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Parlamentarische Sprache des Dazwischenredens

Politolinguistische Analyse der Zwischenrufe im Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrats 1917–1918.

von Adam Czartoryski (Autor:in)
©2022 Monographie 216 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor des Buches untersucht die Zwischenrufe, die während der XXII. Session der XII. Legislaturperiode im Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrats 1917–1918 ausgesprochen wurden. Sie werden aus der Perspektive der Politolinguistik mithilfe drei linguistischer Methoden (Sprechhandlungsanalyse, syntaktische Analyse mit textlinguistischem Ansatz und retrograde Typenbildung) analysiert. Die Analyse beantwortet Fragen: Welche Bedeutung hatten Zwischenrufe in der parlamentarischen Debatte und Kommunikation im untersuchten Zeitraum? Wie wurden sie syntaktisch aufgebaut und welche Emotionen drückten sie aus? Wann und zu welchem Zweck wurden sie verwendet? Dabei werden Funktionen, Typen parlamentarischer Zwischenrufe sowie Charakter und Motivation der Zwischenrufer beschrieben.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einführung
  • 2. Forschungsstand zum Zwischenruf
  • 2.1. Wörterbuchdefinition des Zwischenrufs
  • 2.2. Wichtigste Ansichten im deutschsprachigen Raum
  • 2.2.1. Armin Burkhardt (2004) – Zwischenruf als nichterteilter Beitrag zwischen Monolog und Dialog
  • 2.2.2. Ronald Hitzler (1990) – Zwischenruf in institutionell monopolisierter Rede oder institutionell oligopolisierter Diskussion
  • 2.2.3. Rüdiger Kipke (1995) – Zwischenruf als Zwischenbemerkung
  • 2.2.4. Peter Kühn (1983) – Mehrfachadressiertheit des Zwischenrufs
  • 2.2.5. Barbara Föcker (1991) – Zwischenruf als responsiver Akt in einem zweigliedrigen Zugsequenzschema
  • 2.2.6. Juha Matti Ketolainen (1990) und Andreas Olschewski (1991) – Zwischenruf als Angriffsmittel
  • 2.2.7. Heinz Buri (1992) – Ein Zwischenruf muss reif sein
  • 2.2.8. Inge Fetzer-Wolf (1981) – Zwischenruf im Landtag
  • 2.2.9. Dolf Sternberger (1952) – Durchnittszwischenrufe
  • 2.2.10. Ernst Jörg Kruttschnitt (1970) – Zwischenruf als ein taktisches Mittel des Angriffs
  • 2.2.11. Gerhard Reddemann (1980) – Zwischenruf als kleine Bombe
  • 2.2.12. Maria Stopfner (2013) – Zwischenruf als Element der Streitkultur im Parlament
  • 2.2.13. Elisabeth Zima (2013) – Zwischenrufsequenzen
  • 2.3. Andere wichtige Ansichten
  • 3. Außersprachlicher Kontext der Forschung
  • 3.1. Österreichischer Parlamentarismus bis 1918 – kurze Zusammenfassung
  • 3.2. Österreichischer Reichsrat
  • 3.2.1. Herrenhaus
  • 3.2.2. Abgeordnetenhaus
  • 3.2.3. XXII. Session der XII. Legislaturperiode im Abgeordnetenhaus
  • 4. Theorie der linguistischen Forschung
  • 4.1. Sprache und Politik
  • 4.1.1. Definition des Terminus Sprache
  • 4.1.2. Definition des Terminus Politik
  • 4.1.3. Definition des Terminus Politische Sprache
  • 4.1.4. Grundfunktionen der politischen Sprache
  • 4.1.5. Vokabulargruppen
  • 4.2. Politolinguistik
  • 5. Forschungsmaterial
  • 5.1. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses
  • 5.2. Zwischenrufe – Formen der Wiedergabe in stenografischen Protokollen
  • 6. Forschungsmethoden
  • 6.1. Sprechhandlungsanalyse
  • 6.2. Syntaktische Analyse und textlinguistischer Ansatz
  • 6.3. Retrograde Typenbildung
  • 7. Politolinguistische Analyse der Zwischenrufe
  • 7.1. Typologisierung
  • 7.1.1. Meritum Typologie
  • 7.1.2. Sprechhandlungstypologie
  • 7.1.3. Syntaktische Typologie
  • 7.2. Funktionen
  • 7.2.1. Politische
  • 7.2.2. Unpolitische
  • 7.2.3. Informative
  • 7.2.4. Unterstützende
  • 7.2.5. Kritisierende / Ablehnende
  • 7.2.6. Persönliche
  • 7.2.7. Kollektive
  • 7.2.8. Störende
  • 7.2.9. Korrigierende
  • 7.3. Zwischenrufer im Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrats
  • 7.3.1. Charakteristik
  • 7.3.2. Typen von Zwischenrufern
  • 8. Abschließende Bemerkungen und Schlussfolgerungen
  • 9. Literatur
  • 9.1. Quellen
  • 9.2. Forschungsliteratur
  • 10. Streszczenie w języku polskim
  • 11. Summary in English
  • Index
  • Reihenübersicht

