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Objektive Illusionen

Ein Essay über das Wesen der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit

von Gerhard Fasching (Autor:in)
©2014 Monographie X, 99 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch beleuchtet naturwissenschaftliche Begriffe, Theorien, Erklärungen und Voraussagen und führt zu einem {Wi}-Operator, der die Wirklichkeit Wi strukturiert. Das Wesen der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit zeigt sich hierbei als eine Objektive Illusion, die durch ein Vorurteil erfunden wurde. Und zwar ist dieses Vorurteil die spezielle, ausgewählte Methode, die der Naturwissenschaftler anwendet, um seine naturwissenschaftliche Wirklichkeit hervorzubringen. Das Wesen der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit erfährt eine verblüffende Wandlung. Ein Wirklichkeits-Pluralismus tut sich auf und ein iterativer Prozeß ermöglicht eine laufende Verwandlung auch von komplexen Wirklichkeiten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort zur 3. Auflage
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Was steht hinter der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit?
  • Die absolute Wirklichkeit des populären Wissenschaftsverständnisses
  • Spezielle Denkform mit großer “Sogwirkung”
  • “Der arme Krösus” und die “objektiven Illusionen”
  • Wie findet man zur Wirklichkeit?
  • Das Wesen der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit
  • Eine Vielfalt von gültigen Wirklichkeiten
  • Wirklichkeit und Urgrund
  • Pseudowirklichkeiten
  • 2. Konvention, Induktion und Falsifikation
  • 3. Begriffe
  • Klassifikatorische Begriffe
  • Komparative Begriffe
  • Quantitative Begriffe
  • Größenbegriffe
  • 4. Gesetze und Theorien
  • Theorie-Element
  • Theorienetze
  • Struktur von Theorienetzen
  • Normale Wissenschaft
  • Wissenschaftliche Revolutionen
  • Pseudo-Theorienetze
  • 5. Erklärungen und Voraussagen
  • Deterministische Erklärungen
  • Statistische Gesetze
  • Statistische Erklärungen
  • Das Problem der Mehrdeutigkeit
  • Die Einbeziehung der Wissenssituation
  • Die epistemische Relativität
  • Informative Erklärungen und Voraussagen
  • 6. Der {Wi} - Operator
  • Regelfundament, Theorienetz und Systematisierungen
  • Die naturwissenschaftliche Wirklichkeit
  • 7. Woher kommt die Vielfalt der Wirklichkeiten?
  • Falsifikationismus
  • Begriffsbildung
  • Gesetze und Theorien
  • Theorien-Dynamik
  • Epistemische Relativität
  • Vielfalt statt Einfalt
  • Kreativität und Meditation
  • Wirklichkeit, Selbst und Urgrund
  • Verzeichnisse
  • Schrifttum
  • Sachverzeichnis

1.

Was steht hinter der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit?

Was soll dort schon stehen? Gar nichts steht dort. Denn in der Naturwissenschaft bemüht man sich, alles, was nur irgendwie greifbar, meßbar und erfahrbar ist, zu erfassen und man bemüht sich, alles in das System der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit einzuordnen. Und das ist bisher gelungen oder der Erfolg steht zumindest knapp bevor. In dieser Situation erscheint es daher sinnlos zu sein, hinter der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit irgend ein mystisches Etwas zu vermuten, von dem man fest und steif behauptet, daß es existiert, obwohl man es selbst mit den feinsten naturwissenschaftlichen Methoden grundsätzlich nicht in Erfahrung bringen kann. Wer eine solche Vermutung unwidersprochen hinnimmt, übt gleichsam Verrat am wissenschaftlichen Denken. Wem fällt da nicht sofort Hermann Hesse ein, der in seiner Erzählung Innen und Außen von einem Menschen spricht, der eine solche Einstellung hat?

Es war ein Mann mit Namen Friedrich, der beschäftigte sich mit geistigen Dingen und besaß vielerlei Kenntnisse. Doch war ihm nicht eine Kenntnis wie die andere und ein Gedanke wie der andere, sondern er liebte eine gewisse Art des Denkens, und die andere verachtete und verabscheute er. .. “Zwei mal zwei ist vier”, pflegte er zu sagen, “daran glaube ich, und von dieser Wahrheit aus muß der Mensch das Denken betreiben.” Daß es auch andere Arten des Denkens und der Erkenntnis gab, war ihm zwar nicht unbekannt, aber “Wissenschaft” war das nicht, und er hielt nichts davon. .. Tief verhaßt und zuwider .. war ihm alles, was er als Aberglaube erkannte. .. Am meisten aber erboste es ihn, wenn er solche Spuren unter seinesgleichen antreffen mußte, unter gebildeten Männern, welchen die Grundsätze des wissenschaftlichen Denkens vertraut waren. Und nichts war ihm schmerzlicher und unerträglicher als jener lästerliche Gedanke, .. daß das “wissenschaftliche Denken” möglicherweise keine höchste, keine zeitlose, ewige und unerschütterliche Denkart sei.

Genau von solchen Dingen soll in diesem Essay die Rede sein. ← 1 | 2 →

Die absolute Wirklichkeit des populären Wissenschaftsverständnisses

Das populäre naturwissenschaftliche Wissenschaftsverständnis sieht die Erforschung der Wirklichkeit als ein gigantisches Unternehmen an, bei dem besonders begabte Gelehrte die Geheimnisse des Mikro- und Makrokosmos ein für allemal entziffern.

Man könnte diese Tätigkeit mit einem riesigen Puzzlespiel vergleichen, wo sich viele Mitspieler darum bemühen, die einzelnen Teile dieses großen und bunten Bildes zusammenzusetzen. Manche Bereiche des Bildes nehmen schon Gestalt an; aber wie alles zusammenpassen soll, das ist sogar heute noch unklar. Aber in einem Gesichtspunkt sind sich die Anhänger des populären Wissenschaftsverständnisses einig: Zuletzt muß sich eins ins andre fügen und das ganze Bild steht dann dem Betrachter schließlich eindeutig vor Augen.

Es ist also kein Wunder, daß das populäre Wissenschaftsverständnis eine absolute Wirklichkeit vor sich sieht. Denn die naturwissenschaftliche Methode ist durch ständige experimentelle Überprüfung ihrer Ergebnisse gekennzeichnet. Und so kann man es gut verstehen, daß die naturwissenschaftlichen Bemühungen Ergebnisse hervorbringen, die in ihrem Fortschritt immer genauer werden. Die Ergebnisse schmiegen sich dabei immer enger an ihren “Forschungsgegenstand” an, der zwar nie unmittelbar zu sehen ist, der aber immer besser modellhaft abgebildet wird. Der wissenschaftliche Fortschritt nähert sich also gleichsam einer Asymptote an, die die absolute Wirklichkeit repräsentiert. Selbstverständlich - so sagt man - gibt es heute noch gewisse Bereiche, die von der Naturwissenschaft noch nicht erschlossen wurden. Aber daraus darf man nicht folgern, daß zu diesen Bereichen die Naturwissenschaft prinzipiell keinen Zutritt hätte. Früher oder später werden sich alle diese Randbereiche in das große naturwissenschaftliche Netzwerk einzugliedern haben. Und all das, was dort nicht hineinpasst, wird zuletzt als Täu ← 2 | 3 → schung entlarvt und wird amputiert und entfernt. Alle Bereiche werden sich jedenfalls dem einen großen naturwissenschaftlichen Netzwerk unterzuordnen haben, egal, was von ihnen dabei übrig bleibt.

Naturwissenschaft und Technik erscheinen daher als ein unerschütterliches Gebäude, welches seine Gestalt einzig und alleine nur aus innerer Natur-Notwendigkeit erhält. Alles geht seinen korrekten Lauf. So wäre also nichts einzuwenden gegen Atomkraft und Gentechnologie, gegen koreanisches Menschen-Klonen, aber auch nichts gegen eine kulturübergreifende freie, ungebremste Marktwirtschaft und generelle Globalisierung, die wie ein Rasenmäher über alle Kulturen hinweg fährt. Alles ist machbar. Im Prinzip hat man in der Technik “alles im Griff”.

Unser populäres Wissenschafts- und Wirklichkeitsverständnis tritt in diesen Argumenten deutlich ans Licht: Das einzige, was es wirklich gibt, ist - kurz gesagt - Materie oder Energie in Raum und Zeit. Alles läßt sich auf Materie in Raum und Zeit zurückführen. Sonst gibt es nichts. Und das genügt manchen Menschen, um das Transzendente und alles, was diesem Transzendenten ähnlich sieht, ein für alle Male beiseite zu lassen.

Details

Seiten
X, 99
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653040791
ISBN (ePUB)
9783653993479
ISBN (MOBI)
9783653993462
ISBN (Hardcover)
9783631646519
DOI
10.3726/978-3-653-04079-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Naturwissenschaft Wesen Wunder
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. X, 99 S.

Biographische Angaben

Gerhard Fasching (Autor:in)

Gerhard Fasching, Studium der Technischen Wissenschaften; Promotion und Habilitation; Industrietätigkeit; Ordinarius und Institutsvorstand an der Technischen Universität Wien; Arbeiten auf dem Gebiet der Philosophie der Naturwissenschaft; seit 2001 Emeritus.

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