Transkulturelle Literatur- und Filmdidaktik
Narrationen und Filme aus dem mediterranen Begegnungsraum
Zusammenfassung
Um darauf Antworten anbieten zu können, konzentriert sich das Buch auf zentrale Merkmale, welche literarische und filmische Texte kennzeichnen, die in komplexen, zwischen Sprachen und Kulturen situierten Räumen entstehen und diese thematisieren. Deren Potenziale produktiv für den Fremdsprachenunterricht zu nutzen, ist ein wesentliches Ziel dieses Bandes.
Vorgeschlagen wird eine integrativ verstandene Sprach-, Literatur- und Filmdidaktik. Der Fokus liegt auf dem Italienischen und Französischen als Fremdsprache, auf transkulturellen Theorien und Methoden und deren Anwendung in plurilingualen LernerInnen-Kontexten.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung
- Einleitende Überlegungen
- 1. Abschnitt: Integrative Sprach-, Literatur- und Filmdidaktik zwischen Theorie und Praxis
- 1. Einführung in den Gegenstandbereich
- 2. Fragestellungen der Arbeit
- 3. Methoden und Forschungsansätze
- 3.1 Die Rolle des Erzählens in der Fremdsprachenklasse
- 3.2 Geschichten verstehen, Geschichten erzählen: narrative Kompetenz, inter- und transkulturelle Kompetenz
- 4. Textkorpus und Kriterien der Textauswahl
- 5. Erwartungen und Ziele der Arbeit
- 6. Zum aktuellen Stand der Forschung im Bereich fremdsprachliche Literatur- und Kulturdidaktik
- 6.1 Narrationen aus dem mediterranen Begegnungsraum
- 6.2 Postkoloniale Bewusstseinsarbeit
- 7. Die Frage der Sprache in Italien: historische und strukturelle Mehrsprachigkeit
- 7.1 Analphabetismus, Migration, Literatur: Ent-Ortung
- 7.2 Das Italienische in der Welt
- 8. Fremdsprache(n) lehren zwischen Theorie und Praxis: intertextuelle Netzwerke im Fremdsprachenunterricht
- 2. Abschnitt: Transkulturalität und Narrativität in der Fremdsprachendidaktik
- 1. Transkulturalität als konzeptuelle Herausforderung für die integrative Sprach-, Literatur- und Kulturdidaktik: die Vision des Netzes
- 1.1 Transkulturelle italophone literarische Texte und Literaturdidaktik
- 1.2 Zum Lehren und Lernen von Geschichten in der Fremdsprache
- 2. Die Auswahl von literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht: Kanon- und Vermittlungsfragen
- 2.1 Das Motiv des Reisens: literarische Texte im FU. Mit einem Exkurs zu Pirandello-Taviani und Maria Messina sowie zu dem Projekt ›Scritture in viaggio‹
- 2.2 Das Motiv des Reisens: filmische Texte im FU
- 3. Narrativität als Schlüsselkategorie einer transkulturellen Sprach- und Literaturdidaktik
- 3.1. Narrativität und Visuelle Kompetenz: Film und Graphic Novel
- 3.2 Narrativität transkultureller literarischer Texte als Schlüssel zum Spracherwerbsprozess. Am Beispiel von Kaha Mohamed Aden
- 4. Literarische und Lehrwerktexte in der Fremdsprachenklasse
- 5. ‚Scritture in viaggio –كتابات مسافرة – Schreiben unterwegs‘ im Italienischunterricht
- 5.1 Projektkonzeption und didaktisches Szenario für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II
- 5.2 Didaktische Vorgehensweise für angehende Fremdsprachenlehrende
- 6. Eine qualitativ-empirische Studie über die Wahrnehmung und Rezeption transkultureller Literatur seitens der Lernenden: Einleitung
- 6.1 Zum Stand der Forschung. Forschungsmethodik und Forschungsdesign
- 6.2 Ziele und Forschungsfragen
- 6.3 Auswertungsverfahren und Ergebnisse des Fragebogens 2015
- 6.4 Studentische Arbeiten: Kommentar zur schriftlichen Textproduktion
- 6.4.1 Studentische Märchentexte
- 6.4.2 Studentische Rezensionen
- 6.4.3 Ein Interview-Beispiel
- 6.5 Auswertung und Ergebnisse der Befragungen 2018
- 6.6 Leitfragen der qualitativen Interviews mit Italienischlernenden und Auswertung
- 6.7 Abschließende Bemerkungen zur empirischen Untersuchung
- 3. Abschnitt: Subversiv-produktive Strategien im FU
- 1. Filmdidaktik im Fremdsprachenunterricht: eine andere Form zu erzählen
- 1.1 Best Practice-Beispiele im kulturellen Kontext
- 1.2 Televisione scuola d’italiano – Fernsehen, Schule und Sprache
- 1.3 Sprache und Kultur: Die Genese des Schlagerhits Marina229
- 1.4 Mehrsprachigkeit und Migrationsfilm236
- 2. Filmtext und literarischer Text: kinematographische Transpositionen im Klassenraum am Beispiel von La Straniera von Y. Tawfik
- 3. Subversiv-produktive Strategien der Sprachverwendung durch AutorInnen neuerer transkultureller italophoner und frankophoner Literatur
- 3.1. Neue transkulturelle Literatur und Fremdsprachendidaktik
- 3.2. Internationalisierung und postkoloniale Kritik
- 3.3. Sprache und Narrative in Bewegung: die Verabschiedung und produktive Erweiterung monokultureller Konzepte durch die transkulturelle Literatur der Gegenwart am Beispiel von Igiaba Scego
- 4. Identitätskonzepte und Identitätsreflexion
- 4.1 Wiederbegegnungen in der Geschichte suchen und in der Gegenwart valorisieren
- 4.2 Überlegungen zur Sprache und zum Stellenwert von Oralität.
- 4.3 Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht: Der italo-kanadische Lyriker Antonio d’Alfonso
- 5. Hybrid-plurikulturelle Identitätskonzepte: Sumaya Abdel Qader und Randa Ghazy
- 5.1 Anwendungsbereiche transkultureller italophoner Literatur: multimodale Romane und ihre textuell-visuellen Strategien
- 5.2 Kopftuch- und Schleierdebatte: Fall- und Anwendungsbeispiele
- 6. Fallbeispiele aus der maghrebinischen Literatur
- 6.1 „…Ihr Land ist für sie ein fremdes Land“ – Leila Sebbars Algerien
- 6.2 Überleben im Terror: Leila Marouanes Le Châtiment des Hypocrites
- 6.3 La condition feminine: una brutta storia (F. Guène)
- 7. Integrative Sprach-, Literatur- und Filmdidaktik: ein tragfähiger Ansatz für die Fremdsprachendidaktik? Schlussbemerkungen und Ausblick
- Literaturverzeichnis
- Abbildungsverzeichnis
- Namensregister
- Reihenübersicht
Vorbemerkung
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um meine, für die Publikation geringfügig überarbeitete Habilitationsschrift, welche als zentraler Teil eines an der Universität Augsburg eingereichten Habilitationsverfahrens angenommen wurde und am 15.1. 2020 mit der Venia docendi in Didaktik der romanischen Sprachen und Kulturen abgeschlossen werden konnte.
Meine besondere Dankbarkeit geht an Christiane Fäcke, Inhaberin des Lehrstuhls für Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen an der Universität Augsburg, die seit der Entstehung meines Projekts diesem aufgeschlossen gegenüber stand und zu einem schwierigen wie richtigen Zeitpunkt Interesse gezeigt hat, es an der Universität Augsburg zu verankern und darüber hinaus einen Kreis ausgewiesener Fachkollegen für das begleitende, von der Habilitationsordnung vorgesehene und von mir als überaus anregend wahrgenommene Fachmentorat zusammengestellt hat.
Wesentliche Anregungen für dieses Vorhaben, z.B. hinsichtlich der kulturkritischen Reflexion und Aufmerksamkeit, konnte ich aus den unzähligen Gesprächen mit Primus-Heinz Kucher, meinem Compagno di vita (Lebensmenschen), und intellektuellen Wegbegleiter seit über dreißig Jahren, gewinnen. Stets mit Zuspruch zur Seite hat er mir in den schwierigen Phasen der Finalisierung dieses für mich wichtig gewordenen Projekts meiner akademischen Laufbahn über die eine oder die andere, auch unerwartete Hürde hinweg geholfen.
Des Weiteren bin ich Massimo Vedovelli gegenüber in Dankbarkeit verbunden, der die Validität dieses Projekts ebenfalls früh anerkannt und mir die Gelegenheit geboten hat, die grundlegende theoretisch-methodische Ausrichtung für eine italienischsprachige Publikation – Scritture in viaggio nel Mediterraneo – zu bearbeiten und diese nach einem Reviewverfahren in die von ihm geleitete Reihe der Studi di Linguistica Educativa des Centro di Eccellenza della Ricerca an der Università per Stranieri in Siena aufzunehmen.
Darüber hinaus möchte ich noch jene KollegInnen anführen, die an dieses Vorhaben von Beginn an geglaubt haben, deren Forschungsarbeiten oder Zuspruch für mich daher von großer Bedeutung waren und in diese auch eingeflossen sind: Werner Delanoy als einen geduldigen wie kompetenten Zuhörer und Referenzinstanz für fremdsprachliche Literaturdidaktik überhaupt, Dagmar Reichhard, mit der ich mich gewinnbringend über das Interkulturalitätsparadigma austauschen konnte und der ich für die Aufnahme in diese Reihe danke, sowie Werner Helmich, der in mehreren Gesprächen, zuerst am Institut ←9 | 10→für Romanistik der Universität Graz, dann auch aus der Ferne mich oft ermuntert hat, weiterzumachen, nicht aufzugeben, insbesondere dann, als Belastungen auftraten und das Vorankommen behinderten. Danken möchte ich schließlich auch Cinzia Zadra für den Austausch über den empirisch-qualitativen Teil dieser Arbeit und Takoua Ben Mohamed für das Cover.
Meinem Compagno di vita sowie meinen beiden Söhnen Federico und Leonardo widme ich daher auch die vorliegende Studie und bitte um Nachsicht für die nicht geringe Zeit, die ich Ihnen entzogen habe, um diese an ihr Ende bringen zu können.
Einleitende Überlegungen
Die vorliegende Forschungsarbeit verdankt ihr Entstehen einer Reihe von (inter)kulturellen Anregungen und Erfahrungen, die einerseits auf biographisch-persönliche Motivlagen zurückgehen, andererseits einer längeren beruflichen, d.h. unterrichtlichen Praxis, verpflichtet sind. An letztgenannter hatten und haben nach wie vor zahlreiche Fremdsprachenstudierende Anteil. Im Zuge meiner Lehrtätigkeit wurden sie nämlich nicht nur mit Lehrmaterialien und Lehrmethoden konfrontiert, sondern erhielten dabei auch Gelegenheit, methodische Ansätze und Themen, die hier zur Diskussion gestellt werden, durch Rückmeldungen zu kommentieren sowie in themenrelevanten Projekten aktiv mitzuwirken, wofür ich ihnen an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte. Die Adressierung erfolgt in dieser Arbeit im neutralen Plural (Studierende bzw. Lehrende) oder unter Verwendung des Binnen-I; sofern es sich um eindeutige männliche oder weibliche AdressatInnen handelt, wird die entsprechende gendergrammatische Form verwendet.
Die nachfolgende Arbeit setzt sich zum Ziel, aktuelle Tendenzen und Perspektiven zu zentralen Herausforderungen für die (Fremd)Sprachen-Bildung in einer globalisierten Welt in den Blick zu nehmen und diese, gestützt auf einschlägige Forschungsbeiträge sowie eigene Lehr- und Projekterfahrungen, zur Diskussion zu stellen. Im Besonderen setzt diese Arbeit einen Schwerpunkt darauf, Formen transkulturellen Lehrens und Lernens anhand einschlägiger Texte und medialer Materialien, allen voran visueller wie z.B. Filme, als wichtiges Paradigma für kulturelle Bildung ins Zentrum zu rücken. Mit Bezugnahme auf europäische sprach- und kulturpolitische Vorgaben (GERS, Companion Volume to the CEFR) wird dabei die didaktische Relevanz dieser Materialien untersucht, um Potenziale im Hinblick auf die Entwicklung und Stärkung von inter- und transkulturellen Kompetenzen auszuloten. Es geht hier also einerseits um eine kritische Bilanzierung theoretischer Grundlagen (vorwiegend aus dem Kontext der inter- und transkulturellen Literaturdidaktik sowie der Postcolonial Studies) mit dem Ziel, diese für sprach- und literaturdidaktisches Arbeiten in der Fremdsprache (insbesondere im Italienischen, aber auch im Französischen als L2) fruchtbar zu machen. Andererseits werden Modellierungen von Fremdsprachenunterricht zwischen Theorie und Praxis auf der Grundlage durchgeführter Projektarbeiten vorgestellt, bei denen universitäre Lehre, Kooperationen mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern sowie die Einbindung von Schulen unter aktiver Mitwirkung der Studierenden ineinandergreifen und interagieren.←11 | 12→
Da der thematische Schwerpunkt dieser Arbeit ausführlich im ersten Abschnitt (Kap. 1–3) diskutiert wird, werden zunächst nur jene drei konzeptuellen Überlegungen kurz angeführt, die für eine zeitgemäße kulturelle (Sprachen-) Bildung wichtig, ja unumgänglich erscheinen. Sie bilden gewissermaßen den roten Faden durch die drei Abschnitte dieser Arbeit.
Dabei handelt es sich um a) das Konzept der Transkulturalität als Netz, d.h. als Paradigma kulturellen (Sprachen)Lernens in heterogenen Gesellschaften und folglich auch in einer zunehmend heterogenen Schule und Universität. Haben sich interkulturelle Ansätze in der Fremdsprachendidaktik zwar schon seit den 1990er Jahren etabliert, so wird in den letzten Jahren verstärkt für einen Paradigmenwechsel vom interkulturellen hin zum transkulturellen Lernen plädiert. Deswegen wird im ersten Abschnitt sowohl eine terminologische und konzeptuelle Schärfung dieser Leitbegriffe vorgenommen werden, als auch das Potenzial, das literarische und filmische Texte für einen kommunikativen und transkulturellen Fremdsprachenunterricht einzubringen vermögen, in den Mittelpunkt gestellt.
Es handelt sich ferner um: b) unterrichtsbezogene Reflexionen sowie Bausteine für eine integrierte Sprach-, Literatur- und Filmdidaktik innerhalb eines kooperativen Ansatzes im Fremdsprachenunterricht. Diese verstehen sich einem kontinuierlichen Dialog zwischen Theorie und Praxis ebenso verpflichtet wie der Einbindung aller potenziellen Akteure in konkrete unterrichtliche Handlungen (Abschnitt 2). Im zweiten Abschnitt werden unter dem Konzept der Narrativität, dem die literarischen und die Filmtexte letztlich zuzuordnen sind, auch Möglichkeiten einer Weiterentwicklung der – auch curricular geforderten – einschlägigen sprachlichen und literarisch-kulturellen Kompetenzen andiskutiert. Diese zielen stets darauf ab, neues Terrain zu explorieren und nachzufragen, in welcher Weise Texte (im weitesten Sinn) zur Ausbildung und Ausdifferenzierung sprachlicher, kognitiver und affektiver bzw. dort, wo Verfilmungen angesprochen werden, auch visueller Fertigkeiten und Kompetenzen einen Beitrag leisten können.
Schließlich geht es hier auch um c) eine multimodale und symbolische Ausrichtung kommunikativer Kompetenz (im Sinne von Kramsch 2006) auf der Basis von Geschichten, die narrative Kompetenzen generieren. In diesem dritten Abschnitt werden Möglichkeiten ausgelotet und erörtert, die sich aus narrativen Texten der vorwiegend transkulturellen italophonen und frankophonen Literatur für die Erweckung und Förderung von Empathie ergeben können. Empathie öffnet nämlich wichtige Türen zur Thematisierung von Identität im Zuge eines reflexionsorientierten Spracherwerbs und Sprachunterrichts in einer Lernergruppe. Dabei wird insbesondere der Klassenraum als ein Ort aufgefasst, der sich zunehmend zu einem Ort pluraler Konvivenz entwickelt hat bzw. dorthin ←12 | 13→entwickeln soll. Von reflexionsorientiertem Spracherwerb und Sprachunterricht kann auch deshalb gesprochen werden, weil sich (literarische) Sprache unter dem Einfluss von Migrations- und Globalisierungserfahrungen zunehmend festen, kodifizierten Korsetten sprachlicher Normen entzieht und mit anderen Sprach-Kulturen produktiv vermengt. Damit werden z.T. neue Imaginationsräume sprachlich anvisiert bzw. abgesteckt, den ich im positiven Sinn als ‚subversiven‘ (weil zugleich auch sprachproduktiven, von den AkteurInnen mitgetragenen) bezeichnen möchte. Aus der italienischen Fremdsprachendidaktik, insbesondere der Linguistica Educativa (De Mauro 2012) wurde hierzu auch der Begriff des Neoplurilinguismo (Vedovelli 2009) übernommen, der inzwischen durch eine Reihe von empirischen Untersuchungen abgesichert ist (Bagna/Machetti/Vedovelli 2003; Bagna/Barni/Siebetcheu 2004; Bagna/Casini 2012).
Dieser reflektionsgestützte und plurilinguale Ansatz wird nicht zuletzt aufgrund der emotionalen wie kultur-komparativen/interkulturellen Anreize durch mehrere namhafte Vertreter der neueren Fremdsprachendidaktik-Diskussion im deutsch- wie im englischsprachigen, aber auch im italienischsprachigen Raum (z.B. von Hall, Kramsch, Delanoy, A. Nünning, De Mauro, Parati, Vedovelli u.a.) geteilt. Abgesehen von erfolgreich verlaufenen Unterrichtsprojekten und Feedback-Meldungen durch Lernende/Studierende im Laufe der letzten Semester (darüber mehr im Abschnitt des empirischen Kapitels) sprach mich dieser Ansatz auch deshalb als interessante Perspektive an, weil er sich an meine früheren komparatistischen Forschungen im Umfeld meiner Dissertation rückkoppeln ließ. Selbstverständlich muss dabei der Umgang, auch kultur-komparatistisch, mit literarischen Texten die Prozesse des Fremdsprachenerwerbs bzw. des Fremdsprachenwachstums sowie die spezifischen Bedingungen unterrichtlicher Tätigkeiten berücksichtigen.
1. Abschnitt
Integrative Sprach-, Literatur- und Filmdidaktik zwischen Theorie und Praxis
1. Einführung in den Gegenstandbereich
Der didaktische Ansatz und das wissenschaftliche Paradigma der vorliegenden Arbeit verstehen sich, wie bereits angedeutet, einer ›kooperativen‹ und ›integrativen Didaktik‹ zugeordnet. Dabei zielen beide auf eine möglichst enge Synergie zwischen theoretischer und anwendungsorientierter Forschung. Unter ›kooperativer Didaktik‹ wird hier und im Folgenden eine kontinuierliche und systematische Form der Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Lernenden, aber auch unter den Lernenden selbst verstanden (Hallet/Königs 2010, 165). Besonderes, jedoch nicht ausschließliches Augenmerk liegt dabei auf Formen didaktischer Kooperation (Bonnet/Henseler/Möller 2009), die sich dialogisch aus den am Lehr- und Lernprozess Beteiligten entwickeln: grundlegend ist in diesem Kontext das Zusammenwirken zwischen der an didaktischer Fremdsprachen-Lehre und Forschung Tätigen mit den in Ausbildung befindlichen zukünftigen Lehrenden (in ihrer Funktion als Mediatoren neuer Konzepte während ihrer unterrichtspraktischen Tätigkeit in Fremdsprachenklassen) sowie mit den für die jeweiligen Schulen/Klassen zuständigen FremdsprachenlehrerInnen. Es handelt sich dabei um eine Ausrichtung, die sich im Zuge der Aktionsforschung/ action research (Altrichter/Posch 42007) im deutschsprachigen Raum etabliert hat. Sie zielt darauf ab, Theorie und Praxis in der Forschung miteinander zu verbinden (ebd, 15–19), wie dies auch das Projekt der ›PädagogInnenbildung NEU‹ in Österreich umzusetzen versucht. Dieses Projekt war für meine Arbeitsrealität sowie für die konzeptuellen Rahmenbedingungen der begleitenden Forschungstätigkeiten mitbestimmend, insofern als der Standort Graz eine zentrale Funktion in einem Verbund aus Universitäten und Pädagogischen Hochschulen dabei eingenommen hat1.←15 | 16→
Abgesehen von den zuvor angesprochenen individuellen und institutionellen Rahmenbedingungen gehe ich in meiner Arbeit von der grundsätzlichen Überlegung aus, dass in einer von Intermedialität geprägten Welt sowohl in der Schule als auch an der Universität der Text-Bild-Dimension entsprechendes Gewicht zuzukommen hat. Im Anschluss an bereits etablierte literaturdidaktische Ansätze (z.B. Delanoy 2002; Nünning/Surkamp 2006; Bredella/Hallet 2007) vertrete ich die Position, dass literarische Texte und Filme sich mehr denn je dazu eignen, substanzielle Beiträge zum Erreichen angestrebter Kompetenzen und der vom GERS vorgesehenen Sprachniveau-Stufen zu leisten und zwar umfassender als in den derzeit noch gültigen Fassungen niedergelegt worden ist. Darüber hinaus verfolge ich mit dieser Arbeit das Ziel, anhand von Beispielen anzuzeigen, wie mit Hilfe literarischer Texte und Filme (sowie im Verbund mit medialen Texten und anderen Sprachmaterialien) manchen der vielfältigen Herausforderungen im Kontext von Migration und Sprachunterricht begegnet werden kann. Ferner versucht die Arbeit herauszuarbeiten, dass solcherart konzeptualisierte Text-Verbünde in sinnvoller wie stringenter Weise die Ausbildung und Ausdifferenzierung linguistischer, kognitiver, affektiver, inter- und transkultureller Fertigkeiten und Kompetenzen befördern können (Delanoy/ Eisenmann/ Matz 2015), insbesondere vor dem Hintergrund neuerer Narrativitätskonzepte einerseits (Eco 1994, 112010, A. und V. Nünning, 2010, 2011 u. 2013, Donnarumma 2014) und steigender Relevanz visueller Kommunikations- und Wahrnehmungsprozesse andererseits (Hecke/Surkamp 2010; Held 2009).
Diese Einbindung verschiedener und unterschiedlich komplexer Textsorten wird in der neueren fremdsprachendidaktischen (FSD) Diskussion eigentlich schon seit Weinrich (1983) oder Hunfeld (1990), vor allem aber seit Hall (2005), Fäcke (2006), Delanoy (2006), Hallet (2009) und Delanoy/Eisenmann (2015) nicht mehr in Zweifel gezogen. Allerdings drängen sich dabei einige Fragen auf, die insbesondere die spezifische Form dieser Einbindung sowie die fachdidaktische Modellierung und Verknüpfung mit den aktuellen Kompetenzformaten für die Lehramtsfächer Italienisch und Französisch betreffen. Vor dem Hintergrund des GERS wird zudem die – diese Arbeit mitbestimmende – Lehramt-Neu-(Curricula)Diskussion seit 2015 in Österreich Berücksichtigung finden. Letztere hat 2016 zu verbindlichen, 2017–18 nochmals überarbeiteten Curricula geführt, die zwar für die Romanistik (im Unterschied zu den Fächern Deutsch oder Englisch) keine einschneidenden strukturellen Veränderungen nach sich gezogen haben. Allerdings weisen seitdem alle Fächer in ←16 | 17→ihren Präambeln eine Berücksichtigung von Aspekten der Interkulturalität und Mehrsprachigkeit auf2.
Dabei stellt sich umgehend eine offenbar naheliegende Frage, die innerhalb der Fremdsprachendidaktik vor allem mit Blick auf die Lehrwerksforschung wiederholt kontrovers diskutiert wurde: jene nach dem „Warum Literatur im (Fremdsprachen)Unterricht?“ (Delanoy 2007, 169), nachdem in gängigen Spracherwerbstheorien und in den weitgehend normierten Kompetenzprofilen literarische wie filmischen Texte nur einen marginalen Stellenwert einnehmen. Wird also einer Verbindung von Text-, Literatur-, Film- und Spracharbeit fallweise immer noch skeptisch begegnet (vgl. dazu Krumm 2011, Surkamp 2013, 53; Bonnet/Breidbach 2013, 28)3, so darf und soll hier an den seinerzeit bahnbrechenden Beitrag von Harald Weinrich Literatur im Fremdsprachenunterricht – ja, aber mit Phantasie (1983) erinnert werden. Obwohl primär in der Linguistik verankert, hat sich Weinrich schon im Zuge früherer Debatten über ein interkulturell-interdisziplinäres Profil des Fremdsprachen-Unterrichts mehrmals und vehement für den Einsatz literarischer Texte ausgesprochen. Begründet hat er dies mit der Notwendigkeit, der sprachlichen Realität des Lebens in ihrer vollen Komplexität von Anfang an gegenüberzutreten, denn literarische Texte böten hierzu „die beste Gelegenheit“:
Der Fremdsprachenunterricht darf der Komplexität des Lebens nicht ausweichen. Literarische Texte, mündlich oder schriftlich, bieten die beste Gelegenheit, sprachlicher und sachlicher Komplexität zu begegnen und diese Begegnung methodisch zu kontrollieren. Das muß schon im Anfangsunterricht geschehen, auch auf die Gefahr hin, daß die glatten Progressionen rauher werden. Denn kein Sprachunterricht kann auf Texte verzichten. (Weinrich 1983, 205; vgl. auch: Bartoli Kucher 2006, 12).
Auch der Sprachdidaktiker und Hermeneutiker Hans Hunfeld hat in mehreren Beiträgen im Kontext seiner Überlegungen über Fremdheit als Lernimpuls die Begegnung sowie den Dialog zwischen Lehrbuchtexten und literarischen Texten als unabdingbar und vorteilhaft für das Erreichen didaktischer Zielvorstellungen ←17 | 18→erachtet (Hunfeld 1990). Trotz offenkundiger Unvereinbarkeit zwischen Literatur und Lehrbuch [sei] „nirgendwo […] ihr Zusammenwirken aber nötiger als hier“ (Hunfeld 1987, 354f)4.
Bereits wenige Jahre nach der von hohen Erwartungshaltungen begleiteten Einführung und Verbreitung des Common European Framework for Languages/ Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen / Quadro Comune Europeo di Riferimento per le lingue (CEFR bzw. GERS, QCE 2001)5, hat Wolfgang Zytadiß die als pragmatisch-utilitaristisch formatierte Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts in der deutschen Sekundarstufe und in den begleitenden nationalen Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004; KMK 2012) beklagt (Zytadiß 2005, 279; Zytadiß 2010, 62f). 2007 machten Lothar Bredella und Wolfgang Hallet in ihrer Einleitung zum Band Literaturunterricht, Kompetenz und Bildung dann darauf aufmerksam, dass sowohl im GERS 2001 als auch in den nationalen und länderspezifischen Bildungsstandards eine Vorstellung vom Fremdsprachenunterricht entworfen werde, die Fremdsprachenlehren und -lernen auf funktionalistisch-pragmatische Zielsetzungen reduziere (Bredella/ Hallet 2007, 19). Beide nahmen diese Entwicklung zum Anlass, „um zu erneuter Diskussion über den Bildungssinn von Literatur im Fremdsprachenunterricht einzuladen“ (Delanoy 2007, 159). Aber auch die Veröffentlichung des Companion Volume to the CEFR (Council of Europe 2018) hat an dieser Ausrichtung nur geringe Modifikationen vorgenommen und die grundlegende Ausrichtung nicht geändert. Selbst eingemahnte Desiderata wie z.B. jenes, wonach „das Skalensystem des GeR und seines Companion durch empirische Sprachdaten validiert und auf eine solide spracherwerbstheoretische Basis gestellt werden“ (DGFF Bärenfänger/ Harsch/ Tesch/ Vogt 2019, 12) möge6, ←18 | 19→blieben weitgehend unberücksichtigt. Dem GERS 2001 wurde ferner vom Anfang an kritisch vorgehalten, die Rezeption von sowie die Auseinandersetzung mit Literatur kaum berücksichtigt zu haben (Bredella/ Hallet 2007, 2; Hallet 2007a, 33; Bredella 2007, 77). Die Orientierung an Messbarkeit habe dagegen eine Verengung des Sprachlernens auf messbare Kompetenzen impliziert (Krumm 2011, 104; Delanoy 2007, 161; Bonnet/ Breidbach 2013, 20).
Der Trend zur Standardisierung und Kompetenzorientierung hat sich in den letzten Jahren bekanntlich verstärkt und neuerlich kontrovers geführte Diskussion dahingehend ausgelöst, „inwieweit nicht sprachliche Ziele wie literarisch-ästhetische und kulturelle Bildung kompetenzorientiert vermittelt und geprüft werden sollen“ (Bonnet/Breidbach 2013, 20–21). Diese Bereiche gelten nämlich als schwer messbar und sind daher für Testungen nur begrenzt geeignet. Denn aufgrund ihrer starken Anbindung an motivationale, affektive und reflexive Faktoren (Surkamp 2012, 83–84) erweisen sich sowohl die literarisch-ästhetischen, als auch die inter- und transkulturellen Kompetenzen als mit den anderen, stärker linguistisch ausgerichteten und eher messbarkeitsorientierten schwer vereinbar (Bartoli Kucher 2014, 36).
Der Companion Volume schlägt diesbezüglich nur geringfügige, allgemeingehaltene Adaptionen vor. „Both fiction and nonfiction, including creative texts, different forms of literature, magazine and newspapers articles, blogs, biographies, etc“ bilden für ihn die Grundlage für Leseaktivitäten, die freilich auch als „a Leisure Activity“ (Europarat 2018, 65) wahrgenommen wird. Und gerade darauf beziehen sich verschiedene neue Deskriptoren „for other communicative activities such as […] expressing reactions to creative texts and literature“ (ebd, 23). An zwei Stellen wird allerdings Bezug auf literarische Texte genommen, und zwar im Zusammenhang mit den ‚Mediation Activities‘ – „Expressing a personal response to creative texts (including Literature)“ und „Analysis and Criticism of creative texts (including Literature)“ (ebd., 206–208) – und der Textverarbeitung (Textanalyse und Reaktion auf kreative Texte) (ebd., 116–117). Explizit erwähnt werden in der Folge „a novel or short story just read, a play, film“ (ebd., 206). So wird unter „expressing a personal response to creative texts“ als ‚Kann-Formulierung‘ für die Niveaustufe C2 auch die Fähigkeit angegeben, detailliert ←19 | 20→eine eigene Interpretation eines Werks („in detail his/her personal interpretation of a work“) anfertigen zu können, für die Niveaustufe C1 hingegen nur mehr die Interpretation einer Figur in einem Werk und die Motivierung ihrer Handlungen. Für die Stufen B2 und B1 wird dagegen die Fähigkeit als wichtig angesehen, die eigene Reaktion auf bestimmte Aspekte eines Werks, z.B. auf den Stil, die Sprache oder den Inhalt sowie Formen der Identifikation mit ihm oder der ausgelösten Emotionen („can relate the emotions he/she experienced by a character in a work to emotions he/she experienced“, ebd., 206) sprachlich ausdrücken zu können. Indem auch auf den Niveaustufen A2 und A1 einfache Wahrnehmungen und Gefühle, die von einem Werk ausgehen, unter den Deskriptoren aufscheinen, bietet diese neue Fassung letztlich doch größere Spielräume im Arbeiten mit literarischen oder filmischen Texten an. Ohne Zweifel ist es daher ein Gewinn, dass die neuen Deskriptoren alle Niveaus abdecken, „besonders im Hinblick auf schulisches Fremdsprachenlernen und in Bezug auf die bildungstheoretischen Bedenken gegenüber dem GeR“ (DGFF Bärenfänger/ Harsch/ Tesch/ Vogt 2018, 5). Allerdings bleiben der GERS und auch sein Companion letztlich deskriptiv ausgerichtet: „es liegt an den Nutzerinnen und Nutzern, insbesondere der Bildungspolitik, sie im intendierten Sinn zu gebrauchen“ (ebd., 7).
Immerhin haben bereits 2013 Sozialpsychologen der New School for Social Research (N.Y.) in der in der Zeitschrift Science teilveröffentlichten Studie über „Reading Literary Fiction“ den Nachweis erbracht, dass literarische Texte sowohl kognitive als auch emotionale Kompetenzen ansprechen und diese im Vergleich zu Leseexperimenten mit Gruppen, welche nichtliterarische Texte bearbeiteten, auch deutlich stärken, was nicht nur aus den dort angeführten Ergebnissen hervorgeht, sondern in den letzten Jahren, wesentlich angeregt durch die wegweisende Studie Upheavels of Thougth. The Intelligence of Emotions (2001; ital. 2004) von Martha Nussbaum sich zu einem speziellen Forschungsschwerpunkt (Literatur und Emotionen) entwickelt hat7.←20 | 21→
Die österreichischen Bildungsstandards (bifie 2012; BMBF 2015) weisen im Grunde dieselbe pragmatische Ausrichtung wie jene des GERS und der deutschen Bildungsstandards auf.8 Sie teilen mit jenen das explizite Interesse an klaren, linguistisch fundierten Standards, die beschreibbar und quantifizierbar erscheinen und an die vier Standard-Kompetenzen des Lesens, Hörens, Schreibens und Sprechens geknüpft werden9. In diesem Kontext bemängelt Delanoy ein vergleichsweise noch gering ausgeprägtes Interesse an ästhetisch-kreativen und kritischen Zugängen zu den Sprachen (Delanoy 2007, 174). Weitere entscheidende Impulse für die hier angesprochenen Überlegungen hat das beachtliche Spektrum von Konzepten bereitgestellt, welche die English Studies in den letzten 30 Jahren in die Diskussion eingebracht haben (Hallet & Nünning 2007, 4; Delanoy/ Eisenmann/ Matz 2015, 9). Ihr Grundtenor lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass literarische Texte auch im Sprachunterricht sehr wohl dazu beitragen, interkulturelle, aber auch linguistische und kognitive Fertigkeiten weiterzuentwickeln (ebd. 2015, 9).
Komplementär dazu werden in der folgenden Arbeit Ansätze und Konzepte mitreflektiert, die in der italienischen fremdsprachendidaktischen Debatte der letzten zwanzig Jahre (vor allem infolge der Herausforderungen durch die Migrationsströme seit 1995) an Gewicht gewonnen haben. Solche sind vorwiegend an den beiden für die italienische Fremdsprachendidaktik wichtigen Standorten Siena und Venezia-Ca’Foscari sowie an der Universität Rom entwickelt worden. Ausgehend vom Konzept der Linguistica educativa (Educational Linguistics, De Mauro/Ferreri 2005; De Mauro 2012), haben sie insbesondere in jenem des Neoplurilinguismo (Vedovelli 2007, 2013, 2014, 2015, 2017) ihren ←21 | 22→wohl wichtigsten Niederschlag gefunden, weshalb sie als eine notwendige und schlüssige Referenz für die vorliegende Arbeit gelten.
Unter Linguistica educativa hat Tullio De Mauro (2005, 2012) eine umfassende Konzeption von Sprach-Wissenschaft verstanden, die auf eine Integration von theoretischen, angewandten und semiotischen Perspektiven abzielt sowie Verbindungen zwischen Spracherwerb und Sprachvermittlung von der L1 bis hin zur L2-Ebene unterstreicht:
L’educazione linguistica ha il suo focus nell’apprendimento e sviluppo delle capacità semiotiche e linguistiche nell’uso delle lingue materne, della lingua della scuola e delle L2. La linguistica educativa ha al suo centro la messa a punto specifica o il riuso di strumenti e concetti propri delle scienze del linguaggio per offrire analisi dei rapporti tra lo sviluppo (o il non sviluppo) delle capacità semiotiche e linguistiche all’interno e all’esterno della scuola e il complessivo sviluppo intellettuale e redazionale degli scolari. Sembra chiaro che i tre campi siano e debbano essere interrelati (De Mauro; 2012,19–20)10.
Da die vorliegende Arbeit eine ›integrative‹ Sprach-, Literatur- und Filmdidaktik‘ skizzieren, d.h. Verbindungen zwischen der verbalen Sprache und anderen semiotischen Kodes und Sprachformen in den Blick nehmen und für eine fremdsprachendidaktische Ebene operativ machen will, knüpft sie u.a. an das Konzept von De Mauro an. Zentral ist dabei seine These, die verschiedenen sprachlich-semiotischen Ebenen als „interrelati“ (miteinander verknüpfte) zu verstehen. Im Besonderen trifft dies auf Interrelationen von Bildsprache und verbaler Sprache im Film und die dabei verwendeten bzw. neu entstehenden semiotischen Referenzfelder zu.
Ergänzend dazu greife ich auf das Konzept des Neoplurilinguismo zurück, weil in diesem Ansatz die italienische Situation, in der jahrhundertelang die Frage der Sprache virulent war (d.h. als ‚questione della lingua‘ fokussiert auf eine zwischen Normbestrebungen und regionalen Dialekten oszillierende), unter den grundlegend veränderten Bedingungen durch die aktuellen ←22 | 23→Migrationsströme und deren Begleitdebatten thematisiert wird. Mit anderen Worten: der ‚nationale‘ Sprachraum (auch im Hinblick auf die literarische und filmische Produktion) definiert sich nicht mehr nur als Spannungsverhältnis zwischen Nord-Süd, Zentrum-Peripherie, Standard-Regionalsprachen, sondern seit zwei Jahrzehnten wesentlich auch als ein um fast 120 neuen Immigrationssprachen und entsprechende Referenzkulturen angereichertes Spektrum. Vedovelli spricht daher auch von einer ‚questione delle lingue‘ (in der eine axiomatische strukturelle Verschiebung vom Singular in den Plural erkennbar ist!). Diese ‚questione delle lingue‘ hat auf verschiedene Formen von einschlägiger Textproduktion (Film- und Literatursprache, visuelle Kultur und Bildsprache, aber auch diverse Alltagsdiskurse), die zum Teil als Referenztexte der vorliegenden Arbeit fungieren, entsprechende Auswirkungen. Während die o.a. Debatten und Akzentverschiebungen im deutschsprachigen literatur- und kulturdidaktischen Diskurs über Italien bislang kaum wahrgenommen oder produktiv rezipiert wurden, prägen sie seit etwa einem Jahrzehnt zunehmend die Forschungslandschaft in Italien und haben auch in jene der Italian Studies der USA Eingang gefunden.
Mein Forschungsvorhaben selbst weist drei größere Abschnitte auf: im ersten Abschnitt werde ich Fragestellungen, Methoden und deren Einbettung in die relevante fremdsprachendidaktische Forschung (v.a. in den mir wichtigen Bezugsräumen Österreich, Deutschland und Italien, mit Seitenblicken auch Richtung USA) entwickeln und darlegen. In einem weiteren Abschnitt gehe ich dem veränderten Stellenwert der Inter- und Transkulturalität in Lern- und Lehrkontexten sowie im bereits erwähnten Third-Space-Klassenzimmer nach. Anhand konkreter Unterrichtsprojekte (die in Graz, aber auch im Rahmen von universitären Kooperationen in Italien, insbesondere mit der Università per Stranieri di Siena, realisiert werden konnten) analysiere ich die theoretisch-methodischen Prämissen/Implikationen dieser veränderten Kontexte beispielhaft. Eine qualititativ-empirische Dokumentation über die Wahrnehmung und Rezeption transkultureller literarischen Texte seitens der Studierenden schließt diesen zweiten Abschnitt ab. Im dritten Abschnitt schließlich lote ich – ausgehend von der Kategorie der Narrativität und den wichtigen Kompetenzbereichen der literarisch-medialen Bildung wie der transkulturellen Sensibilisierung – wiederum anhand von Fallbeispielen – Aspekte und Möglichkeiten der eingangs angesprochenen Text-Netzwerk-Arbeit aus, d.h. der produktiven Verknüpfung von Spracharbeit und kultureller Reflexion, des Neoplurilinguismo (auch in intermedialer Perspektive) und entwickle Bezüge zu den Eingangsüberlegungen.←23 | 24→
Details
- Seiten
- 382
- Erscheinungsjahr
- 2021
- ISBN (PDF)
- 9783631848913
- ISBN (ePUB)
- 9783631848920
- ISBN (MOBI)
- 9783631848937
- ISBN (Hardcover)
- 9783631824115
- DOI
- 10.3726/b18505
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2021 (Juni)
- Schlagworte
- Kooperative Didaktik Mehrsprachigkeitsdidaktik Transkulturelles Lernen Symbolische Kompetenz Multimodale Kompetenz
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 382 S., 29 s/w Abb., 9 Tab.