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Wege der Germanistik in transkultureller Perspektive

Akten des XIV. Kongresses der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG) (Bd. 4) - Jahrbuch für Internationale Germanistik - Beihefte

von Laura Auteri (Band-Herausgeber:in) Natascia Barrale (Band-Herausgeber:in) Arianna Di Bella (Band-Herausgeber:in) Sabine Hoffmann (Band-Herausgeber:in)
©2022 Konferenzband 624 Seiten
Open Access

Zusammenfassung

Kultur- und Literaturwissenschaft im Kontext einer transkulturellen Germanistik stehen hier zur Debatte. Der Fokus liegt dabei auf den Begriffen Kanon und Weltliteratur sowie auf den Verflechtungen und Verbindungen zwischen Sprache, Literatur und Wissenschaft.
Der vierte Band enthält Beiträge zu folgenden Themen:
- Kanon, Weltliteratur und Transkulturalität;
- Entgrenzte Literatur. Kontextbezogene Textbetrachtungen in interkultureller Sicht;
- Sprache, Literatur und Wissen(schaft);
- Nach dem Postkolonialismus? Ähnlichkeit als kulturtheoretisches Paradigma

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Kanon, Weltliteratur und Transkulturalität
  • Vorwort (Gertrud Maria Rösch (Heidelberg), Dalia Aboul Fotouh Salama (Kairo), Michael Fisch (Kairo))
  • Wenn die Literatur eine Brücke zwischen Ufern schafft… (Mounia Alami (Fes))
  • Deutsche Gegenwartsliteratur und Orient-Diskurse. Eine Untersuchung zu Texten von Christian Kracht und Alex Capus (Jean Bertrand Miguoué (Yaoundé))
  • Nicht stattgefundene Alterität? Zu Orientdiskursen in (pop)literarischen Reiseerzählungen von Christian Kracht und Jonas Lüscher (Martina Möller (Tunis))
  • Transareales Gedenken an genozidale Geschichte in Analogie zum islamistischen Terror der Gegenwart in Das Dorf des Deutschen des algerischen Autors Boualem Sansal (Inez Müller (Paderborn))
  • Geht es ohne Goethe? Über Kanon und Leselisten in der universitären DaF-Lehre (Gertrud Maria Rösch (Heidelberg))
  • Trivialliteratur als Weltliteratur. Die Rezeption August von Kotzebues im Osten Europas unter Berücksichtigung des ersten Übersetzers August Kitzberg in Estland (Maris Saagpakk (Tallinn))
  • „Nach Süden flog ich übers Meer“. Das Mittelmeer bei Nietzsche (Angelika Schober (Limoges))
  • Die Tradition der „Weltliteratur“ – von Deutschland nach Japan (Makoto Yokomichi (Kyoto))
  • Adaptionen des chinesischen Waisenkind-Motivs in der Weltliteratur (Zhang Fan (Shanghai) und Zhang Han (Shanghai))
  • Entgrenzte Literatur. Kontextbezogene Textbetrachtungen in interkultureller Sicht
  • Einleitung (Joanna Godlewicz-Adamiec (Warschau) Paweł Piszczatowski (Warschau), Dolors Sabaté Planes (Santiago de Compostela))
  • (Nicht)Anthropozentrische Erfahrungen. Mittelalterliche Paradigmen in posthumaner Sicht am Beispiel Hildegards von Bingen (Joanna Godlewicz-Adamiec (Warschau))
  • „Le chien, c’est moi“ – zum kritischen Posthumanismus Friederike Mayröckers (Beate Sommerfeld (Posen))
  • Paläontologie des Traumas und anorganisches Leben: Paradoxien des Toten in Paul Celans Gedichten (Paweł Piszczatowski (Warschau))
  • Bild und Schrift im erzählerischen Werk Erna Pinners (Dolors Sabaté Planes (Santiago de Compostela))
  • Selbstbildnisse – Lebensbilder – (Nicht)Existenzzeichen. Felix Nussbaums Malerei als literarischer Stoff (Renata Dampc-Jarosz (Katowice))
  • Text und Bild in Interaktion. Wahlplakate als zeitgeschichtliche Dokumentationsquelle (Anna Górajek (Warschau))
  • „Künstler sind unsterblich“. Kunst als Weg zur Entgrenzung und Selbsterkenntnis in Gregor von Rezzoris Der Schwan (Linda Puccioni (Siena))
  • Repräsentationsräume der künstlerischen Doppelbegabung in autobiografischen Texten von Gerd Gaiser (Lúcia Bentes (Lissabon))
  • Laokoon, Dornauszieher und Marmorbild – Skulpturen in der deutschsprachigen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts (Boris Schwencke (Warschau))
  • „Die Kunst kann transzendente Bilder erschaffen, die der Religion unerreichbar bleiben […]“. Kunst und Religion im literarischen Werk von Hartmut Lange (Dominika Wyrzykiewicz (Warschau))
  • Gegen Nebel, Regen und Wind. Reiseberichte der deutschbaltischen Autorinnen um 1800 (Anna Gajdis (Breslau))
  • Dramentechnik und utopische Aufklärung in den Kinderschauspielen Christian Felix Weißes (Ekiko Kobayashi (Hiroshima))
