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Die deutsche Bürgschaft und die kolumbianische fianza civil – Eine rechtsvergleichende Betrachtung

Eine rechtsvergleichende Betrachtung

von Annelie Möller (Autor:in)
©2022 Dissertation 436 Seiten

Zusammenfassung

Die deutsche Bürgschaft blickt auf eine lange Rechtstradition zurück und ist Gegenstand zahlreicher Gerichtsurteile. Die kolumbianische fianza civil entspricht diesem Rechtsinstitut. Sie ist jedoch nicht so streitbehaftet wie die deutsche Bürgschaft. Die vorliegende Publikation befasst sich mit der Frage, welche Rechtsordnung geeigneter auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Sicherungsinteresse des Gläubigers einerseits und dem Schutzinteresse des Bürgen andererseits eingeht. Die Autorin erörtert dafür zunächst die generellen Unterschiede der Privatrechtsordnungen und geht sodann auf die einzelnen Facetten der Bürgschaft vor dem Hintergrund der verschiedenen Gesetze ein. Diesbezüglich setzt sie sich kritisch mit den jeweiligen Vor- bzw. Nachteilen, welche die Normen bieten, auseinander.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Problemstellung
  • II. Anlass und Gang der Darstellung
  • III. Methodik der Rechtsvergleichung
  • 1. Die Auslegung in Kolumbien
  • 2. Die Auslegung in Deutschland
  • 3. Vergleich
  • B. Die verschiedenen Privatrechtssysteme im Überblick und Vergleich
  • I. Das deutsche Privatrechtssystem
  • 1. Kodifikation des deutschen Zivilrechts und seine Entstehungsgeschichte
  • 2. Bedeutung
  • 3. Aufbau des BGB
  • II. Das kolumbianische Privatrechtssystem
  • 1. Kodifikation des kolumbianischen Zivilrechts und seine Entstehungsgeschichte
  • a) Der Código Civil de Chile
  • b) Der Código Civil colombiano
  • 2. Bedeutung
  • 3. Aufbau des Código Civil
  • III. Zusammenfassung
  • C. Die Bürgschaft
  • I. Zweck und Gegenstand der Bürgschaft
  • II. Entstehungsgeschichte der Bürgschaft
  • 1. In Deutschland
  • 2. In Kolumbien
  • III. Charakteristika des Bürgschaftsvertrages
  • 1. Akzessorietät zur Hauptforderung
  • a) Entstehungsakzessorietät
  • aa) In Deutschland
  • bb) In Kolumbien
  • cc) Vergleich
  • b) Akzessorietät im Hinblick auf den Haftungsumfang
  • aa) In Deutschland
  • bb) In Kolumbien
  • cc) Vergleich
  • c) Übertragungsakzessorietät
  • aa) In Deutschland
  • bb) In Kolumbien
  • cc) Vergleich
  • d) Erlöschensakzessorietät
  • e) Durchsetzungsakzessorietät
  • 2. Einseitig verpflichtender Vertrag
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 3. Unentgeltlichkeit
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 4. Subsidiarität
  • IV. Kautionsarten
  • 1. Realsicherheiten
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 2. Personalsicherheiten
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 3. Abgrenzung der Bürgschaft zu anderen Personalsicherheiten
  • a) Garantie
  • aa) In Deutschland
  • bb) In Kolumbien
  • cc) Vergleich
  • b) Gesamtschuldner
  • aa) In Deutschland
  • bb) In Kolumbien
  • cc) Vergleich
  • c) Keine Patronatserklärung
  • aa) In Deutschland
  • bb) In Kolumbien
  • d) Aval
  • aa) In Deutschland
  • bb) In Kolumbien
  • cc) Vergleich
  • e) Versicherungsvertrag
  • f) Vertragsstrafe
  • V. Arten der Bürgschaft
  • 1. Gewöhnliche Bürgschaft
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 2. Selbstschuldnerische Bürgschaft
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 3. Bürgschaft auf erstes Anfordern
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • 4. Beschränkte und unbeschränkte Bürgschaft
  • a) In Deutschland
  • aa) Globalbürgschaft
