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Automatisierte Worterkennung im Englischunterricht der Primarstufe

Onset-, Reim- und Ganzwortebene als mögliche Zugänge zur Schriftsprache im frühen Englischunterricht

von Pia Holtappels (Autor:in)
©2022 Dissertation 336 Seiten

Zusammenfassung

Es scheint unumstritten, dass die Schriftsprache in den Englischunterricht der Grundschule einzubeziehen ist. Dennoch existieren bisher nur wenig Vorschläge zur methodischen Umsetzung und zum Fokus der Instruktion. Während die aus dem Deutschunterricht bekannten Ansätze durch die Komplexität der englischen Orthographie an ihre Grenzen stoßen, sind Vorgehensweisen aus dem englischsprachigen Raum nicht einfach mit Prinzipien und Zielen des Englischunterrichts in der Grundschule zu vereinbaren. Einen möglichen Zugang bietet ein Fokus auf regelmäßigere Ebenen der englischen Orthographie, wie z.B. die Reimebene. In diesem Band werden mögliche Umsetzungsmöglichkeiten eines solchen Fokus, deren Wirksamkeit sowie die damit verbundenen Herausforderungen im Klassenzimmer diskutiert und untersucht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Preface
  • Vorwort der Autorin
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 2 Worterkennung
  • 2.1 Phonologische Informationsverarbeitung
  • 2.1.1 Das (phonologische) Arbeitsgedächtnis
  • 2.1.2 Die phonologische Bewusstheit
  • 2.1.3 Die Benennungsgeschwindigkeit
  • 2.1.4 Re- und Dekodieren
  • 2.2 Orthographische Verarbeitung und morphologische Bewusstheit
  • 2.3 Syntaktische und semantische Verarbeitung
  • 2.4 Modelle der Worterkennung
  • 2.4.1 Exkurs: Studien der Okulomotorik
  • 2.4.2 Verarbeitungsmodelle
  • 2.4.3 Das Zwei-Wege-Modell
  • 2.4.4 Das Two-Cycles Modell der Worterkennung
  • 2.5 Steuerung der Worterkennung
  • 2.5.1 Orthographische Tiefe
  • 2.5.2 Die psycholinguistische Grain-Size-Theorie
  • 2.6 Einordnung der Worterkennung im Leseprozess
  • 2.7 Worterkennung in der L2
  • 2.7.1 Crosslinguistische Einflüsse
  • 2.7.2 Grundlegende Fähigkeiten
  • 2.7.3 Orthographische Distanz zwischen L1 und L2
  • 2.7.4 L2-Leseerfahrung
  • 2.7.5 L2-Kompetenz
  • 3 Schriftspracherwerb und Schriftsprachinstruktion
  • 3.1 Modelle des Schriftspracherwerbs
  • 3.2 Leselehrverfahren
  • 3.2.1 Leselehrverfahren im deutschsprachigen Raum
  • 3.2.2 Leselehrverfahren im englischsprachigen Raum
  • 3.2.3 Das englische und das deutsche Schriftsystem im Vergleich
  • 3.3 Zwischenfazit
  • 4 Zum Einsatz der Schrift im Englischunterricht der Grundschule
  • 4.1 Aktuelle Forschungsfragen und -ergebnisse
  • 4.1.1 Bedenken zum Einsatz der Schrift: Überforderung der Lernerinnen?
  • 4.1.2 Bedenken zum Einsatz der Schrift: Schriftsprache und Aussprache
  • 4.1.3 Einbezug der Schrift: Der ‚ideale‘ Zeitpunkt?
  • 4.1.4 Chancen der Schrift: Lernhilfe und Gedächtnisstütze?
  • 4.2 Erwartungen an und Umsetzung der Schriftsprachinstruktion im fremdsprachlichen Grundschulunterricht
  • 4.2.1 Curriculare Vorgaben (in NRW)
  • 4.2.2 Aktuelle Umsetzung des Einbezugs von Schrift
  • 4.3 Vorschläge zur Schriftsprachinstruktion im frühen Englischunterricht
  • 4.3.1 Adaption bereits bekannter Lehrverfahren
  • 4.3.2 Automatisierte (Ganz)Worterkennung
  • 4.3.3 Bewusstmachende Verfahren
  • 4.3.4 Erste Forschung zu Effektivität und Einsatz der Lehrverfahren
  • 4.4 Zwischenfazit
  • 5 Theoretische Vorüberlegungen zur orthographischen Einheit
  • 5.1 Onset und Reim als sublexikalische orthographische Einheit?
  • 5.1.1 Silbe und Silbenstruktur
  • 5.1.2 Onset und Reim – natürliche Einheiten der (schrift)sprachlichen Entwicklung?
  • 5.1.3 Der Reim – eine Regelmäßigkeit in der englischen Orthographie?
  • 5.1.4 Onset, Reim und Worterkennung
  • 5.1.5 Onset, Reim und Leseinstruktion
  • 5.1.6 Onset, Reim und schwache Leserinnen
  • 5.2 Fazit: Onset, Reim und Englischunterricht in der Grundschule
  • 6 Studie
  • 6.1 Zielsetzung und Forschungsfragen
  • 6.2 Rahmenbedingungen
  • 6.2.1 Leselehrverfahren im Deutschunterricht
  • 6.3 Grundlegendes Design und Ablauf der Studie
  • 6.4 Erhebungsinstrumente
  • 6.4.1 Hintergrundvariablen
  • 6.4.2 Worterkennungstest Englisch
  • 6.5 Auswertungsverfahren
  • 6.5.1 Fehleranalyse
  • 6.6 Die Interventionen
  • 6.6.1 Gesamtrahmen: Detektivtraining
  • 6.6.2 Ableitung von Förderprinzipien
  • 6.6.3 Intervention in der Reimgruppe
  • 6.6.4 Intervention in der Ganzwortgruppe
  • 6.6.5 Intervention in der Vergleichsgruppe
  • 7 Ergebnisse
  • 7.1 Die Gesamtstichprobe
  • 7.2 Die Gruppenvergleichbarkeit
  • 7.3 Ergebnisse Wortabruf Englisch
  • 7.3.1 Fehler im Reim
  • 7.3.2 Fehler im Onset
  • 7.3.3 Abrufgeschwindigkeit
  • 7.3.4 Entwicklung der Fehlerkategorien im Wortabruf
  • 7.3.5 Entwicklung der Wortgruppen im Wortabruf
  • 7.3.6 Entwicklung der Risikokinder
  • 8 Diskussion
  • 8.1 Diskussion der Forschungsfragen
  • 8.2 Methodendiskussion
  • 8.3 Zur Entwicklung der Risikokinder im Vergleich
  • 8.4 Didaktische Spannungsfelder
  • 8.4.1 Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit
  • 8.4.2 Auswahl des Wortmaterials
  • 8.4.3 Weitere Beobachtungen
  • 8.5 Implikationen für das Klassenzimmer und für die weitere Forschung
  • 8.6 Weitere Reflexionsaspekte
  • 9 Zusammenfassung & Fazit
  • 9.1 Zusammenfassung der gezogenen Erkenntnisse
  • 9.2 Implikationen für den frühen Englischunterricht
  • 9.3 Ausblick für weitere Forschung
  • 10. Literaturverzeichnis
  • Anhang
  • A. Übersicht über Durchschnittswerte der Reimgruppe
  • A1. Gesamtentwicklung und Entwicklung der Risikokinder & Nicht-Risikokinder
  • A2. Entwicklung der Fehlertypen
  • A3. Wortgruppen – Gesamtentwicklung & Entwicklung der Risikokinder
  • B. Übersicht über Durchschnittswerte der Ganzwortgruppe
  • B1. Gesamtentwicklung und Entwicklung der Risikokinder & Nicht-Risikokinder
  • B2. Entwicklung der Fehlertypen
  • B3. Wortgruppen – Gesamtentwicklung & Entwicklung der Risikokinder
  • C. Übersicht über Durchschnittswerte der Vergleichsgruppe
  • C1. Gesamtentwicklung und Entwicklung der Risikokinder & Nicht-Risikokinder
  • C2. Entwicklung der Fehlertypen
  • C3. Wortgruppen – Gesamtentwicklung & Entwicklung der Risikokinder
  • D. Beispiel Transkript und Fehleranalyse Wortabruftest Englisch
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Reihenübersicht

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1 Einleitung

Als die Einführung des Englischunterrichts in den Grundschulen für das Schuljahr 2003/2004 in Deutschland beschlossen wurde, wurden in die ersten Lehrplänen der verschiedenen Bundesländer auch die schriftsprachlichen Kompetenzen Lesen und Schreiben aufgenommen und anschließend immer wieder neu bedacht und verändert. So sah das Land Baden-Württemberg (BW) beispielsweise den Beginn des fremdsprachlichen Unterrichts bereits in der ersten Klasse vor (MKJS BW 2004a: 13), nahm die schriftsprachlichen Kompetenzen jedoch vorerst nur in die Lehrpläne für die dritten und vierten Schuljahre auf (MKJS BW 2004b). Bei einer Überarbeitung des Lehrplans wurden dann jedoch auch für die ersten beiden Schuljahre Kompetenzerwartungen formuliert und die an die Klassen 3/4 gestellten Erwartungen wurden verändert und ausgeweitet (MKJS BW 2016). In Nordrhein-Westfalen (NRW) begann der fremdsprachliche Unterricht zunächst ab Klasse 3, wobei Lesen und Schreiben als Fähigkeiten in den Lehrplan aufgenommen worden waren. Bei der Vorverlegung des Unterrichts in die erste Klasse im Schuljahr 2008/2009 wurden die Kompetenzerwartungen für die Klassen 3/4 genauer beschrieben. Ebenso wurden konkrete Kompetenzerwartungen für das Ende der Schuleingangsphase definiert (MSW NRW 2008). Mit der Rückversetzung des Beginns des Englischunterrichts in die dritte Klasse, liegen mit dem neuen Lehrplan nun abermals überarbeitete Kompetenzerwartungen für diese Bereiche vor (MSB NRW 2021).

Bezüglich der Frage, ob und ab wann die Schrift in den Fremdsprachenunterricht der Primarstufe integriert werden sollte, zeichnet die entsprechende Forschung mittlerweile ein klares Bild: Kinder kennen die Schrift aus ihrer Erstsprache (L1), verlangen nach dieser und sind durch den Einsatz der Schrift im frühen Englischunterricht nicht überfordert (vgl. z.B. Rymarczyk & Musall 2010; Mindt & Wagner 2010: 168; Keßler 2013: 151 f.).

In den aktuellen curricularen Vorgaben1 wird der Umgang mit der Schriftsprache jedoch sehr vorsichtig formuliert. Der Lehrplan des Landes ←19 | 20→BW sieht beispielsweise vor, dass Hören und Sprechen dem Schriftbild in den ersten beiden Schuljahren überzuordnen sind. Auch im dritten und vierten Schuljahr wird die lernunterstützende Funktion der Schrift in den Vordergrund gestellt (MKJS BW 2016: 14, 19). Eine systematische Vermittlung der Schriftsprache ist nicht vorgesehen, lediglich die Möglichkeit, Muster und Regeln aufzugreifen, sollten diese von den Kindern bemerkt werden, wird festgehalten (MKJS BW 2016: 8). Auch der Lehrplan NRW verweist auf eine systematische Thematisierung der englischen Orthographie in den weiterführenden Schulen und sieht die Fokussierung von Mustern – im späteren Unterricht – ebenfalls eher dann vor, wenn diese von den Kindern aufgegriffen werden. Auch in diesem Lehrplan wird stärker auf die lernunterstützende Wirkung der Schriftsprache gebaut (MSW NRW 2011: 72, 75).2

Obwohl die aktuelle Forschung zum Lesen und Schreiben im Englischunterricht der Primarstufe für eine systematische Lesedidaktik plädiert, die sowohl auf theoretischen Überlegungen zum Lesen und Schreiben als auch auf bisherigen empirischen Erkenntnissen basiert (Frisch 2015), behandeln nicht nur die Curricula, sondern auch viele Lehrwerke die Schriftsprache eher stiefmütterlich. Tatsächlich ist in einigen neueren Lehrwerken eine Erhöhung des Schriftsprachfokus vorgenommen worden, indem den Kindern z.B. die Möglichkeit geboten wird, sich selbst mit schriftlichen Instruktionen auseinanderzusetzen oder das laute Vorlesen zu üben, dennoch mangelt es weiterhin an Aufgabenformaten, die die Kinder dabei unterstützen, die grundlegenden Verarbeitungsprozesse für das Lesen einzuüben (Frisch 2019: 3). Zu diesen Fähigkeiten zählt unter anderem die Worterkennung, die in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt steht.

Die vorliegende Dissertationsstudie lässt sich einem neueren Forschungsbereich zur Schriftsprache im fremdsprachlichen Unterricht der Grundschule zuordnen, der die Frage nach konkreten Methoden für die fremdsprachliche Schriftsprachinstruktion stellt. Untersucht werden zwei unterschiedliche orthographische Ebenen als möglicher Zugang zur Schriftsprache im Englischunterricht der Grundschule: die Ganzwortebene und die Onset-Reim-Ebene. Die Wirkung der Förderung dieser beiden Ebenen ←20 | 21→auf (1) das Erkennen isolierter Wörter und (2) den möglichen Transfer orthographischer Muster auf unbekanntes Wortmaterial wird untersucht. Die Resultate werden mit den Ergebnissen einer weiteren Gruppe, in der die Schrift nicht explizit gefördert wird, verglichen.

Um die Bedeutung der Worterkennung für den Leseprozess in der L1 und der Zweitsprache (L2) deutlich zu machen, werden zunächst theoretische Modelle und empirische Ergebnisse bezüglich dieser Fähigkeit diskutiert. Die Worterkennungsfähigkeit wird durch verschiedene Faktoren und Fähigkeiten beeinflusst und Modelle zur Worterkennung stellen nicht eindeutig dar, welche Faktoren besonders ausschlaggebend für eine erfolgreiche Worterkennung sind. Auch die Frage danach, welche orthographischen Einheiten von Leserinnen3 genutzt werden (müssen), erhält mehrere mögliche Antworten (vgl. Kap. 2.12.5). Ebenso stark diskutiert sind mögliche Einflüsse auf die Worterkennung in der L2 (vgl. Kap. 2.7). Welche grundlegenden Fähigkeiten notwendig sind, inwiefern Wissen und Erfahrungen aus der L1-Alphabetisierung eine Rolle spielen und ob die orthographische Struktur der L1 und der L2 einen Einfluss auf die Worterkennung haben, muss bei der Wahl passender Übungsformate für eine mögliche Förderung eben dieser Fähigkeit im Fremdsprachenunterricht bedacht werden.

Bisherige Vorschläge zur didaktischen Umsetzung der Schriftsprachinstruktion im frühen Fremdsprachenunterricht greifen häufig auf Konzepte zurück, die bereits aus der Alphabetisierung im Deutschen bekannt sind. Zusätzlich werden für den frühen Fremdsprachenunterricht auch Konzepte bedacht, die im Anfangsunterricht im englischsprachigen Raum verbreitet sind. Um aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie Implikationen für das frühe fremdsprachliche Klassenzimmer herleiten zu können und um eventuell Verbindungen zu bisherigen Forschungsergebnissen herzustellen, findet folglich auch eine Aufarbeitung des Forschungsstandes und eine Diskussion aktueller Leselehrverfahren im Deutschen statt. Auch (Stufen)Modelle des Schriftspracherwerbs werden hier einbezogen (vgl. Kap. 3.1, 3.2.1). Zusätzlich werden die sich aktuell im englischsprachigen Raum ←21 | 22→gegenüberstehenden Verfahren Whole Language Approach und Phonics, die für weitere Überlegungen relevant sind, kurz beleuchtet (vgl. Kap. 3.2.2).

Überlegungen zu einer effektiven Förderung der Schriftsprache im frühen Englischunterricht müssen auch immer die möglichen Herausforderungen für die Lernerinnen sowie bisherige Erfahrungen und Voraussetzungen bedenken, die diese mitbringen. Vor allem in der Komplexität und Inkonsistenz der englischen Orthographie gegenüber der deutschen (vgl. Kap. 3.2.3) liegt begründet, wieso die Kinder im frühen Englischunterricht Unterstützung bei der Ausbildung ihrer Worterkennungsfähigkeiten benötigen. Da diese Unterstützung idealerweise an die Konzepte anknüpfen sollte, die im Englischunterricht bereits eingesetzt werden oder die sich in der bisherigen Forschung als hilfreich erwiesen haben, wird für eine Diskussion der Ergebnisse auch der bisherige Forschungsstand sowie die aktuelle Umsetzung der Schriftsprachförderung im Englischunterricht der Grundschule dargelegt (vgl. Kap. 4).

Im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit werden theoretische Vorüberlegungen zur orthographischen Einheit angestellt. Die besondere Bedeutung des Reims als orthographische Einheit in der englischen Orthographie sowie das Potential dieser Einheit bei der Schriftsprachinstruktion werden diskutiert. Die durchgeführte Studie wird in Kapitel 6 dargestellt. Nachfolgend werden die Ergebnisse beschrieben (vgl. Kap. 7) und abschließend unter Einbezug der bisherigen theoretischen und empirischen Erkenntnisse diskutiert (vgl. Kap. 8). Erste Implikationen für den Unterricht und Ansatzpunkte für die weitere Forschung in diesem Bereich werden so herausgearbeitet.

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2 Worterkennung

Die Sprache ist das tägliche Kommunikationsmittel des Menschen; das Sprachverstehen ist ein wichtiger Teil davon (Becker-Carus & Wendt 2017: 422). Sprachliche Signale werden dabei in Form kleiner Einheiten gesendet, die in ihrer zusammengesetzten Form Wörter im mentalen Lexikon aktivieren. So kann ihnen dann eine Bedeutung zugeordnet werden (Becker-Carus & Wendt 2017: 425). Dieser Prozess wird als Worterkennung bezeichnet. Da Sprachsignale sowohl auditiv, d.h. in Form gesprochener Sprache, als auch visuell, d.h. in Form geschriebener Sprache, gesendet werden können, kann hier zwischen der auditiven und der visuellen Worterkennung unterschieden werden (Becker-Carus & Wendt 2017: 428).

Im Worterkennungsprozess finden sich mehrere Teilprozesse. Einer dieser Teilprozesse ist der Prozess des lexikalen Zugriffs. Dabei aktivieren die sprachlichen Informationen, die die Hörerin oder Leserin erhält, lexikale Einheiten. Unter Umständen muss dann auch der Prozess der lexikalen Auswahl stattfinden, sollten mehrere Wortformen aktiviert worden sein. Beim letzten Teilprozess handelt es sich um die Integration der Wortbedeutung für das weitere Verstehen (Zwitserlood & Bölte 2017: 449). Der wesentliche Unterschied zwischen der auditiven und der visuellen Worterkennung ist durch den Input bedingt. Bei der auditiven Worterkennung steht die Hörerin vor zwei großen Herausforderungen: Zum einen sind Wörter im Sprachstrom nicht einfach herauszuhören. Gesprochene Sprache ist kontinuierlich. Wortgrenzen werden beim Sprechen nicht durch Pausen markiert, auch wenn ein Individuum glaubt, dies so wahrzunehmen. Diese Herausforderung wird auch als Segmentierungsproblem bezeichnet (Zwitserlood & Bölte 2017: 445). Die zweite Herausforderung ergibt sich durch das sogenannte Variabilitätsproblem. Die Aussprache eines Wortes kann aufgrund des Akzents, des Geschlechts, des Alters, der Lautstärke und vieler weiterer Faktoren stark variieren. Trotzdem muss die Hörerin in der Lage sein, jeweils denselben lexikalischen Eintrag zu aktivieren (Becker-Carus & Wendt 2017: 427).4 Die visuelle Worterkennung unterscheidet sich ←23 | 24→daher von der auditiven, denn Wortgrenzen sind, zumindest in Druckschrift, deutlich zu erkennen. Gleiches gilt auch für Buchstabengrenzen. Obwohl Unterschiede in der Form des Inputs bestehen, scheinen die auditive und die visuelle Worterkennung aber ähnlich zu verlaufen (Zwitserlood & Bölte 2017: 451). Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf der Schriftsprache, d.h. die nachfolgenden Diskussionen beziehen sich immer auf die visuelle Worterkennung. Modelle und offene Frage zu dieser werden in diesem Kapitel beschrieben und diskutiert.

Exkurs: Der Leseprozess

Der Umgang mit der Schriftsprache, d.h. Lesen und Schreiben, sind von gesellschaftlicher und kultureller Bedeutung. Diese Fähigkeiten spielen folglich nicht nur in der L1 eine Rolle, sondern sind auch beim Erwerb einer L2 essentiell (Frisch 2013: 17).

Um das Lesen in der L2 zu diskutieren zu können, muss zunächst ein Blick auf die Leseprozesse in der L1 geworfen werden. Obwohl es auch zum Lesen in der L2 einige Hypothesen und Studien gibt, lässt sich zum Lesen in der L1 eine deutlich höhere Anzahl an Studien finden, wodurch auch die methodischen und didaktischen Ansätze deutlich stärker entwickelt sind. Zumindest für fortgeschrittene Leserinnen gilt außerdem, dass neben Unterschieden in den Leseprozessen durchaus auch Ähnlichkeiten der Prozesse feststellbar sind (Grabe & Stoller 2020: 6).

Details

Seiten
336
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631882467
ISBN (ePUB)
9783631882474
ISBN (Hardcover)
9783631869253
DOI
10.3726/b19973
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Juli)
Schlagworte
Grundschule Englisch L2-Schriftspracherwerb Onset und Reim Ganzwortebene Worterkennung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 336 S., 33 s/w Abb., 22 Tab.

Biographische Angaben

Pia Holtappels (Autor:in)

Pia Holtappels die Fächer Mathematik, Deutsch und Englisch für das Grundschullehramt an der Universität zu Köln, wo sie auch promoviert wurde. Ihre Forschungsschwerpunkte sind der frühe Zweitspracherwerb, der Schriftspracherwerb und der Einsatz von Schriftsprache im Englischunterricht der Grundschule.

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