Horizontale Lexikographie
Kontrastives Wörterbuch ausgewählter deutscher Simplizia und ihrer motivierten präfixalen Derivate
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Vorwort
- 1. Horizontale Lexikographie – wie, warum und wozu?
- 2. Erklärung der im Wörterbuch verwendeten Symbole und Abkürzungen
- 3. Kontrastives Wörterbuch ausgewählter deutscher Aktionsarten
- Zitierte Literatur
- Gesamtverzeichnis der Wörterbucheinträge
Vorwort
Mit dem vorliegenden Wörterbuch ausgewählter deutscher Basisverben und ihrer motivierten Ableitungen stelle ich ein neues lexikographisches Modell vor, wobei die Neuerung darin besteht, dass die Einträge nicht mehr wie bisher üblich einander nach-, sondern nebengeordnet sind. Dabei habe ich das Ziel verfolgt, die Bedeutungsunterschiede, wie sie zwischen Simplizia und Derivaten sowie zwischen Derivaten untereinander auftreten und die in den bisherigen Standardwörterbüchern der deutschen Sprache bedingt durch deren vertikale Ausrichtung weitestgehend vernachlässigt wurden, im Zuge einer dem horizontalen Ansatz zugrunde liegenden kontrastiven Analyse zu ermittelten, aufzubereiten und nachvollziehbar darzustellen. Die Entscheidung darüber, ob und inwieweit mir dies gelungen ist und sich dieses Nachschlagewerk in der Praxis bewährt, bleibt den Nutzern vorbehalten und ihrer Einschätzung überlassen – ich maße mir darüber kein Urteil an.
Für meinen Teil beschränke ich mich an dieser Stelle darauf, die Gelegenheit zu nutzen, mich bei meiner Mitarbeiterin am Lehrstuhl Sprachwissenschaft des Instituts für Germanistik und Angewandte Linguistik, Frau Dr. Jolanta Sękowska, aufs Allerherzlichste für die mir beim Verfassen der vorliegenden Arbeit erwiesene Hilfe zu bedanken.
Des Weiteren schulde ich Dank zum einen meinem Kollegen und Mitherausgeber der Reihe „Lubliner Beiträge zur Germanistik und Angewandten Linguistik“, Herrn Prof. Dr. habil. Janusz Golec, und zwar für sein Wohlwollen und seine Unterstützung, sowie zum anderen den Verantwortlichen meiner Alma Mater, der Maria Curie Skłodowska-Universität zu Lublin, allen voran dem Dekan der Philosophischen Fakultät, Herrn Prof. Dr. habil. Robert Litwiński, und dies insbesondere für die finanzielle Förderung, die mir von jener Stelle bei der Herausgabe des Buches zuteil wurde.
Herrn Sebastian Madejski danke ich für die Anfertigung der Zeichnung, die die Vorderseite des Einbandes des Buches ziert und diesem dadurch auf optischem Wege zusätzliche Attraktivität verleiht.
Zuletzt möchte ich es nicht versäumen, dem Verlag Peter Lang meine Anerkennung für die vorbildliche Zusammenarbeit im Rahmen der Drucklegung des Bandes auszusprechen.
Fehler jedweder Art, die möglicherweise in der Arbeit enthalten sein könnten, wären ausschließlich die meinigen.
Lublin, im Januar 2020 |
Hans-Jörg Schwenk |
1. Horizontale Lexikographie – wie, warum und wozu?1
In dem vorliegenden Band wird einem ganz bestimmten Ausschnitt des verbalen Wortbestandes der deutschen Sprache lexikologisch-lexikographisch zu Leibe gerückt, und zwar aus Präfigierung hervorgegangenen Ableitungen, wobei es darum geht, diese sowohl in ihrer semantischen Beziehung zu den ihnen zugrunde liegenden, morphologisch unveränderten Basisverben – z.B.: (etwas) befürchten vs. (etwas) fürchten – als auch im Hinblick auf die Bedeutungsunterschiede, die sie untereinander offenbaren und die die eine Aktionsart von einer anderen Aktionsart abheben – z.B.: (etwas) berechnen vs. (etwas) errechnen vs. (etwas) ausrechnen –, zu untersuchen und zu beschreiben. Die lexikologisch-lexikographische Tätigkeit ist also auf diejenigen, durch Anfügen entsprechender Vorsilben – mit Czarnecki (1998: 40 ff.) gesprochen: entsprechender „Präelemente“ – erzeugten derivationsmorphologischen Erscheinungen ausgerichtet, die in der deutschen Grammatik üblicherweise unter der Bezeichnung „Aktionsarten“ abgelegt und dort als solche veranschlagt werden: „Aktionsarten werden durch Verbalpräfixe gegenüber den Basisverben eingebracht (…)“ [Zifonun/Hoffmann/Strecker et al. (1997: 1861)].
Damit eine Aktionsart Einzug ins Wörterbuch halten und dort im Hinblick auf ihre vom Ausgangsverb abweichenden semantischen Eigenschaften aufbereitet und verarbeitet werden kann, muss sie allerdings zuvor die Voraussetzung der Motiviertheit erfüllen, was, um dies an einem konkreten Beispiel zu veranschaulichen, bedeutet, dass nur Derivate des Typs (jemanden/etwas) auffinden und (jemanden/etwas) vorfinden, (jemanden/etwas) antreffen und (auf etwas) auftreffen sowie (etwas) abwischen und (etwas) aufwischen vor dem Hintergrund der in ihrem Falle eben vorliegenden Motiviertheit gegenüber den unpräfigierten Basisverben (jemanden/etwas) finden bzw. (jemanden/etwas; auf jemanden/etwas) treffen und (etwas) wischen ins Wörterbuch aufgenommen werden, während Derivate des Typs (sich mit etwas) abfinden, sich (irgendwo) befinden, (jemanden/etwas) betreffen und (etwas/jemanden) erwischen aufgrund der Tatsache, dass sie dem jeweiligen Ausgangsverb zwar formal entstammen, doch sich semantisch zu weit von ←9 | 10→ihm entfernt haben, als dass sie eine auf dem Merkmal der Motiviertheit fußende Beziehung zu diesem unterhalten könnten, als Gegenstand der lexikologisch-lexikographischen Betrachtung von vornherein ausscheiden und deshalb von der lemmatischen Erfassung ausgenommen sind.
Ebenfalls außen vor bleiben im Übrigen auch solche Paare bestehend aus Simplex und Derivat, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Ableitung zwar durch die Basis motiviert wird, die beiden Verben sich jedoch ungeachtet des unverkennbar vorliegenden semantischen Verwandtschaftsverhältnisses, das zwischen ihnen herrscht, allem Anschein semantischer Nähe und Verbundenheit zum Trotz dennoch in ihrem Inhalt ziemlich spürbar und deutlich voneinander abheben und sich jeweils zu voneinander unabhängigen Bedeutungseinheiten verselbständigen, sodass es wenig sinnvoll erscheint, sie einander lexikographisch anzunähern und im Rahmen eines horizontalen Wörterbuchs zueinander in Relation bzw. Opposition zu setzen, zumal sich eine solche Relation bzw. Opposition auch gar nicht herstellen und auf ein differenzierendes Merkmal zurückführen ließe, so wie dies beispielsweise bei (jemanden) schlagen vs. (jemanden) erschlagen, (jemanden) stechen vs. (jemanden) erstechen, (jemand/jemanden) frieren vs. (jemand/etwas) erfrieren und (auf jemanden/etwas) schießen vs. (jemanden) er-/anschießen bzw. (etwas) abschießen der Fall ist.
Berücksichtigt werden dagegen wiederum all jene präfixalen Bildungen und zu anderen präfixalen Bildungen semantisch in Beziehung gesetzt, die so beschaffen sind, dass sie Paare präfigierter Verben bilden, die sich dadurch auszeichnen, dass entweder ein Bestandteil – z.B.: (etwas/jemanden gegenüber etwas/jemandem) vorziehen vs. (etwas/jemanden gegenüber etwas/jemandem) bevorzugen [*zugen/*vorzugen] – oder sogar beide Bestandteile – z.B.: (etwas) bereichern vs. (etwas) anreichern [*reichern], (etwas auf etwas) beschränken vs. (etwas auf etwas) einschränken [*schränken], sich ausbreiten vs. sich verbreiten [*sich breiten], (jemandem etwas) vermitteln vs. (jemandem/an jemanden etwas) übermitteln [*mitteln] – einer Basis entbehren und somit im Range so genannter „Pseudoderivate“ stehen, oder die beiden Komponenten nicht durch die Basis motiviert sind, so wie dies etwa bei (etwas) verbringen vs. (etwas) zubringen, (etwas) beweisen vs. (etwas) nachweisen sowie (etwas) aufbrauchen vs. (etwas) verbrauchen) der Fall ist.
Die sich in diesem Zusammenhang stellende Frage, ob sich die Aktionsarten nicht in der Grammatik verorten und im Rahmen derer abhandeln lassen, muss verneint werden. Zwar lässt sich mit Sicherheit nicht bestreiten, dass in der Grammatik all jene Fälle unterzubringen sind, in denen es möglich ist, die Art der Veränderung der Semantik des Basisverbs auf die Art der morphologischen Veränderung zurückzuführen und gewissermaßen die Bedeutung eines Derivats aus der Summe bestehend aus Präfixbedeutung und Stamm- bzw. Simplexbedeutung abzuleiten und zu erschließen, doch ist das Problem dabei nur, dass sich die Bedeutung der durch Affigierung erzeugten Derivate nur sehr bedingt an der Form, d.h. am Präfix ablesen und sich damit die Aufgabe der Inhaltsermittlung unter Rückgriff auf paradigmatische und damit regelhafte Verhältnisse nur sehr eingeschränkt und bruchstückhaft bewältigen lässt, was bewirkt, dass eine rein grammatisch orientierte ←10 | 11→Herangehensweise an die Aktionsartthematik sehr schnell an ihre Grenzen stößt und der Lexikographie weichen muss.
