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Die Disziplinierung des Wassers

Eine kultur- und ideengeschichtliche Analyse

von David Manolo Sailer (Autor:in)
©2022 Monographie 270 Seiten

Zusammenfassung

In der Epoche des anhebenden Anthropozän gewinnt die Wasserthematik – vom globalen Meeresspiegelanstieg bis zur Trinkwasserknappheit – ständig an Relevanz. Vor dem Hintergrund ihrer Bedeutung für den gesamten Zivilisationsprozess steht die Disziplinierung des Wassers exemplarisch für den Umgang des Menschen mit den natürlichen Ressourcen – heuristisch und historisch-analytisch. Die Darstellung dieser Entwicklung bietet zugleich die Chance, Perspektiven für das Zurückgewinnen eines lebendigen Umgangs mit Wasser stadtkulturell zu erkunden, zu entdecken, zu eröffnen. In Ermangelung einer Philosophie, Ideen- und Kulturgeschichte des Wassers ist die vorliegende Analyse bestrebt, diese Forschungslücke zu schließen. Im Spannungsfeld zwischen globaler Achtsamkeit und regional-nachhaltiger Subsidiarität wird die Disziplinierung des Wassers zu einem kulturellen Reflexionsgut. Das Buch öffnet damit den Blick für eine bedeutende Gestaltungsleistung der Kultur.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort des Reihenherausgebers
  • Eröffnung und Hinführung
  • I. GRUNDLEGUNGEN. VERSUCH EINER PHILOSOPHIE UND IDEENGESCHICHTE DES WASSERS
  • Grenzkulturwissenschaftliche Fundamente der Disziplinierung
  • Vom Grund und Anbeginn aquatischer Disziplinierung
  • Zur gegenwärtigen Debatte – Forschungsfeld Wasser und die methodischen Grundlagen seiner Disziplinierung
  • Zum Begriff der Disziplinierung und zur Etymologie von Wasser
  • Zur Ideengeschichte des Wassers. Quellen des Ursprungs zwischen Mythos und Lógos
  • Geflutete Mythen und epische Ströme – vom Wasser im und als Anfang
  • Zur ersten Disziplinierung altorientalischer Weltschöpfungserzählungen
  • Antike Flutmythen und die Sintflut-Erzählung der Genesis
  • Zum Urgrund Wasser – griechische Wasserphilosophie
  • Wasserriten – Imperative und Symboliken
  • II. RAUM UND KULTUR. WASSER ALS ORT DER VERGESELLSCHAFTUNG
  • Geschichte der Stadtkultur als Entfaltungssphäre der Disziplinierung
  • Regulierungen der frühen Hydraulischen Kulturen – von mesopotamischen Stadtstaaten und altägyptischen Nilfahrten
  • Zwischen griechischer Kultivierung und imperial-römischer Technisierung
  • Schlaglichter frühneuzeitlicher Stadtkultur sub specie disciplinae
  • A. Präkolumbianische Wasserdisziplinierung im Spiegel mesoamerikanischer Stadtkultur
  • B. Serenissima – Venedig, eine Stadtkultur im Wasser
  • C. Absolute Wasser – Gartenkunst und Wasserspiele in Versailles zwischen Ästhetisierung, Naturalisierung und Machtvisibilität
  • Zur Disziplinierung der Moderne. Von der Industrialisierung des Wassers zu den atmosphärischen Tiefendimensionen kulturanthropologischer Reflexion
  • Ströme der Industrialisierung – Wasserdisziplinierung im 19. Jahrhundert
  • Die schöne Aussicht – Atmosphären zwischen Wien und Adria im Fin de Siècle
  • Wiener Wasser und eine Stadtkultur, die niemals war
  • Atmosphärische Spiele am Wasser – die Erfahrung von Stadtwirklichkeit
  • Im Schlagschatten der Disziplinierung. Zur historisch-anthropologischen Bedeutung von Bad und Schwimmen
  • Das Bad als Heterotopie und Ort der Vergesellschaftung
  • Schwimmen als Kulturtechnik einer Wasserdisziplin
  • Exkurs und Ausblick: Nachhaltigkeits- und Umweltdiskurse zwischen Robustem Humanismus und der Disziplinierung von Natur
  • Abbildungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Hubert Christian Ehalt

Vorwort des Reihenherausgebers

Disziplinierung der Natur

Die Historisch-anthropologischen Studien setzen sich mit der Geschichte des Menschen, mit Naturbewältigung und -wahrnehmung aus einer interdisziplinären Perspektive auseinander. In den letzten 50 Jahren hat sich der Blickwinkel historischer Forschung ausgeweitet. HistorikerInnen interessieren sich für soziale Strukturen, Herrschafts- und Machtverhältnisse, für das Funktionieren von Gesellschaft, aber auch für dysfunktionale Elemente. Diesem gesellschaftsgeschichtlichen Zugang, der die Aufmerksamkeit stärker auf große Entwicklungslinien, auf makroökonomische Zusammenhänge, auf Geschichte als „Faktizität“, die mit quantitativen Methoden erkundet wird, lenkt, steht eine mikrohistorische und -ökonomische Perspektive gegenüber, die auf den Alltag, auf Erlebnisse und Sichtweisen im überschaubaren Raum fokussiert. Diese historisch-anthropologische Sichtweise schärft den Blick für Bedeutung und Wirksamkeit von Ritualen und Symbolen, für die individuellen Bewältigungsformen und -strategien.

Die Forschungen im Bereich der Cultural Studies haben das Bewusstsein für die Bedeutung von Gedächtnis und Erinnerung, für die Konstituierung von Formen des kollektiven Gedächtnisses sensibilisiert. Für die Historisch-anthropologischen Studien sind beide Paradigmen – das gesellschaftsgeschichtliche und das historisch-anthropologische – wichtig; sie repräsentieren nicht eine Alternative, sondern sind Anregung und Aufforderung zur Komplementarität. Das Institut für Historische Anthropologie, das diese Buchreihe herausgibt und das ich leite, bietet eine Diskussionsplattform für unterschiedliche Perspektiven auf den Menschen als Natur- und Kulturwesen.

Zu den Themen der Historischen Anthropologie gehören die vielen Facetten der Auseinandersetzung des Menschen mit den ihn umgebenden Naturräumen und der ihm selbst innewohnenden „Natur“. In der Geschichte vor dem 19. Jahrhundert wurden Natur- und Menschenbilder wesentlich durch Philosophie, Religion und Politik bestimmt. Erst die Durchsetzung eines naturwissenschaftlichen Weltbildes hat neue Formen und Wahrnehmungsweisen von Naturbewältigung geschaffen. Die aktuellen Wissenschaften erforschen den Menschen in seinen Austauschbeziehungen mit der ihn umgebenden Welt in einer Panoramaperspektive und mit einem mikroskopischen Blick: Biochemie, ←13 | 14→Molekulargenetik und Nanotechnologie analysieren das Leben in seinen Grundbausteinen und -prozessen und verbuchen dabei am Ende des 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts eindrucksvolle Erfolge. Die Arbeit der Historischen Anthropologie analysiert immer genauer, wie die Menschen in unterschiedlichen kulturellen Situationen die Welt diskursiv erklärten, wahrnahmen und kommunizierten und wie sie ihre Lebenswelten gestalteten und gestalten.

Mit den großen Erkenntnisgewinnen in den Bereichen der Naturwissenschaften waren massive Eingriffe in Lebensräume und Lebensmöglichkeiten verbunden. Flüsse wurden reguliert, transkontinentale Eisenbahnlinien und Straßen gebaut, Sümpfe trockengelegt, Urwälder gerodet, ganze Landstriche wurden urbanisiert.

Bis vor 300 Jahren waren die Eingriffe der menschlichen Kulturen in die Zyklen der Natur verhältnismäßig sanft. Die Menschen passten sich in ihren Verhaltens- und Umgangsweisen mit der Natur und in ihrem Blick auf sie an die sie umgebenden pflanzlichen und tierischen Lebensformen an. Die Natur trat den Menschen machtvoll gegenüber und ließ nur geringe Spielräume. Es herrschte eine Art „Kreislaufwirtschaft“ mit einem sehr oft auch religiös fundierten Zwang zur Wiederverwertung materieller Ressourcen. Jedes Gut, das eine bestimmte Aufgabe erfüllt hatte, wurde wieder zu einem Rohstoff, aus dem vielfältige neue Gebrauchsgüter hergestellt werden konnten.

Die Natur, mit der die Menschen konfrontiert waren – in den sie umgebenden Naturgewalten und in den Geschehnissen am eigenen Leib –, war mächtig und wurde als grausam, unberechenbar und nur schwer beeinflussbar erlebt. In der bäuerlichen Welt wäre es niemandem eingefallen, die Berge und die Wälder, die Flüsse und die Bäche autonom von ihrer Bedeutung als Naturgewalten und Ressourcen für das bäuerliche Leben wahrzunehmen. Die Thematisierung der Natur als schöne, wilde, romantische Landschaft entspricht einer städtischen Wahrnehmungsweise, die zu einem Zeitpunkt entstehen konnte, als die Bedrohungen der Natur jedenfalls bereits teilweise erkannt und gebannt waren, und die erst im 19. Jahrhundert voll zur Entfaltung kam.

