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Minderheit als kulturelle Bereicherung

Literatur, Sprache und Kultur der Rumäniendeutschen im Wandel

von Maria Sass (Band-Herausgeber:in) Doris Sava (Band-Herausgeber:in)
Sammelband 288 Seiten

Zusammenfassung

Nach der letzten Auswanderungswelle der deutschsprachigen Bevölkerung Anfang der 1990er-Jahre wurde der Erhalt von Deutsch als Minderheiten- und Kultursprache in Rumänien als gefährdet eingeschätzt. Der Band stellt – aus historischer wie aktueller Perspektive – Siebenbürgen und das Banat als multikulturelle Räume in ausgewählten Prosawerken rumäniendeutscher Autorinnen und Autoren vor (Hermann Tontsch, Iris Wolff, Sigrid Katharina Eismann, Yvonne Hergane u.a.). Es wird der Stellenwert der Literatur für die Wahrung der kollektiven Identität und das Fortbestehen kultureller Infrastrukturen der Rumäniendeutschen unter gewandelten Bedingungen aufgezeigt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort (Markus Fischer)
  • Sprachkreativität, sprachliche Vielfalt und Mischung von Sprachen in der rumäniendeutschen Gegenwartsliteratur am Beispiel zweier Romandebüts – Das Paprikaraumschiff (2020) von Sigrid Katharina Eismann und Die Chamäleondamen (2020) von Yvonne Hergane (Markus Fischer)
  • „[…] wenn Geschichten weitererzählt werden […].“ Raumkonstruktion und Zeiterfahrung in Iris Wolffs Roman Halber Stein (2012) (Maria Sass)
  • „Mitten am Rand“. Banater Darstellungen und Schicksale in Iris Wolffs Roman Die Unschärfe der Welt (2020) (Grazziella Predoiu)
  • Das literarische Bukarest in Richard Wagners Miss Bukarest (2001) und Belüge mich (2011) (Claudia Spiridon-Șerbu)
  • „Geheftet an die wirre Schrift der Zeit“. Zur Lebens- und Werkgeschichte des Dichters und Übersetzers Wolf von Aichelburg (Stefan Sienerth)
  • Dichtungen zu Alt-Kronstadt-Motiven von Hermann Tontsch (Joachim Wittstock)
  • Die Darstellung von Volk und Recht in Siebenbürgen in Traugott Teutschs Erzählung Das Volk hat gerichtet (1861) (Marius-Daniel Stroia)
  • Die Rosenmethapher in der siebenbürgisch-sächsischen Volkspoesie (Lăcrămioara Popa)
  • Von der Strix zum Strigoi – Eine (weibliche) Karriere von der Nachtohreule bis zum Vampir Transsylvaniens (Manuel Stübecke)
  • Kulturelle Infrastrukturen der Rumäniendeutschen im Wandel der Zeit (Doris Sava)
  • Der Beitrag von Johann Gött und George Barițiu zur Pressegeschichte Siebenbürgens (Carmen Popa)
  • Das Lebenswerk und das Hauptverdienst von Maximilian W. Schroff: Das deutsch-rumänische und Das rumänisch-deutsche Wörterbuch (1916/1922–1925) (Ileana-Maria Ratcu und Ioan Lăzărescu)
  • Deutsch mal anders: Rumäniendeutsch. Ein Didaktisierungsvorschlag (Hermine Fierbințeanu)
  • Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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Vorwort

Vorliegender Sammelband setzt die Publikationsreihe des Zentrums für linguistische, literarische und kulturelle Forschung (ZLLKF)1 an der Lucian-Blaga- Universität in Hermannstadt (rum. Sibiu) fort. Seit der Neugründung 2017 widmet sich diese Einrichtung der Erforschung zeitgenössischer rumäniendeutscher Literatur, Sprache, Kultur und Pressegeschichte, wobei der Schwerpunkt auf den literarischen und kulturellen Wechselwirkungen mit dem rumänischen Kulturfeld liegt.

Gedankt sei hier allen Mitwirkenden2, die ab 2019 in kollegial-menschlicher Verbundenheit das Erscheinen mehrerer Sammelbände des Hermannstädter Forschungszentrums in rascher Folge ermöglicht haben, und dem Verlag Peter Lang für das Entgegenkommen.3

Mit vorliegendem Band liegt somit eine weitere Publikation vor, die sich der deutschen Literatur und Kultur Rumäniens, insbesondere der interkulturell geprägten Literaturlandschaft Siebenbürgens und des Banats, aus historischer und aktueller Perspektive zuwendet, um den Stellenwert dieser Regionalliteratur und kultureller Infrastrukturen zu erörtern und deren Fortbestand unter gewandelten Bedingungen aufzuzeigen.

Von persönlichen und sozialhistorischen Konstellationen ausgehend, die für die Produktion und Rezeption literarischer Werke bedeutend sind, verdeutlichen die im Band erfassten Werkdarstellungen – jenseits sachlicher Verortungen und über die thematische Ausrichtung (Gemeinschaftswerte, kollektive geschichtliche Erfahrungen, Verfall der siebenbürgisch-sächsischen dörflichen Gemeinschaft, schwierige Lebensverhältnisse während der Diktatur, Identitätsverlust, sprachlich-kulturelle Überschneidungen) hinaus – die Erzählkunst einiger Vertreter4 der rumäniendeutschen Literatur, deren Stoffe vor allem in ←7 | 8→Siebenbürgen und im Banat lokalisiert sind. Die Beiträge beleuchten daher Siebenbürgen und das Banat als multikulturelle Räume, in denen Einzel- und Familienschicksale, das Zeitgeschehen und die Auseinandersetzung mit der regionalbedingten Sprachenvielfalt Fragen nach der individuellen und/oder kollektiven Identität berühren.

Neben der Kirche und dem Schulwesen, die für das kollektive Selbstverständnis und somit für die Identitätswahrung der Rumäniendeutschen5 in Sprachinsellage ausschlaggebend waren, sicherten die Presse, Verlage und der Literaturbetrieb den Erhalt von Deutsch als Minderheiten- und Kultursprache in Rumänien. Einige Beiträge gehen daher sozialhistorischen Zusammenhängen nach, die für die Gründung der für die kulturelle und sprachliche Eigenständigkeit der Deutschen und Rumänen wichtigen Zeitungen und Verlage bestimmend waren, oder dokumentieren aufgrund von Korrespondenz- und Archivmaterialien das Leben, Wirken und Werk einiger Persönlichkeiten der siebenbürgisch-deutschen und rumänischen Literatur und Kultur.

Inhaltlich gliedert sich der Band in fünf Abschnitte. Den Sammelband eröffnen Beiträge, die Romanerstlinge von drei Autorinnen vorstellen, die in ihrer (frühen) Jugend mit ihren Familien das Banat bzw. Siebenbürgen verlassen haben und darin auf ihre Kindheit, Familie, Heimatregion und die Übersiedlung nach Deutschland zurückblicken.

Markus Fischer (Bukarest) diskutiert am Beispiel der Debütromane aus dem Jahr 2020 von Sigrid Katharina Eismann (geb. 1964) Das Paprikaraumschiff und Yvonne Hergane (geb. 1968) Die Chamäleondamen gattungsgeschichtliche Fragen und Formen sprachlicher Kreativität und Vielfalt (dialektales, rumänisches, ungarisches, serbisches und kroatisches Wortgut, Umgangssprache, Jargon), die den Werken Authentizität verleihen. Im Unterschied zum Prosawerk anderer Autoren des Banats bzw. des Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises und der Aktionsgruppe Banat begegnet bei diesen beiden Autorinnen ein mehrsprachiger, vom regionalen Sprachgebrauch geprägter Diskurs, der auf einen „jüngsten Paradigmenwechsel“ in den Werken rumäniendeutscher Literaturschaffender hinweist.

←8 | 9→Maria Sass (Hermannstadt) geht der Darstellung von Raum- und Zeitkonstruktionen aus interdisziplinärer Sicht im vielbeachteten Erstroman Halber Stein (2012) von Iris Wolff (geb. 1977) nach. Zwischen dem fiktionalen Raum des Romans und dem realen geografischen Raum lassen sich Bezüge ausmachen, die auf den Niedergang der siebenbürgisch-sächsischen Kultur hinweisen. Die kulturelle Vergangenheit der Siebenbürger Sachsen, die räumlich und zeitlich aufgegriffen wird, fungiert im Roman als Hintergrund, um die siebenbürgisch-sächsische Kultur und Geschichte an die in Deutschland lebende jüngere Generation zu vermitteln. Iris Wolff greift zum Kulturgedächtnis der Siebenbürger Sachsen, um einen durch Wahrnehmung erlebten und erinnerten Roman in Gegenwart und Vergangenheit zu inszenieren und ihn nicht in die Vergessenheit versinken zu lassen.

Im gleichen Umfeld der historischen Inselhaftigkeit angesiedelt, erörtert der Beitrag von Grazziella Predoiu (Temeswar) anhand der Familiengeschichte von vier Generationen aus der Banatdeutschen Provinz, die in Iris Wolffs Roman Die Unschärfe der Welt (2020) Erinnerungsraum und Sehnsuchtsort ist, die von Verlust und Neubeginn geprägten Lebenswege der sieben Protagonisten, die vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts bei ihrer Identitätsfindung äußere und innere Grenzen überschreiten.

Claudia Spiridon-Șerbu (Kronstadt) widmet sich einem ausgewählten topografischen und sozialen Raum, Bukarest, der in Richard Wagners Romane Miss Bukarest (2001) und Belüge mich (2011) einer geokritischen Analyse unterzogen werden. Die Autorin fragt dabei, wie sich literarisch imaginierte Raumverhältnisse mit real erfahrbaren Orten in der Zwischenkriegszeit, im Kommunismus und in der Nachwendezeit überlagern und was die literarische Kartografie zu den Romanfiguren aussagt.

Der zweite Abschnitt des Sammelbandes beleuchtet das literarische Schaffen und die Lebensgeschichte des Dichters und Übersetzers Wolf von Aichelburg (1912–1994) und des Kronstädters Gymnasiallehrers und Gelehrten Hermann Tontsch (1881–1968). Stefan Sienerth (Pfaffenhofen a.d. Ilm) beschreibt ausführlich, sich auf unbekannte Archivmaterialien des Nationalen Rates für das Studium der Unterlagen des kommunistischen Geheimdienstes berufend, wie Aichelburg Zielscheibe des umfangreichen Repressionsapparates der Securitate im kommunistischen Regime wurde und sich trotz widriger Lebensumstände zwischen 1950 und 1980 weiterhin der Dichtung und Übersetzungstätigkeit widmete.6 Nach langen Haft- und Deportationszeiten konnte Aichelburg Ende ←9 | 10→der 1960er- und in den 1970er-Jahren neben einigen Gedicht- und Prosabänden auch Übersetzungen rumänischer Autoren veröffentlichen.

Joachim Wittstock (Hermannstadt) stellt Dichtungen zu Alt-Kronstadt-Motiven von Hermann Tontsch vor, der viele Jahre hindurch Latein an der „Honterusschule“ seiner Vaterstadt unterrichtete. Außer einer Monografie über den Buchdruck in Kronstadt und etlichen landeskundlichen Forschungsbeiträgen verfasste er auch Gedichte, die den Einfluss klassischer Muster deutlich erkennen lassen, was besonders für einen zweiteiligen, nur zum Teil veröffentlichten Zyklus von Epigrammen gilt, die der „Schwarzen Kirche“ gewidmet sind. Mit diesen Sinngedichten gesellte sich Hermann Tontsch zu den Autoren, die das Motiv „Schwarze Kirche“ als Symbol, als geistiges Zentrum und Erinnerungsort literarisch gestaltet haben.

Die Beiträge des dritten Teils thematisieren Beständigkeit und Wandel einer mit Symbolik behafteten Stofflichkeit. Marius-Daniel Stroia (Hermannstadt) zeigt den Stellenwert der Autonomie und Selbstbestimmung als grundlegende Bestandteile des Selbstverständnisses der „Sächsischen Nation“ auf, wobei der Umgang mit den Begriffen Volk, Recht und Gerechtigkeit in der Erzählung Das Volk hat gerichtet (1861) von Traugott Teutsch (1829–1913) verfolgt wird.

Lăcrămioara Popa (Hermannstadt) untersucht das semantische Potenzial der Rosenmetapher in der sächsischen volkstümlichen Lyrik, wo auch eigenständige Themen- und Motivbereiche als Ausdruck der nationalen Eigenart begegnen, sodass die Pflanzenmetaphorik kollektive Seelenzustände versprachlicht.

Diesen Themenblock schließt Manuel Stübecke (Berlin) ab, der die Hintergründe historischer Geschlechterdiskurse durch herkömmliche oder gewandelte Vorstellungen des Untoten, der nachts nach dem Blut seiner Opfer trachtet, rekonstruiert. Während der klassische männliche Vampir im 19. Jahrhundert auch zu einer medialen Figur wurde, gehen die antiken Vorbilder vorwiegend auf Vorstellungen gefährlicher Weiblichkeit zurück.

←10 | 11→Die Beiträge des vierten Teils widmen sich herausragenden Leistungen, die unter schwierigsten Bedingungen den Fortbestand eines Kulturerbes gesichert haben. Aus geschichtlicher Perspektive zeigen die Beiträge die Rolle des traditionsreichen Presse- und Verlagswesens in der Identitätswahrung auf oder würdigen das Lebenswerk und vielfältige Wirken von Persönlichkeiten, die als Sprach- und Kulturvermittler ab Mitte des 19. Jahrhunderts aktiv waren. Doris Sava (Hermannstadt) bietet einen Einblick in die ursächlichen Zusammenhänge, die bei der Gründung kultureller Infrastrukturen der Rumäniendeutschen nach 1945 wirksam waren, wobei die durch den starken Rückgang der deutschen Minderheit bedingten Herausforderungen – auch mit Blick auf den schwierigen Neuanfang nach der politischen Wende 1989/1990 – umrissen werden. In ihrem Bestreben, die deutsche Minderheit ideologisch umzuerziehen, wurden ab 1949 Publikationsmöglichkeiten geschaffen, die für den Erhalt der deutschen Sprache und Kultur und damit für die künftige Behauptung der Literatur der „mitwohnenden Nationalitäten“ förderlich waren.

Den Einfluss der deutschen Kultur in Siebenbürgen auf das Pressewesen und in Intellektuellenkreisen legt Carmen Popa (Hermannstadt) dar. Am Beispiel editorischer Erfolge von Johann Gött (1810–1888) und George Barițiu (1812–1893) bietet die Autorin einen Einblick in die Pressegeschichte Siebenbürgens und in die vielfältigen Bemühungen um die nationale Selbstbehauptung der Rumänen in Siebenbürgen, wodurch auch die Hintergründe der Erscheinung der ersten rumänischen Tageszeitung Gazeta de Transilvania (1838) und Wirkungsbereiche des ASTRA-Vereins zur Förderung der rumänischen Sprache und Kultur erfasst werden.

Ileana-Maria Ratcu und Ioan Lăzărescu (Bukarest) dokumentieren über umfangreiche Archivrecherchen die Herkunft, Ausbildung und Laufbahn von Maximilian W. Schroff (1873–?), der als Deutschlehrer, Lehrbuchautor, Übersetzter und Publizist tätig war, und sich mit der Ausarbeitung zweisprachiger Wörterbücher bleibende Verdienste erworben hat. Da die erste Auflage des Schroffschen Wörterbuchs 1916 und die zweite 1922, also vor (über) 100 Jahren, erschienen ist, eignet es sich sehr gut für die Auseinandersetzung mit historischen deutschsprachigen Quellen, da es oft Wortvarianten aufweist, die besser zu den historischen Epochen passen, in denen die Urkunden entstanden sind. Ein lexikografischer Vergleich der Termini aus den Urkunden Siebenbürgens (15.–19. Jh.) mit deren Übersetzung in mehreren Nachschlagewerken sowie in dem deutsch-rumänischen Wörterbuch von Schroff verdeutlicht, dass Schroffs Übersetzungsvorschläge genauer und angemessener ausfallen.

Details

Seiten
288
ISBN (PDF)
9783631889299
ISBN (ePUB)
9783631889305
ISBN (Hardcover)
9783631889282
DOI
10.3726/b20184
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (November)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 288 S., 4 farb. Abb.

Biographische Angaben

Maria Sass (Band-Herausgeber:in) Doris Sava (Band-Herausgeber:in)

Die Herausgeberinnen Maria Sass studierte Germanistik und Rumänistik an der Universität Sibiu (Hermannstadt) und promovierte im Fachbereich Literatur. Sie ist Professorin für rumäniendeutsche Literatur und Neuere deutsche Literatur an der Lucian-Blaga-Universität in Sibiu. Doris Sava studierte Germanistik und Rumänistik an der Universität Bukarest und promovierte im Fachbereich Linguistik. Sie ist Professorin für Germanistische Linguistik an der Lucian-Blaga Universität in Sibiu.

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