Lade Inhalt...

Strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht für Insolvenzverwalter?

Eine Untersuchung zum Kontext der § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und § 53 Abs. 1 S. 1 StPO

von Elisabeth Corbo (Autor:in)
©2020 Dissertation 182 Seiten

Zusammenfassung

Anhand exemplarischer Fälle aus der Praxis sowie der Befragung von Insolvenzverwaltern beleuchtet die Autorin die Frage, ob es eines strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts für Insolvenzverwalter bedarf. Die Untersuchung erfolgt dabei im Hinblick auf die Wahrung strafprozessualer Rechte von Insolvenzschuldnern als spätere Beschuldigte eines Strafverfahrens. Basierend auf den bereits existenten Ansätzen in Judikatur und Literatur sowie unter Berücksichtigung der eigenen Umfrageergebnisse werden Lösungen de lege lata und de lege ferenda im einfachgesetzlichen Bereich hergeleitet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Einführung in den Untersuchungsgegenstand
  • B. Fragestellung
  • C. Vorgehensweise
  • Hauptteil
  • A. Problemaufriss
  • I. Fall Nr. 1: LG Ulm, Beschluss vom 15.01.2007 – 2 Qs 2002/ 07 Wik
  • 1. Kurzsachverhalt und Entscheidungsgründe
  • 2. Konflikte und deren Relevanz in der Praxis
  • II. Fall Nr. 2: LG Saarbrücken, Beschluss vom 02.02.2010 – 2 Qs 1/ 10
  • 1. Kurzsachverhalt und Entscheidungsgründe
  • 2. Konflikte und deren Relevanz in der Praxis
  • III. Fall Nr. 3: LG Bonn, Beschluss vom 22.12.2016 – 27 Qs 23/16
  • 1. Kurzsachverhalt und Entscheidungsgründe
  • 2. Konflikte und deren Relevanz in der Praxis
  • IV. Zusammenfassung
  • B. Einführung in die Grundlagen der Thematik
  • I. Strafprozessuale Grundlagen
  • 1. Die Rolle des Zeugen im Strafverfahren
  • 2. Entstehung, Rechtsgrundlagen und Umfang der Selbstbelastungsfreiheit
  • a) Entstehung
  • b) Rechtsgrundlage
  • c) Inhalt, Reichweite und Grenzen im Straf- und Insolvenzrecht
  • d) Zwischenergebnis
  • 3. Die normierten strafprozessualen Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte, §§ 52 ff. StPO
  • a) Entstehung der normierten strafprozessualen Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte
  • b) Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht für Insolvenzverwalter gemäß §§ 52 ff. StPO?
  • aa) Überblick
  • bb) Vergleichbare Berufsgruppen
  • c) Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 3 StPO
  • aa) Stetige Erweiterung des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO
  • bb) Die Schutzzwecke in Rechtsprechung und Literatur im Überblick
  • cc) Rangverhältnis einzelner Schutzzwecke
  • d) Systematische Einordnung des § 53 StPO
  • aa) Verhältnis von § 53 StPO zu § 97 StPO
  • bb) Verhältnis von § 53 StPO zu § 203 StGB
  • e) Zwischenergebnis
  • 4. Beweisverbote
  • 5. Zwischenergebnis
  • II. Insolvenzrechtliche Grundlagen
  • 1. Ablauf und Ziele eines Insolvenzverfahrens
  • 2. Der Insolvenzverwalter als tragende Säule des Insolvenzverfahrens
  • 3. Rechtliche Stellung des Insolvenzverwalters
  • 4. Verschwiegenheitspflicht des Insolvenzverwalters?
  • 5. Der Gemeinschuldnerbeschluss und die Entstehung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO
  • 6. Das Insolvenzgeheimnis, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO
  • a) Auskunft im Sinne des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO
  • aa) Form der Auskunft: mündlich oder auch schriftlich?
  • bb) Verwertbarkeit von Unterlagen des Insolvenzschuldners: „Asyl für Geschäftsunterlagen“261?
  • cc) Verwertbarkeit der Insolvenzakte?
  • dd) Abgrenzung nach Freiwilligkeit?
  • ee) Schweigen als (geschützte) Auskunft?
  • ff) Zusammenfassung
  • b) Verwendungsverbot auch für pflichtgemäße Mitwirkung nach § 97 Abs. 2, 3 InsO?
  • c) Wirkung des Insolvenzgeheimnisses: § 97 Abs. 1 S. 3 InsO als selbständiges Beweisverwendungsverbot
  • aa) Fernwirkung des Verbotes?
  • bb) Frühwirkung des Verbotes: Begründung eines Anfangsverdachtes gemäß § 152 Abs. 2 StPO?
  • d) Verwertung zu Gunsten des Beschuldigten?
  • e) Wirkung der Zustimmung des Insolvenzschuldners
  • f) Umgehungstatbestände
  • g) Zusammenfassung
  • III. Zwischenergebnis
  • C. Zeugnisverweigerungsrechte neben den §§ 52 ff. StPO – aktuelle Ansätze in Rechtsprechung und Literatur
  • I. Nicht normierte Zeugnisverweigerungsrechte in der Judikatur
  • 1. Die Sozialarbeiter-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
  • a) Verfassungsunmittelbares Zeugnisverweigerungsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Gebot des Persönlichkeitsschutzes
  • b) Methodische Bedenken und Kritik aus der Literatur
  • c) Stellungnahme
  • 2. Verfassungsunmittelbare Zeugnisverweigerungsrechte in anderen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
  • a) Ungleichbehandlung innerhalb des § 53 Abs. 1 StPO (a.F.)
  • b) Stellungnahme
  • 3. Verfassungsunmittelbare Zeugnisverweigerungsrechte in der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte
  • a) Anerkennung verfassungsunmittelbarer Zeugnisverweigerungsrechte durch ordentliche Gerichte
  • b) Ablehnung verfassungsunmittelbarer Zeugnisverweigerungsrechte durch ordentliche Gerichte
  • c) Stellungnahme
  • 4. Zwischenergebnis
  • II. Lösungsvorschläge in der Literatur zum Strafprozess-, Insolvenz- und Verfassungsrecht
  • 1. Ansatz von Heußner
  • a) Offenbarungsverbot und strafrechtliches Verwertungsverbot
  • b) Kritik der Literatur und Judikatur
  • c) Stellungnahme
  • 2. Ansatz von Uhlenbruck
  • a) Kenntlichmachung oder Entfernung schuldnerischer Auskünfte
  • b) Stellungnahme
  • 3. Ansatz von Bömelburg
  • a) Sonderakte für Auskünfte des Insolvenzschuldners
  • b) Stellungnahme
  • 4. Ansatz von Hohnel
  • a) „Selbstbelastungsfreiheit in der Insolvenz“518
  • b) Stellungnahme
  • 5. Ansatz von Schork
  • a) Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 S. 3 InsO
  • b) Stellungnahme
  • 6. Zusammenfassung
  • III. Zwischenergebnis
  • D. Empirische Forschung: Umfrage bei Insolvenzverwaltern
  • I. Gestaltung der Umfrage
  • 1. Untersuchungsstrategische Festlegungen
  • a) Umfang der Stichprobe
  • b) Untersuchungshypothesen
  • 2. Erstellung und Gebrauch des Fragebogens
  • 3. Durchführung der Befragung
  • II. Auswertung der Umfragebögen
  • 1. Vorgehensweise
  • 2. Darstellung und Interpretation der Umfrageergebnisse
  • a) Berufserfahrung der Befragten
  • b) Ladungen als Zeuge in Insolvenzstrafverfahren
  • c) Aussagen als Zeugen in Insolvenzstrafverfahren
  • d) Kennzeichnungen in Insolvenzakten
  • e) Verurteilung des Insolvenzschuldners in Strafverfahren aufgrund von Informationen aus der Insolvenzakte
  • f) Verurteilung des Insolvenzschuldners in Strafverfahren aufgrund der Zeugenaussage des Insolvenzverwalters
  • g) Zwischenergebnis
  • 3. Schlussfolgerungen aus den Umfrageergebnissen
  • 4. Abweichende Praxis-Darstellung im Schrifttum
  • III. Zwischenergebnis
  • E. Eigener Lösungsansatz
  • I. Zeugnisverweigerungsrecht im Wege methodischer Auslegung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO
  • II. Zeugnisverweigerungsrecht im Wege analoger Anwendung des § 53 Abs. 1 S. 1 StPO
  • 1. Abstrakte Möglichkeit analoger Rechtsanwendung im Strafrecht
  • a) Analogieverbot im materiellen Strafrecht
  • b) Analogieverbot auch im Strafverfahrensrecht?
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Keine erweiternde Auslegung des § 53 Abs. 1 S. 1 StPO unter Einbeziehung des Insolvenzverwalters in den Anwendungsbereich
  • 3. Regelungslücke in Bezug auf den Insolvenzverwalter
  • 4. Vergleichbarkeit der Interessenlage des Insolvenzverwalters mit derjenigen der Berufsgeheimnisträger des § 53 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 3 StPO
  • a) Schutzzwecke und Anwendungskriterien des § 53 Abs. 1 S. 1 StPO
  • b) Schutzzwecke des § 53 Abs. 1 S. 1 StPO auch für den Insolvenzschuldner gültig?
  • aa) Schutz der Privatsphäre des Insolvenzschuldners?
  • bb) Selbstbelastungsfreiheit des Insolvenzschuldners im Strafverfahren
  • cc) Schaffung eines (höchstpersönlichen) Vertrauensverhältnisses
  • dd) Eigenverantwortliche Stellung und Berufsausübung des Insolvenzverwalters
  • ee) Nebenschutzzweck: Berufsausübungsfreiheit des Insolvenzverwalters
  • ff) Zwischenergebnis
  • c) Kriterien des Bundesverfassungsgerichts auch für den Insolvenzverwalter zutreffend?
  • aa) Staatliche Ausbildung, Standesethos und Berufskammern für Insolvenzverwalter
  • bb) Zusammenfassung
  • d) Zwischenergebnis
  • 5. Regelungsbedarf – „Planwidrigkeit“ der vorhandenen Regelungslücke
  • 6. Zwischenergebnis
  • III. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Schluss
  • A. Plädoyer für einen stärkeren Schuldnerschutz im Strafverfahren
  • B. Reformpolitische Änderungsvorschläge
  • I. Einführung eines strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts für Insolvenzverwalter
  • II. Einführung einer materiell-rechtlichen Verschwiegenheitspflicht für Insolvenzverwalter
  • Anhang: Tabellarische Auswertung der Umfragebögen
  • Literaturverzeichnis

←12 | 13→

Einleitung

Der liberale Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des Grundgesetzes zeichnet sich dadurch aus, dass er dem Verbrechen nicht auf gleicher Ebene begegnen will; als Ausdruck einer grundsätzlich rechtsstaatlichen Wertentscheidung soll lieber ein Schuldiger freigelassen als ein Unschuldiger verurteilt werden1.

Dieses Grundverständnis eines rechtsstaatlichen und fairen Strafverfahrens, flankiert vom Grundsatz in dubio pro reo sowie der Unschuldsvermutung gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK, prägt das heutige Strafverfahrensrecht, jedenfalls in der Theorie.

Die Praxis erweist sich leider nicht immer als so fair, wie es das Gesetz vorsieht. Häufig obsiegt das Bestreben nach einer effektiven Strafverfolgung, nach Bestrafung.

In Strafverfahren wegen Insolvenzdelikten stellt der Insolvenzverwalter aufgrund seines Einblicks in das insolvente Unternehmen eine wichtige Erkenntnisquelle für die Strafverfolgungsbehörden dar2. Und so verwundert es nicht, dass diese die Informationen des Insolvenzverwalters umfassend für ihre Ermittlungen zugänglich machen wollen, auch um den Preis der Gerechtigkeit.

So soll der Insolvenzverwalter nicht selten als Zeuge in Straferfahren aussagen, wobei versucht wird, hinderliche Regelungen wie das Verbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und die allgemeinen Beweisverwertungsverbote bestmöglich zu um-schiffen.

Dadurch gerät der Insolvenzverwalter in eine zwiespältige Position, erhält er doch im Rahmen des Insolvenzverfahrens umfassende, auch strafrechtlich relevante Informationen über den Insolvenzschuldner, teilweise von diesem selbst und nicht selten unter Androhung und Anwendung von Zwang. Das Verlangen der Strafverfolgungsbehörden, diese Informationen unter Ausnutzung des Insolvenzverwalters für ihre strafrechtlichen Ermittlungen zu verwenden, scheint mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schwer vereinbar.

