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Verfassungsrechtliche Grenzen einer Vorverlagerung der Strafbarkeit dargestellt am Beispiel der omissio libera in causa bei § 266a Abs. 1 StGB

von Marco Schaum (Autor:in)
©2021 Dissertation 164 Seiten

Zusammenfassung

Eine weite Einschränkung erfährt unternehmerisches Handeln durch die Anwendung des Straftatbestandes des § 266a Abs. 1 StGB, der das Vorenthalten der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sanktioniert. Denn nach der Rechtsprechung des BGH muss ein Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge vorrangig vor allen anderen Verbindlichkeiten abführen. Dazu soll ein Unternehmer vor Fälligkeit der Beiträge zur Sozialversicherung eine Reihe von Maßnahmen ergreifen bzw. unterlassen. Missachtet ein Unternehmer diese Obliegenheiten, macht er sich nach der sog. Vorrangrechtsprechung dennoch strafbar. Der BGH begründet die extensive Auslegung des § 266a Abs. 1 StGB unter Anwendung der Rechtsfigur der omissio libera in causa. Verfassungsrechtliche Grenzen werden kritisch beleuchtet und akzentuiert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • 1. Teil: Einführung
  • 2. Teil: Das Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers
  • A. Der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB
  • I. Regelungsgehalt
  • II. Rechtsgut
  • III. Tatgegenstand
  • IV. Der Arbeitgeber als Täter
  • 1. Täterkreis des § 266a Abs. 1 StGB
  • 2. Zuständigkeit bei mehrgliedriger Geschäftsleitung und Delegation
  • 3. Beschränkung der Organ-​ und Vertreterhaftung
  • 4. Begriff des Arbeitgebers
  • 5. Abgrenzung der Begriffe Arbeitgeber und Unternehmer
  • V. Die Tathandlung des Vorenthaltens
  • 1. Begriff des Vorenthaltens
  • 2. Tilgungsbestimmungen
  • 3. Deliktsnatur des § 266a Abs. 1 StGB
  • a) Echtes Unterlassungsdelikt
  • aa) Charakter des echten Unterlassungsdelikts
  • bb) Möglichkeit der Beitragszahlung
  • cc) Zumutbarkeit der Beitragszahlung
  • b) Abstraktes Gefährdungsdelikt
  • B. Die Vorrangrechtsprechung des BGH
  • I. Entwicklung der Vorrangrechtsprechung
  • II. Obliegenheiten
  • III. Vorsatz
  • IV. Implikationen der Vorrangrechtsprechung
  • 1. Deliktische Haftung des Geschäftsleiters
  • 2. Kollision mit gesellschaftsrechtlichen Pflichten
  • 3. Insolvenzrechtliche Folgen
  • a) Insolvenz des Unternehmens
  • b) Insolvenzanfechtung
  • V. Kritik an der Vorrangrechtsprechung
  • C. Die Rechtsfigur der omissio libera in causa
  • I. Verhältnis des Vorrangs zur Anwendung der omissio libera in causa
  • II. Begriff der omissio libera in causa
  • III. Begründungsmodelle der omissio libera in causa
  • 1. Vorverlagerungsmodell
  • a) Begründung
  • b) Kritik
  • 2. Obliegenheitsmodell
  • a) Begründung
  • b) Kritik
  • 3. Die omissio libera in causa als Unterlassen durch Tun
  • 4. Begründungsmodell in der Vorrangrechtsprechung des BGH
  • 3. Teil: Das Gesetzlichkeitsprinzip nach Art. 103 Abs. 2 GG als Grenze
  • A. Bedeutung, Gewährleistungsumfang und Funktionen
  • B. Gesetzesbestimmtheit des § 266a Abs. 1 StGB
  • I. Tathandlung des Vorenthaltens
  • II. Einheit der Rechtsordnung
  • III. Koinzidenz-​ oder Simultanitätsprinzip hinsichtlich des Vorsatzes
  • IV. Definition der Verhaltenserwartung ex ante und Konkretisierung ex post
  • V. Verbots-​ bzw. Gebotsirrtum als Korrektiv
  • C. Gesetzes-​ bzw. Parlamentsvorbehalt
  • I. Wille des Gesetzgebers
  • II. Veränderung der Deliktsnatur
  • III. Verbot des Gewohnheitsrechts
  • IV. Analogieverbot
  • D. Zwischenergebnis und Stellungnahme
  • 4. Teil: Das Schuldprinzip nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 20 Abs. 3 GG als Grenze
  • A. Bedeutung, Gewährleistungsumfang und normativer Schuldbegriff
  • B. Individuelle Vorwerfbarkeit gegenüber dem Unternehmer
  • C. Strafwürdigkeit des Verhaltens
  • I. Koinzidenz-​ oder Simultanitätsprinzip hinsichtlich der Schuld
  • II. Prinzip des ultra posse nemo obligatur
  • III. Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
  • IV. Absehen von Strafe gem. § 266a Abs. 6 StGB
  • D. ultima ratio-​Prinzip
  • E. Zwischenergebnis und Stellungnahme
  • 5. Teil: Die Grundrechte des Unternehmers als Grenze
  • A. „Unternehmerfreiheit“
  • B. Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG
  • I. Sachlicher Schutzbereich
  • II. Persönlicher Schutzbereich
  • C. Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG
  • I. Sachlicher Schutzbereich
  • II. Persönlicher Schutzbereich
  • D. Eingriff
  • I. Definition
  • II. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG
  • III. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG
  • E. Verbot des Eingriffs durch eine verfassungswidrige Rechtsprechung
  • F. Zwischenergebnis
  • 6. Teil: Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

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1. Teil: Einführung

Unternehmerisches Handeln muss selbstverständlich den Anforderungen der Rechtsordnung genügen und gesetzeskonform sein. Doch birgt dieses Handeln auch in einem besonderen Maß Risiken, die ein Unternehmer im Rahmen seiner Geschäftsleitung eingehen darf und muss, will er sich im Wettbewerb einer globalisierten Marktwirtschaft behaupten.

Dabei begrenzt die Rechtsordnung den Handlungsspielraum des Unternehmers. Eine sehr weite Einschränkung erfährt unternehmerisches Handeln durch die Anwendung des Straftatbestandes des § 266a Abs. 1 StGB, der das Vorenthalten der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sanktioniert. Denn nach der Rechtsprechung des BGH muss ein Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge vorrangig vor allen anderen Verbindlichkeiten abführen. Dazu soll ein Unternehmer in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber weit vor Fälligkeit der Beiträge zur Sozialversicherung eine Reihe von Maßnahmen ergreifen bzw. unterlassen.

Missachtet ein Unternehmer diese Obliegenheiten und ist es ihm im Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge nicht möglich, diese an die Einzugsstellen der Sozialversicherung abzuführen, macht er sich nach der sog. Vorrangrechtsprechung dennoch strafbar. Der BGH begründet die extensive Auslegung des § 266a Abs. 1 StGB unter Anwendung der Rechtsfigur der omissio libera in causa. Die omissio libera in causa soll Fälle erfassen, in denen die Erfüllbarkeit der Handlungspflicht beim Unterlassungsdelikt durch vorwerfbares Vorverhalten vereitelt wird.

§ 266a Abs. 1 StGB wurde im Wege der Vorrangrechtsprechung nicht nur durch einen Strafsenat, sondern in ganz erheblichem Umfang auch durch mehrere Zivilsenate des BGH konkretisiert. Die Intention dieser Rechtsprechung ist, den Einzugsstellen in bestimmten Konstellationen neben dem Unternehmen auch den Unternehmer selbst als Schuldner der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung haftbar zu machen.

Denn der wirtschaftlichen Krise eines Unternehmens kann seine Insolvenz folgen, so dass das Unternehmen als Haftungsgegner ausfällt, nicht jedoch der Unternehmer als Geschäftsleiter mit seinem privaten Vermögen.

Die zivil-​ und strafrechtliche Haftung des Unternehmers durch die Vorrangrechtsprechung geht mit einer erheblichen Vorverlagerung der Strafbarkeit einher. Der BGH begnügt sich damit, die omissio libera in causa als dogmatische ←13 | 14→Grundlage strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu benennen, ohne diese Konstruktion ihrerseits substantiiert zu begründen oder gar zu hinterfragen.

Muss sich unternehmerisches Handeln auch am Maßstab der Strafgesetze als Teil der Rechtsordnung messen lassen, so muss die Anwendung und Auslegung von Strafvorschriften gleichwohl der Freiheitsordnung des Grundgesetzes genügen.

Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist daher nicht, eine weitere Begründung von Strafbarkeit zu entwickeln, denn vielmehr ihre verfassungsrechtlichen Grenzen kritisch zu beleuchten und zu akzentuieren.

Im Blick steht dabei der redliche, d.h. im Interesse der Gesellschaft handelnde Unternehmer in seiner Eigenschaft als Geschäftsleiter eines mittelständischen Unternehmens, insb. der Geschäftsführer bzw. geschäftsführende Gesellschafter einer mittelständischen GmbH. Die Betrachtung fokussiert sich auf eine finanziell angespannte Situation des Unternehmens im Vorfeld einer möglichen Zahlungskrise.

Unter Annahme der Redlichkeit des Unternehmers wird im Rahmen der Untersuchung davon ausgegangen, dass dieser mit seinen Arbeitnehmern reguläre Beschäftigungsverhältnisse auf arbeitsvertraglicher Grundlage begründet und nicht etwa einvernehmlich Schwarzarbeit verabredet hat.

Die Vorrangrechtsprechung des BGH unter Anwendung der omissio libera in causa soll einer verfassungsrechtlichen Überprüfung, die sich, soweit vorhanden, vornehmlich an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientieren wird, unterzogen werden.

Dafür werden in einem ersten (inhaltlichen) Teil der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB und die Vorrangrechtsprechung dargestellt. Daran anschließend werden Implikationen der Vorrangrechtsprechung aufgezeigt. Sodann erfolgt eine dogmatische Einordnung der omissio libera in causa, die in Lehre und Schrifttum Kritik, aber auch viel Zustimmung erfahren hat.

Der zweite (inhaltliche) Teil widmet sich den Fragen der Vereinbarkeit mit dem Gesetzlichkeitsprinzip. Dabei stehen der Bestimmtheitsgrundsatz, das Verbot des Gewohnheitsrechts und das Analogieverbot im Mittelpunkt.

Im dritten (inhaltlichen) Teil der Untersuchung wird geprüft, welche Grenzen durch das Schuldprinzip gezogen werden bzw. geboten sind. Hierbei wird der normative Schuldbegriff zugrunde gelegt. Auch das ultima ratio-​Prinzip wird in die Betrachtung einbezogen.

Eine abschließende Erörterung der Vorrangrechtsprechung im Lichte der „Wirtschaftsverfassung“ des Grundgesetzes erfolgt im vierten (inhaltlichen) Teil der Arbeit. Unternehmerisches Handeln erfährt einen weitreichenden Schutz, insb. durch Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) und Art. 14 Abs. 1 GG ←14 | 15→(Eigentumsfreiheit), deren Funktion als freiheitsgewährleistende Grundrechte sich auch zugunsten des Unternehmers voll entfaltet. Hierbei liegt die Herausforderung naturgemäß darin, das Spannungsverhältnis zwischen freiheitlichem Handeln einerseits und seiner Beschränkung zum Schutz verfassungsrechtlich bedeutsamer Gemeinschaftsgüter wie der Sozialversicherung anderseits verhältnismäßig auszutarieren und dafür die konfligierenden Interessen des Einzelnen sowie der Gemeinschaft angemessen zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist zu klären, wie der auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH erfolgende Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich zu beurteilen ist.

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2. Teil: Das Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers

A. Der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB

I. Regelungsgehalt

Die Vorschrift des § 266a Abs. 1 StGB stellt das Vorenthalten der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung (und damit auch solche der Arbeitslosenversicherung)1 durch den Arbeitgeber unter Strafe. Demgegenüber erfasst § 266a Abs. 2 StGB das Nichtabführen von Arbeitgeberbeiträgen, sofern dieses auf den im Tatbestand beschriebenen täuschenden Verhaltensweisen des Arbeitgebers beruht. § 266a Abs. 6 StGB enthält die Voraussetzungen für ein Absehen von Strafe.

Die vorliegende Fassung des § 266a Abs. 1 StGB wurde durch das Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23.07.2002, das ab dem 01.08.2002 in Kraft getreten ist, eingeführt.2 Dabei wurde im Wortlaut der Norm klargestellt, dass die Anwendung des Straftatbestandes keine Zahlung von Arbeitsentgelt voraussetzt; dies war zuvor sehr umstritten.3 Ausweislich des § 74c Abs. 1 S. 1 Nr. 6 a) GVG stellt § 266a StGB eine Norm des Wirtschaftsstrafrechts dar, die auf der Ebene der Landgerichte die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer begründet.

Gegenstand des Sozialversicherungswesens sind die Kranken-​, Renten-​, Arbeitslosen-​, Pflege-​ und Unfallversicherung,4 deren Beiträge mit Ausnahme des Beitrags zur Unfallversicherung anteilig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu tragen sind. Da die Beiträge zur Unfallversicherung alleine durch den Arbeitgeber aufzubringen sind, § 150 Abs. 1 S. 1 SGB VII, unterliegen sie auch nicht dem Schutz des § 266a Abs. 1 StGB.5

Der Arbeitgeber ist nach § 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV originärer und alleiniger Schuldner des gesamten Sozialversicherungsbeitrags. Er hat allerdings einen ←17 | 18→Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, § 28 g S. 1 SBG IV, den er gem. § 28 g S. 2 SGB IV durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend zu machen hat (sog. Lohnabzugsverfahren). Der Arbeitgeber hat dadurch erhebliche Mitwirkungspflichten, die ihm zugleich die Möglichkeit des Missbrauchs eröffnen, was durch das Beitragsstrafrecht verhindert werden soll.6

§ 266a Abs. 1 StGB ist sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet, denn der Arbeitgeber schuldet nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches fällige Arbeitnehmerbeiträge auf Grund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung.7

Die Beitragserhebung erfolgt durch eine Inpflicht-​ bzw. Indienstnahme des Arbeitgebers, der damit als Verwaltungshelfer der öffentlich-​rechtlichen Sozialversicherung fungiert.8 Die Beiträge müssen nicht an jeden einzelnen Sozialversicherungsträger abgeführt werden, sondern nach § 28 h Abs. 1 S. 1 SGB IV ist der Gesamtbeitrag für jeden Arbeitnehmer an seine Krankenversicherung als Einzugsstelle zu zahlen. Dabei werden die geschuldeten Beiträge entsprechend der Satzung der jeweiligen Krankenkasse fällig, § 23 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Die nach dem Arbeitsentgelt oder -​einkommen zu berechnenden Beiträge sind in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld gem. § 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des jeweiligen Beschäftigungsmonats und ein etwaig verbleibender Restbetrag zum drittletzten Bankarbeitstag des Beschäftigungsfolgemonats fällig, so dass die Satzungen der Krankenkassen eine dementsprechende Regelung vorsehen müssen. Dabei ist für die Fälligkeit unerheblich, ob das Arbeitsentgelt schon durch den Arbeitgeber geleistet wurde, sondern es kommt nur darauf an, dass es durch die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verdient wurde, da es dann im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV erzielt wurde.9 Maßgeblich für das Entstehen der Beitragsansprüche ist gem. § 22 Abs. 1 i.V.m. §§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und 7 Abs. 1 SGB IV allein die versicherungspflichtige Beschäftigung eines Arbeitnehmers gegen Entgelt.

II. Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut des § 266a Abs. 1 StGB ist das Interesse der Solidarge-​ meinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialver-​ ←18 | 19→sicherung.10 Ein Teil des durch Arbeit erwirtschafteten Wertes fließt an die Sozialversicherungen, die daraus ihre Aufgaben finanzieren können.11

Teilweise wird der Schutzzweck der Norm dahingehend konkretisiert, dass das Vermögen der Sozialversicherungsträger geschützt sei, weil diese als juristische Personen des öffentlichen Rechts rechtsfähig seien und somit Rechtsgutsinhaber sein könnten.12

Beide Auffassungen divergieren im Ergebnis nicht, sondern betreffen letztlich den Zweck des § 266a Abs. 1 StGB, durch die Sicherung des Beitragsaufkommens im gemeinschaftlichen Interesse das Vermögen der Sozialversicherungen und damit die Stabilität der Sozialversicherungssysteme zu gewährleisten. Denn der Schutz des Beitragsaufkommens verhindert mittelbar eine zumindest abstrakte Vermögensgefährdung für die Gemeinschaft der Versicherten.13

Diesem Motiv für einen besonderen Vermögensschutz folgend, wird vereinzelt vertreten, dass § 266a Abs. 1 StGB einem doppelten Schutzzweck diene und neben der Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungen auch das Vermögen der einzelnen Arbeitnehmer, deren Beiträge einbehalten wurden, geschützt ist.14 Der Arbeitnehmerbeitrag sei ein Teil des dem Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsentgelts und sei deshalb auch seinem Vermögen zuzuordnen.15 Diese Ansicht könnte durch § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV gestützt werden, wonach der vom Beschäftigten zu tragende Teil des Sozialversicherungsbeitrags als aus dem Vermögen des Arbeitnehmers erbracht gilt. Mit dieser Ergänzung des § 28e Abs. 1 SGB IV durch das Gesetz zur Änderung des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze vom 19.12.200716 wollte der Gesetzgeber vor allem die ←19 | 20→Anfechtbarkeit von Zahlungen der Arbeitnehmerbeiträge im Insolvenzfall ausschließen.17 Gleichwohl ergibt sich durch diese Regelung ein Bezug zum Vermögen des Arbeitnehmers.18 Doch selbst wenn man kraft der Fiktion des § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV dem Arbeitgeber eine treuähnliche Stellung für das Vermögen der Arbeitnehmer zuerkennen wollte,19 liegt im Einbehalten der Arbeitnehmerbeiträge dennoch kein „untreueähnliches Verhalten“ des Arbeitgebers,20 weil dem Arbeitnehmer dadurch kein Vermögensschaden entsteht.21

Details

Seiten
164
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631870532
ISBN (ePUB)
9783631870549
ISBN (MOBI)
9783631870556
ISBN (Hardcover)
9783631867358
DOI
10.3726/b19304
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Dezember)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 164 S.

Biographische Angaben

Marco Schaum (Autor:in)

Seit der Beendigung des Studiums der Rechtswissenschaft und dem Rechtsreferendariat arbeitet der Autor, Herr Dr. Marco Schaum, als Rechtsanwalt.

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