Argumentieren und Diskutieren
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autoren-/Herausgeberangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Vorwort (Kristin Bührig / Stephan Schlickau)
- “And therefore I have chosen to define…” – sprachliche Ressourcen des Argumentierens in der Physik. Eine diachrone Betrachtung (Winfried Thielmann)
- Wissen kommunizieren, argumentieren und diskutieren? Zur Herausbildung diskursiver Fähigkeiten in der Sprachförderung Russisch (Beatrix Kreß)
- Argumentieren am Text? – Einige Beobachtungen zur aufgabenbezogenen Auseinandersetzung mit einer historischen Quelle im Geschichtsunterricht (Kristin Bührig)
- Argumentieren in studentischen Texten: Umgang mit Konnektoren (Gabriele Graefen)
- Widerspruch und Widerstand: Konfliktäres sprachliches Handeln in interkulturellen Arbeitsgruppen. Eine linguistisch-kulturwissenschaftliche Perspektive (Karsten Senkbeil / Vasco da Silva)
- “I a hundred per cent agree” – Konsensuelles Argumentieren in der interkulturellen Wissenschaftskommunikation (Claudio Scarvaglieri)
- Argumentieren im Wissenschaftsumfeld: Beobachtungen aus interkultureller Projektkommunikation (Stephan Schlickau)
- Sachregister
Alltagssprachlich erscheint das Argumentieren zunächst nicht als ein besonders problematischer Begriff. In Fällen von Meinungsverschiedenheiten finden wir rasch Argumente für oder gegen eine Position. Die Logik andererseits stellt bestimmte Anforderungen an Argumente, sofern sie denn als gültig betrachtet werden können.
In einer wissenschaftlichen Betrachtung empirischer Kommunikation aber gelangt man rasch zu zahlreichen Fragen und auch in Grenzbereiche: Welche Rolle spielt bzw. spielte das Argumentieren in der Wissenskommunikation überhaupt, und zwar sowohl aus historischer als auch – synchron – aus kulturkontrastiver Perspektive? Zudem fehlt es authentischem sprachlichem Handeln gelegentlich an direkter Strittigkeit – wie etwa in Texten – oder die Kommunikationsteilnehmer sind ohnehin ähnlicher Ansicht. Dennoch finden sich sprachliche Strukturen, die Gemeinsamkeiten mit klassischbegründendem Argumentieren aufweisen. Diese können selbst im Fall offensichtlich mangelnder Logik funktional im Hinblick auf Handlungszwecke und ihre Wirkung auf Hörerinnen und Hörer sein.
Dieser Band diskutiert historische und aktuelle Materialien, die aus der Schule sowie der Wissenschaft und ihrem Umfeld stammen, und zwar aus linguistisch-pragmatischer sowie teils auch aus didaktischer Perspektive. Die Beispiele berücksichtigen das Lateinische, Italienische, Russische und Englische sowie das Deutsche als Fremdsprache und Englisch als lingua franca.
Den historischen Auftakt dieses Bandes bildet der Beitrag von Winfried Thielmann, der den Weg nachzeichnet, wie sich aus einer Abkehr von einem autoritären Wissenschaftsverständnis der Scholastik hin zu einem solchen, das auf die argumentative Durchsetzung von Wissen in einer Konkurrenzsituation angewiesen ist, eine Zuwendung zu den europäischen Vernakulärsprachen ergab. Am Beispiel der Physik mit ihrer vorgeblich geringen Bedeutung der Sprachlichkeit zeigt Thielmann, dass es zur argumentativen Durchsetzung strittigen Wissens der Ressourcen dieser Sprachen bedurfte. Im Hinblick auf die aktuelle Diskussion einer neuen wissenschaftlichen ← 7 | 8 → Universalsprache sieht er das Risiko einer Bedrohung auch durch Mehrsprachigkeit und Konkurrenz angetriebener Forschung.
Wissenskommunikation in einem weiteren Sinne und in einer ontogenetisch früheren Phase betrachtet der Beitrag von Beatrix Kreß. In einem Vergleich zweier Bildungsinstitutionen, nämlich deutscher Regelschule und (begleitender) russischer Samstagsschule, diskutiert sie transkriptgestützt den durchaus unterschiedlichen Stellenwert, der dem Argumentieren zugewiesen wird. Kreß arbeitet damit ein „kommunikatives Dilemma“ heraus, das in der schulbezogenen Mehrsprachigkeitsdiskussion dringend der Berücksichtigung bedarf.
Auch im Beitrag von Kristin Bührig stehen Daten aus der Schule im Mittelpunkt. Sie entstammen einem Geschichtsunterricht und zeigen eine interaktive Lektüre eines historischen Textes, in deren Rahmen Ansätze des Argumentierens deutlich werden. Inwiefern eine stärkere Vorbereitung auf die kommunikative Qualität des Quellentextes dieses Argumentieren noch hätte stärker entfalten können, ist eine der Schlüsselfragen, die der Beitrag über den konkreten Einzelfall hinaus aufwirft.
Mit Novizen im Erwerb von Wissenschaftssprachlichkeit setzt sich Gabriele Graefen auseinander. Auf der Basis studentischer Arbeiten im Bereich Deutsch als Fremdsprache untersucht sie den Gebrauch von Konnektoren vor dem Hintergrund der auszudrückenden logischen Relationen. Unter Anwendung der funktional-pragmatischen Felder- und Prozedurentheorie weist sie in Detailanalysen studentische Missverständnisse hinsichtlich der Funktionalität solcher Konnektoren nach, die sich hinter einer scheinbar korrekten Oberfläche verbergen.