Um sich hiervon zu überzeugen, muss man nun gewiss nicht alle Präfixe untersuchen, sondern es reicht völlig aus, aus der Gesamtmenge der Präfixe zwei aussagekräftige Präfixe, nämlich einmal ver- und einmal ein-, stellvertretend für alle anderen herauszugreifen und auf diese einen kritischen Blick zu werfen. Tut man dies, dann stellt man fest, dass etwa der von Engel (2004: 230) eben in dem höchst löblichen Ansinnen unternommene Versuch, dem Präfix ver- ein invariantes Bedeutungskorsett überzustülpen, in einem hohen Maße als gescheitert angesehen werden muss, wenn man bedenkt, dass die von ihm vorgenommenen Bedeutungszuweisungen mit Sicherheit nicht auf alle, sondern nur auf jeweils einen Teil der mit ver- gebildeten Ableitungen zutreffen. Dies gilt für das von ihm so genannte Merkmal „resultativ“, worunter er wohl die vorzugsweise als „egressiv“ bezeichnete Aktionsart verstehen dürfte, bei dem sich ungeachtet der Existenz von Derivaten wie verrosten [vs. rosten], verhungern [vs. hungern], verfaulen [vs. faulen] doch eher eine Dominanz des Präfix er- abzuzeichnen scheint und das er zudem mit dem Verb (etwas) vermarkten in Ermangelung eines Basisverbs [*(etwas) markten] an einem denkbar unpassenden oder zumindest außerordentlich unglücklich gewählten Beispiel festmacht, ebenso wie für das Merkmal „ornativ“, zu dem mir außer dem Fall des Verbs (etwas) verzieren in seiner Relation zu dem Simplex (etwas) zieren recht wenig einfällt und bei dem er bei der Wahl eines Beispiels mit dem Verb (etwas) vergolden, das er als solches heranzieht, nicht minder fehlgreift, indem er sich auch dort über die Tatsache hinwegsetzt, dass das Derivat nicht auf ein Simplex zurückgeht [*(etwas) golden] und somit von einer durch das Präfix verursachten Bedeutungsveränderung keine Rede sein kann.
Das von ihm noch zusätzlich für ver-Derivate als invariant angesetzte Merkmal „fehlerhaft“ entspringt erstens nicht alleine dem morphologischen Derivationsprozess der Präfigierung, sondern erfordert darüber hinaus die Reflexivität des Verbs, so wie sich dies aus dem von ihm diesmal richtig gewählten Beispiel sich versprechen, dem man noch weitere Vertreter wie etwa sich verlaufen, sich vergreifen, sich vergaloppieren, sich verspekulieren, sich verhören, sich versehen, sich verlesen, sich verrechnen, sich vertun und sich verzählen hinzufügen könnte, klar ergibt, und lässt sich zweitens nicht auf alle nach dem geschilderten Vorbild geformten Ableitungen ausdehnen, wenn man sich Verben wie etwa sich verirren, sich verschlafen, sich verschlucken, sich verstellen, sich versündigen, sich verantworten und sich verschulden vor Augen führt, bei denen das Merkmal „fehlerhaft“ im Sinne von ‚etwas falsch machen‘ ins Leere schlägt.
Und was das Präfix ein- angeht, so lassen es die ihm von Engel (ibidem) zubedachten Bedeutungsmerkmale „zentripedal“ und „gewöhnend“ ebenfalls an der geforderten Invarianz vermissen, wenn man bedenkt, dass sie ausschließlich auf die beiden von ihm als Beispiele angeführten Verben, nämlich ersteres auf eindringen und letzteres auf sich einleben, zutreffen und Derivate wie etwa (etwas/jemanden) einteilen [vs. (jemanden/etwas) teilen], (jemanden irgendwohin) einladen [vs. (jemanden irgendwohin) laden], (etwas) einkaufen [vs. (etwas) kaufen], (etwas/←11 | 12→jemanden) einfangen [vs. (etwas/jemanden) fangen] oder (etwas) einhalten [vs. sich (an etwas) halten] von diesen semantischen Parametern nicht berührt werden.
Es lässt sich gewiss nicht in Abrede stellen, dass jedes Präfix, ver- ebenso wie jedes andere auch, gewisse rekurrente Eigenschaften aufweist, doch darf man dabei nicht außer Acht lassen, dass jedes Präfix darüber hinaus auch die Fähigkeit besitzt, mit seinem jeweiligen Ausgangsverb eine individuelle Beziehung einzugehen und die Bedeutung der Basis auf einzigartige, nur in dem besagten Fall auftretende Weise fortzuentwickeln und in eine ganz bestimmte Richtung umzulenken. Dabei rücken in erster Linie solche Paare bestehend aus unpräfigiertem Ausgangsverb und motivierter präfixaler Ableitung in den Mittelpunkt, die so beschaffen sind, dass Simplex und Derivat semantisch sehr eng beieinander liegen, sodass es in diesem Kontext, um bei dem Beispiel des Präfixes ver- zu bleiben, weniger auf Paare des Typs (jemandem etwas) schulden vs. (etwas) verschulden, (irgendwo) scharren/graben vs. (etwas) verscharren/vergraben, (etwas) schärfen vs. (etwas) verschärfen, schwitzen vs. (etwas) verschwitzen oder schlampen vs. (etwas) verschlampen als vielmehr auf Paare wie etwa (etwas) mehren vs. (etwas) vermehren, (etwas mit etwas) mischen vs. (etwas mit etwas) vermischen, (etwas) melden vs. (etwas) vermelden, (etwas) schlucken vs. (etwas) verschlucken, (etwas) stärken vs. (etwas) verstärken, (etwas) einen vs. (etwas) vereinen, (etwas) kürzen vs. (etwas) verkürzen, (jemanden/etwas von/aus etwas) jagen vs. (jemanden/etwas von/aus etwas) verjagen und sich weigern (etwas zu tun) vs. (<jemandem> etwas) verweigern ankommt – und, wie wohl jedermann einleuchten dürfte, sodass es eigentlich keiner näheren Erläuterung bedarf, fallen Paare, die so geartet sind, dass die Derivate von ihren Simplizia in einem okkurrenten Bedeutungsmerkmal abweichen, nicht mehr in den Kompetenzbereich der Grammatik, sondern sind, so sie sich überhaupt dort aufhielten, von dort auszulagern und ins Lexikon zu verweisen.
Wenn mir nun jemand vorhält, ich trage Eulen nach Athen und betreibe einen vollkommen überflüssigen Aufwand, da doch, wie ich dies soeben selbst feststelle, okkurrente Bedeutungsmerkmale in die Zuständigkeit des Lexikons und damit der Lexikographie fallen und somit davon auszugehen ist, dass die semantischen Unterschiede, die Simplizia von ihren präfigierten Derivaten trennen, in den entsprechenden einschlägigen Wörterbüchern der deutschen Sprache verzeichnet und als solche ausgewiesen sind, der tut mir Unrecht, denn er hat eine vollkommen falsche Vorstellung von der Wirklichkeit und überschätzt das Leistungsvermögen der deutschen Standardwörterbücher maßlos. Ja, wenn die Wörterbücher der Herausforderung gewachsen und ihrem lexikologisch-lexikographischen Auftrag so nachkämen, wie ein Nutzer vor allem dann, wenn er Deutschlerner ist, dies von ihnen erhoffen und erwarten muss, dann könnte ich mir meine lexikographischen Mühen in der Tat allesamt getrost sparen, aber von diesem Idealzustand sind wir meilenwert entfernt – nein, hier herrscht ein semantischer Ermittlungsbedarf, den die Wissenschaftler aufgerufen sind zu befriedigen!
Die Unzulänglichkeiten, die in den Standardwörterbüchern der deutschen Sprache wie etwa Wahrig (2002) und DUDEN (2011) sowie in dem Wörterbuch „Deutsch als Fremdsprache“ von Götz/Haensch/Wellmann (1997), das sich die Lernerklientel ←12 | 13→sogar ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben und sich damit selbst besonders in die Pflicht genommen hat, auftreten und vor allem aus der Sicht eines nichtmuttersprachlichen Nutzers zu beklagen und zu bedauern sind, rühren hauptsächlich daher, dass Simplizia und Derivate ebenso wie Derivate untereinander nicht klar, eindeutig und nachvollziehbar semantisch von- und gegeneinander abgegrenzt, sondern stattdessen jeweils hinsichtlich der Bedeutung über einen Kamm geschert und miteinander identifiziert werden, wobei nicht selten so verfahren wird, dass das eine Verb unter Zuhilfenahme des anderen Verbs erklärt wird.
So wird etwa die Basis reichen mit „ausreichen, genügen“ und seine Ableitung ausreichen mit „reichen, mit etwas auskommen“ [Wahrig (2002)] sowie das Derivat (etwas/jemanden) vorziehen mit „eine bestimmte Person oder Sache lieber mögen oder für besser halten als eine andere = bevorzugen“ und das Pseudoderivat (etwas/jemanden) bevorzugen mit „jemanden/etwas lieber mögen als jemand anderen/etwas anderes = vorziehen“ [Götz/Haensch/Wellmann (1997)] umrissen, womit man in die Beschreibung eines jeden Verbs innerhalb der Gegensatzpaare jeweils das andere Verb, das man aus dieser gerade tunlichst heraushalten sollte, einfließen lässt, was dazu führt, dass die Grenze zwischen Simplex und Derivat sowie zwischen Derivat und Derivat, hier: Pseudoderivat, komplett verwischt wird, und den gleichen Fehler, der die gleiche Konsequenz nach sich zieht, begeht man bei dem Derivat (jemandem etwas) androhen, indem man dieses auf das Simplex zurückführt und entsprechend auf die Formel „mit etwas drohen“ [DUDEN (2011)] bzw. „jemandem mit etwas drohen“ [Wahrig (2002)] bringt.
Nicht minder unterlässt man es im Falle des Derivats (etwas) überdenken, eine scharfe Trennlinie zwischen diesem und dem Derivat (über etwas) nachdenken zu ziehen, indem man die Bedeutung des ersteren unter Rückgriff auf letzteres beschreibt – „sehr genau über etwas nachdenken“ [Götz/Haensch/Wellmann (1997)], „intensiv über etwas nachdenken“ [DUDEN (2011)], „über etwas nachdenken, etwas überlegen“ [Wahrig (2002)], und auf die gleiche verwerfliche Vorgehensweise trifft man im Falle des Derivats (etwas) beschießen, das durchweg von allen Wörterbuchautoren mit dem Simplex (auf etwas) schießen semantisch gleichgeschaltet wird, wobei Wahrig (2002) und DUDEN (2011) eine Einheit bilden und von Götz/Haensch/Wellmann (1997) darin abweichen, dass sie in ihrer Beschreibung – „auf jemanden/etwas schießen“ – auf den bei jenen vorkommenden und ohnehin absolut überflüssigen Zusatz ‚im Verlauf eines Kampfes‘ verzichten. Einigkeit unter den Wörterbuchautoren herrscht im Übrigen auch im Falle des Simplex sterben und seines Derivats versterben, indem durch die Bank der fälschliche Eindruck erweckt wird, als sei der Unterschied zwischen den beiden Verben nicht semantischer Natur, sondern lediglich auf der Ebene des Registers angesiedelt, wobei das Derivat im Gegensatz zum Simplex als gehoben bzw. schriftsprachlich ausgewiesen wird, was einer Verfälschung der Tatsachen gleichkommt – dass es lediglich Verstorbene, aber keine Gestorbenen gibt, hätte den Wörterbuchverfassern zu denken geben müssen.
Und es kommt noch besser. Betrachtet man, welche Behandlung Simplex und Derivat in den Standardwörterbüchern der deutschen Sprache im Falle des Paares ←13 | 14→(jemandem für etwas) danken vs. sich (bei jemandem für etwas) bedanken zuteil wird, dann stellt man fest, dass dem Derivat sich bedanken nur Götz/Haensch/Wellmann (1997) die ihm gebührende Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem sie es als ‚jemandem seinen Dank für etwas zum Ausdruck bringen‘ beschreiben, während DUDEN (2011) und Wahrig (2002), die das Verb semantisch mit dem Simplex danken auf einen Nenner bringen, nicht in der Lage waren, den Bedeutungsunterschied, der zwischen ihnen herrscht und der auf die Merkmalopposition „–expressiv (danken) vs. +expressiv“ (sich bedanken) hinausläuft, zu artikulieren, geschweige denn zu fixieren. DUDEN (2011) macht dann allerdings wenigstens im Bereich des Simplex danken, das korrekterweise mit ‚jemandem seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen‘ beschrieben wird, wieder einigen Boden gut, wogegen sowohl Wahrig (2002) als auch Götz/Haensch/Wellmann (1997), die das Simplex mit dem Derivat sich bedanken semantisch gleichsetzen und es zudem auch noch expressis verbis mit diesem in einen Topf werfen, hier völlig daneben liegen.
Aber damit noch lange nicht genug: Nimmt man sich etwa das Paar (etwas) bremsen vs. (etwas) abbremsen vor und vergleicht die semantische Beschreibung, wie sie im Falle des Derivats von DUDEN (2011) und Götz/Haensch/Wellmann (1997) vorgenommen wird, miteinander, dann gelangt man zu dem Schluss, dass beide deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben und zu wünschen übrig lassen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man sich hüben wie drüben von der irrigen Annahme hat leiten lassen, als müsse die Reduzierung der Geschwindigkeit von etwas zwingend den Nullpunkt erreichen – „die Geschwindigkeit von etwas herabsetzen, bis zum Stillstand verringern“ [DUDEN (2011)]; „die Geschwindigkeit reduzieren (bis man zum Stillstand kommt)“ [Götz/Haensch/Wellmann (1997)] –, während im Falle des Simplex (etwas) bremsen immerhin DUDEN (2011) dadurch, dass dort der wichtige Tatbestand, dass im Ergebnis der Handlung etwas zum Stillstand kommt, was von Götz/Haensch/Wellmann (1997), wo es heißt: „mit Hilfe einer Bremse (allmählich) die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs reduzieren“, verschwiegen und damit vollkommen außer Acht gelassen wird, wenigstens in Klammern hinzugefügt und damit berücksichtigt wird – „die Geschwindigkeit von etwas [bis zum Stillstand] verlangsamen“ –, einigermaßen zu überzeugen vermag.
Noch schlimmer gestalten sich die Dinge allerdings im Falle des Paares (jemandem etwas) neiden vs. (jemanden um etwas) beneiden. Wenn Götz/Haensch/Wellmann (1997) das Simplex neiden semantisch auf den Nenner bringen, dass jemand ein Gefühl der Unzufriedenheit hat, weil jemand etwas hat, das man selbst gerne hätte, dann trifft diese Einschätzung eher auf das Derivat beneiden zu und steht im krassen Widersatz zu dem von ihnen korrekterweise als Synonym von neiden angeführtem Verb (jemandem etwas) missgönnen, und von der dort anzutreffenden semantischen Beschreibung des Derivats beneiden als ‚Neid empfinden, weil man jemandes Fähigkeiten oder das, was ihm gehört, selbst gern hätte‘ stimmt nur der zweite Teil, weil im Falle des Derivats beneiden im Gegensatz zu dem Simplex neiden halt eben kein Neid empfunden wird. Dies wird aber etwa gerade auch in DUDEN (2011) und Wahrig (2002) behauptet, wo beneiden im ersten Fall fälschlicherweise mit ‚auf jemanden neidisch sein‘ und im zweiten Fall mit ‚jemandem ←14 | 15→etwas nicht gönnen‘ gleichgesetzt wird, weswegen die Angabe des Verbs (jemandem etwas) gönnen als Antonym zum Derivat beneiden vollkommen verfehlt ist. Völlig daneben liegt Wahrig (2002) mit seiner semantischen Beurteilung des Simplex neiden, indem er dieses einerseits mit dem Derivat beneiden auf ein und dieselbe Stufe stellt und den Eindruck erweckt, als handle es sich um gegeneinander austauschbare Synonyme, um es dann andererseits gewissermaßen im gleichen Atemzug als ‚jemandem etwas missgönnen‘ zu veranschlagen, ohne den Widerspruch zu bemerken, der darin steckt und den er sich damit zu Schulden kommen und sich auch leider ankreiden und vorwerfen lassen muss.
Ich beende meine Übersicht über die semantischen Defizite, mit der die herkömmlichen, vertikal ausgerichteten Wörterbücher der deutschen Sprache behaftet sind, mit der trinären Opposition (an etwas) zweifeln vs. (etwas) anzweifeln vs. (etwas) bezweifeln. Was die Semantik des Simplex angeht, so wird diese sowohl von DUDEN (2011) als auch von Wahrig (2002) und Götz/Haensch/Wellmann (1997) im Allgemeinen einigermaßen richtig erfasst und korrekt wiedergegeben, wenn man einmal davon absieht, dass sich DUDEN (2011) mit der zusätzlichen Beschreibung des Sachverhalts als ‚etwas in Frage stellen/in Zweifel ziehen‘ eindeutig zu weit aus dem Fenster lehnt, denn diese Einschätzung trifft eher auf das Derivat anzweifeln aufgrund dessen verbaler Ausrichtung im Sinne von: ‚an etwas Zweifel anmelden‘ zu. Und apropos anzweifeln: Während dieses von Götz/Haensch/Wellmann (1997) fälschlicherweise expressis verbis mit dem Derivat bezweifeln und von Wahrig (2002) gar sowohl mit dem Derivat bezweifeln als auch mit dem Simplex zweifeln semantisch gleichgesetzt wird, schneidet DUDEN (2011) an dieser Stelle etwas besser ab, wenn man bedenkt, dass das Verb dort auf ‚etwas in Frage stellen‘ zurückgeführt und damit sein verbaler Charakter zumindest angedeutet wird. Der gute Eindruck, den DUDEN (2011) im Bereich des Derivats anzweifeln hinterlässt, wird allerdings bei dem Derivat bezweifeln, das im Übrigen Götz/Haensch/Wellmann (1997) direkt und Wahrig (2002) indirekt mit dem Derivat anzweifeln assoziieren, sofort wieder verwischt, wenn man sich anschaut und zur Kenntnis nehmen muss, dass dessen Bedeutung unter Rückgriff auf das Simplex zweifeln und das Derivat anzweifeln erklärt und so die Bedeutungsunterschiede, die zwischen den drei Verben herrschen, völlig verdeckt und damit unkenntlich gemacht werden. Etwas überspitzt formuliert könnte man den Unterschied zwischen dem Simplex zweifeln und dem Derivat bezweifeln so zusammenfassen, dass man sich im Falle von zweifeln einer Sache nicht sicher ist und somit Zweifel hegt, während man sich im Falle von bezweifeln einer Sache sicher ist und die Zweifel somit ausgeräumt sind.
An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Worin wurzeln die Bedeutungslücken, die man übrigens nicht nur in Wörterbüchern antrifft, sondern die man in der Regel auch muttersprachlichen Deutschlehrern zum Leidwesen deren Schüler bescheinigen muss? Man kann wohl weder den Verfassern von Nachschlagewerken noch den Sprechern einer Sprache generell unterstellen, dass sie einen restringierten Kode besitzen und die betreffenden Bedeutungen ganz einfach nicht kennen. Dem ist ganz gewiss nicht so, denn es dürfte wohl schwerfallen, ←15 | 16→einen Deutschen dabei zu ertappen, dass er ein Simplex mit einem präfigierten Derivat oder vice versa vertauscht. Nein, die Muttersprachler verfügen mit Sicherheit über das komplette Wissen über ihre Sprache und dabei selbstverständlich auch über alle Bedeutungen der dort vorkommenden Lexeme. Die Sache ist nur die, dass nicht die Gesamtheit dieses Wissens und damit auch alle Bedeutungen aller Lexeme jederzeit auf Kommando ab- bzw. aufgerufen und damit verfügbar gemacht werden können, da ein Großteil davon im Verborgenen weilt und dort vor sich hin schlummert, womit wir uns einem Zustand angenähert hätten, der in dem Gegensatz „explizites Wissen (explicit knowledge)“ vs. „implizites Wissen (implicit knowledge)“ aufgeht und sich durch diesen wiedergeben lässt.
Macht man sich vor diesem Hintergrund nun auf und begibt sich auf die Suche nach dem entscheidenden Kriterium, an dem sich explizites Wissen messen lässt bzw. das beim Befinden über das Vorhandensein von explizitem Wissen den Ausschlag gibt, und durchforstet man die einschlägige Fachliteratur unter diesem Gesichtspunkt, dann stößt man immer wieder auf einen Parameter, der in diesem Zusammenhang auftaucht und von den Wissenschaftlern beschworen wird, und zwar den der Artikulierbarkeit2. So begegnet man diesem Merkmal etwa bei Börner (2000: 40), wenn dieser, den Blick auf die Wortschatzarbeit gerichtet, schreibt: „Explizites Wissen kann benannt und geäußert werden, etwa in Form von Bedeutungsangaben oder Verwendungsregeln. Implizites Wissen kann direkt nicht geäußert werden, nur indirekt etwa in Akzeptanzurteilen („das klingt richtig“) und natürlich in Sprachhandlungen.“ Unterstützung erfährt er dabei von Bialystok (1978: 72), die den Unterschied zwischen explizitem und implizitem Wissen ebenfalls an unterschiedlicher Spezifizierung hinsichtlich des Merkmals der Artikulierbarkeit aufhängt und diesen dabei auf folgende Weise auf den Punkt bringt: „Explicit Linguistic Knowledge contains all the conscious facts the learner has about the language and the criterion for admission to this category is the ability to articulate those facts […]. Implicit Language Knowledge is the intuitive information upon which the learner operates in order to produce responses in the target language. Whatever information is automatic and is used spontaneously in language tasks is represented in Implicit Linguistic Knowledge.“3
←16 | 17→Artikulierbarkeit – genau hier liegt der Hund begraben und genau hier ist der Hebel anzusetzen! Es gilt die Aufgabe wahrzunehmen, zunächst für die Artikulierbarkeit des impliziten Wissens zu sorgen, diese herzustellen und dann im nächsten Schritt das implizite Wissen auch konkret zu artikulieren und in explizites Wissen zu verwandeln bzw. umzusetzen. Bezogen auf unsere Problematik heißt Artikulierung des Wissens, jene Bedeutungen der Verben, die lediglich implizit existieren und auf die deshalb kein Zugriff erfolgen kann, zu ermitteln, d.h. ins Bewusstsein zu rücken, lexikographisch aufzubereiten und in Wörterbücher aufzunehmen und dort zu verankern, sodass gewährleistet ist, dass jemand, z.B. ein – auch und gerade muttersprachlicher! – Sprachlehrer, der in diesem Bereich sein implizites Wissen nicht zu artikulieren vermag und nicht imstande ist, einen Schüler auf dessen Frage hin über die Bedeutung eines Verbs oder den Bedeutungsunterschied zwischen zwei Verben aufzuklären, dieses Manko dadurch ausgleichen und wettmachen kann, dass er sich auf eine Quelle zurückzieht und aus dieser schöpft, wo dieses Wissen, nachdem es artikuliert worden war, fixiert und damit nachschlagbar ist. Mit anderen Worten: Es gilt implizites Wissen zu artikulieren für den Fall, dass es jemand nicht artikulieren kann, und in der Lexikographie festzuhalten und damit dafür Sorge zu tragen, dass es jemand auch gar nicht artikulieren können muss.
Und dieses Ziel, d.h. die Ermittlung und Artikulierung von implizitem Wissen, kann, wie ich bereits in Schwenk (2018) ausgeführt habe, nur auf dem Wege einer vergleichenden Untersuchung erreicht werden! Will man die Bedeutungen von Verben ergründen, die von den Standardwörterbüchern der deutschen Sprache chronisch unterschlagen werden, dann muss man die betreffenden Verben einer kontrastiven Analyse unterziehen4 und dann im Wörterbuch, d.h. bei der lexikographischen Fixierung des artikulierten impliziten Wissens, nicht vertikal, also untereinander gemäß der alphabetischen Reihenfolge, sondern horizontal, also nebeneinander und damit oppositiv, anordnen, damit das kontrastive Element erhalten bzw. gewahrt bleibt.
Die semantischen Mängel, von denen die Wörterbücher befallen sind und die sich wie ein roter Faden durch sie hindurchziehen, lassen sich demnach zum einen auf fehlendes explizites Wissen ihrer Autoren zurückführen, und zum anderen liegt ihr Ursprung in der fehlenden kontrastiven Betrachtungsweise der beiden Partner innerhalb eines Verbpaares und der vertikalen und damit nicht-oppositiven Anordnung der einzelnen Verben im Lexikon, was Irrtümer und Fehldeutungen begünstigt bzw. diesen Vorschub leistet. Jedes einzelne Verb wird getrennt aufgeführt und unabhängig von dem anderen Verb, d.h. nicht oppositiv zu diesem semantisch umschrieben, was dazu verführt, sich bei der semantischen Beschreibung jeweils des anderen Verbs zu bedienen und dieses hierzu quasi zu missbrauchen. Bei einer ←17 | 18→kontrastiven Bedeutungsanalyse, die sich einer horizontalen Anordnung der Verben anschließt, würden diese Defizite ausgemerzt werden, denn die oppositive Anordnung der Verben zwingt geradezu zur kontrastiven Analyse, sodass es wohl niemandem einfallen würde, das eine Verb unter Zuhilfenahme des anderen zu erklären.
Es geht also weniger um die horizontale Anordnung der Wörterbucheinträge an sich, entscheidend ist vielmehr die kontrastive semantische Analyse, die durch die horizontale Ausrichtung initiiert bzw. von dieser getragen wird. Wenn ich dies hervorhebe, dann geschieht dies nicht ohne Grund, sondern mit Blick und Seitenhieb etwa auf das wohl vor allem an Lerner des Deutschen gerichtete Lehrbuch Schmitt (2005), von dem man bitter enttäuscht wird, wenn man feststellen muss, dass der Autor es bei der horizontalen Anordnung der Lexeme bewenden lässt und es versäumt, dieser die so wichtige kontrastive Bedeutungsanalyse nachzuschalten. So vermag ich kaum einen Sinn darin zu erblicken, das Simplex (jemanden) heiraten und das Derivat sich (mit jemandem) verheiraten auf die horizontale und damit oppositive Schiene zu hieven, um dann beide auf die gemeinsame semantische Formel „eine Ehe schließen“ (ibidem, S. 76) zu bringen und somit den Leser bzw. Lerner über den Bedeutungsunterschied, der darin besteht, dass das Simplex im Gegensatz zum Derivat auf die Herbeiführung einer Änderung des Familienstandes abzielt, im Unklaren zu lassen.
