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Die unions- und völkerrechtlichen Reaktionsmechanismen gegen vertragswidrig agierende Mitgliedstaaten

Europäische Antworten auf Verstöße gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen in Polen

von Valerie Blettenberg (Autor:in)
©2021 Dissertation 330 Seiten

Zusammenfassung

Polen war das Land, von dem in den 80er Jahren ein starker Impuls für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und letztlich für die Umwandlung des gesamten Ostblocks ausging. Heute macht Polen eher durch rechtsstaatlich bedenklich Vorgänge von sich reden. In einer juristischen Analyse fragt die Autorin nach Reaktionsmöglichkeiten der Europäischen Union. Am Beispiel Polens diskutiert sie die Verfahrensdefizite der vertraglich vorgesehenen Sanktionsregime, befasst sich mit den verschiedenen Reformansätzen der präventiven und repressiven Mechanismen und widmet sich der Frage, ob ein anhaltend vertragswidrig agierender Mitgliedstaat als remedium ultimum aus der Europäischen Union ausgeschlossen werden kann.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright Page
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort
  • Gliederung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einführung
  • A. Die Europäische Union in Zeiten der Polykrise
  • B. Untersuchungsgegenstand
  • C. Untersuchungsgang
  • 1. Kapitel: Die Entwicklungen in Polen
  • A. Einleitung
  • B. Die soziopolitischen Hintergründe des Wahlsiegs der PiS in den Parlamentswahlen von 2015 und 2019
  • C. „Constitutional Capture“ – Der Angriff auf den Verfassungsgerichtshof
  • I. Der Verfassungsgerichtshof im Funktionsgefüge der Verfassung von 1997
  • 1. Die Evolution der polnischen Verfassungsgerichtsbarkeit
  • 2. Zusammensetzung und Aufgaben des Verfassungsgerichtshofs innerhalb des polnischen Verfassungsgefüges
  • II. Die Neubesetzung der Richterstellen am Verfassungsgerichtshof durch die PiS-Regierung („Oktober-Richter“)
  • III. Die Änderungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes und die Nichtveröffentlichung verfassungsgerichtlicher Urteile
  • 1. Die Änderungsgesetze zum Verfassungsgerichtshofgesetz
  • 2. Die Nichtveröffentlichung der Urteile vom 9. März 2016 und 11. August 2016
  • IV. Zwischenergebnis
  • D. Die Justizreform
  • I. Aufbau und Struktur des polnischen Gerichts- und Justizwesens
  • II. Inhalte der Reformgesetze im Einzelnen
  • 1. Das Gesetz über den Landesjustizrat
  • 2. Das Gesetz über das Oberste Gericht
  • a. Die neuen Ruhestandsregelungen der Richterinnen und Richter am Obersten Gericht
  • b. Die Errichtung neuer Kammern am Obersten Gericht
  • c. Die Einführung des außerordentlichen Beschwerdeverfahrens
  • 3. Das Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit
  • a. Der Kompetenzzuwachs des Justizministers
  • b. Insbesondere: Das Gesetz über die Verbindung der Ämter des Justizministers und des Generalstaatsanwaltes
  • c. Herabsetzung des Ruhestandeintrittsalters
  • 4. Die Justizgesetze vor dem EuGH
  • a. Die Ruhestandsregelungen des Gesetzes über das Oberste Gericht (Rs. C-619/18)
  • b. Das unterschiedliche Ruhestandeintrittsalter für Frauen und Männer durch das Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie das Zustimmungserfordernis des Justizministers zur Amtsfortführung (Rs. C-192/18)
