Lade Inhalt...

Die Rechtsprechung und Praxis vertraglicher Menschenrechtsschutzorgane zum humanitären Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechte auf Leben und Freiheit

von Patrizia Wolf (Autor:in)
©2021 Dissertation 608 Seiten

Zusammenfassung

Die Publikation behandelt aus der Perspektive der Menschenrechtsschutzorgane das Verhältnis von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht. Die Autorin untersucht die jeweilige Rechtsprechung der Menschenrechtsschutzorgane der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Amerikanischen Menschenrechtskonvention und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. In diesem Zusammenhang geht die Autorin insbesondere auf die Anwendbarkeit der Menschenrechtsverträge, das Verhältnis der Rechtsmaterien unter besonderer Beachtung der Rechte auf Leben und Freiheit sowie auf die Kompetenz der Menschenrechtsschutzorgane ein. Hierbei beleuchtet die Autorin ausführlich den derzeitigen Stand der Rechtsprechung und der Literatur und versucht darauf aufbauend, zukünftige Entwicklungen abzuschätzen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Dedication
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung des Untersuchungsgegenstands
  • 1. Hintergrund des Untersuchungsgegenstands
  • 2. Auswahl der Menschenrechtsschutzorgane und Bedeutung ihrer Rechtsprechung
  • 3. Das untersuchte Verhältnis: Recht der Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht
  • 4. Untersuchung der Rechtsprechung bezüglich der hierzu erforderlichen Voraussetzungen
  • 5. Zwei besondere Rechte: Recht auf Leben und Recht auf Freiheit
  • 6. Bedeutung des Untersuchungsgegenstands
  • Teil I: Extraterritoriale Jurisdiktion: Untersuchung der räumlichen Schnittmengen und Bedeutung kriegstypischer Situationen
  • A. Schnittmengen: Anwendungsbereich der Genfer Konventionen und Jurisdiktion der Vertragsstaaten
  • I. Anwendungsbereich der Genfer Konventionen gem. Art. 1
  • II. Anwendungsbereich der Menschenrechtsverträge
  • 1. Vertragsklauseln zum Geltungsbereich („jurisdiction“)
  • 2. Meinungsstand
  • a) Der Begriff der Jurisdiktion im allgemeinen Völkerrecht
  • b) Jurisdiktion im Rahmen der Menschenrechtsverträge
  • aa) Territorialitätsprinzip
  • bb) Territoriales Modell
  • cc) Personales Modell
  • (1) Ausgestaltung der Beziehung
  • (2) Erfasste Sachverhalte
  • 3. Rechtsprechung der Menschenrechtsorgane: Versuch einer Dogmatik
  • a) Materielle Aspekte
  • aa) Personales Modell: „state agent authority and control“
  • (1) Tatbestand
  • (aa) Akte diplomatischen Personals
  • (bb) Einvernehmliche Ausübung von Regierungsfunktionen
  • (cc) Ausübung von Gewalt
  • α. Allgemeines
  • β. Festnahme und Haft
  • (2) Rechtsfolge
  • (3) Analyse der Rechtsprechung
  • (aa) Rechtmäßigkeit des jurisdiktionsbegründenden Handelns?
  • (bb) Entscheidend: tatsächliche Kontrolle über Individuen
  • (cc) Konkretisierung der tatsächlichen Kontrolle
  • (4) Ergebnis
  • bb) Territoriales Modell: „effective control over an area“
  • (1) Tatbestand
  • (aa) Europäischen Organe
  • α. Der Nordzypern- Konflikt
  • β. Konflikte mit Russland
  • ɣ. Berg- Karabach- Konflikt
  • (bb) Menschenrechtsausschuss
  • (cc) Interamerikanisches System
  • (2) Rechtsfolge
  • (aa) Umfang der Verpflichtung des Vertragsstaats
  • (bb) Umfang der Verpflichtung des Territorialstaats
  • (3) Ergebnis
  • cc) Sonderfälle: Banković und Al- Skeini
  • (1) Die Banković- Rechtsprechung
  • (aa) Sachverhalt und Entscheidungsgründe
  • (bb) Rechtsprechung des EGMR in der Folge
  • (cc) Rechtsprechung anderer Organe in vergleichbaren Fällen
  • (dd) Analyse
  • (2) Al- Skeini
  • (aa) Sachverhalt und Entscheidungsgründe
  • (bb) Analyse
  • α. Aufgabe des Konzepts des „espace juridique“
  • β. Jurisdiktion durch „cause-and- effect“ bei Ausübung von Regierungsfunktionen
  • (cc) Rechtsprechung des EGMR in der Folge
  • (3) Ergebnis
  • ee)Ergebnis
  • (1) Interamerikanisches System
  • (2) Menschenrechtsausschuss
  • (3) Die europäischen Organe
  • b) Prozessuale Ansätze
  • aa) Das Regel- Ausnahme- Verhältnis
  • bb) Rechtsfolgen
  • (1) Allgemeines
  • (2) Rechtsprechung der Organe
  • cc) Ergebnis
  • III. Ergebnis
  • B. Auswirkungen der Rechtsprechung der Menschenrechtsschutzorgane zur extraterritorialen Jurisdiktion auf kriegstypische Situationen
  • I. Ingewahrsamnahme und Haft im internationalen bewaffneten Konflikt
  • 1. UN- Menschenrechtsausschuss
  • 2. Praxis der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte
  • 3. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
  • II. Kampfhandlungen
  • 1. Definition
  • 2. Rechtsprechung der Menschenrechtsorgane
  • a) Interamerikanische Kommission für Menschenrechte
  • b) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
  • 3. Stellungnahme
  • III. Ergebnis
  • C. Die Rolle der Besatzung im Rahmen der Rechtsprechung zur Jurisdiktion
  • I. Die Besatzung im humanitären Völkerrecht
  • 1. Klassische Besatzung
  • a) Rechtsquellen und ihr Hintergrund
  • b) Kriterien
  • aa) Wortlaut
  • bb) Militärische Präsenz
  • cc) Fehlende Zustimmung
  • dd) Effektive Kontrolle
  • (1) Faktische Kontrolle
  • (2) Gegenstand der Kontrolle
  • (3) Umfang der Kontrolle
  • (aa) Potentielle Kontrolle
  • (bb) Ausübung der Hoheitsgewalt durch sog. „Proxies“
  • ee) Ergebnis
  • c) Dauer der Besatzung
  • 2. Funktionale Besatzung
  • a) Problemaufriss
  • b) Meinungsstand
  • c) Ergebnis
  • 3. Ergebnis
  • II. Die Rolle der Besatzung im Rahmen der Rechtsprechung zur Jurisdiktion
  • 1. Meinungsstand
  • 2. Die klassische Besatzung und das territoriale Modell
  • a) Keine Besatzung ohne Jurisdiktion
  • aa) Humanitärvölkerrechtlicher Hintergrund der Entscheidungen zum territorialen Modell
  • (1) Nordzypern
  • (2) Transdniestrien
  • (3) Berg- Karabach
  • (4) Israelisch besetzte Gebiete
  • (5) Irak
  • (6) Ergebnis
  • bb) Die Besatzung in der Rechtsprechung zum territorialen Modell
  • (1) UN- Menschenrechtsausschuss
  • (2) Interamerikanische Kommission für Menschenrechte
  • (3) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
  • (aa) Besatzung als terminus technicus
  • (bb) Analyse der Rechtsprechung
  • α. Nordzypern
  • β. Banković et al v Belgium et al
  • γ. Assanidze v Georgia
  • δ. Moldawien
  • ε. Irak
  • ζ. Berg- Karabach
  • (cc) Ergebnis
  • (3) Gleichklang der Kriterien
  • cc) Ergebnis
  • b) Jurisdiktion ohne Besatzung
  • 3. Die funktionale Besatzung und das personale Modell
  • 4. Ergebnis
  • D. Gesamtergebnis
  • Teil II: Untersuchung der Rechtsprechung und Praxis der vertraglichen Menschenrechtsschutzorgane zum humanitären Völkerrecht
  • A. Das Recht auf Leben
  • I. Das Recht auf Leben im Recht der Menschenrechte und im humanitären Völkerrecht
  • 1. Zusammenschau der verschiedenen Konventionen zum Recht auf Leben
  • a) Das Recht auf Leben als Abwehrrecht
  • aa) Eingriffe
  • (1) Todesstrafe
  • (2) Ausübung tödlicher oder lebensgefährdender Gewalt
  • bb) Schranken- Schranken
  • (1) Legitime Zwecke
  • (2) Verhältnismäßigkeit
  • (3) Das sog. „law enforcement model“
  • cc) Beweislastverschiebungen
  • b) Das Recht auf Leben als Schutzrecht
  • aa) Grundsätzliches
  • bb) Untersuchungspflicht
  • cc) Inhaltliche Anforderungen an die Untersuchung
  • c) Derogation
  • 2. Der Einsatz von tödlicher Gewalt im humanitären Völkerrecht
  • a) Kriegshandlungen
  • aa) Legitimes Angriffsziel
  • (1) Personen
  • (aa) Kombattanten
  • (bb) Zivilisten
  • (cc) Der unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmende Zivilist
  • (dd) „Kombattanten“ auch im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt?
  • (2) Objekte
  • bb) Prinzip der Verhältnismäßigkeit
  • cc) Vorsichtsmaßnahmen
  • b) Humanitärvölkerrechtliche Untersuchungspflichten
  • 3. Schnittmengen
  • a) Einsatz tödlicher Gewalt
  • aa) Vergleich der Rechtsmaterien
  • bb) Schnittmengen
  • (1) Menschenrechtliche Wertungen im humanitären Völkerrecht
  • (2) Humanitärvölkerrechtliche Wertungen im Recht der Menschenrechte
  • b) Menschenrechtlicher Einfluss im Nachgang zum Einsatz tödlicher Gewalt
  • 4. Ergebnis
  • II. Die Rechtsprechung und Praxis der Menschenrechtsschutzorgane zum humanitären Völkerrecht im Rahmen des Rechts auf Leben
  • 1. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
  • a) Das Recht auf Leben im bewaffneten Konflikt: materiell- rechtliche Aspekte
  • aa) Die Legitimität des Einsatzes von tödlicher Gewalt im bewaffneten internen Konflikt
  • (1) Entscheidungen im Rahmen des Konflikts zwischen Türkei und PKK
  • (2) Die Tschetschenien- Fälle
  • (3) Ergebnis
  • bb) Das Prinzip der Unterscheidung
  • (1) Kein Recht auf Leben des „Kombattanten“
  • (2) Stattdessen: Prinzip der Unterscheidung
  • (aa) Internationaler bewaffneter Konflikt
  • (bb) Interner bewaffneter Konflikt
  • cc) Die Erforderlichkeit von Vorsichtsmaßnahmen
  • dd) Der bewaffnete Konflikt und Begründung von Schutzpflichten
  • b) Das Recht auf Leben im bewaffneten Konflikt: prozedurale Aspekte
  • aa) Beweislastverschiebungen und ihre Rechtsfolgen
  • bb) Untersuchungspflicht
  • (1) Interner bewaffneter Konflikt
  • (aa) Vermisstenfälle
  • (bb) Todesfälle
  • (2) Internationaler bewaffneter Konflikt
  • (aa) Vermisstenfälle
  • (bb) Todesfälle
  • cc) Ergebnis
  • c) Ergebnis
  • 2. Interamerikanische Menschenrechtsorgane
  • a) Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte
  • aa) Absolutes Verbot der „summary execution“
  • bb) Anwendung des humanitären Völkerrechts allein
  • (1) Prinzip der militärischen Notwendigkeit und Prinzip der Menschlichkeit
  • (2) Prinzip der Unterscheidung
  • (aa) Kombattanten auch im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt?
  • (bb) Direkte Teilnahme an Feindseligkeiten durch Zivilisten
  • α. Direkte Teilnahme
  • β. Rechtsfolge: „Unlawful combatants“?
  • (3) Prinzip der Ergreifung von Vorsichtsmaßnahmen
  • (4) Prinzip der Verhältnismäßigkeit
  • (5) Ergebnis
  • cc) Menschenrechtlicher Einfluss
  • (1) Untersuchungspflicht
  • (2) Beweislastverschiebung
  • dd) Ergebnis
  • b) Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte
  • aa) Fall des „Mapiripán Massacer v Colombia“
  • bb) Fall der „Massacres of El Mozote and nearby places v El Salvador“
  • cc) Fall des „Santo Domingo Massacre v Colombia“
  • (1) Prinzip der Unterscheidung, der Verhältnismäßigkeit und der Ergreifung von Vorsichtsmaßnahmen
  • (aa) Bombenangriff aus der Luft
  • (bb) Schüsse mit dem Maschinengewehr
  • (2) Kinder als Ziele eines Angriffs
  • (3) Ergebnis
  • c) Ergebnis interamerikanische Organe
  • 3. UN- Menschenrechtsausschuss
  • a) Aussagen zu ius ad bellum
  • b) Materielle Aspekte
  • c) Prozedurale Aspekte
  • aa) Untersuchungspflicht
  • bb) Soll- Vorschrift zur Transparenz
  • c) Ergebnis
  • III. Gesamtergebnis
  • B. Das Recht auf Freiheit
  • I. Das Recht auf Freiheit im Recht der Menschenrechte und im humanitären Völkerrecht
  • 1. Zusammenschau der Konventionen
  • a) Allgemeines
  • b) Gewahrsamsgründe
  • aa) Strafhaft
  • bb) Beugehaft
  • cc) Untersuchungshaft
  • dd) Überwachte Erziehung Minderjähriger
  • ee) Kranke und andere Gruppe
  • ff)Abschiebe- und Auslieferungshaft
  • gg)Präventive Haft
  • c) Verfahrensrechte
  • aa) Recht auf Informationen
  • bb) Recht auf gerichtliche Haftprüfung
  • cc) Recht auf ein zügiges Verfahren
  • 2. Das Recht auf Freiheit im humanitären Völkerrecht
  • a) Allgemeines
  • b) Gewahrsamsgründe
  • aa) Internationaler bewaffneter Konflikt
  • (1) Präventive Haft
  • (aa) Kriegsgefangene
  • (bb) Zivilisten
  • (2) Haft im Rahmen der Strafverfolgung
  • bb) Nicht- internationaler bewaffneter Konflikt
  • c) Überprüfung des Gewahrsams
  • aa) Internationaler bewaffneter Konflikt
  • (1) Kriegsgefangene/Kombattanten
  • (2) Zivilisten
  • bb) Nicht- internationaler bewaffneter Konflikt
  • c) Schnittmengen
  • aa) Vergleichende Betrachtung: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
  • bb) Mögliches Zusammenspiel der Rechtsmaterien
  • (1) Pragmatischer Ansatz
  • (2) Dogmatischer Ansatz
  • (3) Bewertung
  • d) Ergebnis
  • II. Die Rechtsprechung der Menschenrechtsschutzorgane zum humanitären Völkerrecht im Rahmen des Rechts auf Freiheit
  • 1. Die europäischen Organe
  • a) Cyprus v Turkey
  • b) Al- Jedda v UK
  • aa) Relevanter Inhalt
  • bb) Einordnung des Urteils
  • c) Hassan v UK
  • aa) Relevanter Inhalt
  • bb) Begründung des abweichenden Minderheiten- Votums
  • cc) Einordnung
  • 2. Die interamerikanischen Organe
  • a) Internationaler bewaffneter Konflikt
  • b) Nicht- internationaler bewaffneter Konflikt
  • 3. UN- Menschenrechtsausschuss
  • III. Gesamtergebnis
  • Teil III: Das Verhältnis der Rechtsmaterien Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht
  • A. Grundsätzliche Voraussetzung: Gleichzeitige Anwendbarkeit der Rechtsmaterien
  • I. Anwendbarkeit der Menschenrechte zu Zeiten des bewaffneten Konflikts
  • 1. Trennungstheorie „alter Schule“
  • a) Meinungsstand
  • b) Bewertung
  • 2. Weitergeltung der Menschenrechte nach maßgeblichem Recht
  • a) Menschenrechtsverträge
  • b) Humanitäres Völkerrecht
  • c) Ergebnis
  • 3. Die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs
  • a) Aussagen des IGH zum „Ob“ der gleichzeitigen Anwendung der Rechtsmaterien
  • b) Aussagen des IGH zum „Wie“ der gleichzeitigen Anwendung der Rechtsmaterien
  • c) Rezeption in der Literatur
  • II. Versteckte Trennungstheorie
  • 1. Die Derogationsklauseln und ihre Bedeutung für das Verhältnis der Rechtsmaterien
  • a) Ausgangslage: Derogationsklauseln als Lösung für das Verhältnis der Rechtsmaterien
  • b) Die Dogmatik der Derogationsklauseln: selbstgewählte Trennung der Rechtmaterien
  • c) Auslegung statt Derogation
  • 2. Lex specialis als Trennungstheorie „neuer Schule“?
  • a) Humanitäres Völkerecht als lex specialis?
  • aa) Meinunsstand
  • bb) Bewertung
  • b) Menschenrechte als lex specialis?
  • aa) Meinungsstand
  • bb) Bewertung
  • 3. Ergebnis
  • B. Das lex- specialis- Prinzip und das Verhältnis der Rechtsmaterien: eine Kritik
  • I. Inhalt
  • II. Anwendung im Völkerrecht
  • III. Anwendung auf das Verhältnis der Rechtsmaterien Menschenrecht und humanitäres Völkerrecht
  • IV.Ergebnis
  • C. Weitere Theorien zur Art des Verhältnisses
  • I. Grundsätzliches
  • II. Integrationistische Theorie
  • III. Komplementaristische Theorie
  • 1. Lex- specialis- Prinzip
  • 2. „Renvoi“
  • 3. Systemische Integration
  • a) Grundzüge
  • b) Abgrenzung systemische Integration von evolutiver Auslegung
  • aa) Konzept der evolutiven Auslegung
  • bb) Gemeinsamkeiten
  • cc) Unterschiede
  • dd) Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand
  • c) Methode
  • d) Ergebnis
  • IV. Ergebnis
  • D. Die Rechtsprechung der Menschenrechtsschutzorgane zum Verhältnis der Rechtsmaterien
  • I. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
  • 1. Weitergeltung der Menschenrechte im bewaffneten Konflikt
  • 2. Das Verhältnis der Rechtsmaterien in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
  • a) Ursprünge der Einbeziehung fremder Rechtsmaterien
  • b) Systemische Integration des humanitären Völkerrechts?
  • aa) Internationaler bewaffneter Konflikt
  • (1) Varnava et al v Turkey
  • (2) Al- Jedda v UK
  • (3) Hassan v UK
  • (aa) Materielles Verhältnis der Rechtsmaterien
  • (bb) Prozedurale Voraussetzungen: von der Derogation zur Einwendung
  • (cc) Einordnung
  • (4) Ergebnis
  • bb) Nicht- internationaler bewaffneter Konflikt
  • 3. Ergebnis
  • II. Die interamerikanischen Organe
  • 1. Interamerikanische Kommission für Menschenrechte
  • a) Die Weitergeltung der Menschenrechte im bewaffneten Konflikt und der „non- derogable nucleus“
  • b) Das Verhältnis der Rechtsmaterien: systemische Integration anhand des lex- specialis- Prinzips
  • c) Die Rolle der Derogationsklausel
  • d) Ergebnis
  • 2. Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte
  • a) Dogmatik der Einbeziehung fremder Rechtsmaterien
  • aa) Art. 31 Abs. 3 WVRK: Evolutive Auslegung oder systemische Integration?
  • bb) Art. 29 AMRK
  • cc) Aktuelle Entwicklungen
  • dd) Ergebnis
  • b) Distanzierung vom Konsensprinzip?
  • aa) „Import und Export“
  • bb) Philosophie des Gerichtshofs
  • cc) Ergebnis
  • c) Das Verhältnis des humanitären Völkerrechts zu den Menschenrechen in der Rechtsprechung
  • aa) Analyse der Rechtsprechung
  • bb) Ergebnis
  • III. UN- Menschenrechtsausschuss
  • 1. Zur Anwendbarkeit der Menschenrechte im bewaffneten Konflikt
  • 2. Zum Verhältnis der Rechtsmaterien
  • 3. Derogation
  • 4. Ergebnis
  • E. Gesamtergebnis
  • Teil IV: Die Kompetenz vertraglicher Menschenrechtsschutzorgane bezüglich des humanitären Völkerrechts
  • A. Das Mandat der vertraglichen Menschenrechtsschutzorgane
  • I. Direktes Mandat
  • 1. Zuständigkeitsklauseln
  • a) Die Gerichtshöfe
  • b) Interamerikanische Kommission für Menschenrechte
  • c) UN- Menschenrechtsausschuss
  • d) Ergebnis
  • 2. Andere kompetenzbegründende Normen
  • a) Das Günstigkeitsprinzip
  • b) Die Derogationsklauseln
  • 3. Ergebnis
  • II. Indirektes Mandat
  • 1. Kompetenz im Rahmen der „lex- specialis-Trennungstheorie“
  • 2. Kompetenz im Rahmen der systemischen Integration
  • a) Meinungsstand
  • b) Bewertung
  • 2. Grenzen des indirekten Mandats?
  • a) Meinungsstand
  • b) Bewertung
  • III. Ergebnis
  • B. Die Kompetenzfrage in der Rechtsprechung der vertraglichen Menschenrechtsschutzorgane
  • I. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
  • 1. Keine ausdrückliche Stellungnahme
  • 2. Das indirekte Mandat des Gerichtshofs
  • 3. Reichweite des indirekten Mandats
  • 4. Ergebnis
  • II. Die interamerikanischen Organe
  • 1. Ansatz der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte
  • a) Frühe Phase
  • b) Progressive Phase
  • c) Restriktivere Phase
  • aa) Rechtsprechung im Rahmen der AMRK
  • bb) Rechtsprechung im Rahmen der Amerikanischen Deklaration
  • cc) Argumentation mit Blick auf beide Menschenrechtsinstrumente
  • d) Ergebnis
  • 2. Ansatz des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte
  • a) Vor Las Palmeras und Bámaca Verlásquez
  • b) Las Palmeras und Bámaca Velásquez: Restriktiver Ansatz des Gerichtshofs in Bezug auf das humanitäre Völkerrecht
  • c) Entwicklungen nach Las Palmeras und Bámaca Velásquez
  • d) Ergebnis
  • III. Der UN- Menschenrechtsausschuss
  • C. Gesamtergebnis
  • Teil V: Ergebnisse
  • Résumé und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

←26 | 27→

Einführung des Untersuchungsgegenstands

1.Hintergrund des Untersuchungsgegenstands

Wenn es uns in unserem täglichen Erleben (glücklicherweise) auch nicht so vorkommen mag, sind bewaffnete Konflikte doch allgegenwärtig. So zieht die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung für das Jahr 2018 die Bilanz, dass es 28 kriegerische Konflikte weltweit gab1. Dabei machen seit dem Zweiten Weltkrieg stets zunehmend sog. nicht-internationale bewaffnete Konflikte2 die Mehrheit dieser kriegerischen Auseinandersetzungen aus3. Aber auch bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Staaten, sog. internationale bewaffnete Konflikte, hat es im letzten Jahrzehnt und bis in dieses hinein gegeben: Der Weltgemeinschaft steht sowohl der Krieg in Afghanistan, als auch der Krieg der von den Vereinigten Staaten von Amerika geführten Koalitionskräfte im Irak noch deutlich vor Augen. Der bewaffnete Konflikt in Syrien, der in seinem Verlauf zunehmend internationalisiert wurde4, hält uns bis heute in Atem.

Diese Konflikte – sowohl die internen, als auch die internationalen – beschäftigen auch die vertraglichen Menschenrechtsschutzorgane5, die die Hüter ihrer jeweiligen Menschenrechtskonventionen sind. Es verwundert nicht, dass gerade in bewaffneten Konflikten Menschen in ihren Menschenrechten besonders schwer betroffen sind. Mit dieser Betroffenheit der Menschenrechte stellt sich den vertraglichen Menschenrechtsorganen eine Reihe von rechtlichen Fragen, deren Beantwortung sowohl für die Lage der Menschen im bewaffneten Konflikt als auch für die Kriegsführenden ganz konkrete Auswirkungen haben. Die vorliegende Schrift möchte die Antworten bedeutender Menschenrechtsorgane zu diesen Fragen, soweit sie bereits gefunden sind, vorstellen. Dort, wo die Antworten noch nicht gefunden sind, möchte sie den derzeitigen Stand darstellen und einen Ausblick auf mögliche Entwicklungen geben.

←27 | 28→

2.Auswahl der Menschenrechtsschutzorgane und Bedeutung ihrer Rechtsprechung

Die Auswahl der dargestellten Menschenrechtsorgane erfolgte zum einen aufgrund der Bedeutung der jeweiligen Menschenrechtsverträge und zum anderen danach, inwiefern sich die Organe zu dem Untersuchungsgegenstand bereits geäußert hatten6. Die Stringenz der Darstellung erforderte zudem eine gewisse Beschränkung. Vorgestellt werden die Ansichten des UN-Menschenrechtsausschusses als Hüter des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (im Folgenden: „IPBPR“), welcher einen Menschenrechtspakt von weltweiter Bedeutung7 darstellt, und das europäische und das interamerikanische System, um den Bereich der regionalen Menschenrechtsverträge zu repräsentieren8. Zu untersuchen, wie diese beiden regionalen Systeme, denen insgesamt die beachtliche Anzahl von 72 Vertragsstaaten angehören9, mit derselben Materie umgehen, erschien besonders interessant. Würde im Rahmen beider Menschenrechtskonventionen zu ähnlichen Ergebnissen gelangt oder würde sich die Rechtsprechung unterscheiden?

Die Äußerungen der ausgewählten Vertragsorgane haben Gewicht. Der UN-Menschenrechtsausschuss erläutert in sog. „General Comments“10 seine ←28 | 29→Auffassung zur Auslegung einzelner Paktvorschriften, äußert „Observations“ bezüglich der menschenrechtliche Lage auf die entsprechenden Staatenberichte und entscheidet in sog. „Views“ über die Beschwerden von Individuen, die sich in ihren Rechten verletzt fühlen11. Dabei ist der Ausschuss kein Gericht und seine Äußerungen im Verfahren zweier Parteien – wie auch im Übrigen – sind nicht verbindlich12. Der Ausschuss selbst schätzt die Bedeutung seiner Feststellungen hoch ein: „The views of the Committee under the Optional Protocol represent an authoritative determination by the organ established under the Covenant itself charged with the interpretation of that instrument. These views derive their character, and the importance which attaches to them, from the integral role of the Committee under both the Covenant and the Optional Protocol.“13 Soweit sich der Ausschuss insoweit zum authentischen Interpreten des IPBPR erklären will, ist zu bemerken, dass ihm diese Rolle als Ausfluss des Konsensprinzips von allen Vertragsstaaten zugesprochen werden müsste14. Da – wie erwähnt – aber nicht einmal die Entscheidungen im Rahmen der Individualbeschwerde verbindlich sind, ist von einer solchen Stellung nicht auszugehen. Dennoch messen sowohl die Vertragsstaaten als auch der Internationale Gerichtshof15 (im Folgenden: „IGH“) seinen Äußerungen große Bedeutung zu. Die Rolle des Ausschusses ist somit gerichtsähnlich, im Englischen „quasi-judicial“.

Die AKMR kann zum einen die Rolle eines gerichtsähnlichen Körpers einnehmen und zum anderen Teil des Instanzenzugs zum AGMR sein. In ←29 | 30→ersterer Funktion ist sie – ob der Unverbindlichkeit ihrer „Reports“16 – dem UN-Menschenrechtsausschuss ähnlich. In ihrer zweiten Funktion legt sie ihre Einschätzung dem AGMR zur Überprüfung vor. Dieser fällt dann ein Urteil, welches für die Parteien verbindlich ist17. Es haben sich inzwischen 22 Vertragsstaaten der Gerichtsbarkeit unterworfen18; da eine solche Unterwerfung im Unterschied zum europäischen System nicht zwingend ist, fehlen weiterhin drei Vertragsstaaten der AMRK, darunter die Vereinigten Staaten von Amerika19. Der Gerichtshof schreibt sich selbst zu, das über die Auslegung der AMRK endgültig bestimmende Organ zu sein20; wenn dies auch zweifelhaft ist21, kommt seiner Rechtsprechung – ob nun in Urteilen oder Gutachten22 – in der Staatengemeinschaft hohe Anerkennung zu23.

Der Rechtsprechung des EGMR kommt faktische Bindungswirkung gegenüber allen Vertragsstaaten zu24. Er ist gemäß Art. 32 EMRK zur Auslegung und Anwendung der EMRK berufen. Seit dem 11. Zusatzprotokoll von 1998 sind die Vertragsstaaten zudem zwingend der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterworfen. Da Rechtsstreitigkeiten unter der EMRK allein der Entscheidungsgewalt des Gerichtshofs unterstellt sind25, ist er faktischer authentischer Interpret der ←30 | 31→EMRK. Von allen untersuchten Menschenrechtsorgane kommt seiner Rechtsprechung den Vertragsstaaten gegenüber die stärkste Stellung zu26.

Angesichts der unterschiedlichen Bindungswirkung der Äußerungen aller behandelten Organe soll im Rahmen dieser Schrift diese als Praxis und Rechtsprechung bezeichnet werden.

Nicht unberücksichtigt gelassen werden kann darüber hinaus die Rechtsprechung des IGH. Das wegen seiner Tradition und Stellung in der Staatengemeinschaft27 als Weltgericht bezeichnete Rechtsprechungsorgan hat verschiedentlich zu im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand relevanten Rechtsfragen Stellung genommen. Eine umfassende Betrachtung des Untersuchungsgegenstands kommt ohne den Den Haager Gerichtshof nicht aus.

3.Das untersuchte Verhältnis: Recht der Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht

Nachdem die ausgewählten Menschenrechtsorgane nun kurz vorgestellt wurden, liegt auf der Hand, dass es in der gegenständlichen Untersuchung um die Materie der ihnen anvertrauten Verträge gehen muss: das Recht der Menschenrechte28. Die Formulierung des Untersuchungsgegenstands zeigt jedoch, dass es im Schwerpunkt noch um eine andere Materie geht, welche durch das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts bedingt ist: das humanitäre Völkerrecht29.

Um zu verstehen, von was die untersuchte Rechtsprechung handelt, soll der Begriff des humanitären Völkerrechts näher definiert werden: Mit humanitärem Völkerrecht werden alle Rechtsnormen umschrieben, die potentielle oder tatsächliche Opfer eines bewaffneten Konflikts schützen, sowie die Kriegsführung und die Rechte und Pflichten der Kriegsparteien im bewaffneten Konflikt regeln30. Diese Definition beinhaltet beide Aspekte des humanitären Völkerrechts: das sog. „Genfer Recht“, welches sich mit dem Schutz der Opfer eines bewaffneten ←31 | 32→Konflikts beschäftigt und aus den bekannten Vier Genfer Konventionen31 und ihren drei Zusatzprotokollen32 besteht sowie das sog. „Haager Recht“, welches älteren Ursprungs ist33 und sich mit der Regulierung der Kriegsführung befasst. Heute wichtigster Bestandteils des Haager Rechts ist die Haager Landkriegsordnung34. Die HLKO, die heute ganz überwiegend Völkergewohnheitsrecht darstellt, enthält unter anderem Normen zum Kombattantenstatus, zur Beschränkung bei der Wahl der Mittel zur Kriegführung, sowie zur Besatzung.

Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts wird durch das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts bedingt. Dessen Vorliegen wird ebenfalls durch das humanitäre Völkerrecht bestimmt. Hierbei wird maßgeblich zwischen dem internationalen bewaffneten Konflikt und dem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt unterschieden. Diese Differenzierung findet sich in einem Kernstück des humanitären Völkerrechts, den Vier Genfer Konventionen35. Im internationalen bewaffneten Konflikt sind die Vier Genfer Konventionen in ihrer Gesamtheit anwendbar36. Der gemeinsame Art. 2 Abs. 1 GK definiert den internationalen bewaffneten Konflikt als „armed conflict which may arise between two or more of the High Contracting Parties, even if the state of war is not recognized by one of them“. Daneben ist der Anwendungsbereich eröffnet in „all cases of declared war or of all cases of partial or total occupation of the territory of a High ←32 | 33→Contracting Party, even if the said occupation meets with no armed resistance.“37 Im Rahmen des Gemeinsamen Art. 2 Abs. 1 GK hat die Alternative des „erklärten Krieges“ erheblich an Bedeutung verloren, sodass es zumeist auf die zweite Alternative des „anderen bewaffneten Konflikts“ ankommt38. Ein bewaffneter Konflikt im Sinne des Gemeinsamen Artikel 2 ist jeder Konflikt zwischen zwei oder mehr Vertragsparteien, der zum Eingreifen der bewaffneten Streitkräfte einer Vertragspartei führt, unabhängig davon, ob es zu einem militärischen Kampf kommt, wie lange der Konflikt dauert oder wie groß die jeweiligen beteiligten militärischen Kräfte sind39. Unter den „Hohen Vertragsparteien“ sind grundsätzlich Staaten zu verstehen40.

Schwieriger ist es demgegenüber, das Vorliegen eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts festzustellen. Einen solchen setzt der Anwendungsbereich des Gemeinsamen Artikels 3 GK voraus, wenn er von einem „armed conflict not of an international character occurring in the territory of one of the High Contracting Parties“ spricht. Bei Vorliegen eines solchen kommen die Vorgaben des Gemeinsamen Art. 3 GK zur Anwendung, die einen Mindestmaß an Schutz der vom Krieg Betroffenen garantieren sollen41. Die Parteien eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts sind weniger klar umrissen als im Falle des internationalen bewaffneten Konflikts, weshalb insbesondere auf das Ausmaß und die Dauer der eingesetzten Gewalt abgestellt wird42. Einig ist man sich, dass nicht jeder Einsatz von Gewalt zwischen Bürgern und Staat einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt begründet. Abgestellt wird unter anderem auf Zahl, Dauer und Intensität der einzelnen Konfrontationen, die eingesetzten Waffen, die Zahl der an den Kampfhandlungen Beteiligten, die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Zerstörung sowie die Zahl der flüchtenden ←33 | 34→Zivilisten43. Diese Kriterien lassen bereits vermuten, dass der interne bewaffnete Konflikt Raum für unterschiedlichen Auffassungen und Interpretationsspielräume bietet44.

Muss nun ein menschenrechtliches Vertragsorgan vor dem Hintergrund einer der beiden bewaffneten Konflikte eine Entscheidung fällen, steht es vor der Frage, wie es mit dem Krieg und seinem speziellen Recht umgeht. Es prallen potentiell zwei Welten aufeinander – die der Menschenrechte und die des Krieges.

4.Untersuchung der Rechtsprechung bezüglich der hierzu erforderlichen Voraussetzungen

Ein Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit der grundlegenden Frage, ob aus dem potentiellen „Aufeinanderprallen“ der Rechtsmaterien auch ein tatsächliches wird, und wenn ja, ob die vertraglichen Menschenrechtsorgane das Mandat haben, sich mit diesem zu beschäftigen. Da diese Thematik jedoch bereits eine intensive Diskussion in Literatur und Rechtsprechung erfahren hat, sollen diese beiden Aspekte (Teil C und D) am Ende beleuchtet werden.

Zunächst gilt es, den räumlichen Umfang möglicher Schnittmengen zwischen den beiden Materien zu bestimmen. Teil A beschäftigt sich deshalb mit ←34 | 35→der Anwendbarkeit der Menschenrechtsverträge auch außerhalb des Hoheitsgebiets der jeweiligen Vertragsstaaten. Zwar können die in diesem Zusammenhang interessierenden Konflikte auch auf eigenem Hoheitsgebiet des Vertragsstaat stattfinden45, jedoch tun sie dies jedenfalls im Bereich der EMRK kaum mehr. Man könnte auch sagen: Seit dem Zweiten Weltkrieg werden internationale bewaffnete Konflikte exportiert. Dementsprechend finden alle für diese Schrift interessanten internationalen bewaffneten Konflikte nicht auf dem Hoheitsgebiet des jeweiligen Vertragsstaat, sondern auf fremdem Hoheitsgebiet statt46. Seit der Entscheidung des EGMR in Banković et al v Belgium et al besteht jedoch über die extraterritoriale Anwendbarkeit der Menschenrechtsverträge erhebliche Unsicherheit, die bis heute nicht völlig beseitigt ist. Von dieser betroffen sind insbesondere auch kriegstypische Situationen auf fremdem Hoheitsgebiet. Um diese besser auf ihr Potential zur Überschneidung einschätzen zu können, soll die Rechtsprechung der Menschenrechtsorgane auf das Konzept der Jurisdiktion hin untersucht werden. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand soll zudem der Zusammenhang zwischen der Besatzung und der Jurisdiktion analysiert werden.

5.Zwei besondere Rechte: Recht auf Leben und Recht auf Freiheit

Eine umfassende Betrachtung der Menschenrechte im Zusammenspiel mit dem humanitären Völkerrecht, obschon spannend, ist im Rahmen dieser Schrift nicht zu leisten. Jedoch sollte all die Theorie über die Möglichkeit der Überschneidung, dem abstrakten Verhältnis der Rechtsmaterien und der Kompetenz der Organe, sich auf eine bestimmte Weise auch des humanitäres Völkerrechts anzunehmen, nicht ohne konkrete Anwendungsfälle bleiben. Welche Rechte würden sich vor dem Hintergrund des bewaffneten Konflikts für eine solche Konkretisierung besser eignen, als das Recht auf Leben und das Recht auf Freiheit? In diesen beiden Menschenrechten findet ein Gutteil des Konflikts der beiden Rechtsmaterien seinen Ausdruck. Den Feind töten und hierbei Kollateralschäden an der Zivilbevölkerung in Kauf nehmen, den Feind festsetzen und ihn an einer ←35 | 36→weiteren Teilnahme im Kampf hindern – dies sind die Realitäten des Krieges, in deren Gegensatz das das Leben und Freiheit des Einzelnen hütende Recht der Menschenrechte steht.

Um zumindest dieses Herzstück der Rechte im bewaffneten Konflikt umfassend zu ergründen und die Rechtsprechung der Vertragsorgane einschätzen zu können, sollen im Rahmen der Untersuchung auch die Grundlagen der jeweiligen Rechte und mögliche Schnittmengen abstrakt betrachtet werden. Sodann folgt die Einordnung der Rechtsprechung der Organe zu diesen beiden Rechten.

6.Bedeutung des Untersuchungsgegenstands

Die Rechtsprechung der vertraglichen Menschenrechtsorgane zum humanitären Völkerrecht ist kein „mere toy for academics“47, sondern hat ganz reale Auswirkungen. Dies gilt zum einen für die Menschen, die sich an die Menschenrechtsorgane mit der Forderung um die Wahrung ihrer Rechte auch in einer Extremsituation wenden, wie auch für die Vertragsstaaten, die mit der Rechtsprechung umgehen müssen. Durch die Vermischung des älteren, staatenzentrierten humanitärenVölkerrechts mit den Durchsetzungsmechanismen des auf das Individuum zugeschnittenen Menschenrechts kann sich der Einzelne aus seiner bloßen Objektrolle befreien. Inhaltlich ist jedoch große Achtsamkeit geboten; inwiefern kann, inwiefern darf das Recht der Menschenrechte das humanitäre Völkerrecht bereichern, inwiefern müssen die Menschenrechte im bewaffneten Konflikt den Wertungen des humanitären Völkerrechts folgen? Dies hat ganz konkrete Folgen für die Menschen, die vom bewaffneten Konflikt betroffen sind, aber auch für die Kriegsparteien, die sich mit ihrem Verhalten auf dem Schlachtfeld und im Rahmen der Besatzung vor Rechtsprechungsorganen konfrontiert sehen. Bereits bei oberflächlicher Betrachtung wird klar: Die Regeln für eine Ausnahmesituation wie einen bewaffneten Konflikt müssen klar sein und – mag man es sich angesichts des Leides, welches Krieg mit sich bringt, auch anders wünschen – den Realitäten des Krieges genügen. Andernfalls wären sie tatsächlich ein reines Gedankenspiel, da Unmögliches von den Kriegsparteien nicht eingehalten würde. Das Recht der Menschenrechte wird mit einem in vieler Hinsicht austarierten Materie konfrontiert; das letzte, was zu wünschen ist, ist, dass die Rechtsprechung der Menschenrechtsorgane zu einem „Weniger“ an Schutz führen. Umso gewichtiger ist die Frage, welchen Weg die Menschenrechtsorgane beschreiten.


1Vgl. Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft vom 06.12.2018, abrufbar unter https://idw-online.de/de/news707457, zuletzt besucht im Februar 2019.

2Im Folgenden synonym auch als interner bewaffnete Konflikte bezeichnet.

3Vgl. http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54569/einfuehrung, zuletzt besucht im Februar 2019.

4Vgl. hierzu die Einschätzung der Genfer Akademie, abrufbar unter http://www.rulac.org/browse/conflicts/international-armed-conflict-in-syria#collapse2accord, zuletzt besucht im Februar 2019.

5Im Folgenden synonym auch als menschenrechtliche Vertragsorgane und als Menschenrechtsorgane bezeichnet.

6Nicht in die Untersuchung aufgenommen werden konnte der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; obwohl auch diese sog. Menschenrechte der zweiten Generation im Zusammenspiel mit dem humanitären Völkerrecht einen interessanten Untersuchungsgegenstand bieten, sprengt eine solche Untersuchung den Rahmen der vorliegenden Schrift. Für das afrikanische Menschenrechtsschutzsystem lag zu Beginn der Untersuchung noch keine aussagekräftige Rechtsprechung zur Thematik vor.

7Derzeit haben 172 Staaten den IPBPR ratifiziert (Stand Februar 2019), vgl. http://indicators.ohchr.org/.

8Die im Englischen als „Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms“ benannte Europäische Menschenrechtskonvention (nicht – amtliche, jedoch im Folgenden verwendete Abkürzung „EMRK“) wurde bis 1998 ebenso wie die „American Convention on Human Rights“ (im Folgenden als „AMRK“ abgekürzt) bis heute von zwei Organen gehütet, von einer Kommission und einem Gerichtshof. Die Europäische Kommission für Menschenrechte (im Folgenden: „EKMR“) wurde jedoch abgeschafft, sodass mittlerweile der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden. „EGMR“) der einzige Hüter der EMRK ist. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (in der Folge: AKMR) weist zudem die Besonderheit auf, dass sie in ihrer Funktion als Organ der Organization of American States (im Folgenden: OAS) neben der AMRK auch die „American Declaration of the Rights and Duties of Man“ auslegt.

9Vgl. für die EMRK https://www.coe.int/en/web/human-rights-convention/home, für die AMRK http://www.oas.org/dil/treaties_B-32_American_Convention_on_Human_Rights_sign.htm; beides zuletzt besucht im Februar 2019.

10Soweit eine Übersetzung bestimmter englischer Fachbegriffe nicht überzeugend erscheint, werden sie im Folgenden auch im deutschen Fließtext benutzt.

11Die Möglichkeit der Individualbeschwerde gibt es unter dem Optional Protocol of the International Covenant on Civil and Political Rights (im Folgenden: OP I).

12Art. 5 Abs. 4 OP I gibt dem Ausschuss lediglich das Recht „to forward its views to the State Party concerned and to the individual.“

13UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment Nr. 33 vom 5.10.2008, UN Doc. CCPR/C/GC/33 Z. 13. Die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses können unter http://www.ohchr.org abgerufen werden.

14IPSEN, S. 138.

15IGH, Urteil vom 30.11.2010, Ahmadou Sadio Dallio(Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo). Die Urteile des IGH können unter http://www.icj-cij.org/ en abgerufen werden. In Z. 66 des Urteils führte der IGH, nachdem er sich in seinem Urteil auf eine Entscheidung des Menschenrechtsausschusses gestützt hatte, aus: „Since it was created, the Human Rights Committee has built up a considerable body of interpretative case law, in particular through its findings in response to the individual communications which may be submitted to it in respect of States parties to the first Optional Protocol, and in the form of its ‚General Comments‘. Although the Court is in no way obliged, in the exercise of its judicial functions, to model its own interpretation of the Covenant on that of the Committee, it believes that it should ascribe great weight to the interpretation adopted by this independent body that was established specifically to supervise the application of that treaty.“ Kälin/Künzli nehmen an, dass „quasi-judicial bodies“ autoritative Feststellungen (die im Individualbeschwerdeverfahren einem Feststellungsurteil nahe kommen) treffen, vgl. Kälin/Künzli, S. 242, 259.

16KÄLIN/KÜNZLI, S. 269.

17Art. 68 AMRK.

18Vgl. https://www.cidh.oas.org/Basicos/English/Basic4.Amer.Conv.Ratif.htm, zuletzt abgerufen im Februar 2019.

19In der Folge synonym auch als USA bezeichnet.

20AGMR, Urteil vom 26.9.2006, Almonacid Arellano et al. v. Chile, Z. 124: „(…) [T] he judiciary has to take into account not only the treaty, but also the interpretation thereof made by the Inter-American Court, which is the ultimate interpreter of the American Convention.“; Hervorhebung durch die Verfasserin. Die Urteile des Gerichtshofs können unter http://www.corteidh.or.cr/corte/index.cfm?lang=enabgerufen werden.

21Auch wenn der Gerichtshof gem. Art. 62 Abs. 3 AMRK zur Durchsetzung und Überwachung der AMRK berufen ist, müssten ihm mit Blick auf das Konsensprinzip alle Konventionsnormgeber die Rolle als autoritativ Auslegenden zugewiesen haben, s.o.. Dies ist angesichts der mangelnden Unterwerfung dreier Staaten unter seine Gerichtsbarkeit nicht anzunehmen.

22Den 20 bisher erstellten Gutachten des AGMR schreiben Kälin/Künzli „erhebliche Tragweite für die Fortentwicklung des Menschenrechtsschutzes in Lateinamerika“ zu, vgl. KÄLIN/KÜNZLI, S. 275.

23Über die eigentlichen Verfahren hinaus wurden wesentliche Effekte der Rechtsprechung des AGMR beobachtet: beispielsweise wurde in den sog. „Amnestie-Fällen“ die Rechtsprechung auch in Vertragsstaaten umgesetzt, die von dem Urteil konkret nicht betroffen waren.

24SCHMALENBACH, Zeitschrift für Öffentliches Recht 2004, S. 226.

25Vgl. Art. 55 EMRK.

26Vgl. SCHMALENBACH, Zeitschrift für Öffentliches Recht 2004, S. 226: „Seine Urteile sind zentrale Rechtserkenntnisquelle, die alle Vertragsstaaten zur Sicherstellung ihres konventionskonformen Verhaltens zwingend beachten müssen.“

27Zur Bedeutung der Rechtsprechung des IGH vgl. TAMS/TZANAKOPOULOS, Leiden Journal of International Law 2000, S. 783/784; WEERAMANTRY, Leiden Journal of International Law 1997, S. 311.

28In der Folge wird dies synonym der Kürze wegen auch als „Menschenrecht“ bezeichnet werden.

29Trotz möglicher sprachlicher Monotonie soll es im Folgenden allein bei der Begrifflichkeit des humanitären Völkerrechts bleiben. Der Begriff des Kriegsvölkerrechts ist nicht mehr gebräuchlich.

30Vgl. KOLB, Human Rights and Humanitarian Law, Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Rn. 1.

31Genfer Abkommen (I) zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde; Genfer Abkommen (II) zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See; Genfer Abkommen (III) zur Behandlung der Kriegsgefangenen; Genfer Abkommen (IV) über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten. Alle vier Abkommen sind am 12.8.1949 beschlossen worden und haben universale Geltung.

32Zu nennen sind zum einen die beiden Protokolle vom 8.6.1977 „Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of International Armed Conflicts“ (im Folgenden; ZP I) und „Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts“ (im Folgenden: ZPII). Seit 2007 ist zudem ein drittes Zusatzprotokoll („Protocol additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Adoption of an Additional Distinctive Emblem“) in Kraft, das den „Roten Kristall“ neben dem „Roten Kreuz“ und dem „Roten Halbmond“ ein drittes Schutzzeichen festlegte.

33Das „Haager Recht“ geht auf die Friedenskonferenzen in Den Haag 1899 und 1907 zurück. Die Konferenzen waren Teil einer Initiative zur Abrüstung und friedlichen Streitbeilegung. Im Zuge dessen wurden Verhaltensregeln für den Konfliktfall ausgearbeitet.

34Diese war eine Anlage zum zweiten Haager Abkommen von 1899. Später wurde sie zur „Anlage zum Abkommen vorn 18. Oktober 1907 betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges“

35Sie werden im Rahmen der Schrift synonym als Genfer Abkommen und Genfer Konventionen (auch „GK“ genannt) bezeichnet.

36Vgl. gemeinsamer Artikel 2 GK.

37Hinsichtlich der Merkmale einer Besatzung sei auf die Ausführungen in Teil I C verwiesen.

38Für viele: ZECHMEISTER, S. 36.

39ZECHMEISTER, S. 37.

40Zur Diskussion über die Aufnahme anderer Entitäten vgl. ZECHMEISTER, S. 35; hier ebenfalls Ausführungen zu staatsähnlichen Entitäten und der Abgrenzung des gemeinsamen Artikels 2 GK zum Anwendungsbereich des ZP II.

41Für die Anwendbarkeit des ZP II wird wiederum von einer eigenen Schwelle ausgegangen, vgl. SANDOZ/SWINARSKI/ZIMMERMANN, Commentary on the Additional Protocols, Z. 4447. Hierbei werden insbesondere Ansprüche an die nicht-staatliche Kriegspartei gestellt: „a responsible command, such control over part of the territory as to enable them to carry out sustained and concerted military operations, and the ability to implement the Protocol“, SANDOZ/SWINARSKI/ZIMMERMANN, Commentary on the Additional Protocols, Z. 4453.

42ZECHMEISTER, S. 39; hilfreich auch die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (im Folgenden: „ICTY“), der von dem Erfordernis der „protracted armed violence“ spricht.

43Wissenschaftliche Dienste des Bundestags, Aktueller Begriff „Zur Kategorisierung von Konflikten“, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/191426/3c0cf9515fa4bdf8337d042ae2b9fc5c/kategorisierung_von_konflikten-data.pdf, zuletzt besucht im Februar 2019.

44Angesichts des Themas der Schrift soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich die AKMR im Fall AKMR, Entscheidung vom 18.11.1997, Juan Carlos Abella v Colombia, Report Nr. 55/97, ausführlich zu ihrem (weiten) Verständnis der Kriterien eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts geäußert hat. „In contrast to these situations of domestic violence, the concept of armed conflict, in principle, requires the existence of organized armed groups that are capable of and actually do engage in combat and other military actions against each other. In this regard, Common Article 3 simply refers to, but does not actually define ‚an armed conflict of a non-international character.‘ However, Common Article 3 is generally understood to apply to low intensity and open armed confrontations between relatively organized armed forces or groups that take place within the territory of a particular State. Thus, Common Article 3 does not apply to riots, mere acts of banditry or an unorganized and short-lived rebellion. Article 3 armed conflicts typically involve armed strife between governmental armed forces and organized armed insurgents. It also governs situations where two or more armed factions confront one another without the intervention of governmental forces where, for example, the established government has dissolved or is too weak to intervene. It is important to understand that application of Common Article 3 does not require the existence of large-scale and generalized hostilities or a situation comparable to a civil war in which dissident armed groups exercise control over parts of national territory.“, ibid, Z. 152. Im streitgegenständlichen Fall hatte es sich um einen kurzen, aber intensiven Schlagabtausch zwischen wenig organisierten Angreifern und dem Militär des Antragsgegners gehandelt. Die Entscheidungen der Kommission können unter http://www.oas.org/es/cidh/abgerufen werden.

45Ein internationaler bewaffneter Konflikt kann somit auf dem Hoheitsgebiet nur eines Staates ausgefochten werden; international hieran sind die beteiligten Kriegsparteien in Gestalt zweier Nationalstaaten. Demgegenüber kann auch ein nicht-internationaler Konflikt die Grenzen eines Staates überschreiten, solange eine der Parteien eine nicht-staatliche ist, vgl. HARTRIDGE SAMUEL, in: JINKS (HRSG.) 2014, S. 47.

46Zu denken ist hieran die Beteiligung der Türkei im Zypernkonflikt, die Angriffe der NATO-Staaten auf Gebiete im Kosovo und die Beteiligung des Vereinigten Königreichs Großbritannien an dem Krieg im Irak. Auch die AMRK war außerhalb der Hoheitsgebiete ihrer Vertragsstaaten gefordert, so beispielsweise die Angriffe der USA auf Grenada und Panama.

47So auch Lawson, in COOMANS/KAMMINGA, S. 84.

←36 | 37→

Teil I:Extraterritoriale Jurisdiktion: Untersuchung der räumlichen Schnittmengen und Bedeutung kriegstypischer Situationen

Die Frage nach der Jurisdiktion der Menschenrechtsorganen ist grundlegend für die gesamte weitere Untersuchung der Rechtsprechung der Menschenrechtsorgane zum humanitären Völkerrecht. Vom Umfang des territorialen Anwendungsbereichs hängt es entscheidend ab, in welchem Ausmaß die Rechtsmaterien des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechtskonventionen das Potential haben, sich zu überschneiden. Im Rahmen der Jurisdiktion ist zu beantworten, ob die Menschenrechtskonventionen einen Eingriff in die Menschenrechte überhaupt erfassen. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs erscheint wenig problematisch, wenn innerstaatliche Sachverhalte in Frage stehen48. Die sog. extraterritoriale Anwendbarkeit der Menschenrechtsverträge wird demgegenüber intensiv diskutiert – gerade im Zusammenhang mit kriegstypischen Situationen sind hierbei noch Fragen offen49. Mit Blick auf humanitärvölkerrechtlichen Fragestellungen werden Konstellationen relevant, die sich nicht auf das Staatsgebiet des jeweiligen verpflichteten Staats beschränken, sondern sich auf fremdem Staatsgebiet abspielen und somit die extraterritoriale Anwendbarkeit der Konventionen betreffen. Zu denken ist an den klassischen Fall des humanitären Völkerrechts, nämlich an Auslandseinsätze von Streitkräften im bewaffneten internationalen Konflikt50. Daneben spielt sich auch die Besatzung denknotwendig auf fremdem Hoheitsgebiet ab. Hier stellt sich auch die spiegelbildliche Frage: Wie sieht es mit den menschenrechtlichen Verpflichtungen des besetzten Staates aus?

←37 | 38→Wären Menschenrechtsverträge auf eine solche Situation nicht anzuwenden, fiele eine erhebliche Schnittmenge zwischen Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht weg. In Teil A sollen die Anwendungsbereiche der Rechtsmaterien deshalb genauer untersucht und festgestellt werden, in welchem Ausmaß prinzipiell die Möglichkeit der räumlichen Überlappung besteht. In Teil B der folgenden Ausführungen soll sodann dargestellt werden, wie sich die Rechtsprechung der Menschenrechtsorgane bezüglich der Jurisdiktion in kriegstypischen Situationen auswirken. Teil C beschäftigt sich mit der Frage, wie das Konzept der Besatzung und der Jurisdiktion zusammenhängen.

A.Schnittmengen: Anwendungsbereich der Genfer Konventionen und Jurisdiktion der Vertragsstaaten

Um den Umfang der Überschneidung der beiden Rechtsgebiete generell näher bestimmen zu können, muss sowohl der Anwendungsbereich der Menschenrechtsverträge als auch der des humanitären Völkerrechts genauer betrachtet werden. Als Herzstück des humanitären Völkerrechts gelten hierbei – neben der Haager Landkriegsordnung – die vier Genfer Konventionen sowie die beiden Zusatzprotokolle. Sowohl die Genfer Konventionen als auch die Haager Landkriegsordnung sind als Völkergewohnheitsrecht51 anzusehen und gelten somit unabhängig von einem Beitritt zu den Abkommen. Von besonderer Relevanz ist somit der Anwendungsbereich der Genfer Konventionen, wie er in ihren gemeinsamen Artikeln 1 und 2 zum Ausdruck kommt.

I.Anwendungsbereich der Genfer Konventionen gem. Art. 1

Der gemeinsame Art. 1 der Genfer Konventionen lautet: „The High Contracting Parties undertake to respect and to ensure respect for the present Convention in all circumstances.“52 Als Schlüsselbegriff zur Bestimmung des Anwendungsbereichs wird zu Recht „in all circumstances“ ausgemacht. Jedoch gehen die Bewertungen über die Bedeutungen des Ausdrucks auseinander. Teilweise wird angenommen, dass diese Formulierung auf den territorialen Anwendungsbereich hindeute und ←38 | 39→zwar dahingehend, dass dieser eben nicht auf das eigene Territorium beschränkt sei53. Diese Ansicht scheint auch der EGMR zu vertreten, wenn er in seiner Entscheidung Banković et al v Belgien et al54 im Rahmen der Ausführungen zur extraterritorialen Anwendbarkeit der EMRK meint: „Had the drafters of the Convention wished to ensure jurisdiction as extensive as that advocated by the applicants, they could have adopted a text the same as or similar to the contem-poraneous Articles 1 of the four Geneva Conventions of 1949.“55 Bemerkenswert ist zum einen, dass der Gerichtshof hier ausdrücklich – und zudem ohne Not – zu einer Vorschrift des humanitären Völkerrechts Stellung nimmt, was, wie sich später noch zeigen wird, zu dieser Zeit ungewöhnlich war und zum anderen, dass er eine Ansicht äußert, die jedenfalls nicht unumstritten ist. Überwiegend wird die Bestimmung des gemeinsamen Art. 1 GK nämlich nicht territorial gesehen, was der Wortlaut „unter allen Umständen“ auch nicht zwingend nahe legt. Diskutiert wird vielmehr, ob der Bestimmung ein zeitlicher Aspekt56 zukommt bzw. ob er alle Arten des bewaffneten Konflikts erfassen will57. Überwiegend ist jedoch die Ansicht, dass „unter allen Umständen“ im Sinne des Art. 1 GK „ohne Ausnahme“ bedeutet58. Damit würde es den Konventionsstaaten verwehrt, Gründe gleich welcher Art anzuführen, um die Genfer Konventionen nicht einhalten zu müssen59. Vielfach werden die Genfer Abkommen als vom Grundsatz der sonst im Bereich der völkerrechtlichen Verträge herrschenden Reziprozität ausgenommen gesehen60. Insbesondere wird dies auf das völkerrechtliche Mittel der Repressalie bezogen61: Hält ein Konventionsstaat die Bestimmungen des Abkommens nicht ein, ist es dem anderen Staat verwehrt, dies ebenfalls mit Nichteinhaltung zu beantworten. Ein solches Repressalienverbot ist unbedingt notwendig, um den Schutz durch die Abkommen aufrecht zu erhalten – ein Zulassen der Repressalie als Durchsetzungsmittel würde lediglich zu Lasten der in den Abkommen Geschützten gehen, was dem Sinn des humanitären Völkerrechts zuwiderliefe.

←39 | 40→Damit wird dem gemeinsamen Art. 1 GK überwiegend keine territoriale Bedeutung zugemessen; jedoch würde sie in der Gestalt, wie sie vom EGMR angenommen zu werden scheint, auch nicht gegen eine Überlappung der Anwendungsbereiche sprechen. Eine territoriale Beschränkung des humanitären Völkerrechts würde angesichts der Vielgestaltigkeit bewaffneter Konflikte auch dem Zweck des umfassenden Schutzes des vom Krieg Betroffenen widersprechen. Dementsprechend fehlen auch in den übrigen humanitärvölkerrechtlichen Verträgen entsprechende Klauseln62. Es ist somit von einer Geltung der Genfer Konventionen für die Kriegsparteien völlig unabhängig vom Schauplatz des bewaffneten Konflikts auszugehen.

II.Anwendungsbereich der Menschenrechtsverträge

Wie bereits erwähnt, ist die Frage nach der Anwendbarkeit der Menschenrechtsverträge im bewaffneten Konflikt die Kernfrage für das tatsächliche Zusammenwirken der Rechtsmaterien und der Türöffner für eine Rechtsprechung der Menschenrechtsorgane in materieller Hinsicht. Mögen Kommentatoren auch befürworten, dass die prekäre Situation des Menschen im Krieg von einem Zusammenspiel der beiden Rechtsgebiete profitieren kann63, bliebe dies doch reine Theorie, wenn es mangels Anwendbarkeit des Menschenrechtsvertrags keine Möglichkeit eines „Nebeneinanders“64 gibt.

Es stellt sich somit die Frage, welche Prinzipien der Anwendbarkeit der Menschenrechtsverträge zugrunde liegen. Diese Frage spitzt sich – wie bereits angedeutet – insbesondere dort zu, wo die Anwendbarkeit nicht wie selbstverständlich gegeben ist: bei der extraterritorialen Anwendbarkeit, also der Anwendbarkeit außerhalb des eigenen Staatsgebiets. Hierbei soll versucht werden, die Rechtsprechung der Menschenrechtsorgane dogmatisch zu erfassen; mit einem umfassenden Ansatz wäre die Bewertung der Anwendbarkeit der Menschenrechtsverträge auf kriegstypische Fälle auch in noch nicht entschiedenen Konstellationen möglich. Zudem soll eine Dogmatik auch mit Blick auf das Verhältnis der Jurisdiktion zur Besatzung entwickelt werden. Im Mittelpunkt der Analyse muss hierbei der EGMR stehen, da dieser den differenziertesten Ansatz zur Thematik entwickelt hat und seine Rechtsprechung globale Beachtung findet.

←40 | 41→Die Entwicklung einer Dogmatik steht hierbei vor dem Problem, dass der EGMR die Frage der Jurisdiktion auf eine vorsichtige, kasuistische Weise65 angeht und der Analyst vor einem Mosaik an Entscheidungen steht. Dennoch soll versucht werden, unter Ermittlung der materiellen und prozessualen Aspekte der Jurisdiktionsfrage die relevanten Prinzipien herauszuarbeiten. An passender Stelle soll hierbei die weniger komplexe Rechtsprechung des interamerikanischen Systems und des UN-Menschenrechtsausschusses eingearbeitet werden.

Details

Seiten
608
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631844731
ISBN (ePUB)
9783631844748
ISBN (MOBI)
9783631844755
ISBN (Paperback)
9783631836248
DOI
10.3726/b17944
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Anwendbarkeit Menschenrechtsverträge Bewaffneter Konflikt Verhältnis Rechtsmaterien Kompetenz Menschenrechtsschutzorgane Fragmentierung Rechtsmaterien
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 608 S.

Biographische Angaben

Patrizia Wolf (Autor:in)

Patrizia Wolf studierte Rechtswissenschaften an der Universität Passau, an der Monash University (Australien) und an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihr Rechtsreferendariat absolvierte sie in München und an der Botschaft Wellington, Neuseeland. Ihre Promotion erfolgte an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Zurück

Titel: Die Rechtsprechung und Praxis vertraglicher Menschenrechtsschutzorgane zum humanitären Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechte auf Leben und Freiheit
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
610 Seiten