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Äußere oder innere Offenbarung

Eine qualitative Untersuchung zur Wahl der Erziehungsziele kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

von Armin Wunderli (Autor:in)
©2016 Dissertation 351 Seiten

Zusammenfassung

Viele Kirchgemeinden bemühen sich um ein reichhaltiges Programm für Kinder. Dabei verfolgen sie bestimmte Ziele. Um diese herauszufinden, wurden im Rahmen dieser Arbeit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus katholischen, evangelischen und freikirchlichen Gemeinden befragt. Es zeigte sich, dass es in allen drei Religionsgemeinschaften wichtig ist, die nächste Generation für die Gemeinde zu gewinnen. Es kamen aber auch unterschiedliche Denkweisen zum Ausdruck, zum Beispiel, welche Voraussetzungen ein Kind erfüllen muss, um als Christ gelten zu dürfen. Bei der Wahl ihrer Erziehungsziele orientieren sich die Mitarbeitenden kaum an den Erwartungen, die an sie herangetragen werden. Viel wichtiger ist ihnen ihre eigene Biografie: Was sie selbst erlebt – oder nicht erlebt – haben, möchten sie den Kindern weitergeben.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Dank
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Begründung der Arbeit und Forschungsfrage
  • 2. Voraussetzungen aus der Religionspädagogik
  • 2.1 Religionspädagogik für die Gemeinde
  • 2.1.1 Die katholische Gemeindekatechese
  • 2.1.2 Die evangelische Gemeindepädagogik
  • 2.1.3 Definition und Besonderheiten der Evangelikalen Bewegung in Österreich
  • 2.1.4 Evangelikale Gemeindepädagogik
  • 2.1.5 Von der territorialen zur personalen Gemeinde
  • 2.1.6 Einschränkung auf Kinder und Teenager
  • 2.2 Bekehrungs- und Anlagemodell
  • 2.2.1 Vom Bekehrungs- zum Anlagemodell?
  • 2.2.2 Die Korrelationsdidaktik: Ein Vermittlungsversuch zwischen den beiden Modellen
  • 3. Ziele: Begriffsklärungen und Forschungsmethoden aus der Erziehungswissenschaft
  • 3.1 Begriffsklärung
  • 3.1.1 Alternativen zum Begriff „Kompetenzen“
  • 3.1.2 Die Begriffe „Bildungsziel“ oder „Erziehungsziel“ als Alternative
  • 3.1.3 Definitionen „Erziehungsziel“
  • 3.1.4 Die Begründung der Erziehungsziele
  • 3.1.5 Formale oder materiale Erziehungsziele
  • 3.1.6 Mit Erziehungszielen die Gesellschaft verändern?
  • 3.2 Die Erforschung der Erziehungsziele
  • 3.1.2 Wer setzt die Erziehungsziele?
  • 3.2.2 Erforschung und Kritik an Erziehungszielen
  • 3.2.3 Der Stellenwert der Erziehungsziele in der Erziehungswissenschaft
  • 3.2.4 Erziehungsziele in der Gemeindepädagogik
  • 4. Erziehungsziele in den Lehrbüchern der Gemeindepädagogik bzw. Gemeindekatechese
  • 4.1 Erziehungsziele, die dem Bekehrungsmodell zugeordnet werden
  • 4.1.1 „Christ werden“
  • 4.1.2 „Integration in die Gemeinde“
  • 4.1.3 Biblische Begründung
  • 4.1.4 Begründung mit der katholischen Tradition
  • 4.1.5 Kontroverse innerhalb der katholischen Gemeinden
  • 4.1.6 Die entsprechenden evangelikalen Ziele
  • 4.1.7 Keine Kontroverse in den evangelikalen Gemeinden?
  • 4.2 „Mystagogie“: Vom Bekehrungs- zum Anlagemodell
  • 4.2.1 Der Begriff der „Mystagogie“ in der alten Kirche und bei Karl Rahner
  • 4.2.2 „Mystagogie“ in der heutigen Gemeindekatechese
  • 4.2.3 „Mystagogie“ und „Christ werden“
  • 4.3 Erziehungsziele, die dem Anlagemodell zugeordnet werden
  • 4.3.1 „Kommunikation des Evangeliums“
  • 4.3.2 Begründung aus der neueren Theologiegeschichte
  • 4.3.3 Gemeinde als Lern-Ziel
  • 4.3.4 Sind formale Erziehungsziele überall anwendbar?
  • 4.4 „Bildung“
  • 4.4.1 „Bildung“ als eigenverantwortlicher Selbstwerdungsprozess
