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Erzielung freiberuflicher Einkünfte im Zeitalter der Digitalisierung

Eine steuersystematische Untersuchung sich wandelnder Tätigkeiten und Monetarisierungswege am Beispiel unterrichtender Tätigkeiten

von Christian Mirbach (Autor:in)
©2023 Dissertation 304 Seiten

Zusammenfassung

Mit jeder Veränderung eines Tätigkeitsfeldes gehen auch neue Abgrenzungsprobleme zwischen § 15 und § 18 EStG einher. Insofern bedarf es einer regelmäßigen kritischen Würdigung und gegebenenfalls Anpassung der in Rechtsprechung und Fachschrifttum entwickelten Abgrenzungsgrundsätze, damit gewandelte Freiberuflertätigkeiten nicht lediglich aufgrund der Anlegung von für traditionelle Tätigkeitsbilder entwickelten Kriterien in die Gewerblichkeit verfallen. Die vorliegende Untersuchung widmet sich dieser Aufgabe mit Blick auf den Wandel der Art und Weise der Ausübung freiberuflicher Tätigkeiten sowie der damit verbundenen Neuartigkeit der Einnahmeerzielung in digitalen Sphären am Beispiel unterrichtender Tätigkeiten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einführung und Grundlegung: Die freien Berufe und der duale Untersuchungsgegenstand
  • A. Einführung
  • I. Einordnung und Anlass der Untersuchung
  • II. Digitalisierung des Freiberuflers am Beispiel unterrichtender Tätigkeiten
  • 1. Der Wandel des Freiberuflers
  • 2. Ansichten aus Rechtsprechung und Literatur
  • 3. Das Tatbestandsmerkmal der freiberuflichen Unterrichtung im Leerlauf
  • 4. Ableitung des Untersuchungserfordernisses
  • 5. Rechtfertigung der Fokussierung auf unterrichtende Tätigkeiten
  • III. Digitale Monetarisierung freiberuflicher Tätigkeiten
  • 1. Neu- und Andersartigkeit der Einnahmeerzielung
  • 2. Ansichten in Rechtsprechung und Literatur
  • 3. Ableitung des Untersuchungserfordernisses
  • IV. Ziel und Gang der Untersuchung
  • B. Grundlegung: Freiberufliche Einkünfte im Ertragsteuerrecht
  • I. Historie und Rechtsentwicklung der freien Berufe
  • II. Dogmatik des Freiberuflers
  • III. Systematische Einordnung
  • IV. Besondere Voraussetzungen freiberuflicher Einkünfte
  • Erster Teil: Unterrichtende Tätigkeiten im Zeitalter der Digitalisierung
  • A. Einordnung und Status quo unterrichtender Tätigkeiten
  • I. Ertragsteuerliche Grundlagen
  • II. Grundtatsachen zur gegenwärtigen Realität des Lehrens und Lernens
  • 1. Von analoger Lehre zum E-Learning
  • 2. Facetten elektronischer Lehre
  • a) Videobasierte Lehre
  • b) Auditive Lehre
  • c) Textuelle Lehre
  • d) Softwarebasierte Lehre
  • 3. Vor- und Nachteile digitaler Lehre
  • B. Eigene Auslegung unterrichtender Tätigkeiten im Lichte der Digitalisierung
  • I. Nukleus der Untersuchung
  • II. Merkmalsorientierte Auslegung des ertragsteuerlichen Unterrichtsbegriffs
  • 1. Unbestimmtheit des Unterrichtsbegriffs
  • 2. Methodologische Einordnung des Unterrichtsbegriffs
  • 3. Spezifika zur Auslegung des Begriffs unterrichtender Tätigkeiten
  • a) Grammatikalische Auslegung
  • b) Steuersystematische Auslegung
  • c) Historische Auslegung
  • d) Teleologische Auslegung
  • e) Zwischenfazit und verfassungsmäßige Validierung
  • 4. Die einzelnen Merkmale unterrichtender Tätigkeiten
  • a) Vermittlung von Wissen, Kenntnissen etc.
  • aa) Provenienz und Status quo
  • bb) Vorliegender Rekurs auf den allgemeinen Sprachgebrauch
  • cc) Reichweite unterrichtender Tätigkeiten
  • dd) Voraussetzungen an die Vermittlung eines Unterrichtsinhalts
  • (1) Problemstellung
  • (2) Lehrbefähigung als Ausgangspunkt des Lehrens
  • (3) Lehrausrichtung als Kern der Tätigkeit
  • (4) Digitale Vermittelbarkeit eines Unterrichtsgegenstandes
  • (a) Problemstellung
  • (b) Vermittlung kognitiver Fähigkeiten
  • (c) Vermittlung physischer Fähigkeiten und Fertigkeiten
  • ee) Zusammenfassung
  • b) Organisierte und institutionalisierte Form
