Lade Inhalt...

Karriere und Karriereknick. Der Arktisforscher Karl Gripp (1891-1985) zwischen Weimar, Weltkrieg und Wiederaufbau

von Knut-Hinrik Kollex (Autor:in)
©2021 Dissertation 186 Seiten
Reihe: Kieler Werkstücke, Band 56

Zusammenfassung

Wissenschaftsgeschichtlich ist die Disziplin der Geologie bislang kaum in Erscheinung getreten. Der Fall des Geologieprofessors und Arktisforschers Karl Gripp verdeutlicht allerdings, dass sich die Frage nach Karriereverläufen von Hochschullehrern vor den wissenschaftspolitischen Gegebenheiten in den Umbruchphasen zwischen 1914 und dem Wiederaufbau nach 1945 nicht auf einzelne, exponierte Fächer beschränken muss. Anhand seines komplexen Lebenslaufes zeigt die Studie, wie sich Anpassungsstrategien und Nützlichkeitserwägungen auch in vermeintlich unpolitischen Fachbereichen auf eine Wissenschaftlerkarriere anwenden ließen; biographische Brüche konnten sich je nach System hemmend oder förderlich auf die individuelle Karriere auswirken. Zudem bietet die Studie einen Einblick in die deutsche Arktisforschung während der Zeit der Weimarer Republik, deren Bedeutung als akademisches Karrieresprungbrett bislang noch kaum erforscht ist.
Die Untersuchung wurde mit dem Nachwuchspreis der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte ausgezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 1.1. Hinführung
  • 1.2. Fragestellung und Erkenntnisinteresse
  • 1.3. Methodisches Vorgehen
  • 1.4. Quellen und Literatur
  • 2. Vom Werden des Wissenschaftlers – Karl Gripps frühe Karriere
  • 3. Vom Reisen des Wissenschaftlers – Karl Gripp als Arktisforscher
  • 3.1. Die Expedition nach Spitzbergen im Jahr 1925
  • 3.1.1. Spitzbergen im Kontext – Ein Zankapfel in der Arktis
  • 3.1.2. Zielsetzung, Finanzierung und Vorbereitung
  • 3.1.3. Reiseverlauf
  • 3.1.4. Ergebnisse und Veröffentlichungen
  • 3.2. Die Expedition nach Spitzbergen von 1927
  • 3.2.1. Zielsetzung, Vorbereitung und Finanzierung
  • 3.2.2. Reiseverlauf
  • 3.2.3. Ergebnisse und Veröffentlichungen
  • 3.3. Die Expedition nach Grönland von 1930
  • 3.3.1. Reiseverlauf
  • 3.3.2. Ergebnisse und Veröffentlichungen
  • 3.4. Karl Gripp als Arktisforscher – ein Zwischenfazit
  • 4. Vom Hochschullehrer – Karl Gripp an den Universitäten Hamburg und Kiel
  • 4.1. Der Karriereknick – die Entlassung in Hamburg
  • 4.1.1. Der verhängnisvolle Streit mit Siegfried Passarge
  • 4.1.2. Das vorläufige Karriereende – Karl Gripp, ein Opfer nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik?
  • 4.2. Der Zweck und die Mittel – Karl Gripp, Gauleiter Hinrich Lohse und die Berufung nach Kiel
  • 4.3. Von Weiterbeschäftigung und Wiedereröffnung – Karl Gripp, die Briten und das Ordinariat
  • 5. Von einer außergewöhnlichen Karriere – Zusammenfassung und Fazit
  • 6. Abkürzungen
  • 7. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • 8. Abbildungsverzeichnis
  • Reihenübersicht

←8 | 9→

1. Einleitung

1.1. Hinführung

„Zu streben, zu suchen, zu finden und nicht zu weichen“ lautet die Inschrift eines einsamen Holzkreuzes am Hut Point der antarktischen Ross-Insel.1 Gewidmet ist es dem britischen Polarforscher Robert Falcon Scott und seinen vier Begleitern, die für den Versuch der Ersterreichung des Südpols im März 1912 mit dem Leben bezahlten.2 Doch welchen Nutzen brachte dieses Hauptziel ihrer in jeder Hinsicht kostspieligen Expedition, abgesehen von einer durch den ausufernden Nationalismus jener Zeit übersteigerten Überhöhung ihres Opfers durch die Nachwelt?3 Obschon eine Antwort darauf nicht leicht zu finden sein dürfte, hat die grundsätzliche Frage nach dem allgemeinen Nutzen von Forschung und Wissenschaft eine fortdauernde Relevanz. Längst hat sie in die Entscheidungskategorien der meisten öffentlichen und privaten Forschungsfinanciers zur Vergabe von Sach- und Geldmitteln in unterschiedlicher Form Eingang gefunden.4

