialversicherungsrechtliche Stellung Strafgefangener

von Meike Warncke (Autor:in)
©2020 Dissertation 446 Seiten

Zusammenfassung

Bis heute ist nicht abschließend geklärt, ob Strafgefangene vollständig in der Sozialversicherung zu berücksichtigen sind. Debattiert wird dabei vor allem über eine Einbindung von Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung. Im Buch werden die aktuellen rechtswissenschaftlichen sowie rechts- und sozialpolitischen Entwicklungen im Bereich der sozialen Sicherung von Strafgefangenen im nationalen Recht aufgezeigt und untersucht. Im Fokus steht die Stellung von Strafgefangenen in den Zweigen der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung de lege lata, die geprüft und verfassungsrechtlich bewertet wird. De lege ferenda werden die erlangten Erkenntnisse abschließend rechts- und sozialpolitisch gewürdigt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Zielsetzung und thematische Einordnung
  • I. Zielsetzung
  • II. Thematische Einordnung
  • B. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 1: Sozialversicherungsrechtliche Stellung Strafgefangener in der Geschichte des Strafvollzugsrechts
  • A. Berücksichtigung Strafgefangener in der Sozialversicherung im 19./20. Jahrhundert
  • I. Bundesratsgrundsätze von 1897
  • II. Sozialversicherungsschutz in der Unfallversicherung ab 1900
  • III. Reichsratsgrundsätze von 1923
  • IV. Einführung einer Belehrungspflicht über die freiwillige Weiterversicherung für Strafgefangene in der Sozialversicherung
  • V. Zusammenfassung
  • B. Modifikation von sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften für Gefangene ab 1933
  • I. Ausbau der Unfallversicherung
  • II. Allgemeine Verfügung zur Sozialversicherung der Gefangenen von 1938
  • C. Entwicklungen im Strafvollzugsrecht ab 1945 und Reformen in der Sozialgesetzgebung
  • I. Bundeseinheitlicher Strafvollzug mit der Dienst- und Vollzugsordnung
  • 1. Arbeit als gleichbleibende Grundlage eines geordneten Vollzuges
  • 2. Aufrechterhaltung der Sozialversicherung im Strafvollzug
  • II. Gleichstellung von Strafgefangenen mit Arbeitnehmern in Freiheit nach dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung von 1963
  • III. Reformarbeiten an einem einheitlichen StVollzG in den Siebzigerjahren
  • 1. Kommissionsentwurf für ein Strafvollzugsgesetz von 1971
  • 2. Einflussnahme durch die Rechtsprechung des BVerfG vom 14.03.1972
  • 3. Gesetzentwurf der Bundesregierung von 1973
  • 4. Alternativentwurf von 1974
  • 5. Zusammenfassung
  • IV. Das Bundesstrafvollzugsgesetz von 1976
  • 1. Inhaltliche Ausgestaltung
  • a. Arbeit und Arbeitsentgelt
  • b. Vorschriften zur Sozialversicherung
  • aa. Erforderlichkeit eines besonderen Bundesgesetzes
  • bb. Einbindung in die Arbeitslosenversicherung
  • 2. Erweiterung des Geltungsbereiches auf die neuen Bundesländer ab 1990
  • 3. Fortentwicklung des Strafvollzugsgesetzes zur sozialen Sicherung Gefangener
  • V. Inkrafttreten der Landesstrafvollzugsgesetze
  • D. Zusammenfassung
  • Kapitel 2: Rechtlicher Rahmen für einen Zugang Strafgefangener in die Zweige der Sozialversicherung
  • A. Übergeordneter rechtlicher Rahmen
  • I. Nationales Verfassungsrecht
  • 1. Selbstständiges Inkrafttreten der Vorschriften zur Sozialversicherung
  • 2. Vollzugsziel „Resozialisierung“
  • a. Begriffsbestimmung
  • aa. Ranghöchste Aufgabe des Strafvollzuges
