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Das Bucolicum Carmen des Petrarca

Einführung, lateinischer Text, Übersetzung und Kommentar zu den zwölf Eklogen

von Margrith Berghoff-Bührer (Autor:in)
©2023 Monographie 480 Seiten

Zusammenfassung

In dieser überarbeiteten Fassung zur Erstveröffentlichung von 1991 über die zwölf Eklogen des italienischen Dichters Francesco Petrarca (1304-1374) werden die gewonnenen Erkenntnisse durch aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen ergänzt und die noch fehlenden Eklogen der ersten Fassung in die Analyse mit einbezogen. Die Eingangskapitel widmen sich Petrarcas Leben, seiner tiefen Beziehung zur Antike und seiner Verehrung Vergils mit besonderer Berücksichtigung jener Ereignisse, die im Zusammenhang mit der Entstehung des Bucolicum Carmen von Bedeutung sind. Bei der anschließenden Untersuchung der einzelnen Gedichte hat sich gezeigt, dass jede Ekloge Petrarcas unter neuen Gesichtspunkten betrachtet werden muss, da er jedes Thema auf andere Weise angeht. Aus diesem Grund vermischen sich zeitweise Erläuterungen zum Text mit Interpretationsfragen, obgleich angestrebt wird, diese beiden Bereiche möglichst auseinanderzuhalten. Ziel ist es, nach Möglichkeit Petrarcas eigene Äußerungen zum Thema in die Untersuchung einzuflechten. Dabei wurden vor allem die in den Rerum familiarium libri und den sogenannten Variae vereinigten Briefe als Quellen benutzt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Vorwort
  • 2 Einleitung: Kurzer Überblick über die historischen Hintergründe
  • 3 Francesco Petrarca, 1304 – 1374
  • 3.1 Herkunft und Jugend, erste Studien
  • 3.2 Beitritt zum Klerus und Dienst bei Kardinal Colonna
  • 3.3 Laura
  • 3.4 Petrarcas Kinder
  • 3.5 Dichterkrönung
  • 3.6 Zeit der Abfassung des Bucolicum Carmen und spätere Jahr in Norditalien
  • 3.7 Kurze Würdigung der dichterischen und philologischen Tätigkeit
  • 4 Petrarca und die Antike
  • 4.1 Petrarcas Beziehung zu den antiken Autoren und besonders zu Vergil
  • 4.2 Vergil und seine Bucolica
  • 4.2.1 Biographisches
  • 4.2.2 Die Bucolica
  • 4.2.3 Die bukolische Landschaft
  • 4.2.4 Die Anordnung der Hirtengedichte
  • 4.3 Die Bukolik nach Vergil und ihre Spuren bei Petrarca
  • 5 Das Bucolicum Carmen
  • 5.1 Plan und Beginn
  • 5.2 Die Allegorie
  • 5.2.1 Allegorie und Allegorese
  • 5.2.2 Allegorie und Vergil-Legende in Spätantike und Mittelalter
  • 5.2.3 Bibelallegorese und «theologische» Poesie
  • 5.2.4 Bukolische Allegorie
  • 5.2.5 Petrarca und sein Vergilverständnis
  • 5.2.6 Petrarcas Verwendung der Allegorie im Bucolicum Carmen
  • 5.2.7 Zusammenfassung
  • 5.3 Petrarcas Variation der antiken Thematik und der bukolischen Stimmung
  • 5.4 Petrarcas Abwandlung seiner Vorbilder
  • 5.5 Anspielungen auf die Briefbukolik seiner Vorgänger Giovanni del Virgilio und Dante
  • 5.6 Die Anordnung der Gedichte
  • 5.6.1 Schematische Darstellung (Krautter)
  • 5.6.2 Schematische Darstellung (Berghoff)
  • 6 Die Eklogen 1 – 12
  • 6.1 Erste Ekloge: «Parthenias»
  • 6.1.1 Text und Übersetzung
  • 6.1.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.1.3 Interpretation
  • 6.2 Zweite Ekloge: «Argus»
  • 6.2.1 Text und Übersetzung
  • 6.2.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.2.3 Interpretation
  • 6.3 Dritte Ekloge: «Amor pastorius»
  • 6.3.1 Text und Übersetzung
  • 6.3.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.3.3 Interpretation
  • 6.4 Vierte Ekloge: «Daedalus»
  • 6.4.1 Text und Übersetzung
  • 6.4.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.4.3 Interpretation
  • 6.5 Fünfte Ekloge: «Pietas pastoralis»
  • 6.5.1 Text und Übersetzung
  • 6.5.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.5.3 Interpretation
  • 6.6 Sechste Ekloge: «Pastorum Pathos»
  • 6.6.1 Text und Übersetzung
  • 6.6.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.6.3 Interpretation
  • 6.7 Siebente Ekloge: «Grex infectus et suffectus»
  • 6.7.1 Text und Übersetzung
  • 6.7.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.7.3 Interpretation
  • 6.8 Achte Ekloge: «Divortium»
  • 6.8.1 Text und Übersetzung
  • 6.8.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.8.3 Interpretation
  • 6.9 Neunte Ekloge: «Querulus»
  • 6.9.1 Text und Übersetzung
  • 6.9.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.9.3 Interpretation
  • 6.10 Zehnte Ekloge: «Laurea Occidens»
  • 6.10.1 Text und Übersetzung
  • 6.10.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.10.3 Interpretation
  • 6.11 Elfte Ekloge: «Galathea»
  • 6.11.1 Text und Übersetzung
  • 6.11.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.11.3 Interpretation
  • 6.12 Zwölfte Ekloge: «Conflictatio»
  • 6.12.1 Text und Übersetzung
  • 6.12.2 Erläuterungen zum Text
  • 6.12.3 Interpretation
  • 7 Schlusswort
  • 8 Anhang
  • 8.1 Die alten Kommentatoren in den Handschriften des Bucolicum Carmen
  • 8.2 Bibliographie
  • 9 Index