←9 | 10→

Schon deshalb müssen und mussten sich Forscherinnen und Forscher auch selbst mit dieser Problematik auseinandersetzen – wenn auch nicht allein, um besagte Geldgeber von der Finanzierung ihrer Vorhaben zu überzeugen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist hierfür stets die Wahl eines Forschungsprojekts geblieben, das die größtmögliche Aufmerksamkeit (nicht nur) der Fachwelt verspricht, um im starken Konkurrenzgefüge mit anderen Wissenschaftlern einen entscheidenden Vorteil für den Sprung auf die ultimative Karrierestation zu erhalten: auf eine Position, die eine unabhängige Forschungstätigkeit mit einer komfortablen finanziellen Absicherung verbindet, wie beispielsweise durch den Ruf auf einen der raren Hochschullehrstühle.5

Für die Nützlichkeitsabwägungen kommen dabei nicht nur ökonomische Aspekte in Betracht, schließlich ließen viele Forschungsreisen – wie die aufwändige „Eroberung“ der Pole – nur bedingt einen ökonomischen Gegenwert erhoffen. Dementsprechend versteht etwa Sylvia Paletschek Wissenschaft als einen Prozess, in dem neben intellektuellen Aspekten auch psychologische und soziologische Komponenten zum Tragen kommen, wobei sie das interdependente Verhältnis zwischen wissenschaftlichem, politischem und gesellschaftlichem Kontext hervorhebt.6 Verschiedentlich konnte bereits nachgewiesen werden, dass Wissenschaftler mit einer interessierten Öffentlichkeit in eine Austauschbeziehung traten, in der einerseits ein öffentliches Bildungs- und Unterhaltungsbedürfnis, andererseits das Legitimations- und ←10 | 11→Anerkennungsbedürfnis der Forscher befriedigt, bisweilen auch finanzielle Unterstützungen generiert werden konnte.7

Der Fall Scott und dessen Wettlauf mit dem Norweger Amundsen zum Pol zeigen, dass beispielsweise das nationale Prestige ein weiteres gewichtiges Argument für die Finanzierung eines solches Wagnisses sein konnte. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist also stets eine Vielzahl an Aspekten zu berücksichtigen gewesen, um die Attraktivität ihrer Forschungsthemen für potentielle Geldgeber zu bewerten und sie gegebenenfalls anzupassen. Neben eine allgemeine ökonomische oder politische Nützlichkeitsabwägung tritt dann in aller Regel auch die persönliche Karrierestrategie des Wissenschaftlers selbst.

Wie aber bestimmen Forscherinnen und Forscher die (potentielle) Nützlichkeit ihrer Erkenntnisse? Im Gegensatz zu Robert F. Scott sah sich der deutsche Geologe Karl Gripp einer ganz anderen Ausgangslage gegenüber, als er Mitte der 1920er Jahre seine erste Arktisexpedition plante. Im von den Folgen des Ersten Weltkriegs geplagten Deutschen Reich mussten etwaige nationalistisch aufgeladene Arktisabenteuer mittlerweile hinter viel drängenderen Interessen zurückstehen.8

Statt nach nationalem Heroismus strebte Gripp eine ganz andere Form der Anerkennung an, für ihn war klar: „ein Wissenschaftler kann und wird nur nach seinen gedruckten Leistungen gewertet werden.“9 Darunter verstand er nicht nur die Summe seiner Veröffentlichungen, sondern auch die Rezeption ←11 | 12→und Anerkennung seiner Arbeit durch die Fachwelt.10 Nach dieser Maßgabe muss Karl Gripp als ein überaus erfolgreicher Forscher gelten. Als er 1985 im hohen Alter von 94 Jahren starb, hatte er eine beeindruckende Zahl von Publikationen vorzuweisen und arbeitete bis zuletzt an weiteren wissenschaftlichen Studien.11 Dabei lag ein langes Leben der geologischen Forschung hinter ihm, die in vielen Aspekten ihrer Zeit voraus war. So schrieb etwa sein niederländischer Fachkollege Jaap van der Meer im Jahr 2004, es habe ihn „wie ein Schock“ getroffen, dass die von ihm „verschlungenen“ geologischen Studien Karl Gripps aus den 1980ern auf denselben Autoren zurückgingen, der schon in den 1920ern (60 Jahre zuvor) wichtige und bis heute relevante geologische Veröffentlichungen gemacht hatte.12 Ihm folgend, müsste man Karl Gripp also als einen überaus bedeutenden Wissenschaftler sehen.

Außerhalb der Geologie hat er hingegen kaum Bekanntheit erlangen können. Das mag auch daran liegen, dass die Geologie als Fach bislang in der historischen Forschung unterrepräsentiert ist und sich eine eigene „history in science“ der Geologie selbst kaum finden lässt. Lediglich ein Feld lässt sich hiervon ausnehmen: Die oft von Geologen betriebene Forschung in Arktis und Antarktis hat in der Wissenschafts- und Populärliteratur einen weit bedeutenderen Stellenwert erringen können.13 Insofern ist es wiederum überraschend, dass der von seinen Fachkollegen so positiv rezensierte Karl Gripp in der ←12 | 13→Öffentlichkeit keinen nachhaltigen Bekanntheitsgrad erlang hat, obwohl er zwischen 1925 und 1930 insgesamt drei Expeditionen nach Spitzbergen sowie nach Grönland unternahm. Dennoch krönte seine wissenschaftliche Karriere ab 1945 ein Ordinariat für Geologie und Paläontologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Da seine Forschungsreisen zeitlich zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere stattfanden, liegt die Vermutung nahe, dass sie zumindest für Gripps akademische Laufbahn nützlich, vielleicht sogar entscheidend waren.

1.2. Fragestellung und Erkenntnisinteresse

Die Frage, ob Expeditions- und Forschungsreisen ganz allgemein als Karrieresprungbrett gelten dürfen, ist bisher noch kaum erforscht worden.14 Als Betrachtungsobjekt drängt sich die Wissenschaftlerbiographie Karl Gripps, der sowohl in Hamburg als auch an der Kieler Universität lehrte und forschte, geradezu auf, erstreckte sie sich doch über insgesamt vier politische Systeme (fünf, zählt man die alliierte Besatzungszeit nach 1945 mit). Bezieht man diesen historischen Kontext mit ein, lässt sich untersuchen, wie sich die Brüche in Politik und Wissenschaft, aber auch die persönlichen Brüche in der Laufbahn Gripps als Hochschullehrer und Forscher auswirkten.

Dabei stellt sich die Frage, ob sich Gripps Reisen in Beziehung zu dessen akademischer Laufbahn setzen lassen, welchen Nutzen sie also für seinen Karriereverlauf hatten und welche Impulse sie ihm für seine Karrierestrategien lieferten. Einerseits sind also Erkenntnisse über den spezifischen Nutzen arktischer Forschungen für einen Wissenschaftler zu erwarten, andererseits lässt sich aber auch eine Aussage über die Bedeutung und Bedeutungsentwicklung deutscher Arktisforschung besonders nach dem Zusammenbruch deutscher Expansionsbestrebungen am Ende des Ersten Weltkrieges treffen. Aus dem Karriereweg Karl Gripps soll also der Stellenwert seiner Arktisforschungen sowohl für den Forscher selbst, als auch für die deutsche Hochschul- und Wissenschaftspolitik in der unter diesem Gesichtspunkt kaum erforschten Zeit zwischen Weimarer Republik und Nachkriegszeit herausdestilliert und ←13 | 14→so Rückschlüsse auf ihre Bedeutung für wissenschaftliche Karrierechancen gezogen werden.

Das beginnt mit der Frage, wie Gripp seine Reisen organisieren und vor allem finanzieren konnte. Denn nicht selten hatten Geldgeber für derartige Reisen ganz eigene Ziele vor Augen, die meist nicht mit den wissenschaftlichen übereinstimmten.15 Standen die Arktisreisen Gripps in der Tradition der imperialen deutschen Forschung vor 1914 oder entwickelte sich in der Weimarer Republik eine ganz eigene spezifische Interessenlage, die sich in Gripps Ambitionen widerspiegelte? Die Frage nach dem Einfluss von Politik auf den Forschungsprozess bezieht sich dabei nicht allein auf die Expeditionsreise selbst, sondern insbesondere auf die Phase der Auswertung und der Ergebnispublikation. Denn das arktische Forschungsprojekt war längst nicht mit der Rückkehr in die Heimat abgeschlossen, sondern markierte nur den Beginn eines langen Erkenntnisprozesses, wie sich auch an der schon genannten Publikation Gripps in weit späteren Jahren zeigt.