←13 | 14→

A. Einführung in den Untersuchungsgegenstand

Bei vielen Insolvenzverfahren liegen Anhaltspunkte für vom Schuldner begangene Insolvenzdelikte (§§ 283 ff. StGB) vor3.

Für den Schuldner des Insolvenzverfahrens, der gleichzeitig einer Straftat verdächtig ist, könnte § 97 InsO eine Rolle spielen:

§ 97 Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners

(1) 1Der Schuldner ist verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuß und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben. 2Er hat auch Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. 3Jedoch darf eine Auskunft, die der Schuldner gemäß seiner Verpflichtung nach Satz 1 erteilt, in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gegen den Schuldner oder einen in § 52 Abs. 1 der Strafprozeßordnung bezeichneten Angehörigen des Schuldners nur mit Zustimmung des Schuldners verwendet werden.

(2) Der Schuldner hat den Verwalter bei der Erfüllung von dessen Aufgaben zu unterstützen.

(3) 1Der Schuldner ist verpflichtet, sich auf Anordnung des Gerichts jederzeit zur Verfügung zu stellen, um seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu erfüllen. 2Er hat alle Handlungen zu unterlassen, die der Erfüllung dieser Pflichten zuwiderlaufen.

Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 01.01.1999 ergingen jedoch nur wenige gerichtliche Entscheidungen, die sich mit dem Verbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO befassten4. Demgegenüber stehen 123.706 Insolvenzverfahren allein zwischen Mai 2017 und Mai 20185, also circa 10.300 Insolvenzverfahren monatlich in diesem Zeitraum. Rechtsanwälte nutzen die Verteidigungsmöglichkeit des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO kaum für ihre Mandanten; scheinbar halten sie dieses angesichts der wenigen gerichtlichen Entscheidungen hierzu nicht für erfolgsversprechend6. Das Insolvenzgeheimnis, wie die Regelung in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO auch genannt wird, führt also bis heute eher ein Schattendasein in der Strafrechts- und Insolvenzpraxis7. Ungeachtet seiner Einführung fanden und finden sich in zahlreichen Ermittlungsakten Aufzeichnungen, die auf Auskünften oder sonstigen Mitwirkungsakten des Schuldners beruhen, oder entsprechende Informationen ←14 | 15→wurden als Anknüpfungspunkt für weitere Ermittlungsmaßnahmen oder gar Anklagen verwendet8. Auch werden Insolvenzverwalter häufig in Strafverfahren gegen von ihnen betreute Schuldner als Zeugen geladen.

Daher wäre eine konsequentere Anwendung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO in der strafrechtlichen Praxis wünschenswert, zumal das Verbot durchaus das Potential birgt, den Schuldner beziehungsweise den Beschuldigten effektiv davor zu bewahren, unfreiwillig als Beweismittel gegen sich selbst zu fungieren. Uhlenbruck konstatiert, dass die Anwendung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO in der Praxis sehr schwierig sei, und dass dessen erfolgreiche Durchsetzung schlussendlich wohl dem Schuldner selbst obliege. Wie sich dieser aber gegen die überlegenen Strafverfolgungsbehörden behaupten soll, lässt auch er offen9. Anscheinend wird der Konflikt zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Schuldners und dem Interesse der Gläubiger an einer möglichst umfassenden Befriedigung aus der Verwertung der Insolvenzmasse zu Lasten des Schuldners entschieden. Seine Position ist gegenüber derjenigen der Gläubiger deutlich schwächer.

Bisher wurden in der Literatur verschiedene Vorschläge unterbreitet, wie man das Spannungsverhältnis zwischen der Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse in einen gerechten beziehungsweise gerechteren Ausgleich bringen kann. Die Vorschläge sind vielfältig. Teilweise wird die Einführung einer – wie auch immer ausgestalteten – Verschwiegenheitspflicht für Insolvenzverwalter vorgeschlagen, teilweise wird angeregt, die Insolvenzakten für die Strafverfolgungsbehörden unzugänglich zu machen oder zumindest entsprechende Teile der Akten zu kennzeichnen oder zu entfernen10.

Heußner hatte sich schon 1981 in seinem Sondervotum zum Gemeinschuldnerbeschluss11 dafür ausgesprochen, nicht nur ein Beweisverwertungsverbot12 – welches als Absicherung strafprozessualer Rechte das Korrelat zum Aussagezwang des Schuldners in der Insolvenz bilden solle – einzuführen, sondern dieses um ein Offenbarungsverbot zu ergänzen; nur so sei eine verfassungskonforme Rechtslage für den Insolvenzschuldner gewährleistet13.

In jüngerer Zeit haben insbesondere Hohnel14 und Tetzlaff15 erörtert, ob der Schuldnerschutz, namentlich die Selbstbelastungsfreiheit, unter anderem durch ←15 | 16→die Normierung einer Verschwiegenheitspflicht für den Insolvenzverwalter gestärkt werden sollte16. Hohnel hat sich dabei für eine ebensolche Pflicht zur Verschwiegenheit ausgesprochen, allerdings ohne konkrete Vorschläge hinsichtlich der Ausgestaltung eines solches Rechtes zu äußern17. Tetzlaff kritisiert die Vorgehensweise von Hohnel als wenig wissenschaftlich und bemängelt eine fehlende dogmatische Grundlage für dessen Auffassung; zudem argumentiert er, dass sich die Praxis eher als schuldnerfreundlich erweise18.

Verschiedene Monografien haben die Problematik des § 97 InsO allenfalls am Rande gestreift:

Rengier hat sich in seiner Dissertation aus dem Jahr 1979 mit den Zeugnisverweigerungsrechten im Strafverfahrensrecht befasst. Seinerzeit stand jedoch noch die Debatte um die Aufnahme von Sozialarbeitern und Psychologen in den Katalog des § 53 StPO im Fokus wissenschaftlicher Diskussionen19. Mit der Stellung des Insolvenzverwalters – damals noch Konkursverwalters – an der Schnittstelle zwischen dem Insolvenz- beziehungsweise Konkursverfahren und dem Strafverfahren hat sich Rengier nicht auseinandergesetzt.

Baier hat 1996 die strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der Strafprozessordnung untersucht, wobei er eine Erweiterung der §§ 52–55 StPO diskutiert hat, ohne im Rahmen des § 53 StPO auf den Insolvenzverwalter (seinerzeit noch Konkursverwalter) einzugehen.

Bömelburg hat sich zwar 2004 umfassend mit der Auslegung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und in diesem Zusammenhang auch mit dessen Inhalt und Umfang befasst. Hierbei wurden indessen die Rolle des Insolvenzverwalters als Zeuge im Strafverfahren und die Notwendigkeit eines strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechtes nicht angesprochen.

Bosbach hat 2009 in seiner Dissertation ungeschriebene Zeugnisverweigerungsrechte im Bereich der Rechtsberatung untersucht. Dabei fokussierte er sich auf das Verhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt, Zeugenbeistand sowie Strafverteidiger; mit der Möglichkeit eines strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts für den Insolvenzverwalter befasste er sich nicht.

Auch die bisherige Rechtsprechung ist wenig ergiebig. So hatte sich das Landgericht Ulm zwar, als eines von wenigen Gerichten, mit der Rechtmäßigkeit einer ←16 | 17→Durchsuchung beim Insolvenzverwalter befasst20. Es lehnte jedoch ein allgemeines Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 1 S. 3 InsO – und in diesem Zusammenhang auch ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 StPO – für Insolvenzverwalter ab21.

In ihrer diesbezüglichen Urteilsanmerkung verneint auch Schork die Anwendung von §§ 97 Abs. 1, 53 StPO auf den Insolvenzverwalter22. Sie plädiert aber – zumindest hinsichtlich des dort streitigen Beschlusses – für ein Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 1 InsO23.

Uhlenbruck hatte das Problem schon 1995 deutlich beschrieben: „Dem Gemeinschuldner nützt als Angeklagtem im Rahmen eines Strafverfahrens wegen betrügerischen Bankrotts […] die Belehrung über sein Einlassungsverweigerungsrecht wenig, wenn nicht nur die Konkursakten mit dem vollständigen Vernehmungsprotokoll als Beweismittel gegen ihn verwandt werden können, sondern auch der Konkursverwalter […] als Zeuge über die gewonnenen Kenntnisse auszusagen gezwungen werden kann.“24

An diesem Befund hat sich bis heute leider kaum etwas geändert. Die bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich des Insolvenz- und Strafrechts haben die Notwendigkeit eines strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts für Insolvenzverwalter allenfalls am Rande gestreift. Scheinbar verkennt jedenfalls die Mehrheit der Vertreter in der Literatur schlichtweg, dass ein diesbezüglicher Regelungsbedarf überhaupt existiert.

Legislative und Strafverfolgungsbehörden sehen dies offenbar ähnlich; ein verbesserter Schuldnerschutz ist anscheinend nicht gewünscht.

B. Fragestellung

Die bisherigen Beiträge in Rechtsprechung und Literatur führen zu der Frage, welche Rolle der Insolvenzverwalter in einem Strafverfahren wegen Insolvenzdelikten gegen den Schuldner innehat, und ob dieses Rollenverständnis mit strafverfahrensrechtlichen Grundsätzen vereinbar ist. Mit anderen Worten: Sollte der Insolvenzverwalter im Strafverfahren gegen den Insolvenzschuldner (weiterhin) dem allgemeinen Zeugniszwang des § 48 Abs. 1 S. 2 StPO unterliegen, oder sollte ihm ein eigenes strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht zustehen? Und ←17 | 18→müsste er darüber hinaus materiell-rechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet sein?

Bejahendenfalls schließt sich die Frage an, ob de lege lata ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht für den Insolvenzverwalter hergeleitet werden kann, oder wie de lege ferenda ein solches strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht gestaltet werden sollte. Entsprechend dazu gilt es zu klären, ob und wie eine das Zeugnisverweigerungsrecht ergänzende Verschwiegenheitspflicht für Insolvenzverwalter begründet werden kann.

C. Vorgehensweise

Anhand ausgewählter Fälle aus der Praxis wird zunächst die problematische Position des Insolvenzverwalters veranschaulicht und gezeigt, dass und wie das Insolvenzgeheimnis von den Strafverfolgungsbehörden in der Praxis umgangen werden kann.

Sodann werden die für diese Thematik notwendigen strafprozessualen sowie insolvenzrechtlichen Grundlagen dargestellt, welche – wie noch zu zeigen sein wird – die Basis der eigenen Lösung für einen effektiveren Schuldnerschutz bilden werden. Dabei wird im Rahmen dieser Untersuchung nicht zwischen Verbraucher- und Unternehmerinsolvenzen differenziert, da die prozessrechtliche Stellung des Insolvenzverwalters im Hinblick auf seine Beziehung zum Insolvenzschuldner und dessen Beschuldigtenrechten im Fokus steht und diese (weitestgehend) von der Art des Insolvenzverfahrens unabhängig ist.

Es werden zunächst die Rolle der Zeugen im Strafverfahren und die Selbst- belastungsfreiheit des Beschuldigten umfassend dargestellt. Vorbereitend für eine spätere Herleitung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Insolvenzverwalter werden die dafür in Betracht kommenden Zeugnisverweigerungsrechte sowie deren Schutzzweck, Umfang und Reichweite erläutert.

Details

Seiten
182
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631823163
ISBN (ePUB)
9783631823170
ISBN (MOBI)
9783631823187
ISBN (Paperback)
9783631806692
DOI
10.3726/b17015
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juli)
Schlagworte
Durchsuchung Selbstbelastungsfreiheit Insolvenzverfahren Insolvenzgeheimnis Beweisverwendungsverbot Beschlagnahme Insolvenzschuldner Verschwiegenheitspflicht Schweigerecht
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 182 S., 9 s/w Abb., 2 Tab.

Biographische Angaben

Elisabeth Corbo (Autor:in)

Elisabeth Corbo studierte Rechtswissenschaften in Kiel. Das erste juristische Staatsexamen legte sie 2016 in Schleswig-Holstein mit Prädikatsnote ab. Anschließend promovierte sie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Zurück

Titel: Strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht für Insolvenzverwalter?
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
184 Seiten