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Femina Oeconomica: Arbeit, Konsum und Geschlecht in der Literatur

Von Goethe bis Händler

von Franziska Schößler (Autor:in)
©2017 Monographie 330 Seiten

Zusammenfassung

Diese Studie schließt eine Leerstelle kulturwissenschaftlicher Gender Studies: Von Goethe ausgehend bis zur Gegenwart untersuchen exemplarische Lektüren, welche Aussagen literarische Texte über den diskursiven Zusammenhang von Geschlecht und Arbeitsvermögen treffen. Die Autorin fragt, mit welchen Geschlechterstereotypen die (literarischen) Berufsbilder paktieren, welche Modelle emotionaler, ästhetischer sowie prekärer Arbeit die Texte entwickeln und warum sie Konsum als Nicht-Arbeit auffassen. Die hier analysierte europäische und US-amerikanische Literatur gibt darüber Aufschluss, warum «weibliche Arbeit» in der Regel als fragiler und unzuverlässiger gilt, warum sie schlechter honoriert wird, informalisiert bleibt und unsichtbar ist, vor allem aber, warum sie auf hartnäckige Weise mit Sexualität bzw. der Typologie der Geschlechtscharaktere in Verbindung gebracht wird.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Wissenschaftliche Arbeitsteilung
  • Körper und Arbeit in der Soziologie
  • Prekäre und professionalisierte Arbeit
  • Emotionale und ästhetische Arbeit
  • Literatur und weibliche Arbeit
  • I. Diskursbegründungen: Unternehmertum, ‚innerer‘ Beruf und soziale Arbeit
  • 1. Der Unternehmer und die Sozialarbeiterin bei Johann Wolfgang von Goethe
  • Arbeitsteilung und Entsagung: Wilhelm Meisters Lehrjahre
  • Der Unternehmer und sein pädagogisches Konzept: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten
  • Weibliche Entsagung und soziale Arbeit: Methodologische Lebensführung, Mildtätigkeit und Erziehung
  • Goethes Berufskonzeption und ihre Folgen: Sozialreformerinnen im 19. und 20. Jahrhundert
  • 2. ‚Innerer Beruf‘ und die Kreativitätsressource Weiblichkeit im romantischen Kunstmärchen
  • Sehnsucht, Arbeit und Konsum: Ludwig Tiecks Der Runenberg
  • Liebe und Arbeit: E.T.A. Hoffmanns Die Bergwerke zu Falun
  • Kritik am asketischen Unternehmer: Ludwig Tiecks Der Alte vom Berge
  • Identifikation und Passion: Der ‚innere Beruf‘ bei Max Weber
  • II. Desemantisierungen: Physische Ressourcen und Konsum im 19. Jahrhundert
  • 1. ‚Sexuelle Arbeit‘, Prekarität und die Ressource Schönheit im Frühsozialismus und in der sozialistischen Autobiographie
  • Prekäre Arbeit aus bürgerlicher Perspektive: Ernst Willkomms Weisse Sclaven
  • Weibliche Schönheit als Marktfaktor: Kommodifizierte Körper
  • Männliche Intellektuelle und Arbeiter: Louise Otto-Peters’ Schloß und Fabrik
  • Weibliche Mildtätigkeit als soziale Arbeit: Pazifizierter Kapitalismus
  • Working Girls und Autobiographie: Die Erinnerungen von Adelheid Popp
