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Tagungsband der «Asiatischen Germanistentagung 2016 in Seoul» – Band 3

Germanistik in Zeiten des großen Wandels – Tradition, Identität, Orientierung

von Seong-Kyun Oh (Band-Herausgeber:in)
©2022 Konferenzband 348 Seiten

Zusammenfassung

Dieser Band dokumentiert Beiträge der Asiatischen Germanistentagung in Seoul (2016). Sie behandeln die grundlegendsten und drängendsten Fragen der Kultur- und Geisteswissenschaften aus germanistischer Perspektive: Der rasante technologische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Wandel erzeugt neue Erscheinungsformen des Weltlichen. Damit einher gehen veränderte Befindlichkeiten des Gegenwartsmenschen, auf die auch die Germanistik reagiert. Die einzelnen Beiträge des Bandes umspannen das gesamte Spektrum der Germanistik und reflektieren grundlegende humanwissenschaftliche Begriffe von Zeit, Raum und Mensch und versuchen diese neu zu erfassen. Ebenso thematisiert werden sich wandelnde Formen und Praktiken des Ästhetischen, der Kognition und der Kommunikation. Viele Themen aktueller Diskurse werden dabei aufgegriffen: Verhältnis von Tier, Mensch und Maschine, Globalisierung und Flüchtlingsmigration, soziale Spaltung, Gender, Digitalisierung, Neue Medien, sprachlicher Wandel u.v.a.m. Die Beitragenden vereint dabei das Ringen um gültige Antworten auf die wohl brennendste Frage dieser Zeit: Wie gelingt der Paradigmenwechsel vom neoliberalistischen Paradigma einer destruktiven individualistischen Konkurrenz zum gemeinschaftsorientierten Paradigma kreativer Kollaborativität?

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Plenarvorträge
  • Satzgliedstellung im Mittelfeld im Deutschen – Gibt es einen syntaktischen Wandel im Deutschen? (Kwangsin Jee (Seoul))
  • Alltagssprache im DaF-Unterricht (Wolfgang Imo (Duisburg-Essen) )
  • Sektionsthemen und Referate
  • Sprachwandel
  • Interkulturelles Lernen durch die Lektüre von journalistischen Texten (Andrea Meta Birk (Bologna))
  • Metaphern zur Charakterisierung von Respekt in chinesischen und deutschen Interviews im Kontrast (Jingtao Yu (Beijing))
  • Erinnerungskultur und jüdische Literatur im Unterricht (Shoou-Huey Chang (Kaohsiung))
  • Von der Idee des japanischen Staatswesens mit einer e i n z i g e n Nationalsprache – Die Sprachenpolitik des japanischen Kaiserreichs auf der besetzten koreanischen Halbinsel von 1910 bis 1945 (Kazuo Nakajima (Fukuoka))
  • Die Geschichte der Erforschung der koreanischen Sprache durch Deutsche in den 1920er Jahren (Wonhyong Cho (Seoul))
  • Zustandspassiv oder doch kein Passiv aus typologischer Perspektive – Überlegungen zu Resultativkonstruktionen (Yoko Nishina (Hiroshima))
  • Zur Übersetzung von Kulturreferenzen (Kyoung In Choe (Seoul))
  • Versuch zur Modellierung der Übersetzungskompetenz (Junjie Meng (Qingdao))
  • Detransitiviät und Modalität im Deutschen und im Japanischen (Yoshiyuki Muroi (Tokyo))
  • Komparative Terminologie. Korpusbasierte Analyse der Wortbildungssemantik: Ein deutsch-polnisch-französischer Terminologievergleich am Beispiel der medizinischen Ästhetologie (ästhetisch-plastischen Chirurgie bzw. ästhetischen Medizin) (Daniil Danilets (Odessa))
  • Unterricht der postmodernen Literatur mithilfe der postmodernen Architekturelemente (Azadeh Ansari (Teheran))
  • Wandel in der Didaktik
  • Grenzüberschreitendes Lernen am Beispiel des Tandems Bologna-München (Sandro De Martino (Bologna))
  • Ansichten zur Verwendung von im deutschsprachigen Raum erschienenen Lehrwerken. Eine Umfrage unter DaF-Lehrenden in Japan (Elvira Bachmaier/Naoko Kajiura (Nagoya))
  • Zur Förderung der deutschen Sprache in China von Österreich – aus einer sprachpolitischen Perspektive (Jun He (Chengdu))
  • Grammatisch richtig – pragmatisch falsch. Kulturspezifik und Kulturkontakt in geschriebenen Texten (Plamen Tsvetkov (Sofia))
  • Anweisungswortschatz von Sprachprüfungen auf dem Niveau A1 (Fujiko Ogasawara (Tokyo))
  • Zur Erweiterung der mündlichen Sprachkompetenz von DaF-Lernenden mithilfe digitaler Technologien (Diana Stantcheva (Blagoevgrad)/Gabriele Dillmann (Granville))
  • Deutschlehren und -lernen in China unter den Aspekten der Oralität und Literalität (Zhiyong Zhao (Changchun))
  • Farben im DaF-Unterricht (Hee Hyun (Seoul))
  • Sagen Bilder mehr als Worte? Zur bildlinguistischen Analyse von Schlagzeilen und Schlagbildern am Beispiel der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise in Europa (Barbara von der Lühe (Berlin))
  • Prosodische Schriften – Schriften, die Intonation und Rhythmus sichtbar machen (Markus Rude (Nagoya))
  • Podiumsdiskussion
  • Wie sollen die Humanities in Zeiten des großen Wandels aussehen? (Prof. em. Dr. Mun-Yeong Ahn (Seoul) & Prof. Dr. Daniel Müller Nielaba (Zürich)
  • Anhang
  • Tagungsablauf
  • Organisationskomitee
  • Teilnehmerliste
  • Reihenübersicht

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Einleitung

Gegenwärtig findet angesichts der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise weltweit ein großes Umdenken statt, das sich nicht zuletzt auch im Motto des Weltwirtschaftsforums in Davos im Januar 2012 niedergeschlagen hat. Dieser ‘große Wandel’, der längst auch die Wissenschaft erfasst hat, äußert sich in dem Bestreben, das durch den Neoliberalismus zugespitzte Paradigma individualistischer Konkurrenz durch das Paradigma gemeinschaftsorientierter kreativer Kollaborativität zu ersetzen. Damit – wie auch angesichts anderer grundlegender Veränderungen im neuen Jahrtausend – wächst den Geisteswissenschaften eine zentrale Rolle zu, die sie vor neue Herausforderungen stellt.

Doch anders als angesichts des angekündigten Paradigmenwechsels und der zahlreichen Herausforderungen zu erwarten stünde, erlebt gerade die Germanistik eine beständige Schwächung ihrer Existenzgrundlage – und dies trotz der gewachsenen internationalen Bedeutung Deutschlands.

Wir, die Germanisten weltweit, sind also aufgefordert, Antworten zu finden auf die drängende Frage danach, wie wir dieser paradoxen Situation begegnen können und sollen. Die Asiatische Germanistentagung 2016 in Seoul widmet sich mit ihrem Leitthema genau dieser Frage. Es wird darauf ankommen, die Grundthemen der Humanwissenschaften gemäß den Forderungen der Zeit zu rekontextualisieren und der Germanistik eine neue Orientierung zu geben. Die Aufgabe der Tagung besteht somit darin, die Grundthemen der Geisteswissenschaften auf der Basis eines neuen, dem ‘großen Wandel’ Rechnung tragenden Denkens zu entfalten und ihnen damit eine vitale Aktualität zu verleihen.

Im Rahmen dieser Perspektivierung schlagen wir folgende Einzelthemen vor, die an konkreten Beispielen zu beleuchten wären. Der ‘große Wandel’ lässt Raum für viele unterschiedliche und komplexe Fragestellungen. Zum einen sollten die traditionellen Koordinaten menschlicher Welterfassung, nämlich Zeit, Raum und Mensch neu beleuchtet werden. Zeit und Raum sind sowohl eine Bedingung der menschlichen Existenz als auch ein Produkt des kulturellen Handelns und bestimmen so unsere Wahrnehmungsstruktur wie auch unsere Verhaltensweisen. Leitende Fragestellungen dabei könnten sein: Können wir die Konzepte von natürlicher Zeit und Kulturzeit in den verschiedenen Wissensdisziplinen weiter wie bisher untersuchen? Können wir im digitalen Zeitalter noch von einer allgemein-anthropologischen Konstante der Erfahrung, des Erlebens und des Bewusstwerdens von Zeit sprechen? Müssen wir uns heute das Zeitgerüst anders als in Zeiten linearen Denkens vorstellen? Können die raumbezogenen Ansätze in der Literaturwissenschaft, nämlich die semiotische Annäherung an die räumlichen Ansätze der Sprache und der Textstruktur, die Studien zur Geopolitik der Literatur, zur Literaturgeographie ←13 | 14→oder zur Geopoetik usw. die Tendenzen der neuen Raumforschung aufnehmen? Und welche semantische Erweiterung erlebt das Raumkonzept seit der Globalisierung oder angesichts der weltweiten Flüchtlingsbewegungen? Indem wir diese Fragen zu beantworten versuchen, werfen wir zugleich Fragen nach dem Menschen, seinem Körper, Verhalten und Empfinden auf, die nach wie vor die kardinalen Themen der Geisteswissenschaften darstellen. Das Interesse an der Beziehung von Mensch und Tier dehnt sich auf Vorstellungen des Posthumanen aus, die Mensch, Tier und Maschine zusammensehen und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern. Ein großes Thema bleibt ebenfalls der Komplex von Körper und Seele, und zwar sowohl philosophisch und ethisch als auch kognitionswissenschaftlich sowie unter genderspezifischen Gesichtspunkten betrachtet.

Andererseits spiegelt unsere Themenliste aber auch den aktuellen Stand verschiedener anderer Diskurse wider, die den oben genannten Themenkomplexen in keiner Weise nachstehen sollen. Sie umfasst solche Themen wie den Wandel der Kunst und Wissensformen, den Medial Turn, den Sprachwandel und den Wandel in der Didaktik. Die Entwicklung digitaler Technologien brachte einen großen medialen Wandel mit sich, und die neuen Medien verändern die Formen der Kunst und auch der ästhetischen Wahrnehmung. In Bezug auf die neue Technik hat der Kulturbetrieb auch die Rolle des Künstlers und Wissenschaftlers deutlich verändert. Angesichts dieser Lage werden Fragen aufgeworfen wie die, inwiefern Binärcode und Algorithmen die alte Kunst ersetzen, wie in dieser neuen Kunst Kreativität entsteht und was sie bedeutet. Ferner, ob Kunst bzw. Literatur noch weiter die kritische Funktion innenhaben können, die lange als ihre Aufgabe erachtet wurde. Angesichts des Medial Turn ist es weiterhin nötig, uns in Bezug auf die neue mediale Umgebung mit neuen, aktuellen Tendenzen zu beschäftigen. Denn der mediale Wandel stellt uns ständig neue Themen bereit, wie die Verknüpfung von Medientheorie und Literatur, kulturelle Phänomene wie Webcomics und Social Media, die Verwischung der Grenze zwischen Fiktion und Realität, Demokratisierung der Kultur, Narrative bzw. Storytelling in Digitalmedien.

Einen weiteren Schwerpunkt bilden linguistische Phänomene in Bezug auf den Sprachwandel und die damit verbundene Didaktik des DaF-Unterrichts im digitalen Zeitalter. Aller Sprachgebrauch unterliegt einer permanenten Veränderung. Gerade der interaktionale, informelle Sprachgebrauch ist dabei ein wichtiger Auslöser für Sprachwandel. Bei der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache wird allerdings zumeist eine Grammatik gewählt, die sich an der Norm der konzeptionell schriftlichen, eher formellen Sprache orientiert. In den letzten Jahren ist im Bereich der Didaktik des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts eine Diskussion um das Anliegen entstanden, den Fokus weg von der Konzentration auf die formale, grammatische Korrektheit schriftlicher und mündlicher Äußerungen hin auf die soziale und interaktionale Dimension ←14 | 15→von Sprache und Kommunikation zu verschieben. Dabei spiegelt die Fremdsprachendidaktik letztendlich die Refokussierung wider, die bereits zuvor in der Linguistik vollzogen wurde, als man seit den 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts verstärkt die pragmatischen, handlungsbezogenen und interaktionalen Komponenten authentischen Sprechens und Schreibens in den Blick nahm. Wie spiegelt sich der Gesellschaftswandel im Sprachwandel wider? Wie lässt sich authentische schriftliche und mündliche Alltagssprache im DaF-Unterricht thematisieren?

Angesichts dieser grob umrissenen Lage soll die Konferenz dazu beitragen, Erfahrungen und bisherige Ergebnisse aus den vielfältigen Themenbereichen auszutauschen und neue Konzepte für die künftige Lehre und Forschung zu entwickeln.

Oh, Seong-Kyun
Vorsitzender der Asiatischen Germanistentagung 2016 Seoul

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Satzgliedstellung im Mittelfeld im Deutschen – Gibt es einen syntaktischen Wandel im Deutschen?

Kwangsin Jee (Seoul)

1. Muss eine zugrundeliegende Satzgliedstellung im Deutschen angenommen werden?

Gestützt auf die typologischen Untersuchungsergebnisse von W. P. Lehmann (1971) und von J. H. Greenberg (1963) hat Theo Vennemann mit R. Bartsch (1972) „das Prinzip der natürlichen Serialisierung“ aufgestellt, wonach in OV-Sprachen „Operatoren (modifiers)“ vor den „Operanden (modified elements)“ vorkommen, während in VO-Sprachen die Reihenfolge umgekehrt ist (Theo Vennemann/ R. Bartsch 1972:136):

Das Prinzip der natürlichen Serialisierung

{Operator  {Operand}}

       [Operator (Operand)]  in OV-Sprachen

       [Operand (Operator)]  in VO-Sprachen

Dabei geht Vennemann von der Annahme aus, dass die im Operator-Operand-Verhältnis stehenden Elemente in OV-Sprachen von rechts nach links und in VO-Sprachen von links nach rechts serialisiert werden. Aber es ist im Deutschen noch umstritten, ob das Deutsche als SOV- oder SVO-Sprache anzusehen ist. Dieses Problem hängt nicht nur mit der verschiedenen Verbstellung im Hauptsatz und Nebensatz zusammen, sondern auch mit der Wortstellung der anderen Satzglieder im Mittelfeld.

Die Inkonsistenz führt Theo Vennemann (1973, 1974) auf die Veränderung der Sprachen zurück. Er behauptet, dass sich das Deutsche auch von SOV zu SVO ändert und dass sich das heutige Deutsch syntaktisch wie das Altenglische verhält, in dem das Satzmuster für Hauptsätze SVO und für Nebensätze SOV ist, und dass die Sprachen den Übergang von SOV zu SVO zuerst in den Hauptsätzen und erst später in den Nebensätzen vollziehen. Bei dem Prinzip der natürlichen Serialisierung handelt es sich darum, dass das in engerer Beziehung zum Verb stehende Satzglied noch näher beim Verb steht. Problematisch ist, zu entscheiden, welches Satzglied in engerer Beziehung zum Verb steht.

Nach der Valenztheorie stehen Ergänzungen in engerer Beziehung zum Verb als Angaben und deshalb im Mittelfeld näher beim Verb als Angaben. ←19 | 20→Problematisch ist, dass es trotz umfangreicher und intensiver Forschung bisher noch nicht gelungen ist, den Begriff der Valenz des Verbs nicht nur morphosyntaktisch, sondern auch semantisch vollständig zu klären und einheitlich zu fassen. Schwierigkeiten bereitet vor allem die Abgrenzung der Valenz. Dabei werden als Abgrenzungskriterien Weglassbarkeit, semantische Invarianz, Verbaffinität oder Sinnvollständigkeit des Verbs angesehen, aber es fehlt noch an überzeugenden Analyseverfahren, die es erlauben, eindeutig zwischen valenzgebundenen und nichtvalenzgebundenen Satzgliedern zu unterscheiden. Das gilt besonders bei den Adverbialen, wie die folgenden Beispiele zeigen (Kwangsin Jee 2001).

(1)  a.Maria liegt im Zimmer.

b. Maria liegt.

(2)  a.Köln liegt am Rhein.

b.*Köln liegt.

(3)  a. An/Bei/Trotz des schönen Gartens erkannte ich sein Haus.

b.An/Bei/Trotz des schönen Gartens wurden Früchte feilgeboten.

2. Was determiniert die Variation der Satzgliedfolge?

Im Hinblick auf die Behandlung der Abfolge der Satzglieder im Mittelfeld im Deutschen in unterschiedlichen Grammatikmodellen ist zu folgern, dass die Reihenfolge zwischen den Ergänzungen unumstritten ist, und dass die Frage nach der Position der Angaben dabei eine entscheidende Rolle spielt. Der Terminus „Adverbialbestimmung“ wird hier für die adverbialen Satzglieder sowohl als Ergänzung als auch als Angaben verwendet.1 Neuere Arbeiten zu einzelnen Adverbialbestimmungstypen im Deutschen zeigen interessante Zusammenhänge zwischen der Stellung und der Interpretation von bestimmten Adverbialbestimmungstypen auf,2 wobei es sich vor allem um die Frage handelt, ob es eine Grundposition von Adverbialbestimmungen gibt. Wenn ja, inwieweit sind diese durch die Syntax oder durch semantische Gegebenheiten determiniert?

Hier werde ich zeigen, wie problematisch es ist, die Position der Adverbialbestimmungen festzulegen, indem ich exemplarisch und kurz zusammenfassend über einige häufig auftretende Adverbialbestimmungen wie Temporal-, Lokal- und Satzadverbiale spreche.←20 | 21→

2.1. Position der temporalen Adverbialbestimmungen

Temporale Adverbialbestimmungen werden meistens als Angaben klassifiziert. Daher haben alle temporalen Adverbialbestimmungen ihre Grundposition vor den Objekten. Ferner ist es weitgehend unstrittig, dass sie in der Grundfolge auch vor den Lokaladverbialbestimmungen auftreten (Lenerz 1977:85), soweit es sich bei den Lokaladverbialen nicht um Frameadverbiale handelt.

(1) Hans hat am Montag/zwei Stunden lang/jeden Tag im Treppenhaus den Fußboden geschrubbt.

(2) weil Hans an jedem Tag an mindestens einem Ort einkehrte.

Für die Abfolge der verschiedenen temporalen Adverbialbestimmungen sehen die Grundzüge (1981:213) die Abfolge Temporaladverbialbestimmung- Frequenzadverbialbestimmung – Durativadverbialbestimmung als Grundabfolge an und verweisen dazu auf folgende Beispiele:

(3)  (a)Es hat heute ab und zu eine Stunde lang geregnet.

(b) Es hat heute eine Stunde lang ab und zu geregnet.

(c) *Es hat ab und zu heute eine Stunde lang geregnet.

(d) *Es hat ab und zu eine Stunde lang heute geregnet.

(e) ?Es hat eine Stunde lang heute ab und zu geregnet.

(f) *Es hat eine Stunde lang ab und zu heute geregnet.

Zur Position der Frequenzangabe wird vermerkt: „Wenn sie sich auf einen spezifischen Zeitraum bezieht, muss die Durationsbestimmung sekundär vor die Frequenzbestimmung treten.“ (1981:213) Auch Lenerz (1977:83) hat schon auf Ausnahmen zur Grundabfolge Temporal- vor Lokaladverbialbestimmung hingewiesen:

(4)Ich kann in diesem Hotel vor Mitternacht nicht einschlafen.

Auch von der durch die Grundzüge postulierten Abfolge Temporaladverbialbestimmung – Frequenzadverbialbestimmung gibt es Ausnahmen. Die Frequenzadverbialbestimmung kann eine Temporaladverbialbestimmung in ihrem Skopus haben, wenn das Frequenzadverbial als Rahmenadverbial fungiert, das die Interpretation des Temporaladverbials beeinflusst (Pittner 155):

(5)Er hat jede Woche am Montag zwei Stunden lang trainiert.

Laut den Grundzügen (1981:213) stehen Temporal- und Frequenzadverbiale in der Grundabfolge auch vor den Kausaladverbialen. Umgekehrte Abfolgen werden wiederum als “sekundär” bezeichnet.

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(6)  (a)Sie haben vorgestern aufgrund eines Irrtums die Straße aufgerissen.

(b)Sie haben aufgrund eines Irrtums vorgestern die Straße aufgerissen.

Dies haben Frey/Pittner (1998) dahin gehend gedeutet, dass die Adverbien Ereignisbezug aufweisen, und von der Syntax keine Grundabfolge der Adverbien zueinander festgelegt wird. Gleiches gilt auch für die Fälle:

(7)  (a)Sie haben wegen eines Schadens die Maschine zwei Stunden lang stillgelegt.

(b)Sie haben zwei Stunden lang wegen eines Schadens die Maschine stillgelegt.

Diese Daten interpretiert Pittner (1999:156) dahin gehend, dass die Dauer enger mit einem Ereignis verknüpft ist als die Ursache und dass in der (b)-Variante wiederum eine besondere Fokussierung des Kausaladverbials vorliegt.

2.2. Position der lokalen Adverbialbestimmungen

Nach Jürgen Lenerz (1977:88) gilt für fakultative und obligatorische LOC gleichermaßen DO-Loc nur dann als neutrale Abfolge, wenn nicht mehr Satzglieder vorhanden sind. Bei mehreren Satzgliedern steht ein fakultatives LOC vor den Objekten, während ein obligatorisches LOC nach ihnen steht.

(8)  (a)Ich habe gestern in Berlin meinem Freund ein Buch geschenkt.

(b)*Ich habe gestern meinem Freund ein Buch in Berlin geschenkt.

Für fakultative LOC gilt also zwar DO-LOC als unmarkierte Abfolge, bei mehreren Satzgliedern aber ergibt sich die Abfolge TEMP-LOC-IO-DO. Obligatorische LOC dagegen stehen immer hinter DO.

(9)  (a) Ich habe gestern meinem Freund ein Buch nach Berlin geschickt.

(b) *Ich habe gestern nach Berlin meinem Freund ein Buch geschickt.

Damit gilt die Abfolge TEMP-IO-DO-LOC als unmarkierte Abfolge nur für obligatorische LOC. Für fakultative LOC muss als unmarkierte Abfolge neben DO-LOC bei mehreren Satzgliedern TEMP-LOC-IO-DO angenommen werden.3←22 | 23→

2.3. Position der Satzadverbien

Die beiden Adverbien vielleicht und absichtlich sind als Satzadverbien anzusehen. Trotzdem verhalten sie sich anders, wie die folgenden Sätze zeigen.

(10) (a) …, obwohl vielleicht der Direktor ein Buch zerstört hat.

(b)…, obwohl der Direktor vielleicht ein Buch zerstört hat.

(11) (a) …, obwohl absichtlich der Direktor ein Buch zerstört hat.

(b)…, obwohl der Direktor absichtlich ein Buch zerstört hat.

Den Unterschied der Grammatikalität von (10) und (11) führt Kefer (1989:76) auf den verschiedenen Skopus von vielleicht und absichtlich zurück:

(10’) (vielleicht (der Direktor (ein Buch zerstör-)))

(11’) (der Direktor (absichtlich (ein Buch zerstör-)))

Dagegen interpretieren Zifonun u.a. (1997:1560 f.) die unterschiedliche Stellung von vielleicht im Mittelfeld im deutschen Satz als Folge der Informationsstruktur.

(12) (a) dass er seinem Freund morgen vielleicht das Auto leiht

(b) dass er vielleicht morgen seinem Freund das Auto leiht.

(c) dass er morgen seinem Freund das Auto vielleicht leiht.

(d) dass er das Auto morgen vielleicht seinem Freund leiht.

Nach der Grammatik von Zifonun u.a. (1997) exemplifizieren diese Sätze, wie sich die Stellung von vielleicht auf die Informationsstruktur des Satzes auswirkt. Während (12a) eine ausgewogene Gliederung zeigt, bei der der Informationsgehalt relativ gleichmäßig auf Hintergrund und Vordergrund verteilt ist, haben (12b) und (12c) jeweils eine extreme Verteilung. In (12b) ist fast die gesamte Information in den Vordergrund gesetzt; ein angemessener Kontext für diese Variante wären Fragen wie:

Was hat er vor?/ Was wird er tun? -

Er hat gesagt, dass er vielleicht morgen seinem Freund das Auto leiht.

In der Variante (12d) – mit dem Akzent auf der Dativergänzung – steht die Besetzung der Rezipient-Rolle zur Debatte; möglicherweise Kontexte wären etwa:

Wem wollte er morgen noch mal das Auto leihen?

oder

Könnte Lisa wohl morgen seinen Wagen haben?

Ich weiß nicht; er hat gesagt, dass er das Auto morgen vielleicht seinem Freund leiht.←23 | 24→

Details

Seiten
348
Erscheinungsjahr
2022
ISBN (PDF)
9783034326360
ISBN (ePUB)
9783034326377
ISBN (MOBI)
9783034326384
ISBN (Paperback)
9783034326414
DOI
10.3726/b19284
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (August)
Schlagworte
Zeit-Wandel Räumlicher Wandel Wandel des Menschenbildes Wandel der Wissensformen neue Wissenschaft
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 348 S., 19 s/w Abb., 14 Tab.

Biographische Angaben

Seong-Kyun Oh (Band-Herausgeber:in)

Seong-Kyun Oh promovierte an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Professor für Germanistik und Cultural Studies an der Chung-Ang-Universität (CAU) und leitete das DAAD-Zentrum für Deutschland- und Europastudien in Seoul (ZeDES).

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Titel: Tagungsband der «Asiatischen Germanistentagung 2016 in Seoul» – Band 3