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1167 vor Rom

Studien zum Krankheitsausbruch auf dem vierten Italienzug Kaiser Friedrichs I. Barbarossa

von Monja Schünemann (Autor:in)
©2025 Dissertation 420 Seiten

Zusammenfassung

Der vierte Italienzug Kaiser Friedrichs I. nahm im Sommer des Jahres 1167 vor Rom ein jähes Ende. Scheinbar plötzlich starben Tausende aus seinem Gefolge an einer mysteriösen Erkrankung. Bislang wurde dieses Sterben im kaiserlichen Tross geschichtswissenschaftlich auf das Erstellen einer retrospektiven Diagnose verengt. Dabei bieten die überaus zahlreichen Quellen Einblick in die historiographische Bewältigung von Krankheit, die, je nach Tendenz und Perspektive im Alexandrinischen Schisma, mit ganz unterschiedlichen Erzählweisen aufwartete. Es zeigt sich, dass nicht nur die Sicht auf die bislang anerkannte retrospektive Diagnose verändert werden muss, sondern auch die Beurteilung des kaiserlichen Kaplans, Gottfried von Viterbo, der die Ereignisse in einem Gedicht festhielt, revidiert werden. Zeigen sich doch bei näherer Betrachtung hinter seinem Gedicht keinesfalls die dereinst so stark kritisierten „heruntergeleierten Verse“, sondern ein Lehrgedicht in imagines agentes.

Inhaltsverzeichnis

  • Umschlag
  • Schmutztitel
  • Medizingeschichte im Kontext
  • Titelseite
  • Copyright-Seite
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Forschungsstand
  • 1.2 Fragestellung und Methoden
  • 1.3 Die Quellen
  • 2. Friedrich I. Barbarossa zwischen Kirchenspaltung, Krieg und Krankheit
  • 2.1 Der lange Weg nach Rom
  • 2.2 Medizin, Krankheit und Gesundheit im 12. Jahrhundert
  • 3. Retrospektive Diagnose Ruhr?
  • 3.1 Zu den historischen Symptomen und zum Problem der Inkubationszeit der Erkrankung von 1167
  • 3.1.1 Gottfried von Viterbo und der Gestank der anderen?
  • 3.1.2 Eine plötzliche Erkrankung nach Regen?
  • 3.1.3 Die historischen Symptome von 1167 und der Krankheitsverlauf
  • 3.2 Die infrage kommenden Krankheiten
  • 3.2.1 Die Shigellose (Ruhr)
  • 3.2.2 Das Fleckfieber
  • 3.2.3 Der Typhus
  • 3.3 Die Revision der epidemiologischen Studie. (K)Eine Krankheit?
  • 4. Historiographische Krankheitsbewältigung im 12. und 13. Jahrhundert
  • 4.1 Das Wetter als Motiv der Krankheitsbewältigung
  • 4.2 Die weltliche Aneignung des sakralen Raums
  • 4.3 Der Zusammenhang von Krieg und Krankheit in der historiographischen Krankheitsbewältigung
  • 4.3.1 Sterben trotz des Kaisers
  • 4.3.2 Sterben wegen des Kaisers
  • 4.3.3 Sterben durch den Kaiser
  • 4.4 Wahrnehmung von Krankheit: Der honor imperii als Ursache und seine Schädigung als Folge von Krankheit
  • 4.4.1 Die Ehre Einzelner – die Ehrlosigkeit der anderen
  • 4.4.2 Ehrübertragung von den Lebenden auf den Toten.
  • 5. Gottfried von Viterbos Verteidigungsschrift für Barbarossa in imagines agentes nach den ciceronischen Circumstanzen
  • 5.1 Ars memoriae. Die Gedächtniskunst in imagines agentes und die Circumstanzen
  • 5.2 Die fünf imagines agentes im Gedicht Gottfrieds
  • 5.2.1 Imago agens I
  • 5.2.2 Imago agens II
  • 5.2.3 Imago agens III
  • 5.2.4 Imago agens IV
  • 5.2.5 Imago agens V
  • 5.3 Zu den möglichen Adressaten der Gesta Friderici
  • 6. Fazit: 1167 vor Rom. Historiographische Bewältigungen vor dem Hintergrund äußerst individueller Bewältigungsmotive
  • Anhang
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Quellen
  • A. Ungedruckte Quellen
  • B. Filme
  • C. Gedruckte Quellen
  • Darstellungen