  • 2. Die Kurtisane bei Daniel Defoe, Honoré de Balzac und Émile Zola
  • Body work und Buchhaltung: Daniel Defoes Roxana
  • Repräsentativer Konsum und Ehekritik: Wirtschaftliche Autonomie der Frau
  • Luxus und nationaler Reichtum: Honoré de Balzacs Glanz und Elend der Kurtisanen
  • Schöpferische Zerstörung und Kontingenz: Dynamische Wirtschaftsprinzipien und Weiblichkeit
  • Dekadenz und Animalität: Émile Zolas Nana
  • Sexualisierung und Intimisierung des öffentlichen Raums: Parzellierte Frauenkörper
  • 3. Konsum und Geschlechterstereotypen bei Gustave Flaubert, Erich Köhrer und Theodore Dreiser
  • Liebessehnsucht und Luxuria: Gustave Flauberts Madame Bovary
  • Occasio und Hingabe: Erich Köhrers Warenhaus Berlin
  • Konsum und Kommunikation: Theodore Dreisers Sister Carrie
  • III. Spezialisierungen: Die Ausdifferenzierung weiblicher Berufsbilder und ihre Topoi
  • 1. Die Gouvernante als Hetäre in Arthur Schnitzlers Roman Therese. Chronik eines Frauenlebens
  • Die Gouvernante zwischen den Zeiten: 19. Jahrhundert und Interbellum
  • Topoi des Dienstmädchendiskurses: Hysterikerin und Gottesmagd
  • Bachofens Sexualisierung weiblicher Autonomie: Mythos und Geschlechterkampf
  • Verfall der Zivilisation: Tellurisches Leben, Matriarchat und Arbeit
  • 2. Emotionale und ästhetische Arbeit der Sekretärin bei Irmgard Keun und Christa Anita Brück
  • Der ‚Siegeszug‘ der Sekretärin: Mechanisches und geistiges Schreiben
  • Gefühlsarbeit im Büro: Listen und Leiden der Angestellten
  • Ästhetische Arbeit: Das erotische Kapital der Jugend
  • Das Ende von Romantik und Moral: Kunst und Schreibmaschine
  • 3. Hausarbeit und Depression in Gisela ElsnersRoman Abseits
  • Hausarbeit in feministischen Debatten: Der Kampf um Anerkennung und Entlohnung
  • Repressive Befriedigung und Angst: Gisela Elsners Abseits und Herbert Marcuses Gesellschaftskritik
  • Hausarbeit und die Suche nach einer Sprache: Das Management von Bedürfnissen
  • Konsum als Kompensation: Einkauf und Ohnmacht
  • 4. Die Architektin und der sozialistische Wohnungsbau in Brigitte Reimanns Roman Franziska Linkerhand
  • Architektur als Profession: Identifikation und Passion
  • Architektur und Männlichkeit: Netzwerke und Testamente
  • Stadtkonzepte und Gender: Gartenstadt versus sozialer Raum
  • Architektur und Phantasie: Vermächtnisse und neue Körper
  • 5. Unternehmerinnen und Schöpfungsmythen in Ernst-Wilhelm Händlers Roman Wenn wir sterben
  • Frauen im Management: Von Glasdecken und -häusern
  • Das Genie im Unternehmerdiskurs: Schöpfungsphantasien
  • Weiblichkeit als schöpferische Zerstörung: Geburt und Mutterschaft als Metaphern
  • Ausdifferenzierte Führungsstile: Kooperation, Charisma und Autorität
  • Der Unternehmensroman als Königsdrama: Macbeth in der Firma
  • Schluss
  • Literatur
  • Reihenübersicht

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Einleitung

Auf die Frage, ob Frauen zum wissenschaftlichen Studium fähig seien, antwortet der Berliner Theologieprofessor Georg Runze um 1900, dass selbst die begabteste Frau „in allem Schöpferischen aber und so in der gesamten Wissenschaft […] nur Mittelmäßiges leisten“ könne, „wenn sie nicht an ihrem weiblichen Charakter Einbuße erleiden soll“.1 Seine Replik gibt einen ersten Hinweis darauf, dass Tätigkeiten, in diesem Falle das Studium als Voraussetzung für Professionen, eng mit Geschlechtlichkeit korreliert sind. Die Geschlechtszugehörigkeit entscheidet seit der ersten Arbeitsteilung in der bürgerlichen Moderne2 auf spezifische Weise über den Zugang zu Tätigkeitsbereichen,3 die ihrerseits die binäre Geschlechterordnung performativ reproduzieren und Ressourcen (wie Anerkennung und Geld) asymmetrisch ← 11 | 12 → verteilen. Der Arbeitsdiskurs adressiert dabei in der Regel Gender als Sex, ist also an der Naturalisierung von Geschlecht beteiligt.4 Die Lohnarbeit, die im 19. Jahrhundert ihren Siegeszug antritt und ganz wesentlich über gesellschaftliche Partizipation bzw. ökonomisches und symbolisches Kapital entscheidet, verstärkt die Asymmetrien in der Bewertung geschlechtlich codierter Tätigkeiten, die das bürgerliche Geschlechterprogramm im 18. Jahrhundert auf den Weg gebracht hatte. Nach Pierre Bourdieu verhindert die Ausdifferenzierung männlicher Lohnarbeit den Blick auf weibliche Arbeit;5 Jürgen Kocka hält fest, dass mit der ‚Entbettung‘ von Lohnarbeit, das heißt mit ihrer Ausgrenzung aus anderen Lebensbereichen (um als distinkter Ort in Erscheinung zu treten), Arbeit jenseits der Erwerbstätigkeit kaum mehr wahrgenommen und honoriert werde.6 Er spricht von einem

semantic process of narrowing, some activities, which earlier had been regarded as work, ceased to be counted as work in the full sense of the word. Think of work in the house, especially women’s work in the household and in the sphere of reproduction; think of unpaid work in the civic field; think of work one does for oneself.7

Insbesondere ‚reproduktive‘ Tätigkeiten, die für gewöhnlich Frauen zugeordnet werden, seien von dieser Desemantisierung betroffen. Aus soziologischer Perspektive gilt auch der Arbeitsmarkt selbst, der „soziale[…] Positionen, gesellschaftliche[n] Status und Lebenschancen“ zuteilt, als „Maschine der Ungleichheitsproduktion“.8 Er nimmt gesellschaftliche Ein- und ← 12 | 13 → Ausschlüsse vor, koppelt Gender, Race und Class9 und lässt umfassende Tätigkeitsbereiche unsichtbar werden.

Wissenschaftliche Arbeitsteilung

Die bürgerlichen Geschlechterstereotypen assoziieren Weiblichkeit auf hartnäckige Weise mit Körperlichkeit und Geschlecht, Männlichkeit hingegen mit Geist bzw. Rationalität und bestimmen die männliche Position als geschlechtsneutral, als Repräsentation des Menschen an sich – so die Grundkoordinaten des komplexitätsreduzierenden Gender-Diskurses im 19. Jahrhundert. Er bringt nicht zuletzt mit sich, dass die Sphäre wirtschaftlicher Produktivität als geschlechtsneutral aufgefasst wird und die enge Kopplung von Arbeit und Geschlecht aus dem Blick rückt.

Die diskursiven Trennlinien der binären Geschlechterordnung werden in den Wissenschaften tendenziell reproduziert: „Die Wissensgeschichten zur subjektivierenden Macht der sexuellen und Geschlechternormen und zur Macht der Produktions- und Besitzverhältnisse verliefen weitgehend getrennt“.10 Auch die ‚disziplinäre‘ Grenze zwischen Gender und Men’s Studies wiederholt in gewissem Sinne die Trennung von (weiblicher) ‚Nicht-Arbeit‘ und (männlicher) Lohnarbeit: Gender Studies konzentrieren sich in der Regel auf Weiblichkeit in kulturellen Kontexten jenseits ihrer ökonomischen Rahmungen und nehmen die gesellschaftliche Ressourcenverteilung nur vereinzelt in den Blick11 – das Thema Geld beispielsweise habe ← 13 | 14 → in der feministischen Forschung bislang kaum eine Rolle gespielt, so monieren Birge Krondorfer und Carina Mostböck.12 Komplementär zu den kulturwissenschaftlichen Schwerpunkten der Gender Studies interessieren sich Männerstudien für „masculinity“ in den Feldern politischer und wirtschaftlicher Macht13 und beschäftigen sich mit den Verteilungsregeln diverser Kapitalien.

Um diese akademische Arbeitsteilung zu durchkreuzen, könnten sich kultur- und literaturwissenschaftlich orientierte Gender Studies bei den Wirtschaftswissenschaften und der Soziologie informieren und deren Wissen in den eigenen Gegenstandsbereich übersetzen. Die feministische Ökonomik beispielsweise kritisiert seit den 1970er Jahren die androzentrische Ausrichtung von Wirtschaftstheorien und -analysen (unter anderem in der Industrieforschung) und betont die enge Kopplung von Männlichkeitskonzepten und dem traditionsreichen Modell des homo oeconomicus.14 Der Forschungsansatz15 wertet weiblich codierte ‚Reproduktionsarbeit‘ ← 14 | 15 → auf16 und versucht deren Bedeutung für das Wirtschaftssystem durch alternative Begrifflichkeiten wie „Arbeitsensemble“17 und „andere Ökonomie“ zu erfassen. Untersucht werden neben den „durch Diskriminierung entstehende[n] Ineffizienzen“18 die möglichen Konsequenzen eines innovativen Arbeitsbegriffs, dem „nicht länger die binäre Opposition zwischen homo oeconomicus und domina privata und die daraus folgende Trivialisierung der Versorgungstätigkeiten zugrunde“19 liegt. Die (queer-)feministische Organisationssoziologie beschäftigt sich darüber hinaus mit den Beharrungskräften männlich dominierter Organisationen20 und entwickelt Argumente, um die Gleichstellung von Frauen zu unterstützen.21 ← 15 | 16 →

Der gegenwärtige gesellschaftliche Wandel, den Schlagworte wie Entgrenzung und Subjektivierung der Arbeit zu beschreiben versuchen,22 rückt den Zusammenhang von Geschlecht und (Lohn-)Arbeit noch deutlicher in den Blick soziologischer Forscher/innen. Das Konzept postfordistischer Arbeitskraftunternehmer/innen, das zum Ausgang der 1990er Jahre virulent wird und eine neue Form der Subjektivierung beschreibt,23 durchkreuzt die (im Feminismus seit längerem in Frage gestellte) Grenzziehung zwischen Produktion und Reproduktion sowie die binären Kategorien „Männer“- und „Frauenarbeit“,24 weil im Dienstleistungssektor Hand-, Kopf- und Gefühlsarbeit integriert werden. Für Arbeitskraftunternehmer/innen, die sich selbst regulieren, vermarkten und ihre gesamte Persönlichkeit als Arbeitskraft begreifen,25 sind zudem soft skills wie networking und Kommunikation von zentraler Bedeutung, Fähigkeiten also, die in der Geschichte gegenderter Arbeitsvermögen als weibliche Kompetenzen gelten. Werden Frauen deshalb zuweilen zu den Gewinnerinnen der neuen Subjektivierungsform erklärt,26 so haben Günter Voß und Cornelia Weiß gezeigt, dass ← 16 | 17 → die jeweiligen Rahmenbedingungen darüber entscheiden, ob Beschäftigte erfolgreich sind; lediglich Frauen ohne Care-Verpflichtungen profitierten von den neuen Berufsprofilen.27

Eine kulturwissenschaftliche Studie über Arbeit und Geschlecht in der Literatur tut also gut daran, sich bei anderen Disziplinen zu informieren. Kategorien wie prekäre, ästhetische und emotionale Arbeit sind überaus hilfreich, um das Phänomen weiblicher Arbeit in literarischen Texten zu präzisieren. Im Folgenden werden deshalb soziologische Konzepte vorgestellt, die den Konnex von Arbeit und Geschlecht genauer entfalten und die sich für die Lektüre literarischer Arbeitstexte als anschlussfähig erwiesen haben.

Körper und Arbeit in der Soziologie

Um den konstitutiven Zusammenhang von Geschlecht und Arbeit zu unterstreichen, sprechen (queer-)feministische Arbeitssoziolog/innen von „sexueller Arbeit“; Arbeit adressiere das Geschlecht der Arbeitnehmer/innen permanent28 und verlange eine Subjektivierung im Rahmen der normativen ← 17 | 18 → Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität. Als „sexuelle Arbeit“ bezeichnen Pauline Boudry, Brigitta Kuster und Renate Lorenz

den Aufwand, der nötig ist, um sich in einem Arbeitsverhältnis als Subjekt mit einer kohärenten geschlechtlichen und sexuellen Identität zu entwerfen. Transgender und andere queer people haben in dieser Hinsicht einen höheren Aufwand an Vereindeutigungszumutungen (Genschel) zu bewältigen als andere Menschen.29

Das Konzept der sexuellen Arbeit richtet sich „gegen die Verbannung einer Diskussion über Sexualität und Geschlecht aus der Diskussion über Ökonomie, Bruttosozialprodukt und Lohnarbeit“.30 Die Selbstregulierungen, die am Arbeitsplatz eingefordert werden, betreffen dabei in hohem Maße den Körper als primären Ort sozialer Erfahrung. Seine Darstellung kontrollieren Firmen durch Vorschriften zu Körpergewicht, zulässiger Behaarung, Tattoos, Piercings sowie Kleidung, die zugleich sexuelle Identitäten und Begehren organisieren. Die Regeln des Arbeitgebers Disney Land beispielsweise zielen auf die Inszenierung heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit ab, wenn es heißt: „Einzelne Ohrringe sind nicht erlaubt. Weibliche Teammitglieder können zwei Ohrringe tragen, Männer nicht.“31 Die vestimentären Vorschriften normalisieren die physische Erscheinung der Arbeitenden und versuchen, ein heterosexuelles Begehren in Szene zu setzen – Selbstdarstellungen sind dann effektiv und werden honoriert, wenn sie die Kohärenz von Geschlechtsidentität und sexueller Praxis, also gender coherence, suggerieren.32 Insbesondere im Dienstleistungssektor werde „eine alltägliche Darstellung von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘ und eine eindeutige Darstellung von Heterosexualität“ eingefordert.33 Die gegenwärtige Subjektivierung von Arbeit, die auf die Vernutzung sämtlicher individueller Ressourcen ziele, erhöhe die Anforderungen an geschlechtliche Inszenierungen noch, wie Günter Voß und Cornelia Weiß ausführen. „Das zuvor eher latent gebliebene individuelle Doing-Gender als Aneignung und ← 18 | 19 → Ausgestaltung von Genderkodierungen in Arbeitszusammenhängen […] wird im Zuge der Subjektivierung von Arbeit in systematisch erweiterter und nun mehr oder weniger expliziter Weise zu einer bedeutsamen beruflichen Anforderung.“34 Diese ‚Selbstgenderung‘, die Frauen wie Männer betreffe, sei selbst eine Form von Arbeit und werde zunehmend zur beruflichen Notwendigkeit.

Dass kulturelle Körperkonzepte, Geschlecht und Arbeitsvermögen eng miteinander verknüpft sind, bestätigt aus historischer Perspektive ein kurzer Blick auf Thorstein Veblens Studie The Theory of The Leisure Class (1899). Der amerikanische Prestige-Forscher beschreibt das Prinzip der demonstrativen Verschwendung und der repräsentativen Muße, das die ‚nicht-arbeitende‘ Frau der leisure class auf Fragilität und einen spezifischen Kleiderstil festlegt, also Weiblichkeitsbilder und ökonomische Situation koppelt. Veblen führt aus:

Im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung hat sich das Schönheitsideal der westlichen Völker von der körperlich kräftigen Frau auf die Dame verschoben und ist nun im Begriff, wieder zur Frau zurückzukehren, wobei sich der gesamte Wandel in Übereinstimmung mit den wechselnden Bedingungen des finanziellen Wettbewerbs vollzogen hat. Diese verlangten einmal sinnliche Sklavinnen, ein andermal den demonstrativen Aufwand an stellvertretender Muße und an sichtbarer Arbeitsunfähigkeit.35