  • Der Tod in Elbing. Die Beerdigungszeremonien von Bürgermeister Heinrich Rhode als Darbietungsraum für entgrenzte Literatur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Piotr Kociumbas (Warschau))
  • Die Befreiung des Blicks im Dunkel. Goethes Erfahrung des Straßburger Münsters (Tomasz Szybisty (Krakau))
  • Manipulanten am großen Uhrwerk: Poetologische Orthodoxiekritik in Christoph Martin Wielands Unterredungen zwischen W** und dem Pfarrer zu *** (Vera Faßhauer (Frankfurt am Main))
  • Unter deinen steigenden Füßen wachsen die Stufen aufwärts: Kafkas Bauwerke als Sinnbild des Ewigen (Gloria Colombo (Mailand))
  • Sprache, Literatur und Wissen(schaft)
  • Zwei Kulturen im Dialog: Sprache, Literatur und Wissen(schaft). Ein Sektionsvorschlag (Ernest W.B. Hess-Lüttich (Berlin/Bern/Kapstadt))
  • Begriff und Struktur der Analyse. Zur Geschichtlichkeit der Erkenntnis in der Literatur (Hinrich C. Seeba (Berkeley))
  • Die Entfremdung von Sprach- und Literaturdidaktik und die Suche nach einem Konzept sprachlich-literarischer Bildung (Marcus Steinbrenner (Luzern))
  • Dystopische Räume und Gesellschaftsentwürfe in Arno Schmidts Gelehrtenrepublik. Ein Roman aus den Roßbreiten (1965) (Francesca Goll (München))
  • Die Kunst der Transmedialität. Informatisierung der Prosa in Reinhard Jirgls Roman Abtrünnig (Lorenzo Licciardi (Neapel))
  • Tragödientheorie und Lexikographie (Arata Takeda (Berlin))
  • „im zweifel lieber pfropf als keil“. Zur poetischen Auflösung der wissenschaftlichen Praxis in Ulf Stolterfohts fachsprachen (Rosa Coppola (München))
  • Personifizierte Mathematik und parodistische Sprache in Wilhelm Buschs Eduards Traum (Antonella Catone (Foggia))
  • Zum Alchemistischen und Italienischen in Goethes Märchen (Yuho Hisayama (Kobe))
  • „Der Giftgeist, dem die Gehirne erlagen, droht der Apokalypse zu widerstehn.“ Befunde zum Zustand der Zeit in den Texten von Karl Kraus aus dem Jahre 1933 (Hanno Biber (Wien))
  • Die Bedeutung der subversiven Sprache in Ingeborg Bachmanns und Ana Kalandadzes Lyrik (Salome Pataridze (Tiflis))
  • Botanik und Literatur: Carl Friedrich Philipp von Martius und sein anthropologischer Roman Frey Apollonio (Mihaela Zaharia (Bukarest))
  • Das Mittelmeer als Ausgangspunkt von Alexander von Humboldts Geschichte des Weltbewußtseins (Willi Bolle (São Paulo))
  • Diatopische Variation in der Belletristik. Eine korpuslinguistische Analyse (Bettina Rimensberger (Zürich))
  • Atmosphärisches Schreiben bei Robert Walser. Synästhesie in der literarischen Darstellung (Franz Hintereder-Emde (Yamaguchi))
  • Reformierte Stadtrechte als sprachstilistische Modernisierer – Nürnberg, Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau – (Manshu Ide (Tokyo))
  • Nach dem Postkolonialismus? Ähnlichkeit als kulturtheoretisches Paradigma
  • Vorwort (Dorothee Kimmich (Tübingen))
  • Ähnlichkeit: Kulturtheoretisches Paradigma, methodische Herausforderung und ein Beitrag zu den Global Epistemologies (Dorothee Kimmich (Tübingen))
  • Berührung als Ähnlichkeitsmetapher – Cusanus, Levinas (Stephan Mühr (Pretoria))
  • Die Begriffe ‚Ähnlichkeit‘ und ‚Besonderheit‘ im Verständnis von Nietzsche, Mauthner und Ludwik Fleck (Karol Sauerland (Warschau/Thorn))
  • Alle Menschen sind ähnlich. Menschenrecht und das Wissen um die transatlantische Welt (1770–1800) (Sigrid G. Köhler (Tübingen))
  • „Der dialektische Komponist“ als Synkretist: Musikphilosophie und Kompositionspraxis von Rabindranath Tagore (Romit Roy (Santiniketan))
  • Das Phänomen des Ähnlichen und die Universalisierung der Schrift bei Walter Benjamin (Barbara Di Noi (Florenz))
  • Robert Walser lieben. Ähnlichkeit im Zeichen sprachlicher Anverwandlung (Ulrike Steierwald (Lüneburg))
  • Analogien, Affinitäten, (Pflanzen-)Metamorphosen. Ähnlichkeitsdenken als ästhetische Herausforderung (Sara Bangert (Tübingen))
  • Ähnlichkeit als Konzept der Erlösung vom kulturellen Trauma (Tea Talakvadze (Tiflis))
  • Algorithmen der Ähnlichkeit (Carolin Scheler (Hannover))
  • Verlusträume. Von Dichotomien, Ähnlichkeiten und Grenzgängen (Markus Gottschling (Tübingen))
  • Herta Müllers literarischer Nachvollzug durch Ähnlichkeit (Gudrun Heidemann (Łódź))
  • Reihenübersicht

