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Verbale Aspekte Deutsch-Kirgisischer interkultureller Kommunikation

von Pamira Kadyrbekova (Autor:in)
©2021 Monographie 258 Seiten

Zusammenfassung

Interkulturelle Kommunikation ist eine Voraussetzung für Beziehungen von Menschen, Völkern und Staaten, die über zwischenmenschliche Beziehungen hinaus gehen. Aus diesem Grund kann eine erfolgreiche interkulturelle Kommunikation nicht von sich selbst aus, d.h. spontan, entstehen, sondern muss beigebracht, unterrichtet und gelernt werden. In dieser Publikation werden verbale Aspekte interkultureller Kommunikation, wie z.B. Redeetikette, Sprechakte, Höflichkeit, Tabu, Euphemismen und Toleranz im Rahmen der neuen Fachdisziplin «Linguokulturwissenschaft» betrachtet. Die Autorin legt dabei einen besonderen Fokus auf den Vergleich des Kirgisischen mit dem Deutschen. Sie schenkt hierbei den Schlüsselkonzepten deutscher und kirgisischer Linguokulturen und dem nationalen Charakter beider Länder eine besondere Aufmerksamkeit. Diese Aspekte interkultureller Kommunikation sollen helfen, interkulturelle Missverständnisse vorzubeugen bzw. zur interkulturellen Verständigung der deutschen und kirgisischen Gesellschaft beitragen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung
  • I. Interkulturelle Kommunikation als eine neue wissenschaftliche bzw. Lehrfachdisziplin
  • I.1 Interkulturelle Kommunikation als eine neue wissenschaftliche Richtung
  • I.1.1 Interkulturelle Kommunikation in Kirgisistan
  • I.2 Sprache, Rede, Kommunikation. Arten der Kommunikation
  • I.2.1 Nonverbale Kommunikation
  • I.2.2 Sprechakttheorie
  • I.2.3 Sprachliches und konzeptuelles (nationales) Weltbild
  • I.3 Sprache und Kultur
  • I.3.1 Kulturstandards
  • I.3.2 Kulturkonflikt. Kulturschock
  • I.3.3 Interkulturelle Missverständnisse
  • I.4 Interkulturelle Kommunikation und Fremdsprachenunterricht
  • I.4.1 Interkulturelle kommunikative Kompetenz
  • Fazit
  • II. Interkulturelle Aspekte der Redeetikette
  • II.1 Redeetikette als eine wichtige Bedingung erfolgreicher interkultureller Kommunikation
  • II.1.1 Höflichkeitsformeln als Ausdruck der Redeetikette
  • II.1.2 Sprechakte
  • II.1.2.1 Indirekte Sprechakte
  • II.1.2.2 Expressive Sprechakte
  • II.1.3 Der Sprechakt „Anrede/Qayrïluu“
  • II.1.3.1 Anredeformen als Höflichkeitsausdruck im Kirgisischen
  • II.1.4 Der Sprechakt „Begrüßung/Salamdaschuu“
  • II.1.5 Der Sprechakt „Verabschiedung/Qoš aituu“
  • II.1.6 Der Sprechakt „Gratulation/Quttuqtoo“
  • II.1.7 Der Sprechakt „Wünschen/Qaaloo“
  • II.1.8 Der Sprechakt „Danken/Ïraazïčïlïq bildirüü, alqïš aytuu“
  • II.1.9 Der Sprechakt „Entschuldigung/Kečirim Suroo“
  • II.1.10 Der Sprechakt „Kondolenz/Köŋül aituu“
  • II.1.11 Der Sprechakt „Komplimente Machen/Maqtoo Söz“
  • II.1.12 Der Sprechakt „Segnen/Bata (Berüü)“
  • Fazit
  • III. Höflichkeit als Aspekt interkultureller Kommunikation
  • III.1 Der Höflichkeitsbegriff in der linguistischen Literatur
  • III.2 Höflichkeit und Interkulturelle Kommunikation
  • III.3 Höflichkeit und Sprache
  • Fazit
  • IV. Tabu und Euphemismen als Aspekte interkultureller Kommunikation
  • IV.1 Der Tabubegriff in der linguistischen Literatur
  • IV.1.1 Arten und Funktionen von Tabu
  • IV.1.2 Motivation des Tabus
  • IV.1.3 Tabu und Sprache. Sprachtabu
  • IV.1.3.1 Namenstabu
  • IV.1.3.2 Tabuthemen
  • IV.1.3.3 Tabu des Todes
  • IV.1.4 Nonverbales Tabu
  • IV.1.4.1 Nahrungstabu
  • IV.1.4.2 Geschenk- bzw. Kleidungstabu
  • IV.1.4.3 Schweigen (Redetabu)
  • IV.1.4.4 Verbales Grußverbot
  • IV.1.4.5 Kinesik (Augenkontakt, Blickvermeidung, Blickunterlassung)
  • IV.1.4.6 Proxemik (Distanz)
  • IV.1.4.7 Chronemik (Zeit)
  • IV.1.4.8 Kleidung (Kopftuch)
  • IV.1.4.9 Lächeln
  • IV.1.5 Tabubruch
  • IV.2 Euphemismen als Umgehungsstrategien für Tabu
  • Fazit
  • V. Toleranz als Aspekt der Interkulturellen Kommunikation
  • V.1 Interkulturalität und Toleranz
  • V.1.1 Toleranz als Kommunikationsbedingung
  • V.1.2 Der Toleranzbegriff in der linguistischen Literatur
  • V.1.3 Toleranz und Sprache
  • Fazit
  • VI. Schlüsselkonzepte deutscher und kirgisischer Linguokulturen im Vergleich
  • VI.1 Von der Landeskunde zur Linguokulturwissenschaft
  • VI.1.1 Linguokulturologie (Linguokulturwissenschaft) als interdisziplinäre Wissenschaft
  • VI.1.1.1 Definition der Linguokulturwissenschaft
  • VI.1.2 „Das Linguokulturem“
  • VI.1.3 Kulturkonzepte
  • VI.1.3.1 Kirgisische Kulturkonzepte
  • VI.1.3.2 Das Konzept „Berg“
  • VI.1.3.3 Das Konzept „Wasser“
  • VI.1.3.4 Deutsche Kulturkonzepte
  • VI.1.3.4.1 Wörter der Jahre
  • VI.1.3.4.2 Unwörter
  • VI.1.3.4.3 100 Wörter des 20. Jahrhunderts
  • VI.2 Kulturelle Landkarte Europas
  • VI.2.1 Kulturelle Landkarte Zentralasiens
  • VI.3 Der nationale Charakter
  • Zusammenfassung
  • Anhang
  • Literaturverzeichnis
  • Index