  • c. Die Vorabentscheidungsersuchen der Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen am Obersten Gericht hinsichtlich der Einrichtung der Disziplinarkammer (Rs. C-585/18, C-624/18 und C-625/18)
  • d. Die Regelungen der Disziplinarkammer am Obersten Gericht (Rs. C-791/19 R)
  • III. Zwischenergebnis
  • E. Überblick der Entwicklungen in Polen in der zweiten Legislaturperiode der PiS- Regierung von 2019- 2023
  • F. Zwischenergebnis
  • 2. Kapitel: Der normative Dreh- und Angelpunkt: Das unionsrechtliche Verfassungsfundament gem. Art. 2 EUV
  • A. Einleitung
  • B. Der unionsrechtliche Wertebegriff
  • I. Die Evolution des europäischen Wertekanons in einem kurzen integrationshistorischen Abriss
  • II. Die Problematik des Werteterminus im operativen Vertragsrecht
  • C. Die jüngere Rechtsprechungspraxis des EuGH zur inhaltlichen Präzisierung und gerichtlichen Operationalisierung des Wertes „Rechtsstaatlichkeit“ gem. Art. 2 EUV i.V.m. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV
  • I. Die Entscheidung in der Rechtssache Associação Sindical dos Juízes Portugueses
  • 1. Die Entscheidung in ihren inhaltlichen Grundzügen
  • 2. Kritische Würdigung der rechtlichen Folgen der Entscheidung
  • II. Die Entscheidung in der Rechtssache Minister for Justice and Equality ./. LM
  • 1. Die Entscheidung in ihren inhaltlichen Grundzügen
  • 2. Kritische Würdigung der rechtlichen Folgen der Entscheidung
  • III. Folgen dieser Rechtsprechungspraxis für den gerichtlichen Schutz der Werte in Art. 2 EUV
  • D. Der inhaltliche Gewährleistungsumfang der einzelnen Werte
  • I. Der europäische Rechtsquellenpluralismus als Herausforderung für die inhaltliche Konkretisierung der in Art. 2 EUV verankerten Werte
  • 1. Die Verfassungsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten
  • 2. Die „Verfassungsrechtssatzungen“ der internationalrechtlichen Ebene
  • II. Rechtsstaatlichkeit
  • 1. Ausgangspunkt: Die Ausprägungen des Rechtsstaatlichkeitsgebotes in den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen
  • 2. Rechtsstaatlichkeit und Rechtsunion
  • 3. Der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit
  • III. Demokratie
  • 1. Ausgangspunkt: Die Herrschaft des Volkes
  • 2. Das demokratische Defizit der Europäischen Union
  • 3. Ein funktionales Demokratieverständnis
  • IV. Die Achtung der Menschenwürde
  • E. Zwischenergebnis
  • 3. Kapitel: Die unionsrechtlichen Präventionsmechanismen
  • A. Einleitung
  • B. Das Präventionsverfahren des Art. 7 Abs. 1 EUV
  • I. Abgrenzung zum Sanktionsverfahren nach Art. 7 Abs. 2 ff. EUV
  • II. Das Initiativverfahren
  • III. Das Feststellungsverfahren
  • 1. Die Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung europäischer Werte
  • 2. Der Feststellungsbeschluss des Rats
  • IV. Normenhistorischer Hintergrund: Die sog. „Causa Österreich“
  • 1. Die österreichischen Nationalratswahlen des Jahres 1999
  • 2. Die Rechtsgrundlage des Vorgehens der „Vierzehn“
  • a. Unionsrechtliche Rechtsgrundlage
  • b. Völkerrechtliche Rechtsgrundlage
  • 3. Das Ende der Sanktionen
  • C. Der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus der Europäischen Kommission
  • I. Hintergrund
  • II. Rechtliche Grundlage
  • 1. Kritik des Rats
  • 2. Rechtliche Würdigung
  • a. Der rechtliche Charakter von Empfehlungen und Stellungnahmen nach Art. 288 UAbs. 5 AEUV
  • b. Der „verbindliche“ Charakter der Empfehlungen und Stellungnahmen im Rahmen des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus
  • c. Die verfahrenstechnische Ausgestaltung des Initiativrechts der Kommission
  • 3. Zwischenergebnis
  • III. Materieller Tatbestand
  • 1. Gefährdetes Rechtsgut: Der Wert der Rechtsstaatlichkeit
  • 2. Systematische Gefährdung/Systematisches Defizit
  • IV. Die drei Verfahrensstufen
  • D. Die unionsrechtlichen Präventionsmechanismen in der Anwendung gegenüber Polen
  • I. Das Präventionsverfahren nach Art. 7 Abs. 1 EUV
  • II. Der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus der Kommission
  • 1. Wesentlicher Inhalt der Rechtsstaatlichkeitsempfehlungen
  • 2. Kritische Würdigung der Handhabung des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus
  • E. Zwischenergebnis
  • 4. Kapitel: Die unionsvertraglichen Repressionsmechanismen
  • A. Einleitung
  • B. Das Sanktionsverfahren nach Art. 7 Abs. 2 ff. EUV
  • I. Das Erkenntnisverfahren, Art. 7 Abs. 2 EUV
  • 1. Eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der europäischen Werte
  • 2. Der Feststellungsbeschluss des Europäischen Rats
  • II. Das Durchsetzungsverfahren, Art. 7 Abs. 3 ff. EUV
  • 1. Der Sanktionsbeschluss des Rats
  • 2. Insbesondere: Der Ausschluss als Sanktion ultima ratio auf Grundlage von Art. 7 Abs. 4 EUV?
  • 3. Fragen der Justiziabilität
  • C. Das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 ff. AEUV
  • I. Das Erkenntnisverfahren nach Art. 258 AEUV
  • 1. Das behördliche Vorverfahren der Kommission
  • a. Sinn und Zweck des Vorverfahrens
  • b. Das Mahnschreiben der Kommission
  • c. Die begründete Stellungnahme nach Art. 258 Abs. 1 AEUV
  • 2. Das gerichtliche Hauptverfahren vor dem EuGH
  • 3. Verfahrensbeschleunigung und vorläufiger Rechtsschutz
  • II. Das Durchsetzungsverfahren nach Art. 260 AEUV
  • 1. Feststellungsurteil
  • 2. Finanzielle Sanktionen
  • 3. Vollstreckung finanzieller Sanktionen
  • D. Das normative Verhältnis der unionsvertraglichen Sanktionsinstrumente
  • I. Die materiell- und verfahrensrechtlichen Unterschiede
  • II. Konsequenzen der unterschiedlichen Verfahrensmerkmale für das Anwendungsverhältnis der Sanktionsmechanismen
  • 1. Parallelitätsverhältnis
  • 2. Spezialitätsverhältnis
  • 3. Mögliche Konstellationen
  • 4. Kritische Würdigung
  • a. Vertragstheoretische Erwägungen
  • b. Normenhistorische Erwägungen
  • aa. Die Rechtslage vor dem Reformvertrag von Lissabon
  • bb. Die geänderte Rechtslage seit dem Reformvertrag von Lissabon
  • cc. Zwischenergebnis
  • E. Praktische Erwägungen aus der Anwendung beider Verfahren gegenüber der Republik Polen
  • I. Die Entscheidung in der Rechtssache LM als Indiz für das Sanktionsverfahren gem. Art. 7 Abs. 2 EUV als lex specialis zum Vertragsverletzungsverfahren?
  • II. Die Feststellungsurteile im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Polen in den Rechtssachen C-619/18 und C-192/18
  • F. Zwischenergebnis
  • 5. Kapitel: Reformansätze für einen effektiveren Schutz europäischer Werte
  • A. Einleitung
  • B. Das systemische Vertragsverletzungsverfahren
  • I. Darstellung der wesentlichen Elemente
  • II. Kritische Würdigung
  • C. Der Drei-Säulen-Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union
  • I. Darstellung der wesentlichen Elemente
  • II. Kritische Würdigung
  • D. Die Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union
  • I. Darstellung der wesentlichen Elemente
  • II. Kritische Würdigung
  • E. Der Rechtsstaatlichkeitsdialog des Rats
  • I. Darstellung der wesentlichen Elemente
  • II. Kritische Würdigung
  • F. Der Vorschlag des Europäischen Parlaments zur Einrichtung eines EU-Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte
  • I. Darstellung der wesentlichen Elemente
  • II. Kritische Würdigung
  • G. Einführung einer Kopenhagen-Kommission
  • I. Darstellung der wesentlichen Kriterien
  • II. Kritische Würdigung
  • H. Zwischenergebnis
  • 6. Kapitel: Der Ausschluss eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union als remedium ultimum
  • A. Einleitung
  • B. Stand der Diskussion
  • I. Die unionsvertraglichen Argumentationsansätze für die Begründung eines Ausschlussrechts
  • 1. Der Ausschluss als actus contrarius zum Beitritt gem. Art. 49 EUV
  • 2. Der Ausschluss als Extremfall einer Vertragsänderung gem. Art. 48 EUV
  • 3. Der Ausschluss auf Grundlage von Art. 50 EUV (analog)
  • 4. Der Ausschluss als Reaktionsmaßnahme der Mitgliedstaaten wegen einer schwerwiegenden innerstaatlichen Störung der öffentlichen Ordnung gem. Art. 347 AEUV
  • II. Der völkervertragsrechtliche Ansatz über Art. 60 Abs. 2 lit. a) WVK
  • 1. Die Beendigungsmöglichkeit infolge der Verletzung einer wesentlichen Vertragsbestimmung nach Art. 60 Abs. 2 lit. a) WVK
  • 2. Abgrenzung zur Beendigungsmöglichkeit infolge einer grundlegenden Änderung der Vertragsumstände gem. Art. 62 WVK
  • 3. Das Problem der direkten Anwendbarkeit der WVK im Verhältnis der Mitgliedstaaten
  • III. Zwischenergebnis
  • C. Die Anwendung des völkergewohnheitsrechtlichen Ausschlusstatbestandes auf einen vertragswidrig agierenden Mitgliedstaat
  • I. Der Theorienstreit der Anwendung des allgemeinen Völkerrechts in der Unionsrechtsordnung
  • 1. Die Argumentation der „Autonomisten“
  • 2. Die Argumentation der „Traditionalisten“
  • a. Die völkerrechtlichen Elemente der Unionsverträge
  • b. Die Beendigungsmöglichkeit durch Austritt aus der Europäischen Union (Art. 50 EUV)
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Diskussion: Die Suspensionsbefugnis nach Art. 7 Abs. 3 EUV als spezialgesetzliches self-contained-regime
  • 1. Darstellung der Argumentation
  • 2. Kritische Würdigung
  • a. Ausgangspunkt: Der „traditionelle“ Integrationsauftrag
  • b. Die Existenz des Art. 50 EUV
  • c. Desintegration als systemerhaltender Faktor im Integrationsprozess der Europäischen Union
  • d. Souveränitätsabwägungen in einer auf Vertrauen bauenden Rechtsunion
  • 3. Zwischenergebnis
  • D. Die praktische Umsetzung des Ausschlusses eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union
  • E. Zwischenergebnis
  • Schlussbetrachtungen und Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Rechtsprechungsverzeichnis

←16 | 17→

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

andere Ansicht

ABl.

Amtsblatt (der Europäischen Union)

Abs.

Absatz

Abschn.

Abschnitt

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des Öffentlichen Rechts

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

AVR

Archiv des Völkerrechts

Az.

Aktenzeichen

BDGV

Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht

Beschl.

Beschluss

BKR

Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht

bspw.

beispielsweise

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

BYIL

British Yearbook of International Law

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

CML Rev

Common Market Law Review

Colum. J Eur. L

Columbia Journal of European Law

CYELS

The Cambridge Yearbook of European Legal Studies

d.

der/des

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EAGV

Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft

←17 | 18→

ECL Rev

European Constitutional Law Review

EFSF

Europäische Finanzstabilisierungsfazilität

EFSM

Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus

EGKSV

Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EL Rev

European Law Review

ELJ

European Law Journal

EMRK

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

ENCJ

European Networks of Councils for the Judiciary

EnzEuR

Enzyklopädie Europarecht

Erasmus L Rev

Erasmus Law Review

ESIF

Europäische Struktur- und Investitionsfonds

ESM

Europäischer Stabilitätsmechanismus

ESMV

Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus

et al.

et alius

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGHVfO

Verfahrensordnung des Gerichts

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuR

Europarecht

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWGV

Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWU

Europäische Währungsunion

Fn.

Fußnote

FPÖ

Freiheitliche Partei Österreichs

←18 | 19→

FRA

European Union Agency for Fundamental Rights/Agentur der Europäischen Union für Grundrechte

FS

Festschrift

gem.

gemäß

GG

Grundgesetz

GOEP

Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments

GRCh

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

GS

Gedächtnisschrift

GYIL

German Yearbook for International Law

Harv. L Rev

Harvard Law Review

HJRL

The Hague Journal on the Rule of Law

Hrsg.

Herausgeber

i.S.d.

im Sinne des

i.V.m.

in Verbindung mit

IOL Rev

International Organizations Law Review

IPBPR

Internationaler Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte

IPE

Ius Publicum Europaeum

IPWSKR

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

JCMS

Journal for Common Market Studies

JZ

Juristen Zeitung

KRS

Krajowej Radzie Sądownictwa (Landesjustizrat)

KSZE

Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

LA

Liber Amicorum

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

MPIL

Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OECD

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

OER

Osteuropa Recht

←19 | 20→

ÖPV

Österreichische Volkspartei

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

PV

Polnische Verfassung

RiWG

Richterwahlgesetz

Rn.

Randnummer

Rs.

Rechtssache

S.

Satz/Seite

SPÖ

Sozialdemokratische Partei Österreichs

UAbs.

Unterabsatz

Urt.

Urteil

v.

von/vom

VerfBlog

Verfassungsblog

VVE

Vertrag über eine Verfassung der Europäischen Union

WiRO

Wirtschaft und Recht in Osteuropa

WVK

Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (Wiener Vertragsrechtskonvention)

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Rechtsvergleichung

Ziff.

Ziffer

←20 | 21→

Einführung

A. Die Europäische Union in Zeiten der Polykrise1

Krisen sind im Werdegang der Europäischen Union kein außergewöhnliches Phänomen. Im Gegenteil – die Europäische Union ist vielmehr durch Krisen geschrieben. Der mehr als 60 Jahre andauernde Integrationsprozess hingegen beweist eindrücklich: Die Europäische Union ist krisenfest.

Die Krisenfestigkeit der Europäischen Union ist in dem vergangenen Jahrzehnt indes mehrfach auf eine harte Belastungsprobe gestellt worden. Ausgelöst durch die weltweite Finanzkrise drohte mehreren Mitgliedstaaten der Staatsbankrott, der die Funktionsfähigkeit des Euroraumes nachhaltig erschütterte. Die Flüchtlingsströme aus den von Bürgerkriegen heimgesuchten Krisenländern Syrien und Libyen haben nicht weniger problematische Fragen der europäischen Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik aufgeworfen. Die im Februar 2020 über Europa eingebrochene Corona-Pandemie mit ihren bislang noch unabsehbaren wirtschaftlichen Folgen setzt die bedrückende Krisenchronik auch im neuen Jahrzehnt fort. Was diese Krisen eint: Sie haben jeden Mitgliedstaat vor massive verfassungs- und wirtschaftspolitische Probleme gestellt. Der europäische Krisendiskurs hört hier aber noch nicht auf. Denn seit geraumer Zeit ist in Ungarn und Polen ein Werteverfall zu beobachten, der sich vor allem in der progressiven Erosion des Rechtsstaats2 manifestiert. Es wäre ein fataler Trugschluss zu glauben, dass es sich hierbei um ein verfassungsrechtliches Internum handelt. Der Verfall des Rechtsstaats ist keine spezifisch osteuropäische Erscheinung, die sich schützend in den Deckmantel des Verfassungspluralismus einhüllen kann. Der Rückbau demokratie- und rechtsstaatssichernder Einrichtungen in einem Mitgliedstaat wird zur gesamteuropäischen Verfassungskrise, die jeden Mitgliedstaat in seinen verfassungsrechtlichen Grundfesten zu erschüttern droht.

Seit mehreren Jahren nun sieht Europa dabei zu, wie die polnische Regierung den demokratischen Rechtsstaat graduell demontiert. Die „Übernahme“ des Verfassungsgerichtshofs durch die politische Führung stellt sich im Nachhinein betrachtet als eine ununterbrochene Serie eklatanter Verfassungsrechtsverstöße ←21 | 22→dar. Einst „Hüter der Verfassung“ und direkter Kontrollarm der Exekutiven ist er in der ersten Phase nach dem fulminanten Wahlsieg der PiS bei den Parlamentswahlen des Jahres 2015 zu einem „government enabler“ degradiert worden. An der Spitze des polnischen Gerichtswesens steht seither ein gänzlich politisiertes Verfassungsgericht, das sich widerstandslos dem Kurs der Regierung fügt und ihre Maßnahmen verfassungsrechtlich absegnet. Die Reaktion aus Brüssel? Mahnende Worte. Der Weg für die darauffolgende Justizreform, die das gesamte polnische Rechtswesen durchgreifend umstrukturierte, war geebnet. Der PiS gelang es, sich Einflussräume im Justizwesen zu schaffen, sie nachhaltig auszubauen und abzusichern. Regierungskritische Richter wurden durch Parteiloyalisten ausgetauscht, das Disziplinarregime wurde verschärft, wichtige Entscheidungsbefugnisse die Organisationsgewalt der Gerichte betreffend wurden in die freie Ermessensausübung politischer Akteure gelegt. Die Unabhängigkeit der polnischen Justiz ist nicht mehr nur massiv bedroht. Sie ist nahezu aufgehoben. Während die Vorgänge am Verfassungsgerichtshof um die sog. „Oktober-Richter“ an der Öffentlichkeit noch weitestgehend unbemerkt vorbeizogen, haben die europäischen Institutionen zu den Gesetzen der Justizreform deutlicher Position bezogen. Die Kommission und der Gerichtshof sind seither in mehreren Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Polen vorgegangen. Mit Erfolg? Der Gerichtshof stellte fest, was längst offenkundig war. Polen verstößt mit den Justizgesetzen gegen den Wert der Rechtsstaatlichkeit. Die in der Folge vorgenommenen regulativen Anpassungen des polnischen Gesetzgebers verhielten sich zwar unionsrechtskonform. Doch wird man mit Blick auf die Maßnahmen in der jüngeren Vergangenheit, darunter das hochumstrittene „Maulkorbgesetz“, zu der nüchternen Einsicht kommen, dass das Vertragsverletzungsverfahren nur einen Papiersieg im Kampf gegen den systematischen Rechtsstaatlichkeitsverfall einfahren konnte. Viele Wege führen zur Aufhebung der Gewaltenteilung. Es drängt sich die Frage auf, warum der Rückzug eines Mitgliedstaats von den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zu einer gesamteuropäischen Existenzkrise werden droht.

Die Europäische Union ist ein Phänomen des Rechts: „Nicht Gewalt, nicht Unterwerfung ist als Mittel eingesetzt, sondern eine geistige, eine kulturelle Kraft: das Recht. Die Majestät des Rechts soll schaffen, was Blut und Eisen in Jahrhunderten nicht vermochten.“3 Der von dem ersten Präsidenten der Kommission Walter Hallstein geprägte Begriff der „Rechtsgemeinschaft“ verdeutlicht die eminente Bedeutung von Recht und Rechtsstaatlichkeit für das Wesen der ←22 | 23→Europäischen Union. Recht ist ihr integrierender Faktor, Rechtsstaatlichkeit ihr verfassungsrechtliches Fundament. Die Autorität des gemeinschaftlich gesetzten Rechts eint den Verfassungsverbund der 27. Die Verantwortung für die Achtung von Recht und Rechtsstaatlichkeit erfolgt mangels eines europäischen Durchsetzungs- und Erzwingungsmechanismus dezentralisiert über den mitgliedstaatlichen Verwaltungs- und Gerichtsapparat. Die Bedeutung, die dabei insbesondere dem nationalen Gericht zuteil wird, ist immens. In seiner Doppelfunktion als juge communautaire de droit commun ist jeder nationale Richter gleichzeitig Gemeinschaftsrichter, jedes nationale Gericht damit Gericht der Europäischen Union. Gemeinsam mit dem Europäischen Gerichtshof obliegt ihnen die übergeordnete Pflicht, über Anwendung und Durchsetzung des Unionsrechts zu wachen und ihm zu seiner praktischen Wirksamkeit zu verhelfen.4 Es handelt sich hierbei um das bedeutendste Funktionsprinzip des europäischen Verfassungsrechts. Weigert sich allerdings ein nationales Gericht beharrlich, europäisches Recht als verbindlich anzuerkennen, auf seiner Grundlage Recht zu sprechen oder in Kollisionsfällen Vorlagefragen an den Gerichtshof zu richten, um unionsweite Rechtseinheit zu ermöglichen, stellt dies die Effektivität des gesamten Systems infrage. Nur die Garantie unabhängiger nationaler Gerichte kann den Bestand der Rechtsgemeinschaft fortwährend absichern.

Die Abkehr von den elementaren Grundentscheidungen des modernen Verfassungsstaats in den Mitgliedstaaten Ungarn und Polen hat die Europäische Union in eine tiefe Rechtsstaatlichkeitskrise geführt. Doch anders als in den Krisenkonstellationen der Vergangenheit sind die politischen Akteure bemerkenswert zurückhaltend, wenn es darum geht, den Kern europäischer Verfassungsidentität – Achtung der Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – zu verteidigen. Mangelnder Aktionismus der Institutionen war im vergangenen Krisenjahrzehnt zumindest nicht zu bemängeln. Innerhalb kürzester Zeit gelang es den Entscheidern in Brüssel, einen „Eurorettungsschirm“ für die von der Finanz- und Eurokrise am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten aufzuspannen. In Windeseile wurden die hierfür erforderlichen rechtlichen Grundlagen geschaffen, um Milliardensummen mobilisieren und Absicherungs- und Kontrollmechanismen einrichten zu können. Der europäische Super-GAU, der Zusammenbruch der Währungsunion, konnte dadurch abgewendet werden. Indes hält der Verfall der Rechtsstaatlichkeit in Polen nun schon mehr als fünf Jahre an – in Ungarn sogar noch deutlich länger – und von einem „Rettungsschirm“ für die Rechtsstaatlichkeit fehlt bislang jede Spur. Dieser Umstand kann ←23 | 24→nur irritieren, wenn man bedenkt, dass die „Herren der Verträge“ schon lange Zeit, bevor antiliberale Mitgliedstaaten zur politischen Realität wurden, ein entsprechendes Verfahren in den Unionsverträgen verankerten, um ein „democratic“ oder „rule of law-backsliding“ zu verhindern: den Präventions- und Sanktionsmechanismus nach Art. 7 EUV.

Details

Seiten
330
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631866009
ISBN (ePUB)
9783631866016
ISBN (MOBI)
9783631866023
ISBN (Hardcover)
9783631862995
DOI
10.3726/b18953
DOI
10.3726/b19032
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Oktober)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 330 S.

Biographische Angaben

Valerie Blettenberg (Autor:in)

Valerie Christina Blettenberg studierte Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt im internationalen Recht an den Universitäten Heidelberg, Köln, Paris und Thessaloniki.

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