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Paradigmenwandel in der Medizin

von Konrad Wink (Autor:in)
©2019 Monographie 196 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor untersucht, inwieweit die Medizin der revolutionären oder evolutionären Theorie folgt. Der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn ging in seiner Abhandlung „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" (1962) davon aus, dass die Wissenschaft sich revolutionär entwickelt und prägte die Ausdrücke Paradigma und Paradigmenwandel (Normalwissenschaft – neue Erkenntnisse – Theorien – Revolution –Paradigmenwandel). Als Paradebeispiel für einen revolutionären Wandel gab er den Übergang vom ptolemäischen zum kopernikanischen Weltbild, die Darwin’sche Evolutionstheorie und die Gravitationstheorie Isaak Newtons und Albert Einsteins an. Kuhn steht mit seiner Entwicklungstheorie im Gegensatz zur klassischen, kumultativen, evolutionären Entwicklung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Einleitung (Kurt Bayertz, Abb. 1):
  • II. Thomas Kuhn (1962): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen <Abb. 2>
  • 1. Der Begriff des Paradigmas
  • 2. Die normale Wissenschaft
  • 3. Paradigmenwandel
  • 4. Das Problem der Inkommensurabilität
  • III. Der Paradigmenwandel in der Medizin
  • 1. Der revolutionäre oder evolutionäre Verlauf in der Medizingeschichte
  • 1.1 Prähistorische Zeit
  • 1.2 Heilkunde der Naturvölker
  • 1.3 Medizin der frühen Hochkulturen
  • 1.4 Antike
  • 1.5 Medizin im Mittelalter
  • 1.6 Krankheiten im Mittelalter (Winkle, Bucher, Eberhard-Metzger)
  • 1.6.1 Lepra (Aussatz)
  • 1.6.2 Milzbrand (Anthrax)
  • 1.6.3 Tuberkulose
  • 1.6.4 Cholera asiatica
  • 1.6.5 Diphtherie
  • 1.6.6 Wundinfektionen
  • 1.6.7 Malaria
  • 1.6.8 Pocken (Variola)
  • 1.6.9 Die Pest
  • 1.6.10 Fleckfieber (Typhus exanthemicus)
  • 1.6.11 Geschlechtskrankheiten
  • 1.7 Zusammenfassung (Mittelalter)
  • 1.8 Renaissance
  • 1.9 Medizin des 17. Jahrhunderts
  • 1.10 Medizin des 18. Jahrhunderts
  • 1.10.1 Die Bedeutung des Experiments in der Medizin
  • 1.11 Neuzeit
  • 1.11.1 Alchemie
  • 1.11.2 Iatrophysik
  • 1.11.3 Iatrochemie
  • 1.11.4 Vitalismus
  • 1.11.5 Psychodynamismus
  • 1.11.6 Animismus
  • 1.11.7 Traditionelle chinesische Medizin (TMC)
  • 1.11.8 Lebenskraftlehre
  • 1.11.9 Phlogistonlehre
  • 1.11.10 Brownianismus
  • 1.11.11 Romantische Medizin
  • 1.11.12 Humoralpathologie
  • 1.11.13 Homöopathie
  • 1.11.14 Naturheilverfahren
  • 1.11.15 Phrenologie
  • 1.11.16 Magnetfeldtherapie
  • 1.11.17 Holismus
  • 1.11.18 Laienmedizin
  • 1.12 Medizingeschichte in Zahlen (Naturwissenschaft)
  • 1.13 Medizin des 20./21. Jahrhunderts
  • 1.13.1 Studienmedizin (Elemente)
  • 1.13.2 Die randomisierte, kontrollierte, verblindete Parallelgruppenstudie
  • 1.13.3 Die Studie als Experiment
  • 1.13.4 Equipoise
  • 1.13.5 Gentherapie
  • 1.13.6 Molekularmedizin <Abb. 35>
  • 1.13.7 Personalisierte Medizin <Abb. 36>
  • IV. Diskussion
  • 1. Kuhn – Kritiker
  • 2. Postskriptum (Kuhn)
  • 3. Zusammenfassende Betrachtungen <Abb. 37>
  • V. Wissenschaftlicher Fortschritt
  • VI. Wissenschaftstheorien in der Medizin (Symposium, Herausg. W. Deppert, H. Kliemt, B. Lohff, J. Schaefer, Walter de Gruyter Verlag Berlin, New York, 1992)
  • VII. Abbildungsverzeichnis
  • VIII. Stichwortverzeichnis

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I. Einleitung (Kurt Bayertz1, Abb. 1):

Wissenschaftstheorie ist so alt wie die Wissenschaft selbst. Wissenschaftstheoretische Überlegungen finden wir bereits in der Antike bei Philosophen wie Plato und Aristoteles, in der Neuzeit bei Bacon und Descartes und später bei Kant und Hegel. Auch in den Werken vieler Wissenschaftler finden sich immer wieder Reflexionen über die Grundlagen und Probleme ihres Fachgebiets oder der Wissenschaft allgemein. Zu nennen sind hier Autoren wie Galilei, Newton, Helmholtz, Plank oder Einstein.

Die Wissenschaftstheorie stellt jedoch keine selbstständige Disziplin dar. In den philosophischen Systemen wird die Wissenschaft meist im Rahmen der Metaphysik und später der Erkenntnistheorie behandelt und auch bei den Wissenschaftlern war Wissenschaftstheorie kein selbstständiges Feld theoretischer Forschungen, sondern blieb ein Nebenprodukt der wissenschaftlichen Praxis.

Diese Situation änderte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich unter dem Eindruck stürmischer Erfolge der Naturwissenschaften die Ansicht durchsetzte, dass die Wissenschaften nicht nur eine spezifische Form menschlichen Erkennens darstellen, die sich von den übrigen Formen der Erkenntnis durch ihr methodisches Vorgehen und den systematischen Aufbau ihrer Ergebnisse unterscheiden, sondern dass sie als die vorbildliche und allgemeingültige Form des menschlichen Erkennens angesehen werden müssen.

Vor dem Hintergrund der beeindruckenden theoretischen Erfolge der Naturwissenschaft (vor allem der Physik), die mit der Wärme- und Energielehre, der kinetischen Gastheorie und der Elektrizitätslehre in neue Dimensionen vorgestoßen war, der Chemie, die sich nach Lavoisier in neuen Bahnen bewegte und der Biologie, der Darwin einen neuen Horizont aufgedeckt hatte, und vor allem ihrer praktischen Erfolge, die sich nach der industriellen Revolution in nahezu allen Lebensbereichen bemerkbar zu machen begannen, wurde die Wissenschaft zum Inbegriff menschlicher ←17 | 18→Erkenntnisfähigkeit und zu einem Standard der Rationalität, der für alle anderen Formen des Denkens maßgeblich sein sollte.

Damit waren die Voraussetzungen gegeben, dass sich die Wissenschaftstheorie als eine eigenständige philosophische Disziplin herausbilden konnte.

Der historische Verdienst, diese Verselbstständigung der Wissenschaftstheorie endgültig vollzogen und die neue Disziplin akademisch etabliert zu haben, gebührt einer Gruppe von Philosophen und Naturwissenschaftlern, die sich Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts um den Philosophen Moritz Schlick in Wien zusammengefunden hatte. Diese unter dem Namen „Wiener Kreis“ bekannt gewordene Gruppe begründete eine der einflussreichsten philosophischen und vor allem wissenschaftstheoretischen Richtungen des 20. Jahrhunderts, den logischen Empirismus oder Neopositivismus. Das philosophische Programm des Wiener Kreises setzte sich in der Folgezeit vor allem in den angelsächsischen Ländern immer stärker durch und wurde hier zur absolut dominierenden Strömung, indem es einerseits schrittweise modifiziert und gelockert, andererseits über die Wissenschaftstheorie hinaus auf die Ethik, Geschichte und Sprachphilosophie ausgedehnt wurde.

Im Rahmen der analytischen Philosophie unterliegt die Wissenschaftstheorie nämlich zwei einschneidenden Beschränkungen. Sie hat sich erstens ausschließlich mit Sciences, d. h. mit den exakten Wissenschaften, zu befassen und soweit sie sich mit nicht-exakten Wissenschaften wie Soziologie oder Literaturwissenschaft befasst, hat sie diese nach dem Vorbild der exakten Wissenschaften zu analysieren. Zweitens hat sich die Wissenschaftstheorie ausschließlich auf die logischen und methodologischen Aspekte der Wissenschaft zu konzentrieren. Dabei ergaben sich folgende Fragen:

Welche logische Struktur haben wissenschaftliche Theorien?

Welche Methoden können oder müssen bei der Überprüfung wissenschaftlicher Aussagen angewandt werden?

Welche logische Form haben wissenschaftliche Erklärungen und welche Funktion kommt Gesetzesaussagen in ihnen zu?

In welchem Verhältnis stehen Theorie und Erfahrung im Aufbau wissenschaftlicher Theorien?

Es liegt auf der Hand, dass dieser Typ von Fragen, den die analytische Philosophie stellt, bei Weitem nicht das gesamte Spektrum der Probleme ←18 | 19→abdeckt, die sich im Hinblick auf ein umfassendes theoretisches Verständnis der Wissenschaft stellen.