1 Vorwort

Die bibliographischen Angaben zu Petrarca von den Druckanfängen bis in die Gegenwart zeigen, dass als die letzte Gesamtausgabe seiner Werke nördlich der Alpen die lateinische Edition des Henric Petri in Basel 1581 zu gelten hat. Eine deutsche kommentierte Übersetzung des Bucolicum Carmen – oder von Gedichten daraus in Auswahl – scheint bis anhin nicht vorhanden zu sein, abgesehen von einer Übersetzung der 1. Ekloge in einer Anthologie Michael von Albrechts.1 – Nach der Basler Ausgabe von 1581 erschien 1829 die Edition von Rossetti mit Übertragungen der Gedichte ins Italienische, die von verschiedenen Übersetzern stammen2. 1891 folgte Develays Übersetzung ins Französische; 1906 erschien die lateinische Edition Avenas in Padua, gefolgt von Mattuccis Ausgabe, Pisa 1970, mit italienischer Prosa-Übersetzung, und der von Bergin 1974 (New Haven and London) mit metrischer Übertragung der Gedichte ins Englische3. Eine neuere französische Ausgabe von Marcel François und Paul Bachmann liegt vor aus dem Jahre 2001 (Paris) mit Prosaübersetzung und Kommentar; sie wurde in dieser Arbeit teilweise berücksichtigt. Wie Bergin angibt, erlangte nur Rossettis Edition im 19. Jahrhundert eine gewisse Verbreitung. Der vorliegenden Arbeit liegen in erster Linie die Ausgaben von Avena, Mattucci und Bergin zugrunde;4 ebenso wurde in der neuen Fassung (d.h. die Einfügung der Eklogen 6, 7, 9, 10 und 12 mit Übersetzung und Kommentar) mit der Edition des Autographs Vat. Lat. 3358 von Domenico De Venuto, Pisa 1990 gearbeitet. Änderungen im lateinischen Text gemäss der Autograph-Edition sind in den entsprechenden Kommentarstellen angemerkt. Für Übersetzung und Kommentar von BC 10 wurde die Ausgabe von Guido Martellotti beigezogen. Die Kommentatoren bei Avena (Commenti inediti, Padova, 1906), nämlich Anonymus, S. 169–215, Benvenuto, S. 216–246, Piendibeni (mit Glossen aus verschiedenen Handschriften), S. 247–286, werden generell als «die alten Erklärer» oder «die alten Kommentatoren» bezeichnet: Nur bei schwierigen und nicht selbstverständlichen Stellen wird namentlich auf sie verwiesen.