  • bb. Begriffsabgrenzung
  • b. Das verfassungsrechtliche (Re-)Sozialisierungskonzept
  • aa. Herleitung und Anspruch
  • bb. Mindestanforderungen
  • c. Zusammenfassung
  • II. Europäisches Verfassungsrecht – Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung gemäß der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh)
  • III. Völkerrecht
  • 1. Völkerrechtliche Verträge in der deutschen Rechtsordnung – Einordnung und Anwendbarkeit im innerstaatlichen Recht
  • 2. Das Recht auf soziale Sicherheit im universellen und regionalen Völkerrecht
  • a. Universelle Verträge zum Schutz der Menschenrechte
  • aa. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948
  • bb. Soziale Sicherheit nach dem UN-Sozialpakt von 1966
  • cc. Übereinkommen sozialer Sicherheit im Rahmen von Sonderorganisationen – Internationale Arbeitsorganisation (IAO)
  • b. Regionales Völkerrecht
  • aa. Die Europäische Sozialcharta (ESC) von 1961
  • bb. Empfehlung des Europarates: Europäische Strafvollzugsgrundsätze
  • c. Zusammenfassung
  • 3. Ergebnis
  • B. Einfaches Recht
  • I. Der sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsbegriff
  • 1. Definition und Abgrenzung
  • 2. Merkmale für das Vorliegen einer Beschäftigung im Sozialversicherungsrecht
  • a. Nicht selbstständige Arbeit
  • b. Freier Austausch von Arbeit und Lohn
  • 3. Zusammenfassung
  • II. Strafvollzugsrechtliche Beschäftigung
  • 1. Rechtliche Vorgaben für Beschäftigung im Strafvollzugsrecht
  • a. Verpflichtung zur Arbeit
  • aa. Entfallen von Arbeitspflicht
  • bb. Kein Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten Arbeit
  • cc. Verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Konformität von strafvollzugsrechtlicher Pflichtarbeit
  • b. Freiwillige Arbeit
  • 2. Beschäftigungsverhältnisse im Strafvollzug
  • a. Öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnisse
  • aa. Ausgestaltung von Beschäftigung im Vollzug
  • (1) Beschäftigungen in Eigenbetrieben der Justizvollzugsanstalt
  • (2) Tätigkeiten für Unternehmerbetriebe innerhalb oder außerhalb der Anstalt
  • (a) Pflichtarbeit im Unternehmerbetrieb innerhalb der Justizvollzugsanstalt
  • (b) Zugewiesene Arbeit in Betrieben außerhalb der Anstalt – der „unechte“ Freigang
  • (3) Hilfstätigkeit in Hausbetrieben der Anstalt
  • (4) Arbeitstherapeutische Beschäftigung
  • bb. Entlohnung von Gefangenenarbeit
  • (1) Rechtslage nach dem Bundesstrafvollzugsgesetz
  • (2) Verfassungswidrigkeit der Arbeitsentgelthöhe für Gefangenenarbeit
  • (3) Vorschriften zur Entlohnung de lege lata
  • (a) Konzept einer monetären und nicht monetären Anerkennung von Arbeit
  • (b) Verzicht auf eine nicht monetäre Anerkennungskomponente bei freiwilliger Arbeit
  • (aa) Verletzung des verfassungsrechtlichen (Re-)Sozialisierungsgebotes
  • (bb) Verfassungsrechtliche Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz
  • (cc) Ergebnis
  • b. Privatrechtliche Rechtsverhältnisse
  • aa. Das freie Beschäftigungsverhältnis – „echter“ Freigang
  • bb. Sonderform „Selbstbeschäftigung“
  • cc. Entlohnung bei freien Beschäftigungsverhältnissen und Selbstbeschäftigung
  • III. Strafvollzugsrechtliche Beschäftigung im Licht des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsbegriffes
  • 1. Öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnisse
  • a. Gesetzlich zugewiesene Arbeit
  • b. Freiwillige Arbeit
  • 2. Einordnung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse
  • a. Freie Beschäftigungsverhältnisse
  • b. Selbstbeschäftigung
  • 3. Ergebnis
  • Kapitel 3: Sozialversicherungsrechtliche Stellung Strafgefangener de lege lata
  • A. Sozialversicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung und in der Arbeitslosenversicherung
  • I. Zugehörigkeit zum versicherten Personenkreis in der gesetzlichen Unfallversicherung
  • 1. Strafgefangene im Kreis der kraft Gesetzes Versicherten in der GUV
  • a. Pflichtversicherung bei privatrechtlichen Beschäftigungen
  • b. Versicherung kraft Gesetzes bei gesetzlich zugewiesener Beschäftigung
  • 2. Umfang des Versicherungsschutzes in der GUV
  • II. Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung
  • 1. Berücksichtigung bei versicherungspflichtiger Beschäftigung
  • 2. Einbeziehung als sonstige Versicherungspflichtige bei gesetzlich zugewiesener Arbeit
  • a. Vorliegen der Voraussetzungen
  • aa. Gefangene, die Arbeit verrichten
  • bb. Erhalt von Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung
  • cc. Zwischenergebnis
  • b. Zu berücksichtigende Hafttage als Zeiten eines Versicherungsverhältnisses
  • aa. Berechnungsgrundsätze und ihre Auslegung in der Vergangenheit
  • (1) Berücksichtigung arbeitsfreier Tage nach der GefBeitrVO
  • (2) Anweisung zur taggenauen Berechnung durch die BA
  • bb. Rechtslage de lege lata
  • cc. Höchstrichterliche Klärung
  • dd. Stellungnahme
  • 3. Leistungsanspruch während der Haft
  • III. Zusammenfassung
  • B. Stellung Strafgefangener in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung
  • I. Ruhen eines Anspruches auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung
  • 1. Anwendungsbereich
  • 2. Ruhensvoraussetzungen
  • a. Versichertenstatus
  • aa. Ende der Mitgliedschaft mit Beendigung versicherungspflichtiger Beschäftigungen
  • bb. Aufrechterhaltung und Fortsetzung des Versichertenstatus
  • (1) Aufrechterhaltung des Versichertenstatus bei freiwilliger Versicherung
  • (2) Fortsetzung der Versicherung als freiwillige Mitgliedschaft
  • (a) Mit Ende der Versicherungspflicht
  • (b) Mit Ende der Familienversicherung
  • cc. Familienversicherte Strafgefangene
  • b. Ruhen eines Anspruches auf Leistungen bei institutioneller Gesundheitsfürsorge
  • aa. Leistungen der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug
  • (1) Leistungsumfang
  • (2) Einschränkungen
  • (3) Kostenbeteiligung
  • bb. Ruhen eines Anspruches auf Leistungen
  • (1) Bei Versicherungspflicht, freiwilliger Versicherung und Familienversicherung in der GKV
  • (2) Bei Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG)
  • (3) Kein Ruhen bei freien Beschäftigungsverhältnissen
  • 3. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • II. Die soziale Pflegeversicherung
  • 1. Versicherter Personenkreis
  • a. Anknüpfung der Versicherungspflicht in der SPV an die GKV
  • b. Weiterversicherung und Beitrittsrecht
  • 2. Versicherungsrechtlicher Status Strafgefangener
  • a. Versicherungspflicht in der SPV
  • b. Kein Ruhen eines Anspruches auf Leistungen aus der SPV während der Haft
  • 3. Zusammenfassung
  • C. Grundsätzlich keine Berücksichtigung Gefangener in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV)
  • I. Versicherter Personenkreis in der GRV
  • II. Berücksichtigung Strafgefangener in der GRV