  • 4.4.2 Begründung: Der Bildungsbegriff bei Wolfgang Klafki
  • 4.4.3 „Bildung“ in der evangelikalen Gemeindepädagogik
  • 4.5 „Bibel“
  • 4.5.1 Die Bibel als Wort Gottes
  • 4.5.2 Korrelation
  • 4.5.3 Die Bibel als Diskussionspartner
  • 4.5.4 Fazit
  • 4.6 Zusammenfassender Vergleich der Erziehungsziele
  • 4.6.1 Die Leitbegriffe
  • 4.6.2 Die Erziehungsziele nach Konfessionen geordnet
  • 5. Erziehungsziele in den Arbeitsmaterialien
  • 5.1 Arbeitsmaterial aus evangelikalen Verlagen
  • 5.1.1 Gottes Geschichte & wir
  • 5.1.2 Mit Kindern die Bibel entdecken
  • 5.1.3 Fazit
  • 5.2 Arbeitsmaterial für den Konfirmationsunterricht
  • 5.2.1 Grundkurs KU
  • 5.2.2 Kursbuch Konfirmation
  • 5.2.3 G mit!
  • 5.2.4 Fazit
  • 5.3 Arbeitsmaterial für die Vorbereitung zur Erstkommunion
  • 5.3.1 Wir feiern Kommunion
  • 5.3.2 Dem Jesus-Geheimnis auf der Spur
  • 5.3.3 Fazit
  • 5.4 Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Erziehungsziele
  • 6. Vorbereitung und Durchführung der Interviews
  • 6.1 Experteninterview
  • 6.1.1 Die Mitarbeitenden als Experten ihrer Tätigkeit
  • 6.1.2 Die Gesprächsführung beim Experteninterview
  • 6.2 Der biografische Teil des Interviews
  • 6.2.1 Die Biografie und die Wahl der Erziehungsziele
  • 6.2.2 Biografieforschung und Theologie
  • 6.2.3 Das Interview als Momentaufnahme
  • 6.3 Der Interviewleitfaden
  • 6.3.1 Vorbereitungen und ethische Vorüberlegungen
  • 6.3.2 Der Aufbau des Interviews
  • 6.3.3 Der Leitfaden
  • 6.4 Kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • 6.4.1 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in katholischen Kirchgemeinden
  • 6.4.2 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in evangelischen Kirchgemeinden
  • 6.4.3 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Freikirchen
  • 6.4.4 Verschiedene Typen der Mitarbeitenden
  • 6.5 Gemeinden in Wien
  • 6.5.1 Katholische Gemeinden
  • 6.5.2 Evangelische Gemeinden
  • 6.5.3 Freikirchliche Gemeinden
  • 6.6 Das Sampling
  • 6.6.1 Allgemeine Daten
  • 6.6.2 Interviews mit evangelischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
  • 6.6.3 Interviews mit freikirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
  • 6.6.4 Interviews mit katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
  • 6.7 Die Methodik der Auswertung der Interviews
  • 6.7.1 Die Transkription
  • 6.7.2 Zusammenfassende Fallbeschreibung
  • 6.7.3 Inhaltlich strukturierende Analyse
  • 6.7.4 Typenbildung
  • 7. Fallbeschreibungen: Individuelle Akzentsetzungen
  • 7.1 Katholische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • 7.1.1 Werner Pegnitz
  • 7.1.2 Astrid Rot
  • 7.1.3 Maria Miranda
  • 7.1.4 Romana Baumgartner
  • 7.1.5 Sabine Schweiger
  • 7.1.6 Karl Blechmann
  • 7.2 Evangelische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • 7.2.1 Karin Schrutka
  • 7.2.2 Sara van Meegen
  • 7.2.3 Sandra Holzer
  • 7.2.4 Peter Wabl
  • 7.2.5 Anna Münzer
  • 7.3 Freikirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • 7.3.1 Jennifer Wilson
  • 7.3.2 Giulia Galluzzi
  • 7.3.3 Gudrun Kopp
  • 7.3.4 Dominic Czerni
  • 7.3.5 Cornelia Jordan
  • 7.3.6 Ingrid Schreiber
  • 7.4 Fazit
  • 8. Der Hintergrund für die Wahl der Erziehungsziele
  • 8.1 Herkunftsfamilie
  • 8.1.1 Besuch der Gemeinde
  • 8.1.2 Eltern als Vorbilder
  • 8.1.3 Andere Familienmitglieder
  • 8.2 Gemeindezugehörigkeit
  • 8.2.1 Bewegungen
  • 8.2.2 Der Wechsel der Gemeinde
  • 8.2.3 Als Kind in der Gemeinde
  • 8.2.4 Mitarbeit in der Gemeinde
  • 8.2.5 Fazit
  • 8.3 Vorbilder
  • 8.3.1 Einschränkungen