Dasselbe gilt für das aus zwei Derivaten bestehende Paar aufwachen vs. erwachen, dessen Bestandteile bei Schmitt (ibidem, S. 93) semantisch in dem Tatbestand des Wachwerdens zusammenfallen, wo es doch angebracht gewesen wäre darauf hinzuweisen, dass das Derivat erwachen im Gegensatz zu seinem Kontrahenten das Wachwerden in seiner Endgültigkeit begreift. Und schließlich, um ein letztes abschreckendes Beispiel anzuführen, verfehlt ein Lehrbuch komplett sein Ziel, wenn sein Autor glaubt, einem Deutschlerner den Unterschied zwischen dem Simplex (auf etwas) achten und seinem Derivat (etwas) beachten dadurch beibringen zu können, dass er beide Verben in ein und demselben Satz platziert – Achten Sie bitte auf die Vorschriften! vs. Beachten Sie bitte die Vorschriften! [Schmitt (ibidem, S. 58)] – ohne es für nötig zu halten zu erläutern, inwiefern sich der Inhalt der Aussage in Abhängigkeit von dem als Prädikat verwendeten Verb ändert und damit also den Bedeutungswandel, der etwa beim Übergang vom Simplex zum Derivat eintritt und der sich im Verlust des dem Simplex anhaftenden Merkmals der Präskriptivität niederschlägt, vorenthält.
Und damit wären wir bei nun endlich bei dem vorliegenden, horizontal angelegten Wörterbuch angelangt, dessen Konzeption und Aufbau ich nun vorstellen möchte. Die seinerzeit von Schaeder (1981; 1987) für die Mikrostruktur von Wörterbüchern generell festgelegte Aufteilung in Präsentation, Explikation und Demonstration gilt selbstverständlich auch für ein kontrastives Wörterbuch. Die Präsentation umfasst zum einen das lemmatisierte Simplex (S) gefolgt von einem oder mehreren jeweils horizontal zu diesem angeordneten Derivaten (D) sowie die Angabe der jeweiligen Valenzstruktur.
←18 | 19→Was letztere angeht, so werden in Anlehnung an das in Schwenk (2017a; 2017b) propagierte Muster die valenzgebundenen Begleiter des Verbs nicht mehr nur, so wie dies bislang üblich war, in obligatorische und fakultative Ergänzungen gespalten und von den nicht valenzgebundenen, da nicht in die Handlung involvierten Angaben abgehoben. Vielmehr werden, nachdem die syntaktisch notwendigen Aktanten ausgesondert wurden, die verbliebenen syntaktisch nicht notwendigen Aktanten zusätzlich ihrerseits wiederum nach dem Kriterium der semantischen Impliziertheit sowie der Redundanz und unter Verwendung einer anderen Begrifflichkeit in optionale und fakultative Mitgaben (= Komplemente), ohnehin nur optionale, allerdings semantisch nicht implizierte, sondern lediglich inkludierte Beigaben (= Adplemente) und die ebenfalls ausschließlich durch das Merkmal der Optionalität geprägte, weder implizierte noch inkludierte, aber immerhin im Gegensatz zu den Angaben (= Adjunkte) wenigstens involvierte Zugaben (= Supplemente) geschieden und hinsichtlich ihres Status entsprechend gekennzeichnet, wobei gilt: <<…>> = syntaktisch notwendige Mitgabe, <(…)> = syntaktisch fakultative Mitgabe, <…> = syntaktisch optionale Mitgabe, […] = (optionale) Beigabe, {…} = (optionale) Zugabe.
Die Explikation besteht in der Angabe eines jeweils differenzierenden Bedeutungsmerkmals (|…|), welches einer möglichst genauen, oppositiv ausgerichteten semantischen Beschreibung vorausgeht, und im Rahmen der Demonstration schließlich, die dazu dient, das durch kontrastive Analyse ermittelte differenzierende Bedeutungsmerkmal sowie dessen Fassung in Worte anhand von Beispielen zu veranschaulichen, wird so verfahren, dass man entweder beide Verben in ein und dieselbe Aussage eintauchen und dort aufeinander prallen lässt und die aus der Wahl des einen oder anderen Verbs resultierenden Varianten semantisch entsprechend deutet, oder die Aussagen von vornherein so konstruiert, dass sie jeweils auf die Semantik nur eines Verbs zugeschnitten sind, sodass sich Unvereinbarkeiten mit dem anderen Verb ergeben und sich damit der Bedeutungsunterschied formal auswirkt. Die drei Phasen der lexikographischen Verarbeitung seien anhand des Beispiels danken vs. sich bedanken noch einmal plastisch vor Augen geführt:
I. Präsentation:
DANKEN (S) – BEDANKEN, SICH (D)
S: <<jemand>> V <<jemandem>> <<für etwas>>
D: <<jemand>> V <<bei jemandem>> <<für etwas>>
Details
- Seiten
- 538
- Erscheinungsjahr
- 2020
- ISBN (PDF)
- 9783631808948
- ISBN (ePUB)
- 9783631808955
- ISBN (MOBI)
- 9783631808962
- ISBN (Hardcover)
- 9783631805978
- DOI
- 10.3726/b16431
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2020 (Januar)
- Schlagworte
- Verbsimplizia derivative Wortbildung Verbsemantik vergleichende Lexikologie waagerechte Lemmatisierung Verbpräfigierung
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 538 S.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG