Graphematische Untersuchungen zur ostdeutschen «Apostelgeschichte» aus dem 14. Jahrhundert
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autoren-/Herausgeberangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Zur Frage des Phonem-Graphem-Verhältnisses
- 2.1 Zur Frage des (sprachlichen) Zeichens
- 2.2 Rede vs. Schrift und geschriebene Sprache
- 2.3 Phonem vs. Graphem
- 3 Zur allgemeinen Charakteristik des Mittelhochdeutschen
- 3.1 Zeitliche Zuordnung
- 3.2 Phonetische Neuerungen des Mittelhochdeutschen
- 4 Graphematische Analyse der deutschen Übersetzung der Apostelgeschichte von St. Lukas
- 4.1 Monophthonge
- 4.2 Diphthonge
- 4.3 Kontraktion
- 4.4 Konsonanten
- 5 Nebensilbenvokalismus
- 5.1 Vorsilben
- 5.2 Nachsilben
- 6 Resümee: Schreibgewohnheiten des Übersetzers der Apostelgeschichte von St. Lucas
- 6.1 Vokalismus
- 6.2 Konsonantismus
- 6.3 Großschreibung und Abkürzungszeichen
- 6.4 Multidialektaler Wortschatz mit seinen lautlichen Merkmalen
- Literatur
- Reihenübersicht
Die Bibel ist nicht antik, auch nicht modern. Sie ist ewig.1
Martin Luther
Die oben angeführten Worte des weltbekannten Mönches, der sein ganzes Leben lang nach der Gnade Gottes suchte und die Reform der Kirche Gottes auf Erden erstrebte, zeigen zweifellos sein tiefes Vertrauen zu Gott und zu Seinem den einfachen Menschen in der Bibel offenbarten Willen, sowie seine feste Überzeugung, dass die Heilige Schrift die Hauptrichtlinie des menschlichen Lebens sein sollte. Man kann also spüren, dass der berühmteste, deutsche Augustiner-Eremit den unbestrittenen und überzeitlichen Charakter dieses zum Weltliteraturkanon gehörenden Werkes betont und an ihn glaubt.
Für uns ist dieses Werk in anderer Hinsicht von großer Bedeutung. Nun wollen wir uns mit der Technik der Übertragung des Wortes Gottes ins Deutsche beschäftigen, um zu begreifen, welches Ziel sich ein Übersetzer bei seiner Übersetzungsarbeit setzte. An den Früchten seiner Arbeit lässt sich weiter die Sprache der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt untersuchen. In diesem Fall interessiert uns das 14. Jh., als sich die mittelhochdeutsche Epoche allmählich in das Frühneuhochdeutsche zu verwandeln begann. Damals maßen die mittelalterlichen Schreiber der Schreibung noch keine Bedeutung bei, was zur Folge hatte, dass die Schreibweise eines jeweiligen Textes schwankt. Sie strebten lediglich nach einer Wiederspiegelung des Gesprochenen mithilfe des Geschriebenen oder nach der Übertragung bestimmter Inhalte aus einer Sprache in eine andere. Eben an dieser Stelle beginnt schon die Aufgabe für einen Sprachwissenschaftler, der mit seiner Untersuchung zu ermitteln versuchen kann, welche Form die Sprache in der Vergangenheit hatte.
Die Druckausgabe der deutschen Übersetzung der ST. LUKAS zugeschriebenen Apostelgeschichte verdanken wir WALTER ZIESEMER (1882–1951) – dem deutschen Germanisten, der an der Albertus-Universität in Königsberg tätig war. Seine wissenschaftlichen Interessen kreisten um die Literatur der Ordenszeit und überhaupt um die mit Ostpreußen und mit dem Deutschen Orden zusammenhängenden Fragen, was die Titel seiner Publikationen zeigen. Für sein Hauptwerk könnte man jedoch sein Preußisches Wörterbuch (1935) halten. ← 9 | 10 →
Die Gründe der Veröffentlichung der Apostelgeschichte gibt er selbst in der Einleitung zur Ausgabe an, wobei er darauf hinweist, dass ihm die Druckausgabe des Dokuments umso wichtiger zu sein scheint, als sie den Studenten Nutzen bringend sei und ihnen die Möglichkeit gebe, sich mit den vor- und nachlutherischen Bibelübersetzungen bekannt zu machen. Als den zweiten Grund der Publizierung dieses Translats nennt er die Tatsache, dass die Übertragung eben im ostdeutschen Dialekt verfasst worden sei, was zu den Schlüssen über die Beteiligung dieses Dialekts an der Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache auf kolonialer Basis berechtige. Dabei bemerkt er, dass die Ritter des Deutschen Ordens vorsätzlich auf den niederdeutschen Dialekt zugunsten des der schlesischen und obersächsischen Sprache ähnelnden Mitteldeutschen verzichteten, das als Amts- und Geschäftssprache fungierte. Die Ordensdichtung, zu der auch die Bibeldichtung gehört, war ebenso auf dieselbe Weise gestaltet (vgl. ZIESEMER 1927: 1f.). Außer Zweifel bleibt aber, dass die deutsche Übersetzung unserer Apostelgeschichte als Bibeldichtung anzusehen ist.
Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass die biblischen Geschichten, von welchen hier die Rede ist, für einheimische Neophyten zur geistigen Stärkung verfasst oder aus Deutschland mitgenommen wurden. Wenn wir aber an dieses Problem auf diese Weise herangehen würden, ließen wir uns leider aufs Glatteis führen, weil die Ordensdichtungen solcher Art lediglich zur innerlichen Anwendung geschrieben wurden. Die Wünsche von Neugetauften wurden also geringgeschätzt.
Man dachte dabei immer nur an eine verwendung dieser bücher in den ordensburgen, die bedürfnisse der übrigen bevölkerung des landes blieben beiseite; denn der leitende gedanke für die entstehung dieser bibeldichtungen war der, daß die ordensbrüder das bibelwort in deutscher sprache kennen lernen und dadurch immer neue geistliche nahrung erhalten und in ihrem glauben gestärkt werden sollten. Ihnen sollten die heiligen gestalten immer wieder als vorbilder, denen sie nacheifern müßten, hingestellt werden, damit sie selbst in den grundideen des Ordens gefestigt und dadurch wahre gottesstreiter würden. In diesen dichtungen war der bibeltext die hauptsache, er konnte gelegentlich mit hilfe von kommentaren erweitert und erläutert werden. Wahrscheinlich bestand der plan, die ganze bibel nach und nach in einzeldichtungen umzubilden, aber er kam nicht zur vollen ausführung. (ZIESEMER 1927: 3f.)
Was den Text der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Übersetzung anbelangt, so stammt sie aus dem 14. Jh. und ist höchstwahrscheinlich eine etwas frühere, mit einer Hand geschriebene Abschrift der originellen Übertragung, die ebenfalls aus dem 14. Jh. kommt (vgl. ZIESEMER 1927: 21). Obwohl das mit dem Symbol A 191 markierte Dokument noch zu Beginn des 20. Jh. im Staatsarchiv Königsberg aufbewahrt wurde, bleibt sein derzeitiges Schicksal unbekannt. ← 10 | 11 →
Die von uns in Betracht gezogene Apostelgeschichte entstand auf den dem Deutschen Orden gehörenden Gebieten. Der genaue Entstehungsort lässt sich aber nicht ganz sicher bestimmen: man vermutet, dass zwei Ordensburgen in Frage kommen: Königsberg, wo der Ordensmarschall seinen Sitz hatte, oder Marienburg, wo der Hochmeister amtierte.
Die angeführten besonderheiten (ordensprache und mnd. beeinflussung, namentlich der seemannsprache) lassen sich wohl am ungezwungensten durch die annahme erklaeren, daß der übersetzer im ordensland Preußen arbeitete und vielleicht auch in ihm aufgewachsen war. (ZIESEMER 1927: 5)
Des Weiteren lässt sich nicht verkennen, dass die Übersetzung auf dem kolonialen Gebiet entstand und dem ostmitteldeutschen Sprachkreis angehört. Diese Besonderheit macht uns möglich, die Übertragung unserer Apostelgeschichte mit der Übersetzung Luthers in sprachlicher Hinsicht zu vergleichen. Solche Ähnlichkeiten erkennt man an der gleichsamen Wortwahl, Wortstellung und dem ähnlichen Satzbau.
Ging man in dem gleichen sprachraum an eine übersetzung des gleichen werks, in der gleichen absicht, eine deutsche, von lateinischem stil befreite übersetzung zu liefern, so ergaben sich übereinstimmungen von selbst. (ZIESEMER 1927: 12)
1 Das Zitat entnommen aus: http://www.jesus-web.de/studien/grund/bibel/bibel03.htm (5.05.2017).
2 Zur Frage des Phonem-Graphem-Verhältnisses
In principio erat Verbum, et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum. Hoc erat in principio apud Deum. Omnia per ipsum facta sunt, et sine ipso factum est nihil, quod factum est.2
(Johannes 1,1–3)
Man könnte feststellen, dass das oben angeführte, biblische Zitat aus dem Evangelium nach JOHANNES ein Element aus dem Bereich der Sprachwissenschaft beinhaltet und somit ein linguistisches Problem anbelangt. Es handelt sich selbstverständlich um das lateinische Verbum, das ins Deutsche als Wort übersetzt wird (s. Fußnote). Im Allgemeinen lässt sich das Wort als eine selbstständige, sprachliche Einheit definieren, die eine gesprochene oder geschriebene Form annehmen kann.
2.1 Zur Frage des (sprachlichen) Zeichens
Unsere theoretischen Erwägungen müssen also ihren Ausgangspunkt in der Feststellung haben, die uns eine allgemeine Definition der Sprache ermöglichen würde. Wohl die einfachste und am meisten angetroffene Definition der Sprache besagt, dass sie ein System von Zeichen ist (vgl. DE SAUSSURE 1991: 51). Eine der Definitionen der Sprache schuf der englische Anthropologe – SIR EDWARD BURNETT TYLOR (1832–1917), der in seiner Arbeit Anthropology: an introduction to the study of man and civilization folgendes behauptet:
Die Sprache ist einer der Äste einer großen Kunst der Bildung oder Zuordnung von Zeichen, und ihre Aufgabe beruht auf der Zuordnung von Lauten als entsprechenden Zeichen, d.h. Symbolen für jeden Gedanken. So viel dieser Laut schon ausgewählt wurde, hatte diese Wahl zweifelsohne ihre Ursache. (TYLOR 2012: 118; übersetzt von P.O.)
Details
- Seiten
- 184
- Erscheinungsjahr
- 2017
- ISBN (PDF)
- 9783631728666
- ISBN (ePUB)
- 9783631728673
- ISBN (MOBI)
- 9783631728680
- ISBN (Hardcover)
- 9783631728659
- DOI
- 10.3726/b11438
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2017 (September)
- Schlagworte
- Sprachgeschichte Aposteltaten Ostsiedlung Graphematik Mittel- und Osteuropa Mittel-/Frühneuhochdeutsch
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 184 S.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG