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Interdisziplinäre, interkulturelle und interliterarische Erkundungen

von Maria Sass (Band-Herausgeber:in) Doris Sava (Band-Herausgeber:in)
©2022 Konferenzband 224 Seiten

Zusammenfassung

Vorliegender Tagungsband setzt die Publikationsreihe des Zentrums für linguistische, literarische und kulturelle Forschung (ZLLKF) an der Lucian-Blaga-Universität fort. Die Aufsätze verdeutlichen aus verschiedenen Perspektiven und von diversen theoretischen Positionen aus, welche Forschungsfragen und Herausforderungen in den einzelnen Themenbereichen – Wirken und Werk bedeutender Autoren (Alfred Kittner, Kubi Wohl, Arnold Zweig, Karl Kraus, Christian Haller, E.T.A. Hoffmann), Autobiografisches und Fiktionales in der Erzählkunst (Catalin Dorian Florescu, Richard Wagner, Saša Stanišic´), Rezeption amerikanischer und skandinavischer Autoren (Bret Easton Ellis, Henning Mankell, Christian Dorph, Simon Pasternak) – und im aktuellen Sprachgebrauch sowie Fremdsprachenunterricht wahrnehmbar sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Gedanken zur Poetik Paul Celans anlässlich des 100. Jubiläums seiner Geburt (Andrei Corbea-Hoișie)
  • Alfred Kittners publizistische Tätigkeit bei der Zeitung Der Tag (1932–1935) (Beatrice Greif)
  • Von der Bourgeoisie zum Proletariat. Die soziale Mission der Dichtung Kubi Wohls (1911–1935) (Iulia Petrin)
  • Um nichts in der Welt. Emil Cioran und Friedgard Thoma: Die Vertrautheit des Liebespaares im Spiegel des Briefwechsels (Anca Șerban)
  • Die Identitätsproblematik in den Werken von Catalin Dorian Florescu und Richard Wagner (Roxana Ilie)
  • „Ich entscheide, ich.“ Saša Stanišićs Herkunft als Metaautobiografie (Paul Gruber)
  • Über die Unmöglichkeit Die letzten Tage der Menschheit zu inszenieren (Mădălina Tvardochlib)
  • Arnold Zweig als bürgerlicher Intellektueller innerhalb des sozialistischen Staates DDR (Ștefania Surdu)
  • Grenzüberschreitungen anhand technischer Innovationen in Christian Hallers Roman Das schwarze Eisen (Andrea Sczuka)
  • Spiritualistische Interpretationen des magnetischen Verhältnisses zwischen der menschlichen Wirklichkeit und einem höheren Dasein in E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Magnetiseur (Petra Antonia Binder)
  • Satirestrategien in Bret Easton Ellis’ American Psycho (Thorsten Hanisch)
  • Die ausländische Rezeption von Scandinavian Noir aus gattungsspezifischer Sicht (Ovio Olaru)
  • Bedrohte Wörter. Ein Klassifizierungsvorschlag (Maria Sânziana Iliescu)
  • Sprachliche Vielfalt in der urbanen Sprachlandschaft Siebenbürgens. Interdisziplinäre Annäherungen und Forschungsperspektiven der Linguistic Landscape (Adeline Berdie)
  • Ansätze für die Vermittlung von Landeskunde und ihr Einsatz an rumänischen Hochschulen (Andrea Susanne Stancu)
  • Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Vorwort

Als im Oktober 2019 die Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt/Sibiu und somit auch der Lehrstuhl für Germanistik ihren 50. Gründungstag feierten, wurden die Verdienste dieses Lehrstuhls bei der Wahrung einer Lehr- und Forschungstradition lobend hervorgehoben. Seit seiner Gründung im Jahre 1969 hat der Hermannstädter Lehrstuhl für Germanistik seinen Standortvorteil vielfach genutzt und seine Aufgabe stets zu pflegen verstanden. Mit diesem Band wird die Publikationsreihe des an der Philologischen Fakultät angesiedelten Forschungszentrums Zentrum für linguistische, literarische und kulturelle Forschung (ZLLKF) fortgeführt1, das sich der Vermittlung der deutschen Sprache, Literatur und Kultur verstärkt zuwenden möchte. Zu den traditionellen Forschungsschwerpunkten der Hermannstädter Germanistik zählen die literaturgeschichtliche Untersuchung des deutschsprachigen Schrifttums, Fragen des Kulturaustausches in multiethnischen Gebieten oder die Rezeption literarischer Zeugnisse. Der erste Band der ZLLKF-Reihe, der die Vorträge der Jubiläumstagung umfasste, widmete sich daher spezifischen Themenbereichen: Geschichte und Zukunft des germanistischen Standortes Hermannstadt, die Erzählkunst und Rezeption rumäniendeutscher Autoren, der Einfluss der deutschen Kultur auf das rumänische Pressewesen und das vielfältige Wirken von Persönlichkeiten, die als Kulturvermittler Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Siebenbürgen aktiv waren.

Die Hermannstädter Germanistik veranlasste auch die Tagung für Jungforscher (Masteranden, Doktoranden, Postdocs)2, die durch die Corona-Pandemie terminlich verschoben und schließlich zwischen dem 22. und 24. Oktober 2020 im Online-Format unter dem Titel Neue Ansätze und Forschungsperspektiven in Sprache und Literatur stattfand. Die Anregung dazu boten die gegenwärtigen Entwicklungen und Ansätze in der akademischen Ausbildung und im wissenschaftlichen Betrieb: Verschärfung der wettbewerblichen Ausrichtung von Universitäten, zunehmende Öffnung für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld, Kompetenz- und Arbeitsmarktorientierung, methodische Vielfalt und verstärkte Interdisziplinarität, Förderung der Forschung mit sofortiger Resonanz, Forderung ←7 | 8→nach wissenschaftlicher Sichtbarkeit sowie die allmähliche Verdrängung der Geisteswissenschaften vom globalen Bildungsmarkt.

Die Tagung, die unter der Schirmherrschaft der Doktorandenschule (Fachbereich Philologie) der Lucian-Blaga-Universität und des Zentrums für linguistische, literarische und kulturelle Forschung der Hermannstädter Philologie veranstaltet wurde, die nach den aktuellen Herausforderungen in den traditionellen philologischen Forschungsbereichen fragte, war um eine verbesserte Resonanz der rumänischen philologischen bzw. germanistischen Forschung bemüht, sodass – einer weiten „Philologie“-Auffassung folgend – Vorträge aus diachroner, synchroner, vergleichender oder interdisziplinärer Perspektive aus den Bereichen Literatur, Sprachwissenschaft, Kommunikationswissenschaft oder Übersetzungswissenschaft willkommen waren.

Zu dem wissenschaftlichen Austausch haben sich Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus Bukarest, Craiova, Flensburg, Hermannstadt, Jassy, Klausenburg und Tübingen angemeldet, um ihre Promotionsthemen oder Einzeluntersuchungen einem Fachpublikum, zu dem auch die Betreuerinnen und Betreuer von Dissertationsarbeiten gehörten, vorzustellen, persönliche Kontakte zu knüpfen und in konstruktiven Diskussionen Anregungen für ihre Forschungsarbeit zu bekommen. Mit über 130 angemeldeten Vorträgen in den Konferenzsprachen Rumänisch, Englisch, Deutsch und Französisch und neun Sektionen erfreute sich die Tagung der Hermannstädter Doktorandenschule im Fachbereich Philologie einer großen Resonanz. Diese beeindruckende Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern belegt, dass die durch die Corona-Pandemie bedingte Digitalisierung neue Möglichkeiten des fachlichen Austausches und der Vernetzung eröffnet.

Einer der vier Plenumsvorträge bot einem doppelten Jubiläum Raum: Am 23. November 2020 wäre Paul Celan, einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dichter des 20. Jahrhunderts, 100 Jahre alt geworden und am 20. April jährt sich sein Todestag zum fünfzigsten Mal.

Anlässlich des „An Cel-an“3, des Celan-Jahres 2020, wurde der renommierte Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Celan-Forscher Andrei Corbea-Hoișie (Jassy) als Gast eingeladen.4←8 | 9→

In seinem Vortrag würdigte Andrei Corbea-Hoișie die Poetik Paul Celans, der nach 100 Jahren nach seiner Geburt weiterhin als „hermetischer“ Autor wahrgenommen wird, der jedoch geneigten Lesern und Forschern noch viele Überraschungen bereithält. Celan, der sich äußerst spärlich zu seinem lyrischen Werk äußerte, nahm die Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 22. Oktober 1960 durch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt5 zum Anlass, seine Auffassung von Kunst und Dichtung darzulegen6. Der Vortrag geht daher auf die Meridian-Rede (1960), das poetologische Manifest Paul Celans, ein und belegt, dass sich hierdurch ein weites Spektrum an Interpretationen eröffnet, das sich keineswegs in der Herausstellung des Einflusses diverser Philosophen (Martin Heidegger, Martin Buber oder Theodor W. Adorno) und Autoren erschöpft, sondern einen weiteren wichtigen Zugang zur Interpretation des lyrischen Werkes Celans darstellt.

Ausgehend von der inneren Kohärenz der poetischen Diktion Celans, die sich der künstlichen Trennung zwischen Poesie und Prosa, auch zwischen Poesie und Theorie, widersetzt, wird das politische, philosophische und literaturtheoretische Programm Celans durch poetisch-theoretische oder philosophische Äußerungen untermauert. Corbea-Hoișie offenbart das innere Gerüst der Poetik Celans, dessen Konsistenz und Relevanz: jene Art des poetischen Schaffens, die sich in der „Begegnung“ mit dem Anderen in und durch die Sprache artikuliert, und somit Celans Dichtung als Unterwegssein und als Sich-Vorausschicken zu sich selbst und damit zum „Anderen“ und „Fremden“ definiert. Ohne den offenkundigen Zusammenhang zwischen Leben und Werk zu rekonstruieren7, belegt der Autor treffend, worin Celans poetischer Impuls und literarische ←9 | 10→Obsessionen verankert sind und wie sich in den poetologischen Forderungen Celans an das Gedicht die Verknüpfung von Sprache und Geschichtlichkeit angemessenen Ausdruck verschafft. Paul Celans Poesie ist „außergewöhnlich“, weil sie einer geistesgeschichtlichen Tradition verpflichtet ist, besonderen historisch-kulturellen und sprachlichen Konstellationen im ehemaligen Kronland der habsburgischen Monarchie entspringt, die auch die Koordinaten der späteren Dichtersprache vorgeben, für die – infolge geschichtlich-politischer Begebenheiten – traumatische Erinnerungen an Verfolgung, Verschleppung, Verlust, Verbannung bestimmend sein werden: die Neigung zum Paradoxon, zum „Verstummen“, die Anfälligkeit für Inversionen und für das Fragmentarische, das Verharren in Negativität. Der Rekurs darauf äußert sich in einer fortschreitenden Reduktion des poetischen Duktus und in Diskontinuitäten sowie in einem Arsenal an formal-stilistischen Mitteln (grafisch-räumliche Isolationen sprachlicher Einheiten, Zugriff auf ungewöhnliche semantische Konstellationen, gewagte Assoziationen und Wortwahl, fremdsprachiges Zitatinventar, gewagte, verdichtete Wortkompositionen), die angesichts des undenkbaren Bösen, der Unmenschlichkeit und einer unfassbaren Unwirklichkeit als „Gegenworte“ und Ausdruck des „Verstummens“ für die Poesie durchaus geeignet sind, ganz und gar aus dem unaussprechlichen „Nichts“ zu erwachsen.

Die Wahrheit, die für Celan mit dem symbolischen „20. Jänner“8 untrennbar verbunden ist, „entzieht“ sich einer „kunstvollen“ Versprachlichung. Celan selbst hat einmal geäußert, dass er niemals eine Zeile geschrieben hätte, die nicht mit seiner Existenz verbunden wäre. Unter der Last dramatischer Erfahrungen erkannte der Dichter die Unfähigkeit einer mit „Wohlklang“ behafteten Poesie, geschichtliche Entgleisungen einzubeziehen und die Erfahrung des Erlebens und des Erlebten zu versprachlichen, was Celan dazu bewog, sich von der herkömmlichen Vorstellung der Lyrik zu lösen.

In dem Meridian wird das Gedicht als „Gegenwort“ und „Atemwende“ definiert, als eine Kopplung von Dialog und Gedächtnis („solcher Daten eingedenk“, TCA, S. 9)9, womit Celan das Wesen und die Aufgabe der Dichtung erfasst: „Das ←10 | 11→Gedicht, […] es kommt immer noch auf Atemwegen – und wird, wenn es das Gedicht bleiben soll, niemals auf anderen Wegen kommen“ (TCA, S. 51).

Celans Schicksal teilten viele zeitgenössische Weggefährten, deren Werke erst vor dem Hintergrund ihrer Biografie verständlich sind. Sein Werk ist oft missverstanden und seine poetischen Absichten umgedeutet worden. In seinem lyrischen Schaffen ist die biografische Prägung evident, was zu weitläufigen Interpretationsansätzen herausfordert. Die Ermordung seiner Eltern durch die Nationalsozialisten und sein zufälliges Überleben sind Erfahrungen, die in seiner Lyrik verankert sind. Die Auseinandersetzung mit der Shoah und die Thematisierung der Alterität und der ästhetischen Schöpfung verleihen seinem Werk einen transnationalen und zugleich individuellen Charakter, innerhalb dessen sich der „Widerstand durch Kultur“ auf höchstem Niveau entfaltet.

Details

Seiten
224
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631872987
ISBN (ePUB)
9783631872994
ISBN (Paperback)
9783631861295
DOI
10.3726/b19409
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Februar)
Schlagworte
deutschsprachige Literatur Alfred Kittner Kubi Wohl Arnold Zweig Karl Kraus Christian Haller E.T.A. Hoffmann Catalin Dorian Florescu Richard Wagner Saša Stanišić Rezeptionsgeschichte Interkulturalität Pressegeschichte Germanistik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 224 S., 2 Tab.

Biographische Angaben

Maria Sass (Band-Herausgeber:in) Doris Sava (Band-Herausgeber:in)

Maria Sass studierte Germanistik und Rumänistik an der Universität in Hermannstadt und promovierte im Fachbereich Literaturwissenschaft. Sie ist Professorin für Germanistische Literaturwissenschaft an der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt. Doris Sava studierte Germanistik und Rumänistik an der Universität Bukarest und promovierte im Fachbereich Linguistik. Sie ist Professorin für Germanistische Sprachwissenschaft an der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt.

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Titel: Interdisziplinäre, interkulturelle und interliterarische Erkundungen
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