Die angesprochene Frage der Forschungsfinanzierung nimmt für die Analyse einer mutmaßlichen Karrierestrategie eine Schlüsselrolle ein. Nicht nur für die konkrete Reise, sondern auch für die Phase der Auswertung und Aufbereitung seiner Expeditionsergebnisse brauchte der Forscher eine finanziell abgesicherte Stellung. Das war nicht immer einfach, denn die Zahl der Ordinarien an den deutschen Hochschulen blieb eng begrenzt und nahm im Verhältnis zu den immer stärker vertretenen Privatdozenten relativ sogar ab.16 Es stellt sich hier also erneut die von Mitchell G. Ash aufgeworfene Frage, welche Ressourcen- bzw. „Ermöglichungsverhältnisse“17 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einzugehen bereit waren. Gerade diese Verhältnisse zwischen verschiedenen Akteuren beschreiben die Verzahnung von Wissenschaft und Politik unter dem Aspekt der Gewährung wechselseitiger Vorteile, wie etwa ←14 | 15→Forschungsfinanzierung und Institutsausstattung auf der einen und Prestige und ideologische Rechtfertigung auf der anderen Seite.

Das führt im konkreten Fall einerseits zu der Überlegung, welche Ressourcen Gripp für seine Reisen generieren konnte und was er dafür als Gegenleistung erbringen konnte und musste. Dies ist vor allem deshalb interessant, weil die Zeit der Weimarer Republik, insbesondere deren Spätphase, in die Gripps Reisen fallen, als eine Zeit mit außerordentlich schwieriger Finanzlage, auch in Fragen der Wissenschaftsfinanzierung gilt.18 Daneben darf allerdings auch der Übergang von Weimarer Republik zu NS-Staat nicht aus dem Fokus geraten. Gerade hier lässt sich erwarten, dass Forscherinnen und Forschern spezifische politisch-ideologische Vorgaben gemacht wurden, die manche dazu bewegte, sich in den Dienst des NS-Regimes zu stellen oder die eigene Karriere – zumindest in Deutschland – aufzugeben.19 Viele Forschende stellten sich ganz bewusst in den Dienst des Nationalsozialismus, teils aus politischer Überzeugung, teils auch um eigene Forschungsvorhaben zu sichern oder neue zu begründen.20 ←15 | 16→Ash betont, dass der Zugang zu Ressourcen durchaus im gegenseitigen Austausch und mithilfe unterschiedlicher Netzwerke funktionierte.21 Dabei wurde Wissenschaft einerseits als Ressource für Politik gebraucht, gleichzeitig konnten Wissenschaftler aber auch die Politik als Förderer ihrer eigenen wissenschaftlichen Vorhaben gewinnen.22 Wie änderten sich diese Verhältnisse und Interessenlagen während der Zeit des Nationalsozialismus? Wie änderte sich die Bewertung von Gripps Arktisforschung?

Für den Fall Karl Gripps ist bedeutend, dass dieser im Jahr 1934 in Hamburg aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen, 1940 jedoch in Kiel außerordentlicher Professor wurde. Für diesen Wechsel könnten bessere Forschungsbedingungen ausschlaggebend gewesen sein, denn mit dem „Deutschen Archiv für Polarforschung“ befand sich in Kiel bis 1958 ein Vorläufer des heutigen Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven.23 Das für den Fall Gripp relevante Kolonialinstitut Hamburg hatte hingegen mit dem Ende des Kaiserreichs und seiner Kolonien ein großes Maß an wissenschaftlichen und damit ein ebenso hohes an beruflichen Perspektiven eingebüßt.24 Im Hinblick auf seine Entlassung ist zu untersuchen, ob Gripp möglicherweise als regimefeindlicher Dissident an der Kieler Universität Aufnahme gefunden hat. Zwar galt die Hamburger Universität (in der NS-Zeit „Hansische Universität“) als nationalsozialistische Musteruniversität, doch aus dem bisherigen Forschungsstand zur Kieler Universität lässt sich eigentlich gerade nicht schließen, dass Kiel in den 1930er Jahren ein Hort des Liberalismus und Antifaschismus war.25 Aus dem Wechsel einer Person ←16 | 17→an eine andere Universität sowie dem Vergleich der jeweiligen Hochschulen lassen sich weitere wertvolle Hinweise ableiten. Dabei drängen sich gerade auch im Hinblick auf die Geschichte der Universitäten Hamburg und Kiel weitere Fragen auf. So wurde etwa festgestellt, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Kieler Universität meist den Höhepunkt und Abschluss einer wissenschaftlichen Karriere darstellte. Forschungsreisen hatten viele Angehörige des Kieler Lehrkörpers lediglich vor ihrer Zeit an der Christiana Albertina26 unternommen.27 Es lassen sich aus Gripps Einzelfall heraus also auch einige Erkenntnisse zur jeweiligen Universitätsgeschichte gewinnen, wobei insbesondere die Kieler Geologie und ihre Rolle bei der Erforschung der Arktis ein weitgehendes Forschungsdesiderat darstellt.28

