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Das preußische Fideikommiss

Studien zu seiner nationalökonomischen Funktion im Übergang zum imperialistischen Kapitalismus

von Fusao Kato (Autor:in)
©2017 Monographie 176 Seiten

Zusammenfassung

Die wirtschaftshistorische Untersuchung thematisiert mit dem preußischen Fideikommiss ein altes, traditionelles Rechtsinstitut, dessen Ursprung weit ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Dadurch wird es oftmals als ein unzeitgemäßes Phänomen behandelt, das lediglich eine reaktionäre oder rückschrittliche Rolle gespielt habe. Dieses Desinteresse gilt auch Max Weber und seiner Abhandlung zur Fideikommissfrage. Dieses Buch überprüft, ob Webers Arbeit weiterhin in der Forschung vernachlässigt werden darf. Es wirft die Frage auf, ob Weber ein rundweg negatives Urteil abgegeben hat, und weist darauf hin, dass die Besitzer der preußischen Fideikommisse nicht nur aus dem Inland kamen, sondern aus breit gestreuten Gebieten Europas. Die Analyse gilt den inter- wie transnationalen Aspekten der vielfältigen Problematik und beleuchtet die Wirklichkeit der Fideikommisse im Übergang zum imperialistischen Kapitalismus.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • I. Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Fideikommissfrage in Preußen 1871–1918
  • A) Max Webers Abhandlung zum preußischen Fideikommiss als „gebundenem Familiengut“
  • 1. Die Auffassung Wolfgang Mommsens
  • 2. Der Widerspruch von Grundbesitz und Betrieb
  • 3. Die Schädlichkeit der kleinen Fideikommisse
  • 4. Die Wirksamkeit der großen Fideikommisse
  • 5. Die Rationalisierungslehre des deutschen Kapitalismus
  • 6. »Fideikommiss« und »Geist«
  • 7. Kritik
  • 8. Kleines und großes Fideikommiss
  • B) Ein Versuch über »Fideikommiss und Kapitalismus« in Deutschland
  • 1. Die Liquidation eines französischen Adels-Fideikommisses
  • 2. Ein deutsches Fideikommiss in der Provinz Posen
  • 3. Ein polnisches Adels-Fideikommiss
  • 4. Heinrich Dernburgs Gutachten
  • 5. Der Wandel der Umstände
  • 6. Die Enteignung eines polnischen Adels-Fideikommisses
  • C) Der Sinn des Entwurfs von 1903
  • 1. Die bedingte Klausel (1) – Preußische Grundstücke
  • 2. Die bedingte Klausel (2) – Deutsche Reichsangehörige
  • 3. Schlusswort
  • II. Weitere mit dem Fideikommiss zusammenhängende Probleme
  • A) Webers Kritik an Max Sering
  • B) Urbanisierung und Vorortgemeinde um Berlin unter besonderer Berücksichtigung des Kreises Teltow
  • 1. Die Einverleibung der Gutsbezirke durch die Landgemeinden
  • 2. Die hervorragende Leistung der Gemeinde Königs Wusterhausen und die »Gemeindefreiheit«
  • C) Urbanisierung und Fideikommiss. Das Beispiel Königs Wusterhausen im Vorortkreis Teltow von Berlin
  • 1. Einnahmen und Ausgaben des Fideikommisses
  • 2. Die Zusammensetzung der Parzellenpachten
  • 3. Differenzierung der Pächter
  • 4. Waldfideikommiss
  • III. Auflösung der Fideikommisse
  • A) Das Beispiel des Sanierungsversuchs der Grafschaft Dohna in Ostpreußen
  • 1. Einleitung
  • 2. Das Geschlecht der Dohna
  • 3. Die Agrarpolitik
  • 4. Der Überlebenskampf Dohnas
  • 4.1 Das Grundeigentum
  • 4.2 Die Gesamtverschuldung
  • 4.3 Der Vorschlag Katschacks
  • 4.4 Schlussbetrachtung
  • 5. Die Amerika-Anleihe
  • B) Fideikommiss und Wald in Preußen unter besonderer Berücksichtigung der Auflösung des Waldfideikommisses
  • 1. Einleitung
  • 2. Eine statistische Übersicht
  • 3. Ausführungen des „Reichsforstwirtschaftsrats“
  • 3.1 Argumente für Fideikommisse
  • 3.2 Eine andere Form der Bindung
  • 3.3 Schluss
  • 4. Bildung des Waldguts
  • 4.1 Das Beispiel Finckenstein in Westpreußen
  • 4.2 Das Beispiel Reicherswalde in Ostpreußen
  • 4.3 Eine Übersicht
  • 5. Resümee: Waldgut und Schutzforst
  • Zusammenfassung
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Skizzenverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis

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Einleitung

Die vorliegende Studie knüpft thematisch und inhaltlich an die Ergebnisse von Max Weber an, der die verschiedenen statistischen Untersuchungen wie die preußischen Grundbesitzaufnahmen von 1878 und 1892 u. a. aufgearbeitet hat. Seine große Abhandlung „Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommissfrage in Preußen“ (1904)1 ist zu diesem Problemkreis sehr aufschlussreich, wurde aber in der jüngeren deutschen Forschung lange vernachlässigt, wie überhaupt die wirtschafts- und rechtsgeschichtliche Frage des Fideikommissinstituts in Preußen, die Max Weber aus großem sozialpolitischen Interesse heraus angegangen war, in der Geschichtswissenschaft trotz ihrer Relevanz lange Zeit nicht gebührend beachtet wurde. Erst in jüngster Zeit sind einige wichtige Beiträge dazu erschienen. Die von unterschiedlichen Untersuchungsansätzen und Erklärungskonzepten ausgehenden bisherigen Untersuchungen zum preußischen Fideikommiss lassen sich den beiden gegenwärtigen Richtungen zuordnen. Für die im Rahmen der allgemeinen Rechtsgeschichte betriebene Forschungsrichtung stehen vor allem die Beiträge von Jörn Eckert, Bernhard Bayer, Mareike Mayer und Hartmut Fischer sowie Monika Wienfort.2 ← 11 | 12 → Dagegen ist die andere Richtung, zu der z. B. die Beiträge von Klaus Heß, Eckart Conze und René Schiller sowie Roland Gehrke zählen, ausgeprägt wirtschafts- und sozialgeschichtlich ausgerichtet.3

Als noch offenes Feld in der Fideikommissforschung benennt Heinrich Kaak aus agrargeschichtlicher Perspektive die Frage, „in welchem Maße die Einrichtung der Fideikommissgüter als stabilisierendes Moment der Gutsherrschaft gewirkt hat“.4 Christian v. Bar und Peter H. Striewe weisen auf die Notwendigkeit hin, „[d]ie verschlungenen Wege, die dieses Rechtsinstitut im 20. Jahrhundert durchlaufen hat, einmal nachzuzeichnen und zu entwirren, […] denn seine Spuren reichen bis in die Gegenwart hinein“.5 Nicht zuletzt wird die Bedeutung der Fideikommissforschung in der Gegenwart deutlich, wenn man berücksichtigt, welch einen lohnenden ← 12 | 13 → Forschungsgegenstand die Junker und ihre Rolle in der deutschen Geschichte darstellen.6

Anhand der eingehenden Überprüfung des Weberschen Werkes kann man der vielfältigen Problematik der Fideikommisse nachgehen und deren konstitutive Komponenten herausarbeiten, wodurch sich ein großer Bereich der Terra incognita der Fideikommissfrage erschließen lässt. Aber wie profund Webers Einsichten auch sein mögen, man darf seine auf statistischem Material fußenden Erkenntnisse nicht a priori mit der objektiven Realität der Gesellschaft identifizieren, die sich im Übergang zum imperialistischen Kapitalismus befand. Die vorliegende Arbeit liefert einen ersten Beitrag, das Problem unter diesem Gesichtspunkt eingehender auszuloten, aber naturgemäß kann es sich dabei nur um eine Art Zwischenbilanz handeln, denn vieles bleibt noch zu ermitteln und zu erörtern.

Die Arbeit gliedert sich in drei Abschnitte: Im ersten Abschnitt geht es um die Frage, was den wesentlichen Gehalt der Weberschen Abhandlung zur Fideikommissfrage ausmacht und wie seine Bedeutung am angemessensten verstanden werden kann. Daneben wird auch untersucht, wie man sich auf der Grundlage des Aktenmaterials der Frage nach der Rolle des preußischen Fideikommisses im Übergang zum imperialistischen Kapitalismus nähern kann, um einem Desiderat der Forschung nachzukommen. Die Grundlage für diesen Abschnitt bildet das archivalische Quellenmaterial des Preußischen Justizministeriums, das im umfangreichen Bestand als Rep. 84a der I. Hauptabteilung im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem lagert.7 ← 13 | 14 →

Im zweiten Abschnitt wird überprüft, inwieweit Webers Darstellung sich mit der Realität in den östlichen Selbstverwaltungskörpern zu Beginn des 20. Jahrhunderts deckt, soweit es sich um die Vorortgemeinden handelt. Unter besonderer Berücksichtigung eines kleinstädtischen Ortes, der sich aus Gemeinde und Gutsbezirk zusammensetzte, soll daneben auch die Bedeutung, die Webers Analyse für die Erfassung der tatsächlichen Verhältnisse preußischer Forstfideikommisse besitzt, herausgearbeitet werden. Die Quellenbasis bildet hier das ungedruckte Archivmaterial der Herrschaft Königs Wusterhausen, das abgesehen von den Beständen der adligen Vorbesitzer im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam lagert.8 Um zu einer kritischen Bewertung der Erkenntnis Max Webers zu gelangen, wurde im Zusammenhang mit den Kommunalangelegenheiten die Akte der Präsidialabteilung herangezogen.9

Der dritte Abschnitt ist wiederum zweigeteilt: Der erste Teil befasst sich mit einer Fallstudie zur Entwicklung des Fideikommisses bis zu seiner Auflösung nach dem Ersten Weltkrieg, der zweite beleuchtet die tatsächliche Situation, in der sich Preußen mit seinem reichen Fideikommisswaldbesitz in der Weimarer Epoche befand.10 Dieser Abschnitt wertet neben den Akten ← 14 | 15 → des Preußischen Justizministeriums und des Geheimen Zivilkabinetts auch die Akten des Reichsfinanzministeriums und des Rechnungshofs des Deutschen Reiches im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde aus.11

