Sprachmittlung in öffentlichen Einrichtungen
Handreichungen für die Praxis
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Abbildungsverzeichnis
- Tabellenverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Sprachmittlungsbedarf und Sprachmittlungsangebote
- 2.1 Einschätzung des Sprachmittlungsbedarfs in Deutschland
- 2.2 Sprachmittlungsangebote am Beispiel von Rheinland-Pfalz
- 2.3 Sprachmittlungsangebote in anderen Bundesländern
- 2.4 Zusammenfassung
- 3 Perspektiven auf Sprachmittlung
- 3.1 Kosten und Nutzen von Sprachmittlung am Beispiel des Gesundheitswesens
- 3.2 Sprachmittlung aus der Perspektive der Nutzer
- 3.2.1 Relevanz von Sprachbarrieren und Sprachmittlung
- 3.2.2 Auswirkungen von Sprachmittlung
- 3.2.3 Verbesserungsvorschläge von Nutzern
- 3.2.4 Zusammenfassung der Gespräche mit Nutzern
- 3.3 Sprachmittlung aus der Perspektive der Sprachmittler
- 3.3.1 Werdegang, Hintergrund, Motivation
- 3.3.2 Erfahrungen und Herausforderungen
- 3.3.3 Verbesserungsvorschläge von Sprachmittlern
- 3.3.4 Zusammenfassung der Gespräche mit Sprachmittlern
- 4 Rechtliche Aspekte von Sprachmittlung
- 4.1 Anspruchsgrundlagen
- 4.1.1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
- 4.1.2 Sozialrecht (SGB)
- 4.1.3 Patientenrechtegesetz (verankert im BGB)
- 4.1.4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
- 4.1.5 Vorschläge zur gesetzlichen Verankerung von Anspruchsgrundlagen
- 4.2 Relevante Rechtsgebiete der Sprachmittlungspraxis
- 4.2.1 Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
- 4.2.2 Steuerrecht
- 4.2.3 Datenschutz
- 4.2.4 Personenhaftung
- 4.2.5 Infektionsschutz
- 4.2.6 Vergaberecht
- 4.2.7 Führungszeugnis
- 4.2.8 Sensible Bereiche
- 4.3 Zusammenfassung
- 5 Organisationsmodell für Vermittlungsstellen
- 5.1 Digitalisierung der Vermittlungsstellen
- 5.2 Konzeptuelle Aufgaben einer Vermittlungsstelle
- 5.3 Operative Aufgaben einer Vermittlungsstelle
- 5.4 Zusammenfassung
- 6 Qualifizierung
- 6.1 Nicht akademische Qualifizierungsmöglichkeiten
- 6.1.1 Fortbildungen und Workshops
- 6.1.2 Lehrgänge
- 6.1.3 Staatliche Prüfung
- 6.2 Akademische Qualifizierungsmöglichkeiten
- 6.3 Zusammenfassung
- 6.4 Basisschulung für Sprachmittlung
- 6.4.1 Themenbereich I Interkulturelle Kommunikation, grundlegende Aspekte von Sprachmittlung, Anforderungsprofil, Arbeitsweisen
- 6.4.2 Themenbereich II Experten-Laien-Kommunikation, Anforderungen spezifischer Einsatzbereiche
- 6.4.3 Dolmetschübungen
- 6.5 Schulung für Fachkräfte
- 7 Distanzdolmetschen
- 7.1 Distanzdolmetschen aus wissenschaftlicher Sicht
- 7.2 Distanzdolmetschen in der Praxis
- 7.3 Zusammenfassung
- 8 Schriftliche Übersetzung
- 9 Statt eines Schlusswortes: Zehn Empfehlungen für die Praxis
- Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Sprachmittlung ermöglicht Verständigung – im Idealfall. Illustration: Heiner Schubert
Abb. 2: Matrix zur Charakterisierung von Sprachmittlungsangeboten in Rheinland-Pfalz
Abb. 3: Landkarte der Sprachmittlungsangebote in Rheinland-Pfalz (aus: Evrin/Meyer 2021)
Abb. 4: Gleiche Wörter haben nicht immer die gleiche Bedeutung. Illustration: Heiner Schubert
Abb. 5: Vollständige Verdolmetschung ist wichtig. Illustration: Heiner Schubert
Abb. 6: Sprachmittler müssen auch Stopp sagen können. Illustration: Heiner Schubert
Abb. 7: Vorlagen für die Übung zur Sitzordnung
Abb. 8: Zwiegespräche irritieren. Illustration: Heiner Schubert
Abb. 9: Telefondolmetschen mit Lautsprecher (aus: Farag/Meyer zur Veröffentlichung eingereicht)
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Dolmetscheinsätze in der Schweiz 2020 (aus: www.inter-pret.ch)
Tab. 2: Häufigste Dolmetschsprachen in der Schweiz 2020 (aus: www.inter-pret.ch)
Tab. 3: Übersicht über die befragten Sprachmittler
Tab. 4: Anforderungen an die Vermittlungsstelle laut Norm ISO 13611
Tab. 5: Übersicht über die Basisschulung
Tab. 6: Vor- und Nachteile des Distanzdolmetschens aus der Sicht der Sprachmittlungsangebote
Tab. 7: Gegenüberstellung von Präsenzdolmetschen und Distanzdolmetschen
1 Einleitung
Was ist eigentlich „Sprachmittlung“? In einer ersten Annäherung kann man darunter generell alle Formen des Übersetzens und Dolmetschens verstehen, also der Übertragung sprachlicher Äußerungen aus einer Sprache in eine andere, seltener auch aus einer Sprachvarietät oder einem Dialekt. Die Person, welche die Übertragung leistet, bringt dabei Aussagen und Auffassungen anderer Gesprächsbeteiligter zum Ausdruck – und nicht die eigenen. Diese Definition ist nur eine von vielen und stammt aus dem Kontext des „Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen“ (Council of Europe 2020, Kapitel 3.4 „Mediation“). Sie hat den Vorteil, dass sie einfach ist und zugleich das Wesentliche enthält. Authentische Fälle aus der Sprachmittlungspraxis in öffentlichen Einrichtungen in Deutschland verdeutlichen jedoch schnell, dass die Übertragung der Aussagen anderer Personen zwischen verschiedenen Sprachen zwar zentral für das Dolmetschen und Übersetzen ist, aber nicht alles erfasst, was Sprachmittler tun. Die drei folgenden authentischen Beispiele sollen das Feld der Möglichkeiten andeuten. Namen und Orte sind hier, wie im gesamten Buch, so verändert worden, dass eine Identifikation der Personen nicht möglich ist.
Beispiel 1: Herr Machado ist ein alleinstehender Rentner und im Alter von ca. 20 Jahren aus Portugal nach Hamburg gezogen. Er ging in Portugal nur wenige Jahre zur Schule. In Hamburg lebt er relativ isoliert und arbeitete vor der Rente als Hilfsarbeiter. Eine Nachbarin findet ihn bewusstlos in seiner Wohnung und informiert den Rettungsdienst. Im Krankenhaus stellt man nach einer Erstversorgung fest, dass die Kommunikation mit ihm schwierig ist, und ruft eine Portugiesisch sprechende Krankenschwester zum Übersetzen. Die Krankenschwester spricht den Patienten an, stellt sich ihm vor, beruhigt und befragt ihn und wendet sich dann an den Arzt: „Er ist gestürzt, weiß aber nicht mehr, wie es dazu kam. Wahrscheinlich Gehirnerschütterung. Ich glaube, er ist Alkoholiker, der ist total orientierungslos.“ Die Krankenschwester hat in diesem Beitrag Aussagen des Patienten wiedergegeben, diese aber auch mit eigenen Einschätzungen vermischt und damit der Anamnese der Ärzte schon etwas vorweggenommen. Sprachmittlung? Ja, aber auch noch einiges mehr.
Beispiel 2: Die Klassenfahrt einer achten Klasse steht bevor, die muslimischen Eltern sorgen sich wegen ihrer Tochter – sie soll nicht in engeren Kontakt mit Jungs kommen. Die Eltern suchen das Gespräch mit dem Lehrer, die Tochter dolmetscht. Es geht um die Unterbringung: Wer schläft wo? Der ←17 | 18→Lehrer betont, dass Jungs und Mädchen in getrennten Zimmern und nicht auf demselben Stockwerk schlafen würden. Die Tochter sieht voraus, dass diese Information die Eltern möglicherweise nicht zufriedenstellen wird, und fügt wahrheitswidrig hinzu, dass die Mädchen in einem anderen Haus schlafen und ihre Aktivitäten fast die ganze Zeit getrennt von denen der Jungs stattfinden würden. Die Eltern sind beruhigt, die Tochter darf fahren. Wie die dolmetschende Krankenschwester hat auch sie in ihren Dolmetschbeiträgen einiges ergänzt. In diesem Fall ging es darum, die Aussagen des Lehrers für ihre Eltern akzeptabler zu machen und so die Erlaubnis zur Teilnahme an der Klassenfahrt zu bekommen. Einfallsreich, aber was würden der Council of Europe und sein Gemeinsamer Referenzrahmen für Sprachen dazu sagen?
Beispiel 3: Ein geflüchteter Syrer sucht eine kommunale Beratungsstelle auf. Es geht um den Familiennachzug. Die Beraterin kann gegen Honorar telefonisch einen erfahrenen Dolmetscher hinzuziehen, der allerdings aus Marokko stammt und mit dem syrischen Arabisch nicht sehr vertraut ist. Der Klient formuliert auf Arabisch sein Anliegen, es geht um verschiedene Angehörige, die er gerne nach Deutschland holen würde. Die syrischen Verwandtschaftsbezeichnungen sind dem Dolmetscher teilweise nicht geläufig und es entwickelt sich ein Dialog zwischen ihm und dem Geflüchteten: Wer ist wer? Wie sind die Beziehungen? Nachdem dies geklärt worden ist, überträgt er das Anliegen des Syrers ins Deutsche. Er hat keine eigenen Aussagen wiedergegeben, sondern nur das, was andere gesagt haben? Ja und Nein. Die Klärung der Verwandtschaftsbeziehungen musste der Sprachmittler selbst durch Nachfragen herbeiführen, um diesen Sachverhalt überhaupt ins Deutsche übertragen zu können. Manchmal muss man die Redebeiträge anderer erst selbst genauer verstehen, bevor man sie übertragen kann.
Das Beispiel des Telefondolmetschers hat eine komplexere Vorgeschichte als die beiden anderen Fälle: Die Kommune hat einen Bedarf festgestellt und Honorarmittel für die Dolmetschleistung eingeplant, obwohl sie dazu rechtlich nicht verpflichtet wäre. Es wurde ein geeigneter Dolmetscher gefunden, vielleicht gab es sogar eine Ausschreibung, der Sprachmittler war zum richtigen Zeitpunkt telefonisch verfügbar, es gab eine Honorarvereinbarung, eine Datenschutzerklärung usw. Vor allem solche Fragen der professionellen Bereitstellung von Sprachmittlung werden häufig übersehen.
Die Ausgestaltung von Sprachmittlung ist also, wie die Beispiele lediglich andeuten, immer von vielfältigen sozialen Beziehungen und unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen abhängig. Das ist grundsätzlich nicht zu vermeiden und gilt unabhängig davon, ob es sich um mündliches Dolmetschen, schriftliches Übersetzen oder eine Mischform der beiden handelt. Die Vorstellung, ←18 | 19→Sprachmittler würden immer nur genau das wiederholen, was zuvor jemand anderes gesagt hat, ist naiv und wissenschaftlich nicht haltbar. Es gibt immer gute oder schlechte Gründe dafür, dass eigene Aussagen eingebracht und bisweilen auch mit den Ideen und Beiträgen anderer Beteiligter vermischt werden. Das fällt den anderen nicht immer auf, auch wenn es aus ihrer Sicht ein Problem sein kann. Dennoch lässt es sich manchmal nicht vermeiden und erhöht zuweilen auch die Verständlichkeit eines Beitrags.
Details
- Seiten
- 172
- Erscheinungsjahr
- 2023
- ISBN (PDF)
- 9783631890035
- ISBN (ePUB)
- 9783631890042
- ISBN (Paperback)
- 9783631870167
- DOI
- 10.3726/b20185
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2023 (April)
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 172 S., 9 S/W-Abb., 7 Tab.