  • bb) Höchstbetragsbürgschaft
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 5. Zeitbürgschaft
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 6. Mitbürgschaft
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 7. Nachbürgschaft
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 8. Rückbürgschaft
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • 9. Prozessbürgschaft
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 10. Ausfallbürgschaft
  • 11. Hypothekenbürge
  • 12. Zusammenfassung
  • VI. Die drei „Seiten“ der Bürgschaft
  • 1. Verhältnis zwischen dem Hauptschuldner und dem Gläubiger
  • a) In Deutschland
  • b) In Kolumbien
  • c) Vergleich
  • 2. Der Bürgschaftsvertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger
  • a) Von der Bürgschaft unabhängige Voraussetzungen der Entstehung des Anspruchs
  • aa) In Deutschland
  • (1) Angebot und Annahme
  • (2) Innerer und äußerer Tatbestand der Willenserklärung
  • (3) Wirksamkeitshindernisse
  • bb) In Kolumbien
  • (1) Angebot und Annahme
  • (2) Innerer und äußerer Tatbestand der Willenserklärung
  • (3) Terminologie
  • (4) Willensmängel
  • (5) Rechtmäßiger Vertragsgrund
  • (6) Die Rechtsfolge einer mängelbehafteten Willenserklärung in Kolumbien
  • (a) Absolute Nichtigkeit
  • (b) Relative Nichtigkeit
  • (c) Partikuläre Nichtigkeit
  • (d) Vergleich der Nichtigkeitsgründe
  • cc) Vergleich
  • b) Tauglichkeit des Bürgen
  • aa) In Deutschland
  • bb) In Kolumbien
  • cc) Vergleich
  • c) Vertragsform
  • aa) In Deutschland
  • bb) In Kolumbien
  • cc) Vergleich
  • d) Einreden als möglicher Grund des Untergangs des Anspruchs
  • aa) In Deutschland
  • (1) Aus dem Verhältnis Bürge – Gläubiger
  • (a) Generelle Einredemöglichkeiten
  • (b) Sittenwidrigkeit
  • (aa) Grund der Schutzbedürftigkeit
  • (bb) Gesetzliche Schutzinstrumente
  • (cc) Durch die Rechtsprechung etablierte Schutzinstrumente
  • (dd) Krasse finanzielle Überforderung
  • (ee) Strukturelle Unterlegenheit
  • (ff) Schutzwürdiges Eigeninteresse
  • (gg) Beweislastverteilung
  • (hh) Unzulässige Beeinflussung des Bürgen
  • (ii) Auswirkungen der Insolvenzordnung auf die Sittenwidrigkeitsrechtsprechung
  • (2) Aus dem Verhältnis Schuldner – Gläubiger
  • bb) In Kolumbien
  • (1) Einrede gegen die Hauptschuld
  • (2) Persönliche Einreden des Bürgen
  • (a) Einrede der Vorausklage
  • (b) Teilungseinrede
  • (c) Einrede der Regressvereitelung
  • (d) Einrede der Gegenklage
  • cc) Vergleich
  • 3. Verhältnis zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner
  • a) In Deutschland
  • aa) Ablösungsrecht
  • bb) § 670 BGB, Aufwendungsersatz
  • cc) Der Rückgriff des Bürgen
  • b) In Kolumbien
  • aa) Ablösungsrecht
  • bb) Regress
  • (1) Rückerstattungsklage (acción de reembolso)
  • (2) Regressklage (acción subrogatoria)
  • (3) Auftragsverhältnis
  • (4) Vergleich der Regressmöglichkeiten untereinander
  • c) Vergleich
  • VII. Erlöschen der Bürgschaft
  • 1. In Deutschland
  • 2. In Kolumbien
  • a) Akzessorisches Erlöschen
  • b) Direktes Erlöschen
  • 3. Vergleich
  • D. Erste Auswertungen zum Wesen der Bürgschaft sowie zu ihrer wirtschaftlichen Relevanz im Vergleich zu anderen Sicherheiten
  • I. In Deutschland
  • II. In Kolumbien
  • III. Zusammenfassung
  • E. Fazit
  • Anhang
  • I. Normen des Código Civil colombiano
  • II. Normen des Código de Comercio colombiano
  • III. Normen des Código de Procedimiento Civil colombiano
  • IV. Übrige Gesetze
  • Schriftenverzeichnis
  • I. Deutsches Literaturverzeichnis
  • II. Fremdsprachiges Literaturverzeichnis

←16 | 17→

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

andere Ansicht

ABGB

(österreichisches) Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

a.E.

am Ende

a.F.

alte Fassung

AGB

Allgemeine Geschäftsbedingungen

AGBG

Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

BAG

Bundesarbeitsgericht

BauR

Baurecht (Zeitschrift)

BB

Der Betriebs-Berater (Zeitschrift)

Bd.

Band

Begr.

Begründer

Begr. RegE BT-Drs.

Begründung Regierungsentwurf Bundestag-Drucksache

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 195)

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BIP

Bruttoinlandsprodukt

BKR

Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht

BMJ

Bundesministerium der Justiz

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BT

Besonderer Teil

BT-Drucksache

Bundestag-Drucksache

BuB

Bankrecht und Bankpraxis (Zeitschrift)←17 | 18→

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BvR

Das Registerzeichen BvR wird beim Bundesverfassungsgericht für Verfahren über Verfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a sowie über Kommunalverfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG verwendet.

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

c.

consiguiente

CC

Código Civil colombiano (Gesetz 57 von 1887)

C. de C.

Código de Comercio, in Kraft getreten am 27.3.1971 (Decreto 410 de 1971)

C. de P.

Código de Procedimiento Civil (Decreto 1400 y 2019 de 1970)

c.i.c.

culpa in contrahendo

COP

Kolumbianische Pesos

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

diesbzgl.

diesbezüglich

dies.

dieselben

DStR

Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

DZWiR

Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche

EU

Europäische Union

EUR

Euro

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

f./ff.

folgende

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

FARC

Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBl. I S. 1)

ggf.

gegebenenfalls

G. J.

Gaceta Judicial

grds.

grundsätzlich←18 | 19→

HGB

Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 (RGBl. I S. 219), in Kraft getreten am 1.1.1900

HKK

Historisch-kritischer Kommentar

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

hrsg. v.

herausgegeben von

HS

Halbsatz

i.d.R.

in der Regel

i.H.d.

in Höhe des

i.H.v.

in Höhe von

InsO

Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2866), in Kraft getreten am 19.10.1994 bzw. 1.1.1999

i.S.d.

im Sinne des/der

i.S.v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

Jura

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JW

Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

JZ

Juristenzeitung

Komm.

Kommentierte

KTS

Zeitschrift für Insolvenzrecht

lit.

littera

LMK

Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring (Zeitschrift)

o.g.

oben genannt

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift)

MüKo

Münchener Kommentar

NJ

Neue Justiz (Zeitschrift)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

NJW-RR

NJW-Rechtsprechungsreport

No./nº

Número

Nr.

Nummer

NZBau

Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht

NZI

Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht

OGK

Online Großkommentar

OK

Online Kommentar←19 | 20→

OLG

Oberlandesgericht

pág.

página

p/pp.

page/pages

Prot.

Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfes des Bürgerlichen Gesetzbuches

RabelsZ

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

Reg.E.

Regierungsentwurf

RG

Reichsgericht

RGBl.

Reichsgerichtsblatt

RGWarnRspr.

Warneyers Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts (Zeitschrift)

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RL

Richtlinie

Rn.