Medizingeschichte im Kontext

Herausgegeben von Karl-Heinz Leven, Mariacarla Gadebusch Bondio, Hans-Georg Hofer, Livia Prüll und Nadine Metzger

Begründet als Freiburger Forschungen zur Medizingeschichte von Ludwig Aschoff, fortgesetzt von Eduard Seidler

Band 28

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort

  2. 1. Einleitung

    1. 1.1 Forschungsstand

    2. 1.2 Fragestellung und Methoden

    3. 1.3 Die Quellen

  3. 2. Friedrich I. Barbarossa zwischen Kirchenspaltung, Krieg und Krankheit

    1. 2.1 Der lange Weg nach Rom

    2. 2.2 Medizin, Krankheit und Gesundheit im 12. Jahrhundert

  4. 3. Retrospektive Diagnose Ruhr?

    1. 3.1 Zu den historischen Symptomen und zum Problem der Inkubationszeit der Erkrankung von 1167

      1. 3.1.1 Gottfried von Viterbo und der Gestank der anderen?

      2. 3.1.2 Eine plötzliche Erkrankung nach Regen?

      3. 3.1.3 Die historischen Symptome von 1167 und der Krankheitsverlauf

    2. 3.2 Die infrage kommenden Krankheiten

      1. 3.2.1 Die Shigellose (Ruhr)

      2. 3.2.2 Das Fleckfieber

      3. 3.2.3 Der Typhus

    3. 3.3 Die Revision der epidemiologischen Studie. (K)Eine Krankheit?

  5. 4. Historiographische Krankheitsbewältigung im 12. und 13. Jahrhundert

    1. 4.1 Das Wetter als Motiv der Krankheitsbewältigung

    2. 4.2 Die weltliche Aneignung des sakralen Raums

    3. 4.3 Der Zusammenhang von Krieg und Krankheit in der historiographischen Krankheitsbewältigung

      1. 4.3.1 Sterben trotz des Kaisers

      2. 4.3.2 Sterben wegen des Kaisers

      3. 4.3.3 Sterben durch den Kaiser

    4. 4.4 Wahrnehmung von Krankheit: Der honor imperii als Ursache und seine Schädigung als Folge von Krankheit

      1. 4.4.1 Die Ehre Einzelner – die Ehrlosigkeit der anderen

      2. 4.4.2 Ehrübertragung von den Lebenden auf den Toten.

  6. 5. Gottfried von Viterbos Verteidigungsschrift für Barbarossa in imagines agentes nach den ciceronischen Circumstanzen

    1. 5.1 Ars memoriae. Die Gedächtniskunst in imagines agentes und die Circumstanzen

    2. 5.2 Die fünf imagines agentes im Gedicht Gottfrieds

      1. 5.2.1 Imago agens I

      2. 5.2.2 Imago agens II

      3. 5.2.3 Imago agens III

      4. 5.2.4 Imago agens IV

      5. 5.2.5 Imago agens V

    3. 5.3 Zu den möglichen Adressaten der Gesta Friderici

  7. 6. Fazit: 1167 vor Rom. Historiographische Bewältigungen vor dem Hintergrund äußerst individueller Bewältigungsmotive

  8. Anhang

    1. Abkürzungsverzeichnis

    2. Abbildungsverzeichnis

  9. Quellen- und Literaturverzeichnis

    1. Quellen

      1. A. Ungedruckte Quellen

      2. B. Filme

      3. C. Gedruckte Quellen

  10. Darstellungen

Vorwort

Während meines Masterstudiums der Geschichtswissenschaften an der Freien Universität Berlin belegte ich ein Seminar zur kurialen mittelalterlichen Geschichte bei Prof. Dr. Matthias Thumser, nicht ahnend, dass ein Teilaspekt dieses Seminars, der Ausbruch der Erkrankung innerhalb des Trosses Barbarossas auf seinem vierten Italienzug im Jahre 1167, mich in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen würde. Professor Thumser verdanke ich darüber hinaus die Empfehlung für den Studienkurs am DHI Rom, in dessen Rahmen ich nicht nur eine Sommernacht allein auf dem Monte Mario zubringen und den Sternenhimmel wissenschaftlich beobachten, sondern auch die nächtliche Erfahrung des dort in den Sommermonaten üblichen plötzlichen Starkregens machen durfte, der wohl dem ähnelte, der bekanntlich zu der sogenannten »Katastrophe vor Rom« geführt haben soll, die diese Arbeit in den Blick nimmt. Unter dem Eindruck dieses teilweise unfreiwilligen Reenactments, das seinen Höhepunkt noch dazu wohl in den Auswirkungen eines Semifreddo aus dem dortigen Café Lo Zodiaco fand, konnten keine Zweifel mehr bestehen, dass mein Untersuchungsgegenstand und ich endgültig zusammengefunden hatten: Auch wenn das den Einwand einer retrospektiven Verklärung hervorrufen könnte, der mich verdächtigte, mit dem Forschungsgegenstand lebensweltlich durch romantische Sternennächte verbunden zu sein: Ich bin dieser Zeichenhaftigkeit, in erster Linie aber meinem Interesse gefolgt.

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2023/2024 vom Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen und am 06.06.2024 verteidigt. Für die Drucklegung wurden geringfügige Umarbeitungen vorgenommen. Es ist mir angenehme Pflicht zu danken. Dieser Dank richtet sich zunächst an meine Betreuerinnen, Prof. Dr. Barbara Schlieben und PD Dr. Laury Sarti, dafür, dass sie mich durch das Projekt hindurch gefordert, gefördert sowie ermutigt haben. Zu danken habe ich auch Prof. Dr. Wolfgang Uwe Eckart, der das Dissertationsvorhaben bis kurz vor seinem Tod als Zweitbetreuer noch intensiv begleitete. Bereits meine ersten Überlegungen begleitete noch Prof. Dr. Gerhard Baader während meines Studiums. Die Fertigstellung der Dissertation wurde im Rahmen einer Mitarbeiterstelle am Lehrstuhl für die Geschichte Europas im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit von Prof. Dr. Martin Clauss an der Technischen Universität Chemnitz sowie einer Mitarbeiterstelle am Lehrstuhl für Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin von Prof. Dr. Bettina Hitzer an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ermöglicht. Für den gewährten Freiraum danke ich Prof. Clauss und Prof. Hitzer herzlich.

Meinen Dank schulde ich ebenfalls den Mitarbeitern der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Bamberg unter der Leitung von Prof. Dr. Bettina Wagner für die unkomplizierte und freundliche Bereitstellung von Detailaufnahmen und Digitalisaten. Interdisziplinäre Ermutigung erfuhr ich durch Prof. Dr. Horst Bredekamp, dem ich dafür herzlich danke. Dr. Klaus Jäger vom Max-Planck-Institut für Astrophysik schulde ich Dank für die Überprüfungen meiner Berechnungen in der Computersimulation der Sternenkonjunktionen und für Informationen zu historischen Sternbildgrenzen.

Des Weiteren möchte ich Dr. Ralf Lützelschwab und Dr. Stephan Waldhoff von Herzen für jede Kritik und auch für ihre emotionale Unterstützung danken. Vor allem Dr. Lützelschwab legte den Grundstein für mein Interesse an der Epoche des Mittelalters, das mich nun schon so viele Jahre trägt und leitet. Dr. Waldhoff stellte und stellt grundsätzlich immer die richtigen drei Fragen. Ein Dissertationsvorhaben, noch dazu in den Zeiten einer Pandemie, birgt so manche Momente und Herausforderungen aller Art, in denen eine Selbstmotivation nur durch ein Schokoladeneis und/oder einen Kaffee erreicht werden kann. Für sehr viel davon, und alles, was sich damit verbindet, danke ich Friedrich Haufe und Dr. Stefanie Bellach, während ich Jana Langer für so einige Päckchen und Karten zu herzlichstem Dank verpflichtet bin, über deren Inhalte sich öffentlich nur aussagen lässt, dass sie sehr kohlehydrathaltig waren und mich mit der Tatsache konfrontierten, dass neuronale Organe als textile Erzeugnisse sich in ernsten Situationen äußerst stressbewältigend auswirken können.

Ich widme diese Arbeit meinem Mann Volker, meinem Sohn Yannick und seiner Frau Helene aus den Gründen, die jede Familie nachvollziehen kann, die je aus nächster Nähe ein Dissertationsprojekt miterleben und mit-leben durfte. Für Alles und auch für viele, für sie nicht so spannende Kilometer zu Fuß auf der weiteren Romreise seit meiner ersten Nacht auf dem Monte Mario meinen innigsten Dank und meine Liebe.

Berlin im Oktober 2024

Monja Katja Schünemann

Kapitel 1 Einleitung

Bei den Vatikanischen Museen zweigt von der Via Leone IV die Via Trionfale nach links ab und bringt denjenigen, der sie geht, auf den Monte Mario im Nordwesten Roms; den größten Hügel der Stadt. Wer die 139 Meter überwindet und in der Nähe des Osservatorio Astronomico di Roma das Naturreservat auf dem Berg betritt, dem liegt ganz Rom in einer atemberaubenden Aussicht buchstäblich zu Füßen. Mit dem Genuss des phänomenalen Panoramas befindet der Betrachter sich historisch in bester Gesellschaft: Raffael (1483–1520) entwarf für diesen Ort den Plan der Villa Madama, Künstler wie Ernst Ferdinand Oehme (1797–1855) haben hier gezeichnet; und auch Goethe (1749–1832) war auf seiner italienischen Reise dort.1

Der Blick auf die Stadt gab dem Berg seinen mittelalterlichen Namen. Mons gaudii, Freudenberg, nannten ihn die Pilger, die die Via Francigena von Norden her bis an diesen Punkt getragen hatte, an dem alle Strapazen vorbei waren und der lange, beschwerliche Weg endlich endete.2 Sönke Wortmann hielt diesen Moment des Ankommens, Rom-Sehens auf dem Berg in seiner Romanverfilmung »Die Päpstin« fest.3 Doch nicht nur die Aussicht auf dem Berg ist historisch, sondern auch er selbst ist geschichtsträchtig. Nichts erinnert den heutigen Besucher daran, dass er sich an dem Ort aufhält, an dem sich über Jahrhunderte das traditionelle Heerlager der Kaiser befand, wenn diese auf ihren Italienzügen, vor allem zu ihren Kaiserkrönungen, nach Rom kamen.4

Der Berg mit seinem phänomenalen Panorama kennt jedoch nicht nur Freude und Erleichterung, sondern auch Tod, Schmerz und Verzweiflung. Das geflügelte Wort »Rom sehen und sterben«5 wurde hier im Sommer des Jahres 1167 für Tausende im Gefolge des vierten Italienzuges Kaiser Friedrichs I. Barbarossa (1122–1190) grausame Wirklichkeit.6 Anscheinend plötzlich starben an einer mysteriösen Erkrankung vor Rom Männer aller hierarchischen Positionen. Bischöfe und Edle aus dem kaiserlichen Tross traf die Krankheit genauso wie unzählige Menschen, deren Namen heute vergessen sind, nachdem Kaiser Friedrich I. Paschalis III. (1164–1186) gewaltsam in Rom inthronisiert und Papst Alexander III. (1159–1181) aus der Stadt vertrieben hatte.7 Die Auflistung der prominentesten Opfer der Erkrankung liest sich denn auch wie ein Who’s who des Reiches des 12. Jahrhunderts: Bischof Daniel von Prag starb am 9. August, Alexander II. von Lüttich am selben Tag oder einen Tag später, Hermann von Verden am 10. August, der Erzbischof von Köln, Rainald von Dassel, am 14. August.8

Nachdem der kaiserliche Tross aus Rom abgezogen war, begleitete der Tod ihn durch die Toskana, wo ihm am 19. August Friedrich von Schwaben, der Sohn König Konrads III., am 21. August Graf Berengar von Sulzbach, Bischof Eberhard von Regensburg am 24. August, Welf VII. am 12. September und der Historiograph Acerbus Morena am 18. Oktober – dieser in Siena – zum Opfer fielen. Graf Heinrich von Nassau, Graf Ludolf I. von Dassel, Heinrich von Lippe, Markward von Leuchtenberg und Herzog Diethold von Böhmen verloren ihr Leben ebenso, doch ist deren genaues Todesdatum nicht überliefert, während Kaiser Friedrich I. Barbarossa überlebte.9

Der Umgang mit den vielen Toten erwies sich nicht nur bezüglich der Totenfürsorge, sondern auch mental als eine Herausforderung für den Tross, der das Sterben buchstäblich immer vor Augen hatte. Einer der Augenzeugen der Ereignisse, der kaiserliche Kaplan Gottfried von Viterbo (1125/1191) überliefert, wie sich zwei Knappen während der Reise ihren Bestattungsort aussuchen und Gottfried einen von ihnen deshalb heftig anfährt: „Weshalb, Du Narr, verlangst Du, während Du noch lebst, nach Gräbern?“ Die Antwort des Knappen, die Gottfried überliefert, zeugt von der eschatologischen Sorge. Es sei besser, den Lebenden Gräber zu geben, als dass die unterwegs dahingesunkenen Leiber keine bekämen.10 Die Befürchtung war nicht unberechtigt. Die Leichen der Edlen wurden auf dem Weg ausgekocht (mos teutonicus), und die Knochen den Angehörigen zur Bestattung übergeben. Unklar ist bis heute, was mit den toten Körpern der Namenlosen geschah.11

Die Nachricht vom Krankheitsausbruch im kaiserlichen Tross und den daraus resultierenden Todesfällen muss sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben. In Frankreich löste sie, bedingt durch die proalexandrinische Obödienz der Franzosen im Alexandrinischen Schisma, auch Hoffnung und Freude aus. Bereits knapp acht Wochen nach den Ereignissen auf dem Monte Mario berichtete Johann von Salisbury (1115–1180) in einem Brief an Peter den Schreiber von den Vorkommnissen vor Rom – und das voller Hoffnung. Wir ertappen den bedeutenden Theologen und zukünftigen Bischof von Chartres12 beim Verbreiten astrologischen Tratsches, der seinen Weg zu Peter den Schreiber nach England nahm:

Gott hat bereits damit begonnen, seiner Kirche Trost in ihrem Haupt zu spenden, und durch seine Barmherzigkeit wird er auch ihre Glieder stärken. Er hat den deutschen Tyrannen, den Fürsten der Schismatiker, gezwungen, sich in Verwirrung aus Rom zurückzuziehen. […] Wenn man den Astrologen Glauben schenkt (und ich für meinen Teil schenke ihnen keine große Beachtung), so wird dieses Jahr von der Anordnung der Sterne her als ein wunderbares Jahr gerechnet. […]. Ich halte diese Art von Träumen für bedeutungslos, obwohl ein Teil davon wahr zu sein scheint. Des Kaisers Räte sind gestorben, Rainald, der Erzbischof von Köln, der Usurpator von Mainz,13 die Bischöfe von Lüttich und Regensburg und viele schismatische Fürsten.14

Die zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem Ereignis eines großen Sterbens in einem kaiserlichen Heer, die in einer, für mediävistische Verhältnisse, übergroßen Quantität an Quellen auf uns gekommen ist, hatte begonnen. Bislang sind jedoch das Sterben im Heer des Kaisers in einer Gesamtbetrachtung, und die Frage nach der zeitgenössischen Aufarbeitung des Ereignisses ein Desiderat der Forschung geblieben.

1.1 Forschungsstand

Das Phänomen Krankheit bedarf bis in unsere Gegenwart in mehrfacher Hinsicht der Deutung. Zunächst zu nennen wäre die Deutung von Krankheitssymptomen als Ausdruck einer Krankheitserkennung und -benennung durch den Mediziner, die darauf abzielt, einen medizinischen Befund zu erheben, eine Diagnose zu stellen, die die Grundlage zur nachfolgenden Behandlung der Erkrankung bildet.15 Daneben existierte und existiert die theologische Deutung, die bis heute Krankheit als Zeichen Gottes, als Infragestellen des individuellen Lebenswandels oder als Ruf zur Umkehr, als Gottesstrafe, und die Heilung als Gottes Segen versteht.16 Seit der Antike existieren diese beiden Zugänge zu keiner Zeit unabhängig voneinander, sondern sind eng miteinander verschränkt und verzahnt.

Auch im Mittelalter, so Kay Peter Jankrift, waren Krankheitskonzepte und -erklärungen eingebettet zwischen zeitgenössischen medizinischen Theorien und religiösen Vorstelllungen, die der Deutung bedurften und auch gedeutet wurden. Krankheiten waren im religiösen Kontext Ausdruck einer Strafe Gottes, die den Sünder für sein Verhalten in der Welt traf, wurden aber auch verbunden mit unheilvollen Kräften und schwarzer Magie, wobei sich Medizin, Religion und Aberglauben eng verweben konnten.17 Gedeutet wurden Krankheiten also im Spannungsfeld zwischen Sündenstrafen, schwarzer Magie und medizinischer Lehrmeinung.18 Jankrift betont, dass mittelalterliche Verfasser das Motiv der gottgesandten Krankheiten als Sündenstrafen in vielen literarischen Gattungen verarbeiteten, es Eingang in die Hagiographie genauso wie in die Historiographie fand.19

