Sozialgeschichte der spanischen Literatur in Deutschland
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Mittelalter und Frühkapitalismus
- Das 16. und 17. Jahrhundert (Siglos de Oro)
- Einführung und Abgrenzungen
- Die Anfänge der literarischen Rezeption
- Der deutsche Erfolg der Ritterromane
- Die „Leyenda Negra“ und die Flugschriften
- Neulateinische Übersetzungen spanischer Literatur
- Die deutsche Rezeption des Dreigestirns: Calderón, Cervantes, Lope de Vega
- Cervantes
- Lope de Vega
- Die Aufnahme der „novela picaresca“ und ihrer Nachahmungen
- Der Erfolg des Schäferromans
- Der sentimentale Roman und seine Leserschaft
- Höfische und systemkritische Literatur und ihr deutscher Boom
- Askese und Mystik als Frömmigkeitsformen und ihre deutsche Verbreitung
- Grimmelshausen und Harsdörffer als Nutzer der spanischen Literatur
- Erste Enzyklopädien, Lehrwerke und Grammatiken
- Das 18. Jahrhundert
- Die Problematik der spanischen Sprache in Deutschland
- Kritische Einleitung in die spanische Literatur und ihre Verbreitung in Deutschland
- Die Rezeption der spanischen Romanze in Deutschland
- Lessings Spanischstudien
- Die Maurophilie von Herder
- Das Spanienbild in Schillers „Don Carlos, Infant von Spanien“ (1787)
- Die neue Sicht des Don Quijote
- Das spanische Theater und sein Bühnenerfolg
- Zentren hispanistischer Studien (Göttingen, Weimar, Jena)
- Das 19. Jahrhundert
- Grundzüge der Spanienbilder im 19. Jahrhundert
- Goethes Kenntnisse der spanischen Literatur
- Der „Calderonismus“ der Brüder Schlegel und ihr Spanienbild
- Böhl von Faber und Fastenrath in ihrer kulturvermittelnden Rolle
- Die Rezeption der „Carmen“
- Die Romanze zwischen Theorie und Praxis
- Das Spanienbild Heinrich Heines
- Schopenhauers Begeisterung für die spanische Literatur
- Nietzsche und die spanische Literatur
- Cervantes und sein Glück in Deutschland im 19. Jahrhundert
- Das spanische Theater im 19. Jahrhundert
- Das 20. Jahrhundert
- Zur Rezeption der spanischen Literatur in Deutschland im 20. Jahrhundert
- Cervantes in Deutschland im 20. Jahrhundert
- Spaniens Theater in Deutschland im 20. Jahrhundert
- Beitrag zu einem „fremden Calderón“
- Das Theater García Lorcas und seine Rezeption in Deutschland
- Rilkes Liebe zu Spanien und die spanische Lyrik in Deutschland
- Fritz Rudolf Fries, seine Verbindung mit Spanien und die Picaresca
- Die Kreation eines Bestsellers: Javier Marías, Corazón tan blanco (1993)
- Namenregister
Die deutsch-spanischen Literaturbeziehungen sind bisher erst unzureichend aufgearbeitet worden. Das liegt einerseits an der immensen Stofffülle, andererseits an einer fehlenden Systematik. Den Ausgangspunkt bildet die Vortragsreihe des Bibliothekars und Professoren Hermann Tiemann „Das spanische Schrifttum in Deutschland von der Renaissance bis zur Romantik“ (1936, Reprint 1971). Angesichts der beginnenden „Waffenbrüderschaft“ zwischen der germanischen und spanischen Welt enthielten sich diese Vorträge vor der NS-Dozentenschaft der Hansischen Universität Hamburg allerdings jeder politischen Wertung, die der spiritus rector Professor Fritz Krüger allerdings intendiert hatte. Tiemanns unvollständige Untersuchungen basieren auf einem umfangreichen Katalog des spanischen Schrifttums in Deutschland, der allerdings nur Umrisse der Entwicklung zeigt und entgegen der Intention des Verfassers nie publiziert wurde.
Noch der Komparatist Gerhart Hoffmeister fußt in seiner Darstellung „Spanien und Deutschland. Geschichte und Dokumentation der literarischen Beziehungen“ (1976) auf den Forschungen Tiemanns. Hoffmeister versucht in seiner summarischen Darstellung auch die literarische Rezeption der spanischen und teilweise der lateinamerikanischen Literatur in Deutschland einzubeziehen, scheitert aber bei diesem ehrgeizigen Unternehmen. Vor allem fehlt ein literatursoziologischer Ansatz, der dieses Buch zu einem flüchtigen Materialschatz werden lässt.
Dazwischen liegt die Synthese des Hispanisten Edmund Schramm „Die Einwirkung der spanischen Literatur auf die deutsche“ (1957, zweite Auflage 1962) in Wolfgang Stammlers „Deutsche Philologie im Aufriß“ (21. Lieferung). In dieser Darstellung wird deutlich, dass die Aufgabe eigentlich nur in literaturvergleichender Arbeit zwischen Hispanisten, Germanisten, Historikern und Literatursoziologen zu leisten ist. Immerhin hat Schramm mit seiner Helferin Maria Schon umfangreiches Material auf dem damals neuesten Stand zusammengetragen.
Seitdem ist mehr als ein weiteres halbes Jahrhundert vergangen. Dietrich Briesemeister hat sich – ausgehend von Detailstudien – zeit seines Lebens mit dieser Thematik beschäftigt. Sene Gesamtdarstellung „Spanien aus ← 9 | 10 → deutscher Sicht. Deutsch-spanische Kulturbeziehungen gestern und heute“ (2004) gliedert das Material chronologisch in Zusammenhänge und Fallstudien. Die Untersuchung Briesemeisters macht deutlich, dass nur über penible und gut dokumentierte Einzelstudien eine Gesamtdarstellung möglich ist.
Die erwähnten grundlegenden Arbeiten fußten teilweise auf positivistischen Pilotstudien, die über eine zusammenhanglose Stoffsammlung nicht hinauskamen, so verdienstvoll sie teilweise in der damaligen Zeit auch waren. Erst durch die Arbeiten von Tiemann, Schramm, Hoffmeister und Briesemeister wurden Zusammenhänge interpretatorisch aufgedeckt, die in vielen der anderen Studien durch die Materialfülle erstickt waren.
Längst sind die Diskussionen verklungen, ob die spanische Literatur Weltgeltung habe. Zu einer Zeit, als das Sozialprodukt in Lateinamerika das spanische Bruttosozialprodukt übersteigt und die Frage nach der Autonomie der spanischen comunidades viele Gemüter bewegt, muten diese Diskussionen anachronistisch an. Als die Mehrheit der spanischen Intellektuellen in der 98er Generation nach dem Verlust die letzten überseeischen Kolonien den Niedergang Spaniens beschwor, bastelten in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts maßgebliche deutsche Hispanisten an der Autonomie der Geistes und erhoben spanische Kultur teilweise zur Weltgeltung.
Da Spanien sich im I. Weltkrieg scheinbar neutral verhalten hatte, wuchs im nachrevolutionären Deutschland die Liebe zu einem Spanien der Gegenreformation und sogar zu der Inquisition als Wahrerin der Glaubenseinheit. Eingeleitet wurde die damalige pseudowissenschaftlich begründete Sympathie zu Spanien unter anderem durch den Aufsatz des bekannten Propagandisten Adolf Schulten „Spanien und Deutschland“ (1916). Als Vorbereiter faschistischer Argumentation hob Schulten die germanischen Wurzeln der spanischen Geschichte hervor: Zimbern Vandalen, Alanen, Sueben und Westgoten hätten vor allem in Personen-, Familien- und Ortsnamen ihre noch heute sichtbaren Spuren in Spanien hinterlassen.
Über zwei Jahrzehnte vor dem Standardwerk Werner Beinhauers „Der spanische Volkscharakter“ (1937) hat Schulten sogenannte Grundzüge des spanischen Charakters hervorgehoben: Ritterlichkeit, Tapferkeit, Frömmigkeit, Idealismus, Königstreue, Vornehmheit, Freigebigkeit, Treue, Frugalität, Gastlichkeit, Stolz usw. Diese Wesenszüge feierten noch in Landeskunden von Lepiorz und Haensch bis in den späten Franquismus fröhliche Urständ. ← 10 | 11 →
Ihnen sekundierte der bekannte Hispanist Werner Mulertt mit seinem Artikel zur Bedeutung Spaniens in Europas geistigem Leben (1918). Mulertt konstatierte eine „echte schwärmerische Glut und daneben steht ein frischer, wahrheitsliebender Realismus, die beide in keinem Volke Europas so relativ ähnlich vorhanden sind wie in Deutschland“ (Mulertt 1918: 302). Diese Seelenverwandtschaft zwischen Spanien und Deutschland sollte durch die nazideutsche Waffenhilfe im Spanischen Bürgerkrieg knapp 20 Jahre später eine neue Dimension erhalten.
Im Rahmen der damaligen Wesens- und Rassenkunde sowie der Völkerpsychologie hat Karl Vossler 1929 „kastilischen Herrengeist“ und „katalanischen Bürgersinn“ als die beiden wichtigsten gesellschaftlichen Kräfte Spaniens hervorgehoben. Aus katholischer Sicht wurde ein „neues Menschheitsideal“ konstruiert, das freilich den Völkermord der Spanier in Lateinamerika ignorierte. Wesentlich kühler sah Victor Klemperer noch vor seiner Auseinandersetzung mit dem hispanophilen Werner Krauss die „Weltstellung der spanischen Sprache und Kultur“ (1922), wenn er die spanische Kultur nach der französischen und italienischen an die dritte Stelle setzte.
Diese Rangordnung ignorierte freilich Hellmuth Petriconi in seinem Vortrag bei der Eröffnung der deutschen Buchausstellung in Barcelona kurz nach dem Ende des blutigen Spanischen Bürgerkriegs und kurz vor dem Überfall auf die Sowjetunion. Im Organ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) hieß es damals 1941: „Wahr ist (…), daß keiner von uns einen endgültigen Erfolg hätte voraussagen können, als im Jahre 1936 Spanien sich endlich selbst zu erkennen gab. Ich brauche nicht lange daran zu erinnern, daß nur Deutschland und Italien vorbereitet waren, die Offenbarung zu verstehen“ (Petriconi 1941: 75).
Dieser Schnelldurchgang durch die deutsch-spanischen Kulturbeziehungen mutet wie eine späte Replik auf die Frage des französischen Enzyklopädisten Masson de Morvilliers an: „Mais que doit-on à l'Espagne? Et depuis deux siècles, depuis quatre, depuis dix, qu'a-t'-elle fait pour l' Europe?“ Encyclopédie méthodique, Artikel „Espagne“, Bd. 1 der Géographie Moderne, Paris 1782, S. 554–568. Artikel „Espagne“ in Diderots „Encyclopédie. Réponse à la question ´Que doit-on à l’Espagné“. In: Lettres Critiques, Berlin 1786 mit der Apologie von José Antonio Cavanilles über den gegenwärtigen Zustand in Spanien, Berlin 1786. So reicht der damalige ← 11 | 12 → Vergangenheitsbezug bis weit in die Gegenwart und legt Zeugnis ab für das Bewusstsein Ewiggestriger.
Es war meine Absicht, eine lesbare Sozialgeschichte der spanischen Literatur in Deutschland zu schreiben, die ihren wissenschaftlichen Charakter wahrte, aber nicht im Wust gelehrter Belege erstickte.
Lit.: Dietrich Briesemeister, Spanien aus deutscher Sicht. Deutsch-spanische Kulturbeziehungen gestern und heute. Hrsgg. von Harald Wentzlaff-Eggebert, Tübingen 2004 (Beihefte zur Iberoromania. 20). Hugo Dyserinck, Angel M. Fernández, Enrique Banús, Kurt Sprang (Hrsgg.), Europa en España. España en Europa. Actas del Simposio Internacional de literatura comparada, Barcelona 1990. Adolf Ebert, Literarische Wechselwirkungen Spaniens und Deutschlands. In: Deutsche Vierteljahrsschrift (1857) 86–121. Hanns W. Eppelheimer (Hrsg), Bibliographie der deutschen (Sprach- und) Literaturwissenschaft. Bd. 1–53. Frankfurt a. M. 1945–2013. Arturo Farinelli, Spanien und die spanische Litteratur im Lichte der deutschen Kritik und Poesie. In: Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte N. F. 5 (1892) 135–206, 276–332, (1895) 318–407. Zugleich Diss. Zürich 1892. Hans Felten, Poesía española en alemán. Esplendor y miseria de la traducción (Hrsg.), España y Alemania. Interrelaciones literarias, Madrid, Frankfurt a. M. 2001. Helmut Hatzfeld, Wechselbeziehungen zwischen der deutschen Literatur und den übrigen europäischen Literaturen, Bielefeld, Leipzig 1927 (Die Bücherei der Volkshochschule. Bd. 60) (darin: Die deutsche und die spanische Literatur, S. 72–82). Gerhard Hoffmeister, Spanien und Deutschland. Geschichte und Dokumentation ihrer literarischen Beziehungen, Berlin 1976 (Grundlagen der Romanistik. 9). Spanische Übersetzung, Madrid 1980. Hermann Josef Hüffer, Aus 1200 Jahren deutsch-spanischer Beziehungen. In: Romanistisches Jahrbuch 3 (1950) 85–123. Victor Klemperer, Die Weltstellung der spanischen Sprache und Literatur (1922). In: Victor Klemperer, Romanische Sonderart. Geistesgeschichtliche Studien, München 1926, S. 402–411. Wolfram Krömer, Das Bild der anderen Kultur: Wahrnehmungsraster in den Beziehungen zwischen Spanien und dem deutschsprachigen Raum. In: Margit Raders, María Luisa Schilling (Hrsg.), Deutsch-spanische Literatur- und Kulturbeziehungen. Rezeptionsgeschichte, Madrid 1995, S. 25–36. Herbert O. Lyte, A tentative bibliography of Spanish-German Literary and Cultural Relations, Minneapolis 1936. Werner Mulertt, Von Spaniens Beitrag zu ← 12 | 13 → Europas geistigem Leben in Gegenwart und Vergangenheit. In: Mitteilungen aus Spanien 2 (1958) 289–302. Hellmuth Petriconi, Das Spanienbild im deutschen Bewusstsein. In: Geist der Zeit 19 (1941) 65–75. E. P. Salzer, Die spanische Sprache und Literatur in Deutschland. In: Mitteilungen aus Spanien 2 (1918) 268–276. Adam Schneider, Spaniens Anteil an der deutschen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, Straßburg 1898. Edmund Schramm, Die Einwirkung der spanischen Literatur auf die deutsche. In: Wolfgang Stammler (Hrsg.), Deutsche Philologie im Aufriß. Bd. 3, Berlin 1957, Spalten 261–306. Überarbeitete 2. Auflage, Berlin 1962, Spalten 147–200. Adolf Schulten, Spanien und Deutschland. In: Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, Jahrgang 10, Heft 7 (1916) 803–851. Julius Schwering, Literarische Beziehungen zwischen Spanien und Deutschland. Eine Streitschrift gegen Dr. A. Farinelli, Professor an der Universität Innsbruck, Münster 1902 (Kritische Studien. 1). Hermann Tiemann, Das spanische Schrifttum in Deutschland von der Renaissance bis zur Romantik, Hamburg 1936 (Ibero-amerikanische Studien. 6). Karl Vossler, Die Bedeutung der spanischen Kultur für Europa (1929). In: Karl Vossler, Südliche Romania, 2. Auflage, Leipzig 1950, S. 243–280. Erstfassung: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literatur und Geistesgeschichte 8 (1930) 33–60, 402–417. ← 13 | 14 →
Mittelalter und Frühkapitalismus
Die Rolle der christlichen Völker auf der Iberischen Halbinsel war die von Vermittlern zwischen Orient und Okzident. Karl der Große gründete 778 die „Spanische Mark“ von Toulouse bis zum Ebro. Der legendäre Tod Rolands, einer der zwölf Paladine und Neffe Karls, im Tal von Roncesvalles, im Kampf gegen die Basken, gab dem altfranzösischen anonymen Heldenepos La chanson de Roland, entstanden wahrscheinlich um 1100, den historischen Hintergrund.
Es herrschten rege wirtschaftliche und politische Beziehungen zwischen der arabischen und der christlichen Welt auf der Iberischen Halbinsel und Nordeuropa. Bekannt ist der Einfluss der Etymologiae (auch unter dem Titel Origines) des Bischofs und Kirchenlehrers Isidor von Sevilla im 7. Jahrhundert. In diesen 20 Büchern (Nachdruck 1985) ist das ganze Wissen seiner Zeit ausgebreitet. Sein heute rassistischer Trinitätstraktat De fide catholica contra Iudaeos wurde im 8. Jahrhundert als Propagandaschrift im Umkreis Alkuins ins Althochdeutsche übertragen. Schon 973 reiste der Araber Ibn Achmed mit einer Gesandtschaft des Kalifen von Córdoba zu Kaiser Otto dem Großen und ritt mit einer Delegation auf der Suche nach kostengünstigem Salz auch durch Magdeburg und Soest.
Details
- Seiten
- 254
- Erscheinungsjahr
- 2016
- ISBN (PDF)
- 9783653068108
- ISBN (MOBI)
- 9783653950267
- ISBN (ePUB)
- 9783653950274
- ISBN (Hardcover)
- 9783631672464
- DOI
- 10.3726/978-3-653-06810-8
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2016 (Juni)
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 254 S.