Die Wissenschaft erscheint in diesem Fragenkatalog als ein bloßes System von Erkenntnissen und die Aufgabe der Wissenschaftstheorie beschränkt sich auf logische Analysen dieser Erkenntnisse. Alle Fragen, die sich auf die geschichtliche Entwicklung der Wissenschaft und auf ihre Stellung und Bedeutung in der Gesellschaft beziehen, sind ausgeklammert. Diese Fragen werden entweder von anderen philosophischen Richtungen, soweit sie sich mit Wissenschaft befasst haben, behandelt oder sie wurden von unterschiedlichen Fachwissenschaften wie Wissenschaftsgeschichte aufgegriffen. Über den Gegenstand der Wissenschaftstheorie mithilfe der logischen Analyse können nur die formalen Beziehungen zwischen wissenschaftlichen Sätzen untersucht werden. Der Weg, auf dem diese Sätze gebildet werden, ist dagegen für die Logik nicht zugänglich. Die analytische Wissenschaftstheorie untersucht daher ausschließlich die logischen Beziehungen zwischen vorliegenden wissenschaftlichen Sätzen, d.h. sie analysiert den Begründungszusammenhang zwischen diesen Sätzen. Der Vorgang des Aufstellens dieser Sätze, ihre Entstehung im Zusammenhang ist demgegenüber Gegenstand anderer Disziplinen, die sich mit der Wissenschaft befassen, z.B. Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftssoziologie, Wissenschaftspsychologie. Anders ausgedrückt, weil die analytische Wissenschaftstheorie als einzig legitimes Instrument der philosophischen Analyse die formale Logik anerkennt, kann sie sich nur mit fertigen Resultaten (Sätzen) der wissenschaftlichen Tätigkeit befassen, nicht aber mit dieser Tätigkeit selbst.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass Kuhn2 eine grundsätzliche Neuorientierung der Wissenschaftstheorie im Sinn hat, wenn er im ersten Kapitel seines Buches schreibt, das bisher vorherrschende Bild der Wissenschaft sei „in erster Linie nach dem Studium abgeschlossener wissenschaftlicher Leistungen gezeichnet worden“. Demgegenüber sei das Ziel seines Buches der Entwurf „der ganz anderen Vorstellung von der Wissenschaft, wie man sie aus geschichtlich belegten Berichten über die Forschungstätigkeit selbst gewinnen kann“.

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Kuhn3 nimmt also von vornherein eine neue Bestimmung des Gegenstandes Wissenschaftstheorie vor. Sie soll sich nicht mehr auf die logische Analyse fertiger Theorien beschränken, sondern die Forschungstätigkeit selbst neu einbeziehen, d.h. jene psychologischen, soziologischen etc. Vorgänge, die den Entstehungszusammenhang wissenschaftlicher Aussagen konstituieren. Diese Neubestimmung des Gegenstandes der Wissenschaftstheorie ist das Resultat der Erfahrungen, die Kuhn während seiner Beschäftigung mit der Wissenschaftsgeschichte machte. Kuhn war zunächst selbst von den Positionen der analytischen Wissenschaftstheorie ausgegangen und kam dann durch einen Zufall in Berührung mit der Geschichte der Wissenschaft. Dabei stellte er eine tiefe Diskrepanz zwischen den von ihm damals vertretenen wissenschaftstheoretischen Auffassungen und der realen Theorie und Praxis der Naturwissenschaft vergangener Zeiten fest. Die Art und Weise, in der Wissenschaft in der Vergangenheit betrieben wurde, ließ sich mit den Postulaten der analytischen Wissenschaft nicht in Übereinstimmung bringen. Anstatt daraus die aus analytischer Sicht einzig mögliche Schlussfolgerung zu ziehen, dass es sich bei diesen älteren Formen der Wissenschaft noch nicht um Wissenschaft handelt, sondern um Vorformen, die noch von metaphysischen Restbeständen durchsetzt waren, zog Kuhn die entgegengesetzte Konsequenz, wenn die von der analytischen Wissenschaftstheorie aufgestellten Kriterien der Rationalität auf die betreffenden Phasen der Wissenschaftsgeschichte nicht anwendbar sind, dann muss der Fehler nicht unbedingt in der Wissenschaftsgeschichte gesucht werden, sondern in den Grundsätzen der analytischen Wissenschaftstheorie. Anstatt z.B. die mittelalterliche Physik als irrational zu erklären, weil sie den heutigen Rationalitätskriterien nicht genügt, stellt Kuhn die Frage, ob diese Rationalitätskriterien nicht dann notwendig unrealistisch und anachronistisch werden, wenn sie auf längst vergangene Zeiten angewandt werden.

Details

Seiten
196
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631774793
ISBN (ePUB)
9783631774809
ISBN (MOBI)
9783631774816
ISBN (Hardcover)
9783631743324
DOI
10.3726/b14927
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Mai)
Schlagworte
Wissenschaftstheoretischer Paradigmenwandel (Thomas Kuhn) Normalwissenschaft-neue Erkenntnisse-Theorien-Revolution-Paradigmenwandel) Revolutionäre oder evolutionäre Entwicklung der Medizin Einfluss des revolutionären und evolutionären Wandels auf die Entwicklung der Medizin Entwicklung der Medizin in verschiedenen Völkern und Zeitaltern
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2019. 196 S., 26 farb. Abb., 12 s/w Abb.

Biographische Angaben

Konrad Wink (Autor:in)

Konrad Wink, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, seit 1963 klinisch und wissenschaftlich tätig. Mitarbeiter am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Lehre an der Universität Freiburg mit Schwerpunkt Klinische Arzneimittelprüfung und -therapie mit Studienanalysen.

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