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Dimensionen des Deutschen in Österreich

Variation und Varietäten im sozialen Kontext

von Alexandra N. Lenz (Band-Herausgeber:in) Timo Ahlers (Band-Herausgeber:in) Manfred M. Glauninger (Band-Herausgeber:in)
©2015 Konferenzband 392 Seiten

Zusammenfassung

Die Beiträge in diesem Buch reflektieren eine ertragreiche linguistische Auseinandersetzung mit dem schillernden Spektrum an Erscheinungsformen und Funktionen der deutschen Sprache in Österreich. Dabei wird ein breiter thematischer Bogen aufgespannt. Neben Untersuchungen der vertikalen Variation erfolgt die Fokussierung von Variationsphänomenen auf einzelnen sprachlichen Systemebenen. Problemstellungen im Kontext der Plurizentrizität bzw. Pluriarealität des Deutschen finden ebenso Berücksichtigung wie Fragen im Zusammenhang mit Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vertikale Variation Und Varietäten
  • Irmtraud Kaiser / Andrea Ender: Das Spektrum der Sprachvariation im alemannischsprachigen Vorarlberg und im übrigen Österreich: Realisierungen und Kategorisierungen
  • 1 Einleitung
  • 2 Dialekt-Standard-Variation in Österreich
  • 3 Perzeptionsexperiment
  • 3.1 Sprachproben
  • 3.2 Online-Fragebogen
  • 3.3 Analysierte Stichprobe
  • 3.4 Ergebnisse: Wahrnehmung und Kategorisierung von Dialekt-Standard-Variation
  • 3.5 Fazit zur Perzeption von Sprachvariation in Österreich
  • 4 Dimensionen der Sprachvariation und ihrer Beschreibung
  • Literatur
  • Melanie Lenzhofer-Glantschnig: „Nimmer normal“ – Kompakte Strukturen in Freizeitgesprächen jugendlicher Dialektsprecher Osttirols
  • 1 Fragestellung und Hintergründe
  • 2 Kompakte Strukturen in Gesprächen Jugendlicher
  • 3 Informationen zur Untersuchungsgrundlage
  • 4 Zur Segmentierung der Gespräche
  • 5 Ergebnisse der Beleganalyse
  • 5.1 Quantitative Verteilung der Einheitentypen
  • 5.2 Exkurs zur Komplexität der satzförmigen Äußerungen – quantitative Unterschiede
  • 5.3 Zitatmarkierung – qualitative Unterschiede
  • 6 Fazit und Ausblick
  • 7 Transkriptionskonventionen
  • Literatur
  • Rudolf de Cillia / Jutta Ransmayr: Das österreichische Deutsch und seine Rolle als Unterrichts- und Bildungssprache
  • 1 Einleitung
  • 2 Theoretische Grundlagen
  • 3 Bestandsaufnahme
  • 4 Forschungslücken
  • 5 Forschungsfragen
  • 6 Methoden der Untersuchung
  • Datenerhebung
  • Datensätze
  • Datenauswertung
  • 7 Resümee
  • Literatur
  • Liste der befragten ExpertInnen mit Bezeichnung ihrer Funktion:
  • Tanja Wissik: Sind Dissertanten, Doktoranden, Promovenden oder Doktorierende an einer österreichischen Universität anzutreffen? – Eine korpusbasierte kontrastive Untersuchung der Fachsprache des Hochschulwesens in Österreich
  • 1 Einleitung
  • 2 Deutsch als plurizentrische Sprache
  • 2.1 Unterschiedliche Forschungsansätze und theoretischer Kontext
  • 2.2 Besonderheiten der Standardvarietät des Deutschen in Österreich auf lexikalischer und terminologischer Ebene
  • 3 Variation in der Fachsprache
  • 3.1 Geografische Variation
  • 3.2 Geografische Variation und geopolitische Variation im Bereich Recht
  • 4 Korpusanalyse
  • 4.1 Korpus
  • 4.2 Methode
  • 4.3 Ausgewählte Resultate
  • 4.3.1 Benennungsvarianten
  • 4.3.2 Quantitativer subkorpusübergreifender Vergleich
  • 4.3.3 Regionale Verteilung der Benennungsvarianten
  • 5 Zusammenfassung und Ausblick
  • Literatur
  • Peter Wiesinger: Das österreichische Deutsch in der globalisierten Umwelt: Wandlungen durch bundesdeutsche Einflüsse
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Zum österreichischen Deutsch
  • 1.2 Zum Sprachwandel im österreichischen Deutsch
  • 1.3 Zur Befragung
  • 1.4 Zur Auswertung
  • 2 Suprasegmentale Varianten – Wortakzent
  • 3 Lexikalische Varianten
  • 3.1 »Bub« : »Junge«
  • 3.2 »Aufzug« : »Lift« : »Fahrstuhl«
  • 3.3 »Stiege« : »Treppe«, »hinauf« : »hoch gehen«
  • 3.3.1 »Stiege« : »Treppe«
  • 3.3.2 »hinauf« : »rauf« : »hoch«
  • 3.4 »Vorgangsweise« : »Vorgehensweise«
  • 3.5 Abschiedsgrüße unter Freund(inn)en
  • 3.6 »Kassa« : »Kasse«
  • 4 Das Genus von Substantiven
  • 4.1 Die Schulnoten und Verkehrslinien der »Einser« : »die Eins«
  • 4.2 »das« : »der« : »die Joghurt«
  • 4.3 »das« : »die E-Mail«, »SMS«
  • 5 Der Plural von Substantiven
  • 5.1 Der Plural mit und ohne Umlaut
  • 5.2 Der Plural von Familiennamen
  • 6 Wortbildung
  • 7 Syntax
  • 7.1 »kaufen um« : »kaufen für«
  • 7.2 »auf« : »zu Besuch«
  • 7.3 »bei« : »an der Kassa«
  • 7.4 »auf etwas vergessen« : »etwas vergessen«
  • 7.5 »aus dem« : »zum« : »beim Fenster hinausschauen«
  • 8 Ergebnisse
  • Literatur
  • Online-Quelle
  • Klaus Peter: Sprachliche Normvorstellungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz
  • 1 Ausgangspunkt und Zielsetzung
  • 2 Normvorstellungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz: drei Thesen
  • 2.1 Die Standardnormvorstellungen orientieren sich in allen drei Ländern am bundesdeutschen Standard
  • 2.2 Die Standardnormvorstellungen von Österreichern (und Schweizern) sind rigider als jene von Deutschen
  • 2.3 Die Standardnormvorstellungen von Österreichern sind toleranter als jene von Deutschen
  • 3 Textbewertungen als Ausdruck von Normvorstellungen: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung
  • 3.1 Material und Methode
  • 3.2 Analyse und Auswertung der Daten
  • 3.3 Ergebnisse
  • 4 Beurteilung der Eingangsthesen
  • 5 Normvorstellungen in Bezug auf unterschiedliche Ebenen: Varietätenwahl, Varietätenprestige und Normerfüllung
  • 5.1 Normvorstellungen und Varietätenwahl
  • 5.2 Normvorstellungen und Varietätenprestige
  • 5.3 Normvorstellungen und Normerfüllung
  • 6 Fazit
  • Literatur
  • Rudolf de Cillia: Deutsche Sprache und österreichische Identität/en
  • 1 Vorbemerkung
  • 2 Begriffsklärungen deutsche Sprache – österreichische Identität/en
  • 3 Sprachensituation, Sprachenrecht und deutsche Sprache
  • 4 Diskurse zur österreichischen Identität und Sprache/n
  • 4.1 Deutsch als Staatssprache und nationale Identitäten
  • 4.2 Österreichisches Deutsch und österreichische Identitäten
  • 4.2.1 Öffentlicher politischer und medialer Diskurs
  • 4.2.2 Halböffentlicher Diskurs
  • 4.2.3 Standardsprache – Umgangssprache – Dialekt?
  • 5 Schlussbemerkung
  • Literatur
  • Variationsphänomene Und Sprachliche Systemebenen
  • Christina Schrödl / Katharina Korecky-Kröll / Wolfgang U. Dressler: Pluralmorphologie im österreichischen Deutsch: Dialekt und Erstspracherwerb
  • 1 Einleitung
  • 2 Der Numerus im Standarddeutschen
  • 3 Der Numerus in bairischen Dialekten
  • 3.1 Literaturüberblick / Forschungsstand
  • 3.2 Der Numerus in Tadten im Seewinkel
  • 3.2.1 Variation 1: größere Variation an Pluralen gegenüber dem Standard
  • Statistische Verteilung
  • 3.2.2 Variation 2: mehrere Plurale für dasselbe Lexem
  • 3.2.3 Ergebnisse der Nacherhebung 2012
  • 4 Der Numeruserwerb bei zwei Wiener Kindern
  • 5 Diskussion und Schlussfolgerungen
  • Literatur
  • Sonstige Quellen
  • Ludwig M. Breuer: Ganz Wien ist ein g’mischter Satz: Erforschung der syntaktischen Variation in Wien – Fallbeispiel „unbestimmter Artikel vor Massennomen“
  • 1 Einleitung
  • 2 Die Erforschung des „Wienerischen“
  • 2.1 Forschungsstand und Vorhaben
  • 2.2 Untersuchungsraum
  • 2.3 Phänomen „unbestimmter Artikel vor Massennomen“
  • 3 Online-Fragebogen
  • 3.1 Methodenbeschreibung und Setting
  • 3.2 Auswertung EIN- vor Massennomen
  • Auswertung F1 und F3
  • Auswertung F7 und F11
  • Auswertung F5 und F10
  • 4 Resümee
  • Literatur
  • Dana Janetta Dogaru: Gebote bzw. Verbote und ihre Untermauerung in Zunftordnungen der Stadt Wien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
  • 1 Einleitung und Ziel
  • 2 Methode und Begriffsbestimmung
  • 3 Korpus
  • 4 Analyse
  • 4.1 Textaufbau der Ordnungen
  • 4.2 Gebrauch der Verben
  • 4.2.1 Modalverben und Sprechaktverben
  • 4.2.2 Genera verbi
  • 4.3 Legitimierungsstrategien der Gebote und satzstrukturelle Leistung
  • 4.4 Formale Ausgestaltung der Nebensätze
  • 5 Fazit
  • Literatur
  • Quellen
  • Forschungsliteratur
  • Anhang
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Sätze:
  • 2. Satzfunktionen
  • 3. Sonstiges:
  • Pfeile
  • Peter Ernst: Zu mittel- und norddeutschen Elementen im Wortschatz des „Österreichischen Deutsch“
  • 1 Einleitung: Beobachtungen
  • 2 Theoretische Verortung
  • 3 Befund
  • 3.1 Synchrone Analyse
  • 3.2 Diachrone Analyse
  • 4 Resümee und Ausblick
  • Literatur
  • Wörterbücher
  • Zusätzliche Quellen
  • Andrea Abel / Aivars Glaznieks: Wo Sprachkompetenzforschung auf Varietätenlinguistik trifft: empirische Befunde aus dem Varietäten-Lernerkorpus „KoKo“
  • 1 Einleitung
  • 2 Formelhafte Sequenzen
  • 2.1 Varietätenlinguistik und formelhafte Sequenzen
  • 2.2 Korpuslinguistik und formelhafte Sequenzen
  • 2.3 Lernersprachen und formelhafte Sequenzen
  • 2.4 Lernerkorpora und sprachliche Varietäten
  • 3 Korpusanalyse
  • 3.1 Das L1-Lernerkorpus „KoKo“: Zahlen und Fakten
  • 3.2 Methoden der Korpusanalyse
  • 3.3 Ergebnisse
  • 4 Interpretation
  • 4.1 Auffälligkeiten als lernerspezifisches Phänomen
  • 4.2 Diatopische Varianz in einem Varietäten-Lernerkorpus
  • 4.3 Vergleiche zu Referenzkorpora
  • 5 Fazit
  • Literatur
  • Ulrike Thumberger: Österreichisches Deutsch in der Erstübersetzung von Stephen Kings Roman “Salem’s Lot” („Brennen muß Salem!“)
  • 1 Einleitung
  • 2 Geschichtlicher Abriss des Zsolnay-Verlags
  • 3 Stephen Kings Roman “Salem’s Lot” in der Übersetzung
  • 3.1 Angaben zu den untersuchten Textausgaben
  • 3.2 Übersetzte Texte im Vergleich
  • 4 Österreichisches Deutsch – eine Begriffsbestimmung
  • 5 Österreichisches Deutsch in „Brennen muß Salem!“
  • 5.1 Zur Auswahl und Präsentation der Beispiele
  • 5.2 Beispiele aus Lexik und Semantik
  • 5.2.1 Parallele Verwendungen von Lexemen
  • 5.2.2 Zur Semantik von lieb und gern
  • 5.3 Beispiele aus der Phraseologie
  • 5.4 Beispiele aus der Morphologie
  • 5.5 Beispiele aus der Phonologie
  • 5.6 Beispiele aus der Syntax
  • 5.6.1 Die Bildung des Konjunktivs mit täte
  • 5.6.2 Die Wortstellung im Nebensatz
  • 5.6.3 Abweichender Artikelgebrauch
  • 5.7 Beispiele aus der Pragmatik
  • 6 Schluss
  • Literatur
  • Untersuchte Texte
  • Sekundärliteratur
  • Wörterbücher
  • Internetquellen
  • Klaus Geyer: bochan ‘gebacken und paniert’ – (Paradoxe?) intralinguale Untertitelung im Spielfilm Indien
  • 1 Überblick
  • 2 Der Film Indien
  • 3 Fiktionaler Dialektgebrauch und Dialektübersetzung
  • 2.1 Formen fiktionalen Dialektgebrauchs
  • 2.2 Funktionen fiktionalen Dialektgebrauchs
  • 2.3 Untertitelung und Dialektübersetzung
  • 4 Untertitel im Film Indien
  • 5 Interpretation und Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Literatur
  • Sprachkontakt Und Mehrsprachigkeit
  • Rosemarie Stern: Zweitspracherwerb deutscher Komposita durch Kinder mit den Erstsprachen Türkisch und B/K/S
  • 1 Einleitung
  • 2 Erstspracherwerb von Komposita
  • 3 Typologie
  • 3.1. Komposita im Türkischen
  • 3.2. Komposita im B/K/S
  • 4 Hintergrund: Komposita im Zweitspracherwerb
  • 5 Untersuchung zum Zweitspracherwerb von Komposita
  • 5.1 Ziel der Untersuchung
  • 5.2 Methodik
  • 5.2.1 Operationalisierung
  • 5.2.2 Untersuchungsdurchführung
  • 5.3 Ergebnisse
  • 5.3.1 Stichprobenbeschreibung
  • 5.3.2 Ergebnisse nach Erstsprachen
  • 5.3.3 Ergebnisse nach Kompositatypen
  • 5.3.4 Neologistische Komposita
  • 5.3.5 Invertierte Komposita
  • 5.3.6 Paraphrasen
  • 5.3.7 Transfer aus der Erstsprache B/K/S
  • 6 Diskussion
  • Literatur
  • Internetquellen
  • Csaba Földes: Österreichisches Deutsch in der bilingualen Lexikographie. Eine exemplarische Untersuchung
  • 1 Themenstellung und Zielsetzung
  • 2 Relevanzbereiche und Kontaktpunkte des ÖD für die Außenperspektive bzw. aus auswärtiger Sicht
  • 3 ÖD als Thema der (Meta-)Lexikographie
  • 4 Deutsch in Österreich im Kontext der zweisprachigen Lexikographie: die ausgewerteten Wörterbücher
  • 5 Schlussfolgerungen und Ausblick
  • Literatur
  • Wörterbücher
  • Elisabeth Knipf-Komlósi / Katharina Wild: Das österreichische Deutsch und seine Kontakte zu den deutschen Sprachinseln in Ungarn
  • 1 Einleitung
  • 2 Exkurs zu den deutschen Sprachinseln in Südosteuropa
  • 3 Historischer Rückblick: Donaumonarchie und Sprachpolitik
  • 4 Der sprachliche Aspekt: Ausgleichsprozesse in den deutschen Sprachinseln
  • 5 Unterschiedliche Beziehung der sozialen Schichten der deutschen Sprachinseln zum Österreichischen Deutsch
  • 6 Zur gegenwärtigen Situation
  • 7 Zusammenfassung
  • Literatur
  • Stefaniya Ptashnyk: Deutsch im alten Österreich: Zur Mehrsprachigkeit und Sprachvariation im habsburgischen Bildungswesen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Stadt Lemberg
  • 1 Vorbemerkungen
  • 2 Lemberg als multilinguale Stadt aus soziolinguistischer Perspektive
  • 3 Die Sprachenpolitik der Habsburger und die Regelungen für Galizien
  • 4 Sprachengebrauch in Lemberg: Domäne Bildung
  • 4.1 Sprachenregelungen für das Bildungswesen
  • 4.2 Sprachensituation an den Gymnasien in Lemberg
  • 4.2.1 Bildungseinrichtungen in Lemberg im Jahr 1850
  • 4.2.2 Lemberger Gymnasien um 1870
  • 4.2.3 Lemberger Gymnasien um 1900/1901
  • 5 Lehrwerke für Deutsch
  • 6 Fazit
  • Literatur
  • Deutschlehrwerke an den Lemberger Gymnasien im 19. Jahrhundert

VERTIKALE VARIATION UND VARIETÄTEN

Das Spektrum der Sprachvariation im alemannischsprachigen Vorarlberg und im übrigen Österreich: Realisierungen und Kategorisierungen

Irmtraud Kaiser / Andrea Ender1

1Einleitung

Österreich ist bekanntlich auf zwei größere Dialektgebiete aufgeteilt: das alemannischsprachige Gebiet im äußersten Westen, d. h. das Bundesland Vorarlberg und einige wenige Dörfer des Tiroler Außerferns, und das bairische Gebiet im Rest des Landes (vgl. Ammon 2003; Wiesinger 1986, 1992). Die Bandbreite sprachlicher Variation wird in diesen beiden Gebieten traditionell unterschiedlich beschrieben. Während das bairischsprachige Gebiet dem so genannten Dialekt-Standard-Kontinuum zugeordnet wird, ist die Einordnung des alemannischsprachigen Gebiets weit weniger eindeutig. Erkenntnisse zur Sprachvariation in Vorarlberg liegen kaum vor und dementsprechend selten wird der westlichste Teil Österreichs überhaupt in sprachlichen Darstellungen erwähnt. Ammon (2003) konstatiert für Vorarlberg und die Schweiz vergleichbare diglossische Verhältnisse. Wiesinger (1992: 297) stellt fest, dass Vorarlberg „eigene Wege geht“, gleichzeitig erwähnt er Zwischenformen zwischen Dialekt und Standard. Die genaue Beschaffenheit der Zwischenformen bleibt aber auch bei ihm offen.

Auch für den bairischsprachigen Teil sind nach wie vor einige Fragen ungeklärt: Umfragedaten zu Selbsteinschätzungen im Varietätengebrauch (Steinegger 1998) belegen, dass die Sprachvariation durch geographische (Ost-West-Lage innerhalb Österreichs und Größe des Wohnorts) und situative (Formalitätsgrad, Interaktionspartner) Faktoren bestimmt wird. Jedoch ist über das breite Zwischenfeld zwischen den Polen Standardsprache und Dialekt, die so genannte „Umgangssprache“, ihre Verwendung und Beschaffenheit, noch relativ wenig bekannt.

Angesichts der einerseits als so klar dargestellten Unterschiede zwischen dem alemannischsprachigen und dem bairischsprachigen Gebiet Österreichs und den andererseits so zahlreichen noch zu klärenden Fragestellungen in Bezug auf Beschaffenheit und Dynamik der verschiedenen Varietäten schien uns eine vergleichende Untersuchung dieser beiden Regionen besonders gewinnbringend zu sein. Im vorliegenden Beitrag werden Ergebnisse aus drei Studien zusammengeführt. In Abschnitt 2 werden zunächst bestehende Erkenntnisse aus älteren Studien zur Sprachverwendung in Österreich präsentiert. Besonders die Ergebnisse aus einer Online-Umfrage zur Sprachverwendung in den beiden Dialektregionen (detailliert beschrieben in Ender / Kaiser 2009) und die Erkenntnisse zur tatsächlichen Sprachverwendung in Telefongesprächen mit Personen unterschiedlicher dialektaler Herkunft (detailliert beschrieben in Kaiser / Ender 2013 und Ender / Kaiser [im ← 11 | 12 → Druck]) dienen als Hintergrund für eine perzeptive Studie zur Kategorisierung von verschiedenen Sprachformen aus beiden Dialektgebieten. Sodann werden die Methode und die teilnehmenden Personen dieses Perzeptionsexperiments vorgestellt (Abschnitt 3.1 bis 3.3), bevor zentrale Ergebnisse des Experiments präsentiert und diskutiert werden (Abschnitt 3.4). Dies schafft ein Gesamtbild aus verschiedenen Studien und Datenquellen, das im abschließenden Abschnitt 4 zusammengefügt und interpretiert wird.

2Dialekt-Standard-Variation in Österreich

Die Beschreibung der Varietätenpalette in den beiden österreichischen Dialektregionen unterscheidet sich hinsichtlich Anzahl und Status der involvierten Varietäten2. Für das bairischsprachige Österreich wird traditionell von einem Dialekt-Standard-Kontinuum mit einer regen Nutzung des Zwischenbereichs ausgegangen, während für das vergleichsweise kleine alemannischsprachige Österreich von einer Diglossie-Situation gesprochen wird (vgl. Ammon 2003; Wiesinger 1986, 1992). Die exakte Strukturierung des Zwischenbereichs im bairischsprachigen Gebiet wurde und wird kontrovers diskutiert. Die einen gehen von einem Schichtenkonzept bzw. distinktiven Sprachebenen aus (vgl. Kranzmayer 1953; Dressler / Leodolter / Chromec 1976; Wiesinger 1992), während andere für ein Kontinuumsmodell plädieren (vgl. Reiffenstein 1982; Scheutz 1999; Martin 1996). Entsprechend diesem Ansatz gibt es keine Brüche oder eindeutigen Abgrenzungen zwischen verschiedenen Sprachebenen, sondern die Verwendung von dialektalen Merkmalen ist lediglich gewissen Kookkurrenzrestriktionen unterworfen (vgl. Felix / Kühl 1982; Scheutz 1985; Martin 1996 sowie Auer 1986 für bairische Sprecher/-innen in Deutschland). Abseits der theoretisch-linguistischen Diskussion um die Strukturierung des Zwischenbereichs fällt die alltägliche Bezeichnungspraxis von Sprachformen als „Dialekt“, „Hochdeutsch“ und „Umgangssprache“ auf. Diese Bezeichnungen werden in Umfragen von Personen aufgegriffen und bilden Kategorien zur Einschätzung des eigenen und fremden Sprachverhaltens (vgl. Steinegger 1998; Ender / Kaiser 2009).

Die richtungsweisenden Ergebnisse zum Gebrauch und zur Beurteilung der Varietäten aus der oben erwähnten Selbsteinschätzungs-Umfrage aus den Jahren ← 12 | 13 → 1984/85 und 1991/92 (Steinegger 1998) zeigen, dass die Wahl einer Sprachform in Österreich von sozialen und situativen Faktoren abhängig ist. So hängt der Sprachgebrauch u. a. von der Größe des Wohnortes und auch von dessen geographischer Lage ab: Im Westen Österreichs und in kleineren und ländlicheren Siedlungsgemeinschaften scheint der Dialekt gefestigter (vgl. Steinegger 1998: 169ff. und 201ff.). Mit steigendem Sozialstatus nimmt zudem die Verwendung der „Umgangssprache“ zu (vgl. Steinegger 1998: 153ff.). Insgesamt ist der Dialekt jedoch österreichweit vital, da sich immerhin 78 % der Befragten als Dialektsprecher/-innen bezeichnen und der Dialekt für beinahe die Hälfte die bevorzugte Sprachform ist (49,5 % Dialekt, 45,5 % Umgangssprache und 5 % Hochdeutsch; n = 1455) (vgl. Steinegger 1998: 90). Hervorzuheben ist, dass laut dieser Umfrage in Vorarlberg die Dialektkompetenz und der Dialektgebrauch von allen österreichischen Bundesländern am höchsten und die Dialektbeurteilung am positivsten ist (vgl. Steinegger 1998: 201ff.).

Für den Vorarlberger Raum wird eine Umgangssprache in der Forschungsliteratur nur am Rande erwähnt. Eugen Gabriel (1973: 75f.) beschreibt eine Vorarlberger Form der gehobenen Umgangssprache, das sog. „Bödeledeutsch“, als eine Sprachform, die der sprachlichen Distanzierung der „besseren Kreise“ (ursprünglich Fabrikanten) von den anderen Schichten diente. Je nach geographischer Lage ist eine solche Sprachform, die sich „deutlich“ von einer Umgangssprache der jüngeren Generationen unterscheidet (Gabriel 1973: 75), auch als „Ganahldeutsch“ bekannt. Motiviert sind diese Bezeichnungen entweder durch die Lage der Wohn- oder Ferienhausdomizile der früher privilegierten Fabrikantenfamilien (z. B. „Bödele“, das Naherholungsgebiet ob der Stadt Dornbirn) oder deren Familiennamen (wie „Ganahl“ in Feldkirch).

Diese Ergebnisse zum Stellenwert von Dialekt und Standard in den beiden Dialektregionen werden durch neuere Daten aus einer Online-Umfrage von Ender / Kaiser (2009) (im Weiteren auch „Studie 1“) bestätigt. Die dabei erhobenen Selbstauskünfte zum Sprachgebrauch in bestimmten Gesprächssituationen belegen insbesondere wesentliche Unterschiede zwischen dem bairisch-österreichischen und alemannisch-österreichischen Raum. Während die alltäglich gesprochene Kommunikation in Vorarlberg entsprechend den Angaben der Befragten vom Dialekt dominiert wird, fällt im bairischen Sprachraum die intensive Nutzung des Bereichs zwischen Dialekt und Standard auf. Besonders in Situationen abseits des privaten und informellen Kontexts wird häufig die Verwendung der so genannten „Umgangssprache“3 angeführt. 58 % der Befragten geben etwa an, mit inländischen Arbeitskolleginnen und -kollegen „häufig“ oder „(fast) immer“ Umgangssprache zu sprechen, mit Arbeitskolleginnen und -kollegen aus anderen deutschsprachigen Ländern steigt der Wert sogar auf 70 % (vgl. Ender / Kaiser 2009: 284–286). Die eigene niedrigere Einschätzung der Dialektkompetenz und ein geringeres Prestige des Dialekts im bairischsprachigen Raum zeigen sich schließlich beispielsweise an der Wahl der Varietät in der Kommunikation mit den eigenen Kindern. In Vorarl ← 13 | 14 → berg steht hier der Dialekt mit 93 % beinahe konkurrenzlos da. Im bairischsprachigen Raum nennen ihn nur 49 % der Befragten, 45 % geben hingegen Umgangssprache an. In Vorarlberg erreicht die Umgangssprache in allen erfragten Kontexten maximal einen Wert von 25 %, nämlich im Arbeitsplatz-Kontext mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen deutschsprachigen Ländern. Für eine Region mit angenommener Diglossie ist dieser Wert allerdings dennoch nicht zu vernachlässigen. Erste empirische Hinweise auf den speziellen Status einer Vorarlberger „Umgangssprache“, die Gabriels (1973) Beobachtungen untermauern, geben einzelne Kommentare der Informantinnen und Informanten aus dieser Umfrage, wie z. B.: „In Vorarlberg gibt es eine Mischform zwischen Dialekt und Hochdeutsch – Ganahldeutsch. Diese Sprache wird ziemlich einhellig von den Vorarlbergern verhöhnt. (‚Die meinen, was Besseres zu sein‘ etc.)“ (Ender / Kaiser 2009: 285).

Die Selbstauskünfte von Befragten aus dem bairisch-österreichischen und dem alemannisch-österreichischen Raum entsprechen somit weitgehend den Unterschieden, die durch die Konzepte Dialekt-Standard-Kontinuum und Diglossie impliziert sind: eine intensive Nutzung des Zwischenbereichs im bairischsprachigen Raum und ein eher funktional getrenntes Nebeneinander von Dialekt und Standarddeutsch im alemannischen Raum.

Tatsächliche Sprachdaten aus einer Telefonuntersuchung (im Weiteren auch „Studie 2“) zeigen jedoch auf, dass das individuelle Spektrum der Sprachvariation von Personen aus den beiden Regionen nicht zwangsläufig diesen Mustern entsprechen muss (vgl. Kaiser / Ender 2013 und Ender / Kaiser [im Druck]). Analysiert wurden Telefongespräche von Vorarlberger und Salzburger Sprecherinnen und Sprechern, die von verschiedenen Gesprächspartnerinnen angerufen wurden (einer Vorarlberger und einer Salzburger Dialektsprecherin, einer deutschen Standard-Sprecherin und einer Sprecherin des Deutschen als Fremdsprache). Ein solches Vorgehen elizitiert aufgrund von Mechanismen der sprachlichen Akkommodation (Giles / Powesland 1975) bei den verschiedenen Sprecherinnen und Sprechern Sprachvariation. Diese wurde durch die Berechnung des Dialektalitätsgrades (vgl. Herrgen et al. 2001) für die Redebeiträge der angerufenen Teilnehmer/-innen erfasst. In den analysierten Telefongesprächen ließen sich teilweise erstaunliche Parallelen zwischen den beiden Dialektregionen beobachten. So bildet das kollektive Repertoire der Sprachgemeinschaften (in das wir hier durch vier bzw. drei Sprecher/-innen in jeweils vier verschiedenen Gesprächen Einblick erhalten) in beiden Regionen durchaus ein „sprachliches Kontinuum“ zwischen Standard und Dialekt, in dem die ganze Spannbreite von sehr standardnahem bis stark dialektalem Sprechen mit einer Vielzahl von Zwischenformen auftritt. Viel bedeutender scheint uns jedoch der Faktor Individualität im Hinblick auf die Sprachvariation in beiden Gegenden. Sprecher/-innen beider Regionen können sich nach unseren Daten „diglossisch“ verhalten oder auch ein „Kontinuum“ an Sprachformen aufweisen. Denn während es offensichtlich auch bairischsprachige Österreicher/-innen gibt, die sich kaum des ganzen Spektrums zwischen Dialekt und Standard bedienen, sind in der Sprache einiger Vorarlberger/-innen auch Zwischenformen zwischen Dialekt und Standardsprache festzustellen. ← 14 | 15 →

Diese Ergebnisse zur Verwendung von verschiedenen Sprachformen verdeutlichen, dass es lohnend ist, die Wahrnehmung und Kategorisierung von Sprachformen mit unterschiedlicher Dialektalität genauer unter die Lupe zu nehmen. Eine perzeptive Perspektive soll einen Einblick in die Frage geben, ob Sprecher/-innen der beiden Dialektregionen die Konstrukte „Standard“, „Dialekt“ und „Umgangssprache“ unterschiedlich abgrenzen. Dies könnte eine mögliche Erklärung für die augenscheinlichen Diskrepanzen zwischen Selbsteinschätzung und linguistischer Beobachtung des Sprachverhaltens liefern.

3Perzeptionsexperiment

3.1 Sprachproben

Von einer Vorarlberger und einer Salzburger Sprecherin wurden jeweils vier Sprachproben erstellt. Dabei wurde dieselbe Geschichte mit unterschiedlicher Dialektalität vorgetragen, was in Sprachproben mit unterschiedlichen D-Werten, von österreichischem Standard (D = ca. 0,25), über standardnah (D = ca. 0,9) und dialektnah (D = ca. 1,6) bis dialektal (D > 2) aus beiden Dialektregionen resultierte. Die standardsprachliche Version der Erzählung ist in Abbildung 1 abgedruckt:

Heute Nacht hat’s geschneit und der kleine Franzi will darum gar nicht gern in die Schule gehen. Schneemannbauen wär‘ doch viel lustiger! Aber der Vater und die Mutter geben nicht nach und schicken den Buben aus dem Haus. Auf dem Weg macht der Franzi mit seinen Freunden eine Schneeballschlacht. Knietief liegt der Schnee auf der Straße und die Bäume glitzern in der Sonne. Wegen der dicken weißen Schneedecke merken sie aber nicht, dass sie schon auf dem zugefrorenen Gartenteich von den Nachbarn stehen. Auf einmal kracht‘s und zwei von den Buben schwimmen im kalten Wasser! So ein Pech! Mit einer großen Leiter zieht der Nachbar die Buben wieder heraus und sie rennen schnell heim. Der Vater hört die Haustür und fragt: „Was ist los? Musst du noch was holen? “ Der kleine Franzi zittert zwar vor lauter Kälte, aber eine Antwort hat der Lauser parat: „Nein, aber die Schule ist heute ins Wasser gefallen! “

Abb. 1:Standardsprachliche orthographische Transkription der Sprachprobe

Für die Salzburger Sprachproben bedeutet dies, dass in der dialektnahen Version gegenüber der Dialektversion basisdialektale morphologische Besonderheiten ausgemerzt wurden, wie z. B. das Partizip Perfekt von schneien ([kʃni:m] vs. [kʃnaɪt]) und die 3. P. Pl. Pr. Ind. von stehen ([ʃtɛŋan] vs. [ʃte:n]), sowie dass u. a. die o-Diphthongierung ([grəʊs] groß) aufgehoben wurde und die Lenisierung der stimmlosen Plosive bedeutend weniger ausgeprägt ist. In der standardnahen Aufnahme wird zusätzlich <eu> nicht mehr als [aɪ] (heute) realisiert, die bairische i- (knietief) und u-Diphthongierung (Buben), l-Vokalisierung (kalt) sowie die ö-Entrundung (hört) fallen vollständig weg. Es gibt zudem weniger Assimilierun ← 15 | 16 → gen der Endungen (wegen, geben). Hingegen bleiben jedoch a-Verdumpfung, e-Apokope (Schul) und kurze Artikelformen (de, da für ‘die’, ‘der’) erhalten.

Auch in den Vorarlberger Sprachproben wurden dialektale Merkmale stetig reduziert. In der dialektnahen Version wird zunächst die mittelhochdeutsche Monophthongierung neutralisiert ([i:] > [aɪ] in mein; [y:] > [ɔY] in heute; [u:] > [aʊ] in laut), während die öffnenden Diphthonge [iə, yə, uə] erst in der standardnahen Sprachprobe wegfallen. Weiters werden in der standardnahen Aufnahme auch die dialektalen vollen Vokale im Nebenton reduziert, die a-Verdumpfung fällt weg, s-Palatalisierung, e-Apokope und kurze Artikelformen bleiben jedoch erhalten. Der alemannische Ursprung der Sprecherin zeigt sich in der österreichischen Standardsprachprobe etwa durch die teilweise Realisierung des <r> als alveolaren Vibranten oder einen vom Standard abweichenden Öffnungsgrad der Nebentonvokale.

Zusätzlich wurde dieselbe Geschichte von vier weiteren Sprecherinnen in Schweizer Standarddeutsch, deutschem Standarddeutsch, Deutsch mit französischem Akzent (jeweils nur phonetische Abweichungen von den Fassungen in österreichischem Standard) und Niederländisch aufgezeichnet. Diese Aufnahmen wurden als „Füller“ verwendet.

3.2 Online-Fragebogen

Nach der Erhebung von biographischen Angaben zu Geschlecht, Alter, Bildungsgrad, Herkunft und derzeitigem Wohnort wurden die verschiedenen Sprachproben in randomisierter Reihenfolge präsentiert. Wie in Abbildung 2 ersichtlich, wurde nach der Einspielung der Sprachprobe – die von den teilnehmenden Personen jederzeit beendet oder erneut abgespielt werden konnte – nach einer Bezeichnung der jeweiligen Sprachform gefragt. Danach musste eine Einschätzung der Dialektalität auf einer siebenstufigen Skala zwischen den Polen „Dialekt“ und „Hochdeutsch“ abgegeben werden. Für die relevanten Sprachproben der österreichischen Sprecherinnen wurde dann noch eine Einschätzung zur Verwendungshäufigkeit der jeweiligen Sprachform erhoben. Dies sollte Einblicke in die Realitätsnähe schaffen, d. h. inwiefern die konstruierten Sprachproben dem Urteil der Befragten nach tatsächlich existieren, denn ein Urteil zum Dialektalitätsgrad ließe sich theoretisch auch für eine völlig unnatürliche und nie wahrzunehmende Sprachform abgeben. Dieses Urteil wurde mithilfe einer fünfstufigen Skala von „niemand spricht manchmal so“ bis „sehr viele sprechen manchmal so“ erhoben.

3.3 Analysierte Stichprobe

Der Fragebogen wurde von über 170 Personen vollständig ausgefüllt. Für die Auswertung wurden vorerst grundsätzlich nur jene Personen weiter in Betracht gezogen, die als Ansässige einer der beiden Dialektregionen gelten können, d. h. die in dieser Region geboren und in der Region wohnhaft sind. Zunächst kam ein unterschiedlicher Aufbau der Informantengruppe aus dem bairischen und alemannischen Gebiet zustande. Um zwei ähnliche Stichproben aus den beiden Gebieten verglei ← 16 | 17 → chen zu können, wurden für die nachfolgenden Analysen jene Personen ausgewählt, die anhand der demographischen Variablen (Geschlecht, Alter, Bildungsstand) gepaart werden konnten. Kontrastiert werden somit die Angaben von je 43 Personen mit einem Durchschnittsalter von 45 Jahren (Spanne von 17 bis 69), 21 davon weiblich und 22 männlich, mit einer Überrepräsentation von höheren Bildungsgraden (44 % (Fach-)Hochschulabschluss).

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Abb. 2:Beispielseite des Online-Fragebogens

3.4 Ergebnisse: Wahrnehmung und Kategorisierung von Dialekt-Standard-Variation

Da das Konzept der „Umgangssprache“ in der Beschreibung der Sprachverwendung besonders im bairischen Dialektraum eine wichtige Rolle spielt, soll zuerst ← 17 | 18 → dessen Stellenwert in der Bezeichnung der Sprachproben betrachtet werden. Die Angaben der bairischen Befragten unterscheiden sich hier ganz deutlich von jenen der Vorarlberger Personen: 22 der 43 Personen aus dem bairischen Sprachraum verwenden in der Bezeichnung der Sprachproben zumindest ein Mal den Ausdruck „Umgangssprache“ (51 %), jedoch nur zehn der Vorarlberger Befragten (23 %). Der Begriff besitzt demnach im bairischen Sprachraum die deutlich größere Verbreitung.4

Bei der Frage, was unter der Bezeichnung verstanden wird, stimmen die Antworten in den beiden Dialekträumen mehrheitlich überein: Die Bezeichnung steht für den Großteil der Personen, die die Bezeichnung selbst verwenden, für eine Form zwischen Dialekt und Hochdeutsch (77 % bzw. 17 Bairischsprachige und 70 % bzw. sieben Alemannischsprachige) und nur zweitrangig für die alltägliche Sprechweise (45 % bzw. zehn und 30 % bzw. drei Personen)5. Zu erwähnen ist noch ein kleiner – wenn auch angesichts der geringen Fallzahlen nicht überzubewertender – Unterschied: Zwei der Vorarlberger/-innen, die die Bezeichnung benützen, verstehen verfälschten Dialekt darunter, während dies keine einzige Person aus dem bairischsprachigen Raum tut. Insgesamt lässt sich in der Bedeutungszuschreibung von Umgangssprache jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Regionen erkennen.6

Die Bezeichnung „Umgangssprache“ findet am häufigsten für die standardnahen Sprachproben der Salzburger und Vorarlberger Sprecherin Verwendung (16 bzw. 15 Nennungen), seltener für die dialektnahen (sechs bis acht Mal) und nur in Ausnahmen für die dialektalen Sprachproben (vier bzw. ein Mal). Klar wird dadurch, dass für die beiden Sprachproben aus dem mittleren Dialektalitätsbereich auch zahlreiche andere Bezeichnungen eingesetzt werden. Wir treffen dort immer noch sehr häufig auf den Begriff „Dialekt“, z. B. „Salzburger oder oberösterreichischer Dialekt“ oder einfach „Salzburgerisch“. Daneben gibt es aber zahlreiche Benennungen, die eine solche Sprachform deutlich von „reinem“ Dialekt oder Standard abzuheben versuchen, etwa „Deutsch in leichtem Salzburger Dialekt“, „Dialekt mit Hochdeutsch vermischt“ usw. ← 18 | 19 →

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Abb. 3:Bedeutungen der Bezeichnung „Umgangssprache“ im Vergleich zwischen Bairisch- und Alemannischsprachigen

Für einen besseren Überblick über die Benennungspraxis sollen die einzelnen Angaben größeren Gruppen zugewiesen werden. Es wurden drei große Kategorien gebildet: (1) Dialekt, (2) Umgangssprache oder Mischform, (3) Standarddeutsch. Unter „Dialekt“ werden sämtliche Bezeichnungen wie „Dialekt (+ Ortsangabe)“ oder „Salzburgerisch“ beziehungsweise „Vorarlbergerisch“ gesammelt. Die zweite Kategorie „Umgangssprache oder Mischform“ (abgekürzt als UGS/MISCH in den Abbildungen) vereint neben der Bezeichnung „Umgangssprache“ alle Angaben, die eine Sprachform deutlich sowohl vom Dialekt als auch vom Standard abheben oder sie als eine Mischung dieser beiden kategorisieren: z. B. „Mischform zwischen Dialekt und Hochdeutsch“, „dialektgefärbtes Hochdeutsch“. Für Vorarlberg wurden auch bestimmte Bezeichnungen wie „Bödeledütsch“, „Ganahldütsch“ usw. integriert, deren spezieller Status in Abschnitt 2 bereits angedeutet wurde und die wir unten noch einmal genauer zur Sprache bringen werden. Die Kategorie „Standarddeutsch“ umfasst neben „Hochdeutsch“ oder „Standarddeutsch“ ohne Zusatz auch dieselben mit dem Zusatz „österreichischer / Vorarlberger / Salzburger Akzent / Prägung“ oder „von Österreicherin / Salzburgerin / Vorarlbergerin gesprochen“. Für einzelne Angaben wie „Österreichisch“, „ländlich“, „Deutsch“ oder fehlende Angaben (insgesamt 44 von 688 Fällen) wurde eine Ausschlussgruppe gebildet. Wie alemannische und bairische Sprecher/-innen die Vorarlberger und Salzburger Sprachproben bezeichnen, wird in den Abbildungen 4 und 5 im Vergleich dargestellt. ← 19 | 20 →

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Abb. 4:Bezeichnungspraxis für die Salzburger Sprachproben

Die alemannischen und bairischen Sprecher/-innen unterscheiden sich in Bezug auf die Salzburger Sprachproben vor allem bei der Benennung des mittleren Bereichs. Während die dialektnahe, ebenso aber auch die standardnahe Salzburger Sprachprobe von Vorarlbergerinnen und Vorarlbergern eher noch als eine Art von „Dialekt“ bezeichnet wird, verwenden hier bairische Sprecher/-innen deutlich häufiger eine Bezeichnung, die den Charakter der Sprachproben als Umgangssprache bzw. Mischform hervorhebt.7 Bei den beiden Sprachformen mit niedrigem und hohem D-Wert unterscheiden sich die Sprecher/-innen der beiden Regionen hingegen kaum in den Benennungen.

Dieses Zwischenresultat könnte Anlass zur Vermutung geben, dass alemannische Hörer/-innen über eine extensiver konzipierte Dialektkategorie verfügen und deshalb Sprachformen, die auch nur leichte Dialektmerkmale aufweisen, dieser Kategorie zuweisen. Dass dies so nicht der Fall ist, zeigt der Vergleich mit den Bezeichnungen für die Vorarlberger Sprachproben, da sich das Ergebnis hier in gespiegelter Form wiederfindet. Während die bairischen Sprecher/-innen in unserer Umfrage sowohl die standardnahe als auch die dialektnahe Vorarlberger Sprachprobe noch häufig als eine Art „Dialekt“ bezeichnen, verwenden hier alemannische Sprecher/-innen gerne eine Bezeichnung, die ausdrückt, dass es sich eben um eine Sprachform des mittleren Dialektalitätsgrades handelt.8 ← 20 | 21 →

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Abb. 5:Bezeichnungspraxis für die Vorarlberger Sprachproben

Betrachtet man in beiden Fällen die Bezeichnungen, so fällt auf, dass Personen aus der jeweiligen Region der Sprachproben häufiger auf Bezeichnungen zurückgreifen, die eine mittlere Dialektalität – d. h. eine „Mischung“ aus Standard und Dialekt – markieren. Die Sprecher/-innen aus der jeweils anderen Dialektregion sind bei der Verwendung dieser Bezeichnungen deutlich zaghafter und ordnen die fraglichen Sprachbeispiele eher als Dialekt ein. Das deutet darauf hin, dass die jeweilige Definition, was (noch) Dialekt ist, für die eigene Dialektregion und für die fremde Dialektregion unterschiedlich ist. Genauer gesagt: Es wird für Sprachproben der eigenen Dialektregion in der Bezeichnung schneller auf Abweichungen vom Dialekt hin zu standardnäheren Sprachformen reagiert, während für die fremde Region die Dialektkategorie eher auch noch standardnähere Sprachformen umfassen kann. Insgesamt zeugt dies von einer differenzierteren Wahrnehmung und / oder Benennung der Sprachformen der eigenen Region, was natürlich in der größeren Erfahrung und dem ausgiebigeren Kontakt damit begründet sein dürfte.

Ein genauer Blick auf die Bezeichnungen für die mittleren Sprachformen zeigt zudem, dass in den Benennungspraxen der beiden Regionen unterschiedliche Spracheinstellungen mitschwingen. Für die Sprachproben aus dem mittleren Dialektalitätsbereich fallen in beiden Regionen Bezeichnungen, die primär deskriptiven Charakter haben, wie „Dialekt aus Vorarlberg / Salzburg“, „vorarlbergerische / österreichische Umgangssprache“ und „Mischform zwischen Dialekt und Hochdeutsch“. Daneben gibt es aber eine Reihe von Bezeichnungen, die auch bewerten. Dabei fällt auf, dass diese wertenden Bezeichnungen oder Beschreibungen häufiger aus dem alemannischen Sprachraum stammen. In Bezug auf die alemannischen Sprachproben finden sich von Vorarlberger Hörerinnen und Hörern beispielsweise Zusätze wie „verhochdeutschtes“ Vorarlbergerisch oder „Möchtegern-Hochdeutsch“, „kein reiner“ bzw. sogar „verfälschter Dialekt“ oder „Mischmasch aus Oberländer-Dialekt und Pseudo-Hochdeutsch“. Für die standardnahe alemanni ← 21 | 22 → sche Sprachprobe fallen dann besonders die lokal verwurzelten Bezeichnungen auf: „Bödeledeutsch“ (sieben Nennungen), „Ganahldütsch“ (drei Nennungen) und noch jeweils einmal „Ardetzenberglerdeutsch“ (der Stadtberg in Feldkirch), „Getznerdütsch“ (Industriellenfamilie in Bludenz), „Pfänderdeutsch“ (Stadtberg in Bregenz). Diese Benennungen erscheinen einmal mit dem Zusatz „Verkehrsdialekt“, des Weiteren aber mit den Zusätzen „Möchtegern-Hochdeutsch“, „Mischmasch Dialekt Hochdeutsch“ „insbesonders die ‚Besseren‘ in Bregenz“, „mit hochdeutschen Einsprenglingen verfälschter Dialekt“. Diese lokal verwurzelten Bezeichnungen stehen natürlich nur Vorarlbergerinnen und Vorarlbergern für den mittleren Bereich zur Verfügung. Eine vergleichbare Benennungsquelle fehlt hingegen für den bairischen Sprachraum vollständig. Insgesamt tendieren die bairischen Hörer/-innen weniger zu einer negativen Bewertung von Zwischenformen. Die Vorarlberger Sprachproben werden von ihnen ohnehin kaum bewertet, wenn überhaupt, dann eher noch als „gut verständlich“ oder „schön gesprochen“ (alem. dialektnah). Die standardnahe alemannische Sprachprobe wird von vielen bairischen Hörerinnen und Hörern gar nicht mehr als alemannisch erkannt, sondern häufig auch als tirolerisch eingeordnet.

Auch in Bezug auf die eigenen, bairischen Sprachproben äußern sich die Bairischsprachigen in unserer Umfrage keineswegs so negativ wie die Vorarlberger/-innen zu ihren eigenen Mischformen. Neben Benennungen wie „Dialekt mit Hochdeutsch vermischt“ fallen besonders Bemerkungen wie etwa „abgeschwächter“, „gehobener“ oder „schöner Dialekt“ von einer „gepflegten Tirolerin“ [!] auf. Nicht unerwähnt bleiben sollte schließlich aber auch das (allerdings aus der hier analysierten Stichprobe gefallene) „Pseudo-Umgangssprache (Bergdoktor-Bairisch ;-))“, um zu zeigen, dass auch im bairischen Sprachraum die mittleren Sprachformen nicht durchwegs als wertneutrale oder gar positiv bewertete verkehrsdialektale Form gedeutet werden.

In den Bezeichnungen für den mittleren Bereich deutet sich somit an, dass die Vorarlberger/-innen dem Zwischenbereich zwischen Dialekt und Standard gegenüber anders begegnen – nämlich etwas kritischer – als die Personen aus dem bairischen Sprachraum, auch wenn bei der Auswertung unserer kleinen Stichprobe Vorsicht walten muss.

Neben diesen freien Bezeichnungsantworten stehen nun die Daten aus der nummerischen Dialektalitätseinschätzung, denn jede dieser acht präsentierten Sprachproben musste auf einer siebenstufigen Skala (1 „Dialekt“ bis 7 „Hochdeutsch“) eingestuft werden. In Abbildung 6 zeigt sich sehr deutlich, dass die Abstufungen der Dialekt-Standard-Nähe in beiden Dialektgebieten und für beide Sets von Sprachproben grundsätzlich ähnlich ausfallen. Die Vorarlberger Hörer/-innen beurteilen aus uns unbekannten Gründen abseits der standardnahen Sprachprobe sämtliche Ausschnitte als dialektaler als die bairischen Hörer/-innen (dunkelgraue Box).9 Die abgestufte Einschätzung als solche bleibt jedoch bestehen. ← 22 | 23 →

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Abb. 6:Dialektalitätseinschätzungen (von 1 = „Dialekt“ bis 7 = „Hochdeutsch“)

In den Angaben zur Einschätzung, ob Leute (von „niemand“ = 1 bis „viele“ = 5) manchmal so sprechen, fallen die Angaben für die alemannischen Sprachproben im Vergleich zu den bairischen Sprachproben etwas niedriger aus (vgl. Abbildung 7). Diese Frage diente uns nicht etwa zur Einschätzung der Sprecherzahl, sondern zur Überprüfung, ob die von uns konstruierten Sprachproben von den Hörerinnen und Hörern für realistisch und authentisch gehalten werden (deshalb auch die etwas vage Formulierung). Die Resultate zeigen, dass keiner der präsentierten Ausschnitte von Personen aus der fraglichen Region oder außerhalb davon als völlig unrealistisch eingestuft wird. Auffallend ist zunächst, dass sich die bairischen Hörer/-innen in der Beurteilung der Vorarlberger Dialektprobe von den Vorarlberger/-innen unterscheiden.10 Diese Asymmetrie lässt sich unter Umständen dadurch erklären, dass für Bairischsprachige der Kontakt mit alemannischem Dialekt – alleine aufgrund der geringeren Anzahl an Sprecherinnen und Sprechern österreichweit und deren beschränkter Präsenz in den österreichischen Medien und im Alltag bairischsprachiger Personen – vergleichsweise gering ist. Insgesamt sind die Reali ← 23 | 24 → tätsurteile für die Vorarlberger Sprachproben insbesondere im mittleren Bereich interessant. Die etwas niedrigeren Werte11 sprechen hier zwar dafür, dass diese Sprachformen nicht als gleichermaßen häufig, jedoch keinesfalls als unmöglich eingeschätzt werden. Dass sie nicht unmöglich sind und man durchaus im Alltag damit konfrontiert werden kann, wird auch dadurch unterstrichen, dass gerade die Vorarlberger Hörer/-innen sehr spezifische Bezeichnungen für die Sprachproben im Mittelbereich haben.

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Abb. 7:Realitätseinschätzungen (von 1 = „niemand“ bis 5 = „viele“)

Details

Seiten
392
Erscheinungsjahr
2015
ISBN (PDF)
9783653045994
ISBN (MOBI)
9783653982497
ISBN (ePUB)
9783653982503
ISBN (Hardcover)
9783631653807
DOI
10.3726/978-3-653-04599-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Dezember)
Schlagworte
Sprachkontakt Mehrsprachigkeit Varietätenspektrum Sprachvariation
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 392 S., 36 s/w Abb., 50 Tab.

Biographische Angaben

Alexandra N. Lenz (Band-Herausgeber:in) Timo Ahlers (Band-Herausgeber:in) Manfred M. Glauninger (Band-Herausgeber:in)

Alexandra N. Lenz ist Professorin für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Wien. Timo Ahlers ist Assistent am Institut für Germanistik der Universität Wien. Manfred M. Glauninger ist Soziolinguist an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Privatdozent an den Universitäten Wien und Graz.

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Titel: Dimensionen des Deutschen in Österreich