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Restrukturierungsvereinbarungen mit Distressed Hedge Funds

Eine aktienrechtliche Analyse

von Jan-Philipp Heinzmann (Autor:in)
©2019 Dissertation 458 Seiten

Zusammenfassung

Restrukturierungsvereinbarungen, die bei außergerichtlichen Restrukturierungen zwischen einer deutschen Aktiengesellschaft und angloamerikanisch geprägten Distressed Hedge Funds abgeschlossen werden, legen regelmäßig deren Einstieg über einen Debt to Equity Swap in die Gesellschaft schuldrechtlich fest. Dies kann einen Konflikt mit der aktienrechtlichen Organisationsverfassung hervorrufen, weil sich die verschiedenen Organe der AG gegenseitig Verhaltenspflichten auferlegen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet die Dissertation zum einen die aktienrechtliche Zulässigkeit von Restrukturierungsvereinbarungen, zum anderen beschäftigt sie sich mit Zustimmungspflichten der verschiedenen Stakeholder zu einem in einer Restrukturierungsvereinbarung ganzheitlich festgelegten Restrukturierungskonzept.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Kapitel 1: Grundlagen und Problemeinführung
  • A. Der deutsche und internationale Markt für (finanzielle) Restrukturierungen
  • B. Distressed (Debt) Hedge Funds als aktive Investoren in Restrukturierungssituationen
  • I. Distressed Hedge Funds als Value Investoren
  • II. Catalyst und Fulcrum Securities
  • III. Die verschiedenen Strategien von Distressed Hedge Funds
  • C. Die Restrukturierungsvereinbarung als zentrales Rechtsgeschäft im außergerichtlichen Restrukturierungsprozess
  • I. Außergerichtliche Restrukturierungen
  • II. Inhalt von Restrukturierungsvereinbarungen/Regelungsgegenstände
  • 1. Finanzielle Restrukturierungsmaßnahmen
  • 2. Operative Restrukturierungsmaßnahmen
  • 3. Strategische Restrukturierungsmaßnahmen
  • 4. Sonstige Abreden
  • a) Lock-up-Vereinbarung
  • b) Laufzeit
  • c) Kündigungsgründe
  • d) Gewährleistungen, Zusicherungen und Garantien
  • e) Sonstiges
  • III. Signing und Closing der Restrukturierungsvereinbarung
  • 1. Signing-Bedingungen
  • 2. Closing-Bedingungen
  • 3. Term Sheet
  • IV. Parteien der Restrukturierungsvereinbarung
  • V. Implementierung der Restrukturierungsvereinbarung
  • Kapitel 2: Die Restrukturierungsvereinbarung im Lichte der zwingenden aktienrechtlichen Kompetenzordnung
  • A. Rechtliche Zulässigkeit im Allgemeinen
  • I. Problemaufriss
  • 1. Bindungswirkung der Restrukturierungsvereinbarung
  • 2. Kompetenzverlagerung durch gegenseitige Bindung der Organe
  • 3. Distressed Hedge Fund als künftiger (Anker-)Aktionär
  • 4. Umkehr des aktienrechtlichen Gewaltenflusses durch die Restrukturierungsvereinbarung
  • 5. Konflikt mit der Neutralitätspflicht des Vorstands?
  • II. Keine grundsätzliche Verletzung der aktienrechtlichen Organisationsverfassung durch Restrukturierungsvereinbarungen
  • 1. Grundsätzliche Zulässigkeit einer vertraglichen Bindung zwischen Gesellschaft und (künftigem) Aktionär
  • 2. Zwingendes praktisches Bedürfnis, Restrukturierungskonzepte auf eine vertragliche Grundlage zu stellen
  • 3. Keine völlige Aufgabe der Organkompetenzen, sondern lediglich im Unternehmensinteresse liegende Kompetenzverschiebungen
  • a) Bloße Kompetenzverschiebung und Kompensation
  • b) Überlagerung durch das Unternehmensinteresse in Sanierungssituationen
  • 4. Perspektive des Vorstands
  • 5. Verabredung des Restrukturierungskonzepts in einer reinen Aktionärsvereinbarung als milderes Mittel?
  • 6. Kein Verstoß des Vorstands gegen eine (vermeintliche) Neutralitätspflicht durch den Abschluss einer Restrukturierungsvereinbarung
  • 7. Zwischenergebnis
  • B. Abschlusszuständigkeit
  • I. Abschlusszuständigkeit der Hauptversammlung
  • 1. Qualifizierung der Restrukturierungsvereinbarung als Unternehmensvertrag i.S.d §§ 291 AktG
  • a) Gewinnabführungsvertrag
  • b) Beherrschungsvertrag
  • 2. Zuständigkeit der Hauptversammlung aufgrund der „Holzmüller/Gelatine“-Doktrin?
  • a) Grundsätze der „Holzmüller/Gelatine“-Doktrin
  • b) Anwendbarkeit der „Holzmüller/Gelatine“-Doktrin auf Restrukturierungsvereinbarungen
  • aa) Debt to Equity Swap
  • bb) Debt to Asset Swap
  • II. Zustimmung des Aufsichtsrats
  • 1. Zustimmungserfordernis im Allgemeinen
  • 2. Zustimmungserfordernis im Besonderen
  • a) Genehmigtes Kapital
  • b) Übertragung vinkulierter Aktien
  • 3. Zustimmungserfordernis aufgrund der zwingenden aktienrechtlichen Kompetenzordnung
  • C. Rechtliche Zulässigkeit im Besonderen
  • I. Kollision mit den §§ 76, 93 AktG
  • 1. Vereinbarkeit der Vorwegbindung mit § 76 Abs. 1 AktG
  • a) Eingriff auf Tatbestandsebene
  • aa) Eingriff in das unternehmerische Leitungsermessen
  • bb) Eingriff in die Organkompetenz
  • (1) Horizontale Organisationsverfassung
  • (2) Verlagerung der zentralen Machtausübung durch Restrukturierungsvereinbarungen?
  • (3) Weitere Voraussetzungen eines tatbestandlichen Eingriffs
  • (aa) Beherrschungsvertragliche Durchbrechung des § 76 Abs. 1 AktG
  • (bb) Restrukturierungsvereinbarung als Teilbeherrschungsvertrag
  • (cc) Restrukturierungsvereinbarung als verdeckter (Teil-)Beherrschungsvertrag
  • (dd) Zwischenergebnis
  • (ee) Eigene, originäre Entscheidung des Investors
  • (ff) Herausgehobene Leitungskompetenz des Vorstands
  • b) Rechtfertigung des Eingriffs
  • aa) Legitimes Ziel
  • (1) Erhaltung von wirtschaftlichen Werten sowie Risikooptimierung und Wertsteigerung von Eigenkapitalinvestitionen
  • (2) Aktien- und konzernrechtlicher numerus clausus zur Absicherung und Wertsteigerung von Eigenkapitalinvestitionen?
  • bb) Geeignetheit
  • (1) Beherrschung des außergerichtlichen Sanierungs- und Restrukturierungsprozesses
  • (2) Kontrolle des Risikos und der Wertentwicklung der Eigenkapitalinvestition
  • cc) Erforderlichkeit
  • (1) Informelle Abstimmung als milderes, gleich effektives Mittel zur außergerichtlichen Sanierung?
  • (2) Informelle Abstimmung als milderes, gleich effektives Mittel zur Steuerung der Wertentwicklung von Eigenkapitalinvestitionen?
  • dd) Angemessenheit
  • (1) Abstrakte Höherwertigkeit
  • (aa) Zwingende Organisationsstruktur der Aktiengesellschaft
  • (bb) Erhaltung wirtschaftlicher Werte durch außergerichtliche Sanierungen
  • (cc) Schutz der Wertentwicklung von Eigenkapitalinvestitionen
  • (2) Zwischenergebnis
  • (3) Angemessenheit im engeren Sinne
  • (aa) Vorwegbindung zur Umsetzung finanzieller Restrukturierungsmaßnahmen
  • (bb) Vorwegbindung zur Umsetzung operativer Restrukturierungsmaßnahmen
  • (cc) Vorwegbindung zur Umsetzung strategischer Restrukturierungsmaßnahmen
  • (4) Partikularinteressen des (künftigen) Eigenkapitalinvestors
  • (5) Kompensationsfähige Gegenleistungen des (künftigen) Eigenkapitalinvestors
  • (6) Ergebnis
  • c) Rechtsfolge
  • 2. Vereinbarkeit der Vorwegbindung mit § 93 AktG
  • a) Gegenstand und Zeitpunkt einer möglichen Pflichtverletzung
  • b) Anforderungen an eine Pflichtverletzung
  • c) Haftungsentschärfung durch die Verabredung von Fiduciary out-Klauseln
  • d) Keine Pflichtverletzung ohne Kompetenzverletzung
  • e) Verletzung des § 93 Abs. 1 AktG aufgrund der verabredeten (Vor-)Festlegung in Bezug auf die Neuzusammensetzung des Aktionariats?
  • II. Keine Bindung zu Lasten eines Organs (ohne dessen Willen)
  • 1. Kompetenzübergriff
  • a) Kompetenzübergriff auch unterhalb der Schwelle der Holzmüller/Gelatine-Doktrin
  • b) Abfederung des Kompetenzübergriffs durch Bemühensklauseln (best efforts-Klauseln)
  • c) Verknüpfung der Bemühensklauseln mit Vertragsstrafen
  • d) Versprechen des Nichtausbleibens eines bestimmten Organverhaltens als Kompetenzübergriff?
  • e) Kompetenzübergriffe bei der Vereinbarung finanzieller, operativer und strategischer Restrukturierungsmaßnahmen
  • 2. Rechtsfolge
  • a) Anfängliche Unmöglichkeit nach den §§ 311a Abs. 1, 275 BGB?
  • b) Überschreiten der (organschaftlichen) Geschäftsführungsbefugnisse im Innenverhältnis und Missbrauch der Vertretungsmacht?
  • c) Endgültige Nichtigkeit nach § 134 BGB?
  • d) Möglichkeit einer (nachträglichen) Legitimation
  • III. Vereinbarkeit mit § 187 AktG
  • 1. Abschluss der Restrukturierungsvereinbarung nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss
  • 2. Abschluss der Restrukturierungsvereinbarung vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss
  • 3. § 187 Abs. 2 AktG analog bei sonstigen Kompetenzübergriffen durch den Vorstand
  • IV. Die Restrukturierungsvereinbarung als Stimmbindungsvertrag/Vereinbarkeit mit § 136 Abs. 2 AktG
  • 1. Restrukturierungsvereinbarung als Stimmbindungsvertrag unter Aktionären (Aktionärsvereinbarung)
  • 2. Restrukturierungsvereinbarung als Stimmbindungsvertrag zwischen Aktionär und Nichtaktionär
  • 3. Restrukturierungsvereinbarung als Stimmbindungsvertrag zwischen Aktionär und Gesellschaft
  • a) Tatbestandlicher Eingriff
  • aa) Rechtsbindungswille
  • bb) Kasuistik des Einflussnahmeverbots des § 136 Abs. 2 AktG
  • (1) § 136 Abs. 2 Satz 1, 1. Fall AktG
  • (2) § 136 Abs. 2 Satz 1, 2. Fall AktG
  • (3) § 136 Abs. 2 Satz 1, 3. Fall AktG
  • (4) § 136 Abs. 2 Satz 2 AktG
  • (5) Umgehung durch Vorschaltgesellschaft
  • cc) Regelungsgegenstand von Hauptversammlungskompetenz umfasst?
  • (1) Typische Umsetzungspflichten von Alt- und Neuaktionären in Restrukturierungsvereinbarungen
  • (2) Sonderfall 1: Vereinbarungen hinsichtlich eines Debt to Equity Swap unter Einbeziehung von Anleihegläubigern
  • (3) Sonderfall 2: Vereinbarungen hinsichtlich eines CoMI-Shiftings und einer Migration
  • dd) Konkretisierungsgrad der Weisung
  • b) Rechtfertigung des Eingriffs
  • aa) Legitimes Ziel
  • bb) Geeignetheit
  • cc) Erforderlichkeit
  • dd) Angemessenheit
  • c) Rechtsfolge unzulässiger Stimmbindungsverträge innerhalb von Restrukturierungsvereinbarungen
  • d) Teleologische Reduktion von § 136 Abs. 2 AktG
  • e) Analoge Anwendung von § 136 Abs. 2 AktG?
  • V. Vereinbarkeit mit § 57 AktG
  • VI. Abreden zur Corporate Governance
  • 1. Abreden zur Besetzung des Aufsichtsrats
  • 2. Abreden zur Besetzung des Vorstands
  • a) Abreden zur Nichtabberufung des amtierenden Vorstands
  • aa) Unterlassungsklauseln
  • bb) Einwirkungsklauseln
  • b) Abreden zur Neubesetzung des amtierenden Vorstands
  • Kapitel 3: Zustimmungspflicht zu Restrukturierungsvereinbarungen
  • A. Zustimmungspflicht der Geschäftsleitung
  • I. Zu prüfende Thesen
  • 1. Absolute Priority Rule als Teil des zu verfolgenden Unternehmensinteresses
  • 2. Orientierung an den vorrangigen Sicherungsinteressen der Fremdkapitalgeber in Restrukturierungssituationen
  • 3. Kein shift of fiduciary duties in Sanierungssituationen
  • II. Pflichten der Geschäftsleitung in der Unternehmenskrise
  • 1. Konturierung und Herleitung
  • a) Ausgangspunkt: Ausrichtung des unternehmerischen Handelns am Wohl der Gesellschaft
  • aa) Einbeziehung der Gläubigerinteressen
  • bb) Zwischenergebnis
  • b) Das Wohl der Gesellschaft als das gebündelte Kapitalinteresse aller Stakeholder
  • aa) Koexistenz von Eigen- und Fremdkapital
  • bb) Sicherungs- und Wertsteigerungsinteressen
  • cc) Vergleich mit der Interessenlage innerhalb einer Insolvenz
  • dd) Interessenlage bei außergerichtlichen Restrukturierungen
  • ee) Wettbewerbsfähigkeit als Teil des Unternehmensinteresses
  • ff) Privatautonome Gewichtung der Interessen
  • gg) Zwischenergebnis
  • c) Begründung der Befriedigungs- und Interessenrangfolge
  • aa) Rechtsgeschäftliche Begründung der Befriedigungsrangfolge aus dem Intercreditor Agreement und aus dem Equity Subordination Agreement
  • bb) Gesetzliche Begründung
  • (1) § 57 AktG
  • (aa) § 57 AktG als Ausdruck des Nachrangs der Eigen- gegenüber den Fremdkapitalgebern
  • (bb) § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG als Konkretisierung der Pflicht des Vorstands, sich vorrangig an den Sicherungsinteressen der Fremdkapitalgeber zu orientieren
  • (2) § 30 GmbHG
  • (aa) § 30 GmbHG als Ausdruck des Vorrangs der Sicherungsinteressen der Fremdkapitalgeber nicht erst bei deren Beeinträchtigung, sondern bereits bei deren Gefährdung
  • (bb) § 30 GmbHG als Ausdruck und Schutz des Versprechens der Eigenkapitalgeber
  • (cc) Unvollständiger Schutz des Versprechens durch § 30 GmbHG
  • (dd) Weitergehender Schutz des Versprechens durch § 43 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 GmbHG
  • (ee) Gefahr eines Wertungswiderspruchs in Restrukturierungssituationen
  • (ff) Schlussfolgerung für die Pflichten der Geschäftsführung
  • (3) § 64 Satz 3 GmbHG und § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG
  • (aa) § 64 Satz 3 GmbHG
  • (bb) § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG
  • (4) § 302 AktG
  • (aa) Funktion
  • (bb) § 302 AktG als konzernrechtlicher Ausfluss der Absolute Priority Rule
  • (cc) Auswirkung in Restrukturierungssituationen
  • (5) Existenzvernichtungshaftung
  • (aa) Absolute Priority Rule als Voraussetzung der Existenzvernichtungshaftung
  • (bb) Auswirkung in Restrukturierungssituationen
  • (6) § 91 Abs. 2 AktG
  • (7) §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO
  • (8) Insolvenzrechtliche Befriedigungs- und Verteilungsrangfolge der §§ 1, 199 Satz 2 InsO
  • (9) § 245 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 InsO i.V.m. der insolvenzrechtlichen Verteilungsrangfolge
  • 2. Konkretisierung und Auswirkung
  • a) Konfliktsituationen
  • aa) Konfliktsituation innerhalb einer Krise
  • bb) Konfliktsituation außerhalb einer Krise
  • b) Fester Zeitpunkt für eine Änderung der Ausrichtung des unternehmerischen Handelns der Geschäftsleitung?
  • c) Pflicht der Geschäftsleitung zur Wiederherstellung von angemessenen Kapital- und Vermögensverhältnissen
  • d) Pflicht der Geschäftsleitung zur Erhaltung von angemessenen Kapital- und Vermögensverhältnissen
  • III. Pflicht zur Entwicklung eines Restrukturierungskonzepts und zur Verhandlung einer Restrukturierungsvereinbarung
  • IV. Pflicht zur Einwirkung auf die Stakeholder
  • 1. Pflicht zur Einwirkung auf die Eigenkapitalgeber
  • 2. Pflicht zur Einwirkung auf die (nachrangigen) Fremdkapitalgeber
  • V. Pflicht zum Abschluss und zur Umsetzung einer Restrukturierungsvereinbarung
  • 1. Pflicht der Geschäftsleitung zum Abschluss einer Restrukturierungsvereinbarung
  • 2. Pflicht der Geschäftsleitung zur Umsetzung einer Restrukturierungsvereinbarung
  • 3. Befugnis der Geschäftsleitung zum Abschluss und zur Umsetzung von Restrukturierungsvereinbarungen, die der Absolute Priority Rule zuwiderlaufen
  • VI. Pflicht zur Einleitung und Durchführung ausländischer Restrukturierungsverfahren
  • VII. Pflicht zur Herbeiführung eines Insolvenzgrundes und zur Insolvenzantragsstellung?
  • 1. Verengung des unternehmerischen Ermessens zur Legalitätspflicht
  • 2. Einleitung des Verfahrens
  • 3. Restrukturierungsvereinbarung als Plan Support Agreement 763
  • B. Zustimmungspflicht der Gesellschafter
  • I. Pflichten der (Alt-)Gesellschafter in der Unternehmenskrise
  • 1. Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht
  • 2. Auswirkungen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in der Unternehmenskrise
  • 3. Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als Konsequenz der Absolute Priority Rule
  • a) Chancen- und Risikoverteilung bei Eigen- und Fremdkapitalinvestitionen
  • b) Auswirkungen der so verstandenen gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in Restrukturierungssituationen
  • c) Vergleich mit der Ansicht des BGH
  • d) Auswirkungen bei (internationalen) Konsortialfinanzierungen
  • 4. Gesetzliche Zustimmungspflicht der Gesellschafter gemäß § 245 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 InsO analog
  • 5. Konsequenz einer analogen Anwendbarkeit von § 245 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 InsO
  • II. Pflicht zur Entwicklung eines Restrukturierungskonzepts und zur Verhandlung einer Restrukturierungsvereinbarung
  • III. Pflicht zum Abschluss und zur Umsetzung einer Restrukturierungsvereinbarung
  • C. Zustimmungspflicht der Gläubiger
  • I. Pflichten der Gläubiger in der Unternehmenskrise
  • 1. Die Obstruktion nachrangiger Gläubiger und die Akkordstörer-Rechtsprechung des BGH
  • 2. Pflicht, das aggregierte Gesellschaftsinteresse zu fördern
  • 3. Gesetzliche Zustimmungspflicht der Gläubiger gemäß § 245 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 InsO analog
  • 4. Konsequenz einer analogen Anwendbarkeit von § 245 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 InsO
  • II. Pflicht zur Entwicklung eines Restrukturierungskonzepts und zur Verhandlung einer Restrukturierungsvereinbarung
  • III. Pflicht zum Abschluss und zur Umsetzung einer Restrukturierungsvereinbarung
  • Kapitel 4: Zusammenfassung in Thesen
  • Literaturverzeichnis

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Kapitel 1: Grundlagen und Problemeinführung

A. Der deutsche und internationale Markt für (finanzielle) Restrukturierungen

Der Markt für Restrukturierungen hat sich in der letzten Dekade nicht nur international, sondern vor allem auch in Deutschland grundlegend verändert. Dies ist zum einen auf die immer komplexer werdenden Konzern- und Finanzierungsstrukturen der Unternehmen zurückzuführen, die in finanziellen und wirtschaftlichen Krisensituationen zu restrukturieren sind, zum anderen darauf, dass traditionelle Kreditgeber, wie etwa Banken, häufig nicht mehr bereit sind, den (gesamten) Sanierungsprozess ihres Kreditnehmers zu begleiten, sondern vielmehr ihre Kreditengagements auf dem internationalen Sekundärmarkt – regelmäßig mit einem Abschlag zum Nominalwert – an sog. Alternative Capital Provider, wie etwa Distressed Hedge Funds, veräußern.

Sowohl große internationale Unternehmensgruppen als auch global agierende Mittelständler finanzieren sich heutzutage über die verschiedensten Finanzierungsinstrumente. Für moderne Unternehmensfinanzierungen ist kennzeichnend, dass sie neben den klassischen Konsortialkrediten, die sich ihrerseits aus einer Vielzahl gebündelter Einzelkredittranchen, wie etwa Term Loans, Second-lien Loans, Mezzanine Loans sowie einer revolvierenden Kreditlinie (Revolving Credit Facility) zusammensetzen, auch Kapitalmarktprodukte, wie etwa hochverzinsliche Anleihen (High Yield Bonds), beinhalten. Überdies kommt es aufgrund der personalen und dinglichen Überkreuzbesicherungen dieser Schuldinstrumente regelmäßig zu komplizierten Haftungsverflechtungen der einzelnen Gruppengesellschaften. Finanzierungsstrukturen, die sowohl aus klassischen (Konsortial-)Krediten als auch aus Kapitalmarktinstrumenten bestehen, sind insbesondere bei Unternehmen anzutreffen, die ursprünglich im Wege eines Leveraged Buy-outs (LBO) von einer Private Equity-Gesellschaft übernommen wurden, denen es jedoch zum Teil gelungen ist, die auslaufenden Akquisitionskredite über den Kapitalmarkt durch die Emission hochverzinslicher Anleihen zu refinanzieren. Durch die Refinanzierungen (und ggf. auch durch gewährte Laufzeitverlängerungen (“Amend and Extend”)) sind allerdings die dringend notwendigen Restrukturierungen regelmäßig nur aufgeschoben worden (“Kicking the can down the road”). Da in den vergangenen Jahren, insbesondere vor der Finanzkrise, vielen Unternehmen im Zuge solcher LBOs zu viel Fremdkapital aufgebürdet wurde, die bestehenden Refinanzierungsmöglichkeiten teilweise bereits (vollständig) ausgeschöpft sind und die Endfälligkeitszeitpunkte der ursprünglichen Akquisitionsdarlehen bzw. der refinanzierenden Anleihen näher rücken, ist künftig vermehrt damit zu rechnen, ←23 | 24→dass LBO-finanzierte Unternehmen restrukturiert werden müssen.1 Insbesondere auf den Erwerb notleidender Schuldinstrumente spezialisierte, aus dem angloamerikanischen Rechts- und Kulturraum stammende Distressed Hedge und Private Equity Funds sitzen bereits in den Startlöchern, um von diesem – sich schon länger abzeichnenden und erwarteten – Einbruch der sog. Wall of Debt2 in Europa profitieren zu können.3

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Komplexe Konzern- und Kapitalstrukturen sind allerdings nicht nur bei LBO-finanzierten Unternehmen anzutreffen. Charakteristisch für viele (international agierende) gehobene Mittelständler ist, dass sie sich neben „gewöhnlichen“ bilateralen Bankkrediten bisweilen auch mit (zum Teil großvolumigen) Konsortialkrediten, (typisch deutschen) Schuldscheindarlehen sowie mit (hybriden) Kapitalmarktprodukten, wie etwa Wandelanleihen (Convertible Bonds) und Hybridanleihen finanzieren.4 Hinzu kommt, dass diese Schuldinstrumente auf unterschiedlichen Konzernebenen ausgegeben werden, nicht einheitlich besichert sind und daher in aller Regel auch einer gerade in Restrukturierungsituationen ←25 | 26→zu beachtenden strukturellen5 Vor- bzw. Nachrangigkeit unterliegen. Die außergerichtliche Restrukturierung solcher Finanzstrukturen, die in ein ganzheitliches Restrukturierungskonzept, bestehend aus finanziellen, operativen, bisweilen auch strategischen Restrukturierungsmaßnahmen, einzubetten ist, stellt die an ihr beteiligten Akteure6 – nicht zuletzt aufgrund der vielen verschiedenen Interessen, die in Einklang zu bringen sind – vor eine anspruchsvolle und komplexe Aufgabe, die aufgrund der stets latent vorhandenen Insolvenzgefahr regelmäßig auch unter hohem Zeitdruck zu bewältigen ist.

Die Komplexität wird in aller Regel noch dadurch gesteigert, dass spätestens mit Beginn der außergerichtlichen Restrukturierungsverhandlungen ein reger Handel in den notleidenden Schuldinstrumenten der Unternehmensgruppe stattfindet (sog. Debt Trading).7 Zum einen sehen sich traditionelle Kreditgeber, wie etwa Banken, – nicht zuletzt aufgrund der strengeren Eigenkapitalanforderungen gemäß Basel III8 sowie aufgrund der Asset Quality Reviews (AQR)9 und sog. Stresstests der ←26 | 27→Europäischen Zentralbank (EZB)10 – zunehmend gezwungen, ihre notleidenden Kredittranchen auf dem Sekundärmarkt an die eingangs bereits angesprochenen Distressed Hedge Funds unter par zu veräußern (European Sell Off).11 Zum anderen dürfen bestimmte Investoren und Marktteilnehmer aufgrund eigener, interner Vorgaben keine Sub-Investment Grade-Kapitalmarktprodukte handeln, so dass sie ebenso gezwungen sind, ihre notleidenden Anleihen und sonstigen Instrumente mit Abschlag zu veräußern. Ferner können manche (Fremdkapital-)Investoren auch einfach nicht die nötigen (Personal-)Ressourcen sowie das nötige Knowhow aufbringen, um einen komplexen und zeitintensiven außergerichtlichen Sanierungsprozess zu begleiten. Aus ökonomischer Perspektive kann daher eine Veräußerung sinnvoll sein. Im Ergebnis finden sich in Restrukturierungssituationen unter den verschiedenen Stakeholdern folglich auf der einen Seite sog. Par Lender, d.h. diejenigen Fremdkapitalinvestoren, die die Instrumente zum vollen Nominalbetrag ursprünglich ausgereicht haben, auf der anderen Seite sog. Non-Par Lender, d.h. diejenigen Fremdkapitalinvestoren, die die Instrumente derivativ auf dem Sekundärmarkt mit Abschlag zum Nominalwert erworben haben. Es liegt auf der Hand, dass Par und Non-Par Lender aufgrund ihres unterschiedlichen „Einstiegspreises“ zum Teil stark divergierende Interessen und Vorstellungen haben können, was die Restrukturierung der Unternehmensgruppe anbetrifft. Hinzu kommt, dass Non-Par Lender zum Teil auch untereinander verschiedene Investmentstrategien verfolgen.12 Im Ergebnis ist bei außergerichtlichen Restrukturierungen daher eine mitunter äußerst heterogene Gläubigerschaft anzutreffen.

Gemein ist Non-Par Lendern allerdings, dass sie in aller Regel außergerichtliche Restrukturierungen solchen vorziehen, die innerhalb eines Insolvenzverfahrens implementiert werden.13 Dies mag damit zu tun haben, dass vor allem Distressed Hedge Funds stets Herr über den Restrukturierungsprozess, mithin im Driver’s Seat bleiben wollen. Dies kann bei einer Restrukturierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht immer gewährleistet werden. In jedem Fall wird jedoch eine Rolle ←27 | 28→spielen, dass auch nach Einführung des ESUG14 aufgrund des einem Insolvenzverfahren noch immer anhaftenden Stigmas des Scheiterns die Gefahr besteht, dass mit Insolvenzantragstellung eine (massive) Verringerung des Unternehmenswertes, mithin eine Vernichtung von wirtschaftlichen Werten einhergeht (sog. indirekte Insolvenzkosten).15 Eine Restrukturierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens ist daher in den Augen von Distressed Hedge Funds im Vergleich zu einer außergerichtlichen Restrukturierung meist nur eine nachrangig zu verfolgende Alternative.16 Sie werden deshalb regelmäßig auch geräuschlose, außergerichtliche Restrukturierungen im Ausland, etwa mithilfe eines englischen Scheme of Arrangement (SoA), in Erwägung ziehen.17 Nichtsdestotrotz ist durchaus zu beobachten, dass komplexe außergerichtliche Restrukturierungen unter Teilnahme von Distressed Hedge Funds auch in Deutschland erfolgreich umgesetzt werden können.18 Hierzu ←28 | 29→ist dann allerdings erforderlich, dass die heterogenen Interessen der Stakeholder, die in Bezug auf die außergerichtliche Restrukturierung der Unternehmensgruppe bestehen, zum Ausgleich gebracht werden können. In Anbetracht der Insolvenznähe, in der sich außergerichtliche Restrukturierungen regelmäßig abspielen, ist eine informelle Abstimmung hinsichtlich der von den einzelnen Stakeholdern zu leistenden Restrukturierungs- und Sanierungsbeiträge (Restructuring Contributions) grundsätzlich nicht ausreichend.19 Vielmehr ist erforderlich, dass das zwischen den Stakeholdern und der zu restrukturierenden Gesellschaft bzw. Unternehmensgruppe ausgehandelte Restrukturierungskonzept sowie die einzelnen, von den restrukturierungswilligen Parteien zu leistenden Sanierungsbeiträge in einer sog. Restrukturierungsvereinbarung (Restructuring Agreement)20 rechtsverbindlich fixiert werden.

←30 | 31→ ←29 | 30→ ←31 | 32→

Inhalt einer Restrukturierungsvereinbarung ist demzufolge grundsätzlich das zwischen den Stakeholdern und der Gesellschaft ausverhandelte Restrukturierungskonzept. Da eine ganzheitliche und nachhaltige Restrukturierung in aller Regel voraussetzt, dass neben finanziellen auch operative und ggf. auch strategische Restrukturierungsmaßnahmen implementiert werden, haben sich die Gesellschaft und die Stakeholder, insbesondere die (Alt-)Gesellschafter und Gläubiger, in der Restrukturierungsvereinbarung idealerweise zur Leistung von finanziellen, operativen und strategischen Restrukturierungsbeiträgen zu verpflichten. In der hier zu untersuchenden Konstellation, der Verabredung von Restrukturierungsvereinbarungen mit Distressed Hedge Funds, wird ebenso die eine oder andere Art einer Debt to Equity Conversion Teil des finanziellen ←32 | 33→Restrukturierungskonzepts sein, da einerseits meist nur dadurch eine nachhaltige Entschuldung der Gesellschaft erreicht werden kann, andererseits auf diese Weise die Gläubiger an der potentiellen Wertsteigerung des restrukturierten Unternehmens teilhaben können (sog. Equity Upside). Darüber hinaus besteht üblicherweise nur über eine Partizipation an einer Wertsteigerung des Eigenkapitals der restrukturierten Gesellschaft für die Par Lender die Möglichkeit, vollständig ihr eingesetztes Kapital zurückzuerhalten (sog. Recovery). Eine Restrukturierungsvereinbarung qualifiziert daher als mindestens dreiseitig verpflichtender Vertrag zwischen Gesellschaft, Altgesellschaftern und Gläubigern/Neugesellschaftern.

Aus der Perspektive des Distressed Hedge Funds stellt die Vereinbarung eines Debt to Equity Swap21 zugleich die Festlegung seiner Einstiegs- und Beteiligungsmodalitäten in die Gesellschaft dar. Denn durch dessen Umsetzung wird er Gesellschafter. Eine Restrukturierungsvereinbarung mit einem Distressed Hedge Fund, die rechtsverbindlich einen Debt to Equity Swap festlegt, stellt also zugleich eine Vereinbarung zwischen Gesellschaft und künftigem Gesellschafter dar. Daher liegt es nahe, auch dort das künftige Verhältnis zwischen beiden in Bezug auf die Umsetzung der (weiteren22) operativen und strategischen Restrukturierungsschritte sowie auch in Bezug auf die Implementierung der darüber hinausgehenden Unternehmensstrategie zu regeln. Gleichsam wird die Gesellschaft ein Interesse daran haben, den Einfluss des Investors nach dessen Beteiligungsübernahme zu begrenzen, indem es ihm etwa untersagt wird, die Gesellschaft zur kurzfristigen Wertsteigerung zu zerschlagen. Im Gegenzug wird es dem Investor insbesondere dann darauf ankommen, dass sein Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft bereits vorab rechtsgeschäftlich fixiert wird, um so das Risiko seiner Eigenkapitalinvestition optimieren und ihren Wert steigern zu können, wenn er – wie für Hedge Funds üblich – keine Mehrheitsbeteiligung im Zuge des Debt to Equity Swap erwirbt. Ist das Unternehmen in Form einer Aktiengesellschaft organisiert, ist eine rechtsgeschäftliche Vorabfestlegung seines Einflusses für ihn besonders wichtig, weil die Leitung einer Aktiengesellschaft zwingend in die Hände des Vorstands gelegt ist, vgl. §§ 23 Abs. 5, 76 Abs. 1, 119 Abs. 1 AktG. Dies wirft aber zugleich die Frage auf, ob eine Restrukturierungsvereinbarung mit derartigem Inhalt, also mit Festlegung eines ganzheitlichen Restrukturierungskonzepts, das das künftige Verhalten des die Gesellschaft vertretenden Vorstands ←33 | 34→auf der einen Seite und dasjenige des (künftigen) Aktionärs auf der anderen auf rechtsgeschäftlichem Wege rechtsverbindlich vorab festlegt, überhaupt mit der zwingenden aktienrechtlichen Kompetenzordnung in Einklang gebracht werden kann.23

Angesichts der zunehmenden Komplexität von Unternehmensfinanzierungen, der Präsenz von Distressed Hedge Funds, die sich in Sanierungssituationen auf verschiedenen Konzernebenen in die emittierten Schuldinstrumente einer Unternehmensgruppe „einkaufen“ sowie der damit verbundenen, bei außergerichtlichen Restrukturierungen stets latent vorhandenen Gefahr, dass diese aufgrund des Obstruktionsverhaltens einzelner Stakeholder und fehlender außergerichtlicher Majorisierungsmechanismen24 scheitern, fragt sich weiterhin, ob es – vor allem in Anbetracht der mit einer Restrukturierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens verbundenen indirekten Insolvenzkosten – nicht sinnvoll wäre, auch in Deutschland ein außergerichtliches Sanierungsverfahren de lege ferenda zu schaffen oder ob nicht unter gewissen Voraussetzungen bereits de lege lata eine Zustimmungspflicht der einzelnen Stakeholder zu einer ein ganzheitliches Restrukturierungskonzept beinhaltenden Restrukturierungsvereinbarung besteht.25 Beide Frage- und Problemkomplexe sollen im Folgenden analysiert und beantwortet werden. Zunächst sollen jedoch die aus der europäischen und vor allem auch deutschen Restrukturierungslandschaft nicht mehr wegzudenkenden Distressed Hedge Funds und ihre verschiedenartigen Strategien und Motive vorgestellt sowie die Rolle, die sie insbesondere bei außergerichtlichen Restrukturierungen spielen, beleuchtet werden.

B. Distressed (Debt) Hedge Funds als aktive Investoren in Restrukturierungssituationen

I. Distressed Hedge Funds als Value Investoren

Distressed Hedge Funds sind in erster Linie Value Investoren. Value Investoren versuchen, Preisineffizienzen am Markt auszunutzen, indem sie Wertpapiere oder sonstige Vermögensgegenstände erwerben, deren Marktpreis nicht ihren eigentlichen, inneren Wert (Intrinsic Value) widerspiegelt, die mithin unterbewertet (undervalued) sind. Gleicht sich der Preis dem intrinsischen Wert an, erwirtschaften sie bei Veräußerung einen Gewinn in Höhe der Differenz von gezahltem Preis und innerem Wert. Preisineffizienzen, d.h. Abweichungen zwischen Preis und intrinsischem Wert (mispricings), können vor allem dadurch ←34 | 35→entstehen, dass sich die Marktteilnehmer bei ihren Kauf- und Verkaufsentscheidungen weniger von rationalen, auf fundamentaler Analyse beruhenden als vielmehr von irrationalen, emotionalen Motiven leiten lassen, wie etwa Angst und Verwirrung. Zu (Deinvestitions-)Entscheidungen, die mehr auf Grundlage solcher asthenischer Affekte basieren, kann es insbesondere in komplexen, unüberschaubaren Situationen kommen. Ferner dann, wenn die Entscheidungen nicht aus freien Stücken heraus, sondern aufgrund faktischen Zwangs getroffen werden müssen (sog. forced selling). Beides ist häufig in Sanierungs- und Restrukturierungssituationen sowie in Insolvenzen international agierender Unternehmensgruppen, die sich sowohl über Banken als auch über den Kapitalmarkt finanzieren, der Fall.

In diesen Situationen besteht nämlich einerseits die Gefahr, dass es aufgrund der rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Komplexität zu Fehlbewertungen der einzelnen Unternehmenseinheiten (entities) sowie der von den einzelnen Einheiten emittierten Schuldinstrumente kommt. Andererseits sehen sich Banken und auch institutionelle Investoren aufgrund interner Compliance-Regeln nur bedingt in der Lage, die Schuldinstrumente notleidender Unternehmen zu halten, so dass sie (faktisch) gezwungen sind, diese Papiere (regelmäßig mit Abschlag) auf dem Sekundärmarkt – üblicherweise an darauf spezialisierte Distressed Hedge Funds – zu veräußern. Hinzu kommt, dass oftmals aufgrund mangelnder oder fehlender Restrukturierungs- und Insolvenzexpertise in den Reihen der Banken und Investment Grade-Investoren26 ein Restrukturierungsprozess nicht angemessen begleitet werden kann. Ferner kann auch schon die (vermeintlich) fehlende Planungssicherheit hinsichtlich eines (drohenden) Insolvenzverfahrens und die damit verbundene Angst und Ungewissheit ausschlaggebend für einen Verkauf der jeweiligen Instrumente sein. Solche Notverkäufe erfolgen dann meist, ohne sich zuvor den wahren, inneren Wert des zu verkaufenden Instruments veranschaulicht zu haben. Bewertungssschwierigkeiten (und damit Preisineffizienzen) können allerdings auch bei nicht börsennotierten mittelständischen (Familien-)Unternehmen auftreten. Diese werden zum einen nicht laufend von den Analysten der Investmentbanken beobachtet und bewertet, zum anderen besteht aufgrund der fehlenden Fungibilität von GmbH-Geschäftsanteilen und solchen von Personengesellschaften kein Markt, der eine effiziente Preisbildung ermöglichen würde. Dies gilt umso mehr für Anteile an GmbHs oder Personengesellschaften, die sich in einer wirtschaftlichen und finanziellen Krise befinden.

Weitere Konstellationen, in denen es zu Preisineffizienzen kommen kann, sind etwa Unternehmenszusammenschlüsse und -übernahmen (Mergers & Acquisitions), ←35 | 36→Konzernabspaltungen (Spin Offs), personelle Wechsel auf Vorstands- und Managementebene sowie sonstige Corporate Events27. Hedge Funds, die in Unternehmen, die sich in solchen besonderen Situationen (Special Situations) befinden, investieren, werden daher auch als Event Driven Hedge Funds bezeichnet. Das oben beschriebene forced selling wird weiterhin dadurch gefördert, dass sich Banken bedingt durch die strengeren Eigenkapitalanforderungen aufgrund Basel III28 (sowie auch aufgrund der zum Teil von der Europäischen Zentralbank (EZB) bereits durchgeführten Stresstests) zunehmend von notleidenden Kreditengagements trennen müssen. Auf diese Investitionschance (Investment Opportunity29) setzen (und warten) insbesondere US-amerikanische Distressed Hedge Funds30, die vor allem in London (zum Teil auch in Frankfurt31 und München32) Büros eröffnet haben, um von dort aus den europäischen (und auch deutschen) Markt für notleidende Schuldinstrumente zu beobachten.

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Distressed Hedge Funds sind als Value Investoren besonders darauf bedacht, das ihnen anvertraute Kapital möglichst risikoarm zu investieren und zu erhalten (Capital Preservation). Sie halten daher insbesondere nach solchen Investitionsgelegenheiten Ausschau, die ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Chance und Risiko aufweisen. Fündig können sie dabei vor allem in Restrukturierungs- und Insolvenzsituationen (Distressed Situations) werden. Diesen Situationen ist nämlich gemein, dass aufgrund der oben dargestellten Effekte der Marktpreis sowohl der Eigen- als auch der Fremdkapitalinstrumente einer Unternehmensgruppe regelmäßig signifikant fällt. Die Diskrepanz zwischen Marktpreis und intrinsischem Wert kann daher – im Vergleich zu anderen Situationen, in denen es zu Unterbewertungen kommt (Value Plays) – überdurchschnittlich groß sein. Je größer die Diskrepanz, desto größer die Sicherheistmarge (“Margin of Safety”).33 Mit anderen Worten: Je billiger ein bestimmtes Instrument auf dem Markt angeboten wird, desto größer ist zum einen die Gewinnchance im Falle, dass der intrinsische Wert positiv vom Marktpreis abweicht, desto niedriger ist zum anderen allerdings auch das Verlustrisiko im Falle, dass sich der Distressed Investor verkalkuliert und einen zu hohen intrinsischen Wert angenommen hat. Distressed Hedge Funds können daher auch als Deep Value Investoren bezeichnet werden.

Überdies bieten Restrukturierungssituationen den Investoren auch eine sog. Downside Protection, die darin besteht, dass die Investoren im schlechtesten Fall (worst case scenario), d.h. bei einer Einzelliquidation des Unternehmens in einer Regelinsolvenz, eine bestimmte Insolvenzquote erhalten, vorausgesetzt sie sind – wie üblicherweise – in die ausgegebenen Fremdkapitalinstrumente der von der Insolvenz betroffenen Einzelgesellschaft investiert. Distressed Hedge Funds investieren daher auch gerne in sog. Liquidation Claims, d.h. in Forderungen gegen Gesellschaften, die im Rahmen eines Insolvenzverfahrens liquidiert werden. Denn zum einen ist die Verwirrung und Angst vieler Markteilnehmer in solche Situationen relativ groß, so dass diese Papiere teilweise mit hohem Abschlag zum Nominalbetrag und idealerweise auch zu ihrem inneren Wert handeln. Zum anderen besteht aufgrund des hohen Abschlags, der Downside Protection sowie aufgrund der Tatsache, dass das Unternehmen nicht fortgeführt wird und daher keine weiteren Verluste anhäufen kann, die Möglichkeit eines asymmetrischen Verhältnisses zwischen Chance und Risiko.34 Ähnliche Investitionsgelegenheiten können sich ←37 | 38→für Distressed Hedge Funds auch im Rahmen von Litigation-Szenarien (Litigation Claims) ergeben.

II. Catalyst und Fulcrum Securities

Ist die Downside der beabsichtigten Investition analysiert, versuchen Value Investoren im Rahmen ihres Bottom-up Analyseansatzes35 sodann deren Upside zu bestimmen, d.h. die potentielle Wertsteigerung des jeweiligen Instruments, in das investiert werden soll. Mit anderen Worten: Sobald das Risiko der Investition eingegrenzt wurde, wird das Augenmerk auf deren Gewinnchancen gelegt. Die Wertsteigerung des Investments (Upside), d.h. die Angleichung des Marktpreises an den intrinsischen Wert, geschieht in aller Regel nicht von selbst, sondern wird durch einen sog. Catalyst, d.h. ein besonderes Unternehmensereignis oder ein besonderes Ereignis im Markt, ausgelöst. Distressed Hedge Funds suchen daher vor jeder beabsichtigten Investition nach solchen sich abzeichnenden Ereignissen, die Auslöser für das „Schließen“ der sog. Value Gap zwischen zu zahlendem Marktpreis und wahrem, inneren Wert sein können (Trigger Events). Ein solcher Catalyst kann beispielsweise ganz einfach schon darin bestehen, dass dem Unternehmen wider Erwarten der anderen Marktteilnehmer genügend liquide Mittel bzw. ausreichend freier Cash Flow zur Verfügung stehen, um die Verbindlichkeiten aus den begebenen Fremdkapitalinstrumenten, die der Distressed Hedge Fund zu einem Marktpreis unter par erworben hat, vollumfänglich, d.h. samt Zinsen, zum Fälligkeitszeitpunkt begleichen zu können.36 Der Distressed Hedge Fund „wettet“37 dabei – meist ←38 | 39→entgegen der Annahmen der übrigen Marktteilnehmer38 – dann darauf, dass sich die Liquiditätssituation des Unternehmens bis zu den in den Kreditverträgen oder Anleihebedingungen (Indenture) fixierten Leistungszeitpunkten erholt. Der Investitionsentscheidung des Distressed Hedge Funds liegt dabei etwa die Annahme zugrunde, dass das Unternehmen zeitnah eine Veräußerung wesentlicher Vermögensgegenstände oder Beteiligungen an Tochtergesellschaften beabsichtigt oder dass es ihm gelingt, seine Bankkredite (in die sich der Investor mit Abschlag „eingekauft“ hat) in Gänze am Kapitalmarkt, etwa durch die Emission hochverzinslicher Anleihen (High Yield Bonds), zu refinanzieren. Möglicherweise geht der Distressed Hedge Fund auch schlicht davon aus, dass ein strategischer Investor oder ein Finanzinvestor das Unternehmen unter Ablösung seiner Schulden übernehmen wird. Aus Sicht des Distressed Hedge Funds stellt die (antizipierte) Übernahme dann den erforderlichen Catalyst dar, der für die Wertangleichung sorgt und den „versteckten“ Wert freisetzt (Unlocking Value).

Der Catalyst kann aber auch darin liegen, dass die finanzielle Passivseite der Gesellschaft restrukturiert wird und der Distressed Hedge Fund im Zuge dieser finanziellen Restrukturierung Anteile an ihr erhält, indem er seine unter par erworbenen, notleidenden Forderungen im Wege einer Sachkapitalerhöhung in sie einbringt (Debt to Equity Swap). Gleichzeitig wird die Gesellschaft durch den Debt to Equity Swap entschuldet, ihr zu leistender Kapitaldienst verringert und die Eigenkapitalquote erhöht. Allein dadurch kann der Wert der Anteile, die der Distressed Hedge Fund für seine Forderungen erhält, den Preis, den er für die notleidenden Forderungen entrichtet hat, übertreffen. Mit anderen Worten: Der Distressed Hedge Fund erhält für das billig erworbene „Debt“ im Rahmen des Debt to Equity SwapEquity“, das nach der finanziellen Restrukturierung bereits mehr wert ist als das zum discount erworbene „Debt“. Schafft die Gesellschaft darüber hinaus zeitnah den operativen Turnaround39, bedeutet dies eine weitere Steigerung des Anteilswertes.

Wird bei der finanziellen Restrukturierung nur der nicht mehr werthaltige Teil der Forderungen in Anteile an der Gesellschaft „umgewandelt“, d.h. die notleidenden Forderungen im Rahmen der Sachkapitalerhöhung nur insoweit in die Gesellschaft eingebracht, als sie nicht mehr vom Unternehmenswert (Enterprise Value) gedeckt sind40 und der noch werthaltige Teil refinanziert bzw. neu vereinbart (Reinstated Debt), dann kann der Distressed Hedge Fund seinen „Einsatz“ ←39 | 40→bereits durch die Refinanzierung bzw. Neuvereinbarung des noch werthaltigen Teils seiner unter par erworbenen Kredite oder Anleihen voll zurückerhalten. Das Unternehmen bzw. die Anteile am Unternehmensträger erhält er dann als Dreingabe (Add-on). Das bedeutet, dass der Distressed Hedge Fund selbst dann, wenn das Unternehmen nicht nach seinen Vorstellungen saniert werden kann, einen – wenn auch geringeren – Gewinn erwirtschaftet. Diejenigen Schuldinstrumente, die nicht mehr vom Unternehmenswert gedeckt sind, jedoch dennoch bei einer finanziellen Restrukturierung in Eigenkapital „gewandelt“ werden (Fulcrum Securities), weisen daher ein asymmetrisches Verhältnis von Chance und Risiko auf. Distressed Hedge Funds verwenden daher bereits vor dem Tätigen der eigentlichen Investition einen Großteil ihrer Zeit- und Personalressourcen darauf, den Wert der notleidenden Unternehmensgruppe zu bestimmen und das Fulcrum Security in der Kapitalstruktur auszumachen. Der Catalyst kann dabei auch bereits in der Verletzung der Financial Covenants, also in der Verletzung der Auflagen hinsichtlich der einzuhaltenden Finanzkennzahlen liegen. Deren Verletzung berechtigt nämlich die Kreditgeber (bzw. den Facility Agent) nach Ablauf einer gewissen „Heilungsfrist“ (Grace Period) zur außerordentlichen Kündigung des (Konsortial-)Kredits.41 Mit der außerordentlichen Kündigung sind regelmäßig sämtliche Zins- und Tilgungsansprüche der Kreditgeber zur Rückzahlung fällig. Eine finanzielle Restrukturierung (oder eine Insolvenz) ist dann in aller Regel unausweichlich.

III. Die verschiedenen Strategien von Distressed Hedge Funds

Distressed Hedge Funds warten entweder passiv ab, bis der von ihnen anvisierte Catalyst von selbst eintritt oder sie führen ihn aktiv herbei. Dementsprechend verfolgen Distressed Hedge Funds zum einen eine passive, eher kurzfristig orientierte Trading-Strategie, zum anderen eine aktive, mittel- bis langfristig orientierte Strategie, indem sie versuchen, einen finanziellen Restrukturierungsprozess auszulösen sowie Einfluss auf dessen Verlauf und Ergebnis zu nehmen42. Anders gewendet ←40 | 41→versuchen sie bei Verfolgung der aktiven Strategie, Werte zu generieren, indem sie aktiv die Angleichung des Marktpreises des zum discount erworbenen Schuldinstruments an den von ihnen hierfür durch Fundamentalanalyse ermittelten intrinsischen Wert fördern. Dieser intrinsische Wert kann dabei zum einen derjenige innere Wert sein, den die anderen Marktteilnehmer aufgrund der aktuellen Unternehmensdaten verkannt haben43, zum anderen derjenige, den das Unternehmen bzw. die Unternehmensgruppe nach den Vorstellungen des Distressed Hedge Funds idealerweise (d.h. hypothetisch) hätte, wenn es bzw. sie vollständig finanziell, operativ und strategisch saniert wäre. Der Distressed Hedge Fund kann also „zweifach“ profitieren44, wenn es ihm gelingt, nicht nur den verkannten, „versteckten“ Wert zu finden (Value Finding) und aufzudecken (Unlocking Value), sondern auch denjenigen Wert des Unternehmens zu generieren, den es idealerweise im sanierten Zustand hätte (Value Creating). Letzteres setzt allerdings voraus, dass der Distressed Hedge Fund nicht nur aktiv auf die finanzielle Restrukturierung Einfluss nimmt, sondern darüber hinaus auch das notleidende Unternehmen durch aktive Einflussnahme bei der für eine ganzheitliche Sanierung erforderlichen, sich an die finanzielle Restrukturierung anschließenden45 operativen und strategischen Restrukturierung unterstützt.46 Eine solche Einflussnahme, die sich idealerweise auch auf das operative Tagesgeschäft des Unternehmens zu erstrecken hat, kann dabei grundsätzlich47 nur gewährleistet werden, wenn es dem Distressed Hedge Fund gelingt, im Rahmen des Debt to Equity Swap eine Mehrheitsbeteiligung am Unternehmensträger zu erwerben. Distressed Hedge Funds, die dies beabsichtigen, verfolgen daher eine sog. active control-Strategie bzw. eine loan to own-Strategie, die auch als Private Equity-Strategie bezeichnet werden kann, weil es insoweit zu einer Überlappung mit derjenigen Strategie kommt, die Distressed Private Equity Funds verfolgen.

Distressed Hedge Funds sind im Hinblick auf die active control-Strategie gegenüber Distressed Private Equity Funds allerdings insoweit im Nachteil bzw. ←41 | 42→„gehandicapt“, als sie bisweilen die ihnen anvertrauten Gelder nicht für die gesamte Zeitdauer eines Restrukturierungsprozesses (an sich) binden können.48 Unter Umständen sehen sie sich daher gezwungen, ihre durch den Debt to Equity Swap erworbene Mehrheitsbeteiligung während des noch nicht abgeschlossenen Restrukturierungsprozesses zu veräußern, etwa weil einer ihrer Investoren von seinem Recht Gebrauch macht, das von ihm gewährte Kapital zurückzuverlangen. Hierbei geraten sie dann in Konflikt mit den bei Restrukturierungen typischerweise vereinbarten Lock up-Klauseln, die es den am Restrukturierungsprozess Beteiligten untersagen, für einen gewissen Zeitraum49 ihre Forderungen bzw. Schuldinstrumente zu veräußern.50 Distressed Hedge Funds, die nicht nur Werte aufdecken, sondern auch schaffen möchten, gehen daher zunehmend dazu über, Private Equity-Vehikel oder sog. Side Pockets neben ihren „liquideren“ Fondsstrukturen zu errichten, um auch eine active control-Strategie verfolgen zu können. Die Verfolgung einer active control-Strategie hat allerdings auch weitere, entscheidende Nachteile:

Bei Verfolgung dieser Strategie laufen Distressed Hedge Funds nämlich Gefahr, (zumindest teilweise) ihre sog. Trading Flexibility einzubüßen.51 Dies deshalb, weil Mehrheitspositionen im Vergleich zu Minderheitspositionen in aller Regel nicht angemessen schnell wieder geschlossen, d.h. veräußert, werden können, um entweder (Sanierungs-)Gewinne „mitzunehmen“ oder auf negative Marktentwicklungen angemessen schnell zu reagieren und Verluste zu begrenzen.52 Eine erworbene ←42 | 43→Minderheitsbeteiligung kann in aller Regel am Markt schneller platziert werden als eine Mehrheitsbeteiligung53, insbesondere dann, wenn es sich um eine Minderheitsbeteiligung an einer börsennotierten Aktiengesellschaft handelt. Eine solche kann nämlich grundsätzlich relativ rasch im Rahmen eines Block Trades an ausgewählte Investoren veräußert werden. Ebenso kann der Distressed Hedge Fund sein Risiko hinsichtlich der (Gesamt-)Zusammensetzung seines Portfolios besser diversifizieren, wenn er lediglich Minderheitsbeteiligungen eingeht. Er kann dann schlicht mehr Positionen gleichzeitig eingehen, als dies bei Mehrheitsbeteiligungen der Fall wäre.54

Um sowohl den idealen intrinsischen Wert generieren zu können als sich auch die Trading Flexibility zu bewahren55, können Distressed Hedge Funds auch lediglich den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen im Rahmen eines Debt to Equity Swap anstreben, mithin eine sog. active non-control-Strategie verfolgen und die fehlende, aber notwendige Einflussnahme auf die Geschicke der Gesellschaft, die ihnen nicht über eine Kontrollbeteiligung vermittelt wird, dadurch ausgleichen, dass sie sie auf rechtsgeschäftlichem Wege in einer Restrukturierungsvereinbarung herstellen. In Restrukturierungsvereinbarungen, die mit Distressed Hedge Funds geschlossen werden, können sich daher Regelungsgegenstände wiederfinden, die dem Distressed Hedge Fund als (künftigem) (Minderheits-)Aktionär einen gewissen Einfluss auf die Umsetzung der operativen und strategischen Restrukturierung garantieren. ←43 | 44→Zugleich hat die zu restrukturierende Gesellschaft ein Interesse daran, dass der Einfluss des Distressed Hedge Funds, insbesondere dann, wenn er im Rahmen eines Debt to Equity Swap eine Mehrheitsbeteiligung an ihr erwirbt, beschränkt wird. Überdies möchten Distressed Hedge Funds – auch dann, wenn sie lediglich Werte aufdecken und daher nur auf die finanzielle Restrukturierung Einfluss nehmen – regelmäßig die Einzelheiten ihres „Einstiegs ins Eigenkapital“, d.h. die Details des Debt to Equity Swap rechtsverbindlich vor dem Erwerb der Beteiligung durch entsprechende Abreden in der Restrukturierungsvereinbarung absichern. Restrukturierungsvereinbarungen in der hier untersuchten Art können daher sowohl mit Distressed Hedge Funds geschlossen werden, die eine active control- als auch eine active non-control-Strategie verfolgen.

Distressed Hedge Funds, die eine active non-control-Strategie verfolgen und dennoch auf die operativen und strategischen Geschicke der Gesellschaft, an der sie sich beteiligen, Einfluss nehmen, mithin nicht nur Werte freisetzen, sondern auch schaffen wollen, ähneln daher Activist Hedge Funds, die unterbewertete Aktien (großer) börsennotierter Aktiengesellschaften erwerben und als Minderheitsaktionäre versuchen, aktiv Veränderungen hinsichtlich der Unternehmensstrategie herbeizuführen.56 Activist Hedge Funds sind ebenso den Value Investoren zuzuordnen. Denn auch sie versuchen, Kapital aus Preisineffizienzen auf den Märkten zu schlagen, die durch besondere, außergewöhnliche Unternehmens- oder Marktereignisse ausgelöst werden. Gleichzeitig versuchen sie allerdings auch, eine Werte schaffende Private Equity-Strategie bei ihren Investitionen in Public Equity zu adaptieren, indem sie aktiv auf die Geschäftspolitik des Unternehmens Einfluss nehmen und nötigenfalls Druck auf das bestehende Management ausüben. Nur so können sie den idealen intrinsischen Wert generieren. Da sie typischerweise nur Minderheitsbeteiligungen erwerben, müssen sie im Gegensatz zu Private Equity Funds keine Kontrollprämie zahlen.57 Um ihren (künftigen) Einfluss abzusichern, schließen sie mit der Zielgesellschaft üblicherweise sog. Proxy Contest Settlement Agreements.58 Darin werden Abreden hinsichtlich der (künftigen) Besetzung der Gremien der Gesellschaft getroffen. Insoweit sind Proxy Contest Settlement Agreements mit Restrukturierungsvereinbarungen vergleichbar.59 Activist Hedge Funds bewahren sich ebenso wie active non-control Distressed Hedge Funds ihre Trading ←44 | 45→Flexibility, indem sie nur Minderheitsbeteiligungen eingehen, die rasch wieder veräußert werden können. Weiterhin kommt ihnen zu Gute, dass sie vor allem in Unternehmen investieren, deren Aktien an öffentlichen Märkten handeln. Trotz der damit verbundenen Volatilität profitieren sie von der Fungibilität der dort gehandelten Instrumente und daher auch von der auf diesen Märkten vorhandenen Liquidität. Charakteristisch für Distressed Investments ist hingegen ihre Illiquidität.

Distressed Hedge Funds, die lediglich eine active non-control-Strategie verfolgen, können kontrollähnlichen Einfluss auch dadurch ausüben, dass sie mit anderen Distressed Hedge Funds im Konsortium auftreten. Erwerben mehrere Distressed Hedge Funds allerdings Minderheitsbeteiligungen an börsennotierten Gesellschaften, sind ihnen ihre Beteiligungen möglicherweise gegenseitig zuzurechnen, so dass sie einerseits verpflichtet sein können, bei Überschreiten der Meldeschwellen nach §§ 21 ff. WpHG entsprechende Mitteilungen an die Gesellschaft und die BaFin abzugeben. Andererseits kann sie bei einem derartigen Acting in Concert allerdings auch die Pflicht nach § 35 Abs. 2 Satz 1, 29 Abs. 2 WpÜG treffen, allen Aktionären ein (teures) Übernahmeangebot zu unterbreiten, vgl. § 30 Abs. 2 WpÜG. Bei rechtsgeschäftlichen Absprachen liegt in der Regel gemäß §§ 22 Abs. 2 Satz 1 WpHG, 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG ein Zusammenwirken vor. Gleiches gilt im Grundsatz auch bei einem tatsächlichen Zusammenwirken, vgl. §§ 22 Abs. 2 Satz 2 WpHG, 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG. Schließen sich mehrere active non-control Distressed Hedge Funds zusammen, gerade um Private Equity-ähnlich Werte zu schaffen und nicht nur freizusetzen, wird in aller Regel ein Zusammenwirken in diesem Sinne anzunehmen sein, weil – wie oben dargestellt – der hypothetische intrinsische Wert nur geschaffen werden kann, wenn zusätzlich zu der finanziellen Restrukturierung auch eine operative und strategische Restrukturierung umgesetzt wird. Ohne dass die Distressed Hedge Funds dabei mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Gesellschaft zusammenwirken, vgl. §§ 22 Abs. 2 Satz 2 WpHG, 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG, dürfte dies kaum möglich sein.

Es sei noch darauf hingewiesen, dass viele Distressed Hedge Funds heutzutage nicht nur eine der drei Strategien alleine verfolgen, sondern abhängig von den Marktgegebenheiten flexibel von der einen zur anderen „wechseln“. Ihre interne Struktur, die häufig – wie bereits oben erwähnt – auch sog. Side Pockets vorsieht, erlaubt dies regelmäßig. Ihre long-Positionen, d.h. diejenigen Positionen, mit denen sie auf Wertsteigerungen setzen, sichern sie meist dadurch ab, dass sie bestimmte short-Positionen eingehen (Hedging). Im Distressed Bereich wird eine short-Position in aller Regel dadurch umgesetzt, dass in Bezug auf ein bestimmtes Wertpapier, das der Distressed Hedge Fund-Manager für überbewertet hält, sog. Credit Default Swaps (CDS) (gegebenenfalls auch Total Return Swaps (TRS)) erworben werden. Dies sind Derivate, bei denen der Gegenpart (Counterpart) bei Eintritt des Sicherungsfalls, meist das „Reißen“ der Financial Covenants, bisweilen auch die Insolvenzantragsstellung der betreffenden Gesellschaft, dem Inhaber des CDS einen Barbetrag in einer Höhe ausbezahlen muss, die derjenigen entspricht, mit der das in Bezug genommene (underlying) Schuldinstrument ausfällt. ←45 | 46→Sinkt der Wert des Schuldinstruments, etwa weil die Gesellschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, steigt regelmäßig der Preis des CDS. Darüber hinaus „gehen“ Distressed Hedge Fundsshort”, indem sie Derivate auf bestimmte Indices erwerben. Short-Positionen erwerben sie meist in Bezug auf Unternehmen, die in der gleichen Branche tätig sind. Dadurch, dass sie beispielsweise bestimmte notleidende Schuldinstrumente eines Unternehmens der Solarbranche erwerben, um diese im Zuge eines Debt to Equity Swap in Anteile „zu tauschen“, setzen sie auf die Wertsteigerung dieser Anteile, haben mithin eine long-Position erworben. Diese können sie nun etwa dadurch absichern, dass sie CDS von Unternehmen erwerben, die der Branche der klassischen und nicht der erneuerbaren Energien angehören.60 Denn erholen sich die Unternehmen aus der Branche der erneuerbaren Energien, ist es plausibel, dass darunter die klassischen Energieunternehmen, wie etwa Kohle- und Gaslieferanten leiden. Ferner erwerben Distressed Hedge Funds mitunter auch sog. outright short-Positionen, wenn sie überzeugt sind, dass das betreffende Unternehmen (massiv) überbewertet ist. Outright short-Positionen dienen – wie der Name schon vermuten lässt – im Gegensatz zu Hedges nicht der Absicherung von long-Positionen.

Überdies betreiben Distressed Hedge Funds auch sog. Capital Structure Arbitrage. Dabei erwerben sie short- und long-Positionen in Bezug auf das gleiche Unternehmen, jedoch an unterschiedlicher Stelle seiner Kapitalstruktur. Beispielsweise setzen sie etwa darauf, dass die Aktien einer notleidenden Gesellschaft an Wert verlieren, während sie sich gleichzeitig versprechen, dass etwa die Anleihen im Wert steigen. Oder sie setzen darauf, dass die besicherten Kredite im Wert steigen, während sie gleichzeitig annehmen, dass die unbesicherten Anleihen an Wert einbüßen. Catalyst ist hinsichtlich beider Positionen jeweils das gleiche Ereignis, etwa eine bevorstehende Refinanzierung oder Restrukturierung. Der Wertunterschied beider Positionen (Spread), etwa im Zeitpunkt des Abschlusses der finanziellen Restrukturierung, stellt dann ihren Gewinn dar.

Im Übrigen können „moderne“ Distressed Hedge Funds regelmäßig alle Kapitalinstrumente erwerben, die ein Unternehmen ausgibt. Dazu zählen etwa sämtliche Tranchen eines Konsortialkredits (insbesondere eines solchen, der im Rahmen eines Leveraged Buy-outs (LBOs) eingesetzt wurde), namentlich Term Loans, Second lien Loans (ggf. auch Third lien Loans), Revolving Credit Facilities, Mezzanine Loans, hochverzinsliche Anleihen (High Yield Bonds), Schuldscheindarlehen, Wandelschuldverschreibungen (Convertible Bonds), Hybridanleihen, Genussrechte, Profit Participation Loans (PPLs), Equity-linked Notes sowie weitere hybride Kapitalinstrumente und auch bisweilen Trade Claims.61 Seltener erwerben sie die Anteile ←46 | 47→(Equity) an einer notleidenden Gesellschaft direkt. Dies hängt damit zusammen, dass in Sanierungssituationen zumindest in faktischer Hinsicht62 der Einfluss weg von den Eigenkapitalgebern hin zu den Fremdkapitalgebern verlagert wird.63 Bei einer finanziellen Restrukturierung sitzen die Distressed Hedge Funds somit mit am Verhandlungstisch. Häufig investieren sie jedoch direkt in die Anteile an Gesellschaften, die gerade eine außergerichtliche Restrukturierung oder ein Insolvenzverfahren erfolgreich abgeschlossen haben (Post Bankruptcy oder Post Reorganisation Equity64). Dies hängt damit zusammen, dass diese Papiere von den anderen Marktteilnehmern vernachlässigt oder falsch bewertet, d.h. unterbewertet, werden. Nach erfolgreichem Abschluss einer außergerichtlichen Restrukturierung oder einer Insolvenz hat sich ein Unternehmen aber regelmäßig von seinen „Altlasten“ befreit. Eine niedrige Bewertung ist daher nicht immer gerechtfertigt. Dies machen sich Distressed Hedge Funds zunutze.

Als „distressed“ wird ein Schuldinstrument in der Regel dann bezeichnet, wenn es mit einem Abschlag von 20 % oder mehr zum Nominalbetrag handelt.65 Leveraged Loans und bilaterale Kredite erwerben Distressed Hedge Funds als sog. Non-Par Lender entweder direkt von den Par Lendern66, etwa Banken oder auch Collateral Loan Obligation-Manager (CLOs)67, oder über hierauf spezialisierte Distressed ←47 | 48→Debt-Broker, etwa die Trading Desks internationaler Investmentbanken.68 Distressed Hedge Funds setzen im Gegensatz zu klassischen Private Equity Funds nahezu kein Fremdkapital (Leverage) bei ihren Investitionen ein.69

C. Die Restrukturierungsvereinbarung als zentrales Rechtsgeschäft im außergerichtlichen Restrukturierungsprozess

I. Außergerichtliche Restrukturierungen

Außergerichtliche Restrukturierungen (Out of Court Restructurings) sind dadurch gekennzeichnet, dass sie im Gegensatz zu Restrukturierungen innerhalb eines Insolvenzverfahrens (In Court Restructurings) dem normalen zivilrechtlichen Haftungsregime unterliegen. Die insolvenzrechtlichen Majorisierungsmechanismen, ←48 | 49→vgl. etwa § 245 InsO, sind bei außergerichtlichen Restrukturierungen nicht anwendbar. Grundsätzlich ist daher erforderlich, dass sämtliche Stakeholder die außergerichtliche Restrukturierung unterstützen und ihr zustimmen. Eine Ausnahme ist nur dort zu machen, wo das Gesetz auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens vorsieht, dass einzelne Restrukturierungmaßnahmen mit (qualifizierten) Mehrheitsentscheidungen umgesetzt werden können. Dies gilt etwa für die im Rahmen der Restrukturierung von Anleihen im Katalog des § 5 Abs. 3 SchVG [2009] enthaltenen Gegenstände sowie für die einzelnen Teilschritte eines (klassischen) Debt to Equity Swap, namentlich die hierzu notwendige Kapitalherabsetzung, die sich daran anschließende Kapitalerhöhung sowie der ggf. vollständige Ausschluss des Bezugsrechts der Altgesellschafter, §§ 222 Abs. 1 Satz 1, 229, 182 Abs. 1 Satz 1, 186 Abs. 3 Satz 1 AktG, 53 Abs. 2 Satz 1, 58, 58a, 55 GmbHG. Zwar ist es bei Konsortialkrediten üblich, dass zur Änderung bestimmter Kreditbedingungen eine Zweidrittelmehrheit ausreichend ist, die für eine effektive Entschuldung einer Gesellschaft erforderlichen Maßnahmen bedürfen jedoch auch dort in aller Regel der Zustimmung aller Konsorten.70

Ferner ist insbesondere für außergerichtliche Bilanzrestrukturierungen charakteristisch, dass sie in Insolvenznähe durchgeführt werden, d.h., dass bei Scheitern derselben regelmäßig Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 InsO und/oder Überschuldung i.S.d. 19 InsO vorliegt und die betroffene Geschäftsleitung Insolvenzantrag beim zuständigen Insolvenzgericht zu stellen hat. Im Übrigen ist festzustellen, dass eine außergerichtliche Restrukturierung typischerweise immer von derjenigen Gruppe der Stakeholder vorangetrieben wird, die (noch) ein ökonomisches Interesse an ihr hat, die mithin entweder noch in the money ist, d.h. deren Schuldinstrumente oder Anteile noch (teilweise) vom Unternehmenswert (Enterprise Value) gedeckt sind oder deren Eigen- oder Fremdkapitalinstrumente mithilfe einer außergerichtlichen Restrukturierung kurz- bis mittelfristig wieder werthaltig werden können. Mit anderen Worten: Ein ökonomisches Interesse an einer außergerichtlichen Restrukturierung besteht für Stakeholder grundsätzlich immer dann, wenn der durch eine Restrukturierung wieder hergestellte prognostizierte Unternehmenswert bei einer Bewertung zu Fortführungswerten (Going Concern), vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, (zumindest teilweise) ihre Forderungen bzw. Anteile wertmäßig (wieder) abdeckt.

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II. Inhalt von Restrukturierungsvereinbarungen/Regelungsgegenstände

Eine Restrukturierungsvereinbarung ist das zentrale Rechtsgeschäft einer außergerichtlichen Restrukturierung. Durch sie werden die einzelnen, von den jeweiligen Stakeholdern und der Gesellschaft zur Überwindung ihrer finanziellen, operativen und ggf. auch strategischen Krise zu leistenden Sanierungsbeiträge gebündelt und zu einem Ganzen zusammengefügt, mithin das zur Erlangung einer positiven Sanierungsaussage in einem IDW S6-Gutachten71 ermittelte, ganzheitliche, idealerweise sich aus finanziellen, operativen und strategischen Restrukturierungsmaßnahmen zusammensetzende Restrukturierungskonzept auf eine vertragliche Grundlage gestellt. In einer Restrukturierungsvereinbarung werden demnach in rechtsverbindlicher Weise diejenigen Sanierungsbeiträge der einzelnen Stakeholder und der Gesellschaft festgelegt, die zur Wiedererlangung ihrer Wettbewerbsfähigkeit, d.h. zur Wiederherstellung von branchenüblichem Eigenkapital sowie zur Wiederherstellung ihrer Rendite- und Kreditfähigkeit notwendig sind. Inhalt einer Restrukturierungsvereinbarung können folglich sowohl finanzielle als auch operative und strategische Restrukturierungsmaßnahmen sein. Durch eine Restrukturierungsvereinbarung verpflichten sich die Stakeholder und die Gesellschaft zur Umsetzung der jeweils erforderlichen Restrukturierungsmaßnahmen.

1. Finanzielle Restrukturierungsmaßnahmen

Ziel finanzieller Restrukturierungsmaßnahmen ist die Überwindung einer Liquiditätskrise. Durch die Implementierung finanzieller Restrukturierungsmaßnahmen soll insbesondere die im IDW S6-Gutachten ermittelte Zielkapitalstruktur, die zur Gewährung einer positiven Sanierungsaussage erforderlich ist, umgesetzt werden.

Eine Liquiditätskrise ist typischerweise dadurch geprägt, dass ein Unternehmen nicht mehr die zur (mittelfristigen) Aufrechterhaltung seines laufenden Geschäftsbetriebes sowie nicht mehr die nach seiner Liquiditätsplanung zur Erfüllung seiner mittelfristig fälligen Verbindlichkeiten notwendige Liquidität generieren kann, mithin eine Liquiditätsunterdeckung vorliegt. In einer Liquiditätskrise sind die ←50 | 51→in den Kreditverträgen verabredeten Financial Covenants72 in aller Regel bereits verletzt. Ohne finanzielle Unterstützung von außen mündet eine Liquiditätskrise kurz- bis mittelfristig regelmäßig in der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gemäß § 17 InsO, d.h. in einer (materiellen) Insolvenz. Finanzielle Restrukturierungsmaßnahmen zur Überwindung der Liquiditätsunterdeckung können dabei – insbesondere seitens der Fremdkapitalgeber – in der Stundung einzelner Zins- und ←51 | 52→Tilgungsleistungen, im Verzicht auf Kündigungsrechte (Waiver), die durch die (mehrmalige) Verletzung von Financial Covenants entstanden sind, in der schlichten Nichtausübung von Kündigungsrechten (sog. faktisches Stillhalten73), in der Suspendierung von Kündigungsrechten durch den Abschluss einer Stillhaltevereinbarung, in der Anpassung der Financial Covenants, in der Kapitalisierung von Zinsen (Payment in Kind, PIK), in der Prolongation von Krediten74, in einer Neuvereinbarung der „alten“ bilateralen Kredite bzw. in einer Überführung verschiedener bilateraler Kredite in einen vereinheitlichenden Konsortialkredit (Reinstated Debt) sowie in der Bereitstellung und Ausreichung von Überbrückungs- und Sanierungskrediten liegen.

Insbesondere Distressed Hedge Funds reichen immer häufiger auch „frisches“ Fremdkapital in Form von Überbrückungs- und Sanierungskrediten an Gesellschaften aus, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden. Sie erwerben also nicht nur auf den Sekundärmärkten die notleidenden Schuldinstrumente anderer Fremdkapitalgeber, sondern betreiben mitunter auch sog. Direct Lending auf dem Primärmarkt. Dadurch versuchen sie, die Lücke zu schließen, die traditionelle Kreditgeber, wie etwa Banken, u.a. aufgrund der Basel III-Regelungen hinterlassen.75 Zu beobachten ist auch, dass als Krisenkreditgeber neben den Distressed Hedge Funds auch reine sog. Debt Funds am Markt in Erscheinung treten.76 Diese bieten nicht nur Rescue Financing an, sondern beteiligen sich etwa auch bei Akquisitionskrediten, indem sie u.a. sog. Unitranche-Kreditlinien77 ←52 | 53→bereitstellen.78 Während die gewährten Überbrückungskredite (sog. Interim Financing) häufig ebenso im Rahmen der verabredeten Debt to Equity Conversion in Eigenkapital „umgewandelt“ werden, bilden die ausgereichten Sanierungskredite regelmäßig einen Teil der Reinstated Debt, mithin einen Teil der neuen, restrukturierten Passivseite der Gesellschaft. Die Investoren verlangen jedoch neben einer Verzinsung der Kredite häufig auch eine vorrangige, sog. Super Senior-Behandlung ihrer Forderungen aus dem Sanierungskredit gegenüber den Forderungen aus dem (neu vereinbarten) Konsortialkredit bzw. aus sonstigen stehengelassenen bilateralen Krediten (Senior-Kredite). Diese Super Senior-Behandlung wird regelmäßig auch eine vorrangige Besicherung der Forderungen aus dem Sanierungskredit beinhalten.

Ferner sind in einer Liquiditätskrise typischerweise die Passiva nicht mehr durch die Aktiva gedeckt, so dass eine handelsbilanzielle Überschuldung vorliegt, die gemäß § 268 Abs. 3 HGB als „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ gesondert auf der Aktivseite der Bilanz auszuweisen ist.79 Die handelsbilanzielle Überschuldung allein stellt jedoch noch keinen Insolvenzeröffnungsgrund i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO dar.80 Überschuldung setzt gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vielmehr voraus, dass (i) die Aufstellung einer stichtagsbezogenen Überschuldungsbilanz (sog. Überschuldungsstatus) eine rechnerische Überschuldung ergibt und (ii) keine positive Fortführungsprognose gestellt werden kann (sog. modifizierter zweistufiger Überschuldungsbegriff81).82 Die oben genannten finanziellen ←53 | 54→Restrukturierungsmaßnahmen zur Beseitigung einer Liquiditätsunterdeckung eignen sich nicht gleichermaßen zur Beseitigung einer eingetretenen rechnerischen Überschuldung. Bei einer Stundung der Zins- und Tilgungsleistungen bleiben die bestehenden Verbindlichkeiten voll passiviert. Bei der Kapitalisierung von Zinsen sowie bei der Gewährung von Überbrückungs- und Sanierungskrediten werden die Passiva gar erhöht, so dass die Fremdkapitalgeber zur Überwindung einer rechnerischen Überschuldung andere Sanierungsbeiträge leisten müssen. Derartige geeignete Restrukturierungsbeiträge können etwa ein Rangrücktritt der Kreditgeber mit ihren Forderungen aus dem Kreditverhältnis gegenüber allen Forderungen der Insolvenzgläubiger nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO, die Zustimmung zur Übertragung von Verbindlichkeiten auf einen Dritten, ein Debt to Equity Swap, ein Debt Hive-up83 (bzw. Debt Push-up), ein Debt Push-down84, ein ←54 | 55→Forderungsverzicht mit Besserungsschein85 oder einfach der Erlass von Forderungen sein.86

Die Eigenkapitalgeber können zur Überwindung einer Liquiditätskrise zum einen durch Leistungen ohne Auswirkungen auf das gezeichnete Kapital, zum anderen mit Auswirkungen auf das gezeichnete Kapital beitragen. Zu ersteren zählen beispielsweise Gesellschafterdarlehen, Patronatserklärungen, Forderungsverzichte, Rangrücktritte, Einzahlungen in die Kapitalrücklage sowie ebenfalls Zahlungsaufschübe, Stundungen und Standstill-Vereinbarungen. Letztere umfassen hingegen etwa effektive Kapitalerhöhungen, Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln sowie Kapitalherabsetzungen.87 Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch, dass in einer Liquiditätskrise die Gesellschafter auf Verlangen der Banken häufig ihre Gesellschaftsanteile einer sog. doppelnützigen Treuhand(-Gesellschaft) übertragen, die die Anteile sowohl zugunsten der (ehemaligen) Gesellschafter als auch zugunsten der Banken (ggf. auch zugunsten der Lieferanten) nach Maßgabe des Sicherheitentreuhandvertrages verwaltet sowie im dort festgelegten Sicherungsfall verwertet und den Verwertungserlös – ebenso nach Maßgabe des Treuhandvertrages – an die Sicherungsgläubiger auskehrt. Finanzielle Restrukturierungsmaßnahmen, die von der Gesellschaft zur Überwindung einer Liquiditätskrise selbst (jedoch nicht zwingend von ihr alleine) vorzunehmen sind, können etwa in der Auslagerung von Aktiva sowie im Factoring und in der Forfaitierung88, im Rückkauf von Verbindlichkeiten (Debt Buy Backs)89, in der Vereinbarung neuer Kredite sowie in der Neuvereinbarung der alten Kredite (Reinstated Debt), im sog. Asset Stripping, d.h. in M&A-Transaktionen zu Restrukturierungszwecken90, in der Emission von (neuen) Anleihen, von Wandelanleihen (Convertible Bonds), Hybridanleihen sowie Pflichtanleihen (Contingent Convertible (CoCo) Bonds) bestehen.

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Häufig wird Teil des in der Restrukturierungsvereinbarung festzulegenden finanziellen Restrukturierungskonzepts eine Mixtur aus den oben genannten Maßnahmen sein. Ferner wird es regelmäßig nötig sein, dass während der Verhandlungen zur Restrukturierungsvereinbarung zwischen der Gesellschaft und vor allem den Fremdkapitalgebern eine Stillhaltevereinbarung abgeschlossen wird oder dass diese für einen gewissen Zeitraum auf die Ausübung ihrer Kündigungsrechte verzichten. Andernfalls bestünde stets die Gefahr, dass ein Insolvenzgrund i.S.d. §§ 17, 19 InsO vorliegt und die Geschäftsleitung Insolvenzantrag zu stellen hätte, möchte sie sich nicht haftbar machen. Zeitintensive, außergerichtliche Verhandlungen wären unter diesen Vorzeichen nicht möglich. Ist ein aktivistischer Distressed Hedge Fund unter den Fremdkapitalgebern, ist regelmäßig davon auszugehen, dass dieser sowohl die Vereinbarung eines Debt to Equity Swap oder eines Debt to Asset Swap als auch die Neuvereinbarung der alten Kredite (Reinstated Debt) forcieren wird91, so dass im Folgenden besonderes Augenmerk auf diese finanziellen Restrukturierungsmaßnahmen gelegt wird. Besteht ein Teil der Finanzverbindlichkeiten aus Anleihen, sind auch diese in das zu vereinbarende finanzielle Restrukturierungskonzept bestehend aus Debt to Equity Swap und Reinstated Debt mit einzubeziehen.92 Im Hinblick auf die zu vereinbarenden, erforderlichen Maßnahmen zum Erreichen der ermittelten Zielkapitalstruktur ist es im Falle der Restrukturierung einer typischen LBO-Finanzierung93 ←56 | 57→in aller Regel nicht notwendig, dass sich auch die Gesellschafter in der Restrukturierungsvereinbarung zu Beiträgen verpflichten. Denn regelmäßig werden deren Anteile, d.h. diejenigen der HoldCo an den operativen Gruppengesellschaften (OpCos), bereits im Rahmen der ursprünglichen Akquisitionskreditgewährung den Kreditgebern verpfändet. Die Vollstreckung in das Pfandrecht94 ist regelmäßig ohne den Willen der Anteilseigner möglich. In der Restrukturierungsvereinbarung sind daher nur die einzelnen Umsetzungsschritte festzulegen, die die Konsortialkreditgeber – vertreten durch den Facility Agent95 – und der Security ←57 | 58→Agent96 zur Verwertung des Pfandrechts an den Anteilen (Enforcement Sale) vorzunehmen haben.97

Die Implementierung eines Debt to Equity Swap erfolgt dadurch, dass zunächst eine Kapitalherabsetzung (auf Null) durchgeführt wird, sodann eine Sachkapitalerhöhung, regelmäßig unter (vollständigem) Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts der Altgesellschafter, §§ 182, 186 Abs. 3 Satz 2 AktG (analog), 55 GmbHG, wobei die zeitlich vorgelagerte Kapitalherabsetzung in aller Regel als vereinfachte Kapitalherabsetzung beschlossen wird (sog. Kapitalschnitt98 gem. §§ 229 ff. AktG, ←58 | 59→58a ff. GmbHG).99 Die Gläubiger bringen im Rahmen der Sachkapitalerhöhung ihre notleidenden Forderungen zum Zeitwert100 in die Gesellschaft ein, § 398 BGB. Die Sachkapitalerhöhung kann von einer weiteren effektiven Kapitalerhöhung und der Begebung von Wandelschuldverschreibungen flankiert werden.101 Von Letzterem wird insbesondere bei der Restrukturierung von Anleihen Gebrauch gemacht. Die eingebrachten Forderungen der Gläubiger gehen durch Konfusion unter. Alternativ können die Altgesellschafter ihre Anteile auch direkt auf die Gläubiger übertragen, die im Gegenzug nach § 397 Abs. 1 BGB auf ihre Forderungen verzichten.102 Zur Abfederung des Differenzhaftungsrisikos kann ein Debt to Equity Swap auch dadurch implementiert werden, dass die Gläubiger ihre Forderungen auf einen Dritten, etwa eine neu zu gründende HoldCo oder eine Treuhandgesellschaft, übertragen, die die Forderungen im Rahmen der Sachkapitalerhöhung in die Gesellschaft einbringt, die neuen Gesellschaftsanteile zeichnet bzw. übernimmt und sodann den Gläubigern überträgt. Diese Restrukturierungsalternative wird typischerweise als RIVA-Lösung bezeichnet (Rescue Investment Alternative Vehicle).

Details

Seiten
458
Erscheinungsjahr
2019
ISBN (PDF)
9783631797389
ISBN (ePUB)
9783631797396
ISBN (MOBI)
9783631797402
ISBN (Hardcover)
9783631792483
DOI
10.3726/b15955
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (August)
Schlagworte
Debt to Equity Swap Aktienrecht Financial Restructuring Außergerichtliche Restrukturierung Leveraged Finance Debt to Asset Swap
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 458 S.

Biographische Angaben

Jan-Philipp Heinzmann (Autor:in)

Jan-Philipp Heinzmann ist Rechtsanwalt und Senior Legal Counsel bei einem internationalen Finanzinvestor in München mit einem Fokus auf grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen, Leveraged Finance sowie Structured Finance und Debt Capital Markets. Zuvor war er bei einer internationalen Rechtsanwaltskanzlei im Bereich Financial Restructuring tätig.

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Titel: Restrukturierungsvereinbarungen mit Distressed Hedge Funds