Lade Inhalt...

Morgenland und Moderne

Orient-Diskurse in der deutschsprachigen Literatur von 1890 bis zur Gegenwart

von Axel Dunker (Band-Herausgeber:in) Michael Hofmann (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband 259 Seiten

Zusammenfassung

Die Ereignisse nach dem 11. September 2001 und die jüngsten gesellschaftlichen Umbrüche im Nahen Osten, der Irak-Krieg, der Bürgerkrieg in Syrien, der fortdauernde Konflikt in Afghanistan, aber auch die interkulturellen Probleme innerhalb Deutschlands machen deutlich, wie wichtig die Bilder und Vorstellungen sind, die sich der «Westen» vom traditionell auf den Begriff des «Orients» gebrachten Nahen und Mittleren Osten macht. Die Beiträge dieses Bandes geben Aufschlüsse über das Verhältnis von Identität und Alterität, von Selbst- und Fremdbildern im Verhältnis der deutschen Kultur und Gesellschaft zum «Orient».

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Axel Dunker/Michael Hofmann: Einleitung
  • Dieter Heimböckel: Der Orient-Diskurs in der Kultur- und Zivilisationskritik um 1900
  • Winfried Eckel: Spiegelung, Rahmung, Integration. Zu Funktion und Verwendung von Orientbildern bei Stefan George
  • Volker Mergenthaler: „Vereinigungen“. Max Dauthendeys Lingam und das Phantasma ‚Orient‘
  • Jan Gerstner: Zwischen Rausch und Fremdenlegion. Friedrich Glausers Ma­ghreb
  • Alexander Honold: Orientalismus am Wendepunkt. Zur kulturellen Topographie von Franz Werfels Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh
  • Herbert Uerlings: Abraham und das Opfer der Kultur. Zur Kritik einer orientalischen Meistererzählung in Michael Roes’ Jizchak
  • Mirjam Springer: „gewohnter blick durchs okular“ – Thomas Klings wolkenstein. mobilisierun’
  • Axel Dunker: „Vor dem Fenster pfiff ein Vogel Bulbul“. Der Holocaust, Israel und der Orient bei Katharina Hacker
  • Laura Beck: Orientalismus in Martin Mosebachs Was davor geschah
  • Norbert Otto Eke: „Es gibt keinen Sieger außer Gott“. Dialog im Raum der Schrift: Thomas Lehrs Roman September. Fata Morgana
  • Stefan Hermes: „Guten Morgen, Afghanistan!“ Der Bundeswehreinsatz am Hindukusch als literarisches Sujet
  • Michael Hofmann: Postmoderne Inszenierungen weiblicher Körper in Räumen der Tradition und der Modernisierung: ‚Orient‘ bei Emine Sevgi Özdamar
  • Reihenübersicht

← 6 | 7 → Einleitung

Axel Dunker / Michael Hofmann

Die Ereignisse nach dem 11. September 2001 und die jüngsten gesellschaftlichen Umbrüche im Nahen Osten, der sogenannte ‚arabische Frühling‘, der Irak-Krieg, der Bürgerkrieg in Syrien, der fortdauernde Konflikt in Afghanistan mit deutscher Beteiligung, aber auch die interkulturellen Probleme innerhalb Deutschlands machen deutlich, wie wichtig die Bilder und Vorstellungen sind, die sich der ‚Westen‘ vom traditionell auf den Begriff des ‚Orients‘ gebrachten Nahen und Mittleren Osten macht. Dabei wurde das Konzept ‚Orient‘, das im 19. und noch im frühen 20. Jahrhundert (etwa bei Max Dauthendey) noch bis Indien reichte, im Lauf des letzten Jahrhunderts zunehmend auf die islamisch geprägten Regionen von der Türkei bis zum Maghreb eingeschränkt, in letzter Zeit (wohl ebenfalls an den Islam gekoppelt) wird es aber wieder bis zum Hindukusch ausgedehnt. Erstaunlicherweise ist trotz der hohen gesellschaftlichen und politischen Aktualität der Diskurs über den ‚Orient‘ für die deutsche Literatur- und Kulturgeschichte nur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts wirklich systematisch aufgearbeitet.1 Die Tagung „Der Deutschen Morgenland. Bilder des Orients in der deutschen Literatur und Kultur von 1770 bis 1850“, die Michael Hofmann gemeinsam mit Charis Goer im Juni 2006 in Paderborn organisiert hat, hat maßgeblich dazu beigetragen.2 Der vorliegende Band, der auf eine Tagung an der Universität Bremen im Januar 2012 zurückgeht, knüpft chronologisch daran an und schreibt die Untersuchung über das 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart fort.

Es stellt sich dabei erneut die Frage nach der Methodik. Ist die vornehmlich an Beispielen aus dem 19. Jahrhundert entwickelte postkoloniale Theorie in der Form der Thesen Edward Saids aus dem Jahre 1978 zum Orientalismus angesichts der oben angesprochenen Ereignisse noch zeitgemäß? Said geht bekanntlich davon aus, der Orientalismus sei eine „Denkweise, die sich auf eine ontologische und epistemologische Unterscheidung zwischen ‚dem Orient‘ und […] ← 7 | 8 → ‚dem Okzident‘ stützt“.3 Die Zielrichtung dabei sei es, den Orient „zu beherrschen, zu gestalten und zu unterdrücken“.4 Der Orient werde zu einem der „ausgeprägtesten und meistvariierten Bilder ‚des Anderen‘“ gemacht, um für „Europa (oder den Westen) als sein Gegenbild, seine Gegenidee, Gegenpersönlichkeit und Gegenerfahrung“5 dienen zu können. Welcher Weg führt von diesen plakativen Thesen zur konkreten Analyse deutschsprachiger literarischer Texte des 20. und 21. Jahrhunderts, die auf den Orient-Diskurs zu beziehen sind? Können diskursanalytische Verfahren im Verbund mit textanalytischen Methoden, die nach dem konkreten Stellenwert literarischer Anschlüsse an etablierte Orient-Diskurse innerhalb von ästhetischen Konstrukten fragen, aufzeigen, in welcher Weise literarische Texte an inner- wie außerliterarisch geprägten Orient-Bildern, -Diskursen und -Motiven partizipieren? Zu zeigen ist, wie literarische Konstruktionen diese für den jeweiligen Bedeutungsaufbau nutzen, wie sie sie verändern und verfremden. Was für ein ‚Orient‘ ist es, der in den literarischen Texten performativ produziert wird?

An exemplarischen Beispielen vom Beginn der klassischen Moderne in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts (bei Stefan George) und in der Kultur- und Zivilisationskritik um 1900 über die 20er und 30er Jahre (bei Friedrich Glauser und Franz Werfel) bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts (bei Katharina Hacker, Thomas Kling, Thomas Lehr, Martin Mosebach, Michael Roes u.a.) wird untersucht, wie gesellschaftliche Kontexte (das deutsche Kaiserreich, der erste Weltkrieg und die Weimarer Republik mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus, die zunehmende Zuwanderung von Migranten aus ‚orientalischen‘ Ländern, die Konfrontation zwischen dem Westen und dem fundamentalistischen Islamismus nach dem 11. September 2001) die Orient-Diskurse verändern, wie Bilder des Orients für die Repräsentation innereuropäischer Problemkonstellationen benutzt werden und welchen Stellenwert transkulturelle Austausch- bzw. Abgrenzungsprozesse dabei haben. Die literarischen Orient-Diskurse konstituieren und verändern sich in Abhängigkeit von den oben genannten historischen Prozessen innerhalb des 20. und 21. Jahrhunderts. Dadurch ergeben sich Aufschlüsse über das Verhältnis von Identität und Alterität, von Selbst- und Fremdbildern im Verhältnis der deutschen Kultur und Gesellschaft zum ‚Orient‘. Für das 20. und 21. Jahrhundert gilt offenbar nur noch in eingeschränktem Maße, was Hofmann und Goer für die Zeit von 1770 bis 1850 feststellen, nämlich „dass das reale und das imaginäre Morgenland für deutsche Literaten und ← 8 | 9 → Philosophen, Künstler und Wissenschaftler auch vielfach ein Ort der Inspiration und der Sehnsucht war“, das „wichtige Impulse für das Selbstverständnis der deutschen und europäischen Kultur zu geben vermochte“.6 Für das 20. und 21. Jahrhundert scheint stärker (und im letzten Jahrzehnt vielleicht sogar immer noch zunehmend) zu gelten, was Michel Foucault über die „Gesten“ schreibt, „mit denen eine Kultur etwas zurückweist, was für sie außerhalb liegt“.7 Fou­cault nennt dafür „den Trennungsstrich, den der Orient darstellt“.8 Spätestens seit 9/11 ist es der Islam, der zu diesem Trennungsstrich gemacht wird und überlagert, was der Orient auch sein kann: „der Orient, den man sich als Ursprung denkt, als schwindeligen Punkt, an dem das Heimweh und die Versprechen auf Rückkehr entstehen.“9

Auch unabhängig von einer möglichen theoretischen und methodologischen Anknüpfung an Said, die ohnehin nicht alle AutorInnen dieses Bandes vornehmen, stellt sich die Frage, wie es mit dem Orientalismus unter den Bedingungen von Moderne und Postmoderne aussieht. Mit dem Entstehen der durch den Ästhetizismus des fin de siècle vorbereiteten ‚emphatischen Moderne‘ des 20. Jahrhunderts verändert sich grundlegend die Repräsentationsfunktion von Literatur und Kunst. Die Verweisungsfunktion auf die externe Welt tritt zugunsten von Intertextualität, Selbstreflexivität und Selbstreferenzialität zurück. Doch dieser Prozess, der in der Postmoderne einen gewissen Höhepunkt erreicht, spielt sich vor dem Hintergrund thematischer, bildlicher und diskursiver Felder ab, zu denen auch der ‚Orient‘ gehören kann. Zu beschreiben ist, gerade wenn es um die Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts geht, wie diese Felder aufgerufen werden, woher die Elemente dieser Diskurse stammen, wie sie für Selbstreflexivität und -referentialität spezifisch moderner und postmoderner Artefakte genutzt werden. Dabei ist zu klären, in welchem Verhältnis die Überkommenheit und die häufige Stereotypie dieser Diskurselemente zu ihrem Einsatz innerhalb moderner und postmoderner Schreibverfahren stehen.

Vor diesem Hintergrund untersucht Dieter Heimböckel Ausprägung und Funktionalisierung des Orientalismus im kulturkritischen Diskurs der Zeit um 1900 am Beispiel von Walther Rathenau und Oswald Spengler. Den Hintergrund bildet dabei die Feststellung, dass Versuche der Identitätsfestschreibung und Konstruktion, wie sie die beiden Autoren der konservativen Kulturkritik auf ← 9 | 10 → unterschiedliche Weise vornehmen, immer auch eine interkulturelle Dimension haben. Bei Rathenau zeigt sich eine „Gemengelage von Orientalismus, Antisemitismus, moderne- bzw. kapitalismuskritischer Kulturkritik und Imperialismus“ und auch Spenglers vermeintliche Eurozentrismuskritik erweist sich als kontaminiert von Ideologemen, die in seiner sozialdarwinistischen Wortwahl zum Vorschein kommen.

Die Partizipation Stefan Georges an den unterschiedlichen, von Edward Said und Andrea Polaschegg mit ganz anderen Akzenten beschriebenen Orient-Diskursen beleuchtet Winfried Eckel. George steht am Kreuzungspunkt dieser Diskurse; die von Said als abwertende Zuschreibungen gekennzeichneten Topoi werden von George vor allem im Frühwerk als Faszinosum der Alterität erlebt. Analog zu Antike- und Mittelalter-Ressourcen speisen sie Georges Kritik der Moderne. Im späteren Werk treten die Orient-Bezüge zurück, George trennt ‚das Orientalische‘ vom Orient, um es bei sich selbst wiederzufinden.

Volker Mergenthaler weist in seinem Beitrag über Max Dauthendeys Lingam die Auffassung zurück, Literatur könne als Spiegel kultureller Entwicklungen dienen. Die Zwölf asiatischen Novellen Dauthendeys zeigen vielmehr, dass die Vorstellung einer Vereinigung mit dem orientalischen Anderen nur ein Phantasma ist, das aber Imaginationspotential besitzt und als solches Dichtung hervorzubringen vermag.

Literarische Phantasmen sind auch der Ausgangspunkt von Jan Gerstners Untersuchung des Orientalismus bei Friedrich Glauser, der den Maghreb durch seine Zeit in der französischen Fremdenlegion aus eigener Anschauung kannte. Im Zentrum seiner Orient-Evokationen steht Ambivalenz: durch Erwähnungen Rimbauds wird zugleich die Erwartung eines ‚Anderen‘ in der Flucht aus Europa und die Enttäuschung über das Ausbleiben dieses ‚Anderen‘ aufgerufen. Die orientalistischen Klischees, die in den Texten Glausers auftauchen, erfüllen als solche zugleich eine konkrete Funktion für die Darstellung der Fremdenlegion. Die Texte des Schweizers stehen in einem ambivalenten Verhältnis von Abhängigkeit und Abweichung von hergebrachten Bildern, was sich auch in einer Kontrafaktur von Flauberts berühmter Beschreibung seiner Begegnung mit der Kurtisane Ruchiouk-Hânem äußert.

Im Hintergrund von Franz Werfels Die vierzig Tage des Musa Dagh steht, so führt Alexander Honold (unter Rückgriff auf Freuds Der Mann Moses und die monotheistische Religion) aus, die Eigenschaft des westeuropäischen Orientalismus, zugleich alte und älteste Schichten des kollektiven Gedächtnisses anzusprechen und die Signatur der wissenschaftlichen, künstlerischen und politischen Moderne aufzuweisen. Werfel ist es darum zu tun, die Gewaltdimension des Genozids an den Armeniern gerade nicht zu orientalisieren und einer kolonialen Logik zu unterwerfen. Dazu gehört, gerade nicht die westlich-europä­ischen ← 10 | 11 → Züge der Armenier zu betonen, sondern deren ‚orientalische‘. Die europäische Assimilation der Hauptfigur des Romans wird an dessen Ende dekonstruiert in einer Bewegung, die ihn ausweglos immer weiter in die Topographie seiner Herkunft am Musa Dagh hineinführt.

Bildet für Honolds von Werfels Roman ausgehende Deutung der ‚Mann Moses‘ eine zentrale Figur, so steht im Zentrum von Michael Roes’ Jizchak. Versuch über das Sohnesopfer, den Herbert Uerlings analysiert, Abraham. Uerlings liest den Abraham-Mythos, wie er in Caravaggios Opferung Isaaks aufscheint, die Roes einer Ekphrasis unterzieht, als orientalische Meistererzählung. Opferung und Kulturgründung werden in ihr in einen engen Zusammenhang gebracht und der Ort des eigenen Ursprungs damit als ‚Orient‘ imaginiert. Roes setzt kulturelle Codes, psychosexuelle Individuierung vor allem in Form des homosexuellen Begehrens und historische wie politische Konfliktlinien in eine komplexe Beziehung zueinander, um die orientalische Urszene ‚unserer‘ Kultur aufheben zu können.

Mirjam Springer stellt ins Zentrum ihrer Überlegungen zu Thomas Klings wolkenstein. mobilisierun’ die historische Schlacht von Ceuta, an der der spätmittelalterliche Dichter Oswald von Wolkenstein teilgenommen hat. Diese Schlacht, dessen Erwähnung bei Oswald Kling wieder aufnimmt, fokussiert die Diskursivierung des Orients vom Spätmittelalter bis zur Golfkriegsberichterstattung durch CNN: in einer Zoombewegung wird die Geschichte der Sehgewohnheiten im Horizont von Kolonialismus und Orientdiskursivierung visualisiert, wodurch bei Kling auch die ‚Matrix des eigenen kulturellen Handelns‘ zur Disposition gestellt wird.

Die Verknüpfung des Orient- mit dem Holocaust-Diskurs in Katharina Hackers Eine Art Liebe untersucht Axel Dunker. Die Gegenwart Israels mit ihren orientalischen Implikationen betont die Distanz, die zur selbstreflexiven Auseinandersetzung von Autoren der heutigen Gegenwartsliteratur mit dem Holocaust notwendig dazu gehört. Aus postkolonialer Sicht ist diese Benutzung des Orient-Diskurses für andere Zwecke aber nicht unproblematisch, inkorporiert sie doch ungewollt auch die binären Strukturen des Orientalismus.

Laura Beck unterzieht in ihrem Beitrag Martin Mosebachs Roman Was davor geschah einem close reading vor dem Hintergrund von Saids Orientalismus-Konzept. Sie stößt dabei auf ein Netz von Ambivalenzen, in das der Ich-Erzähler, der Affinitäten zur ‚orientalischen‘ Figur des Romans aufweist, einbezogen ist. Das Muster von Aufrufen stereotyper Vorstellungen, ironischer Brechung dieser Bilder und anschließendem Wiederaufrufen stattet den Text selbst mit einer Ambivalenz aus, die ihn in eine unklare Position zwischen aufklärerischen und ‚reaktionären‘ Positionen bringt.

← 11 | 12 → Als Gegenschrift zur Re-Orientalisierung des Orients nach 9/11 beschreibt Norbert Otto Eke Thomas Lehrs Roman September. Fata Morgana. Lehrs Text stellt sich selbst als Sprachkunstwerk aus, das auf mehreren Ebenen dialogisch angelegt ist und als „Grenzüberschreitung der ästhetischen Formensprache“ fungiert. Dass dieser Dialog letztlich doch das Selbstgespräch eines westlichen Autors bleiben muss, ändert nichts an der Dignität von Lehrs Projekt, das auf Dialogizität als (utopischem) Modell der Grenzüberschreitung im Literarischen setzt.

Stefan Hermes erweitert den Blick auf den literarischen Orientalismus um die Literatur, die das deutsche Engagement in Afghanistan thematisiert. Während in Ingo Niermanns und Alexander Wallaschs Roman Deutscher Sohn orientalistische Klischees ausgespart bleiben, weil eine Auseinandersetzung mit kultureller Differenz gar nicht stattfindet, stellt Dirk Kurbjuweit in Kriegsbraut Genderkategorien in den Fokus. Die überkommende Geschlechterkonstellation des Orientalismus – ein europäischer Mann trifft auf eine geheimnisvolle und begehrenswerte orientalische Frau, die als Fremde zugleich das Fremde verkörpert – wird umgedreht: eine deutsche Soldatin geht ein heimliches intimes Verhältnis mit einem afghanischen Mann ein.

Michael Hofmann zeigt in seinem Beitrag, wie die renommierte deutsch-türkische Autorin Emine Sevgi Özdamar als eine „Orientalin“ in deutscher Sprache schreibt und die Gefahr einer „Selbstorientalisierung“ zu vermeiden sucht. Besonders in dem Roman Das Leben ist eine Karawanserei bietet Özdamar aus einer dezidiert weiblichen Perspektive postmoderne Inszenierungen von Leiblichkeit, mit denen Räume der Tradition und der Modernisierung beschrieben und orientalistische Klischees einerseits aufgerufen, andererseits aber umfunktioniert und massiv in Frage gestellt werden. Der „Orient“ – so zeigt sich – ist aus dieser Sicht längst in Europa angekommen und er ist ein „ganz anderes Anderes“ von Europa, als sich das die neuen „Orientalisten“ nach 9/11 vorstellen können.

Wir danken der Nolting Hauff-Stiftung und der Universität Bremen für die finanzielle Unterstützung der Tagung, die vom 19.-21. Januar 2012 in Bremen stattgefunden hat, und bei der Publikation des Tagungsbandes. Dank für die Mitarbeit an der Textredaktion gebührt vor allem Miriam Esau.

___________________

1      Andrea Polaschegg: Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert. Berlin/New York: de Gruyter 2005. Um einzelne exemplarische Beispiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart geht es in den Sammelbänden: Rüdiger Görner/Nima Mina (Hg.): ‚Wenn die Rosenhimmel tanzen‘. Orientalische Motivik in der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. München: Iudicium 2006; Klaus-Michael Bogdal (Hg.): Orientdiskurse in der deutschen Literatur. Bielefeld: Ais­thesis 2007.

2      Charis Goer/Michael Hofmann (Hg.): Der Deutschen Morgenland. Bilder des Orients in der deutschen Literatur und Kultur von 1770 bis 1850. München, Paderborn: Fink 2008.

3      Edward W. Said: Orientalismus. Aus dem Englischen von Hans Günter Holl. Frankfurt am Main: Fischer 2009, S. 11.

4      Said: Orientalismus (Anm. 3), S. 11.

5      Said: Orientalismus (Anm. 3), S. 10.

6      Goer/Hofmann (Hg.): Der Deutschen Morgenland (Anm. 2), S. 7.

Details

Seiten
259
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653038682
ISBN (ePUB)
9783653994254
ISBN (MOBI)
9783653994247
ISBN (Hardcover)
9783631646038
DOI
10.3726/978-3-653-03868-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Januar)
Schlagworte
postkoloniale Stereotypen Zivilisationskritik Orientalismus Orientalism Migration
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 259 S., 5 s/w Abb.

Biographische Angaben

Axel Dunker (Band-Herausgeber:in) Michael Hofmann (Band-Herausgeber:in)

Axel Dunker, Professor für neuere und neueste deutsche Literaturgeschichte und Literaturtheorie an der Universität Bremen; Forschungsschwerpunkte: Postkoloniale Studien, Literatur und Holocaust, Gegenwartsliteratur. Michael Hofmann, Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Universität Paderborn; Forschungsschwerpunkte: Aufklärung/Weimarer Klassik, Peter Weiss, interkulturelle Literaturwissenschaft, deutsch-türkische Studien.

Zurück

Titel: Morgenland und Moderne
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
263 Seiten