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1. Einführung

Politik begleitet uns überall hin. Sie beeinflusst unser Leben seit Jahrhunderten und kontrolliert es in verschiedenen Aspekten. Es ist daher schwierig, den Worten von Thomas Mann1, dem deutschen Prosaschreiber und Essayisten, der als größter deutscher Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anerkannt und neben J. W. von Goethe einer der herausragendsten in der Geschichte der deutschsprachigen Literatur ist, zu widersprechen, wenn er feststellte, dass alles Politik ist. In der Philosophie und im politischen Denken wurde Politik verstanden als u. a.: das Streben nach der Verwirklichung der Idee des Guten (Platon), nach dem Erreichen des Glücks, als Eudämonie (Aristoteles), nach der Erlangung, Erhaltung und Stärkung der Macht (N. Machiavelli), nach der Einführung und Aufrechterhaltung eines Staates des sozialen Friedens (im 16. Jahrhundert in Frankreich), nach der Verwirklichung des Gemeinwohls (moderne republikanische Tradition), oder als Aktion einer kollektiven Einheit in Situationen der Bedrohung durch den Feind (C. Schmitt), sowie als die Fähigkeit, durch Gruppen, die eine soziale Situation schaffen, einen Kompromiss zu erzielen. In den Sozialwissenschaften wird die Meinung von M. Weber als klassische Definition der Politik angesehen, die die Politik als Wunsch, an der Macht teilzunehmen oder die Gewaltenteilung zu beeinflussen, bezeichnet.

Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart kann man keine Politik betreiben, um Einfluss zu nehmen und Macht zu erlangen sowie um verschiedene Ideen umzusetzen, ohne Sprache zu benutzen. Die Sprache im Dienst der Politik kann zu einem mächtigen Werkzeug werden, das eine äußerst wichtige Waffe im Kampf um ihre Ziele darstellt. Man nimmt also die These von Roger Bacon, einem mittelalterlichen englischen Philosophen und einem der frühesten europäischen Befürworter der modernen wissenschaftlichen Methode, an, dass die Sprachkenntnisse die Tür zur Weisheit öffnen. Daher kann man sagen, dass die Kenntnisse der Sprache der Politik oder zumindest das Verständnis ihrer Bedeutung bzw. mancher Methoden, die im Rahmen dieser Sprache benutzt sind, dazu führen können, dass wir uns der Welt um uns herum und der darin ablaufenden Prozesse bewusster machen. Die Kenntnisse der Sprache, die von Vertretern verschiedener politischer Kreise, Parlamentariern oder hochrangigen Politikern gesprochen wird, sollte nicht nur dazu ←11 | 12→verwendet werden, den Wählern oder politischen Beobachtern die Augen zu öffnen, damit sie bewusstere Entscheidungen treffen können, sondern nach einer gesünderen, offeneren und direkteren Kommunikation zwischen den Politikern und der öffentlichen Meinung, d. h. dem Rest der Gesellschaft, zu streben.

Und ohne irgendeine Kommunikation kann man nicht leben. Wie Paul Watzlawick in einem seiner Axiome der Kommunikationstheorie sagte: Man kann nicht nicht kommunizieren!2. Abhängig von der Situation, in der wir uns befinden, verwenden wir ein Kommunikationsmittel – verbal oder nonverbal – egal, ob wir mit einem Freund auf der Straße reden, die Frage des Lehrers in der Schule beantworten, jemanden am Telefon anschreien oder im Parlament debattieren. Gleichberechtigt mit anderen Kommunikationsformen ist daher auch die Kommunikation in der Politik und die Sprache der Politik, die diese Kommunikation bildet und gestaltet, von großer Bedeutung. Beide Themenbereiche sind seit Jahren eine Forschungsquelle für viele Wissenschaftler, darunter vor allem Politikwissenschaftler, Linguisten und Soziologen.

Die Forschung über die Sprache der Politik ist ein wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Sprachforschung. Eine Analyse der Botschaft, die direkt von den Politikern (Abgeordneten, Senatoren, Parteimitgliedern, politischen Aktivisten usw.) sowie durch die Medien, einschließlich der sozialen Medien (heutzutage), verbreitet wird, ermöglicht eine facettenreiche Einschätzung dessen, was und warum sie der Öffentlichkeit wirklich vermitteln möchten.

Das Parlament ist seit vielen Jahren „der Hauptlieferant“ von Material für die politische Sprachforschung. Es gilt als selbstverständlicher Ort, um Politik zu betreiben, die das Schicksal ganzer Gesellschaften nachhaltig beeinflusst. Daher ist die Analyse der dort erscheinenden Sprache äußerst lehrreich und informativ. Die Sprache der parlamentarischen Debatten ist dabei von besonderem Wert. Während der Reden geschieht der größte Teil der „politischen Aktion“, bei der das, wie man seine Gedanken in Worte fasst, von entscheidender Bedeutung ist, weil es zur Quelle der Botschaft wird, die von den Politikern an die Gesellschaft weitergegeben wird. Die Analyse der parlamentarischen Debatten erfolgt in der Regel, meines Erachtens, auf drei Ebenen: eher oberflächlich – von gewöhnlichen Bürgern, eingehender – von Journalisten oder vertiefend und facettenreich – von Wissenschaftlern aus verschiedenen Forschungsbereichen. Diese Analyse ermöglicht nicht nur eine bessere ←12 | 13→Einschätzung der einzelnen Akteure der politischen oder parlamentarischen Szene und ihres politischen Umfelds, sondern auch eine Erweiterung des bisherigen Wissens der Öffentlichkeit über den Stand der Politik oder über den Zustand des gesamten Landes. Jede Analyse kann in Abhängigkeit von den untersuchten Elementen und den gewählten Perspektiven zu verschiedenen Schlussfolgerungen führen, die beispielsweise im Zusammenhang mit Parlaments- oder Kommunalwahlen relevant sein können. Die Analyse der parlamentarischen Debatten ist nicht nur im Kontext der gegenwärtigen Parlamente wichtig, sondern auch im Kontext der vergangenen. Das Zitat „Geschichte wiederholt sich“3 bleibt immer noch aktuell. Daher, um eine wirksame Politik zu verfolgen, sollten wir heute wissen, wie diese vorher gemacht wurde, um die entsprechenden Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen.

Die Forschung über die Sprache der Politik, einschließlich über die Sprache der parlamentarischen Debatten, setzt sich aus vielen Elementen zusammen, die von gleicher Bedeutung sind, sich aber aus der angenommenen Perspektive herausheben. Forschungen von Linguisten, Politikwissenschaftlern und Historikern ergänzen sich oft, obwohl sie auch oft voneinander ableiten. Ein Beispiel für eine solche Forschung, die ein Element des „Meinungsverkehrs“ während parlamentarischer Debatten betrifft, ist die Forschung über den Zwischenruf.

In den letzten Jahrzehnten haben die Wissenschaftler, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, hauptsächlich aus Deutschland, die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen vertraten, versucht, zu determinieren, was ein Zwischenruf eigentlich ist, welchen Zwecken er dient und welche Typen, Eigenschaften sowie Funktionen er haben könnte. Der Hauptpunkt dieser Forschungsarbeiten waren größtenteils die parlamentarischen Zwischenrufe. Die Forscher haben sich jedoch nicht immer mit ihren zeitgenössischen Parlamenten befasst und versuchten auch, die Geschichte des Parlamentarismus weiter zu erforschen. Daher konzentrierten sie sich auch auf die Parlamente früherer historischer Epochen.

Niemand kann eindeutig feststellen, wann das Wort Zwischenruf zum ersten Mal verwendet wurde. Wir wissen jedoch, dass das Wort ein Determinativkompositum aus zwischen und Ruf ist. Viele verschiedene Forscher haben jedoch ihre Theorien darüber konstruiert, was er ist. Und so: Burkhardt (2004) wies darauf hin, dass ein Zwischenruf nicht nur ein verbaler Beitrag von Personen, denen der Gesprächsleiter nicht das Rederecht erteilt hat, ist, sondern auch ←13 | 14→ein nichterteilter Beitrag zwischen Monolog und Dialog.4 Andere Ansichten, wie beispielsweise die von Kühn (1983), weisen darauf hin, dass ein Zwischenruf mehrere Adressaten hat.5 Noch andere Forscher bezeichnen den Zwischenruf als responsiver Akt in einem zweigliedrigen Zugsequenzschema (Föcker 1991)6, als „coverterm“ für alle verbalen Äußerungsformen (Hitzler 1990)7, als ein taktisches Mittel des Angriffs (Kruttschnitt 1970)8, als Element der Streitkultur (Stopfner 2013)9 oder klipp und klar – als kleine Bombe (Pursch 1980)10.

Details

Seiten
216
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631876152
ISBN (ePUB)
9783631876169
ISBN (Hardcover)
9783631868805
DOI
10.3726/b19611
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Juli)
Schlagworte
Politolinguistik Politische Sprache Zwischenrufer Unterbrechung Österreich-Ungarn Habsburgermonarchie
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 216 S., 12 s/w Abb., 1 Tab.

Biographische Angaben

Adam Czartoryski (Autor:in)

Adam S. Czartoryski ist Slawist (Diplomstudium an der Universität Wien) und Germanist (Master- und Doktoratsstudium an der Universität Rzeszów). Seine wissenschaftlichen Interessen liegen im Bereich der Politolinguistik, Medienlinguistik, Kultur- und Sprachgeschichte sowie der Fremdsprachendidaktik.

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