Die physische wie vestimentäre Ausstattung weisen die femme fragile und die Frau im Korsett als arbeitsunfähig aus; ihre Kleidung demonstriert, „daß sich ihre Träger für gewöhnlich keiner einzigen nützlichen Anstrengung hingeben“36 und „daß ihr Träger in der Lage ist, relativ große Werte zu konsumieren, und auch, daß er konsumiert, ohne zu produzieren“.37 Körperlichkeit und Kleidung bürgerlicher Frauen als Ausdruck weiblicher ← 19 | 20 → ‚Nicht-Arbeit‘ signalisieren nach Veblen zudem die Kreditwürdigkeit ihrer gut betuchten Ehemänner. Charlotte Perkins Gilman betont in ihrem utopischen Roman Herland (1915) über eine reine Frauengesellschaft umgekehrt die körperliche Leistungsfähigkeit der weiblichen Figuren; diese stehen ebenso aufrecht wie sicher in der Welt und bewegen sich „leichtfüßig wie ein Boxer“.38

Das Arbeitsvermögen ist nicht nur mit Körperbildern und vestimentären Stilen, sondern auch mit Sexualität verbunden, wie Renate Lorenz und Brigitta Kuster in ihrer Untersuchung Sexuell arbeiten. Eine queere Perspektive auf Arbeit und prekäres Leben entwickeln. Die Soziologinnen beziehen sich in dieser Studie auf Michel Foucault, der Sexualität als zentrale Strategie der Macht und der Selbstregulierung auffasst, auf Teresa de Lauretis’ Konzept der Phantasie, das Arbeit als phantasmagorische Szene beschreibbar macht, sowie auf das Modell der Anrufung von Louis Althusser, um es auf Arbeitskontexte zu übertragen. Arbeitskräfte müssten ihre Leistungsfähigkeit, so die Autorinnen, durch Kleidung, Schlaf und Nahrung aufrechterhalten – auf diese Ressourcen hatte bereits Karl Marx verwiesen; zudem müssten sie über ein savoir-faire verfügen, das heißt über ein Wissen, wie man sich benimmt, wie man spricht etc.39 Mithilfe dieses savoir-faire werde das arbeitende Subjekt als erkennbare, sexualisierte Identität in die Ordnung der Macht eingewiesen. Sexualität gehört demnach zu den wesentlichen (erlernbaren) Kompetenzen von Arbeitskräften; der Arbeitsvollzug seinerseits reproduziert das savoir-faire des Subjekts.

Die Soziologinnen begreifen konkrete Arbeitspraxen als Szenen, die im Sinne von Teresa de Lauretis phantasmagorisch aufgeladen sind. In der Phantasie sei, so hält die Queer-Forscherin im Anschluss an die Psychoanalytiker Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis fest,40 die simultane Besetzung von diversen, ja widersprüchlichen Rollen möglich, weil jene keine stabilen Positionen zuweise. Adressierungen in einem alltäglichen Setting – ein Dienstmädchen trägt das Essen auf oder wird von ihrer Herrin ← 20 | 21 → ermahnt – lassen nach Lorenz und Kuster komplexe Szenen entstehen, die phantasmatisch besetzt sind und kontrastive soziale Positionen konfliktreich bündeln (Mann/Frau, eigen/fremd, Inländerin/Ausländerin, Arbeiterin/Bürgerliche).

Das soziologische Konzept der sexuellen Arbeit gewinnt aus historischer Perspektive und mit Blick auf weibliche Arbeitsvermögen deshalb eine spezifische Kontur bzw. eine buchstäbliche Bedeutung, weil Frauen über das 19. Jahrhundert hinaus selbst in der Lohnarbeit auf den notorischen Geschlechtscharakter41 und damit auf wenige Eigenschaften wie Schönheit, Körperlichkeit und Sexualität festgelegt bleiben – diese ‚Qualitäten‘, Vermögen oder auch Kapitalien setzen literarische Texte mit großer Rekurrenz als die primären kommodifizierbaren Ressourcen von weiblichen Figuren in Szene. Literatur semantisiert weibliche Berufstätigkeit bis weit in das 20. Jahrhundert hinein mit Vorliebe als sexuelle Libertinage und greift damit einen zentralen Diskurs auf, der den Zugang zur Lohnarbeit reglementiert, indem er arbeitende Frauen zu moralisch fragwürdigen Subjekten abwertet. Überaus beliebt ist das spektakuläre Sujet der Prostitution, das die zählebige Kopplung von weiblichen Arbeitsvermögen und Sexualität bzw. Körperlichkeit auf genuine Weise zum Ausdruck bringt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Prostitution schnell bei der Hand ist, um freiere sexuelle Verhaltensweisen zu stigmatisieren. Konnten sich beispielsweise Schauspielerinnen sexuelle Freiheiten eher leisten als bürgerliche Frauen, so wurden jene in aller Regel der Prostitution bezichtigt, obwohl zwischen außerehelichen Kontakten und gewerblicher ‚Unzucht‘ ein gravierender Unterschied besteht.42

Auch heute noch ist die Fixierung von Weiblichkeit auf Sexualität so stark, dass beispielsweise in Organisationen43 dann von Erotik die Rede ← 21 | 22 → ist, wenn Frauen ins Spiel kommen; ihre Präsenz sexualisiere den Arbeitsalltag, so Barbara Gutek.44 Die hartnäckige Sexualisierung von Frauen sei eine Strategie zur Aufrechterhaltung von Geschlechterhierarchien, so Ursula Müller, und zwar auch dadurch, dass sie „nicht als systematisch in der Organisation hervorgebrachtes, sondern als privates und individuelles Verhalten“ erscheine.45 Über die Deutungsmacht, in welchen Fällen die Geschlechterdifferenz einen Unterschied mache, verfügten Frauen nur selten.46

Prekäre und professionalisierte Arbeit

Eine zweite Kategorie, die für die Beschreibung weiblicher Arbeit relevant ist und sich für literarische Texte als aufschlussreich erweist, ist die der prekären Arbeit47 –„diskriminierende“ Prekarität48 bedroht heute selbst die gesellschaftliche Mitte. Prekarität wird dabei mit Blick auf das (sich ← 22 | 23 → gegenwärtig auflösende) männlich konzipierte Normarbeitsverhältnis definiert und ergibt sich aus geringer Bezahlung sowie ungesicherten Zukunftsaussichten, wie sie kurzfristige Verträge und Projektarbeit mit sich bringen. Frauen sind, seitdem sie sich auf dem Arbeitsmarkt verdingen – als Künstlerinnen, Dienstmädchen, Kellnerinnen oder Angestellte –, mit der Pauperisierung durch Arbeit konfrontiert, bilden also in gewissem Sinne die ‚Avantgarde der Prekären‘. Ihre Arbeitsvermögen galten bis in das 20. Jahrhundert hinein als anfälliger, ihre Tätigkeiten als weniger geistig und produktiv, weshalb sie häufig schlechter entlohnt wurden. Verantwortlich für die hartnäckige Abwertung weiblicher Arbeitsvermögen waren allem voran die Geschlechterstereotypen sowie normative Arbeitsbiographien.49 So ging man davon aus, dass junge Frauen lediglich bis zur Ehe (als Ziel ihrer Existenz) arbeiteten, sie mithin lediglich über ein temporäres Arbeitsvermögen verfügten und an kontinuierlichen Arbeitsbiographien mit entsprechenden Aufstiegschancen nicht interessiert seien.50

Die enge Verknüpfung von weiblicher Lohnarbeit und Prekarität lässt nicht zuletzt kenntlich werden, dass die Beruflichkeit von Arbeitsteilung „als Produkt und gleichzeitig als Medium der Durchsetzung sozialer Interessen verstanden werden muß“, wie Ulrich Beck und Michael Brater in ihrer Studie Berufliche Arbeitsteilung und soziale Ungleichheit von 1978 ausführen.51 Soziale Ungleichheit sei nicht nur das Ergebnis beruflicher Differenzierungen, sondern schlage sich bereits in den Grenzziehungen und Kombinationen von Arbeitsvermögen in Berufen nieder. Die beruflichen ← 23 | 24 → Zuschnitte seien nicht durch Effizienz und Funktionalität zu erklären, sondern zielten auf die Reproduktion sozialer Ungleichheit ab; die Autoren postulieren deshalb eine „soziale[…] Interessenverwirklichungsstruktur“ von Berufen,52 die auch in dem systematischen Zusammenhang von weiblicher Lohnarbeit und Prekarität zum Ausdruck kommt. Klaus Dörre führt diese Kopplung entsprechend auf die ungebrochene Wirksamkeit symbolischer Formen männlicher Herrschaft zurück, „deren sozialisierende Kraft geschlechtsspezifische Einmündungen in prekäre Verhältnisse begünstigt“.53 Die gegenwärtige Erosion männlicher Normarbeit, die hegemoniale Männlichkeiten deutlich von marginalisierten abtrennt, intensiviere die Geschlechterstereotypen noch, denn der Arbeitnehmer befürchte eine „Verweiblichung“, weil er mit Frauen konkurrieren müsse und seine Rolle als bread winner nicht mehr zu erfüllen vermöge, die Arbeitnehmerin hingegen fürchte eine „Entweiblichung“, die ihre Rolle als Mutter und Sorgende bedrohe54 – beide agierten sie als Kompliz/innen sexualisierter Deutungen.55

Ein Gegenmodell zu prekärer Arbeit bildet bis zum Ende des 20. Jahrhunderts die Profession, die durch die Verknappung von Zugängen ökonomisches und symbolisches Kapital zu generieren vermag, gegenwärtig allerdings durch die zunehmende Projektförmigkeit von Arbeit keine gesicherten Verhältnisse mehr garantiert. Professionen wie die von Ärzt/innen, Wissenschaftler/innen und Geistlichen gelten grundsätzlich als identifikatorische Arbeit in einem emphatischen Sinne und schließen in gewisser Weise an das Konzept des ‚inneren Berufs‘ an, das sich um 1800 als Signum des (romantischen) Künstlers etabliert und im 19. Jahrhundert nobilitierend auf den Kaufmann, Unternehmer, Manager und Wissenschaftler übertragen wird. Für professionalisierte Berufe spielen Gender-Kategorien und -stereotypen, die nach Lutz Ohlendieck die „wirkliche Konkurrenz“ zwischen ← 24 | 25 → Männern und Frauen verhindern, ebenfalls eine wichtige Rolle.56 Die Forschung diskutiert insbesondere das Problem der ‚gläsernen Decke‘ bzw. des ‚Glashauses‘; diese Metapher beschreibt die Praxis, weibliche Arbeitskräfte an der Peripherie von Unternehmen (wie im Personalmanagement) einzusetzen.

Emotionale und ästhetische Arbeit

Details

Seiten
330
Erscheinungsjahr
2017
ISBN (PDF)
9783631727997
ISBN (ePUB)
9783631728000
ISBN (MOBI)
9783631728017
ISBN (Hardcover)
9783631716632
DOI
10.3726/b11509
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (März)
Schlagworte
Literarische Ökonomik Erzählte Arbeit Gender Studies Vergeschlechtlichte Arbeit Emotionale, ästhetische und prekäre Arbeit Konsum
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 330 S.

Biographische Angaben

Franziska Schößler (Autor:in)

Franziska Schößler ist Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Trier. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn und Freiburg. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen literarische Ökonomik, Gender Studies, Drama und Theater.

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Titel: Femina Oeconomica: Arbeit, Konsum und Geschlecht in der Literatur