Das Engagement institutioneller Anleger als Aktionäre im Beteiligungsunternehmen nach ARUG II
Eine kritische Analyse im Lichte der aktuellen Entwicklungstendenzen des europäischen Gesellschaftsrechts
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhalt
- Abbildungsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Grundlagen – Aktionärsengagement und Regulierung institutioneller Anleger
- I. Erforderlichkeit vermehrten Aktionärsengagements
- 1. Begriffsverständnis „Aktionärsengagement“
- 2. Erklärungsansätze für die Notwendigkeit von mehr Aktionärsengagement – wie Nachhaltigkeit und weitere gemeinwohlorientierte Aspekte zum Ziel der Regulierung wurden
- 3. Qualität des Engagements – Langfristigkeit als besonderes Merkmal?
- 4. Kritik an der Forderung nach mehr Aktionärsengagement
- 5. Fazit – Erforderlichkeit von mehr Aktionärsengagement – Gründe für die Regulierung
- II. Die besondere Eignung institutioneller Anleger als aktive Aktionäre
- 1. Die historische Entwicklung des Finanzmarktes in Europa und Deutschland als Ausgangspunkt der Regulierungsbestrebungen
- 2. Der Begriff „institutioneller Anleger“
- 3. Rechtstatsächliche Bedeutung institutioneller Anleger
- 4. Bedeutung institutioneller Anleger in der Anlagekette
- 5. Abschließende Analyse und Ergebnis: Besondere Eignung institutioneller Anleger als aktive Aktionäre und Notwendigkeit der Regulierung
- III. Art und Weise der Regulierung – Transparenzpflichten als Mittel der Regulierung
- 1. Grundlagen: Transparenzpflichten als Regulierungsinstrument
- 2. Mögliche Arten von Transparenzpflichten – insbesondere das Comply-Or-Explain-Prinzip
- 3. Ökonomische Grundlagen der Wirkungsweise von Transparenzpflichten
- 4. Kritik an der Wirksamkeit von Transparenzpflichten
- 5. Ausblick: Der Zusammenhang zwischen Offenlegungspflichten und der Förderung des Aktionärsengagements unter der Aktionärsrechterichtlinie 2017 und ARUG II
- C. Rechtliche Rahmenbedingungen vor ARUG II im britischen, europäischen und deutschen Recht
- I. Regulatorische Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger vor ARUG II
- 1. Regulatorischer Rahmen in Großbritannien – ein Vorbild für europäische und deutsche Regelungen
- 2. Regulatorischer Rahmen in Europa – die Aktionärsrechterichtlinie 2017 als Grundlage für die deutsche Regulierung
- 3. Regulatorischer Rahmen in Deutschland vor ARUG II
- 4. Fazit
- II. Diskussion alternativer Regelungsoptionen vor ARUG II / der Aktionärsrechterichtlinie 2017
- 1. Stimmpflicht
- 2. Die Lösung über gesellschaftsrechtliche Treuepflichten
- 3. Lösung über „größere Stimmrechte oder höhere Dividenden“
- 4. Die Kodexlösung
- III. Die rechtlichen Rahmenbedingungen vor ARUG II und der Aktionärsrechterichtlinie 2017 – Analyse der Handlungsoptionen und ihrer Grenzen
- 1. Typische Mitwirkungsmöglichkeiten und Mitwirkungspflichten institutioneller Anleger
- 2. Wesentliche Grenzen der Mitwirkung in Beteiligungsunternehmen und der Zusammenarbeit mit anderen Anlegern
- 3. Fazit zu den rechtlichen Rahmenbedingungen vor ARUG II
- IV. Typische gesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung in den untersuchten Rechtsordnungen vor ARUG II / der Aktionärsrechterichtlinie 2017
- D. ARUG II – Umsetzung und Auswirkungen der Aktionärsrechterichtlinie 2017 in Deutschland – die neuen Pflichten institutioneller Anleger und Einordnung in aktuelle Entwicklungstendenzen
- I. Umsetzung des Gesetzes in Deutschland
- 1. Der Umsetzungsprozess in Deutschland
- 2. ARUG II – Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie 2017 im deutschen Aktienrecht
- II. Analyse – Potenzial der Regelungen des ARUG II, das Aktionärsengagement im Einklang mit dem deutschen Aktienrecht zu fördern und Problemfelder zu lösen
- 1. Konflikte mit der bestehenden Kompetenzordnung des Aktienrechts – Berücksichtigung länderspezifischer Besonderheiten
- 2. Wirksamkeit der Regulierungsmethode und ausreichende Sanktionierung von Verstößen: Offenlegungspflichten/Comply Or Explain und Sanktionen über das Ordnungswidrigkeitenrecht
- 3. Notwendigkeit einer Regelung neben dem bestehenden Regelungsrahmen
- 4. Vereinbarkeit der Aktionärsrechterichtlinie 2017 und ARUG II mit allgemeinen Rechtsprinzipien und höherrangigem Recht – insbesondere dem Gleichbehandlungsgrundsatz
- 5. Überzeugungskraft der Richtlinien- bzw. Gesetzesbegründung ARUG II und Vereinbarkeit mit allgemeinen an sie gestellten Voraussetzungen
- 6. Institutionelle Anleger als Adressaten der Aktionärsrechterichtlinie 2017 und ARUG II
- 7. Entscheidung für die Regelung innerhalb der Aktionärsrechterichtlinie 2017
- 8. Institutionelle Anleger als Insider wider Willen?
- 9. Die Art und Weise der Offenlegung – zu großer Bürokratieaufwand ohne nachweisbare Erfolgsaussichten?
- 10. Übertragung von Regelungen aus einer Rechtsordnung in eine andere Rechtsordnung
- III. Ausblick: Einordnung von ARUG II und der Aktionärsrechterichtlinie 2017 in die Gesamtentwicklung des deutschen und europäischen Gesellschaftsrechts
- 1. Vermehrte Berücksichtigung von gemeinwohlbezogenen Anlageleitlinien
- 2. Neue Anlegerklassen im Aktienrecht
- 3. Eingriff in die Machtbalance zwischen den Akteuren im Unternehmen
- 4. Langfristigkeit als Ziel
- 5. Verwendung des Comply-Or-Explain-Prinzips und Raum für neue Lösungsansätze
- IV. Weitere Schritte und Alternativen nach ARUG II – Ergänzung und Konkretisierung durch einen deutschen Stewardship Kodex?
- 1. Inhalte des DVFA-Vorschlags für die Kernelemente eines deutschen Stewardship Kodex
- 2. Weitere Literaturansichten und Vorschläge für einen deutschen Stewardship Kodex
- 3. Stellungnahme – ein deutscher Stewardship Kodex, mehr Bürokratieaufwand oder sinnvolle Ergänzung der bestehenden Regelungen?
- E. Ergebnis – Zusammenfassung der Arbeit in Thesen
- Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2: Schematische Darstellung einer Anlagekette mit Einbindung institutioneller Investoren.
Abkürzungsverzeichnis
ABI |
Association of British Insurers |
Abl. |
Amtsblatt der Europäischen Union |
AG |
Die Aktiengesellschaft |
AIC |
The Association of Investment Companies |
AIF |
Alternative Investmentfonds |
AktG |
Aktiengesetz |
Aktionärsrechterichtlinie 2007 |
Richtlinie 2007/36/EG v. 11.7.2007, Abl. 2007 L 184/17 |
Aktionärsrechterichtlinie 2017 |
Richtlinie 2017/828/EU v. 17.05.2017, L 132/1 |
ARUG |
Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30. Juli 2009 |
ARUG II |
Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 12. Dezember 2019 |
BaFin |
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht |
BB |
Betriebs-Berater |
BC |
Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling |
BeckOGK |
Beck-Online Großkommentar |
BetrAVG |
Betriebsrentengesetz |
BGB |
Bürgerliches Gesetzbuch |
BGBl. |
Bundesgesetzblatt |
BIP |
Bruttoinlandsprodukt |
BKR |
Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht |
BMJV |
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz |
BT-Drucks |
Bundestagsdrucksache |
BVI |
Bundesverband Investment und Asset Management e. V. |
CA (2006) |
|
CCZ |
Corporate Compliance Zeitschrift |
COBS |
Conduct of Business Sourcebook |
COVMG |
Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie |
CSR |
Corporate Social Responsibility |
DAV |
Deutscher Anwaltsverein |
DB |
Der Betrieb |
DCGK |
Deutscher Corporate Governance Kodex |
DStR |
Deutsches Steuerrecht |
DTR |
Disclosure Guidance and Transparency Rules |
DVFA |
Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V. |
ECFR |
European Company and Financial Law Review |
ECGI |
European Corporate Governance Institute |
EFAMA |
European Fund and Asset Management Association |
ESG |
Environmental, Social, Governance |
EStG |
Einkommenssteuergesetzbuch |
EuZW |
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht |
FCA |
Financial Conduct Authority |
FMStBG |
Auch: „WStBG“ – Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ und der Realwirtschaft durch den Fonds „Wirtschaftsstabilisierungsfonds – WSF“ – Wirtschaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetz |
FRC |
Financial Reporting Council |
FS |
Festschrift |
FSA |
Financial Service Authority |
FSA 2012 |
Financial Services Act 2012 |
FSMA 2000 |
Financial Services and Markets Act 2000 |
GBP |
|
Gesetzesbegründung ARUG II |
Regierungsbegründung für den Gesetzentwurf des ARUG II |
Grünbuch 2010 |
Europäische Kommission, Grünbuch – Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik – KOM (2010) 284 endg. |
Grünbuch 2011 |
Europäische Kommission, Grünbuch – Europäischer Corporate Governance-Rahmen – KOM (2011) 164 endg. |
Grünbuch 2013 |
Europäische Kommission, Grünbuch Langfristige Finanzierung der Europäischen Wirtschaft – KOM (2013) 150 endg. |
GWR |
Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht |
IA |
The Investment Association |
ISC |
Institutional Shareholders’ Committee |
JA |
Juristische Arbeitsblätter |
JuS |
Juristische Schulung |
JZ |
JuristenZeitung |
KAGB |
Kapitalanlagegesetzbuch |
KAVerOV |
Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsregeln nach dem Kapitalanlagegesetzbuch |
KVG |
Kapitalverwaltungsgesellschaft |
MaRisk |
Mindestanforderungen an das Risikomanagement |
MiFID II |
Markets in Financial Instruments Directive |
MMRL |
Marktmissbrauchsrichtlinie |
MMSRL |
Marktmissbrauchs-Sanktionsrichtlinie |
MMVO |
Marktmissbrauchsverordnung |
MüKo |
Münchner Kommentar |
NIRI |
National Investor Relations Institute |
NJW |
Neue Juristische Wochenschrift |
NZG |
Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht |
OBLB |
Oxford Business Law Blog |
OECD |
Organisation for Economic Co-operation and Development |
OEIC |
|
OGAW |
Organismen für die gemeinsame Anlage in Wertpapieren |
ONS |
UK Office for National Statistics |
OPRA |
Occupational Pensions Regulatory Authority |
PRA |
Prudential Regulation Authority |
RegE |
Regierungsentwurf |
RL |
Richtlinie |
SE |
Societas Europea |
SE-VO |
Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) |
SIP |
Statement of Investment Principles |
Stan. L. Rev. |
Stanford Law Review |
UKLA |
UK Listing Authority |
VAG |
Versicherungsaufsichtsgesetz |
VersR |
Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht |
WM |
Wertpapiermitteilungen |
WpHG |
Wertpapierhandelsgesetz |
WpÜG |
Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz |
ZBB |
Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft |
ZCG |
Zeitschrift für Corporate Governance |
ZEV |
Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge |
ZHR |
Zeitschrift für das Gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht |
ZIP |
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht |
ZGR |
Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht |
Sofern nicht oben definiert, wird für weitere Abkürzungen verwiesen auf: |
|
Kirchner, Hildebert / Böttcher, Eike |
Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9. Auflage, Berlin 2018. |
A. Einleitung
Während vor wenigen Jahren wenn man in den üblichen juristischen Datenbanken oder allgemein im Internet nach „institutionellen Anlegern“ suchte, nur wenige Treffer im deutschen Sprachraum erschienen, gibt es inzwischen weit über tausend Suchergebnisse in den üblichen Fachdatenbanken.1
Auch wenn vereinzelt die ersten Literaturdiskussionen in Bezug auf institutionelle Anleger als aktive Aktionäre in Deutschland bereits auf die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückgehen,2 so zeigt die vorstehende Beobachtung, dass institutionelle Anleger insbesondere in den letzten Jahren – und dabei vor allem im Nachgang zur internationalen Wirtschaftskrise zwischen 2007 und 20093 – vermehrt in den Fokus der Gesetzgebung gerückt sind; teils wird gar ein zunehmender Einfluss dieser Anlegergruppe in der Literatur wahrgenommen.4
Mit den neuen Art. 3 g)–k) aus Art. 1 der Richtlinie 2017/828/EU v. 17.05.2017, L 132/1 („Aktionärsrechterichtlinie 2017“)5 und den durch das entsprechende „Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II)“ vom 12. Dezember 2019)6 („ARUG II“) in Deutschland neu ins Aktiengesetz eingefügten §§ 134a–134c AktG wurden Offenlegungspflichten geschaffen, die speziell an institutionelle Anleger und (deren) Vermögensverwalter gerichtet sind und diese unter anderem zu mehr Aktivitäten in ihren Beteiligungsunternehmen7 motivieren ←21 | 22→sollen.8
Der neuen Popularität institutioneller Anleger lagen neben ihrer rechtstatsächlich zunehmenden Bedeutung in Kontinentaleuropa und Deutschland9 zunächst frühere Regulierungsbestrebungen im anglo-amerikanischen Rechtsraum10 zugrunde, die vor allem infolge der weltweiten Finanzkrise vom europäischen Gesetzgeber wahrgenommen und aufgegriffen wurden.11
Ein zentraler Meilenstein und immer wieder in Bezug genommenes Vorbild12 ist dabei der britische UK Stewardship Code für institutionellen Anleger, der erstmals 2010 erschien („UK Stewardship Code 2010“) und inzwischen zweimal, einmal 2012 („UK Stewardship Code 2012“) und einmal 2020 („UK Stewardship Code 2020“), überarbeitet wurde.13 Dieser Umstand führt dazu, dass viele Regelungsansätze leichter im Lichte der britischen Regelungen und Rechtsordnung und Literatur nachvollziehbar sind, weswegen diese an einigen Stellen dieser Arbeit mit in den Fokus genommen wird.14 Bemerkenswert ist allerdings, dass insbesondere die letzte Überarbeitung zum UK Stewardship Code 2020 sehr tiefgreifend war und eine Vielzahl von Veränderungen mit sich gebracht hat (unter anderem sind institutionelle Anleger nun nicht mehr ausdrücklich die Adressaten).15 Somit sind ←22 | 23→viele der Bezugnahmen, die noch ausdrücklich oder indirekt den UK Stewardship Code 2012 zum Vorbild nehmen – wie teilweise auch die Aktionärsrechterichtlinie 2017 – gewissermaßen schon überholt.16
Mit der Bedeutungszunahme der institutionellen Anleger für den Gesetzgeber einher ging auch eine stetige und anhaltende Diskussion über das Verständnis des Begriffs „institutioneller Anleger“: zuletzt wurden in der Aktionärsrechterichtlinie 2017 und im deutschen Umsetzungsgesetz darunter vor allem die Untergruppen Lebensversicherer, Rückversicherer und Einrichtungen der privaten Altersversorgung gefasst;17 abstrakter lässt sich darunter nach der in der vorliegenden Arbeit verwendeten Definition eine „Gruppe von Finanzintermediären, die große Geldsummen für andere im eigenen Namen mittels einer professionellen Infrastruktur häufig fristenkongruent anlegt“18 verstehen.19
Auch zu den Hintergründen für die vermehrte Forderung nach zusätzlichem Aktionärsengagement gibt es anhaltende Diskussionen,20 die vor allem auch die aktuellen Themen der europäischen und deutschen gesellschaftsrechtlichen Entwicklung stetig mit einbeziehen und sich mit diesen wandelten:21 Ausgehend von der Weltwirtschaftskrise wurde in diesem Kontext zunächst festgestellt, dass es einer zusätzlichen Kontrollinstanz für die Leitungsorgane bedurfte, da fehlende Kontrolle über das Management im Rahmen der Aufarbeitung der Krise häufig als Mangel identifiziert wurde.22 Die Auswahl von Aktionären, speziell institutionellen Anlegern, wurde dann unter anderem mit dem Zusammenfallen/der (Wieder-)Vereinigung von Eigentum und Leitungsmacht im Unternehmen begründet sowie als primäres Ziel des Unternehmens und seiner Anteilseigner die Maximierung des „Shareholder Value“ vorausgesetzt.23 Ergänzt wurde die Forderung in der Folgezeit durch eine stark gemeinwohlorientierte Dimension, die auch die Interessen weiterer „Stakeholder“ berücksichtigte und sich vor allem aus den Ideen ←23 | 24→des stewardship,24 wie mit dem UK Stewardship Code verfolgt, entwickelt hatte.25 Schließlich fanden auch weitere aktuell sehr populäre Konzepte, wie Nachhaltigkeit,26 Environmental, Social, Governance („ESG“)-Themen27 und Corporate Social Responsibility („CSR“)28, die bisher nicht von der einschlägigen Forschung in Zusammenhang mit den Begründungsansätzen und Zielen für Aktionärsaktivitäten institutioneller Anleger gebracht wurden, überraschend schnell und unkonventionell Eingang in die einschlägigen Normen der Aktionärsrechterichtlinie 2017 und ARUG II.29
Insgesamt sind die auf Grundlage dieser theoretischen Erwägungen entworfenen Offenlegungspflichten für institutionelle Anleger unter der Aktionärsrechterichtlinie 2017 und des darauf basierenden deutschen ARUG II nicht nur Spiegelbilder dieser jüngeren Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts im Hinblick auf Nachhaltigkeitskriterien:30 Vielmehr spiegeln sie auch weitere aktuelle Entwicklungen und Tendenzen im europäischen Gesellschaftsrecht, wie zum Beispiel die Auseinandersetzung mit der Wirkungsweise des Comply-Or-Explain-Prinzips wider.31
Vor dem Hintergrund der zuvor beschriebenen Themenkreise werden in dieser Arbeit die neuen Offenlegungspflichten für institutionelle Anleger auf europäischer und deutscher Ebene – also solche aus Art. 3 g)–k) Aktionärsrechterichtlinie 2017 und den §§ 134a–134c AktG –
• im Hinblick auf ihre Ziele, der zu erwartenden Effektivität und der Qualität der Umsetzung der Richtlinie in Deutschland kritisch analysiert,
←24 | 25→• mit den vorangegangenen und teils parallel verlaufenden britischen Regulierungsbemühungen verglichen und
• im Kontext der jüngeren Entwicklungstendenzen des deutschen und europäischen Gesellschaftsrechts betrachtet werden,
da sie in der Literaturdiskussion bisher im Vergleich zu den anderen in den oben genannten Normen geregelten Themen bisher eher im Hintergrund standen.32
Die vorliegende Analyse beginnt mit einem theoretischen Teil zu den Grundlagen und Hintergründen der Regulierung institutioneller Anleger (Abschnitt. B.).33
Dabei wird zunächst untersucht, ob und falls ja, warum, Anreize für ein vermehrtes Aktionärsengagement gesetzt werden sollten (Abschnitt B.I.),34 wobei dabei unter anderem diskutiert wird, was unter „Aktionärsengagement“ verstanden wird,35 welche Erklärungsansätze für die Forderung nach einer Verstärkung dieses Engagements vertreten werden36 und welcher Kritik sich diese Ansätze stellen müssen.37 Desweiteren wird analysiert, warum sich gerade die Gruppe der institutionellen Anleger für eine Inzentivierung zu verstärktem Engagment im Beteiligungsunternehmen eignet (Abschnitt B.II.).38 Dieser Abschnitt beinhaltet eine Analyse des Begriffsverständnisses des „institutionellen Anleger“ einschließlich ihrer spezifischen Eigenschaften,39 der rechtstatsächliche Bedeutung institutioneller Anleger40 sowie ihrer Rolle in der sog. „Investmentkette“41. Schließlich werden im Grundlagenteil auch mögliche Arten der Regulierung institutioneller Anleger untersucht (Abschnitt B.III.) und dabei insbesondere die Wirkungsweise, ←25 | 26→Vor- und Nachteile von Transparenzpflichten als Regulierungsmittel im Allgemeinen betrachtet.42
Auf der Basis dieser Grundlagenuntersuchung werden dann im Abschnitt C. die rechtlichen Rahmenbedingungen vor ARUG II – insbesondere im Hinblick auf die – häufig als Vorbild verwendete – Rechtslage in Großbritannien (insbesondere den UK Stewardship Code) und die europäische Aktionärsrechterichtlinie 2017 sowie die zuvor in Deutschland bestehenden an institutionelle Anleger gerichtete Normen analysiert (Abschnitt C.I.).43 Vor allem der Vergleich mit der Rechtslage in Großbritannien hat durch den kürzlich erfolgten Austritt aus der Europäischen Union eine neue Wendung erfahren, da nunmehr diese Regelungen unabhängig von den europäischen Regeln gelten, dennoch aber in den weit überwiegenden Fällen noch immer die europäischen Regeln widerspiegeln.44
Ferner wird der Fokus auf die Diskussion alternativer Regelungsoptionen zur Normierung durch Offenlegungspflichten gerichtet (Abschnitt C.II.)45 und letztlich konkret typische Mitwirkungsmöglichkeiten und Mitwirkungspflichten sowie die wesentlichen rechtlichen Grenzen dieser Mitwirkungsmöglichkeiten der Aktionäre im Beteiligungsunternehmen gegenübergestellt (Abschnitt C.III.).46 Abschnitt C. endet mit einer Betrachtung der vor ARUG II und der Aktionärsrechterichtlinie 2017 bestehenden typischen gesellschaftsrechtlichen Kompetenzaufteilung in den untersuchten Jurisdiktionen Deutschland und Großbritannien (Abschnitt C.IV.).47
In Abschnitt D. wird schließlich mit einer Analyse der Offenlegungspflichten unter dem ARUG II die Umsetzung der einschlägigen Regelungen der Aktionärsrechterichtlinie 2017 in Deutschland betrachtet.48 Diese Betrachtung umfasst zum einen die Analyse der Umsetzung der Art. 3g)–k) Aktionärsrechterichtlinie 2017 in die §§ 134a–134c AktG (einschließlich der Rechtsfolgen eines möglichen Verstoßes) ←26 | 27→(Abschnitt D.I.)49 sowie eine Untersuchung, inwiefern die Regelungen des ARUG II das Potenzial haben, das angestrebte zusätzliche Aktionärsengagement herbeizuführen und gegebenenfalls sogar die bisher im Hinblick auf die Aktionärsrechterichtlinie 2017 geäußerten Kritikpunkte zu adressieren (Abschnitt D.II.)50. Ferner enthält Abschnitt D. eine Einordnung der neuen Regelungen in die Gesamtentwicklung und Trends des deutschen und europäischen Gesellschaftsrechts (Abschnitt D.III.)51 sowie eine Diskussion weiterer vorgeschlagener alternativer bzw. ergänzender Maßnahmen wie der Entwicklung eines zusätzlichen deutschen „Stewardship Kodex“ (Abschnitt D.IV.).52
In Abschnitt E. schließt die Arbeit mit einer Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse der Analyse in Thesen.53
←27 | 28→1 So sind es zum Beispiel bei einer Suchanfrage auf www.beck-online.de mehr als 1000 Treffer [zuletzt besucht am 26.03.2021].
2 Vgl. zum Beispiel die Veröffentlichung von Immenga, Aktiengesellschaft, Aktionärsinteressen und institutionelle Anleger, passim – aus dem Jahr 1971.
3 Vgl. dazu auch K. Schmidt/Lutter/Illhardt, AktG, § 134a, Rn. 3.
4 Europäische Kommission, Grünbuch – Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik – KOM (2010) 284 endg., S. 8; vgl. vgl. hinsichtlich der Wahrnehmung des zusätzlichen Einflusses z.B. K. Schmidt/Lutter/Illhardt, AktG, § 134a, Rn. 1
5 Im Folgenden wird nur noch auf die entsprechenden Art. innerhalb des Art. 1 der Richtlinie 2017/828/EU v. 17.05.2017, L 132/1 Bezug genommen oder dies ansonsten separat gekennzeichnet, wenn es sich auf einen anderen Artikel der Richtlinie beziehen sollte. Die Art. 3g) ff. Aktionärsrechterichtlinie 2017 finden sich auf den S. 16 ff. der Richtlinie 2017/828/EU.
6 Veröffentlicht in BGBl. I S. 2637 ff.
7 Damit sind solche Unternehmen gemeint, in denen die institutionellen Anleger investiert haben und in denen sie Aktionäre sind – vgl. zu diesem Begriff, der teilweise auch durch „Zielunternehmen“ oder „Portfoliounternehmen“ ersetzt wird, unten S. 58 – mit weiteren Nachweisen in der entsprechenden Fußnote.
8 Siehe zur Auslegung dieser Normen für die Aktionärsrechterichtlinie mit weiteren Nachweisen unten S. 125 ff. und für das ARUG II unten S. 259 ff.
9 Siehe zu den rechtstatsächlichen Entwicklungen mit weiteren Nachweisen auch S. 76 ff.
10 Beginnend mit einem der ersten „Soft Law“-Kodizes, dem Cadbury Report, 48 ff.; siehe allgemein zu den anglo-amerikanischen Entwicklungen auch ausführlicher mit weiteren Nachweisen unten S. 92 ff.
11 Viele Aktionspläne und Grünbücher erschienen – beginnend bereits ab 2003 mit Europäische Kommission, Aktionsplan Modernisierung des Gesellschaftsrechts – KOM(2003) 284, endg., passim; sich dann später allerdings intensivierend und konkretisierend – vgl. dazu mit weiteren Nachweisen unten ausführlicher S. 112 ff. sowie ein Kurzüberblick auch bei K. Schmidt/Lutter/Illhardt, AktG, § 134a, Rn. 3.
12 Mack, ZCG 2020, 197.
13 Siehe zur Entwicklung der verschiedenen Versionen der Kodizes ausführlicher unten S. 92 ff. – in der Literatur werden daneben häufig noch weitere Kodizes als Grundlage genannt – wie beispielsweise bei Faure, S. 120 ff., die zudem auch die OECD, Grundsätze der Corporate Governance (OECD, Principles of Corporate Governance 2015, S. 18 ff.) sowie die UN Principles of Responsible Investment (PRI Initiative – Principles for Responsible investment, passim) nennt.
14 Siehe hierzu vor allem im Rahmen der Definitionen mit weiteren Nachweisen unten S. 52 sowie im Rahmen der Betrachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen mit weiteren Nachweisen unten ab S. 92.
15 Siehe zu den Neuerungen im FRC, UK Stewardship Code 2020 mit weiteren Nachweisen unten S. 104 ff.
16 Siehe zu dieser Problematik und allgemein zum UK Stewardship Code und seiner Entwicklung die Ausführungen mit weiteren Nachweisen unten S. 99 ff. und zur Verwendung als Basis für die Aktionärsrechterichtlinie 2017 mit weiteren Nachweisen unten S. 121 f.
17 Vgl. Vgl. Art. 2 lit e) Aktionärsrechterichtlinie 2017 und die weiteren Erläuterungen dazu mit weiteren Nachweisen unten S. 127 ff.
18 Zur weiteren Herleitung und den weit gefassten Quellen – siehe mit weiteren Nachweisen unten S. 52 ff.
Details
- Seiten
- 454
- Erscheinungsjahr
- 2022
- ISBN (PDF)
- 9783631887554
- ISBN (ePUB)
- 9783631887561
- ISBN (MOBI)
- 9783631887578
- ISBN (Hardcover)
- 9783631882856
- DOI
- 10.3726/b20089
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2022 (August)
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 454 S., 4 s/w Abb.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG