Lade Inhalt...

Zeitzeuge als Zierde. Das bewegte Leben von Kodex Mscr. Dresd. Ob. 5

von Angelika Kaiser (Autor:in)
©2024 Dissertation 242 Seiten

Zusammenfassung

Der aus Florenz stammende und in der Dresdner Universitätsbibliothek aufbewahrte Kodex Mscr. Dresd. Ob. 5 von 1460 enthält Teile des Hiobkommentars Papst Gregors I. sowie vier Briefe und eine Predigt Giovanni Dominicis. Diese im Florentinischen des 14. Jahrhunderts vorliegenden Texte werden in einer Studienedition bereitgestellt, welche das Manuskript aus kodikologischer, lin-guistischer, historischer und kultureller Sicht präsentiert. Das faszinierende Leben dieser Handschrift und ihrer Texte – vom 6. Jahrhundert in Konstantinopel über Florenz in der Renaissance bis zum 21. Jahrhundert in Dresden – wird im vorliegenden Band nachgezeichnet und zugänglich gemacht.
Diese Studie enthalt zusatzliche Informationen als Anhang. Sie konnen hier heruntergeladen werden
https://www.peterlang.com/app/uploads/2024/07/Studienedition__A.-Kaiser__Zeitzeuge-als-Zierde.pdf

Inhaltsverzeichnis

  • Couverture
  • Titre
  • Copyright
  • À propos de l’auteur
  • À propos du livre
  • Pour référencer cet eBook
  • Inhaltsverzeichnis
  • Zur Einführung
  • Ausgangslage
  • Forschungseinbindung
  • Kontext und Kodex
  • Zeitzeuge
  • Der Inhalt: Autoren, Texte, Kontexte
  • Gregor I. und die Magna Moralia
  • Morali: Auftraggeber und Übersetzer
  • Niccolò Acciaiuoli und Zanobi Da Strada
  • Giovanni Da San Miniato
  • Giovanni Dominici
  • Paideia, Polis und Patristik
  • Exkurs: Ambrogio Traversari
  • Der Kodex: Kopist, Besitzer, Leser
  • Datierung & Schreiber
  • Entstehungskontext & Leserschaft
  • Die Medici-Frage: Eine Hypothese
  • Zwischenstand
  • Zierde
  • Sammlungen
  • Die Grafen von Watzdorf und von Brühl
  • Bibliothek(en)
  • Sichtungen
  • Gegenwärtige Projekte
  • Zeuge: Die Form von Mscr.Dresd.Ob.5
  • Kodikologie
  • Genereller Zustand
  • Einband
  • Lagen
  • Foliierung
  • Buchschmuck
  • Rubrizierung
  • Schriftraum
  • Paläographie
  • Zeuge: Die Sprache von Mscr.Dresd.Ob.5
  • Linguistische Analyse
  • Graphetik und Graphematik
  • Morphophonologie
  • Übergang vom Duecento zum Trecento
  • Florentinisch des Trecento
  • Übergang vom Trecento zum Quattrocento
  • Zusammenfassung und sprachhistorische Einordnung
  • Historischer Rahmen
  • Zur Stellung des Volgare zwischen 1350 und 1460
  • Sprachstand der Texte in Mscr.Dresd.Ob.5
  • Die Morali in der Übersetzung von Zanobi Da Strada
  • Die Morali in der Übersetzung von Giovanni Da San Miniato
  • Briefe und Predigt von Giovanni Dominici
  • Zur Edition
  • Editionsprofil
  • Editionskriterien
  • Beibehalten und nicht markiert oder vermerkt
  • Verändert, aber nicht vermerkt
  • Im Text eingefügt/verändert und vermerkt
  • Im Fußnotenapparat vermerkt
  • Zusammenfassung
  • Resümee
  • Ausblick
  • Schlussgedanken
  • Diese Studie enthält zusätzliche Informationen als Anhang. Sie können hier heruntergeladen werdenhttps://www.peterlang.com/app/uploads/2024/07/Studienedition__A.-Kaiser__Zeitzeuge-als-Zierde.pdf
  • Anhang A.  Linguistische Analyse: Graph- und Grapheminventar
  • Anhang B.  Werkverzeichnis
  • Anhang C.  Abbildungsverzeichnis
  • 8  Bibliografie

1 Zur Einführung

1.1 Ausgangslage

Im Spätsommer 1958 hatte Paul Oskar Kristeller die Gelegenheit, mehrere Länder Osteuropas und deren Bibliotheken auf Renaissancehandschriften hin zu erforschen, mit dem Ziel „to add some material from those libraries to my summary list [Iter Italicum, siehe RN xi, 47] of uncatalogued Renaissance manuscripts in Italian and other libraries, which I hope to begin publishing in 1960.“1 Keine konkreten Angaben werden in diesem seinem Artikel von 1959 zu der damaligen Sächsischen Landesbibliothek Dresden (heutige SLUB) gemacht, obwohl man einen Besuch dort nicht ausschließen kann. Zwar erscheint sie nicht in der Liste der von Kristeller tatsächlich aufgesuchten Institutionen Ostdeutschlands, dennoch wird Dresden erwähnt: im Zusammenhang mit Berlin, Dessau und Magdeburg und deren „heavy losses“, die die dortigen Bibliotheken im Zuge des 2. Weltkriegs erlitten, und mit dem Lichtblick, dass „some of their manuscripts have recently been returned from Russia.“2 Der in der vorliegenden Arbeit analysierte Kodex Mscr.Dresd.Ob.53 (kurz: Ob.5) wird, da er bereits katalogisiert war, von ihm an jener Stelle nicht genannt; zwanzig Jahre später, im Jahr 1978, findet er in seinem Iter Italicum Erwähnung.4

Es mag an der jahrzehntelangen Unzugänglichkeit der (damaligen) Sächsischen Landesbibliothek für Renaissanceforscher bzw. Romanisten aus nichtsozialistischen Ländern gelegen haben, dass die italienischsprachigen Handschriften, wie z.B. Ob.5 und ca. 280 weitere Codici Italici, vielfach nicht oder recht spät auf dem „Forschungsradar“ auftauchten und Eingang in Studien und Publikationen fanden.5

Mscr.Dresd.Ob.5, welches aus dem Jahr 1460 stammt, enthält ein volgarizzamento von Papst Gregors I. Moralia in Iob sowie vier Briefe und eine Predigt Giovanni Dominicis, einem florentinischen Renaissance-Geistlichen. Nach der ersten Sichtung dieses Kodex und vorbereitenden Nachforschungen dazu hatte es den Anschein, als sei Mscr.Dresd.Ob.5 eine dieser der Forschung bisher unbekannten Handschriften aus dem italienischsprachigen Korpus der SLUB Dresden. So sei zunächst die Morali-Ausgabe von Giuseppe Porta (2005) zu nennen, die das Dresdner Manuskript nicht erwähnt.6 Porta stützt sich in seiner Studie der Textzeugen der Morali auf den Benediktiner Georg Dufner.7 Dessen Monographie „Die Moralia Gregors des Grossen in ihren italienischen Volgarizzamenti“ (1958) war verständlicherweise von unschätzbarem Wert für die vorliegende Studie zu Ob.5. Viele von Dufner eröffnete Forschungsfragen wurden aufgegriffen und im Bezug zu unserem Kodex behandelt; die in dieser Arbeit getätigten Verweise auf ihn sind aus gutem Grund großzügig.8 Dufner hatte für seine Monographie – die im Jahr von Kristellers oben erwähnter Studienreise erschien – italienische Bibliotheken sowie alle ihm durch die Biblioteca Apostolica Vaticana zur Verfügung stehenden Handschriftenkataloge durchsucht und kam schlussendlich auf 38 Manuskripte mit demselben Text bzw. Textfragmenten wie Ob.5. Diese waren damals im Jahr 1958 und sind noch heute größtenteils in italienischen Institutionen beheimatet (mit der Ausnahme von drei Handschriften in Oxford und einer in Paris).9 Auf den Registern beider Bände (Dufner und Porta) beruht der Online-Eintrag im Dizionario degli volgarizzamenti (DiVo) von Giulio Vaccaro vom Jahr 2015, der Ob.5 ebenso nicht listet.10

Keiner der drei – weder Dufner, Porta noch Vaccaro – erwähnen Mscr.Dresd.Ob.5. Der Eindruck vom unbekannten Manuskript war daher schnell geboren bzw. schien bestätigt. Im Laufe der Recherchen zu diesem Dresdner Kodex jedoch musste dieser Eindruck revidiert werden. Auch wenn einschlägige Studien zu den Werken Gregors I. der Dresdner Handschrift nicht gewahr sind, wurde deutlich, dass der Kodex selbst einzelnen Forschern bekannt ist. Dies liegt jedoch weniger am Hiobkommentar Gregors, wie oben bereits erwähnt, als vielmehr an den Texten Giovanni Dominicis, die sich neben den Morali in Ob.5 befinden. Wie auf einem im Kodex angebrachten Benutzerzettel (fol. Ir) vermerkt, hatten seit dessen Anbringung im Jahr 1950 die Professoren Giovanni Pozzi (Fribourg/CH, 1967), Massimo Zaggia (Milano, 1996) und Fabio Forner (Milano, 2011) das Manuskript konsultiert.11 Pozzis Recherchen zu Ob.5 dürften in seine mit M. T. Casella verfasste Monographie „B. Giovanni Dominici OP: Lettere spirituali“ (1969) eingeflossen sein.12 Ein Jahr später publizierte Casella ihre Studien zu Dominicis Predigtverhalten.13 Ihr Forschungsinteresse galt auch der Predigt Dominicis in Ob.5. Im Vergleich zu anderen Zeugen des von ihr untersuchten Textes fand sie im Dresdner Kodex „il testo sicuramente superiore.“14 Ebenso beurteilt sie die Briefe Dominicis in Ob.5: für den Epistolario Dominicis seien Ob.5 als auch Ricc. 141415 „preziose“, umso mehr Ob.5, da einer von dessen vier Briefen keinen weiteren Textzeugen kennt und „per le altre [lettere] offre un testo superiore ad ogni altra testimonianza manoscritta.“16 Ebenso verweisen Nirit Ben-Aryeh Debby in ihrer Betrachtung von Bernardino da Siena und Dominici auf Mscr.Dresd.Ob.517 sowie Kathleen Arthur im Hinblick auf die Schreiberaktivitäten der Augustinernonne Maria d’Ormanno.18

Nach den ersten Studien und im Hinblick auf das noch nicht erschöpfte Forschungspotential bezüglich Ob.5 ist die feste Überzeugung gewachsen, dass uns mit Mscr.Dresd.Ob.5 ein Zeitzeuge erster Klasse vorliegt. Zeitzeuge nicht nur im Hinblick auf die historische Verflechtung von Mensch und Gedanke, Manuskript und Gesellschaft (Kapitel 2 und 3), sondern auch Zeitzeuge eines bestimmten historisch verortbaren Sprach- und Literatur(produktions)stands (Kapitel 4 und 5). Darüber hinaus wurde dieser Zeitzeuge zum Objekt der Zierde (und blieb nach wie vor Zeitzeuge), als er in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts seinen Weg ins Kurfürstentum Sachsen antrat und sich seitdem in Dresden befindet (Kapitel 3). Mit der vorliegenden Edition (als Beigabe) dieses Kodex schließt sich quasi der Kreis, der mit dem volgarizzare des Hiobkommentars Gregors I. ins Frühitalienische in den 1350ern seinen Anfang nahm. Damals sollte lateinunkundigen Lesern ein Text bereitgestellt werden, den sie ohne Übertragung nicht in der Lage gewesen wären zu lesen. Im Tre- und Quattrocento war es das Übertragen der Moralia in die toskanische Volkssprache. Circa 650 Jahre später ist es die editorische Übertragung, die Interessierten in Patristik, Frühitalienisch und Philologie eine Studienausgabe bereitstellt, welche ihnen zwar solide Italienischkenntnisse, jedoch nur bedingt philologisch/sprachwissenschaftliches Wissen abverlangt. Beide Übertragungen zielen auf ein Bereitstellen, ein Verfügbarmachen. Von jeher eine Hauptaufgabe von Philologie und Textedition.

Die Ausführungen über seinen Forschungsaufenthalt 1958 in der damaligen DDR schloss Kristeller mit der hoffnungsvoll anmutenden Feststellung: „Historical scholarship in East Germany is active in such fields as classical, patristic, and Byzantine studies, and in early printing, and it is to be hoped that this may be at least of indirect benefit to Renaissance studies.“19

Der Hoffnung Kristellers, dass von historischen Studien in Ostdeutschland die Renaissanceforschung als solche profitieren kann, soll auch mit dieser vorliegenden Arbeit Rechnung getragen werden. Auch wenn die Erwähnung von Ob.5 nicht im absoluten Sinne als ein Aufspüren verstanden werden kann, so trägt doch die Erforschung dieser Handschrift deutlichen Premierencharakter. Keine wissenschaftliche Arbeit hat sich unseres Wissens nach bisher mit diesem Kodex auseinandergesetzt. Im Zuge des DFG-Projekt Erschließung und Digitalisierung von Handschriften in italienischer Sprache der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden20 (seit 2015) wurde Mscr.Dresd.Ob.5 zwar von Dr. Burkhard Krieger vom Handschriftenzentrum der Universitätsbibliothek Leipzig eingehend anhand der Normen der Handschriftenkatalogisierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersucht und beschrieben, jedoch beschränkte sich diese Studie auf die kodikologischen und paläographischen Aspekte des Kodex unter Einbeziehung der daraus resultierenden Provenienz.21 Eine inhaltliche bzw. kulturell-/kontextorientierte Beschreibung sowie eine sprachliche Analyse von Ob.5 blieb nach wie vor aus. Diese Lücke möchte die vorliegende Arbeit beginnen zu schließen. Es kann nur ein Beginn sein, da ein Großteil der Zeit und Energie dieser Studie in die Bereitstellung der Edition floß. Texttranskription und -polierung von ca. 570 Seiten (288 Blatt) sowie ein grober, in Teilen sporadischer Vergleich mit der Morali-Edition von Porta (2005) verstehen sich bereits als Hauptbeitrag im Rahmen dieses Forschungsprojekts. Dieser Beitrag wurde um die kodikologisch-paläographische Beschreibung des Kodex, basierend auf Krieger, sowie die historisch-literarische Kontextualisierung und partielle linguistische Analyse der vorliegenden Texte ergänzt, um ein rundes Bild dieses aussagekräftigen Manuskripts zu präsentieren.22 Ein rundes Bild. Jedoch kein vollständiges. Es war das Bestreben, alle wichtigen Facetten dieses Kodex anzusprechen und zu beleuchten. Ausgeleuchtet wurden sie nicht.

Die dieser Arbeit beigegebene Edition von Mscr.Dresd.Ob.5 versteht sich als Studienausgabe. Sie erhebt einen höheren wissenschaftlichen Anspruch als eine reine Leseausgabe, ist jedoch keine textkritische Edition. Textkritische Studien besonders zu den in Ob.5 befindlichen Auszügen aus der Morali Gregors I. im volgare werden mit dieser Arbeit nicht vorgelegt. Generell steht eine Textkritik mit ausführlicher Variantenübersicht der großen Morali-Tradition (d.h. Da Strada/Da San Miniato-volgarizzamento)23 noch aus. Bei insgesamt 38 weiteren erhaltenen Manuskripten, die allesamt Fragmente des gleichen Texts enthalten (Morali nach Da Strada/Da San Miniato) und von denen sich 28 textlich teilweise mit Ob.5 decken, bedarf es gesonderter Aufmerksamkeit, die bei der vorliegenden Arbeit bereits dem Umfang von Ob.5 und dessen ersten premierenartigen Studien galt.

Die dieser Arbeit zugrundeliegenden Recherchen wurden mit engem Blick zum Manuskript und den durch dieses aufgeworfenen primären Fragen durchgeführt. Aufgrund der vielfältigen Tangenten, die sich bei einem Werk dieser Herkunft, Art und Qualität, dieses Umfangs und Inhalts natürlicherweise auftun, wurde versucht, beschreibend und leicht narrativ die wichtigsten Ergebnisse zu präsentieren und auch das Potential für weiterführende Studien dezidiert zu benennen.

1.2 Forschungseinbindung

Die vorliegende Studie versteht sich als Beitrag zu der seit 1994 von Maria Lieber an der TU Dresden vorangetriebenen Italophonieforschung. Eng verknüpft mit Liebers Tätigkeit begann 2015 das DFG-Projekt Erschließung und Digitalisierung von Handschriften in italienischer Sprache der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden24, welches sich seit Januar 2019 in der zweiten Bewilligungsphase befindet und bis 2021 veranschlagt ist. Im Zuge dessen werden die thematisch sehr heterogenen italienischsprachigen Handschriften der SLUB gesichtet, digitalisiert und beschrieben.25 Dies dient sowohl der Konservierung als auch der Zugänglichmachung derselben und legt den Grundstein für sofortige als auch spätere Studien in den italienischen Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften, für Studien zur Italianità in Dresden, Sachsen und Deutschland, für mögliche weiterführende Studien in den die Manuskripte betreffenden Fachbereichen bzw. für editorische Anpassungen von Ausgaben, deren Textzeugenkorpus durch die in der SLUB befindlichen Handschriften erweitert wurde.26 Dieses multidimensionale und -institutionelle Projekt bringt drei Partner und ihre jeweiligen Präsentationsplattformen zusammen: die SLUB (Digitalisierung; Digitale Sammlungen der SLUB), das Institut für Romanistik der TU Dresden (wissenschaftlich kompetente Beschreibung der Hss.; Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten) sowie das Handschriftenzentrum der Universitätsbibliothek Leipzig (Beschreibung der mittelalterl. Hss. aus dem Korpus; Datenbank Manuscripta Mediaevalia). Die vorliegende Beschreibung von Mscr.Dresd.Ob.5 sieht sich als Teil eben dieser mehrjährigen Unternehmung der Handschriftenerschließung.

Im Rahmen des eben beschriebenen DFG-Projekts wurde von und in der SLUB vom 7. bis 9. November 2018 die internationale Tagung Die italienischsprachigen Handschriften der SLUB Dresden – neue Perspektiven der Forschung ausgerichtet. Diese erstmalige Konferenz speziell zu den italienischsprachigen Handschriften der SLUB bot einen sehr guten Einblick in die weit gefächerten Genres, Themen, Epochen, Kontexte und Provenienzen des italienischsprachigen Korpus der Handschriftensammlung der SLUB und bot Überblick und Würdigung des bereits Erreichten sowie kollegialen Austausch über vergangene und zukünftige Themen und Projekte. Bei dieser wurde von mir am 8. November auch Mscr.Dresd.Ob.5 in einem Vortrag vorgestellt (Patristische Theologie im sprachlichen Kleid der Renaissance – Betrachtung einer italienischen Übersetzung der „Moralia“ Gregors d. Gr. in Mscr.Dresd.Ob.5). Der knapp zwei Jahre danach erschienene Tagungsband enthält eine Vielzahl der gehaltenen Referate und bildet neben den bisher unter M. Liebers Leitung geschriebenen Abschlussarbeiten zu den italienischsprachigen Handschriften einen wertvollen weiterführenden Beitrag zu eben dieser Sammlung im ehemaligen Elbflorenz, zur Italianistik und anderen Disziplinen darüber hinaus.27 Zur Veranschaulichung der Forschungsmöglichkeiten seien an dieser Stelle einige Beiträge dieser Tagung vorgestellt, die sich a) der italienischen Präsenz in Dresden und dem Kulturtransfer zwischen italienischen Städten/Höfen und dem Dresdner Hof widmeten und b) die sich dezidiert mit bestimmten Handschriften befassten.

Anna-Katharina Plein und Markus Schürer beleuchteten die Geschichte der italienischsprachigen Handschriften der SLUB.28

Die Studie von Maria Lieber und Christoph Mayer widmete sich einigen grundlegenden Fragen rund um Motivationen und Implikationen des Sammelns von italienischen Handschriften an frühneuzeitlichen Höfen, speziell dem Dresdner Hof. Gerade für den Themenkomplex der Italianità in Dresden und Sachsen sind solche aus dem italienischsprachigen Handschriftenkorpus der SLUB entstandene Studien von fundamentaler und gleichzeitig weiterführender Bedeutung, da sie nicht beim Textzeugen, dessen Sprache und Besitzer stehenbleiben, sondern umfangreicheren Fragestellungen kultureller, politisch-sozialer Art nachgehen und damit interdisziplinären Charakter aufweisen.29

Mit konkreten Handschriften befasste sich beispielsweise Fabio Forner, der sein Augenmerk auf die SLUB-Manuskripte richtete, in denen uns Werke Petrarcas überliefert wurden und die Zeichen eines „culto di Petrarca in Germania e in Sassonia […] anche nellʼOttocento“ sind.30

Ähnlich verhält es sich mit Handschriften, die Dantes Divina Commedia enthalten. Eef Overgaauw stellte zehn solcher Handschriften vor, die sich derzeit in Berlin als auch der SLUB in Dresden befinden.31

Eine historisch-linguistische Studie im Kontext der Dresdner Italianità präsentierte Serenella Baggio mit ihrer Studie u.a. des „gioiello della Biblioteca Universitaria di Dresda“, dem Mscr.Dresd.J448 mit den Regolette et precetti della grammatica volgare von 1579 aus der Feder von Sigismund Kohlreuter.32 Damit verknüpft forschte sie u.a. zu Modellen des Italienischen, die zu pädagogischen Zwecken adoptiert bzw. adaptiert wurden, z.B. anlässlich des Italienisch-Lernens von Kurfürst Christian I. (1560–1591).

Eine weitere Einzelstudie trug Michele Coscia bei, der sich mit dem dritten Teil von Mscr.Dresd.Ob.6 befasste: der Leggenda di santʼAntonio abate. Anhand von linguistischen und kodikologischen Studien derselben ging er der Frage nach, inwiefern dieser Text dem Predigen im volgare unterstützend diente.33

Diese relativ kleine Auswahl zeigt einige vielfältige Forschungsthemen, die die italienischsprachigen Handschriften der SLUB Dresden bereits ermöglichten und lässt erkennen, dass es sich bei diesem Korpus in der Tat um ein „grande tesoro“ handelt, wie Forner ihn in seiner Artikelwidmung an die Bibliothekare der SLUB nannte.34

1.3 Kontext und Kodex

Wie aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich, ist die vorliegende Arbeit in zwei Hauptteile geteilt: Kapitel 2 und 3 befassen sich mit dem Inhalt von Mscr.Dresd.Ob.5 und dessen historischem Kontext. Kapitel 4 bis 6 beschreiben den Kodex und dessen Edition. Der Fokus dieser Studie lag auf dem Werdegang, dem Leben von Ob.5, welches – bei den historischen Ursprüngen beginnend – beschrieben wurde. Da die früheste Geschichte von Ob.5 mit der Abfassung von Gregors Moralia im späten 6. Jahrhundert anfing, liegt da auch der Beginn von Kapitel 2.

In diesem 2. Kapitel werden die Texte von Ob.5, die Übersetzer35 der Moralia ins volgare behandelt, der historische Kontext, in welchem sich mehrere Protagonisten von Ob.5 zu Beginn des Quattrocento in Florenz trafen. Der Entstehung des Kodex als solchem wird anhand der Bestimmung des Kopisten, möglicher Auftraggeber als auch der Leserschaft nachgegangen – abgeschlossen von einer Betrachtung der restlichen italienischen Jahre dieser Handschrift. In Zeitzeuge wird daher der größte Zeitraum abgedeckt: von der Abfassung der Moralia bis zum Jahr 1719, dem spätesten im Manuskript angegebenen Datum, welches mit einem Besitzeintrag verknüpft ist.

Das 3. Kapitel schließt sich der Historienbeschreibung an und setzt in eben diesem Jahr 1719 ein. Es beleuchtet den möglichen Weg, den Mscr.Dresd.Ob.5 von Italien zum Besitz von Christian Heinrich Graf von Watzdorf zurücklegte, um von dort in die Brühlsche Bibliothek und mit dieser in die Vorgängerinstitution der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) überzugehen. Gegenwärtige und gleichzeitig zukunftsorientierte Projekte, die sich der Erschließung des italienischsprachigen Handschriftenbestands der SLUB widmen, runden das 3. Kapitel (Zierde) ab.

Im 4. und 5 Kapitel (Zeuge: Die Form bzw. Sprache von Mscr.Dresd.Ob.5) wird dann der Kodex selbst beschrieben. Von der Ausgangslage über die Kodikologie, Paläographie bis hin zu einer ersten linguistischen Analyse und sprachhistorischen Einordnung wird ein holistisches und letztlich interdisziplinäres Bild von Ob.5 angestrebt, welches die facettenreiche historische Darstellung von Ob.5 und seinen Texten in den ersten beiden Kapiteln nunmehr bezüglich des materiellen Daseins von Ob.5 vervollständigen soll.

Das 6. Kapitel (Zur Edition) befasst sich mit der Edition von Ob.5. Eine Profilbeschreibung sowie die Editionskriterien sollen transparent machen, wie bei der Editionsentwicklung vorgegangen wurde. Schlussendlich ist es die Aufgabe der Zusammenfassung (Kapitel 7), einen abschließenden Blick auf das in dieser Arbeit Erreichte als auch das noch Ausstehende zu werfen.

Details

Seiten
242
Erscheinungsjahr
2024
ISBN (PDF)
9783631895931
ISBN (ePUB)
9783631895948
ISBN (Hardcover)
9783631895924
DOI
10.3726/b20521
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Juli)
Schlagworte
Manuskriptforschung Kulturelle Einbettung Studienedition Romanistik Frühitalienisc Linguistische Analyse Provenienzforschung Semi-diplomatische Transkript volgarizzamento Florentinisch Papst Gregor I. Gregor der Große Giovanni Dominici Renaissance Florenz Italienische Renaissance Florentinische Renaissance
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024., 242 S., 4 farb. Abb., 26 s/w Abb., 5 Tab.
Produktsicherheit
Peter Lang Group AG

Biographische Angaben

Angelika Kaiser (Autor:in)

Angelika Kaiser studierte Romanistik (Italienische Sprachwissenschaft) an der Technischen Universität Dresden. Sie ist Lehrbeauftragte für Philologie und Linguistik an der Andrews University in Berrien Springs, Michigan (USA).

Zurück

Titel: Zeitzeuge als Zierde. Das bewegte Leben von Kodex Mscr. Dresd. Ob. 5