Forschungsgeschichtlich verbanden sich in der positivistischen Geschichtsschreibung zunächst die beiden Deutungsvarietäten Theologie und Medizin zu einer Gesamterklärung des Ereignisses. Nach Wilhelm von Giesebrecht (1814–1889) sahen die Zeitgenossen in dem Ausbruch der Erkrankung »[…] nichts Anderes, als eine unmittelbare Strafe Gottes für die Eingriffe, welche der Kaiser und seine Rathgeber sich in die kirchlichen Angelegenheiten erlaubten, man meinte darin auch die Rache des heiligen Petrus für alle Frevel, welche die Deutschen an seinem Heilthume begangen, zu erkennen«.20 Die Folge, die sich aus dem Handeln im Schisma seitens des Kaisers ergab, war nach von Giesebrechts positivistischer Lesart der Ausbruch der Pest. Vor allem durch das Sterben der Eliten stellte sich für von Giesebrecht das Ereignis als »Katastrophe von Rom« dar – ein Begriff, der durch ihn geprägt und forschungsgeschichtlich weiter tradiert wurde.21 Seien doch unter den Opfern »hochangesehene Fürsten und Männer [gewesen], welche bisher die ersten Stellen in seinem [Barbarossas] Rathe eingenommen hatten«,22 die von Giesebrecht dann seitenlang rühmt.23

Doch folgt man Knut Görich, ist die Bewertung der Ereignisse auf dem Monte Mario als Katastrophe des Reiches durch den Untergang seiner Eliten aus politischer Sicht unzutreffend, so fest die Begrifflichkeit der Katastrophe vor Rom geschichtswissenschaftlich auch verankert erscheinen mag. So sei nicht bekannt, unter welchen Gesichtspunkten Barbarossa die Nachfolge der durch die Todesfälle frei gewordenen Positionen im Reich neu besetzte,24 doch sind keinerlei Lücken in der Besetzung der Vakanzen im Reich bekannt. Knut Görich kommt sogar zu dem Schluss, dass infolge der vielen Todesfälle unter den Eliten Barbarossa die »größte Hausmacht zufiel, über die ein deutscher König bis dahin im Südwesten des Reiches jemals verfügt hatte.«25 Zwar seien die oberitalienischen Kommunen durch das Ereignis stärker geworden, insbesondere der Lombardische Städtebund habe einen Machtzuwachs verzeichnen können, doch die Städte an der ligurischen Küste, in der Toskana, der Romagna, Städte in Umbrien, den Marken, Mittelitalien, und nicht zuletzt Rom, seien kaisertreu geblieben.26 Politisch lässt sich also keine Katastrophe erkennen, wenngleich Alberto Spataro anhand dreier Augenzeugenberichte davon ausgeht, dass das Sterben der Eliten die Struktur am kaiserlichen Hof so drastisch veränderte, dass von einem kulturellen und institutionellen Schock der Zeitgenossen gesprochen werden könne, und die Expedition von Urkunden aus der kaiserlichen Kanzlei um 70 % bis 1169 zurückging.27 Es seien vor allem die Verluste an Mitgliedern des Hofes gewesen, die zu diesem Schock geführt hätten, und nicht so sehr die Epidemie selbst; »[…] del resto malattie improvvise e circoscritte non erano di certo rare fino all’inizio del secolo scorso […]«.28 Anders als am kaiserlichen Hof aber, so Stephan Pongratz, habe die Epidemie für Papst Alexander III., abseits seiner Vertreibung aus Rom, keine weiteren Folgen gehabt.29 Doch ist der Katastrophenbegriff in diesem Kontext überhaupt weiterhin anschlussfähig und fruchtbar, um die Auswirkungen auf dieser Basis zu beurteilen?

In der mediävistischen Umwelt- und Klimageschichte wird der Katastrophenbegriff lediglich auf extreme Naturereignisse angewendet.30 Doch eine mittelalterliche Infektionskrankheit ist eben keine Flut und auch kein Erdbeben oder ein Vulkanausbruch. Aus der historischen Perspektive lässt sich ein massenhaftes Auftreten einer Infektionskrankheit auch nicht unter einem Massenphänomen einordnen, denn im zeitgenössischen Spannungsfeld von Gesundheit und Krankheit stand immer das jeweilige Individuum an sich, das durch seine Krankheit von Gott geprüft oder gestraft wurde, wobei nach der (hoch)mittelalterlichen Krankheitsvorstellung eine Kollektivstrafe nicht vorgesehen war, da es dabei um die Gesundheit und um die Seele des Einzelnen mitsamt den jeweiligen individuellen eschatologischen Konsequenzen ging.31 Das Ereignis, welches wir heute aus epidemiologischer Sicht als Großschadensereignis oder Massenanfall von Verletzten (MANV) klassifizieren, das auch Infektiologie und somit Erkrankungen mit einschließt, und nicht nur auf Unfallgeschehen angewendet wird, war dem Hochmittelalter fremd.32

Im 20. Jahrhundert stand die Frage, an welcher Erkrankung das Heer Barbarossas verstorben sei, im Vordergrund der geschichtswissenschaftlichen Betrachtungen, was, wie später gezeigt werden wird, zu einer Verengung der historischen Perspektive auf das Erstellen einer retrospektiven Diagnose führte, die dem jeweiligen gegenwärtigen medizinischen Forschungsstand fortwährend angepasst wurde.33 Diagnostizierte der Malariaforscher Angelo Celli (1857–1914) noch Malaria, attestierte der Mediävist Peter Herde eine epidemiologische Melange aus Malaria und Ruhr.34

Die retrospektive Diagnose Ruhr setzte sich im Weiteren in den Geschichtswissenschaften durch, wobei wiederum Görich vereinzelte Quellen auch im Hinblick auf ihre Oboedienz las, und zu dem Schluss kam, die Anhänger Alexanders III. hätten im Ausbruch der Erkrankung ein Gottesurteil gesehen.35

Ob die medizinische Deutung jedoch im 12. Jahrhundert dieselbe Relevanz hatte, die die heutige Zeit in ihr sieht, darf zunächst vorsichtig bezweifelt und im Folgenden untersucht werden, wenngleich im 12. Jahrhundert vorwiegend männliche medizinische Autoritäten in den Vordergrund rückten, wie Green nachwies.36 Jana Madlen Schütte zeigte auf, dass die Autorität Arzt als solche noch im 16. Jahrhundert um die Durchsetzung ihrer eigenen Hegemonie auf dem Gebiet der Medizin bemüht sein musste, da sich Ärzte einen medizinischen Markt mit Laienärzten, Barbieren, Badern und Apothekern teilten. Sie bildeten als Universitätsabsolventen erst zu dieser Zeit einen gelehrten Habitus aus, standen aber als Gelehrte der ars mechanica hinter den anderen universitären Absolventen wie den Theologen oder den Juristen zurück.37

Der Ausbruch einer Krankheit in einem Tross des Kaisers, der sich als gottunmittelbar verstand, leitet den Blick in die zeitgenössische Verflechtung von Heil und Heilung sowohl in hierarchischer als auch in herrscherlicher Hinsicht. Zwar ist bekannt, dass es im Tross Mediziner gab,38 doch war deren Handlungsspielraum auch theologisch begrenzt, was den kaiserlichen Handlungsrahmen tangiert haben könnte. Noch über dem Arzt als Heiler stand Christus. Die Tradition des Christus medicus als holistisches Konzept geht zurück auf den Asklepios-Kult und die jüdische Tradition. Körperliche Gesundheit konnte einzig durch die seelische Gesundheit erlangt werden, wodurch sich Schnittmengen zwischen der Medizin und der Theologie ergaben. Outhwaite wies eine Umdeutung des tradierten Motivs im spätmittelalterlichen Kontext der Hospitäler nach, wo die Pflegerinnen als Stellvertreterinnen der Muttergottes in der Rolle als Maria medica das Werk Christi vollbrachten und somit gleichsam eine imitatio Christi vollbringen konnten.39 Diese Diskurse um das Christus medicus Motiv, vor allem im Hinblick auf sakramentale Heilmethoden, hatten einen internationalen Charakter. Ärzte wurden dabei auch zu Rettern des Seelenheils, so wie Geistliche durch die Errettung der Seelen ebenso in die Nähe von Ärzten gerückt wurden, agierten aber in verschiedenen Ländern überaus unterschiedlich. So sehr unterschied sich der Blick auf die Verflechtung von Theologie und Medizin, dass Studenten aus Böhmen, wenn sie beispielsweise in Montpellier behandelt wurden, die dortigen Ärzte als „Ärzte des Fleisches“ (medicus carnalis) apostrophierten, die sich um den spirituellen Charakter von Erkrankungen nicht sorgten.40 Auch Heilige, so Jankrift, spielten eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Behandlung von Krankheiten, denn es war möglich, himmlische Mächte anzurufen und um Heilung oder Linderung zu bitten.41