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Vorwort

Die Idee zu diesem Band reicht zurück in das Frühjahr 2017, als ein glücklicher Zufall die zwei Herausgeberinnen und den Herausgeber in Kairo zusammenführte. Gertrud Maria Rösch hatte eine vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderte Gastdozentur inne und lernte an der Cairo University die damalige Leiterin der Abteilung für deutsche Literatur und Sprache Dalia Aboul Fotouh Salama, wie auch den ebenfalls durch den DAAD entsandten Gastprofessor Michael Fisch kennen. In längeren Gesprächen entwickelten sich die Ideen und das Exposé für eine gemeinsame Sektion für den XIV. Kongress der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG). Das Vorhaben band die drei weiterhin zusammen, obwohl sie inzwischen beruflich an andere Orte wechselten. Michael Fisch nahm im Oktober 2018 den Walter Benjamin-Lehrstuhl an der Hebrew University of Jerusalem an, Dalia Aboul Fotouh Salama arbeitet seit Juni 2020 als Botschaftsrätin der Arabischen Republik Ägypten in Berlin und Gertrud Maria Rösch kehrte auf ihre Universitätsprofessur für Neuere deutsche Literatur am Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Ruprecht Karls-Universität Heidelberg zurück, die sie seit 2006 innehat.

Von Beginn stand für die Initiatoren die Thematik fest: Kanon, Weltliteratur und Transkulturalität. Der Ausschreibungstext erwartete daher, dass in dieser Sektion die umfangreiche Literatur arabisch- und anderssprachiger Länder in ihrem Bezug zur deutschsprachigen Lyrik, Prosa- und Dramenliteratur des 19. und 20 Jahrhunderts bis zur Gegenwartsliteratur in aller Vielfalt thematisiert werden sollte. Die Bezüge zur deutschsprachigen Literatur und zur Weltliteratur beginnen bei der vorislamischen Dichtung und sind inzwischen breit nachgewiesen und erforscht, unter anderem im Zusammenhang mit Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856) oder Friedrich Rückert (1788–1866). Als theoretische Basis dienen hier die streitbaren Studien von Theodor Nöldeke (1836–1930), Sayyid Qutb (1906–1966) und Tâhâ Hussein (1889–1973). Auch jüngere Forschungen sind hier von Bedeutung für die Frage, inwiefern der „Qur’ân als Text“ der Literatur – vergleichbar mit Tora und Testament – Stichworte und Anregungen gibt. Eine virulente Frage bleibt selbstredend der Zusammenhang zwischen den Literaturen der arabischen Länder und der deutschsprachigen Literatur im 19. und 20. Jahrhundert, ein Zusammenhang, der sich sowohl in fiktionalen Texten wie auch in authentischen Beispielen verfolgen lässt, beispielsweise in ←13 | 14→Reiseberichten und Schilderungen der jeweiligen Länder und ihrer politischen und konfessionellen Situation.

Während die traditionelle Germanistik häufig nationalphilologischen, komparatistischen und interkulturellen Mustern folgt, sollte für die Beiträge der Sektion eine innovative Öffnung zu einer transkulturellen Analyse von Literaturformen der Gegenwart gewinnbringend sein. So funktioniert beispielsweise eine Literatur im Internet, die sogenannte Blog-Literatur oder Netz-Literatur, nach ganz eigenen Spielregeln mit einem erzählenden Ich als zentraler oder exzentrischer Hauptfigur, welches sich jedoch vom Erzähler-Ich unterscheidet, das weiterhin die Autorrolle in der Buchliteratur dominiert und nur selten aufgebrochen wird. Selbst wenn Internet-Texte in Buch- oder Schriftform übergehen, behalten sie eine Besonderheit von Mündlichkeit. Diese und weitere Aspekte sollten in Bezug auf die Stichwörter Kanon, Weltliteratur und Transkulturalität in der Sektion thematisiert werden.

Die Sektionsleitung bat entsprechend um Beiträge, die für die arabisch- und anderssprachigen Länder diese Bezüge zur deutschsprachigen Literatur vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart untersuchen, mit Perspektiven auf transkulturelle Erscheinungsformen, Phänomene der Mehrsprachigkeit, Literaturformen der Intermedialität, jeweils unter Berücksichtigung angrenzender Forschungsgebiete. Diese Beiträge könnten überdies die Gestalt von thematischen Überblicksbeiträgen besitzen, in denen der aktuelle Forschungsstand der jeweiligen Philologien miteinander vermittelt wurde. Ebenso erwünscht waren innovative Studien, die sich aus originären Materialrecherchen in Archiven und Bibliotheken, Handschriftensammlungen und Nachlässen ergeben. Das Ziel der Beiträge in ihrer Gesamtheit war, einen integrativen Kanon von entsprechenden Texten der arabischsprachigen und deutschsprachigen Literatur und Weltliteratur sichtbar zu machen und zu diskutieren. Wünschenswerte Ergebnisse wären demnach in synchroner Hinsicht ein Querschnitt der jeweiligen Literaturen (unter anderem vom Maghrib bis zum Mashrik, das meint von Westen nach Osten) und ihrer Beziehungen zur deutschsprachigen Literatur wie auch – in diachroner Perspektive – eine Traditionslinie der Bezüge von der Zeit des Vorislam bis zur Gegenwart.

In den vier Jahren nach 2017 erhielten viele Lebens- und Arbeitsbereiche durch die Covid19-Pandemie einen neuen Zuschnitt und dies nicht nur zum Nachteil, bedenkt man die digitalen Formate, welche die Lehre und die Wissenschaftskommunikation prägen. Die IVG mit dem allgemeinen Thema »Wege der Germanistik in transkultureller Perspektive« wurde von 2020 auf das folgende Jahr verschoben und dann in einem hybriden Format verwirklicht. Die Sektion »Kanon, Weltliteratur und Transkulturalität« fand online an den drei Tagen vom 26. bis 28. Juli 2021 statt.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind aus Algerien, Tunesien und Marokko, Deutschland, Estland, Österreich und Polen, aus Israel, Japan, und ←14 | 15→Kamerun. Von den vierundzwanzig Impulsvorträgen wurden neun Vorträge zum Abdruck in dem vorliegenden Band eingereicht. Wenige Autoren und Autorinnen versagten sich auch einer Online-Publikation. Die Veröffentlichung der Beiträge folgt in alphabetischer Ordnung der Autorennamen Mounia Alami (Fes), Jean Bertrand Miguoué (Yaoundé), Martina Möller (Tunis), Inez Müller (Paderborn), Gertrud Maria Rösch (Heidelberg), Maris Saagpakk (Tallinn), Angelika Schober (Limoges), Makoto Yokomichi (Kyoto), Zhang Fan und Zhang Han (Shanghai). Sie bieten die anschauliche Konkretisierung der drei Sektionsthemen, die von Gertrud Maria Rösch (Kanon), Dalia Aboul Fotouh Salama (Weltliteratur) und Michael Fisch (Transkulturalität) hier einleitend umrissen werden.

1. Kanon

Der Streit um den Kanon ist so alt wie die Versuche, eine solche Auflistung maßgeblicher Werke zu definieren. Umstritten sind die Zusammensetzung, die Funktion und der Geltungsbereich. Dabei ist er, will man dem Literaturkritiker Denis Scheck (geb. 1964) glauben, geradezu lebensnotwendig.

Jeder Kanon stellt eine einfache Frage, im Grunde eine Kinderfrage: Was lohnt zu lesen? […] Welche Texte helfen einem dabei, ein gutes, also ein schönes, gerechtes, erfülltes und glückliches Leben zu führen? Auf solche Kinderfragen müssten Menschen, die ihr Leben lang mit Büchern Umgang hatten, eigentlich eine prompte Antwort parat haben. Tatsächlich hört man auf die Kanonfrage in unserer Gegenwart eher verlegenes Stottern, Hüsteln und Räuspern.1

Bei aller Hochachtung vor Schecks engagiertem Streit für gute Literatur ist ihm hier zu widersprechen. Germanisten – denn alle nachfolgend vorgestellten Auswahlen stammen von Männern – haben auf diese Frage sehr wohl Antworten, die jedoch hier kritisch überprüft werden sollen.

Ein Kanon sei eine „Zusammenstellung als exemplarisch ausgezeichneter und daher für besonders erinnerungswürdig gehaltener Texte; ein auf einem bestimmten Gebiet als verbindlich geltendes Textcorpus“.2 Mit dieser Maximaldefinition eröffnet der Germanist Rainer Rosenberg (1936–2021) ←15 | 16→seinen Beitrag im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Kanon verdankt sich daher nicht nur der jeweiligen Fachwissenschaft, für die er ein Arbeitsinstrument darstellt. Wesentlich häufiger dient er als Bildungskanon der Verständigung im gesellschaftlichen Diskurs und im literarischen Leben. In dieser Eigenschaft ist Kanon ein „Ergebnis eines komplexen Wertbildungsprozesses, in dem die ästhetischen Kriterien mit weltanschaulich-philosophischen, politisch-ideologischen und ethisch-didaktischen Kriterien gekoppelt waren“.3 Für jede dieser Aufgaben gibt es hinreichend Beispiele, die an dieser Stelle zunächst einmal in Erinnerung gerufen werden sollen, ehe der zweite Punkt – eine Leseliste, die für Universitätslehrende täglich die Arbeit bestimmt – zur Sprache kommt.

Die Höhepunkte der Auseinandersetzung um den Bildungskanon und seine Relevanz fallen in die 1980er Jahre; beispielhaft dafür steht die Sammlung des früheren ZEIT-Herausgebers Fritz J. Raddatz (1931–2015) unter dem Titel ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher. Angelegt ist der Band als eine „Doppel-Literaturgeschichte“,4 in der Autorinnen und Autoren jeweils Texte der Weltliteratur vorstellen. So schreibt Rudolf Augstein, der Herausgeber der Wochenzeitschrift Der Spiegel, den ersten Beitrag über die Bibel. Heinrich Bölls Erzählungen werden vorgestellt von Wolfgang Weyrauch, während Böll seinerseits die Germania-Schrift des Tacitus einführt. Dieser dialogische Ansatz unterscheidet die Sammlung von Fritz J. Raddatz von der Auswahl von Hermann Hesse (1877–1962), die durchaus als Vorläufer gelten kann: Eine Bibliothek der Weltliteratur.5

In der Absicht mit den Bänden von Hesse und Raddatz vergleichbar ist Harold Blooms The Western Canon. Wie alle anderen begründet auch Bloom (1930–2019) seine Auswahl, wenn er im Vorwort schreibt, er habe die sechsundzwanzig Autoren gewählt „for both their sublimity and their representative nature“.6 Aber mehr noch: Diese Autoren sollen zudem ihre Nationalliteratur repräsentieren: „Chaucer, Shakespeare, Milton, Wordsworth, Dickens for England; Montaigne and Molière for France; Dante for Italy; Cervantes for Spain; Tolstoy for Russia; Goethe for Germany; Borges and Neruda for Hispanic America; Whitman and Dickinson for the United States“.7 Seine zentrale Figur ist William Shakespeare, denn ihn stellt er in ←16 | 17→das Zentrum des aristokratischen Zeitalters, dem das demokratische Zeitalter des 19. Jahrhunderts und die chaotische Epoche des 20. Jahrhunderts folgen. Von Anfang an machte sich Bloom durch dieses Buch angreifbar, denn zu fragwürdig waren die politischen Kategorien, zu offensichtlich war die Bevorzugung angelsächsischer Literatur. Doch die Kritik trifft seinen Versuch nicht härter als jede andere Auswahl, die ebenfalls Wertungen vornehmen muss. In seinem Fall – wie übrigens für die Sammlung von Raddatz auch – lag ein Punkt jedoch unübersehbar auf der Hand: Die Ausgeschlossenen waren einerseits die Frauen, andererseits die Autoren, deren Herkunftssprachen andere waren als die Länder ihres Schreibens. Bloom hatte programmatisch ganze literarische Weltteile ausgeschlossen.8 Raddatz berücksichtigte nur eine einzige Frau, indem er den Roman Das siebte Kreuz von Anna Seghers aufnahm. Beide Bücher repräsentierten einen Wissensvorrat, der zugleich der Selbstvergewisserung der Lesenden dienen sollte; sie stehen an einem Scheitelpunkt der Kanon-Debatte in den Literaturwissenschaften, die damit gleichzeitig in die Kulturpolitik eingreifen wollte.

Versuche wie bei Harold Bloom und Fritz J. Raddatz haben wiederum ihre respektablen Vorläufer. Wenn es darum ging, Literatur als Identitätsstiftung bereitzustellen und diejenigen Texte auszuwählen, die den Leser mit diesen Diskursen sozialisieren sollten, so eigneten sich dafür die Lesebücher und Anthologien mit dem entsprechend nationalen, wenn nicht sogar moralischen Anspruch. Ein Beispiel dafür legte Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) ausgerechnet im Jahr 1922 mit seinem Deutschen Lesebuch vor. Schon das Erscheinungsdatum weist den Band als ein kulturpolitisches Instrument aus, das innere Orientierung in einer als nationale Not empfundenen Zeit geben soll. Ausgewählt sind in den beiden Bänden Texte, beginnend bei Gotthold Ephraim Lessing und endend mit Friedrich Nietzsche, die in ihren Gegenständen und mehr noch in der stilistischen Klarheit der Sprache vorbildlich sein konnten. Im Vorwort zur ersten Auflage, die bedeutend weniger umfangreich war, will Hofmannsthal dieses „Jahrhundert des deutschen Geistes“ zwischen 1750 und 1850 als die Richtschnur für eine innere Erneuerung nach der Katastrophe des Weltkriegs ansehen:

←17 | 18→Seit damals ist deutsches geistiges Wesen neuerdings in der Welt erkannt – ein hoher Begriff, von dem wir noch heute zehren; denn noch sind wir nicht ohne Freunde in der Welt, und wo wir nur recht in uns selber wohnen, und Geist und Gemüt in einem Haus zusammenfassen, da geht Gewalt davon aus, aber ist es freilich, als hätten wir seit damals unseren Schwerpunkt verloren.9

