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Arbeitsbuch Judith Kuckart

Erzählen – Theater – Tanz

von Johanna Canaris (Band-Herausgeber:in) Stefan Elit (Band-Herausgeber:in)
©2022 Andere 358 Seiten
Reihe: Literarisches Leben heute, Band 9

Zusammenfassung

In diesem Arbeitsbuch werden die Wege der 1959 in Westfalen geborenen und heute v.a. in Berlin lebenden Judith Kuckart zurückverfolgt – und zwar in den Gattungen Prosa, Theater, Hör-Feature und Film sowie im Bereich Tanz: In all diesen Gattungen hat die Künstlerin seit den 1980er Jahren ein umfassendes OEuvre entwickelt. Im vorliegenden Band werden erstmals alle ihre Schaffensbereiche thematisiert und in ihren Zusammenhängen betrachtet. Dies geschieht mittels wissenschaftlicher Essays, künstlerischer und persönlicher Kurzbeiträge sowie ausführlicher Gespräche mit Judith Kuckart. Ihr künstlerisches Leben und Werk wird auf diese Weise in seinen vielfältigen Aspekten erfasst und der wissenschaftlichen und kulturellen Öffentlichkeit präsentiert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Prologe
  • Sieben Sätze mit Datum (Judith Kuckart)
  • Poesie in Bewegung – Wege ins Werk (Johanna Canaris/Stefan Elit)
  • Übernächstes Jahr in Dortmund. Ein Brief (Michael Hagner)
  • Texte, Stimmen, Räume. Bemerkungen zu Judith Kuckarts Stimmenräumen (Friederike Roth)
  • Judith Kuckart und Norbert Lammert in Berlin und wo ist die Heimat, in Westfalen? Gespräch am 29. September 2020
  • Erster Weg – Prosa
  • Poetik des Begehrens. Annäherung an Judith Kuckarts Figuren des Zurückbleibens (Eva Stubenrauch)
  • (Er)Zählen, was im Leben nicht war. Ein Lektüreversuch (Hannes Krauss)
  • Verflechtendes Erzählen von Glücksuche und Unglück: Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück (Stefan Elit)
  • „Ich gehe durch andere Räume. Ich gehe durch eure Träume.“ – (Nicht-)Orte der Liebe in Judith Kuckarts Kein Sturm, nur Wetter (Rita Morrien)
  • Lebensgeschichte und Neuro-Diskurs in Kein Sturm, nur Wetter von Judith Kuckart (Klaus Schenk)
  • Im Gespräch: Kein Sturm, nur Wetter und Beziehungen zur Literatur
  • Der Flur (Marcel Beyer)
  • Das Suchen die Klinge, jedes Werk ein Schnitt im Polsterschonbezug (Max Christian Graeff)
  • Judith Kuckart lesen: Im Standschwebeflug (Elke Schmitter)
  • Peter Stamm
  • Zweiter Weg – ‚Übersetzungen‘ in Theater, Hörspiel, Film
  • Der er-zählte Raum. Zu Judith Kuckarts Theatertexten (Johanna Canaris)
  • ‚Abgrund Mensch‘: Judith Kuckarts Um- und Weiterschriften der ‚westfälischen Heimatdichterin‘ Annette von Droste-Hülshoff (Rita Morrien)
  • Wo die Sprache endet, beginnt der Klang? Judith Kuckarts Kunst des Features (Vera Mütherig)
  • Schweigen, Erzählen (und Lieben). Judith Kuckarts Roman Lenas Liebe (2002) und seine Verfilmung Bittere Kirschen (2011) (Norbert Otto Eke)
  • Judith Kuckart im Gespräch mit Schauspieler*innen der bremer shakespeare company - am 14.11.2020 per Videokonferenz -
  • Dreimal ‚Heimat‘ erzählt (Norbert Hackbarth)
  • Da fällt der Tag in den Satz, oder: Geruch von Regen. Notizen zu Judith Kuckart (Jan Hein)
  • Judith Kuckart. Eine Theater-Freundschaft (Merula Steinhardt-Unseld)
  • Durch die Lappen gegangen (Bibiana Beglau)
  • Das Erinnerte, das Biographische und die inszenierte Wirklichkeit. Reflexionen zu dem Roman Lenas Liebe und zu dem Kinospielfilm Bittere Kirschen (Didi Danquart)
  • Dritter Weg – Tanz
  • Politische Körper. Judith Kuckart und das TanzTheater Skoronel (Johannes Odenthal)
  • Libby Farr
  • Umkehrung (Jochen Heckmann)
  • TanzTheater Skoronel – Der Pas de Frosch und Vincent (Katja Lange-Müller)
  • Spuren (Bettina Wagner-Bergelt)
  • Die Autorinnen und Autoren
  • Referenzbibliographie Judith Kuckart