  • 8.3.2 Vorbilder für den Glauben und für die Mitarbeit
  • 8.4 Erwartungen der Gemeinde
  • 8.4.1 Keine Erwartungen
  • 8.4.2 Zur Gemeinde gehören
  • 8.4.3 Erwartungen der Eltern
  • 8.4.4 Fromme Kinder, die Bibelverse lernen
  • 8.4.5 Erwartungen der Gemeindeleitung
  • 8.4.6 Fazit
  • 8.5 Weitere mögliche Faktoren für die Wahl der Erziehungsziele
  • 8.5.1 Das Arbeitsmaterial
  • 8.5.2 Die Ausbildung
  • 8.6 Die Biografie als Grundlage für die Wahl der Erziehungsziele
  • 8.6.1 Beispiele von Vertretern des Bekehrungsmodells
  • 8.6.2 Handlungsoptionen für die Gemeinde
  • 9. Die Bedeutung der theologischen Leitbegriffe in den Interviews
  • 9.1 „Christ werden“
  • 9.1.1 Bekehrung als Hauptziel
  • 9.1.2 Die Lehre der Bekehrung
  • 9.1.3 Die Gefahr der Manipulation
  • 9.1.4 Fehlende Erreichbarkeit der Bekehrung
  • 9.1.5 Bekehrung nicht als Hauptziel
  • 9.1.6 In eine christliche Familie geboren werden
  • 9.1.7 Getauft werden
  • 9.1.8 Zur Kirche gehen
  • 9.1.9 Ein gutes Leben führen
  • 9.1.10 Zusammenfassung
  • 9.1.11 Vergleich mit den Lehrbüchern
  • 9.2 „Integration in die Gemeinde“
  • 9.2.1 Den Gottesdienst besuchen
  • 9.2.2 Gemeinschaft erleben
  • 9.2.3 Probleme
  • 9.2.4 Fazit
  • 9.2.5 Vergleich mit den Lehrbüchern
  • 9.3 „Kommunikation des Evangeliums“
  • 9.3.1 Gelungene Kommunikation
  • 9.3.2 Evangelium als frohe Botschaft
  • 9.3.3 Lehren statt kommunizieren
  • 9.3.4 Evangelium als Zusammenfassung des christlichen Glaubens
  • 9.3.5 Zusammenfassung
  • 9.3.6 Problematik des Begriffs: Rückfragen an die Lehrbücher
  • 9.4 „Bibel“
  • 9.4.1 Die Bibel als Wort Gottes
  • 9.4.2 Die Bibel als Basis
  • 9.4.3 Die Bibel als Begleiter
  • 9.4.4 Zusammenfassung und Vergleich mit den Lehrbüchern
  • 9.4.5 Ein unklares Verständnis von der Bibel
  • 9.4.6 Die Verkleinerung des biblischen Kanons
  • 9.5 „Christliche Bildung“
  • 9.5.1 Wann ist ein Mensch christlich gebildet?
  • 9.5.2 Zusammenfassung
  • 9.5.3 Vergleich mit den Lehrbüchern
  • 9.6 „Mystagogie“ oder Wie der Glaube erlebt wird
  • 9.6.1 Gott erleben
  • 9.6.2 Gott als Rückversicherung
  • 9.6.3 Die innere Stimme
  • 9.6.4 Feiern
  • 9.6.5 Meditation
  • 9.6.6 Zusammenfassung
  • 9.6.7 Ein fiktiver oder ein realer Gott
  • 9.7 Typenbildung
  • 9.7.1 Werte für die einzelnen Begriffe
  • 9.7.2 Kombination der Begriffe
  • 9.7.3 Die Beschreibung der Typen
  • 9.7.4 Die Konfessionen und ihre Mischformen
  • 9.7.5 „Integration in die Gemeinde“
  • 9.7.6 Die verschiedenen Typen und ihre Gotteserlebnisse
  • 9.8 Abschließende Charakterisierung der Typen
  • 9.8.1 Typ A: Kommunikation ohne den Anspruch einer Entscheidung
  • 9.8.2 Typ B: Kommunikation mit Anspruch auf eine Entscheidung
  • 9.8.3 Typ C: Zwischen den beiden Polen
  • 9.8.4 Ohne Zuordnung: Nur „Integration in die Gemeinde“
  • 9.8.5 Typ D: Bekehrungsmodell ohne Bekehrung
  • 9.8.6 Typ E: Offenbarung mit leisen Zweifeln
  • 9.8.7 Typ F: Offenbarung und Bekehrung
  • 10. Fazit
  • 10.1 Zusammenfassung der Forschungsresultate
  • 10.1.1 Formale Beobachtungen zu den Erziehungszielen
  • 10.1.2 Inhaltliche Beobachtungen zu den Erziehungszielen
  • 10.2 Ein Fazit aus freikirchlicher Sicht
  • 10.2.1 Gedanken zur Soteriologie
  • 10.2.2 Verschiedene Bibelauslegungen zulassen
  • 10.2.3 Das Lesen der Bibel als Gotteserfahrung
  • 10.2.4 Unsicherheit bei der „christlichen Bildung“
  • 10.2.5 „Integration in die Gemeinde“
  • 10.3 Im Kontakt mit anderen Konfessionen: Neue Begegnungsmöglichkeiten durch den freikirchlichen Religionsunterricht
  • Literaturverzeichnis
  • Zusammenfassung
  • Tabelle der Interviewpartner

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1.  Begründung der Arbeit und Forschungsfrage

Als Kind besuchte ich Sonntag für Sonntag mit meinen Eltern und den Geschwistern zusammen den Gottesdienst einer Freikirche. Gleich hinter dem Haupteingang führte eine Treppe in das Untergeschoss, wo sich die Räume der Sonntagsschule befanden. Dorthin begleiteten uns die Eltern, verabschiedeten sich und gingen wieder nach oben, um die Predigt zu hören. Wir wurden von einer engagierten Mitarbeiterin (manchmal war es auch ein Mitarbeiter) begrüßt und hörten dann von ihr eine biblische Geschichte. Dabei saßen wir um einen großen Tisch. Vorne stand eine Flanelltafel, an welche die Bilder der Geschichte geheftet wurden.

Als ich etwas älter war, durfte ich auch die Jungschar besuchen. Ich erlebte eine schöne Zeit mit vielen Freunden und mit Jungscharleitern, die oft einen Sinn für riskante Abenteuer hatten. Später kam der biblische Unterricht dazu, welcher vom Pastor erteilt wurde. Was ich dort lernte, interessierte mich sehr, und der Pastor wurde zu einem wichtigen Vorbild mit Langzeitwirkung: Später wurde ich ebenfalls Pastor einer Freikirche.

Rückblickend kann ich feststellen, dass das Kinderprogramm meiner Heimatgemeinde einen großen Einfluss auf die Entwicklung meines Glaubens hatte, und ich weiß, dass meine Eltern diesen Einfluss nicht nur tolerierten, sondern auch suchten. Der Einfluss wurde nicht in erster Linie durch Konzepte oder Strukturen ausgeübt, sondern durch die Personen, die in der Gemeinde mitarbeiteten. Vielleicht gab es in der dortigen Gemeinde Leitlinien oder es wurden Ziele formuliert, die bei der Arbeit mit Kindern erreicht werden sollten, aber als Kind stellte ich diese Fragen nicht.

Als Erwachsener kann ich das nachholen. Die Gemeinde investierte viel Geld und Personal, um ein gutes Kinderprogramm auf die Beine zu stellen. Daraus kann ich schließen, dass sie bestimmte Ziele erreichen wollte, denn für eine reine Kinderbetreuung waren die Investitionen zu groß und das Programm zu aufwändig. Für die vorliegende Forschungsarbeit habe ich die Frage aber allgemeiner gestellt, denn nicht nur meine eigene Heimatgemeinde, sondern auch viele andere Gemeinden investieren sehr viel in das Kinderprogramm. Da drängt sich die Frage auf, welche Ziele sie damit erreichen wollen. Weil es in erster Linie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, die diese Ziele verfolgen, habe ich mit ihnen Interviews geführt. ← 17 | 18 →

Diese Personen agieren aber nicht im luftleeren Raum, sondern sie sind in ihre jeweilige Gemeinde eingebunden und vertreten deren Interessen. Sie bringen durch ihre eigene Geschichte eine Prägung mit, die das Festlegen der Ziele beeinflusst. Vielleicht haben sie auch eine Ausbildung besucht oder Bücher gelesen, welche ebenfalls einen Einfluss auf die Ziele ausüben. Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, festzustellen, welche Ziele von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewählt werden, wer sie festlegt und wie sie begründet werden.

Solche Ziele können auch in der wissenschaftlichen Literatur festgelegt werden. Wenn sie in einem Lehrbuch aufgeschrieben werden, heißt das aber noch lange nicht, dass diese auch in den Gemeinden verfolgt werden; und wenn bestimmte Ziele in einer Gemeinde – beispielsweise von der Gemeindeleitung – formuliert werden, bedeutet das wiederum nicht automatisch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie tatsächlich umsetzen. Der Weg von der Theorie zur Praxis ist lang und voller Hürden. Um ihn punktuell nachzeichnen zu können, habe ich neben den Interviews auch die theoretische Literatur analysiert. Am Ende dieser Forschungsarbeit wird es deshalb möglich sein, den Anfang und das Ende des Weges, die Theorie und die Praxis, miteinander zu vergleichen und dabei festzustellen, welche Ziele tatsächlich verfolgt werden.

Nun ist es aber oft so, dass die Ziele in der theoretischen Literatur nur eine untergeordnete Rolle spielen, weshalb es schwierig ist, konkrete Zielformulierungen zu finden. Markus Printz schreibt dazu:

„Die Zielfrage wird in den gemeindepädagogischen Veröffentlichungen eher noch spärlicher behandelt als in der allgemeinen Pädagogik. Dort, wo explizite Ziele angegeben sind, lassen sie entweder kaum einen Unterschied zu den Zielen der allgemeinen Pädagogik […] erkennen, oder die Formulierungen bleiben allgemein, vage und inhaltsarm.“1

Diese Feststellung, dass Ziele inhaltsarm bleiben, deckt sich mit einer Beobachtung von Hubertus Halbfas:

„Bis heute hat die wissenschaftliche Religionsdidaktik strikte Distanz zu den Inhalten ihres Fachs gehalten.“2 ← 18 | 19 →

Oder Henning Luther:

„Was und wie zu glauben ist, klären die einzelnen Subjekte selber.“3

Der Grund, weshalb die Ziele, die im Unterricht erreicht werden sollen, in den Lehrbüchern oft unklar bleiben, ist der, dass man sich über inhaltliche Fragen nicht äußern will. Übrig bleiben dann formale Richtlinien, die zu beachten sind, wenn man Ziele sucht und formuliert. Das wiederum bedeutet, dass das Festlegen von (inhaltlichen) Zielen an die Gemeinden delegiert wird. Dort stellt sich dann schließlich die Frage, wer diese Ziele tatsächlich festlegt und ob es überhaupt jemand tut. Wenn sich die Leitung der Gemeinde nicht darum kümmert, ist damit zu rechnen, dass es den Mitarbeitenden selbst überlassen bleibt, ihre Ziele zu wählen, die sie mit den Kindern erreichen wollen. Es bleibt also nicht nur im Dunkeln, welche Ziele gewählt werden, sondern auch, wer sie festlegt und wie sie begründet werden. Unter diesen Voraussetzungen ist damit zu rechnen, dass sich Printz’ Voraussage erfüllt:

„Eine Gemeinde, die die Ziele ihrer erzieherischen Arbeit nicht (mehr) kennt, wird durch die jeweils zeit- und gesellschaftsbedingten Ziele bestimmt werden, die in der säkularen Umwelt gerade aktuell sind.“4

Durch die Erforschung der Ziele, die in der Gemeinde verfolgt werden, wird der Fokus auf die Inhalte, die gelehrt werden, und auf die Überzeugungen, die in den Gemeinden geglaubt werden, gelegt. Das geschieht in der Annahme, dass es nicht möglich ist, Gemeindepädagogik zu betreiben und dabei den Glauben, um den es in der Gemeinde geht, außer Acht zu lassen.

Ich habe zunächst die theoretische Literatur der Gemeindepädagogik bzw. Gemeindekatechese und auch das entsprechende Arbeitsmaterial untersucht. Dann habe ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus katholischen,5 evangelischen und freikirchlichen Gemeinden im Raum Wien befragt. Da es keine Daten gibt, auf die ich zurückgreifen konnte, habe ich qualitative Interviews geführt. Auf diese Weise können zwar neue, unbekannte Daten generiert werden, diese sind aber weder repräsentativ noch leicht auf andere Situationen übertragbar. Es ist aber problemlos möglich, aufgrund der Auswertung der Interviews Thesen ← 19 | 20 → aufzustellen, die durch weitere Forschungsarbeiten verifizierbar – oder falsifizierbar – sind.

Die Wahl der drei Konfessionen (katholisch, evangelisch, freikirchlich) trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich dabei um die drei christlichen Religionsgemeinschaften in Österreich handelt, welche eine jahrhundertealte Geschichte im Land haben, die von gegenseitiger Abgrenzung und in neuerer Zeit auch von gegenseitiger Versöhnung geprägt ist. Es gibt zwar noch andere christliche Religionsgemeinschaften, die zum Teil ebenfalls sehr viele Mitglieder haben; diese stammen jedoch zum größeren Teil aus dem Ausland, wie zum Beispiel die verschiedenen orthodoxen Kirchen, oder sie haben eine viel jüngere Geschichte wie zum Beispiel die Zeugen Jehovas. Sie werden in dieser Arbeit nicht berücksichtigt.

Die katholische und die evangelische Kirche sind in Österreich schon seit Langem als Religionsgemeinschaft staatlich anerkannt; die Freikirchen haben gerade zu dem Zeitpunkt diese staatliche Anerkennung bekommen, als die Interviews für diese Arbeit geführt wurden (2013). Damit sind die drei Konfessionen einander rechtlich gleichgestellt und die Kinder aus freikirchlichen Familien müssen in ihrem Schulzeugnis nicht mehr lesen, dass sie „ohne religiöses Bekenntnis“ sind. Die Anerkennung der „Freikirchen in Österreich“ als Religionsgemeinschaft ist ein guter Anlass, die Ziele ihrer erzieherischen Tätigkeit und damit auch mögliche wechselseitige Einflüsse zwischen den Konfessionen miteinander zu vergleichen. Da es eine Vernetzung zwischen diesen drei Religionsgemeinschaften gibt, ist eine gegenseitige Beeinflussung grundsätzlich zu erwarten.

Wenn die Ziele bekannt sind, die in den Gemeinden verfolgt werden, ist es auch möglich, Prognosen für die Zukunft zu stellen. Sind in den christlichen Gemeinden weitreichende Veränderungen absehbar oder kann man damit rechnen, dass das meiste so bleibt, wie es heute ist? Bei dieser Frage spielt es auch eine große Rolle, wie stark die Gemeinden von der Gesellschaft, deren Teil sie ja sind, beeinflusst werden, oder ob sie versuchen, bei ihren Zielen einen Kontrast zur dieser herzustellen.

Die vorliegende Forschungsarbeit ist in verschiedener Hinsicht interdisziplinär:

Der Begriff „Erziehungsziel“ sowie die Methodik zu dessen Erforschung stammen aus der Erziehungswissenschaft und haben von dort Eingang in die Gemeindepädagogik bzw. Gemeindekatechese gefunden.

Die Methodik zur Durchführung der Interviews entnahm ich aus der Sozialwissenschaft. ← 20 | 21 →

Die Arbeit gehört in den Fachbereich der Gemeindepädagogik, welche auf katholischer Seite den Namen „Gemeindekatechese“ trägt. Im Theorieteil werde ich die aktuelle Literatur dieser Bereiche untersuchen.

Die Forschungsfrage lautet: Welche Ziele werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in katholischen, evangelischen und freikirchlichen Gemeinden in Wien verfolgt und wie werden diese Ziele begründet? ← 21 | 22 →


1 Printz, Markus, Grundlinien einer bibelorientierten Gemeindepädagogik. Pädagogische und praktischtheologische Überlegungen, Wuppertal: R. Brockhaus Verlag, 1996, 70; s. dazu auch: Biehl, Peter, u. a., Was sollen Kinder und Jugendliche im Religionsunterricht lernen? Jahrbuch der Religionspädagogik (JRP), Neukirchen: Neukirchener, 2011.

2 Halbfas, Hubertus, Religionsunterricht nach dem Glaubensverlust. Eine Fundamentalkritik, Ostfildern: Patmos, 2012, 72.

3 Luther, Henning, Religion und Alltag. Bausteine zu einer praktischen Theologie des Subjekts, Stuttgart: Radius, 1992, 13.

4 Ebd., 63.

5 Gemeint ist „römisch-katholisch“; wegen der besseren Lesbarkeit verwende ich jeweils nur den Begriff „katholisch“.

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2.  Voraussetzungen aus der Religionspädagogik

In der Theologie gehört die kirchliche Arbeit mit Kindern in den Fachbereich der Religionspädagogik. Allerdings konzentrierte sich diese bis weit ins 20. Jahrhundert fast ausschließlich auf den schulischen Religionsunterricht. Das war das Ergebnis der allgemeinen Schulpflicht, die im Zuge der Aufklärung in ganz Europa eingeführt wurde. Mit dieser allgemeinen Schulpflicht haben die großen Kirchen ihren Unterricht an den Kindern weitgehend an die Schulen ausgelagert, denn dort war es am einfachsten, sämtliche Kinder zu erreichen.

Erst ab den 60er Jahren fand ein Umdenken statt, welches nicht zuletzt durch eine Austrittswelle aus den Kirchen begünstigt wurde. Einerseits gehörten nicht mehr alle Schüler einer Kirche an; andererseits – und das war der gewichtigere Grund – war es nötig, die Gemeinden zu stärken. Man versuchte deshalb, die Erkenntnisse der Religionspädagogik für die Gemeinden fruchtbar zu machen.

2.1  Religionspädagogik für die Gemeinde

Die Zuwendung zur Gemeinde verlief in der katholischen und in der evangelischen Religionspädagogik zeitlich weitgehend parallel. In der katholischen Theologie hat sich die Fachbezeichnung „Gemeindekatechese“ durchgesetzt; in der evangelischen Theologie „Gemeindepädagogik“.1 Dieser zweite Begriff ist auch auf freikirchlicher Seite gebräuchlich. Die unterschiedliche Bezeichnung des Fachs deutet bereits an, dass die Inhalte und damit auch die Ziele nicht identisch sind.

2.1.1  Die katholische Gemeindekatechese

Mitte der 60er Jahre entstanden die ersten sogenannten Gemeindekatechesen: Erwachsene begannen, sich in der Gemeinde auf den Empfang der Eucharistiefeier vorzubereiten. Begleitend dazu gab es Schülergottesdienste. Daraus entwickelte sich die Sakramentenkatechese mit Kindern und Jugendlichen. In den 70er und 80er Jahren kamen viele katechetische Programme zur Vorbereitung auf den Empfang der Sakramente dazu, vor allem der Erstkommunion. Diese ← 23 | 24 → Entwicklungen wurden vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßen und in der Folge in verschiedenen amtlichen Dokumenten bestätigt. Zu erwähnen ist insbesondere die Würzburger Synode (1971–1975), welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils umzusetzen.2

Aus folgenden Gründen wurde die Vorbereitung zum Empfang der Sakramente immer mehr von der Schule in die Gemeinde verlagert:3

Die Schule ist pluralistisch geworden: Früher, in einer mehrheitlich katholischen Gesellschaft, konnte die Schule die Einführung in die kirchlichen Sakramente übernehmen. Eltern und Kirche waren sich in dieser Sache einig. Diese Voraussetzung ist in der heutigen Gesellschaft nicht mehr gegeben.

In der Schule sind die Gruppen zu groß und zu heterogen. Selbst bei den katholischen Kindern gibt es große Unterschiede. Die einen Familien sind dem katholischen Glauben gegenüber weitgehend gleichgültig, die anderen engagieren sich stark in der Gemeinde.

Schulbezirk und Pfarrgemeinde decken sich oft nicht. Bei der Sakramentenkatechese geht es aber auch um die Hinführung zu der Gemeinde, bei der das Kind Mitglied ist.

Die Kinder sollen nicht nur etwas über die Sakramente hören, sondern auch Christus begegnen können. Das verlangt nach einem anderen Rahmen als dem der Schule.

Die neu entstandene Gemeindekatechese hat folgende Aufgaben:

Entprofessionalisierung und Entklerikalisierung: Jedes Gemeindeglied ist grundsätzlich befähigt, katechetisch zu handeln. Die Gemeindekatechese soll helfen, die Laien in diese Aufgabe einzubinden. Am Anfang waren die Laien vor allem als Tischmütter (manchmal auch Tischväter) bei der Vorbereitung ← 24 | 25 → zur Erstkommunion tätig. Manche gestalteten immer mehr mit, einige bekamen inzwischen die Gesamtleitung.4

Das Ziel des katechetischen Handelns ist es, dem Menschen zu helfen, dass das Leben gelingt. Damit ist die Verherrlichung Gottes gemeint, die auch im Leid möglich ist.5

Die Katechese soll helfen, den nächsten Schritt in der persönlichen Glaubensentwicklung zu ermöglichen.6

Die Gemeindekatechese wird nicht auf eine bestimmte Altersgruppe eingegrenzt, sondern ihre Aufgabe ist so allgemein formuliert, dass jedes Kirchenmitglied eingeschlossen ist. Anfangs war sie eher auf die Erwachsenen ausgerichtet; das ist in der Theorie bis heute so geblieben. In der Praxis sind aber eher die Kinder und Teenager im Blick.

2.1.2  Die evangelische Gemeindepädagogik

Die Wurzeln der Gemeindepädagogik gehen bis zur Aufklärung zurück. Damals ging es einerseits um die Erschließung neuer Inhalte und andererseits um die Ablehnung der herkömmlichen Katechese.7 Im 19. Jahrhundert wurde der Religionsunterricht in den Schulen ausgebaut. Gleichzeitig existierte die Katechese in den Gemeinden weiter. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts konzentrierte sich die Religionspädagogik – der Begriff wurde am Ende des 19. Jahrhunderts geprägt – immer mehr auf den schulischen Religionsunterricht.

In den 70er Jahren wurde der Begriff „Gemeindepädagogik“ erstmals in zwei voneinander unabhängigen Veröffentlichungen verwendet. Er wurde dann in der Religionspädagogik aufgenommen, und ab den späten 80er Jahren erschienen mehrere Gesamtkonzepte.8 ← 25 | 26 →

Aufgabe der Gemeindepädagogik ist es, das gesamte Gemeindeleben aus dem Blickwinkel der Pädagogik zu betrachten.9 Dabei ist es ein Ziel, die verschiedenen Arbeitsbereiche der Gemeinde aus ihrer Isolierung zu befreien und besser miteinander zu vernetzen. Die Gemeindepädagogik erinnert die Gemeinde zudem daran, dass sie „eine nicht delegierbare Eigenverantwortung hat, die fundamentalen biblisch-christlichen Überlieferungen von einer Generation zur anderen zu tradieren.“10 Das Lernen innerhalb der Gemeinde geschieht unter dem Leitbegriff „Kommunikation des Evangeliums“.

Im Neuen Gemeindepädagogischen Kompendium11 werden viele kirchliche Handlungsfelder beschrieben. Das beginnt bei der Erziehung in der Familie sowie bei der Arbeit mit Kleinkindern und endet bei der Altenarbeit. Auch über das Internet, die Studierendengemeinde, die Kirchenmusik und die Kirchenpädagogik (Kirche als sakraler Raum) wurden Beiträge geschrieben.

Details

Seiten
351
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653071436
ISBN (ePUB)
9783653956962
ISBN (MOBI)
9783653956955
ISBN (Paperback)
9783631675809
DOI
10.3726/978-3-653-07143-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (August)
Schlagworte
Gemeindepädagogik Christliche Bildung Bekehrung Kommunikation des Evangeliums
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 351 S.

Biographische Angaben

Armin Wunderli (Autor:in)

Armin Wunderli hat an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel studiert und wurde dort auch promoviert. Er ist Dozent an der Evangelikalen Akademie in Wien und Lehrbeauftragter an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien/Krems. Zudem leitet er das Schulamt der Freikirchen in Österreich.

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