Die vorliegende Untersuchung unternimmt als Ganzes den Versuch einer Neubewertung des Themenkreises, indem sie die Abhandlung Webers anhand von exemplarischen Quellenstudien wie die zur „vereinigten Grafschaft Dohna“12 einer kritischen Analyse unterzieht, um die tiefgreifende Bedeutung des Fideikommisses für den deutschen Kapitalismus sowie die nationalökonomische Rolle des ostelbischen Großgrundbesitzes im Übergang zum imperialistischen Kapitalismus darzulegen. ← 15 | 16 →


1 Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, Tübingen 1924, S. 323–393; Max Weber Gesamtausgabe (im Folgenden: MWG), im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Abt. 1, Schriften und Reden, Tübingen 1998, Bd. 8, Wolfgang Schluchter (Hrsg.), Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik. Schriften und Reden 1900–1912, S. 92–188 (im Folgenden: Fideikommissfrage). Zum historischen Hintergrund vgl. Cornelius Torp, Max Weber und die preußischen Junker, Tübingen 1998, S. 37–79, insbesondere S. 74–79.

2 Jörn Eckert, Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland. Studien zum Absterben eines Rechtsinstitutes, Frankfurt am Main 1992; Bernhard Bayer, Sukzession und Freiheit. Historische Voraussetzungen der rechtstheoretischen und rechtsphilosophischen Auseinandersetzungen um das Institut der Familienfideikommisse im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin 1999; Mareike Mayer, Institute für eine langfristige Bindung des Privatvermögens in einer Familie durch Verfügung von Todes wegen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, Baden-Baden 2008, S. 26–73; Hartmut Fischer, Die Auflösung der Fideikommisse und anderer gebundener Vermögen in Bayern nach 1918, Baden-Baden 2013; Monika Wienfort, Gerichtsherrschaft, Fideikommiss und Verein. Adel und Recht im »modernen« Deutschland, in: Jörn Leonhard and Christian Wieland (Eds.), What Makes the Nobility Noble? Comparative Perspectives from the Sixteenth to the Twentieth Century, Göttingen 2011, S. 90–113.

3 Klaus Heß, Junker und bürgerliche Großgrundbesitzer im Kaiserreich. Landwirtschaftlicher Großbetrieb, Großgrundbesitz und Familienfideikommiss in Preußen (1867/71–1914), Stuttgart 1990; Eckart Conze, Adeliges Familienbewusstsein und Grundbesitz. Die Auflösung des Gräflich Bernstorffschen Fideikommisses Gartow nach 1919, in: Geschichte und Gesellschaft, 25. Jahrgang 1999, Heft 3, Deutscher Adel, S. 455–479; ders., Von deutschem Adel. Die Grafen von Bernstorff im zwanzigsten Jahrhundert, Stuttgart und München 2000; René Schiller, Vom Rittergut zum Großgrundbesitz. Ökonomische und soziale Transformationsprozesse der ländlichen Eliten in Brandenburg im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 299–333 und 346–348; Roland Gehrke, Besitztypen – Wirtschaftsformen – Einnahmequellen: Die ökonomischen Grundlagen des schlesischen Adels vom hochmittelalterlichen Landesausbau bis ins 20. Jahrhundert, in: Joachim Bahlcke und Wojciech Mrozowicz (Hrsg.), Adel in Schlesien, Bd. 2, Repertorium: Forschungsperspektiven – Quellenkunde – Bibliographie, München 2010, S. 93–118.

4 Heinrich Kaak, Die Gutsherrschaft. Theoriegeschichtliche Untersuchungen zum Agrarwesen im ostelbischen Raum, Berlin/New York 1991, S. 444. Seinen Hinweis bezieht er vor allem auf den „westlichen Bereich der Gutsherrschaft“, er lässt sich aber ebenso gut auch auf den östlichen beziehen.

5 Christian v. Bar und Peter H. Striewe, Die Auflösung der Familienfideikommisse im Deutschen Reich und in Preußen im 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte, Jahrgang 1981, Nr. 3/4, S. 184.

Details

Seiten
176
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631720141
ISBN (ePUB)
9783631720158
ISBN (MOBI)
9783631720165
ISBN (Hardcover)
9783631720042
DOI
10.3726/b11054
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Juni)
Schlagworte
Wirtschaft Wirtschaftsgeschichte Landwirtschaft Max Weber Preußen
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 176 S., 5 s/w Graf., 35 s/w Tab.

Biographische Angaben

Fusao Kato (Autor:in)

Fusao Kato studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kyoto, wo er auch promoviert wurde. Er lehrte Wirtschaftsgeschichte an verschiedenen Universitäten und hatte an der Universität Hiroshima eine Professur an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften inne. Daselbst unterrichtet er als Emeritus vergleichende Wirtschaftsgeschichte.

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