In der thematischen Nachfolge, wenngleich frei von der emphatischen Rettungsgeste, stehen die Bände von Marcel Reich-Ranicki (1920–2013). Seine Textreihen beschließen vorläufig die in den 1970er und 1980er Jahren geführte Debatte10 um eine gesellschaftliche Relevanz des Kanons. Die Bände, strukturiert nach Epochen und Gattungen und ganz auf die deutschsprachige Literatur bezogen,11 haben gesellschaftspolitische und pädagogische Impulse, die der Kritiker selbst – wirksam platziert in einer Titelgeschichte des Magazins Der Spiegel – freimütig einräumte:

Ohne Kanon gibt es nur Willkür, Beliebigkeit und Chaos und, natürlich, Ratlosigkeit. Ich habe einmal geschrieben: Ohne Liebe zur Literatur gibt es keine Kritik. Ich darf das hier ergänzen: Einem Deutschlehrer, der die Literatur nicht liebt, wird es nicht glücken, das Interesse an der Literatur zu wecken und eben die Liebe zur Literatur. Es wird ihm nicht gelingen, seine Schüler zu überzeugen, dass Literatur – ich wiederhole es – Spaß machen kann, darf und soll.12

Diese Anthologie-Bände sind – ungeachtet der didaktischen Emphase ihres Herausgebers – nur begrenzt als Handreichung für Unterricht und Lehre gedacht. Anders als die Sammlungen von Hesse, Raddatz und Bloom beschränken sich diese Bände programmatisch auf die Nationalliteratur.

Den literarischen Horizont über Sprach- und Genregrenzen hinaus zu erweitern, beansprucht der Kritiker Denis Scheck in dem vermutlich jüngsten ←18 | 19→Versuch von 2019: „Es ist Zeit für einen neuen Kanon, weil sich die Lebensbedingungen in den letzten zwanzig Jahren grundlegend verändert haben.“ Mit Sätzen wie diesem wischt er im Vorwort zunächst alle Bedenken über die Zukunft des Buches und über die rapid schrumpfende Zahl der Leserinnen und Leser vom Tisch und erklärt mit dem Gestus eines literarischen Umstürzlers:

Ich möchte deshalb einen wilden Kanon vorschlagen, einen Kanon, der weder Sprach- noch Genregrenzen respektiert und sich nicht um Gattungen oder Epochen schert. Einen Kanon, der nicht auf Literatur in deutscher Sprache begrenzt ist und auf die absurden Nationalphilologien des 19. Jahrhunderts schlicht pfeift. Die Ausweitung des Kanons bedeutet nicht die Abschaffung des Kanons.13

Seine Vorwärtsverteidigung der Literatur gelingt Denis Scheck im Großen und Ganzen überzeugend: Neben den vorhersehbaren Namen William Shakespeare, Leo Tolstoi oder Marcel Proust begegnen Kriminalromane (unter anderem Agatha Christie) und Autoren der Phantasy- und Jugendliteratur (unter anderem Jules Verne, Charles M. Schulz und Joanne Kathleen Rowling), deren Bücher längst ihren repräsentativen Charakter erwiesen haben.

Mit seinen Stichworten Ausweitung und Abschaffung wäre nun die Frage nach der Revision des Kanons gestellt. Aleida Assmann sieht seit den 1970er Jahren „den Bildungskanon auf dem Prüfstand“, dank der expansiven Bildungspolitik und der Neubewertung der Vergangenheit im Zeichen der 1968er-Bewergung.14 Warum also die erregten Diskussionen, wenn ohnehin jeder Versuch eines Kanons jeweils von der Kritik an seiner Zusammensetzung und an seinem Anspruch auf Gültigkeit begleitet wird?

Es soll nicht verschwiegen werden, dass Germanisten selbst mehrfach ihr Ungenügen am Kanon als Ausgangspunkt einer philologischen Revision nutzten. So veröffentlichte Gerd Ueding (geb. 1942) seine Liste der „anderen Klassiker“, zu denen die Satiriker Adolf Glassbrenner und Wilhelm Busch, ebenso die Erzähler Max Dauthendey, Otto Flake und Franz Hessel gehörten – und Karl May, den man wohl in den anderen Kanon-Empfehlungen nicht finden dürfte.15 Die wohl nachhaltigste Rettungsaktion dürfte dem Hamburger Stifter und Mäzen Jan Philipp Reemtsma (geb. 1952) mit seiner Wiederentdeckung des Autors Christoph Martin Wieland gelungen sein. Rückblickend ←19 | 20→bilanzierte er 1989 die eigene Entdeckung dieses Autors und seines Werks. Nicht einmal sein verehrter Lehrer Hans Mayer hatte mit diesem Namen etwas anfangen können, als er in einem Buch von Arno Schmidt das Wort »Agathodämon« fand.16 Wieland gehörte nicht mehr zur Allgemeinbildung respektive zum Bildungskanon. Aber gerade aus dieser Einsicht zog Reemtsma – und deswegen lohnt sich die Erinnerung an seinen Beitrag – die Konsequenz, dass einer Revision des Kanons kaum mehr etwas im Wege stehe:

Wenn – aus was für Gründen auch immer – ein Bildungskanon keine Verbindlichkeit mehr aufweist, verlieren nicht nur seine Ge-, sondern auch seine Verbote an Kraft. Es nimmt die Kenntnis der kanonisierten Literatur ab (was fast stets zu bedauern ist), aber auch die durch ihn festgehaltenen Vor-Urteile werden zunehmend unbekannt. Autoren, die früher ganz selbstverständlich unser waren, sind nun in jene Ferne gerückt, in der die Autoren, die nicht zum Kanon gehörten, immer waren. Wieland ist uns nicht mehr ferner als Goethe oder Heine. Es bedarf keiner größeren Anstrengung, Wieland (oder Moritz oder Wezel oder Thümmel) zu lesen als einen Kanon-Klassiker.17

Angesichts dieser Lizenz zur Intervention verändert sich auch der Blick auf das Unternehmen Kanonisierung und damit auch auf die eigene Rolle als Universitätslehrende. Die Kanon-Debatten seit den 1980er Jahren wurden hier auch vorgestellt, weil sie den Kontext der universitären Lehre bilden. In der Lehre geht es meist nicht um geistreiche Neu- oder Wiederentdeckungen, sondern um die Brot- und Butter-Aufgabe des Literatur-Curriculums und seiner Gestaltung durch Lektüren. Überblickt man jedoch eine Reihe dieser aktuellen Lektürevorschläge, so mag einem der Mut bald sinken: Zu offensichtlich ist die Überforderung durch die Masse des zu Lesenden!18 Was also tun? Einen Ratschlag hielt der Germanist Karl Otto Conrady (1926–2020) bereit. Seine Einführung in das Studium enthielt natürlich eine Leseliste für das Studium der Neueren deutschen Literaturwissenschaft im Umfang von zwanzig (!) Seiten; der letzte deutschsprachige Autor war Bertolt Brecht, als letzter Werktitel der Weltliteratur folgte Ulysses von James Joyce. Mit sympathischer Bescheidenheit schickte Conrady jedoch dieser Liste folgendes einschränkende »caveat« voraus: „Noch einmal sei betont, dass diese Leseliste keinen alleinverbindlichen Kanon aufstellen will. Sie ist auf die Zwecke des Studiums zugeschnitten, das den Charakter einer Einführung behält, die freilich ←20 | 21→gründlich sein muss“. Aber mehr noch: Weder ist die Zusammensetzung endgültig noch ist es die Auskunft über die zeitgenössische Literatur, denn zuletzt entließ Conrady seine Leserschaft mit dem Hinweis: „Es versteht sich von selbst, dass aus der Gegenwartsliteratur, zu der auch die der DDR gehört (!), nichts kodifiziert wird. Hier muss der Studierende selbst Umschau halten“.19

Dieser Ratschlag mag inzwischen Patina angesetzt haben, insbesondere in dem damals revolutionären Hinweis auf die Literatur der DDR, aber in der Sache bleibt er gültig. Mehr noch als den Studierenden ist es den Lehrenden aufgegeben, die Auswahl von Lektüren in einer Leseliste zu reflektieren und zu begründen und vor allem immer wieder umzuschreiben und dabei etwas zu beweisen, was Fritz J. Raddatz etwas lakonisch „das Gesetz des Handhabbaren“ nannte. Er meinte, den Mut zu haben, Titel wegzulassen!

Die großen Fragen der Kanon-Debatte bleiben gültig: Geht es um Nationalliteratur oder eine internationale Auswahl? Überwiegt der überzeitliche Charakter von Werken oder ihre aktuelle Relevanz? Wie wenig es darauf eine endgültige Antwort geben kann, haben die dargestellten Versuche von Kanon gezeigt. Was kann eine Lösung sein? Am ehesten wohl der Ratschlag, den der alte Buddenbrook seinem Sohn auf den Weg gibt: „Courage, Jean, Courage!“ Es braucht die fortwährende Reflexion über das Thema, das immer neue Horizonte bereithält, und vor allem den Mut, der aus der eigenen Lektüreerfahrung und der Liebe zur Literatur fließt.

2. Weltliteratur

In einer Zeit der Globalisierung, in der die kulturelle und schöpferische Vielfalt der Kulturen der Welt eine jeweils wichtigere Rolle spielt, und ihr, da sie einen ständigen Dialog und Austauschprozess der Menschen untereinander ermöglicht, der positive Wert der gegenseitigen Bereicherung der Menschen zugeschrieben wird, kommen sowohl den verschiedenen Medien aber auch und besonders den Literaturen und Künsten der Welt ein besonders großer Stellenwert zu. Als Träger kultureller Spezifika verweisen die Literaturen und Künste der Welt sowohl auf Unterschiede als auch auf Gemeinsamkeiten und Universalien. Es könnten aber auch durch die zahlreichen Interaktions- und Reibungspunkte, die über die vielseitigen Medien heute ←21 | 22→möglich sind, und im Zuge der Globalisierung rasant wachsen, so dass Spannungen, Abgrenzungen und Ansprüche – insbesondere religiöser Natur, die mit Identitätsfragen zusammenhängen – entstehen und potenziell Anlass zu Auseinandersetzungen geben.

Dies geschieht meist dann, wenn kulturelle Unterschiede als Ursache für Differenz gesehen werden, die die Sicht auf die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten20 ausblendet und so zur Wurzel zahlreicher Konflikte werden. Einen anderen Zugriff könnte die Perspektive beziehungsweise die Kategorie einer Weltliteratur eröffnen, da sie offen für kulturelle Vielfalt und Diversität ist und aus diesem Verständnis heraus einen transkulturellen Dialog erzielt, der zu gegenseitigem, besseren Verständnis der Menschen beitragen soll.

Bei dem Versuch den Begriff der Weltliteratur zu definieren, hebt Hendrik Birus zwei methodisch verschiedene Herangehensweisen hervor: eine qualitative und eine quantitative Definition: „Erstens meint quantitativ die Gesamtheit der Literatur beziehungsweise der literarischen Werke der ganzen Welt, und zwar aller Epochen und Gattungen. Zweitens meint qualitativ die international anerkannten Spitzenwerke unter ihnen“.21 Während bei der „quantitativen“ Begriffsdefinition die Weltliteratur summarisch alle Literaturen der Welt, die international verbreitet sind, umfasst, sieht die „qualitative“ Definition den ästhetischen Wert und den weltweiten Einfluss eines jeweiligen literarischen Werkes als ausschlaggebendes Kriterium.

Wie aus der Forschung ersichtlich zirkuliert der Diskurs über den Begriff der Weltliteratur bereits seit zwei Jahrhunderten und hat durch die Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte neue Perspektiven und Konzepte gewonnen.22

Es ist unvermeidbar den Begriff Weltliteratur zu erwähnen, ohne Johann Wolfgang von Goethe zu nennen, da der Begriff erstmals von ihm geprägt wurde und bis in die heutige Zeit wesentliche begriffliche Bedeutungskomponenten für das Verständnis einer Weltliteratur beinhaltet. In dem bekannten Gespräch mit Johann Peter Eckermann vom 31. Januar 1827 erscheint der Begriff, der im Gegenzug zur Nationalliteratur erwähnt wird: „National-Literatur will jetzt ←22 | 23→nicht viel sagen, die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit, und jeder muss jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen“.23

Man erkennt die entscheidende Bedeutung, die Goethe dabei dem Aspekt der internationalen literarischen Wechselwirkungen zukommen lässt und sieht in seinem Gespräch mit Eckermann vom 15. Juli 1827 den „große [n]‌ Nutzen, der bei einer Weltliteratur herauskommt und der sich immer zeigen wird, daß wir jetzt bei dem engen Verkehr zwischen Franzosen, Engländern und Deutschen, in den Fall kommen uns einander zu korrigieren“.24

Auch betont Goethe die Vermittlungsfunktion der Weltliteratur zwischen den Völkern und Literaturen mit der Hoffnung, […] daß ein allgemeiner Friede dadurch sich einleite, aber doch daß der unvermeidliche Streit nach und nach läßlicher werde, der Krieg weniger grausam, der Sieg weniger übermüthig“.25 Ebenso spricht Goethe von Toleranz dem Anderen gegenüber, denn, „[…] wenn wir mit entschieden anders denkenden Personen im gemeinen Leben zu verkehren haben, werden wir einerseits vorsichtiger, anderseits aber duldender und nachsichtiger zu seyn, uns veranlaßt finden“.26

Details

Seiten
624
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783034345705
ISBN (ePUB)
9783034345712
ISBN (MOBI)
9783034345729
ISBN (Paperback)
9783034336581
DOI
10.3726/b19958
DOI
10.3726/b19957
Open Access
CC-BY-NC-ND
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Januar)
Schlagworte
Transkulturellen Germanistik stehen Weltliteratur sowie Verbindungen zwischen Sprache, Literatur und Wissenschaft
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 622 S., 35 s/w Abb., 4 Tab.

Biographische Angaben

Laura Auteri (Band-Herausgeber:in) Natascia Barrale (Band-Herausgeber:in) Arianna Di Bella (Band-Herausgeber:in) Sabine Hoffmann (Band-Herausgeber:in)

Laura Auteri ist Ordentliche Professorin für deutsche Literatur an der Universität Palermo und war 2015-2021 Vorsitzende der Internationalen Vereinigung für Germanistik. Natascia Barrale ist Associate Professorin für deutsche Literatur an der Universität Palermo. Arianna Di Bella ist Associate Professorin für deutsche Literatur an der Universität Palermo. Sabine Hoffmann ist Ordentliche Professorin für deutsche Sprache und DaF-Didaktik an der Universität Palermo.

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Titel: Wege der Germanistik in transkultureller Perspektive
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626 Seiten