Die Fragestellungen der Gesellschaftsgeschichte der Umwelt sind breit gefächert. Sie betreffen ganz unterschiedliche Bereiche der Wechselwirkung von „Natur“ und „Kultur“ als reale Auseinandersetzung der Menschen mit jenen Bereichen, die nicht dem sozialen und politischen Gestaltungswillen, sondern den „Naturgesetzen“ unterliegen. Die Umweltgeschichte thematisiert aber auch die Diskurse, die Erzählungen, die Narrative über Natur.

Einen wichtigen Motor der Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte gestalten die Bemühungen, die „Naturbewältigung“ rationeller, effizienter und produktiver zu machen. Die Geschichte der Neuzeit wurde wesentlich durch ←14 | 15→Entwicklungen und Perspektiven gestaltet, die den Umgang mit der Natur wissenschaftlich erklärten und interpretierten und damit gestaltbar und verfügbar machten. Wichtige Formen dieser Entwicklung waren die säkularen Prozesse der Regulierung und der Zivilisation. Diese Prozesse lassen sich in der Geschichte der Neuzeit in der Landwirtschaft, in der Gartengestaltung, in der Entwicklung städtischer Kultur, aber auch in der Geschichte der Mentalitäten und Verhaltensweisen der Individuen herauslesen. In der Neuzeit wurde die „Natur“ und das „Natürliche“ wissenschaftlich erklärt, reguliert, domestiziert, kolonisiert, ästhetisiert und romantisiert. Alle Bereiche, die sich diesen Entwicklungen in der Neuzeit entzogen, erschienen aus der Perspektive der Modernisierung als suspekt.

In der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten zehn Jahre ist – immer stärker global – eine gegenläufige Bewertungs- und Analysedynamik von Naturphänomenen, -tatsachen und Entwicklungen wirksam. Die früher dem Menschen oft gefährliche Natur erscheint unter dem Eindruck ihrer Bedrohung durch Zivilisierungen, Verstädterung, Verbauung, Versiegelung durch die Menschen vor allem als schützenswerte Ressource. Das bewirkt eine Idealisierung und Verklärung ehemaliger „Naturgefahren“, die durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse einer positiv konnotierten Begrifflichkeit zu einem materiellen Natur- und Kulturerbe stilisiert werden.

Der vorliegende Band der Historisch-anthropologischen Studien von David Manolo Sailer über die Disziplinierung des Wassers versteht sich als kultur- und gesellschaftsphilosophische Analyse mit einer Fokussierung auf Erkundungen im Kontext der Stadtkultur. Der Autor geht von kulturphilosophischen Grundüberlegungen zum Thema des Wassers im Spannungsfeld von Mythos und Logos aus. Sein Gedanken- und Argumentationsgang führt von mythologischen Grundlagen zu Disziplinierungsphantasien in altorientalischen Weltschöpfungserzählungen, prägenden Narrativen von der „Sintfluterzählung“ und der Genesis hin zu den Imperativen und Symboliken, die in Wasserriten zum Ausdruck kommen. Im zweiten Teil seines Buches setzt sich David Sailer mit Naturbewältigung am Beispiel von Wasser und Stadtkultur auseinander. Er zeigt die Geschichte der Stadtkultur als einen Gestaltungsprozess einer durchgehenden Disziplinierung.

Das Buch zeigt exemplarisch die Geschichte der Regulierungen von „frühen hydraulischen Kulturen“ hin zu Venedig, einer Stadtkultur im Wasser sowie Gartenkunst und Wasserspiele in Versailles zwischen Ästhetisierung und Naturalisierung. Ein Kapitel über Disziplinierungen der Moderne handelt von der Darstellung der Industrialisierung des Wassers hin zu regional unterschiedlichen und eigentümlichen Auseinandersetzungsformen mit dem ←15 | 16→Wasser. Wien zeigt einen sehr ambivalenten Umgang mit dem Wasser, zwischen einer Disziplinierung und Zurückdrängung fließender Gewässer aus der Stadtgestalt hin zur großen Bedeutung von Wasser und dem Umgang mit Wasser in sehr zahlreichen Bädern sowie der Gestaltung der Donauinsel. In einem eigenen Kapitel setzt sich der Autor mit der stadtkulturellen Bedeutung von Bad und Schwimmen auseinander.