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Einführung

Sprach- und Kulturkontakt sind kennzeichnend für alle Gemeinschaften, die durch wirtschaftliche, politische, wissenschaftliche sowie interkulturelle Kontaktsituationen miteinander in Verbindung treten, und die außer ihrer Muttersprache auch Kenntnisse in einer anderen Fremdsprache haben.

In der heutigen Globalisierungszeit, die kreative junge Menschen mit mehrsprachigen Fähigkeiten erfordert, lernt man Fremdsprachen nicht nur um die Chancen für eine berufliche Karriere zu erhöhen, sondern auch, um mit Vertretern anderer Kulturen kommunizieren und sich verständigen zu können. Interkulturelle kommunikative Kompetenz in einer Fremdsprache schließt ein, in den Begegnungen mit einer anderen Kultur die Grenzen des eigensprachlichen und eigenkulturellen Verhaltens zu erkennen und sich auf andere sprachliche und nichtsprachliche Verhaltensweisen einzulassen. Laut Alexander Thomas geht es darum, „die kulturellen Besonderheiten von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zu verstehen, zu respektieren, wertzuschätzen und als innovatives Potenzial zu nutzen. Dies erfordert neben Kenntnissen über Kulturen und kulturelle Unterschiede im Denken und Verhalten auch die Fähigkeit, mit Menschen aus anderen Kulturen so umzugehen, dass einerseits Missverständnisse reduziert, Konflikte vermieden und damit Stress abgebaut werden und andererseits eine produktive und für beide Seiten zufriedenstellende Kooperation zustande kommen können“ (Thomas 2003).

Daher ist heute die Beherrschung einer Fremdsprache (deren grammatischer Struktur, des phonetischen Baus und des Wortschatzes) für eine erfolgreiche interkulturelle Kommunikation noch lange nicht ausreichend. Es ist äußerst wichtig, die Kultur eines Volkes, seine Mentalität, seine Traditionen und seine Geschichte, seine Werte kennenzulernen, aber ebenso wichtig ist die Beherrschung nonverbaler Mittel sowie das Wissen für die Erreichung dieser Ziele zu haben und nicht zuletzt, über interkulturelle kommunikative Kompetenzen zu verfügen. Daraus folgt, dass den interkulturellen Aspekten der Kommunikation im Fremdsprachenunterricht große Aufmerksamkeit geschenkt werden soll.

Heute sollte man daher nicht nur eine fremde Sprache, sondern auch eine fremde Kultur beherrschen, deren Sprache man lernt, aber nicht die Sprache „an und für sich“ (Ferdinand de Saussure).

Zahlreiche Forschungen auf dem Gebiet interkultureller Kommunikation zeigen, dass im Gespräch mit Vertretern anderer Kulturen grammatische und lexikalische Fehler die durch mangelnde Sprachkenntnisse erklärt werden können, ←15 | 16→verziehen werden, aber man reagiert sehr empfindlich auf die soziokulturellen Störungen, da angenommen wird, diese seien zum Zweck der Beleidigung beigebracht worden (Тер-Минасова 2002, Oksaar 1998, Liang 1996, 2000, u.a.). Solche kommunikativen Fehler können zum sog. Kulturschock, zu Konfliktsituationen und Misserfolgen in den intra- und interkulturellen bzw. interethnischen zwischenmenschlichen Beziehungen führen.

Eine kulturelle Distanz wird in diesen Forschungen mit den geopolitischen Folgen erklärt. Im Kommunikationsprozess bewerten die Menschen einander in der Regel aufgrund ihrer eigenen kulturellen Werte und ihres Ethnozentrismus. Forschungen auf dem Gebiet des Ethnozentrismus zeigen, dass es den Menschen typisch ist, die Werte ihrer Kultur als universell und einzig richtig zu betrachten, d.h. andere Kulturen durch „ihre Brille“ zu sehen und fremdkulturelle Werte als „anormal“ oder „falsch“ wahrzunehmen.

Wenn man das national-kulturelle Spezifikum des Verhaltens der Gesprächspartner nicht beherrscht, führt dies zu negativen Einschätzungen bzw. zur Entstehung ethnischer Heterostereotypen und Vorurteilen. Die Heterostereotypen im Gespräch entstehen aufgrund beschränkter Informationen und im Endergebnis können falsche Schlussfolgerungen ergeben. Heute, in der Zeit der Internationalisierung der Kontakte, wird die Kenntnis der eigenen und anderer ethnischen Kulturen, das Verständnis deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die Überwindung des ethnischen Nihilismus und des eigenen Ethnozentrismus zu einer wichtigen Aufgabe. Einer der Gründe der Andersartigkeit ist ein jeweiliger fremder Kulturtyp, zu welchem die Kommunikationspartner gehören. Heute begegnen sich häufig Menschen aus anderen Kulturen, die sich sehr oft voneinander unterscheiden. Unterschiede in Verhaltensnormen, Werten, der Küche, der Kleidung, im Verhalten gegenüber den Älteren, Frauen, zur Natur, aber auch unterschiedliche Einstellung zur Arbeit, machen diese Kontakte schwierig, manchmal sogar unmöglich. Der Hauptgrund dieser kommunikativen Störungen liegt in der Verschiedenheit der Weltansichten der Kommunizierenden, die aus verschiedenen Kulturen stammen.

Ein wesentlicher Grund, der eine erfolgreiche Lösung dieses Problems verhindert, besteht darin, dass wir andere Kulturen durch die Brille unserer eigenen Kultur wahrnehmen (Oksaar 1998), daher sind unsere Beobachtungen und Schlussfolgerungen durch diesen Rahmen eingeschränkt. Missverständnisse entstehen hauptsächlich in solchen Fällen, wenn fremde Wortbedeutungen und Verhaltensweisen nicht richtig verstanden werden.

Unter interkultureller Kommunikation wird daher in der einschlägigen Literatur „der gegenseitige Verständigungsprozess unter Beteiligten aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachgemeinschaften“ verstanden (Oksaar 1998).