Aus einem internationalen Forschungsprojekt stammen die Daten, die Karsten Senkbeil und Vasco da Silva diskutieren. Ihnen geht es um das Widersprechen, für das in einem wissenschaftlichen Kontext insbesondere auch die kreative Adaption und Erweiterung der persuasiven Strategien des jeweiligen Gegners charakteristisch seien – so wie dies auch für soziopolitische Widerstandsbewegungen belegt sei. Interdisziplinär lehnt sich dieser Beitrag an linguistische Pragmatik und Cultural Studies an und beleuchtet ein Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Streitkultur und Konsensdruck innerhalb der Projektgruppe.
Mit einer eher ungewöhnlichen Art des Argumentierens setzt sich Claudio Scarvaglieri auseinander, nämlich derjenigen, der es an der häufig unterstellten ← 8 | 9 → Strittigkeit von Wissensbeständen mangelt. An aussagekräftigen Beispielen ebenfalls aus einem internationalen Forschungsprojekt arbeitet er Funktionen des „konsensuellen Argumentierens“ heraus. Dessen zentralen Zweck sieht er in einer besonderen Rückversicherung z.B. vorangegangener Sprecherinnen und Sprecher, deren Position mitzutragen und gegebenenfalls zu stützen.
Argumentieren im Wissenschaftsumfeld problematisiert der Beitrag von Stephan Schlickau, der sich empirisch auf sogenannte annual meetings internationaler Forschungsprojekte stützt. Trotz ihrer Nähe zu Wissenschaft und Forschung scheint das Argumentieren hier deutlich anders und in gewisser Weise sogar unwissenschaftlich zu funktionieren. Dies wirft Fragen nach dem Zweck solcher meetings und insbesondere ihrem Status zwischen Diskursivität und Textvorbereitung (annual reports) auf, weshalb die Beiträge offenbar durch Mehrfachadressierung gekennzeichnet sind, was nicht ohne Einfluss auf das Argumentieren bleibt.
“And therefore I have chosen to define…” – sprachliche Ressourcen des Argumentierens in der Physik
Abstracts: The language of science is frequently thought to be a) not essential to the business of doing science and b) of great simplicity devoid of rhetorical flourish. This paper attempts to demonstrate, however, that the abandonment of Scholastic Latin and the creation of scientific varieties of – formerly vernacular – European languages was due to the rhetorical demands of the new, empirical sciences: You can debate logically, what Aristotle said, but you cannot debate logically what you see through a telescope. Empiricism requires linguistic devices apt to treat intersubjectivity. Scholarly Latin, however, was poorly equipped in this regard and therefore sacrificed, while early scientists of the modern era, such as Galileo and Newton, used the resources readily available in languages entertained not by a tiny group of specialists, but large societies. As an analysis of a current physics paper demonstrates, the complex rhetoric of intersubjectivity is an ongoing demand of the scientific enterprise. This is why there is no substance to the claim that ‘the language of good science is bad English’.
Wenn es um die Wissenschaftssprache der Naturwissenschaften geht, sind vor allem zwei Auffassungen präsent: dass nämlich a) Naturwissenschaft ohne viel Sprache auskommt und dass b) diese Sprachlichkeit, abgesehen vielleicht von der Terminologie, sehr einfach ist. Ein Blick in die Geschichte der europäischen Wissenschaftssprachen macht jedoch das Gegenteil deutlich: Die Wissenschaftssprache der Scholastik, also die wissenschaftliche Varietät des Lateinischen, wurde von den frühen Naturwissenschaftlern aufgegeben, da sie für bestimmte komplexe sprachliche Anforderungsbereiche neuzeitlicher empiriegeleiteter Wissenschaft, nämlich vor allem denjenigen der sprachlichen Bearbeitung von Intersubjektivität, unzureichend ausgebaut war. Aus diesem Grund wurden die vormaligen europäischen Vernakulärsprachen zu Wissenschaftssprachen ausgebaut, da sie als gesamtgesellschaftlich getragene Sprachen die entsprechenden Ressourcen vorhielten. Die hochkomplexe wissenschaftliche Eristik, um deretwillen die vormalige ‚universale‘ Wissenschaftssprache aufgegeben wurde, zeichnet jedoch nicht nur die Texte etwa eines Galilei oder Newton aus, sondern ist, wie an einer modernen englischsprachigen Veröffentlichung aus der ← 11 | 12 → Physik gezeigt wird, auch für die moderne Naturwissenschaft prägend. Vor diesem Hintergrund stimmen zwei Dinge nachdenklich: dass nämlich a) der Aufbruch in die Vernakulärsprachen, der der Motor der europäischen Wissenschaftsentwicklung gewesen ist, gerade zugunsten des Englischen rückgängig gemacht wird, und dass b) dies häufig auch noch mit der Vorstellung nicht anglophoner Wissenschaftler einhergeht ‘that the language of good science is bad English’.
1 Vorbemerkungen
Details
- Seiten
- 192
- Erscheinungsjahr
- 2017
- ISBN (ePUB)
- 9783631701003
- ISBN (MOBI)
- 9783631701010
- ISBN (PDF)
- 9783653065619
- ISBN (Hardcover)
- 9783631673225
- DOI
- 10.3726/b10813
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2017 (April)
- Schlagworte
- Mehrsprachigkeit Deutsch als Wissenschaftssprache Schule Englisch als lingua franca Linguistische Pragmatik Interkulturelle Kommunikation
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 192 S.