Darüber hinaus berührte das Phänomen Krankheit aber auch das Phänomen Herrschaft an sich, was wiederum das Erkenntnisinteresse auf die kaiserliche majestas lenkt. Sabine Müller zeigte, dass es bereits in antiken Quellen die Idee gab, dass Krankheit von den Göttern geschickt, aber auch von ihnen geheilt werden konnte. Auf der Basis dieses Erklärungsmodells konnte ein Herrscher als göttlich auserwählt gekennzeichnet werden, wenn er durch wundersame Heilung genas. Dies galt vor allem für Alexander den Großen, dem im Traum eine Schlange mit einem Heilkraut in ihrem Maul erschien, mit dem der durch Schlangengift verwundete Kampfgefährte Alexanders errettet werden konnte, was auf thaumaturgische Kräfte Alexanders verwies.42

Häufig wurde von einem Ursache-Wirkungszusammenhang ausgegangen, so Stanislaw-Kemenah, um Krankheit durch göttliches Handeln, das durch das sündhafte Verhalten eines Menschen verursacht worden war, zu erklären.43 Erkrankte ein Herrscher, dann war der Verlauf der Krankheit entscheidend für das Schicksal des Herrschers. Deshalb wurden Krankheiten oft verschwiegen oder Verletzungen verborgen, bis die Handlungsfähigkeit des Monarchen wieder hergestellt war. Die herrscherliche Verfügungsgewalt war dabei an Gesundheit gekoppelt, wie Weise zeigte, wobei Medizin und Politik konfligieren konnten.44

Auch die öffentliche Gesundheit war, vor allem im römischen Kontext, seit der Antike mit der Person des Kaisers verbunden. Hatten doch vor allem die Kaiser in der numismatischen Ikonographie eine Verflechtung zwischen Salus als Ausdruck der öffentlichen Gesundheit (Salus populi Romani) und der kaiserlichen Wohlfahrt (Salus Augusti) angestrebt, und noch Papst Gregor der Große (540–604) die berühmte Ikone Salus populi Romani in den Zeiten der Pest während der Prozession zur Kirche Santa Maria Maggiore getragen.45

Das Geschick der Natur hing, wie Jankrift zeigte, vom Handeln des Herrschers ab. Ein ungerechter König war in der Lage, das Volk durch Krankheiten und Hungersnöte zugrunde zu richten, »[…] ein ungeeigneter Herrscher, der seiner Aufgabe nicht gerecht wurde, rief mithin den Zorn Gottes hervor, der sich in der Entfesselung der Naturgewalten, Hunger, Seuchen wie auch in Kriegen manifestierte«.46 Vor allem dem päpstlichen Gegenspieler Friedrichs I., Alexander III., war die Verbindung zwischen herrscherlicher Gesundheit und herrscherlicher Legitimität durchaus bekannt, und er nutzte sie in seiner Enzyklika Cor nostrum, wie Jankrift darlegte, um Balduin IV. (1161–1185) als König von Jerusalem zu delegitimieren, der an Aussatz erkrankt war.47 Die herrscherliche Physis stand somit auch sinnbildlich gleichsam für eine gute Herrschaft.48

Details

Seiten
420
Erscheinungsjahr
2025
ISBN (PDF)
9783631939147
ISBN (ePUB)
9783631939154
ISBN (Hardcover)
9783631939185
DOI
10.3726/b22985
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2025 (Oktober)
Schlagworte
Historiographische Bewältigung Ars memoriae Seuchengeschichte Barbarossa Mittelalter Medizingeschichte Imagines agentes
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2025. 420 S., 15 farb. Abb., 3 s/w Abb., 7 Tab.
Produktsicherheit
Peter Lang Group AG

Biographische Angaben

Monja Schünemann (Autor:in)

Monja K. Schünemann, seit 02/2024 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Institut für Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin), zuvor 03/2022–12/2023 an der TU Chemnitz. 2024 Promotion an der HU Berlin. Studium der Geschichtswissenschaften (2016–2018) und Geschichte/Kunstgeschichte (2013–2016) an der FU Berlin.

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Titel: 1167 vor Rom