  • aa) Provenienz und Status quo
  • bb) Vorliegender Rekurs auf den allgemeinen Sprachgebrauch
  • cc) Mögliche Unerheblichkeit einer organisierten und institutionalisierten Form der Unterrichtung
  • (1) Problemstellung
  • (2) (Un-)Abdingbare definite Rahmenbedingungen der Unterrichtung
  • (3) Ausgrenzung beratender Tätigkeiten aus der Sphäre freiberuflicher Unterrichtung
  • dd) Zusammenfassung
  • c) Für die Lehrtätigkeit charakteristische persönliche Beziehung zwischen Lehrer und Schüler
  • aa) Provenienz und Status quo
  • bb) Entschlüsselung der Auffassungen im Fachschrifttum
  • cc) (Un-)Schädliche Eigenverantwortlichkeit des Unterrichteten
  • dd) Stempeltheoretische Deliberation des IV. Senats
  • ee) Eigenverantwortliche Unterrichtung via Lehrmedium
  • ee) Zusammenfassung
  • III. Resümee
  • 1. Fortentwicklung des Unterrichtsbegriffs
  • 2. Zusammenfassende Würdigung der Tätigkeitsvoraussetzungen
  • 3. Klarstellende Modifikation der Tätigkeitsmerkmale
  • 4. Typologische Rechtsanwendung
  • 5. Lehrfacettenspezifisches Ergebnis
  • a) Videobasierte Lehre
  • b) Auditive Lehre
  • c) Textuelle Lehre
  • d) Softwarebasierte Lehre
  • Zweiter Teil: Digitale Monetarisierung freiberuflicher Tätigkeiten
  • A. Nukleus und Gang der Untersuchung
  • B. Ertragsteuerliche Grundlagen der Behandlung von Vermögensmehrungen
  • I. Zurechnung und Zuordnung von (Betriebs-)Einnahmen
  • II. Umfang freiberuflicher Erwerbstätigkeiten
  • III. Abgrenzung mehrerer Erwerbstätigkeiten
  • 1. Tätigkeiten ohne Berührungspunkte
  • 2. Gemischte Tätigkeiten
  • a) Begriff
  • b) Grundsatz der Trennung
  • c) Indizien der (Un-)Trennbarkeit
  • d) Folgen der Trennbarkeit
  • aa) Separate Einkünftequalifikation
  • bb) Auflösung von Zurechnungskonkurrenzen
  • e) Behandlung einheitlicher Tätigkeiten
  • IV. Zusammenfassung
  • C. Das Beschreiten digitaler Verwertungspfade
  • I. Facettenübergreifende Grundüberlegungen
  • 1. Erhöhter Stellenwert technischer Ressourcen und Hilfsmittel
  • 2. Unbegrenzte Verwertbarkeit medialisierter Freiberuflertätigkeiten
  • II. Monetarisierung von Webseiten-Inhalten
  • III. Online-Verwertungsplattformen
  • IV. Freigebige Zuwendungen
  • V. Sponsoring, Marketing und Werbung
  • 1. Phänomen und ertragsteuerlicher Status quo
  • 2. Parallelität des Gemeinnützigkeitsrechts als Untersuchungsgrundlage
  • 3. Websponsoring
  • 4. Überlassung von Rechten am Namen und Bild
  • 5. YouTube-Werbung
  • 6. Affiliate-Marketing
  • a) Beschreibung des Phänomens
  • b) Zivilrechtliche Einordnung
  • c) Ertragsteuerliche Würdigung
  • aa) Isolierte Tätigkeitsbetrachtung
  • bb) Aufeinandertreffen mit freiberuflicher Tätigkeit
  • cc) Trennbarkeit der Tätigkeiten
  • (1) Beurteilungsproblematik und Lösungsansatz
  • (2) Interne Organisation
  • (3) Wirtschaftliche Abhängigkeit
  • (4) Fehlende Einkünfteerzielungsabsicht
  • (5) Überlagernde Veranlassung
  • (6) Synergien
  • (7) Einstellbarkeit der Tätigkeiten
  • (8) Einheitlicher Erfolg
  • (9) Leistungsvereinigung
  • (10) Verkehrsanschauung
  • dd) Ergebnis
  • 7. Monetarisierung digitaler Werbeflächen
  • a) Beschreibung des Phänomens
  • b) Ertragsteuerliche Würdigung
  • aa) Isolierte Tätigkeitsbetrachtung
  • bb) Aufeinandertreffen mit freiberuflicher Tätigkeit
  • cc) Trennbarkeit der Tätigkeiten
  • 8. Influencer-Marketing
  • a) Beschreibung des Phänomens
  • b) Ertragsteuerliche Würdigung
  • aa) Isolierte Tätigkeitsbetrachtung
  • bb) Aufeinandertreffen mit freiberuflicher Tätigkeit
  • cc) Trennbarkeit der Tätigkeiten
  • 9. Verpachtung von Werberechten
  • a) Isolierte Tätigkeitsbetrachtung
  • b) Aufeinandertreffen mit freiberuflicher Tätigkeit
  • c) Trennbarkeit der Tätigkeiten
  • Schlussfolgerungen
  • Zusammenfassende Thesen
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang

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Abkürzungsverzeichnis

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

AStW

Aktuelles aus dem Steuer- und Wirtschaftsrecht

BIBB

Bundesinstitut für Berufsbildung

BMBF

Bundesministerium für Bildung und Forschung

BVDW

Bundesverband Digitale Wirtschaft e. V.

CR

Computer und Recht

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

INF

Die Information über Steuer und Wirtschaft

ITRB

IT-Rechtsberater

IWW

Institut für Wissen in der Wirtschaft

JA

Juristische Arbeitsblätter

jM

Juris – Die Monatszeitschrift

JZ

JuristenZeitung

ködsi

Kölner Steuerdialog

MBP

Mandat im Blickpunkt

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

MMR

Multimedia und Recht – Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung

npoR

Zeitschrift für das Recht der Non-Profit-Organisationen

PIStB

Praxis Internationale Steuerberatung

SPA

Schnellinformation für Personalmanagement und Arbeitsrecht

StB

Der Steuerberater

Stbg

Die Steuerberatung

StBp

Die steuerliche Betriebsprüfung

WRP

Wettbewerb in Recht und Praxis

ZD

Zeitschrift für Datenschutz

ZDRW

Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft

ZDRW

Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft

ZUM

Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht

Im Übrigen wird verwiesen auf Kircher, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 10. Auflage, Berlin, 2021.

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Einführung und Grundlegung: Die freien Berufe und der duale Untersuchungsgegenstand

A. Einführung

I. Einordnung und Anlass der Untersuchung

Wie das Steuerrecht unterliegt auch die Lebenswirklichkeit einem steten Wandel. Namentlich durch die Digitalisierung, wenngleich sich diese in Deutschland bisweilen behäbig vollzieht, haben sich umfassende Metamorphosen ehedem klassischer Berufsbilder respektive der Ausübung und Einnahmeerzielung jener Berufe vollzogen. Dieser Tendenz hat zuletzt ausgerechnet die Corona-Pandemie nochmals einen deutlichen Schub verliehen, indem sie zu der Notwendigkeit geführt hat, Präsenztermine etwa durch Web-Meetings und Online-Unterricht zu substituieren. Sie war insofern für viele Unternehmen und Selbständige erhellend, als sie zu der Erkenntnis geführt hat, dass sich viele Tätigkeiten auch ohne die Inkaufnahme langer Reisezeiten bequem aus dem Homeoffice durchführen lassen. Durch die gleichsam oktroyierte Schaffung und das nunmehrige Vorhandensein der notwendigen technischen Voraussetzungen und der Akzeptanz dieser Kommunikationswege sowie der erheblichen darin erkannten Kosten- und Effizienzvorteile wird sich das Wirtschaftsleben wohl auch nach Überwindung der Pandemie erheblich digitaler gestalten als zuvor.

Die vorliegende Arbeit wird in diesem Kontext am Beispiel unterrichtender Tätigkeiten aufzeigen, welche Konsequenzen sich durch die Digitalisierung bei der steuerlichen Einordnung von klassischerweise als nach Maßgabe des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG freiberuflich einzustufenden Tätigkeiten ergeben (können). Denn auch insoweit zeigen sich gravierende Änderungen sowohl in der Ausübung der jeweiligen Tätigkeiten einerseits sowie der Monetarisierung der erbrachten Leistungen andererseits (dazu ausführlich unten II. und III.). Die im Zuge dessen derivierten Ergebnisse werden sodann im Lichte steuersystematischer Erwägungen evaluiert sowie unter Hinzuziehung verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte kritisch gewürdigt. Hierbei wird die vorgelegte Arbeit auch die Frage beantworten, ob eine trennscharfe und systemtragende Abgrenzung der freiberuflichen Tätigkeiten überhaupt noch möglich ist.

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Die Unterscheidung zwischen gewerblichen Einkünften und solchen aus selbständiger Arbeit ist auf das preußische EStG von 18911 zurückzuführen und war somit bereits Bestandteil der ursprünglichen Fassung des Einkommensteuergesetzes von 19342. Die Abgrenzungsproblematik zwischen gewerblichen und freiberuflichen Einkünften weist damit eine weitreichende Historie auf und ist bis heute von erheblicher theoretischer und praktischer Relevanz. Der wohl gewichtigste Grund für die Erforderlichkeit dieser Abgrenzung ist die auf das Reichsgewerbesteuergesetz vom 1.12.19363 zurückzuführende und bis heute vorliegende Inkongruenz hinsichtlich der gem. § 2 Abs. 1 GewStG nur bei Gewerbetreibenden eintretenden Gewerbesteuerpflicht,4 zumal diese trotz Anrechnung auf die Einkommensteuer nach § 35 EStG regelmäßig eine wirtschaftliche Mehrbelastung für den gewerblich tätigen Steuerpflichtigen zur Folge hat5. Dagegen kommt es nicht zu einer Gewerbesteuerpflicht der erzielten Einkünfte, wenn diese aus selbständiger Arbeit resultieren, wobei die freien Berufe seit jeher den relevantesten Anwendungsfall bilden6.7