1.3. Methodisches Vorgehen

Für die Analyse der Gripp’schen Karrierestrategie greift die Studie auf Methoden der Biographik zurück, wobei es hierbei gilt, einige Fallstricke zu vermeiden. Wiederholt wurde bemängelt, dass es dieser Methode an einer geschlossenen theoretischen Grundlage fehle.29 Was sich für die herkömmliche Auseinandersetzung mit Expeditionsreisenden als problematisch erwies, galt lange ebenso für die Biographik: Sie fokussierte sich auf die Darstellung klassischer Heldengeschichten von Staatsmännern, Kriegsheroen oder populären Wissenschaftlern und war so mehr Würdigung als Reflexion. Besonders ausgeprägt wurde diese Form der Beschäftigung mit dem Lebenswerk einzelner Individuen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zelebriert, die ←17 | 18→einem „erneuerten Historismus“30 entsprechen sollte und einem „Genie- und Individualitätsideal“ verpflichtet war.31 Damit war die Nähe der Biographie zur Gattung der Festschrift oder des Nachrufs deutlich ausgeprägter als die zur analytischen Studie, und sie verzeichnete folgerichtig – vor allem ab den 1980er Jahren – einen spürbaren Bedeutungsverlust.32

Ihre Wiedergeburt verdankte die Biographie nicht zuletzt dem Aufschwung der Wissenschafts- und Historiographiegeschichte.33 Zwischenzeitlich war geradezu von einem „Boom“34 der Biographik oder gar von einem „biographical turn“35 die Rede. Insbesondere sozialgeschichtliche Studien haben nach dem Aufkommen der Mikro- und Alltagsgeschichte die verborgenen Potentiale der Biographik für sich entdeckt. So wurde verstärkt versucht, über die Untersuchung von Einzelpersonen bisher weitgehend unbeachtete Gesellschaftsgruppen zu erschließen, vor allem, um Zugänge zum Leben einfacher Menschen zu finden und die „Geschichte von unten“ zu erforschen.36 ←18 | 19→Gerade in jüngerer Zeit haben neue Studien gezeigt, welchen Erkenntnisgewinn biographische Methoden auch im Bereich der Wissenschaftsgeschichte haben können.37 Mit dem Wegfall der Beschränkung auf die großen Namen wurde so der Weg freigemacht für die Beschäftigung mit Wissenschaftlern, die innerhalb der akademischen Fachöffentlichkeit große Bedeutung haben, außerhalb von ihr aber wenig bekannt geworden sind – wie der hier untersuchte Geologe Karl Gripp.38

Details

Seiten
186
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631826652
ISBN (ePUB)
9783631826669
ISBN (MOBI)
9783631826676
ISBN (Hardcover)
9783631826645
DOI
10.3726/b17153
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Wissenschaftsgeschichte Arktisforschung Wissenschaftlerkarriere Biographie Gripp, Karl Christian Johannes Nationalsozialismus Weimarer Republik Kaiserreich Geologie Universitätsgeschichte
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 186 S., 10 s/w Abb.

Biographische Angaben

Knut-Hinrik Kollex (Autor:in)

Knut-Hinrik Kollex studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, wo er seit 2016 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Regionalgeschichte tätig ist. Seine Forschungsschwerpunkte sind die politische Kultur- und Transformationsgeschichte des 20. Jahrhunderts, die deutsche Arktisforschung sowie die Geschichte Schleswig-Holsteins im 19. und 20. Jahrhundert.

Zurück

Titel: Karriere und Karriereknick. Der Arktisforscher Karl Gripp (1891-1985) zwischen Weimar, Weltkrieg und Wiederaufbau
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
188 Seiten