Es wird zunächst ein kurzer Abriss gegeben von Petrarcas Leben mit besonderer Berücksichtigung jener Ereignisse, die im Zusammenhang mit dem Bucolicum Carmen von Bedeutung sind.

Um Petrarcas Persönlichkeit zu erfassen und Zugang zu seinem Werk zu finden, ist die Kenntnis und das Verständnis seiner tiefen Beziehung zur Antike von grosser Wichtigkeit; daher wurde diesem Thema eindringliche Beachtung geschenkt. Eingebettet in seine Liebe zur Antike versteht sich seine grosse Verehrung für Vergil; ohne diesen Dichter wäre Petrarcas Werk und besonders das Bucolicum Carmen in dieser Form nicht denkbar. Nicht zu unterschätzen für das Vergil-Verständnis des Dichters ist dabei die Bedeutung des Vergil-Kommentators Servius und des spätantiken Autors Fulgentius.

Petrarcas geistige Wurzeln gründen aber nicht nur im Boden der Antike; auch der Zeitraum zwischen der Antike und Petrarcas eigener Zeit hat Einfluss auf ihn ausgeübt; Spuren von spätantiker und mittelalterlicher Denkweise lassen sich im Bucolicum Carmen ebenfalls nachweisen.

Bei der Untersuchung der einzelnen Gedichte hat sich gezeigt, dass jede Ekloge Petrarcas unter neuen Gesichtspunkten betrachtet werden muss, da er jedes Thema auf andere Weise angeht. Es zeigt sich zwar ein gemeinsames Grundmuster «Bukolik» und eine von ihm angestrebte similitudo, non identitas gegenüber seinen Vorbildern (vgl. Fam. 2,2); die Variationen in der Ausführung sind jedoch so gross, dass sich auch in der Untersuchung Unterschiede ergeben haben. Aus diesem Grund vermischen sich hie und da Erläuterungen zum Text mit Interpretationsfragen, obgleich angestrebt wurde, diese beiden Bereiche möglichst auseinanderzuhalten.

Die Übersetzung der Eklogen hält sich an die Ausgabe des Textes von Th.G. Bergin, wobei einige Abweichungen anzumerken sind:

Die j im lateinischen Eklogen-Text wurden durch i ersetzt, wo es sinnvoll war.

In Ekl. 2,65 haben die Handschriften. offenbar tu; dies wurde aus sprachlichen Gründen in te geändert.

In Ekl. 5,45 schreibt Bergin (dies mit Avena) ni quo fata premunt; aus Sinngründen wurde diese Lesart in ni quos fata premunt geändert (gemäss T. Mattucci). In Avena findet sich der Vermerk einer Variante, dass nämlich die Handschrift der Nationalbibliothek in Neapel, Cod. VIII, G 7, die Lesart quos aufweist.5

In der 11. Ekloge ergibt sich nach genauer Untersuchung eine Sprecherverschiebung: V. 49 wird nun Fulgida zugeordnet, nicht Niobe. In logischer Konsequenz wird V. 52 Niobe zugeteilt. Letzteres gibt auch Bergin als eine Änderung gegenüber Avena an; die nötige andere Sprecherzuordnung für V. 49 hat er jedoch übersehen. Diese Sachverhalte werden eingehender in den Erläuterungen zu den betreffenden Stellen behandelt.

Neben der Benutzung der angegebenen Sekundärliteratur war das Bestreben gross, nach Möglichkeit Petrarcas eigene Äusserungen zum Thema in die Arbeit einzuflechten; dabei wurden vor allem die in den Rerum familiarium libri und den sogenannten Variae vereinigten Briefe als Quellen6 benutzt, da sie für den Zeitraum, in dem das Bucolicum Carmen entstanden ist, besonders von Belang sind.


1 Von Albrecht, S. 164 ff. – In «Briefwechsel des Cola di Rienzo» gibt Piur eine Besprechung und Charakterisierung des Bucolicum Carmen; der Schwerpunkt wird dabei auf Ekloge 5 gelegt, welche die Ereignisse um Cola di Rienzo zum Thema hat (Burdach/Piur, Bd. II, Teil 2, S. 173 ff).

2 Rossetti, Vol. I.

3 Vgl. dazu auch Bergin, S. XII. – Zu Sozzi findet sich die Bemerkung «(Con particolare riguardo alle egloghe I, VIII, XI)». Ob es sich dabei um eine Auswahl handelt, wird nicht klar (vgl. Fucilla, S. 208 und 210). Die Ausgabe von Sozzi sowie die von Develay hatte ich nicht zur Hand.

4 Vgl. Kap. 8.2: Bibliographie.

5 Avena, S. 286.

6 Fracassetti, zitiert als: Fam. bzw. Var.

2 Einleitung: Kurzer Überblick über die historischen Hintergründe

Petrarcas Lebenszeit fällt in eine Epoche grosser geistiger Veränderungen und heftiger Machtkämpfe in Europa. Dem aufsteigenden Frankreich war es unter Philipp dem Schönen gelungen, durch diplomatischen und militärischen Druck auf den Papst Bonifaz VIII. die Macht der römischen Kurie zu brechen. Nach der kurzen Amtszeit des Nachfolgers von Bonifaz VIII., Benedikts XI., der nur halbe Massnahmen zur erneuten Stärkung der Position des Papstes ergriff, setzte es die französische Partei im nächsten Konklave durch, dass der Erzbischof von Bordeaux zum Papst gewählt wurde. Dieser liess sich als Clemens V. 1305 in Gegenwart Philipps des Schönen in Lyon zum Papst krönen. Wegen der unsicheren italienischen Verhältnisse blieb er in Frankreich, vorerst in der Gascogne; von 1309 an residierte er in Avignon. Er berief viele seiner gascognischen Landsleute zu Kardinälen. Nach dem Beispiel von Clemens V. richteten sich noch sechs weitere Päpste in Avignon ein; damit blieb Rom auf lange Zeit ohne Papst, und das Papsttum lebte unter dem Druck französischer Macht. Die französischen Könige boten alles auf, den päpstlichen Hof in ihrer Nähe zu halten. Durch die Niederlagen im 100-jährigen Krieg gegen England verringerte sich die Macht Frankreichs, so dass auch der Druck des französischen Könighofes auf den Papst nachliess. Die immer mehr fortschreitende Verweltlichung der Kirche seit dem späten Mittelalter und das grosse Auseinanderklaffen von religiösem Sinn und sehr weltlicher Praxis trugen mit dazu bei, dass die römische Kurie in ihrem von Frankreich bestimmten Exil das Vertrauen bei nicht-französischen Ländern einbüsste.

Dieses Exil dauerte von 1305 bis 1376, unterbrochen von einem Versuch Urbans V. zur Rückkehr nach Rom: Trotz des Widerstandes der Kardinäle und des französischen Königs verliess er Avignon und hielt am 16. Oktober 1367 seinen Einzug in die heilige Stadt. Er war jedoch den Schwierigkeiten in Italien nicht gewachsen und kehrte 1370 nach Avignon zurück, wo er bald darauf starb. Sein Nachfolger, Gregor XI., plante ernstlich, wieder nach Rom überzusiedeln. Nach einigen Widerständen und Schwierigkeiten begann er 1376, die Kurie nach Rom zurückzuverlegen, und betrat am 17. Januar 1377 die Ewige Stadt. Damit war zwar das Exil in Avignon zu Ende; die Kämpfe um die Macht innerhalb der Kirche blieben weiterhin bestehen: 1379 begann die Zeit des Abendländischen Schismas und der Gegenpäpste.7 Während der ganzen Lebenszeit Petrarcas hatte das Papsttum seinen Sitz in Avignon, ein Zustand, den der Dichter tief bedauerte und gegen den er in vielen seiner Schriften Stellung bezog. Es war ihm nicht vergönnt, einen seiner grössten Wünsche – Rom als Sitz des Papstes – auf Dauer erfüllt zu sehen.


7 LThK, s.v. «Avignonisches Exil», Sp. 1152 (Johann Baptist Villiger).

3  Francesco Petrarca, 1304 – 1374

3.1 Herkunft und Jugend, erste Studien

Francesco Petrarca wurde am 20. Juli 1304 in Arezzo geboren. Sein Vater, Ser Petracco, ein Rechtsgelehrter aus Florenz, war aus seiner Heimat verbannt und seine dortigen Güter waren beschlagnahmt worden. In der Epistola ad posteros1 schildert Petrarca die Umstände seiner Geburt und erwähnt, die ersten Jahre seines Lebens habe er in Italien verbracht. Im Alter von neun Jahren sei er dann mit seinen Eltern in die Gallia Transalpina nach Avignon gekommen, wo sein Vater einen Lebensunterhalt fand. Die Familie wohnte im nahe gelegenen Ort Carpentras. Trotz dieses frühen Exils fühlte sich Petrarca immer Italien zugehörig und galt als Florentiner.

Die Vorfahren Petrarcas waren seit einigen Generationen Rechtsgelehrte gewesen; so studierte auch er auf Wunsch seines Vaters 1319 in Montpellier und später in Bologna die Rechte. Aber es wurde ihm bald klar, dass er sich mehr für das Latein als Literatursprache und für dessen Autoren interessierte als für den Inhalt des Corpus Iuris. Nach dem Tode seines Vaters, 1326, gab er seine Studien in Bologna auf und kehrte nach Avignon zurück. Er wandte sich nun ganz seinem dringendsten Anliegen, der Dichtkunst, zu, da er keinerlei Neigung verspürte, den Juristenberuf auszuüben. Seine Mutter hatte er früh, im Alter von 14 Jahren, verloren. Sie starb 38-jährig; das ihrem Andenken gewidmete Gedicht von 38 Versen ist seine früheste erhaltene poetische Komposition.2

3.2 Beitritt zum Klerus und Dienst bei Kardinal Colonna

Um ein Auskommen zu haben, entschloss sich Petrarca zu einer kirchlichen Laufbahn, wurde Mitglied des Klerus am Papsthof in Avignon und erhielt die niederen Weihen. Auf Empfehlung von Giacomo Colonna, dem Bischof von Lombez, den er in Bologna kennengelernt hatte, fand er Aufnahme im Haus von dessen Bruder, des Kardinals Giovanni Colonna. Er trat 1330 in den Dienst des Kardinals und hatte ihn bis zum Jahre 1347 formell als Dienstherrn, obschon Petrarca 1337 seinen Wohnsitz nach Vaucluse verlegte und sich 1341/42 und 1344/45 in Parma und Verona aufhielt.

3.3 Laura

Als Kleriker war Petrarca zum Zölibat verpflichtet. Am 6. April 1327 erblickte er jedoch frühmorgens in der Kirche Sainte Claire in Avignon eine junge Frau, die in schicksalhafter Weise einen grossen Eindruck auf ihn machte. In einem frühen Sonett nennt er sie Laureta, anderswo Laura. Wer sie wirklich war, bleibt im Dunkeln. Über ihre Person bestehen Mutmassungen;3 Grant4 gibt mehr bekannt: nach ihm handelt es sich um Laura de Noves (1307/8 – 1348), Gattin des Hugues de Sade von Avignon. Giacomo Colonna fragte Petrarca einst im Scherz, ob es sie wirklich gebe, oder ob er sie nur um seiner Dichtung willen erfunden habe.5 In Fam. 2,9 entgegnet ihm Petrarca: In hoc uno vere utinam iocareris! Simulatio esset utinam et non furor! Sed crede mihi, nemo sine magno labore diu simulat: laborare autem gratis, ut insanus videaris, insania summa est. Adde, quod aegritudinem gestibus imitari benevalentes possumus, verum pallorem simulare non possumus. Tibi pallor, tibi labor meus notus est … .6 Auch Petrarcas Eintrag vorne in seinem Vergil-Codex über seine erste Begegnung mit Laura und über das eigenartige Zusammentreffen dieses Datums mit ihrem Todestag (… et in eadem civitate eodem mense Aprili, eodem die sexto eadem hora prima, anno autem MCCCXLVIII/1348 ab hac luce lux illa subtracta est, …) lässt ihre Gestalt vor uns als die einer wirklich Gewesenen aufleben. Einen grossen Teil seines Ruhms verdankt Petrarca den vielen italienischen und den wenigen lateinischen Gedichten, die er zum Lobe Lauras oder zu ihrem Gedenken verfasste; er besang sie über ihren Tod hinaus. Im Bucolicum Carmen verflicht Petrarca seine Liebe zu Laura mit seiner Liebe zur Poesie.7

3.4 Petrarcas Kinder

Neben Laura, die ihm unerreichbar blieb und die er nach Art eines Troubadours von ferne verehrte, gab es eine uns nicht näher bekannte Frau, die ihm einen Sohn gebar;8 ebenfalls ungenannt bleibt die Mutter seiner Tochter.9 Den Sohn verlor er durch die Pest. Die Kinder aus der Ehe seiner Tochter erfreuten ihn im Alter.

3.5 Dichterkrönung

In der 3. Ekloge (Amor pastorius) führt Daphne den Stupeus zur Dichterkrönung auf das Kapitol. Sie erachtet ihn dessen für würdig, nachdem er, wie Hesiod, von den Musen einen Lorbeerzweig erhalten hatte.

Diese Ekloge nimmt Bezug auf das wichtigste Ereignis in Petrarcas Leben, auf seine Krönung zum poeta laureatus, die zu Ostern, am 8. April 1341, im Senatorenpalast in Rom stattfand. Zuvor hatte er sich von König Robert d’Anjou in Neapel prüfen lassen, ob er sich des Dichterlorbeers würdig erweise.10 In seiner Krönungsrede, die Petrarca zu diesem Anlass hielt, findet sich unter anderem eine schöne Zusammenstellung der Eigenschaften des Lorbeers, mit Zitaten aus der antiken Literatur, die seine Ausführungen stützen.11 Petrarcas irrtümliche Meinung, der Kranz der im antiken Rom gekrönten Dichter sei aus Lorbeer gewesen, wird damit verständlich. Jener Kranz war aus Eichenlaub gewunden; zumindest errangen bei den von Domitian eingeführten Dichterwettkämpfen auf dem Kapitol, an die Petrarca wohl dachte, die Sieger einen Eichenkranz. Auch eine andere Annahme Petrarcas, welche der Dichterkrönung in seinen Augen zusätzlichen Wert verlieh, beruht auf einem Irrtum. Er glaubte nämlich, in der Verleihung der Magisterwürde an den mittelalterlichen Universitäten setze sich diese alte antike Zeremonie fort.12 Petrarcas Kenntnis von der Krönungstradition und von einer oder mehreren solchen Krönungen, die in neuerer Zeit stattgefunden hatten, liessen, zusammen mit seinem grossen Begehren nach bleibendem Ruhm, den Wunsch entstehen, selbst mit dem Kranz zum poeta laureatus gekrönt zu werden.13

In seinem Brief an die Nachwelt bemerkt Petrarca zum Ereignis seiner Dichterkrönung: Haec mihi laurea scientiae nihil, plurimum vero quaesivit invidiae. So musste auch er erfahren, dass äussere Zeichen des Erfolgs nicht nur Nutzen und Ehre, sondern eher noch Neid bringen können.

3.6 Zeit der Abfassung des Bucolicum Carmen und spätere Jahr in Norditalien

Petrarca arbeitete vermutlich 1346 – 1352 an den zwölf Eklogen: die letzte Version ist allerdings 1357 in Mailand datiert. So dürfte es sich bei der Erwähnung im Brief an seinen Bruder (Fam. 10,4), wie schnell er das Vorhaben zu Ende geführt habe, dabei nur um eine erste Fassung gehandelt haben. Im Sommer 1346 schrieb er wenigstens vier von den geplanten zwölf Hirtengedichten. Es war eine Gewohnheit des Dichters, seine Werke immer wieder zu überarbeiten, Zusätze zu machen oder zu kürzen, bis er sie endlich aus der Hand gab. Petrarca war damals auf der Höhe seines Dichterruhms, und seine Gedichte erfuhren grosse Wertschätzung.14 Die Jahreszahlen zeigen auch, dass Petrarca nicht nur in Vaucluse, dem Ort seiner Inspiration zu bukolischem Dichten, am Carmen gearbeitet hat; denn 1353 verliess er Vaucluse und die Provence endgültig, um fortan in Norditalien dauernden Wohnsitz zu nehmen.15 Er wohnte lange in Mailand (1353 – 1361), hielt sich in Padua, Venedig und Pavia auf und starb am 18. Juli 1374 in Arquà bei Padua.16 Sein Haus kann dort heute noch besichtigt werden.17

Das Bucolicum Carmen ist in 27 Handschriften überliefert; in dieser Zahl sind die Fragmente nicht berücksichtigt. Wie das Datum des ersten Druckes zeigt (Köln 1473), hatte das Werk hundert Jahre nach des Dichters Tod seine Anziehungskraft bewahrt.18

3.7 Kurze Würdigung der dichterischen und philologischen Tätigkeit

Es würde hier zu weit führen, neben dem Bucolicum Carmen alle lateinischen Werke Petrarcas einzeln aufzuzählen;19 es sei nur erwähnt, dass er ein grosses Epos Africa unvollendet hinterliess, da er immer wieder daran geändert hatte. Petrarca verstand es als Nachfolgewerk zu Vergils Aeneis. Wie im Titel des vergilischen Werks der Name des Helden Aeneas erscheint, so verherrlicht Petrarca mit dem Titel Africa den von ihm besungenen älteren Scipio Africanus und dessen römische virtus. In der Wahl dieses Titels ist die Nachwirkung Vergils offenkundig.

Daneben ist Petrarcas sehr umfangreicher Briefwechsel zu nennen, von ihm bewusst als Literatur konzipiert; die Briefe hat er in bestimmter Reihenfolge geordnet. Die Entdeckung von ciceronianischen Briefsammlungen brachte ihn auf den Gedanken, seine eigenen Briefe ebenfalls zu publizieren. Wichtig war dafür aber auch das Vorbild Senecas.

Sehr bemerkenswert ist auch seine Tätigkeit als klassischer Philologe: Die Wiederentdeckung wichtiger Werke von Cicero ist sein Verdienst: 1333 Pro Archia poeta in Lüttich, 1345 in Verona die Handschriften der Epistulae ad Atticum, ad Quintum fratrem und ad M. Brutum.

Seinen steten Nachforschungen nach antiken Autoren in allen ihm erreichbaren Bibliotheken verdanken wir manche Handschrift. Seine Bücher versah er mit gelehrten Randglossen und Querverweisen, zu welchen ihn sein aussergewöhnliches Gedächtnis befähigte.20

Der Ruhm und die grosse Nachwirkung der italienischen Dichtung Petrarcas hat mit der Zeit sein lateinisches Werk in den Hintergrund treten lassen, dies vor allem auch deshalb, da sich mit dem aufsteigenden Gedanken des Humanismus die Art der Dichtung mit dem Zeitgeschmack wandelte und man seine Nachfolger als eleganter empfand.21


1 Fracassetti, Bd. 1, S. 1 ff.

2 Wilkins, Life, S. 5.

3 Wilkins, Life, S. 8.

4 Grant, S. 89.

5 Wilkins, Life, S. 8.

6 «O würdest du doch in diesem einzigen Punkt wirklich scherzen! O, dass es Verstellung wäre und nicht blinde Leidenschaft! Aber glaub’ mir, niemand verstellt sich lange, es sei denn unter grosser Mühe: Sich zwecklos abzumühen, damit man verrückt scheine, das ist die äusserste Verrücktheit. Dazu kommt noch, dass wir als Gesunde (zwar) mit einer (gewissen) Mimik eine Krankheit vorspiegeln können, die Blässe jedoch können wir nicht vortäuschen. Du kennst meine Blässe, meine Not.»

7 In den Eklogen 3 und 10.

8 Wilkins, Life, S. 18.

9 Wilkins, Life, S. 37.

10 Wilkins, Life, S. 24.

11 Hortis, S. 323 f.

12 Wilkins, Life, S. 24.

13 Wilkins, Life, S. 25.

14 Bergin, S. Xf.

15 Wilkins, Life, S. 128

Details

Seiten
480
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783034343756
ISBN (ePUB)
9783034343930
ISBN (Hardcover)
9783034342605
DOI
10.3726/b18927
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (September)
Schlagworte
Vergil Hirtengedichte Antike Allegorie Ekloge
Erschienen
Peter Lang – Lausanne · Berlin · Bruxelles · Chennai · New York · Oxford. 2023. 480 S.

Biographische Angaben

Margrith Berghoff-Bührer (Autor:in)

Margrith Berghoff-Bührer ist Doktorin der klassischen Philosophie. Sie studierte an der Universität Zürich, an der auch ihre Promotion erfolgte.

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Titel: Das Bucolicum Carmen des Petrarca
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