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Die interkulturelle Kommunikation ist also eine Voraussetzung für die Beziehungen von Menschen, Völkern und Staaten im Rahmen solcher Beziehungen, die über die zwischenmenschliche hinaus treten. Aus diesem Grund kann eine erfolgreiche interkulturelle Kommunikation nicht von sich selbst aus, d.h. spontan, entstehen, sondern muss beigebracht, unterrichtet und gelernt werden.

Die interkulturellen kommunikativen Kompetenzen bilden eine solide Basis für eine erfolgreiche Kommunikation, da man leicht in eine peinliche Situation geraten kann, wenn man z.B. nicht weiß, was und wie und in welcher Situation gesagt werden muss, was man z.B. unter Höflichkeit und Tabu versteht, aber auch welche Anredeformen in einem Gespräch verwendet werden. Wie schon oben gesagt, signalisiert eine falsche Wortwahl die negative Einschätzung des fremdsprachlichen Gesprächspartners, während grammatische oder phonetische Fehler außer Acht gelassen werden.

Die sprachliche Interaktion ist in einen Situationskontext eingebettet, in dem eine Reihe von anderen kulturell bedingten Verhaltensweisen gelten – wie man sich bewegt, wie man sitzt, wie man sich kleidet, welche Fragen man stellt, um nur einige zu nennen. Es gibt immer noch Kulturen, wo Namen, bestimmte Themen, Handlungen oder Nahrung mit zahlreichen Tabus belegt werden. Wenn man es nicht weiß, kann man leicht solche Tabus brechen, was zu interkulturellen Konfliktsituationen führen kann.

Vor einigen Jahren erschien in einer deutschen Zeitung ein Artikel zum Thema: „Raubheirat in Kirgisistan“. Dort ist eine kirgisische Heirat beschrieben worden. Der Artikel wurde anhand von Erzählungen kirgisischer Studentinnen in Deutschland verfasst. Die Journalisten haben, ohne sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, einen Leitartikel veröffentlicht, wo diese uralte kirgisische „Raubheirat-Tradition“ mit Ironie und Skepsis beschrieben wurde. Das alles zeugt davon, dass wir noch über wenige oder keine interkulturelle Kompetenzen verfügen, weil die Bekanntschaft mit der Kultur eines Volkes auch die Bekanntschaft mit dessen Mentalität, Werten und soziokulturellen Normen voraussetzt.

Die Sprache, d.h. die verbale Kommunikation heute, bedeutet nicht nur einen Informationsaustausch, sondern sie ist auch ein Mittel zur Kontaktaufnahme zwischen den Menschen, zur Pflege oder zum Abbruch sozialer Beziehungen, aber auch zur Demonstration des Verhaltens der Menschen gegenüber dem Gesprächspartner. Viele Probleme der interkulturellen Kommunikation entstehen aufgrund der Unfähigkeit des einen Gesprächspartners im Zusammenhang mit den Normen und Werten der jeweiligen Gesellschaft und den konkreten Erwartungen des anderen Gesprächspartners zu handeln. National-kulturelle Besonderheiten des Verhaltens der Gesprächspartner sind damit verbunden, dass es in verschiedenen Kulturen ein eigenes Verständnis und eigene Werte ←17 | 18→gibt, die Tabus, Toleranz, Höflichkeits- und Anredeformen und Redeetikette beeinflussen.

Das Thema „Interkulturelle Kommunikation“ ist heutzutage aktuell, samt den Forschungen auf dem Gebiet der Linguokulturologie und Ethnolinguistik. In erster Linie geht es darum, dass heute eine „Neuorientierung“ der Sprachwissenschaft erforderlich ist. Sie muss sich von sprachvergleichenden bzw. Systemforschungen zur Untersuchung der national-kulturellen Spezifika des realen Funktionierens der Sprache bzw. deren Erklärung aufgrund des Kulturtyps und der Besonderheiten der soziokulturellen Beziehungen, kulturellen Werte und des kommunikativen Bewusstseins orientieren.