Durch die Gewerbesteuerpflicht nur für Gewerbetreibende kommt es zu einer ungleichen Besteuerung von Unternehmenserträgen. Dies ist insbesondere ←16 | 17→deshalb kritisch zu sehen, weil Gewerbeerträge keine größere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verkörpern als Erträge aus selbständiger Arbeit.8 Trotz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken9 an dieser Ungleichbehandlung hat das BVerfG die Vereinbarkeit der von § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG begründeten Gewerbesteuerpflicht nur für Gewerbebetriebe im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG mit dem Gleichheitssatz – wie zuvor im Jahre 197710 – zuletzt mit grundlegendem Beschluss vom 15.1.200811 erneut bestätigt. Seine Entscheidung hat das BVerfG insoweit vorwiegend auf das einst zur Rechtfertigung der Gewerbesteuer herangezogene12, hierfür jedoch „längst totgeglaubte“13 und in dem vorherigen Beschluss aus dem Jahre 197714 noch zur Rechtfertigung abgelehnte Äquivalenzprinzip gestützt15. Hiernach stelle die Gewerbesteuer weiterhin einen Ausgleich für die durch Betriebe der Industrie, des Handels und des Handwerks verursachten besonderen Lasten der Gemeinden dar16. Zwar hat sich der entscheidende Senat des BVerfG höchstselbst in seiner Argumentation der Tatsache bewusst ←17 | 18→erklärt, dass die „Konvergenz der Berufsbilder von freien Berufen und Gewerbetreibenden zur maßgeblichen Zeit des Veranlagungszeitraums 1988 in einzelnen Berufsfeldern ein bereits durchaus beachtliches Ausmaß erreicht haben und die Entwicklung seither noch weiter fortgeschritten sein mag“17.18 Gleichwohl sei diese Feststellung weder durch rechtstatsächliche Erkenntnisse gesichert, noch sei erkennbar, „dass der Typus des freien Berufs insgesamt [die] seine Struktur prägenden, ihn von den Gewerbetreibenden unterscheidenden Merkmale verloren hat“19. So würden sich die Freiberufler immer noch hinsichtlich Ausbildung, Stellung im Sozialgefüge, Einsatz von Arbeit und Kapital et cetera signifikant von Gewerbetreibenden unterscheiden.

Der Beschluss des I. Senats ist im Fachschrifttum20 auf erhebliche Kritik gestoßen. Diese fußt insbesondere darauf, dass das Äquivalenzprinzip im Bereich des Steuerrechts allenfalls zur allgemeinen Steuerrechtfertigung und grenzüberschreitenden Verteilung von Steuerhoheiten taugt, jedoch weder zur Rechtfertigung einzelner Steuerarten noch kosten- oder nutzentheoretisch zur Begründung der inkongruenten Steuerpflicht als Sonderbelastung nur für Gewerbetreibende tragfähig ist. Auch ist mehr als fraglich, ob die Unterschiede ←18 | 19→zwischen Freiberuflern und Gewerbetreibenden noch so weit reichen, dass sich eine Sonderbelastung der Gewerbetreibenden bzw. umgekehrt eine Herausnahme der freien Berufe aus der Gewerbesteuerpflicht sachlich rechtfertigen ließe. Jedenfalls sind der umfangreiche Abgrenzungskatalog der Finanzverwaltung21 sowie auch die Anzahl der mittlerweile zu der Abgrenzung der beiden Einkunftsarten ergangenen finanzgerichtlichen Urteile22 ein hinreichendes Indiz dafür, dass die steuerliche Grenze zwischen freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit nicht (mehr) trennscharf verläuft und das BVerfG insoweit „Unterschiede zwischen Gewerbetreibenden und Freiberufler für die Gesetzeslage an der Realität vorbei […] bemüht“23 hat.24

Bei aller Kritik an dem erneuten „verfassungsrechtlichen Segen“25 des BVerfG gebietet er letzten Endes doch die Einsicht, dass – jedenfalls in naher Zukunft – nicht damit zu rechnen ist, dass sich nochmals eine Finanzgerichtsbarkeit die große Mühe aufbürden wird, sich mit einem Vorlagebeschluss zur Verfassungswidrigkeit der Gewerbesteuer den vermehrt als „prozessuales Roulette“26 erscheinenden Zulässigkeitshürden des BVerfG in einer Weise zu stellen, wie es das FG Niedersachsen mit zwei gescheiterten Vorversuchen27 getan hat.28 Zudem tritt als erschwerende Hürde hinzu, dass sich die jüngste Entscheidung ←19 | 20→des BVerfG zwar auf das Streitjahr 1988 bezieht, der Senat in seiner Entscheidung allerdings gleichwohl Entwicklungen angesprochen hat, die erst nach dem Streitjahr erfolgt sind, um hierdurch wohl einer möglichen erneuten Vorlage aufgrund dieser Entwicklungen vorzugreifen bzw. diese als unzulässig verwerfen zu können.29 Für den infolgedessen zu erwartenden Fortbestand der Abgrenzungserforderlichkeit spricht überdies, dass auch der Gesetzgeber wohl weiterhin keinen Anlass dafür sehen wird, eine Beseitigung der gewerbesteuerlichen Zusatzbelastung zugunsten einer längst überfälligen Gewerbesteuerreform herbeizuführen.30

Dementsprechend überrascht es wenig, dass der Geschäftsverteilungsplan des BFH für das Jahr 2021 für Streitigkeiten betreffend die Abgrenzung zwischen Einkünften aus selbständiger Arbeit und Einkünften aus Gewerbebetrieb nach ←20 | 21→wie vor eine spezielle Zuständigkeit (des VIII. Senats) vorsieht.31 Denn trotz aller Zweifel und Kritik an dem Normengefüge ist – nolens volens – zu konzedieren, dass die Abgrenzungsfragen zwischen den §§ 15 und 18 EStG auf unbestimmte Zeit auch weiterhin Streitigkeiten zwischen Steuerpflichtigen und Finanzämtern evozieren sowie infolgedessen auch Quell zahlreicher Judikate bleiben werden.32

II. Digitalisierung des Freiberuflers am Beispiel unterrichtender Tätigkeiten

1. Der Wandel des Freiberuflers

Zu der ohnehin bereits seit jeher zweifel- und problembehafteten Abgrenzung zwischen Freiberuflern und Gewerbetreibenden und den damit einhergehenden ständigen Reibungspunkten zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem tritt nun die eingangs bereits skizzierte Evolution zahlreicher herkömmlicher Freiberufler-Tätigkeiten hinzu, wodurch die Abgrenzung zunehmend schwieriger und streitanfälliger geworden ist und weiter werden wird.33 Denn unweigerlich hat auch der freie Beruf mit der umfassenden Digitalisierung34 des Wirtschaftslebens mittlerweile einen erheblichen Wandel erfahren.35 Ursächlich sind einerseits die erheblichen Vorteile für den Freiberufler, andererseits jedoch vor allem die gewandelten Konsumgewohnheiten der Adressatenkreise sowie die ←21 | 22→unausgesetzt steigende Nachfrage nach digitalisierten Werken, die sich über den Computer oder das Smartphone jederzeit und überall abrufen lassen. Gemeint sind vorliegend mithin nicht etwa die „neuartigen“ Berufsbilder des EDV-Entwicklers oder des Diplominformatikers, mit denen sich der BFH36 namentlich bereits im Jahre 1985 hat befassen müssen.37 Vielmehr richtet die vorliegende Arbeit den Blick auf traditionelle Freiberuflertätigkeiten, die sich mit der Digitalisierung teilweise wesentlich verändert haben, wie etwa jene des selbständigen Dozenten oder Journalisten.

Eines tiefschürfenden Blickes auf die Norm des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG bedarf es bei diesen Tätigkeiten insofern, als deren Wandel zahlreiche Zweifelsfragen zutage fördern. Bei schlichter Anwendung der hergebrachten Abgrenzungsregeln steht zu erwarten, dass die steuerliche Beurteilung – wie so oft – regelmäßig zugunsten der Gewerblichkeit ausfallen wird.38 Denn entweder kann die gewandelte Tätigkeit dem tatbestandsmäßigen Sammelsurium des § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG nicht mehr ohne Weiteres zugeordnet werden oder sie vermag die von Rechtsprechung, Finanzverwaltung und Fachschrifttum aus den traditionellen Berufsbildern abgeleiteten Voraussetzungen nicht zu erfüllen.

2. Ansichten aus Rechtsprechung und Literatur

Die Diskrepanz zwischen neuartiger Tätigkeit und traditionellem Tätigkeitsmuster offenbart sich unter Ansehung der einschlägigen Ausführungen im Fachschrifttum. So soll etwa die ertragsteuerliche Einordnung einer Tätigkeit als freiberuflich-unterrichtend im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG entscheidend davon abhängen, ob die Tätigkeit im Rahmen einer traditionellen Präsenzveranstaltung oder in Form z. B. digitaler Fernlehre ausgeübt wird. Insofern sind etwa Brunckhorst/Sterzinger39 unter Bezugnahme auf die von der ständigen Rechtsprechung40 entwickelten Tätigkeitsmerkmale einer Unterrichtung der Auffassung, dass Nachhilfe per Online-Video nicht ←22 | 23→als unterrichtende Tätigkeit erachtet werden könne, weil es an der hierfür erforderlichen persönlichen Beziehung zwischen Lehrer und Schüler fehle. Auf dieser Linie liegt auch die von Köstler41 vertretene Gewerblichkeit eines Steuerpflichtigen, der Nachhilfe per Videos erteilt, in denen er nicht zu sehen, sondern nur zu hören ist. Darüber hinausgehend vertritt Homuth42 die Auffassung, dass unterrichtende Tätigkeiten im Social-Media43-Bereich aufgrund der geltenden „engen Maßstäbe“ per se nicht in Betracht kämen. Soweit ersichtlich soll die Annahme freiberuflichen Unterrichts nach Schäfer44 einzig bei einem Repetitorium über ein virtuelles Klassenzimmer möglich sein, während dies in den sozialen Medien – so z. B. in Gestalt von Online-Nachhilfe – ausgeschlossen sei.45 Aufgrund der im Schrifttum vorzufindenden Auffassungen liegt es nahe, dass auch die Finanzverwaltung und wohl ebenso die Rechtsprechung bei der Qualifizierung der Einkünfte aus dem facettenreichen Feld der Online-Lehre unter Anwendung der althergebrachten Grundsätze eine Tendenz zur Gewerblichkeit erkennen lassen werden.46

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3. Das Tatbestandsmerkmal der freiberuflichen Unterrichtung im Leerlauf

Für einen bislang ohne jeden Zweifel im Bereich des § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG zu verortenden konventionellen Lehrer würde die Verlagerung seiner Unterrichtung in den Bereich des E-Learnings47 damit zugleich eine Verlagerung seiner Einkünfte in den gewerblichen Bereich bedeuten.48 In die Gewerblichkeit würden damit allerdings mitnichten lediglich Schul- oder Nachhilfelehrer emigrieren, die ihrer Lehrtätigkeit nunmehr statt vor einer leibhaftig anwesenden Teilnehmerschaft z. B. vor einem digitalen Aufnahmegerät nachgehen. Vielmehr könnte jede unterrichtend tätige Person hiervon betroffen sein, zumal es nach der ständigen Rechtsprechung des BFH auf den Gegenstand des Unterrichts nicht ankommt.49 Zum Gewerbetreibenden würden daher beispielsweise auch Vortragende der Bundessteuerberaterkammer, die zum aktuellen Zeitpunkt Vorträge ohne Publikum aufzeichnet und anschließend online bereitstellt.50 Darüber hinaus würden neben Einzelsteuerpflichtigen auch originär freiberufliche Mitunternehmerschaften, wie etwa Steuerberatungs- oder Rechtsanwaltssozietäten, die ihre externen Fort- und Weiterbildungsangebote für Mandanten oder Berufskollegen per Webinar oder Videoaufzeichnung ausführen, nunmehr Gefahr laufen, aufgrund der Gewerblichkeit dieser digitalen Tätigkeit in die gewerbliche Infektion des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG zu ←24 | 25→geraten51.52

Quantitativ vermögen sich die Ausmaße des Vorgesagten insgesamt daran zu verdeutlichen, dass bereits im Jahre 2017 etwa die Hälfte aller Studierenden Lernmanagementsysteme und in diesem Zusammenhang insbesondere Videoangebote als Lehrmedium nutzte53 und bereits mehr als 170 000 Teilnehmer am Fernunterricht deutscher Fernlehrinstitute verzeichnet werden konnten54. Damit wurde bereits vor einigen Jahren mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes im Zusammenhang mit E-Learning durch die Erstellung digitaler Lehrinhalte erwirtschaftet55. Korrelierend hat damit auch die Anzahl der digital lehrenden Personen sowie die Bedeutung von virtuellen Klassenräumen, Webinaren und Erklärvideos in den letzten Jahren erheblich zugenommen, bis sie aufgrund der zum Zeitpunkt der Erstellung der vorliegenden Arbeit vorherrschenden Corona-Pandemie sowie den damit erforderlich gewordenen Maßnahmen der ←25 | 26→Bundesregierung56 jüngst ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat.57 Auch langfristig ist damit zu rechnen, dass internetbasierte Aus- und Fortbildungsangebote einen erheblichen Anteil für sich beanspruchen werden.58 Aufgrund der Vorteilhaftigkeit des digitalen Lehrens und Lernens und der Notwendigkeit, E-Learning einen dauerhaften und nachhaltigen Einzug in deutsche Schulen zu ermöglichen, hat auch der Bundestag erst kürzlich den Beschluss eines „Digitalpakt 2.0“ gefordert.59

Folgt man den vorstehend dargestellten, an die hergebrachte Rechtsprechung angelehnten Auffassungen im Fachschrifttum, so würden unzählige selbständige Lehrpersonen mit der (teilweise unumgänglichen) Migration ihrer Lehrtätigkeiten in digitale Sphären ihre Freiberuflerstellung verlieren. Selbst dann, wenn man die Unterrichtung über ein virtuelles Klassenzimmer noch im Bereich des Freiberuflichen verorten würde, folgte aus den vorgefundenen Rechtsauffassungen ein großflächiger Wegfall der Freiberuflichkeit selbständig unterrichtender Steuerpflichtiger. Mit einem weitergehenden Blick auf das nicht auszuschließende Szenario, in dem Lehre dereinst fast ausschließlich medial stattfindet, könnte der Tatbestand unterrichtender Tätigkeiten damit – zumindest in bestimmten Bereichen – längerfristig sogar sehr weitgehend leerlaufen.

4. Ableitung des Untersuchungserfordernisses

Mit Blick auf die vorherrschenden ertragsteuerlichen Beurteilungen neuartiger Unterrichtstätigkeiten, die eine sukzessive Verschiebung unterrichtender Tätigkeiten in die gewerbliche Sphäre zur Folge hätten, drängt sich unter verfassungsrechtlichen wie steuersystematischen Gesichtspunkten die Frage auf, mit welcher Rechtfertigung sich die Unterschiede zwischen konventioneller und digitaler Lehre bzw. das zur Ausübung der Tätigkeit verwendete Medium (z. B. Video oder virtuelles Klassenzimmer) derart signifikant auf die einkommensteuerliche Würdigung der Tätigkeit auswirken sollen, dass neuartige ←26 | 27→Lehrpfade in einer Gewerblichkeit münden, während (nur) traditionelle Lehrformen im Anwendungsbereich der freiberuflichen Unterrichtung verbleiben. Diese Ungleichbehandlung im Lichte des Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit60 würde damit in jedem Falle einer sachlichen Rechtfertigung bedürfen, damit sie nicht aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten abzulehnen wäre.61

Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den im Zuge der Digitalisierung hinzugetretenen Abgrenzungsfragen ist überdies deshalb unumgänglich, weil die Veränderungen und Verschiebungen der Berufsbilder bislang weder zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung beider Einkunftsarten im Hinblick auf die Gewerbesteuerpflicht noch zu einer anderweitigen Änderung dieses Normenregimes geführt haben und damit nach aktuellem Stand in absehbarer Zeit auch nicht gerechnet werden kann. Wenngleich der Abgrenzung zwischen Freiberufler und Gewerbetreibendem im Lichte der Gewerbesteuerpflicht erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken anlasten, so kann doch nur auf diesem Wege zumindest eine gleichheitskonforme und steuersystematisch valide Abgrenzung konventioneller und moderner Freiberuflertätigkeiten untereinander ermöglicht werden.

5. Rechtfertigung der Fokussierung auf unterrichtende Tätigkeiten

Mit der am Beispiel unterrichtender Tätigkeiten aufgezeigten Inkongruenz zwischen gewandelter Tätigkeit einerseits und tradierten Tätigkeitsvoraussetzungen andererseits liegt es nahe, dass sich neben unterrichtenden zugleich auch andere im Zuge der Digitalisierung gewandelte Freiberuflertätigkeiten aus dem Anwendungsbereich der freien Berufe zu absentieren drohen, wenn und weil sie in neuartigen Facetten auftreten und hierbei möglicherweise aus den althergebrachten Tätigkeitsmustern herausfallen.62

←27 | 28→

Nichtsdestotrotz ist an dieser Stelle zu vergegenwärtigen, dass die Ergründung dieser These in Anbetracht der heterogenen63 bzw. willkürlich64 anmutenden Zusammensetzung der freien Berufe erfordern würde, dass jede der fünf freiberuflichen berufsabhängigen Tätigkeiten und sämtliche der 24 Katalogberufe jeweils einer tiefgründigen Untersuchung im Hinblick auf etwaige gewandelte Facetten zu unterziehen wären, um sie dahingehend würdigen zu können, ob sich aufgrund der Digitalisierung möglicherweise Auswirkungen auf die Subsumtion unter § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ergeben. Da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit bei Weitem übersteigende Ausmaße annehmen würde, konzentriert sich die Untersuchung auf die eingehende Analyse einer konkreten und, wie dargetan, ertragsteuerlich erheblich problembehafteten Tätigkeit. Da diese jedoch zum Teil als pars pro toto betrachtet werden kann, erlaubt die Fokussierung gleichwohl die Ableitung von Erkenntnissen und Schlussfolgerungen, die auch für andere freie Berufe bzw. den Freiberufler generaliter Gültigkeit besitzen.

III. Digitale Monetarisierung freiberuflicher Tätigkeiten

1. Neu- und Andersartigkeit der Einnahmeerzielung

Zu den vorbezeichneten Ungewissheiten betreffend die ertragsteuerliche Würdigung digitalisierter Unterrichtstätigkeiten tritt eine weitere technologieinduzierte Veränderung hinzu, die einer tiefgreifenden Auseinandersetzung bedarf. Diese ist darin zu sehen, dass sich mit der Digitalisierung auch neu- und andersartige Wege zur Verwertung von bzw. Einnahmeerzielung aus Freiberuflertätigkeiten, insbesondere über das Internet, aufgetan haben. Während eine freiberufliche Tätigkeit vor Zeiten der Digitalisierung zumeist für bestimmte Auftraggeber erbracht und von diesen honoriert wurde, ist es dem Freiberufler aufgrund der fortgeschrittenen Digitalisierung und Technisierung nunmehr zunehmend möglich, die Erzielung von Einnahmen aus seiner Tätigkeit ←28 | 29→durch deren Verwertung über das Internet autonom selbst zu übernehmen. Die Facetten hierbei sind zahlreich: So kann der Freiberufler seine Werke beispielsweise über eine eigene Webseite kostenpflichtig zum Abruf bereitstellen oder zur Monetarisierung auf hierfür vorgesehene Online-Verwertungsplattformen zurückgreifen. Eine Erzielung von Vermögensmehrungen über das Internet ist zudem etwa per Bannerwerbung, Produktplatzierung, Sponsoring oder durch freigebige Zuwendungen möglich, wodurch klassische synallagmatische Leistungsentgelte eines Auftraggebers in zahlreichen Fällen entfallen.65

2. Ansichten in Rechtsprechung und Literatur

Im Fachschrifttum66 findet sich hinsichtlich der Erzielung von Einnahmen aus Werbeeinblendungen durch einen „Online-Freiberufler“ die einhellige Auffassung, dass diese stets zu gewerblichen Einkünften führten. Ebenso sind in der Rechtsprechung zahlreiche Fälle ersichtlich, in denen im Zusammenhang mit einer originär freiberuflichen Tätigkeit stehende weitergehende Verwertungstätigkeiten teilweise67 oder gar vollumfänglich68 zu einer Gewerblichkeit der erzielten Einkünfte geführt haben.

3. Ableitung des Untersuchungserfordernisses

Soweit ersichtlich, sollen Vermögensmehrungen aus dem Beschreiten neuartiger digitaler Verwertungskanäle mithin nach derzeitigem Stand in der gewerblichen ←29 | 30→Sphäre zu verorten sein. Dies könnte bedeuten, dass ein Steuerpflichtiger zwar möglicherweise im Ausgangspunkt den Tatbestand einer freiberuflichen, z. B. unterrichtenden, Tätigkeit verwirklicht, die von ihm schließlich erzielten Einkünfte aufgrund der zur Verwertung erforderlichen Handlungen jedoch der gewerblichen Sphäre zuzurechnen wären.

Dabei stellt sich insbesondere unter steuersystematischen Gesichtspunkten die Frage, ob den vorgefundenen Auffassungen gefolgt werden kann oder diese möglicherweise doch zu kurz greifen. Akzentuiert sei das Untersuchungsinteresse exemplarisch dadurch, dass dem Schrifttum69 zufolge Einnahmen aus digitalen Werbeanzeigen zu gewerblichen Einkünften führen sollen, während sich die Vermietung einer physischen Werbefläche etwa an einer Hauswand regelmäßig nicht als gewerbliche, sondern vermögensverwaltende Tätigkeit darstellt, die sich unterhalb der Schwelle zur Gewerblichkeit bewegt70. In Anbetracht dessen, dass unter steigender Tendenz allein im Jahr 2019 Umsätze in Höhe von rund 8,5 Mrd. €71 mit Online-Werbung erzielt wurden und sich damit entsprechend auch die Verdienstmöglichkeiten der sich für Werbezwecke anbietenden Personen immens erhöht haben, vermag sich die Tragweite des Vorgesagten zu versinnbildlichen.

Im Zeitalter der Digitalisierung stellt sich daher erneut und verstärkt die Frage, ob und in welcher Weise, in welchem Umfang und in welchen Grenzen ein Freiberufler eine autonome Verwertung seiner im Ausgangspunkt freiberuflichen Tätigkeit vornehmen kann, ohne dass seine Betriebseinnahmen nicht mehr der freiberuflichen Sphäre zugerechnet werden können. Die hierbei am Beispiel eines Unterrichtenden beleuchteten Facetten sind insbesondere die Monetarisierung von Webseiten-Inhalten, die Einnahmeerzielung mittels Online-Verwertungsplattformen, der Erhalt freigebiger Zuwendungen sowie die unterschiedlichsten Konstellationen im Rahmen der Erzielung von Einnahmen im Zusammenhang mit Sponsoring, Marketing und Werbung.72 Dort, wo sich ←30 | 31→sachliche Berührungspunkte zwischen neuartiger Einnahmeerzielung und dem Tätigwerden als sog. Influencer73, Blogger74 oder YouTuber75 ergeben, werden auch diese in die Untersuchung mit einbezogen, zumal die Besteuerung auch dieser neuartigen Tätigkeiten aufgrund der hohen Wachstumsraten sowie der hohen Erträge immer bedeutender wird76.

IV. Ziel und Gang der Untersuchung

Zusammengefasst liegt das duale Ziel der vorliegenden Arbeit darin, dem digitalisierten und hierdurch (i.) bei der Ausübung sowie (ii.) der Monetarisierung seiner Tätigkeit gewandelten Freiberufler am Beispiel unterrichtender Tätigkeiten einer tiefschürfenden und zeitgemäßen ertragsteuerlichen Betrachtung zu unterziehen.

Im ersten Teil steht dabei in concreto die Ergründung des ertragsteuerlichen Unterrichtsbegriffs zur steuersystematischen Einordnung der neuartigen Facetten der Unterrichtung im Mittelpunkt. Hierzu werden die unterrichtenden Tätigkeiten im Zeitalter der Digitalisierung näher beleuchtet und hinsichtlich ihrer steuerlichen Einordnung umfassend gewürdigt.

Daran anschließend widmet sich der zweite Teil der Untersuchung den neuartigen Wegen zur Erzielung von Einnahmen in digitalen Sphären ebenfalls am ←31 | 32→Beispiel unterrichtender Tätigkeiten. Hierbei handelt es sich unter steuersystematischer Betrachtung um einen zweiten Prüfungsschritt auf dem Weg zur Freiberuflichkeit, der sich an die (stets) in einem vorgelagerten Schritt vorzunehmende Prüfung, ob die ausgeübte Tätigkeit als solche im Kern freiberuflicher Natur ist, anschließt. Denn nur dann, wenn die Tätigkeit eines Steuerpflichtigen im Grundsatz als freiberuflich eingestuft werden kann, stellt sich überhaupt die (Anschluss-)Frage, ob bzw. in welchem Umfang und in welchen Grenzen der Rückgriff auf alternative Verwertungsmöglichkeiten durch den Freiberufler noch zur Begründung von Einkünften im Sinne des § 18 EStG führen kann.

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht insofern nicht die verfassungsrechtliche Würdigung der Sonderbehandlung der freien Berufe, sondern vielmehr die Würdigung ausgewählter und vorwiegend der Digitalisierung geschuldeter Abgrenzungsprobleme zwischen Freiberufler und Gewerbetreibendem am Beispiel unterrichtender Tätigkeiten, um einerseits einen Beitrag zur Überwindung der bereits vorliegenden Abgrenzungsprobleme zu leisten. Andererseits soll den pro futuro zu erwartenden Abgrenzungsschwierigkeiten betreffend sowohl unterrichtende Tätigkeiten in ihrem Kern als auch die veränderte Art und Weise der generellen Verwertung von freiberuflichen Tätigkeiten (etwa unter Erzielung von Einnahmen durch Online-Werbung) am Beispiel eines Unterrichtenden mit einer steuersystematisch fundierten Einordnung vorgegriffen werden.

Diese Würdigung vollzieht sich insbesondere im Hinblick darauf, dass der Fortbestand der Abgrenzung zwischen Freiberufler und Gewerbetreibendem zwar mit erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken behaftet ist,77 gleichwohl jedoch, solange der Gesetzgeber aller Widrigkeiten zum Trotz und abermals bestärkt durch das BVerfG78 weiterhin sakrosankt an der Differenzierung zwischen Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit festhält, diese zumindest in sich folgerichtig, insbesondere im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung der Abgrenzungsmerkmale, umgesetzt werden muss79.

Details

Seiten
304
Erscheinungsjahr
2023
ISBN (PDF)
9783631898734
ISBN (ePUB)
9783631898741
ISBN (Hardcover)
9783631895450
DOI
10.3726/b20654
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (April)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 304 S., 11 s/w Abb.

Biographische Angaben

Christian Mirbach (Autor:in)

Christian Mirbach ist Steuerberater und freiberuflicher Dozent im Rahmen der Vorbereitung auf das Steuerberaterexamen.

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Titel: Erzielung freiberuflicher Einkünfte im Zeitalter der Digitalisierung