Randnummer

Rspr.

Rechtsprechung

RUGAP

Reglas Uniformes para Garantías a Primer Requerimiento

S.

Seite

SchuldR

Schuldrecht

S. de N. G.

Sala de Negocios Generales

SeuffA

Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten (Zeitschrift)

sog.

sogenannte

u.a.

unter anderem

u.U.

unter Umständen

v.

von/vom/vor

VersR

Versicherungsrecht (Zeitschrift)

vgl.

vergleiche

Vor./Vorbem.

Vorbemerkung

VuR

Verbraucher und Recht (Zeitschrift)

WechselG

Wechselgesetz vom 21.7.1933 (RGBl. I, S. 399), in Kraft getreten am 1.4.1934

WM

Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift)

ZBB

Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft

z.Bsp.

zum Beispiel

ZEuP

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht←20 | 21→

ZInsO

Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZPO

Zivilprozessordnung vom 30.1.1877 (RGBl. S. 83), in Kraft getreten am 1.10.1879

ZR

Abkürzung in Aktenzeichen für zivilrechtliche Verfahren

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

←22 | 23→

A. Einleitung

I. Problemstellung

Die Bürgschaft (auf Spanisch fianza) blickt auf eine lange Rechtstradition mit herausragender Bedeutung zurück. Sowohl das deutsche als auch das kolumbianische Recht kennen diese Personalsicherheit. Mithin stellt sie nicht einen exotischen Trend, sondern vielmehr gelebte Rechtspraxis dar. Hierbei hat sich der Inhalt der Bürgenverpflichtung im Laufe der Zeit von einer Art „Geiselschaft“, bei welcher der Bürge1 mit seiner Freiheit haftet, hin zu einer finanziellen Absicherung entwickelt. Auch diese finanzielle Verpflichtung kann indes existenzbedrohende Züge annehmen.

Dennoch zählt die Bürgschaft zu den für den deutschen Wirtschaftsverkehr bedeutenden Personalsicherheiten. Dies ist vor allem durch den privilegierten Gläubigerzugriff auf das gesamte Vermögen des Bürgen bedingt. Zudem handelt es sich um die in Deutschland einzig kodifizierte Personalsicherheit. Die Vorschriften der §§ 765 ff. BGB versuchen dabei, den wirtschaftlichen Interessen der beiden beteiligten Parteien zu entsprechen. Die Bestimmungen sind jedoch sehr knapp gefasst und gehen nicht auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutzinteresse des Bürgen einerseits und dem Sicherungsinteresse des Gläubigers andererseits ein, da sie primär den Fokus auf die Gläubigerrechte legen. So fehlt u.a. eine Abgrenzung der Bürgschaft zu anderen Rechtsinstituten, die den Sicherungsgeber allerdings noch weniger schützen. Auch dies mag ein Grund dafür sein, dass die Gerichte seit Inkrafttreten des BGB häufig mit Bürgschaftsstreitigkeiten beschäftigt sind. Aus mehreren Leitentscheidungen haben sich eine Präzisierung und Konkretisierung der Normen ergeben. Hierbei wurde das Schutzinteresse des Bürgen stärker berücksichtigt.

In Kolumbien kommt der bürgerlich-rechtlichen Bürgschaft dagegen keine so starke wirtschaftliche Bedeutung zu.2 Zwar kann der Gläubiger auch innerhalb dieses Rechtssystems auf das gesamte Vermögen des Bürgen zugreifen, dem Bürgen stehen aber mehrere Einredemöglichkeiten zu,3 die die praktische ←23 | 24→Inanspruchnahme scheinbar für den Gläubiger zu stark erschweren. Das Bürgschaftsrecht ist in den Art. 2361 ff. Código Civil colombiano (CC) umfassend geregelt.

Ziel der Arbeit ist die Darstellung und Bewertung des kolumbianischen sowie des deutschen Bürgschaftsrechts. In diesem Zusammenhang wird insbesondere auch das allgemeine Schuldrecht des Código Civil colombiano untersucht, soweit es für die vorliegende Abhandlung von Relevanz ist. Vor diesem Hintergrund wird sodann sowohl das kolumbianische als auch das deutsche Bürgschaftsrecht eingeordnet. Ferner wird untersucht, in welcher Hinsicht sich die Bestimmungen zur kolumbianischen und deutschen Bürgschaft unterscheiden oder entsprechen.

II. Anlass und Gang der Darstellung

Bis zu diesem Zeitpunkt existiert noch keine zivilrechtliche rechtsvergleichende Arbeit zu Deutschland und Kolumbien. Dies mag an der wechselhaften Geschichte Kolumbiens und den nicht vergleichbaren universitären Systemen liegen, die Doktoranden von der Erstellung einer solchen Arbeit abgeschreckt haben könnten. Obwohl es sich um zwei sehr unterschiedliche Länder handelt, bietet sich ein Vergleich des Bürgschaftsrechts an. Kolumbien ist als das zweitgrößte spanischsprachige Land der Welt nicht nur ein für in- und ausländische Investoren attraktives und wettbewerbsfähiges Land.4 Der Código Civil colombiano weist außerdem einige Parallelen zum BGB auf. Das Römische Recht prägt nämlich nicht nur das kontinentaleuropäische Recht, sondern vielmehr auch das Rechtssystem vieler lateinamerikanischer Länder, sodass es zahlreiche Übereinstimmungen gibt. Für einen Rechtsvergleich eignen sich speziell die Bürgschaftsregelungen, da die römisch-rechtlichen Grundlagen hier einen besonderen Einfluss hatten. Daraus ergibt sich ferner die Frage, ob Lateinamerika bei einer rechtlichen Betrachtungsweise u.U. zu (Kontinental-)Europa gehört. Darüber hinaus ist der Rechtsvergleich interessant, weil beide Rechtsordnungen mit jeweils anderen sozialen Herausforderungen in der Rechtspraxis konfrontiert wurden.

Die Problemstellung liegt in der unterschiedlichen Behandlung der Interessenkollision zwischen dem Sicherungsinteresse des Gläubigers und dem Schutz des Bürgen. Diese wird im Rahmen der Analyse der zu vergleichenden ←24 | 25→Rechtsordnungen näher betrachtet. Fraglich ist, ob die Gesetzgebung in den verschiedenen Rechtsordnungen effektiv auf diese Herausforderungen eingeht.

Die vorliegende Untersuchung befasst sich zu Beginn (B.) mit der Entstehungsgeschichte der beiden Rechtsordnungen. Sodann wird die Bürgschaft – insbesondere vor dem Hintergrund des kolumbianischen allgemeinen Schuldrechts – erläutert (C.). Zunächst wird die Entstehungsgeschichte der Bürgschaft dargelegt und im Rahmen derer aufgezeigt, wie es zu der gemeinsamen Rechtstradition kam. Dargestellt wird, dass die Charakteristika der Bürgschaft in Deutschland und Kolumbien sich im Wesentlichen ähneln. Um die rechtlichen Konflikte, denen die Stellung einer Kreditsicherheit begegnet, besser einordnen zu können, ist es essenziell, die Bürgschaft in das Feld der verschiedenen Kreditsicherheiten einzuordnen und innerhalb dieser, ihre Relevanz darzulegen.

Des Weiteren werden die drei Seiten des Bürgschaftsvertrages – zwischen den verschiedenen Parteien – erörtert. Die Zusammenhänge und Unterschiede der beiden Rechtsordnungen werden anhand einer Auswertung von Literatur und Gerichtsurteilen herausgearbeitet und einander gegenübergestellt. Dabei wird zunächst das deutsche Recht betrachtet. Ferner soll festgestellt werden, ob potenzielle Unterschiede gesellschaftlich oder anderweitig korrigiert oder ausgeglichen werden.

Im Hinblick auf das kolumbianische Recht ist hervorzuheben, dass, anders als in Deutschland, zumindest in Bezug auf das Bürgschaftsrecht, wenig Literatur existiert. Dies liegt u.a. daran, dass nicht alle Universitäten über das Promotionsrecht verfügen, wodurch es insgesamt weniger Dissertationen gibt. Zudem wird in Kolumbien grundsätzlich weniger wissenschaftlich publiziert. Dies bezieht sich nicht nur auf Dissertationen, Habilitationen und Aufsätze, sondern auch auf die Aktualität der vorhandenen Literatur. In Kolumbien ist es durchaus üblich, dass Lehrbücher sehr alt sind und keine Neuauflage veröffentlicht wird. Zudem kommt die Literatur größtenteils ohne Fußnoten aus, was die Recherche zusätzlich erschwerte. Aktuelle Gerichtsurteile zum Bürgschaftsrecht waren kaum auffindbar. Dies lässt sich zumindest auch darauf zurückführen, dass der Bürgschaft in Kolumbien kaum mehr eine praktische Bedeutung zukommt.5 Der Grund hierfür wird erläutert werden. Die begriffliche Unklarheit zwischen fianza, garantía und caución hat die Bedingungen zur Erstellung der Arbeit in der Anfangszeit verzögert.

Im letzten Teil der Arbeit folgt ein Fazit (D.), in welchem insbesondere auf die Vor- und Nachteile der kolumbianischen fianza im Vergleich zur deutschen ←25 | 26→Bürgschaft eingegangen werden soll. Schließlich findet sich im Anhang die Übersetzung aller Normen des Código Civil colombiano, welche in dieser Arbeit erwähnt wurden, und einiger weiterer Normen, die zum Gesamtverständnis beitragen. Die übersetzten Normen des Bürgschaftsrechts wurden mit Querverweisen auf andere Normen versehen. So ist es in kolumbianischen juristischen Suchmaschinen6 möglich, bei der Lektüre einer Norm gleich die die Norm ändernden Rechtsakte zu sehen. Des Weiteren wird auf die Norm zitierende Rechtsprechung, normative Dispositionen (disposiciones normativas) sowie auf sog. artículos doctrinales verwiesen. Diese Art der Querverweisung wurde im Anhang teilweise übernommen.

III. Methodik der Rechtsvergleichung

Im Rahmen einer rechtsvergleichenden Arbeit müssen die Besonderheiten der jeweiligen Rechtsordnung berücksichtigt werden. Dem fremden Recht kann nicht der deutsche Maßstab zugrunde gelegt werden.7 So können die sozialen Strukturen des anderen Landes einer Regelung eine andere Bedeutung geben. Mithin darf sich der Rechtsanwender im Rahmen der Auslegung nicht auf seine eigene (juristische) Weltanschauung beschränken. Vielmehr muss er „das Recht als Ganzes ermitteln, wie es sich in Rechtsprechung und Rechtslehre entwickelt hat und in der Praxis Auswirkung findet.“8 Die Rechtsvergleichung dient der Entdeckung der Essenz des Rechts, also der allgemein übergreifenden Regeln.9 Das unverfälschte Recht soll so zum Ausdruck gebracht werden, wie ein Richter des ausländischen Rechtskreises es anwenden würde.10

Folglich ist das ausländische Recht aus seinem eigenen Verständnis heraus auszulegen.11 Voraussetzung der Auslegung sowohl in Deutschland als auch in Kolumbien ist die Auslegungsbedürftigkeit. Dieses Bedürfnis kann direkt nach der Übersetzung auftreten. Anschließend sind die fremde Weltanschauung ←26 | 27→und die anderen sozialen wie ökonomischen Verhältnisse heranzuziehen.12 Die Rechtsordnung muss nicht nur im Kontext der einzelnen Normen, sondern auch des Gewohnheitsrechts, der Ausstrahlung des Verfassungsrechts, von Analogien und der obergerichtlichen Rechtsprechung betrachtet werden.13

Der Auslegung einer Norm folgt der Vergleich mit einer anderen, ebenfalls ausgelegten Norm. Die dezidierte Darlegung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede ist die eigentliche Rechtsvergleichung.14 Die Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen dem Sicherungsinteresse des Gläubigers und dem Schutzbedürfnis des Bürgen ist unter anderem Leitfrage der Arbeit. Die Wahl der Mittel, mit welchen die unterschiedlichen Rechtsordnungen diesem Konflikt begegnen, ist divergierend. Hierbei handelt es sich um funktionelle Rechtsvergleichung. Die soziale Funktion einer Norm ist bei dieser Methode vordergründig. Es wird die Frage aufgeworfen, inwiefern eine Norm aus einem anderen Rechtskreis diese Funktion erfüllt.15

Unterschiede und Gemeinsamkeiten können anhand eines Makro- oder Mikrovergleichs herausgearbeitet werden. Der Makrovergleich bezieht sich auf ein Rechtssystem im Ganzen, der Mikrovergleich hingegen auf eine spezielle Rechtsnorm.16 Zu beachten ist bei letzterer Vergleichsmöglichkeit, dass jede einzelne Norm wiederum als Teil eines ganzen – ausgewogenen – Systems zu verstehen ist.17

Gegenstand der Arbeit ist die rechtsvergleichende Betrachtung der deutschen Bürgschaft mit ihrem kolumbianischen Pendant, der fianza civil. Nach derzeitigem Stand thematisiert keine wissenschaftliche Arbeit den Vergleich zwischen dem deutschen und dem kolumbianischen Bürgschaftsrecht. Zu ←27 | 28→Vergleichszwecken befasst sich die vorliegende Arbeit nicht nur mit den Privatrechtssystemen, denen die Bürgschaft zugeordnet werden kann, sondern auch mit der Rechtsgeschichte der beiden Rechtsordnungen im Allgemeinen und im Speziellen in Bezug auf die Bürgschaft. Zudem wird die Bürgschaft im Hinblick auf ihren Zweck innerhalb des funktionellen Systems der Kreditsicherheiten der jeweiligen Rechtsordnung sowohl abgrenzend als auch vergleichend dargestellt. Darüber hinaus erfolgt die Erläuterung der einzelnen Rechtsverhältnisse der Beteiligten untereinander. Der Fokus liegt hier auf der Erörterung der in den Rechtsordnungen unterschiedlichen und gemeinsamen Probleme, die sich hier stellen. Zusätzlich wird die Rechtsprechung ausgewertet. Der funktionelle Vergleich findet folglich in einem einzelnen Themenbereich statt, innerhalb dessen jedoch unter Beachtung des ganzen Systems der Kreditsicherheiten.

1. Die Auslegung in Kolumbien

Die Auslegung und Interpretation von Gesetzen bedient sich in Kolumbien verschiedener Methoden: der grammatikalischen, der auf den Sinn und die Billigkeit abstellenden, der systematischen und der historischen Auslegungsmethode sowie der logischen Interpretation. Die grammatikalische Auslegung orientiert sich am Wortlaut.18 Grundsätzlich ist der Wortlaut nach dem üblichen Gebrauch zu verstehen, Art. 28 CC. Ausnahmsweise spielt der Wortlaut hingegen lediglich eine untergeordnete Rolle, sofern der Sinn des Gesetzes offensichtlich ist, Art. 27 Abs. 1 CC. Damit wird dem Telos Vorrang eingeräumt. Die teleologische Auslegung, mithin die Auslegung nach dem Sinn und der Billigkeit, orientiert sich an der Intention oder dem Geist des Gesetzes.19 Hierbei werden zudem äußere Umstände beachtet, die den Vertrag beeinflusst haben könnten.20 Die systematische Auslegung berücksichtigt hingegen das interne System des Gesetzes, Art. 30 Abs. 1 CC.21 Gesetze, die den Sinn eines Gesetzes erläutern sollen, ←28 | 29→werden als in das Hauptgesetz implementiert angesehen, Art. 14 CC. Weiterhin dient die historische Auslegung dazu, den Willen des historischen Gesetzgebers zu ergründen.22 Letztlich ähnelt die teleologische Auslegung dem deutschen Modell.23

Zu der logischen Interpretation werden folgende Schlüsse gezählt: die Analogie und der Erst-recht-Schluss (argumentum a fortiori) in Form des argumentum a maiore ad minus und des argumentum a minori ad maius sowie das argumentum a contrario.24 Die Analogie ist dort zulässig, wo ein gleicher Sinn besteht.25 Das argumentum e contrario ist ebenfalls anwendbar, wobei dem Schweigen des Gesetzgebers i.d.R. keine Bedeutung beizumessen ist.26 Die logische Interpretation, wie sie in Kolumbien angewandt wird, gleicht der deutschen Rechtsfortbildung.

Darüber hinaus regeln die Art. 1618 ff. CC die Auslegung von Verträgen in Kolumbien separat. So geht der Wille der Vertragsparteien dem Wortlaut vor, Art. 1618 CC. Der Auslegung, die am ehesten der Intention entspricht, welche im gesamten Vertrag zum Ausdruck gebracht wird, ist der Vorrang einzuräumen, Art. 1622 Abs. 1 CC. Auch hieraus kann geschlossen werden, dass dem Parteiwillen in Kolumbien oberste Priorität beigemessen wird.27

Hervorzuheben ist allerdings insbesondere, dass die Übersetzung an sich bereits eine Interpretation des Gesetzes ist.28

2. Die Auslegung in Deutschland

Die Auslegungsmethoden für Gesetze in Deutschland entsprechen den kolumbianischen, wobei sie im BGB nicht eigens kodifiziert wurden, sondern lediglich im Vorwort einzelner Gesetze erwähnt werden.29 Dies wirkt sich auf die ←29 | 30→Bindungswirkung der Interpretationsregeln aus. Sofern sie, wie in Kolumbien der Fall, gesetzlich normiert sind, ist ihre Anwendung obligatorisch. Sind sie hingegen lediglich in der Drucksache zur Erläuterung erwähnt, ist ihre Anwendung nicht zwingend.

Ebenfalls nicht detailliert normiert wurde in Deutschland die Auslegung von Verträgen. Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung dem wirklichen Willen der Parteien der Interpretationsvorrang einzuräumen. Nach § 157 BGB ist bei der Auslegung von Verträgen das Prinzip von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu beachten. Dem Parteiwillen wird somit auch in Deutschland oberste Priorität eingeräumt. Dies beruht auf dem Prinzip der Privatautonomie. Das Prinzip ist nicht ausdrücklich im BGB geregelt, wird jedoch in § 311 Abs. 1 BGB vorausgesetzt. Eine Erscheinungsform der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit, welche das BVerfG aus Art. 2 Abs. 1 GG herleitet. Den Vorschriften der §§ 116 ff. BGB kann ebenfalls entnommen werden, dass der Wortlaut gegenüber dem wirklichen Willen nachrangig ist.

Details

Seiten
436
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631877005
ISBN (ePUB)
9783631877012
ISBN (MOBI)
9783631877029
ISBN (Hardcover)
9783631874639
DOI
10.3726/b19650
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Mai)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 436 S.

Biographische Angaben

Annelie Möller (Autor:in)

Annelie Möller studierte Rechtswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie war zunächst als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg und sodann am Institut für Wirtschafts- und Steuerrecht der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel tätig. Am letztgenannten Institut erfolgte auch ihre Promotion.

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