Das Buch von David Sailer bietet eine sehr umfassende, eigenständige und originelle Auseinandersetzung mit dem Thema der Begegnung und Konfrontation von „Natur“ und „Kultur“. Es freut mich, seine sehr grundlegenden Überlegungen mit dieser Publikation der Öffentlichkeit zu übergeben.

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Eröffnung und Hinführung

Wasser ist ein Weltthema; und – im fortschreitenden Anthropozän – ein Untersuchungsfeld von weltpolitischer Dimension. Insbesondere in Zeiten, in denen der menschliche Naturumgang ob der signifikanten Überbelastung anthropogener Naturkontrolle defizitär zu werden droht, dürfte die Wasserthematik weiter anschwellen, sich etappenweise ausweiten und sukzessive an globaler Relevanz gewinnen. Allein der Umgang mit Natur und Wasser scheint seit jeher verordnet, weil von reguliert-disziplinierter Natur; und so zeigt sich, dass die Disziplinierung des Wassers in ihren zivilisatorischen Dimensionen zu den bedeutendsten Errungenschaften des Menschen an sich zählt, d. i. per se und an sich selbst. Einem fließenden und sich in die Ebenen des Zivilisationsprozesses ergießenden Strom gleich, zieht sich die Disziplinierung des Wassers mäanderförmig durch die Kulturgeschichte der Menschheit. Ihre epochenüberspannenden Leistungen zählen zu den großartigsten inmitten aller soziohistorischer Wandlungsprozesse. Zugleich weiß sich die Geschichte aller Völker und Zeiten selbst nur als eine entlang der Wasserdisziplinierung vollzogene; doch es scheint, als habe sie dies vergessen. Ein Eindruck, der insofern weiter verstärkt wird, indem der kultur- und geisteswissenschaftliche Wert der Wasserdisziplinierung, zumindest in der deutschsprachigen Literatur, bisher lediglich periphere Betrachtung und kaum je interkulturell-holistische Zusammenschau erfahren hat. Die vorliegenden kulturanthropologischen und gesellschaftsphilosophischen Erkundungen versuchen, eingebettet in die Schriftenreihe Historisch-anthropologische Studien, ebendiese Forschungslücke zu schließen und sind bestrebt, die Disziplinierung des Wassers zu ihrem zivilisatorischen Recht kommen zu lassen.

Als Meilenstein der Zivilisationsentwicklung, in ihrem Ausmaß und ihrer Relevanz in etwa vergleichbar mit dem Sesshaftwerden des Menschen oder der Entwicklung der Schrift, darf die Kulturleistung der Disziplinierung des Wassers als elementarer Grundpfeiler der Gesellschaftsgenese überhaupt erachtet werden. Das feuchte Element steht dabei im Zentrum eines Diskursgeflechts von globalhistorischer Dimension und bietet sich als ideale Exemplifikation und Materie der Veranschaulichung an, ist es doch für den »Aufbau von Gesellschaft« von grundlegender Bedeutung. Vom Natur-Kultur-Dualismus, über neuzeitliche Naturkontrolle bis zur Regulierung von Gesellschaft steht die Disziplinierung des Wassers dabei derartig fest und grundlegend im Zentrum aller Prozessdynamiken: von Vergesellschaftung, politischen Machtinfrastrukturen ←17 | 18→und Herrschaftsprozessen sowie von Versorgungssicherheit, Wachstumsdynamiken sowie von technologisch-sozialem Fortschritt. Sie ist für den Aufbau des Zivilisationsprozesses derart fundamental, dass es gar scheint, als könne die Wasserdisziplinierung selbst, ob dieses ihres Fundamentalcharakters gleichsam übersehen werden. Sie erscheint uns als einer jener zivilisatorischen Grundpfeiler, die so weit in die Kulturgeschichte versenkt sind, so tief reichen und derart verborgen im Grund liegen, dass man sie von der Oberfläche zeitgenössischer Diskursregime kaum mehr zu erkennen vermag. Es handelt sich hierbei um Grundpfeiler, die nicht als gesamtgesellschaftliche Stützen, sondern vielmehr als Vergesellschaftung überhaupt empfunden werden. Nichtsdestotrotz sind es Grundpfeiler, die in ihrer Stützfunktion die Fundamente der Vergesellschaftung bilden. Vergleichbar mit den Fundamenten einer Brücke, die in ihrer abstützenden Funktion Stabilität und Halt gewähren, selbst jedoch unsichtbar und verborgen bleiben, mutet auch ebenjener innergesellschaftliche Fundamentalcharakter der Disziplinierung des Wassers an. Als Fundament und atlantischer Stützpfeiler aller Zeiten und Völker gilt es, dieselbe somit zu entbergen und nochmals zur Reflexion zu bringen.

Alte Wasserkulturen offerieren dabei nicht nur ein reiches Bedeutungsspektrum kultureller Verarbeitungsdispositive und wasserbaulicher Bewältigungsstrategien, sondern entbergen das Verhältnis von Mensch und Wasser noch ursprünglicher, ungefilterter und klarer. Um diese jedoch lesen zu können, bedarf es geballter interkultureller Anstrengungen und der konzentrierten Ineinssetzung einzelwissenschaftlicher Ansätze nach Art und Form einer kulturphilosophisch-dialektischen Synthese: d. i. das Vorstoßen zum sogenannten »gemeinsamen Grund«, gleichsam verstanden als Einlaufen im Hafen des (inter-)kulturell Allgemeinen, jenes allen Völkern und Zeiten Gemeinsamen am Wasser. Infolgedessen wird die Disziplinierung des Wassers in der vorliegenden Studie von ihren Quellfassungen bis in die unmittelbare Gegenwart hinein begleitet und in ihren ideengeschichtlichen, anthropologisch-mentalitätsgeschichtlichen, kulturphilosophischen sowie den damit verknüpften wasserwirtschaftlichen, infrastrukturellen und machtpolitischen Dimensionen und Instanziierungsformen in ihrem Fluss und Werden belauscht. Dabei eröffnet sich zwischen der Kultivierung und Technisierung des Wassers, d. i. zwischen mentalitäts- und ideengeschichtlichen Verarbeitungsdispositiven einerseits und hydrotechnisch-wasserbaulichen Bewältigungsstrategien andererseits, ein breites und von mannigfaltigen Hervorbringungen geprägtes kultur- und gesellschaftsphilosophisches Erkundungsfeld. Die der Wasserdisziplinierung inhärente Komplexität im Zivilisationsprozess offenbart sich in diesem Zusammenhang als kulturgeschichtlicher Steinbruch, aus ←18 | 19→dem zahlreiche Schlaglichter und singuläre Akzentuierungen gewonnen werden können. Zugleich wurde die Kulturgeschichte und Philosophie des Wassers noch nicht geschrieben – oder, um es präziser zu formulieren: Es scheint, als sei seit über 2.000 Jahren, seit der Entmythologisierung der Elemente in der griechischen Antike, keine Philosophie des Wassers, die ihrem Namen gerecht wird, entworfen worden zu sein; auch in den letzten Jahrhunderten wurde keine neuzeitlich verfasste Geistes- und Ideengeschichte des Naturelements je wieder unternommen; und bis auf einige wenige leuchtendende Ausnahmen ist auch kaum eine als Kulturgeschichte des Wassers zu bezeichnende Abhandlung in Antwort auf die Profanisierung des Naturstoffs vorgelegt worden. Kurzum, der menschliche Wasserumgang in allen seinen flüchtigen und manifesten Wechselbestrebungen scheint bis dato noch nicht auf den Begriff gebracht worden zu sein.

Details

Seiten
270
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631864296
ISBN (ePUB)
9783631864302
ISBN (Paperback)
9783631851913
DOI
10.3726/b18871
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (März)
Schlagworte
Kulturgeschichte des Wassers Ideengeschichte des Wassers Anthropozän Naturumgang Stadtkultur Umweltdiskurse Historische Anthropologie Nachhaltigkeit und Resilienz
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 270 S., 7 farb. Abb., 7 s/w Abb.

Biographische Angaben

David Manolo Sailer (Autor:in)

David Manolo Sailer, geboren 1993, absolvierte geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Studien in Wien und New York, mit Bachelor- und Master-Abschlüssen an der Universität Wien und der Wirtschaftsuniversität Wien. Promotion 2020 mit ausgezeichnetem Erfolg (Dr. phil.); Auszeichnung der Dissertation mit dem Award of Excellence 2020, Staatspreis des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF). Seine Forschungsschwerpunkte und laufenden Publikationstätigkeiten liegen auf den Gebieten der Kulturanthropologie und Ästhetik sowie Rechts- und Gesellschaftsphilosophie.

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