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Judith Kuckart

Sieben Sätze mit Datum

Am 17. Juni, damals Tag der Deutschen Einheit, wurde ich geboren und wuchs in einem rosa Haus neben einer Waschmaschinenfabrik auf. Meine Mutter legte mich im Hof unter einen Apfelbaum. Ich blieb das einzige Kind.

Am 2. Juni 1967 saß ich im rosa Trikot des örtlichen Kinderballetts vor der Tagesschau. Benno Ohnesorg war erschossen worden. Ich schlug meinem Vater gleich nach der Meldung auf’s Knie: Papi, wenn ich groß bin, erschieß ich dich auch.

1977, als Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim gerade noch lebten, schenkte mir meine Großmutter, Fließbandarbeiterin in einer Fabrik für Babybadewannen aus Plastik, zum Abitur 1.000 DM: Mach was draus, sagte sie und stellte ein Glas mit Kunsthonig auf das Sparbuch.

1989 stand ich mit meinem TanzTheater Skoronel in der Oper Duisburg zum letzten Mal als Tänzerin auf der Bühne. Die Musik zu einem ‚Ballett‘ über Frauen, die aus politischen Gründen morden, kam von den Einstürzenden Neubauten. Choreografie und Texte waren von mir. So ist dann alles gekommen. Eine wichtige und schüchterne Verlegerin saß im Publikum und meinte: Sie könnten auch mal einen Roman schreiben, Judith.

Seit 1990 sind meine Schuhe flacher geworden, Hausflure riechen nicht mehr nach Bohnerwachs, und ich will auch aus politischen Gründen niemanden mehr erschießen. Ich glaube jetzt an Begabung und Zeitgenossenschaft und habe seit dem Treffen mit der schüchternen Verlegerin zehn Romane geschrieben, weil ich Geld verdienen muss und weil ich sterben muss.

Anfang 2020 hat mitten im Corona-Alltag das TanzTheater Skoronel in ähnlicher Besetzung wie damals in Duisburg für ein Reload zusammengefunden: Um von Lebensläufen zu erzählen mit den Mitteln des Tanzes, von inneren und äußeren Haltungen, die Halt geben. Reload ist eigentlich Ihr elfter Roman, Judith, würde die schüchterne Verlegerin vielleicht sagen.

Am 17. Juni 2021 weiß ich noch keinen Titel für diesen tatsächlich elften Roman, der im nächsten Frühjahr erscheinen wird. Aber ich weiß, ab jetzt habe ich noch zwanzig grandiose Sommer vor mir – oder?←11 | 12→

TanzTheater Skoronel 1985–1998

Abb. 1:Vincent fressen ihn die Raben (1989) – © Burkhard Peter

Abb. 2:Vincent fressen ihn die Raben (1989) – © Burkhard Peter

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Abb. 3:Das Lächeln der Ophelia (1991) – © Burkhard Peter

Abb. 4:Last Minute, Fräulein Dagny (1995) – © Burkhard Peter

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Tanztheater Skoronel „Reloaded“ 2021

Abb. 5:Probenfoto (2021) – © Alice Bleistein

Abb. 6:Probenfoto (2021) – © Alice Bleistein

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Abb. 7:Probenfoto (2021) – © Alice Bleistein

Abb. 8:Probenfoto (2021) – © Alice Bleistein

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Johanna Canaris/Stefan Elit

Poesie in Bewegung – Wege ins Werk

Judith Kuckarts Werk ist in mehrfacher Weise ‚Poesie in Bewegung‘, denn zum einen bewegt sich die Künstlerin biographisch in und mit ihrer Arbeit durch Deutschland und Europa. Dabei gerät die Herkunft aus Schwelm nie ganz aus dem Blick, und auf diesem Weg wird immer wieder auch generell ‚Heimat‘ gesucht und erforscht. Eine aktuelle ‚Wegmarke‘ in diesem Zusammenhang war der Aufenthalt als erste Stadtbeschreiberin in und für Dortmund im Jahr 2020, der einen wichtigen Anlass zu diesem Arbeitsbuch geboten hat. Den Aufenthalt vor Ort hat Judith Kuckart genutzt, um in ihr eigenen künstlerischen Formen, die nicht nebeneinander, sondern gemeinsam entstehen und ein synergetisches Gewebe bilden, weiterzuarbeiten.

Daraus ergibt sich, zum anderen, eine weitere Ebene der ‚Bewegung‘ in Judith Kuckarts Werk, denn ihre Poesie bewegt sich durch die unterschiedlichen Ausdrucksformen: Gedanken und Ideen werden ausprobiert, angereichert und transportiert, dieser Prozess setzt sich dauernd fort, entwickelt sich weiter und enthält überdies ein immenses Angebot an die Rezipient*innen. So hat sie an einem Roman, der in Dortmund angesiedelt sein soll, geschrieben, einen Hörfilm mit Laien und professionellen Schauspielern erarbeitet sowie die Wiederzusammenführung ihres Ensembles TanzTheater Skoronel vorbereitet – und dies alles an einem Ort in Westfalen, ihrer Herkunftsregion, in die sie als ‚Wandermensch‘ (ein Ausdruck der Autorin) immer wieder zurückkehrt und von wo aus sie sich auch verortet.

Zur Anlage dieses Arbeitsbuchs

Judith Kuckarts unterschiedliche Wege in den Gattungen Prosa, Theater, Film, Hör-Feature sowie im Bereich Tanz, sollen in diesem Arbeitsbuch skizziert werden, es soll ihre ‚Poesie in Bewegung‘ sichtbar werden. In allen diesen Gattungen bzw. Bereichen hat Judith Kuckart ein umfassendes Œuvre aufzuweisen (z.B. bald zehn Gegenwartsromane, ein gutes Dutzend Theaterarbeiten, über fünfzehn Tanzproduktionen und gut ←17 | 18→zwanzig Hörspiele bzw. Hör-Features), und im vorliegenden Arbeitsbuch sollen sie zum ersten Mal allesamt thematisiert und nach Möglichkeit in ihren Zusammenhängen betrachtet werden. Dafür bietet sich das Format eines Bandes in der Reihe Literarisches Leben heute besonders an, da in dieser Reihe neben wissenschaftlichen Beiträgen auch künstlerische und persönliche Beiträge sowie ausführliche Gespräche ihren Platz haben. Da sich an dem Band viele Künstler*innen beteiligt haben, die von Spiel, Vortrag und Theater kommen, enthalten übrigens einige ihrer Texte gewissermaßen auch Spuren von Performanz, was für uns einen besonderen Reiz ausmacht und der Autorin hoffentlich noch einmal anders gerecht wird. Ein weiterhin hoch aktives künstlerisches Leben und Werk wie das von Judith Kuckart ließ sich so insgesamt in vielfältigen Aspekten erfassen und der wissenschaftlichen und kulturellen Öffentlichkeit besser bekannt machen.

Der vorliegende Band will dabei drei wesentliche Wege des Werks bzw. ins Werk von Judith Kuckart verfolgen: Der erste Weg ist der ihres unmittelbar erzählerischen Schaffens, das den heute vermutlich bekanntesten Teil ihres Werks ausgebildet hat, und zwar durch die erwähnte große Zahl an Romanen, aber auch eine Reihe prägnanter Erzählungen, die an verschiedensten Stellen veröffentlicht sind.

Als zweiter Weg, in sich verzweigt oder vielsträngig, erscheinen die von Judith Kuckart und anderen vorgenommenen ‚Übersetzungen‘ ihres Erzählens in die Medien Theater, Hörspiel und Film. Mit dieser Perspektive soll allen drei Medien bzw. genuinen Gattungen natürlich auf keinen Fall die Eigenständigkeit abgesprochen werden, es erscheint jedoch bezeichnend für Judith Kuckarts Schaffen, dass ihren Arbeiten mit diesen Medien bzw. in diesen Bereichen immer wieder erzählerische Werke vorangegangen sind, die für die Bühne, den Rundfunk oder den Film adaptiert worden sind.

In dieser Weise könnte auch der dritte Weg, der Tanz, mit einigem Recht als einer der Adaption oder ‚Übersetzung‘ von Erzähltem perspektiviert und schlichtweg in die Kunstgattungsfolge des zweiten Wegs eingereiht werden, aufgrund der besonderen Qualität und Quantität von Tanztheaterproduktionen in Judith Kuckarts Schaffen und aufgrund der starken Eigen-Art von Tanz überhaupt erscheint uns die Absonderung in einen eigenen Bandabschnitt jedoch geboten.←18 | 19→

Eine Werk- und Forschungs-Bibliographie mit Stand Juli 2021 beschließt den Band, unser Arbeitsbuch, von dem wir hoffen, dass es nicht nur Einblicke gewährt, sondern auch zu eigenen Wegen der Begegnung mit dem Werk Judith Kuckarts anregen mag.

Ein neuer Weg: Hörde Mon Amour (2020)

Der eingangs erwähnte Hörfilm Hörde Mon Amour1 ist einerseits eine für Judith Kuckart neue Ausdrucksform, in der sich andererseits aber viele bisherige Werklinien bzw. die genannten Wege ihres Werks kreuzen. Diesen Hörfilm als ganz aktuelle Arbeit der Künstlerin möchten wir deshalb an dieser Stelle exemplarisch kurz vorstellen. Rein äußerlich ist er aus der Corona-bedingten Unmöglichkeit, ein Erzähltheaterprojekt umzusetzen, entstanden und damit ein Zeugnis der Herausforderungen, denen wir alle uns stellen mussten. Judith Kuckart hat diese Begrenzung (die sich in unserem Arbeitsbuch darin widerspiegelt, dass Gespräche und Interviews per Videokonferenz geführt wurden) jedoch genutzt, um einen neuen Weg zu gehen und eine weitere künstlerische Ausdrucksform für sich zu finden. Bezeichnend ist, dass Judith Kuckart auch für den Film einen eigenen Weg findet, der das Erzählen, welches auf vielfältige Weise die Basis ihrer künstlerischen Arbeit ausmacht, in den Vordergrund stellt. Das Thema ‚Heimaten‘, das sich ebenfalls durch Judith Kuckarts Arbeiten zieht, ist ein zentrales Moment des Films – der quantitativ längste Teil des Filmes wird mit diesem (gesprochenen) Zwischentitel eingeleitet (29:47).2

Es finden sich außerdem viele Verknüpfungen mit anderen Werken Kuckarts, die auch in diesem Arbeitsbuch eine Rolle spielen. Da Dortmund, und darin ‚eingemeindet‘ Hörde, als Verortung für uns eine vorläufige, durch die Entstehungszeit dieses Arbeitsbuches gewählte ‚Wegmarke‘, ein ←19 | 20→kurzes Moment des Innehaltens, darstellt, von der aus in diesem Arbeitsbuch die unterschiedlichen Wege in Prosa, Drama und Tanz (zurück)verfolgt werden, soll an dieser Stelle der Film, der ein Ergebnis eben dieser ‚Wegmarke‘ darstellt sowie möglicherweise auch den Beginn einer neuen künstlerischen Ausdrucksform, etwas genauer betrachtet werden.

Das Erzählen in Hörde Mon Amour ist ein ge- und verdoppeltes auf den unterschiedlichsten Ebenen. Der Film besteht zum einen aus Sequenzen, in denen Menschen aus Dortmund-Hörde, im Abspann als „Heimat-Experten“ bezeichnet, sich, ihre Heimat und ihre Beziehung zu eben dieser beschreiben. Diese finden sich zu Beginn (0:16–2:22), in der Mitte (14.51–20:20) sowie am Ende des Filmes (1:00:59–1:04:47). Die anderen Teile des Films bestehen aus Filmbildern, von einer Drohne aufgenommen, die zu sehen sind, während eine Schauspielerin (Marlena Keil), ein Schauspieler (Ekkehard Freye) und Judith Kuckart selbst Texte sprechen. Dabei sind die Filmbilder niemals Illustrationen der Texte, sondern es entsteht ein doppeltes Erzählen auf unterschiedliche Arten. So bereits in der ersten Einstellung (0:16–2:22): Es ist eine der Heimat-Expert*innen zu sehen und zu beobachten, während sie selbst und die Zuschauer*innen ihre zuvor eingesprochene Hörde-Geschichte in ihren eigenen Worten und mit ihrer eigenen Stimme hören. Die Geschichte ist so sowohl auditiv präsent als auch in der Reaktion der Erzählerin im Bild auf eine gedoppelte Art visuell. Wir sehen nicht beim Erzählen zu, sondern dabei, wie jemand die eigene Erzählung hört. So wird deutlich, dass Geschichten persönlich sind, mit Menschen verbunden sind, sich jedoch in dem Moment, in dem sie erzählt werden, zugleich verselbstständigen und in eine größere gemeinsame Erzählung eingehen, die die Erzählerin in der medialen Brechung der Tonaufnahme ebenfalls erfährt. Dieser Technik bedient sich der Film auch zum Ende, an dem noch einmal Laien zu Wort kommen. Auf diese Weise entsteht trotz der räumlichen Trennung und medialen Vermittlung ein gemeinsamer Text dieser unterschiedlichen Menschen aus Dortmund-Hörde.

Dieser gemeinsame Text aus vielen einzelnen Stimmen wird im Weiteren durch die Erzählungen ergänzt, die von Schauspielerin und Schauspieler sowie von Judith Kuckart gesprochen werden. Auch hier wird mit einer Technik der Verdopplung gearbeitet. Die Stimme der Erzähler*innen ist zu hören, doch wird in diesem Fall kein Gesicht dazu gezeigt. Auch ist die Erzählung auf mehrere Stimmen verteilt, die sich zum Teil ergänzen, ←20 | 21→unterschiedliche Aspekte übernehmen und vor allem im dritten Abschnitt miteinander ins Gespräch kommen, so dass es sich letztlich um eine gemeinsame Erzählung handelt. Den Hauptteil des Films (2:22–1:00:58), der aus Drohnenbildern und Erzählung besteht, kann man grob in drei Abschnitte einteilen. Allen gemeinsam ist, dass die Dopplungen nicht nur visuell-auditiv, sondern auch in einer Zeitverschiebung stattfinden. Zunächst wird die Geschichte der Familie aus dem „Winterberg“ (von allen Sprecher*innen durchgehend mit dem weichen „g“ des rhein-ruhrischen Idioms ausgesprochen, auch darin liegt ein Stück Heimat) in Dortmund erzählt, wie sie sich in den 1960er Jahren ereignet hat, zu Beginn genau auf den Aufenthalt des Kindes Judith Kuckart im Sommer 1968 festgelegt. Diese persönliche Lebensgeschichte wird ergänzt durch Passagen, die sich im zweiten Abschnitt zunächst mit der Geschichte Hördes verbinden (20:20–29:45), und im dritten (29:47–59:23) dann durch Reflexionen über Heimat. Gleichsam geerdet wird alles durch Ansichten von Hörde.

Diese setzen ein mit Bildern der Siedlung am Winterberg (2:22), in ihrem heutigen Zustand – im Übrigen gibt es in direkter Nachbarschaft auch noch einen „Sommerberg“ –; von einer Drohne aus der Vogelperspektive aufgenommen, später im Inneren eines Hauses. Bevor der erzählte Text einsetzt, hört man eine gesummte Melodie (2:30–2:40), diese wird leitmotivisch immer wieder auftauchen, später auch von einem Klavier gespielt. Auch hier wird eine Spur gelegt, es tauchen Textzeilen auf, doch erst ganz am Ende des Films wird aufgelöst, worum es sich handelt, nämlich um eine Vertonung des Annette-von-Droste-Hülshoff-Gedichts Die todte Lerche. Damit wird zum einen ein wiederkehrendes Motiv im Film eingeführt und zum anderen sehr subtil an eine literarische Tradition angeknüpft3 – beides Techniken, die sich durch Judith Kuckarts gesamtes Werk ziehen.

Details

Seiten
358
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631863480
ISBN (ePUB)
9783631863497
ISBN (Hardcover)
9783631843079
DOI
10.3726/b18789
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Oktober)
Schlagworte
Erzählverfahren deutschsprachige Gegenwartsliteratur Tanztheater Westfalen Heimat Hörspiel
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 358 S., 16 farb. Abb., 10 s/w Abb.

Biographische Angaben

Johanna Canaris (Band-Herausgeber:in) Stefan Elit (Band-Herausgeber:in)

Johanna Canaris ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und arbeitet als Mitarbeiterin in der Germanistik der Universität Paderborn. Sie forscht zur Dramatik von der Antike bis zur Gegenwart, zur Autobiographie sowie zu Recht und Literatur. Stefan Elit ist habilitierter Literaturwissenschaftler und arbeitet als Akademischer Oberrat in der Germanistik der Universität Paderborn. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen Antikenrezeption, Dramatik, Lyrik und Poetik der Frühen Neuzeit, DDR-Literatur und DEFA-Spielfilm, Gegenwartsliteratur und Literaturbetrieb sowie Geschichte und Theorie der Versepik.

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