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Prinzipien der Aufklärung und ihre Bedeutung für die Sozialphilosophie

Kant – Fénelon – Hegel

von Albrecht Kreuzer (Autor:in)
©2015 Monographie 153 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch untersucht die philosophische Geschichte der Formel Liberté, Égalité, Fraternité und ihrer bekanntesten Vertreter. Fénelon, der als Urheber der Formel gilt, bestimmt mit seinem ethischen Prinzip der reinen Liebe den theologischen und politischen Diskurs der Frühaufklärung. Seine Philosophie ist beispielhaft für eine Ethik, die als Aufklärung auf die Gesellschaftsentwicklung einwirkt. Hegel ist Vollender und Totengräber der Aufklärung in Einem. In seinem System integriert er die Aufklärung, bringt sie zum Abschluss und überwindet sie zugleich. Doch lebt sie in der nachhegelschen Philosophie wieder auf. Seitdem haben ihre Prinzipien einen ungebrochenen Einfluss auf die gegenwärtige Philosophie und Gesellschaft.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • I. Sozialphilosophie als Aufklärung des Gemeinwesens
  • I.1 Die Rolle der Philosophie im Aufklärungsprozess
  • I.2 Das Prinzip der Publizität – formales Prinzip der Aufklärung
  • I.3 Kants Aufklärungsziel
  • II. Fénelons antieudämonistische Aufklärung
  • II.1 Fénelons Cartesus
  • II.1.1 Thomas von Aquin mit Descartes
  • II.1.2 Cartesianische Gewissheitsbegründung
  • II.2 Fénelon und die neuzeitliche Aufklärung
  • II.3 Liebe und Freiheit
  • II.4 Erziehung zur Freiheit. Fénelons sittliche Dialektik
  • III. Reflexionen der Aufklärung
  • III.1 Die Rose im Kreuz und der spekulative Karfreitag
  • III.2 Hegels Geschichte
  • III.3 Ende der Geschichte
  • III.4 Geschichte(n) nach dem Ende
  • Literaturverzeichnis

← 6 | 7 → Einleitung

Gesellschaftliche Veränderungen gehen oft nicht ohne Gewalt und Brutalität vor sich. Aufstrebende Bevölkerungsschichten, wie z.B. das Bürgertum in Frankreich während der Französischen Revolution, versuchen politische Macht entsprechend ihrer wachsenden ökonomischen Macht zu erlangen und ihre Lebens – und Kulturform im Staat zur dominierenden zu machen. Nicht minder erbittert und brutal – wenn auch nicht mit physischer Gewalt geführt –, sind die Kämpfe in der Theorie, wenn sie sich um dasselbe Thema drehen: die Vorgabe einer Lebensform, die Einrichtung der Gesellschaft gemäß dieser Form.

Einer Philosophie, die in diesen Kampf eintritt, geht es darum, Anweisungen für die Praxis, für das Verhalten, für das Tun der Menschen zu geben. Sie ist praktische Philosophie und zugleich, da ihre Anweisungen für die ganze Gesellschaft, für das Gemeinwesen gelten sollen, Sozialphilosophie. Um ihr ethisches Prinzip als allgemeine Verhaltensnorm durchzusetzen, ist sie bestrebt, Einfluss auf das Gemeinwesen zu gewinnen, wobei sie in Konkurrenz zu anderen praktischen Philosophien und deren ethischen Prinzipien tritt. Überhaupt jede Philosophie kann politisch werden, – so unpolitisch sie auch erscheinen mag –, sobald sie einen Platz einnimmt in einem Mechanismus von öffentlichem Auftreten, In-Konkurrenz-Treten mit anderen Positionen, Sich-Durchsetzen, Einfluss-Gewinnen auf das Gemeinwesen und weiteren Momenten und Faktoren.

Es ist ein ewiges Ringen um die Aufmerksamkeit des Publikums, die immer knapp ist. Das soll nicht heißen, dass die Suche nach der absoluten Wahrheit zugunsten eines philosophischen Machtpositivismus aufgegeben wird. Vielmehr ist nur vor dem Horizont der Gewissheit von der Existenz der absoluten Wahrheit die philosophische Auseinandersetzung überhaupt möglich. Doch ist es wohl so, wie Robert Spaemann bemerkt, dass selbst die Beweise der Mathematik strittig würden, wenn sie dieselben schwerwiegenden Auswirkungen auf das öffentliche Leben hätten, die die Zuerkennung ← 7 | 8 → des absoluten Wahrheitsanspruches an eine bestimmte praktische Philosophie haben würde.1

In der berühmten amour-pur-Kontroverse, die zwischen Fénelon und Bossuet zu Beginn des „Zeitalters der Aufklärung“2 ausgetragen wurde, zeigt sich uns der Kampf zweier ethischer Prinzipien: des eudämonistischen und des antieudämonistischen Prinzips. Es handelte sich um einen als theologische Kontroverse verkleideten politischen Kampf um die Bestimmung der ethischen Ausrichtung, die das Zeitalter annehmen solle. Offiziell wurde der Streit durch die päpstliche Verurteilung von 23 Sätzen aus Fénelons Maximen der Heiligen zugunsten von Bossuet entschieden. Doch das war nicht das Ende der antieudämonistischen Strömung, es bedeutete „den Abschluß für die katholische Welt, für die aufgrund des Pyrrhussieges Bossuets nun die Entwicklung einer modernen christlichen Grundlegung der Ethik abgeschnitten schien, während in Deutschland die Diskussion aufgegriffen wurde und in Kant zu dem führte, was man mit aller gebotenen Einschränkung einen Sieg des „Fénelonismus“ nennen kann.“3 Trotz dieser (vielleicht etwas überschwänglichen) Einschätzung Spaemanns möchte ich das antieudämonistische Element in Kants Philosophie, das bei ihm nicht so radikal entwickelt ist wie bei Fénelon, nicht so sehr herausstreichen hinsichtlich Kants Bedeutung für die Aufklärung und deren Theorie. Wichtiger noch ist Kant m.M.n. aufgrund seines Erkennens der formalen Zusammenhänge und Mechanismen im Aufklärungsprozess, die er in seinen politischen und geschichtsphilosophischen Schriften sichtbar gemacht hat. (Deshalb wird hier auch Kant, unter besonderer Berücksichtigung des formalen Aspekts, Fénelon vorangestellt. Darüber hinaus ist Fénelons Ethik eine Überwindung ← 8 | 9 → des moralischen Standpunktes, wie er auch von der kantischen Moralität eingenommen wird.)

Ist Fénelons Philosophie denn nicht nur eine partikulare Erscheinung in einem historischen Prozess, in dem sie als Aufklärung eine bestimmte politische Einflussgröße darstellte? Und ist sie dann für die heutige Zeit überhaupt noch relevant? Zunächst könnte man die Gegenfrage stellen, ob sie das überhaupt sein müsste, ob es sich nicht von ihrer heutigen Relevanz unabhängig lohnt, die Argumentationen von damals nachzuvollziehen, zumal ja die Probleme, die diskutiert wurden, als theoretische zeitlos sind. Da es sich jedoch um eine ausgewiesen praktische Philosophie handelt, ist aber doch auch die Frage nicht unberechtigt, ob sich von ihr etwas für die Praxis erwarten lässt. Wenn man davon ausgeht, dass Bewusstseinsgestalten und -elemente zu jede Zeit, oft in potenzierter Form, wiederkehren, so lassen sich auch für die heutigen Zeit Denkanstöße und Handlungsanleitungen aus Theorien vergangener Epochen gewinnen, insofern diese Theorien in Auseinandersetzung mit Geisteshaltungen entstanden sind, die in Analogie zu Elementen des heutigen gesellschaftlichen Bewusstseins gesetzt werden können. Zum Beispiel kann der Okkasionalismus4, der zu Fénelons Zeit eine der dominanten philosophischen Positionen war, analogisch als Modell herangezogen werden, um mit der Digitalisierung und Virtualisierung zusammenhängende Phänomene der Gegenwartskultur zu denken, wie beispielsweise das Sich-Einspinnen in einer virtuellen „Blase“(Cocooning), womit der zunehmende Kontakverlust zur realen Welt einhergeht. Fénelons Ethik will einen Weg weisen, wie das abgetrennte, kontaktlose Individuum wieder eine Bindung an das reale Sein finden kann. In der heutigen postmodernen Kultur ist eine eigenartige Form des Eudämonismus entstanden, die zum Glück zwingt und der gegenüber eine antieudämonistische Haltung eine echte Alternative sein könnte, die letztlich auch wieder das Glück bringen kann- auf unerwartete Weise und gerade dann, wenn man es am wenigsten zu erzwingen sucht.

Das Buch stützt sich weitgehend auf die Féneloninterpretation, die Robert Spaemann in seinem Buch Spontaneität und Reflexion geliefert hat, einem Buch, das zu Recht als Standardwerk über Fénelon gilt. Da in diesem ← 9 | 10 → Buch bereits einige wesentliche Positionen, Konzeptionen und Problemstellungen Spaemanns grundgelegt sind – ich nenne nur beispielsweise den aus seiner Analyse der bürgerlichen Ethik hervorgegangenen Begriff einer invertierten Teleologie, der für seine spätere Behandlung des Telelogieproblems bedeutsam werden sollte, oder die für die Herausbildung seines Personenbegriffs wichtige Beschäftigung mit dem cartesianischen cogito – ist die vorliegende Abhandlung auch implizit eine Auseinandersetzung mit den Grundzügen der spaemannschen Philosophie.

Hegel ist Vollender und Totengräber der Aufklärung in Personalunion. Er integriert das wesentliche Prinzip der Aufklärung, die Reflexion, als Moment in sein System. Seine spekulative Philosophie ist eine abschließende Reflexion, die die Ideale der Aufklärung realisiert und die Reflexionsphilosophie durch diese Realisierung zugleich überwindet.

Damit ist ein Ende aller Aufklärungserzählungen erreicht. Nach dem Ende des Hegelschen Systems findet die Philosophie die Freiheit, über das Hegelsche System und dessen Ende der Aufklärung zu reflektieren und neue wahre Zukunftsgeschichten zu entwickeln. Wenn die Philosophie verantwortungsvoll mit ihrem Einfluss umgeht, kann sie positiv auf die Gestaltung der Zukunft der Gesellschaft einwirken.

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1Vgl. Robert Spaemann, Der Gottesbeweis (26.03.2005), URL: http://www.welt.de/print-welt/article560135/Der-Gottesbeweis.html [20.1.2014].

2Als „das Zeitalter der Aufklärung oder das Jahrhundert Friedrichs“ (AA VIII, S. 40.) bezeichnet Kant die Zeit, in der die Ideen der Aufklärung sich in Europa verbreiteten und auch auf die Regierungsformen Einfluß zu nehmen begannen. Mit dieser Bezeichnung schränkt er die Epoche der Aufklärung, für deren zeitliche Ausdehnung es die verschiedensten Theorien gibt, auf einen engeren Zeitraum, nämlich auf das Jahrhundert, in das die Lebenszeit Friedrich des Großen fällt, ein.

3Spaemann 1990, S. 59.

4Siehe dazu z.B. den Essay The Matrix, or, Malebranche in Hollywood von Slavoj Žižek (Philosophy Today Volume 43, Issue Supplement, 1999, S. 11-26).

Details

Seiten
153
Erscheinungsjahr
2015
ISBN (PDF)
9783653052985
ISBN (MOBI)
9783653969559
ISBN (ePUB)
9783653969566
ISBN (Paperback)
9783631659168
DOI
10.3726/978-3-653-05298-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (September)
Schlagworte
Französische Revolution Freiheitsprinzip nachhegelsche Philosophie
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 153 S.

Biographische Angaben

Albrecht Kreuzer (Autor:in)

Albrecht Kreuzer studierte Architektur in Wien und Venedig sowie Philosophie in Wien und Hagen. Zurzeit forscht er im Bereich Kulturwissenschaften an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz.

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