Davon zeugen wissenschaftliche Forschungen auf dem Gebiet der interkulturellen Kommunikation, die seit den 60er Jahren in den USA, seit den 70er Jahren in Europa und seit den 90er Jahren in Russland durchgeführt worden sind. Zu betonen ist, dass Forschungen auf dem Gebiet der interkulturellen Kommunikation dem Vergleich zwischen europäischen, darunter französischen und deutschen (Erndl, 1998) und asiatischen Kulturen (vor allem China, Japan (Liang 2000, Oguro 1984), der Türkei (Straube 2001, 2002)), gewidmet sind, aber auch den interkulturellen Konflikten auf deutsch-amerikanischem Gebiet (Ramsauer 2007). Die Analyse der Synergiepotenzialen und interkulturellen Problemen in der Zusammenarbeit deutsch-indonesischer Arbeitsgruppen wird auch zum Thema (Hora W. T., 2001).

Die Psychologie des Kulturschocks und die Situation der „Trailing Spouse“ ist in der Forschung von Schreiner dargestellt (Schreiner 2007).

Es gibt so gut wie keine Forschungen auf dem Gebiet deutsch-kirgisischer interkultureller Kommunikation, die sich dem Sprach- bzw. Kulturvergleich sowie den interkulturellen Begegnungen gewidmet sind.

In dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die national-kulturellen Spezifika verbaler Aspekte interkultureller Kommunikation der deutschen und der kirgisischen Sprache zu erforschen und Modelle für die Entwicklung der interkulturellen kommunikativen Kompetenzen herauszuarbeiten.

Es sollen im Folgenden verbale Aspekte interkultureller Kommunikation: Redeetikette, Sprechakte, Höflichkeit, Tabu und Euphemismen sowie der Toleranzbegriff in der deutschen Sprache im Vergleich zum Kirgisischen analysiert und beschrieben werden.

Außerdem wird in der Arbeit eine große Aufmerksamkeit den Schlüsselkonzepten deutscher und kirgisischer Linguokulturen und dem nationalen Charakter im Vergleich geschenkt.

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I. Interkulturelle Kommunikation als eine neue wissenschaftliche bzw. Lehrfachdisziplin

People do not live in different worlds, they live differently in the world.

Die Menschen leben nicht in unterschiedlichen Welten, sie leben

unterschiedlich in der Welt.

I.1 Interkulturelle Kommunikation als eine neue wissenschaftliche Richtung

„Interkulturelle Kommunikation“ als wissenschaftliche Disziplin ist in den USA entstanden. Amerika beginnt nach dem 2. Weltkrieg die Welt nach seinem Bild zu formen. Mit dem Slogan „You can be like us“ wird in europäischen Ländern für den Marschallplan geworben, so Czempiel (2002). Zu diesem Zweck schickte die amerikanische Regierung sowie öffentliche und private Organisationen Berater und Fachleute in aller Welt, um den Auslandseinsatz möglichst effektiv zu gestalten. Sie sollten entsprechend auf die jeweilige Situation in den verschiedenen Ländern und Regionen vorbereitet werden.

Der Begriff „Interkulturelle Kommunikation“ verdankt seinen Namen dem Kulturanthropologen Edward T. Hall, der mit der Entwicklung und der Durchführung geeigneter Schulungsprogramme zur Auslandsvorbereitung beauftragt war. Die Idee war, das reichhaltige Wissen der Kulturanthropologie über fremde Völker und Kulturen für die Schulungsprogramme nutzbar zu machen.

Aus der Kulturanthropologie hatte sich eine neue Fachrichtung ergeben, die Hall „Interkulturelle Kommunikation“ nannte. Aber er interessierte sich hauptsächlich darum, Wissen über Individuen, die sich in anderen Kulturen bewegen, zu gewinnen, genauer gesagt, Wissen darüber, wie Personen, die für einige Monate oder Jahre in andere Länder entsandt werden, fremde Kulturen erleben und verarbeiten, in welcher Weise sich dabei die Prägung durch ihre eigene Kultur geltend macht, wie sich ihr Handeln auf die neue Situation einstellt und sich an die Gegebenheiten anpasst, und ob es dabei zu Veränderungen von Fremd- und Selbstbildern sowie der Persönlichkeit kommt. Somit wird Edward Hall als „Begründer der Interkulturellen Kommunikation“ gesehen. Als Gründungsjahr wird 1954 genannt, als E. Halls und D. Tragers Buch „Culture as Communication“ erschien, in der die Autoren sich mit dem Begriff auseinandersetzten, ←19 | 20→der ihrer Meinung nach ein besonderes Gebiet der menschlichen Beziehungen widerspiegelt.

E. Hall hat unter dem Terminus „Interkulturelle Kommunikation“ die Analyse konkreter Beispiele der interkulturellen Situationen im Unterricht verstanden. Später wurden die Grundideen der Interkulturellen Kommunikation in seinem Buch „The Silent Language“ 1959 weiterentwickelt, in dem der Autor auf die enge Verbindung zwischen Kultur und Kommunikation hingewiesen hat. Wenn die Kultur erworben werden kann, kann sie auch unterrichtet werden, so E. Hall. Somit hat Hall als Erster vorgeschlagen, das Problem der Interkulturellen Kommunikation nicht nur als eine Wissenschaft, sondern auch als ein selbstständiges Lehrfach bzw. Studienfach zu betrachten. Interkulturelle Kommunikation wurde in den 60er Jahren als Studienfach an einigen Universitäten der USA im Rahmen der Studiengänge eingeführt.

Seit Beginn der 1990er Jahre hat die Globalisierung einen neuen Weg zu engeren Kontakten mit Vertretern anderer Kulturen eröffnet, die sich stark voneinander unterscheiden.

Kulturelle und sprachliche Unterschiede machen diese Kontakte oft nicht nur schwer, sondern manchmal unmöglich. Kulturelle Unterschiede sind, wie gesagt, in der Mentalität, in Werten, im Benehmen, in der Küche, in Spezialitäten und der Kleidung von fremdkulturellen Gesprächspartnern, aber auch in ihrem Verhalten gegenüber Älteren, Frauen, der Natur, ihrer Einstellung zur Arbeit, zur Zeit auffindig. Eine interkulturelle Kommunikation mit Vertretern anderer Kulturen verläuft nicht immer erfolgreich. Sie ist oft mit Missverständnissen oder einem Nichtverstehen verbunden, da laut Humboldt „jedes Verstehen auch innerhalb seiner eigenen Kultur zugleich ein Missverstehen“ ist, weil jeder von seiner Lebens- bzw. Berufserfahrung usw. ausgeht. Missverständnisse in der interkulturellen Kommunikation treten dann auf, wenn wir die für uns fremde Bedeutungen der Wörter und Verhaltensweisen nicht wahrnehmen können, oder diese aufgrund des eigenen kulturellen Hintergrundes verstehen. Bestimmte Ausdrücke in manchen Kulturen sind mit sozialen Werten verbunden. Nicht zuletzt spielt auch der Ethnozentrismus eine Rolle, wonach die Sprache und Kultur des eigenen Volkes als einzig wichtige gesehen und in den Vordergrund gerückt wird und die Sprache und Kultur des fremden Gesprächspartners oft ignoriert wird. Dadurch kann eine erfolgreiche interkulturelle Kommunikation verhindert werden.

Eine erfolgreiche interkulturelle Kommunikation, die auf Fähigkeiten aufbaut, den fremdkulturellen Partner zu verstehen, und sich ihm gegenüber verständlich zu machen, ist eine der Hauptbedingungen für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Völkern, Staaten und Menschen.

Details

Seiten
258
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631830642
ISBN (ePUB)
9783631830659
ISBN (Paperback)
9783631769966
DOI
10.3726/b17333
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Dezember)
Schlagworte
Sprechakte Kommunikative Kompetenzen Höflichkeit Toleranz Tabu Euphemismen Schlüsselkonzepte
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 258 S.

Biographische Angaben

Pamira Kadyrbekova (Autor:in)

Pamira Kadyrbekova ist Professorin für Germanistik, Vergleichende Sprachwissenschaft und Interkulturelle Studien. Sie verfügt über langjährige Erfahrung als Hochschullehrerin an der Kirgisischen Nationalen Jusup Balasagyn Universität in Bischkek, Kirgisistan und ist dort zurzeit als Dekanin der Fakultät für Fremdsprachen tätig. Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit absolvierte sie mehrere Forschungsaufenthalte als Humboldt Stipendiatin an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt a. M.

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