  • 1. Einbindung bei privatrechtlichen Beschäftigungen während der Haft
  • 2. Versicherungspflicht in der GRV nach dem KSVG bei Selbstbeschäftigungen
  • 3. Ergebnis
  • III. Ausschluss aus der GRV bei gesetzlich zugewiesener Arbeit
  • 1. Grundsätzlich keine Versicherung kraft Gesetzes
  • 2. Berücksichtigung Strafgefangener in der GRV als sonstige Versicherte
  • a. Versicherungspflicht in der Zeit für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten
  • aa. Kindererziehungszeiten als Pflichtbeitragszeiten
  • (1) Kindererziehung im Strafvollzug
  • (2) Kindererziehung außerhalb des Strafvollzuges
  • bb. Ergebnis
  • b. Versicherungspflicht beim Empfang von Entgeltersatzleistungen
  • aa. Versicherungspflicht während des Bezuges von Krankengeld
  • bb. Keine Versicherungspflicht für die Zeit des Bezuges von Verletztengeld
  • (1) Bezug von Verletztengeld
  • (a) Rechtsprechung des BSG vom 15.12.2016
  • (b) Zwischenergebnis
  • (2) Ergebnis
  • cc. Versicherungspflicht in der Zeit für den Bezug von Arbeitslosengeld
  • dd. Ergebnis
  • IV. Zusammenfassung
  • Kapitel 4: Rechtsfolgen im Sozialversicherungsrecht
  • A. Gesetzliche Krankenversicherung und soziale Pflegeversicherung
  • I. Rechtliche Auswirkungen auf den Versichertenstatus
  • 1. Versicherungsschutz während der Haft nach den Landesstrafvollzugsgesetzen
  • 2. Auffangversicherungspflicht nach Haftentlassung
  • II. Einschränkungen im Leistungsumfang
  • 1. Angleichung der Gesundheitsfürsorge mit Leistungen der GKV
  • 2. Abweichungen in der institutionellen Gesundheitsfürsorge
  • a. Kein Recht auf freie Arztwahl
  • b. Grundsätzlich kein Anspruch auf Krankengeld
  • c. Ergebnis
  • III. Auswirkungen auf Vorversicherungszeiten
  • 1. Fehlende Vorversicherungszeit für eine Versicherung in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR)
  • 2. Kein Anspruch auf Leistungen aus der SPV wegen mangelnder Vorversicherungszeit
  • IV. Zusammenfassung
  • B. Gesetzliche Rentenversicherung
  • I. Rechtsfolgen einer Nichtberücksichtigung Strafgefangener in der GRV
  • 1. Auswirkungen auf Rentenansprüche und Rentenhöhe
  • a. Belegung der Haftzeit mit rentenrechtlichen Zeiten
  • aa. Keine Anrechnung der Zeit des Vollzuges als Beitragszeit
  • bb. Berücksichtigungszeit bei Kindererziehung
  • cc. Keine Berücksichtigung als beitragsfreie Zeit
  • (1) Keine Berücksichtigung der Haftzeit als Anrechnungszeit
  • (2) Keine Gleichsetzung mit Ersatzzeiten
  • b. Ergebnis
  • 2. Einfluss auf Rente wegen Erwerbsminderung
  • a. Keine analoge Anwendung von Verlängerungstatbeständen auf Haftstrafen
  • b. Verfassungsmäßigkeit einer Entwertung von Anwartschaftsrechten durch die Haft
  • aa. Keine Verletzung der Eigentumsgarantie
  • bb. Vereinbarkeit mit dem (Re-)Sozialisierungsgebot
  • cc. Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz
  • dd. Kein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung
  • ee. Ergebnis
  • 3. Konsequenzen hinsichtlich Renten wegen Todes
  • 4. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • II. Möglichkeiten der (Weiter-)Versicherung in der GRV während der Haft
  • 1. Freiwillige Versicherung
  • 2. Nachversicherung
  • 3. Zusammenfassung
  • Kapitel 5: Rechts- und sozialpolitische Erwägungen für eine Berücksichtigung Strafgefangener in der Sozialversicherung
  • Kapitel 6: Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

Einleitung

Mit der Einbeziehung der arbeitenden Gefangenen in die Rentenversicherung will der Entwurf diesem Personenkreis nur das gewähren, was für alle anderen Arbeitnehmer längst selbstverständlicher Bestandteil der Altersvorsorge ist. Finanzielle Erwägungen dürfen in unserem sozialen Rechtsstaat nicht dazu führen, daß verbüßte Freiheitsstrafen lebenslange soziale Benachteiligungen für den Betroffenen und seine Familie nach sich ziehen.1

Im Vollzug der Freiheitsstrafe arbeitende Strafgefangene2 werden bis heute nicht vollständig in den Bereichen der Sozialversicherung berücksichtigt. Geklärt ist bisher lediglich die sozialversicherungsrechtliche Stellung Strafgefangener in der gesetzlichen Unfallversicherung und in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung. Darüber hinaus ist eine Berücksichtigung Strafgefangener in der Sozialversicherung nicht gewachsen.3 So gehören Strafgefangene in der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung nicht zum kraft Gesetzes versicherten Personenkreis.

Für eine Berücksichtigung Gefangener in den Sozialversicherungsbereichen ist der Erlass eines besonderen Bundesgesetzes (vgl. § 198 Abs. 3, § 190 Nr. 1 bis 10 und 13 bis 18, §§ 191 bis 193 StVollzG) erforderlich.4 Ohne das Bundesgesetz bleibt Strafgefangenen der Zugang in die Sozialversicherung verwehrt. Auch die Beschäftigung Strafgefangener während des Vollzuges ändert nichts daran, da die überwiegenden Arbeiten im Strafvollzug keine Beschäftigungen im sozialversicherungsrechtlichen Sinn darstellen. Hier gilt es jedoch zwischen den unterschiedlichen Beschäftigungsmöglichkeiten während der Haft zu differenzieren. Weil allein die Arbeiten im Strafvollzug in aller Regel nicht zu einer Versicherung kraft Gesetzes in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie in der sozialen Pflegeversicherung führen, bleibt es den Gefangenen daher meist selbst überlassen, ob und wie sie sich während der Haft sozialversicherungsrechtlich absichern. Auch heute noch ist es demnach für arbeitende Strafgefangene alles andere als selbstverständlich, dass eine Beschäftigung während des Strafvollzuges wie bei Arbeitnehmern in Freiheit zu einer Absicherung kraft Gesetzes in der Sozialversicherung führt.

Auf politischer Ebene wird die Einbeziehung von Gefangenen in die Zweige der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung immer wieder diskutiert.5 Auch wenn die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG in der Zuständigkeit des Bundes liegt, werden die Beiträge zur Sozialversicherung für im Strafvollzug arbeitende Gefangene von dem für die Vollzugsanstalt zuständigen Bundesland getragen, da das Strafvollzugsrecht in der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder liegt.6 Demzufolge bildet das Problem der Finanzierbarkeit von sozialversicherungsrechtlichen Absicherungen Strafgefangener durch die Länderhaushalte seit jeher das Hauptargument gegen eine Berücksichtigung Strafgefangener in der Sozialversicherung.7 Derzeit wird auf Landesebene erneut darüber diskutiert, ob eine Berücksichtigung Strafgefangener in der gesetzlichen Rentenversicherung zu empfehlen ist und wie sich eine solche umsetzen lässt.8 So wurde der Strafvollzugsausschuss der Länder mit Beschluss (TOP II.13 zur Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung)9 der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) bereits im Jahr 2015 gebeten, eine Einbeziehung Strafgefangener in die gesetzliche Rentenversicherung zu prüfen und der Konferenz Bericht zu erstatten. Die Ergebnisse des Berichtes des Strafvollzugsausschusses wurden mit erneutem Beschluss (TOP II.27)10 auf der Frühjahrskonferenz der JuMiKo am 01./02.06.2016 als Grundlage für eine weitere Überprüfung und Bewertung durch die Finanzministerkonferenz (FMK) und die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) verwendet. Der nicht öffentliche Bericht der ASMK-Arbeitsgruppe „Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung“ vom 14.07.2017 wurde auf der 94. Tagung der ASMK Ende 2017 in Potsdam zur Kenntnis genommen.11 Es wurde außerdem einstimmig unter TOP 5.19 beschlossen, dass die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder den Bericht der JuMiKo zur Verfügung stellen und dieser empfehlen, die in dem Bericht dargestellten Ergebnisse bei der weiteren Meinungsbildung hinsichtlich der Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung zu berücksichtigen und insbesondere die Finanzierungswege bei der jeweiligen Favorisierung einer Lösungsmöglichkeit zu beachten.12 Auf ihrer 89. Frühjahrskonferenz am 06./07.06.2018 in Thüringen haben die Justizministerinnen und Justizminister nun beschlossen (TOP II.26)13, dass sie eine Einbeziehung Gefangener und Sicherungsverwahrter in die gesetzliche Rentenversicherung grundsätzlich für sinnvoll erachten. Aufgrund dessen bitten sie die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, sich beim Bundesminister für Arbeit und Soziales für eine entsprechende Änderung des SGB VI einzusetzen, die im Hinblick auf die zu erwartenden Einsparungen für den Bundeshaushalt bei der Grundsicherung im Alter keine zusätzliche Belastung der Länderhaushalte verursacht.14 Gegen diese für die Länderhaushalte kostenneutrale Änderung des SGB VI hat sich gleichzeitig allerdings die ASMK mit Beschluss TOP 5.14 am 05./06.12.2018 ausgesprochen, „wenn dies mangels Beitragsleistungen zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen würde“.15

Die Weichen für eine Berücksichtigung Gefangener, zumindest in der gesetzlichen Rentenversicherung, sind damit im Ergebnis gestellt.16 Dagegen steht eine Einbeziehung Strafgefangener in der gesetzlichen Krankenversicherung offensichtlich nicht mehr zur (politischen) Debatte. Die Dringlichkeit für weiterführende Reformforderungen in diesem Bereich scheint entfallen zu sein.17 Ungeklärt bleibt außerdem die Frage nach der Beitragstragung für eine Berücksichtigung Strafgefangener in der gesetzlichen Rentenversicherung. So komme – in Übereinstimmung mit der ASMK – auch nach Ansicht der Bundesregierung eine Kostentragung durch die Versichertengemeinschaft oder den Bund nicht in Betracht, da der Strafvollzug Sache der Länder sei und die Länder für Strafgefangene die Beiträge für die Rentenversicherung tragen müssen.18 Ebenfalls könne sich aus dem Umstand, dass der Bund seit dem Jahr 2014 den Ländern die Nettoausgaben in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erstatte, jedenfalls kein Grund dafür ergeben, dass der Bund nun auch für die Altersvorsorge der arbeitenden Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten ganz oder teilweise aufzukommen habe.19 Es hängt somit von der Bereitschaft der Bundesländer ab, die bei einer Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung anfallenden Beiträge zu tragen, ob die Bundesregierung Schritte zur Einführung einer Rentenversicherungspflicht für Strafgefangene und Sicherungsverwahrte vorsehen wird.20 Wie sich die Bundesländer diesbezüglich entscheiden werden, bleibt abzuwarten.21

A. Zielsetzung und thematische Einordnung

I. Zielsetzung

Details

Seiten
446
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631807071
ISBN (ePUB)
9783631807088
ISBN (MOBI)
9783631807095
ISBN (Paperback)
9783631802076
DOI
10.3726/b16346
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Soziale Sicherheit Strafvollzug Sozialversicherungsrechtlicher Beschäftigungsbegriff Strafvollzugsrechtliche Beschäftigung Verfassungsrechtliches Resozialisierungskonzept Mindestanforderungen Rentenanwartschaft Nicht monetär
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 446 S.

Biographische Angaben

Meike Warncke (Autor:in)

Meike Warncke studierte Rechtswissenschaften in Bremen sowie Sozialrecht in Fulda und Kassel. Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin war sie am Fachgebiet Sozialrecht des Fachbereichs Humanwissenschaften (Institut für Sozialwesen) der Universität Kassel tätig. Sie koordinierte den Forschungsverbund für Sozialrecht und Sozialpolitik (FoSS) der Universität Kassel und der Hochschule Fulda.

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Titel: Die sozialversicherungsrechtliche Stellung Strafgefangener
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