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Der interessante Lebensbericht von Olaudah Equiano oder Gustavus Vassa, dem Afrikaner

Berichtet von ihm selbst

von Hans-Joachim Hahn (Autor:in)
©2024 Andere VIII, 274 Seiten

Zusammenfassung

«Übersetzung und Einleitung erschließen den außerordentlichen Lebensbericht Olaudah Equianos klar und einfühlsam; gerade durch die Positionierung in den religiösen und politischen Bewegungen des 18. Jahrhunderts wird die Relevanz für das 21. Jahrhundert sichtbar. Ein wichtiges Buch!»
(Professor Heinrike Lähnemann, Chair of Medieval German Literature and Linguistics, University of Oxford)
«In translating this work and prefacing it, Hans Hahn has made an important contribution to the German introspection about racism towards non-white people, which is indispensable to avoid what the Martinican poet Aime Cesaire described as the condemnation of Hitler not for ‚the crime against man‘, but only for ‚the crime against the white man‘.»
(Gilbert Achcar, Professor of Development Studies and International Relations at SOAS, University of London)
Diese Übersetzung folgt der zweiten Auflage von Olaudah Equianos Autobiographie von 1789. Equiano war einer der ersten Afrikaner, der selbst über sein Leben berichtet hat – dies sowohl als Versklavter wie später als ein freier Mann, der maßgeblich an der Bekämpfung des Sklavenhandels beteiligt war. Das Buch enthält eine ausführliche Einleitung, in der Informationen über die Versklavung und den Sklavenhandel vom 18. Jahrhundert bis heute diskutiert werden. Des Weiteren enthält sie Erläuterungen, die das Verständnis des Textes erleichtern, aber auch einen Einblick in die Literatur jener Zeit und die philosophische Diskussion zum Thema Versklavung und Rasse erlauben. Die deutsche Übersetzung versucht, dem Originalstil Equianos aus dem 18. Jahrhundert so genau wie möglich zu folgen. Dem Text selbst sind Anmerkungen hinzugefügt, die sowohl von Equiano als auch vom Übersetzer stammen und in denen weitere Stellen im Text kommentiert werden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Einführung
  • erster band
  • Kapitel 1 Kindheit und Leben in Benin, Afrika
  • Kapitel 2 Entführung, im Sklavenschiff nach Westindien
  • Kapitel 3 Kauf durch Kapitän Pascal und Reise nach England
  • Kapitel 4 Leben in England, Taufe, Erlebnisse auf einem Kriegsschiff
  • Kapitel 5 Gewaltsame Rückführung nach Westindien
  • Kapitel 6 Erlebnisse in Westindien, Handel mit allerlei Waren
  • zweiter band
  • Kapitel 7 Unmenschlichkeit in Westindien, der Autor kauft sich frei
  • Kapitel 8 Schiffbruch, Errettung aus höchster Not, Rechtlosigkeit
  • Kapitel 9 Rückkehr nach England, Schiffsreise nach Portugal und in die Türkei
  • Kapitel 10 Zweite Türkeireise, weitere Entführungen von Schwarzen Menschen
  • Kapitel 11 Gründung einer ‚menschlichen‘ Plantage auf den Moskitoinseln
  • Kapitel 12 Kampf für ein Ende der Sklaverei, Aufruf an die britische Regierung

Einführung

Vorbemerkung

Anlässe zu dieser Übersetzung kamen aus meinen Studien zu Christian Dietrich Grabbes Herzog Theodor von Gothland und einer längeren Arbeit über Herders und Kants Vernunftbegriff, in welcher wesentliche Aspekte über Rasse und die Wahrnehmung Afrikas dargestellt wurden.1 Von besonderer Bedeutung war für mich die Einsicht, wie Kants Definition von ‚Vernunft‘ einen gewissen Logozentrismus förderte, der in seiner Absolutheit keinen Raum ließ für sachgerechte empirische Untersuchungen, sondern zu doktrinären Werturteilen führte, denen jegliche Basis fehlte. Während meiner Studien stieß ich auf Achille Mbembes Kritik der schwarzen Vernunft, das meine eigenen Bedenken bestätigte und auf das am Ende dieser Einführung näher eingegangen wird.2 Ich bin mir im Klaren, dass man den Übergang von Kants Vernunftbegriff zum Rassismus und einer sich daraus ergebenden Versklavung willkürlich nennen kann, da Kant jedoch einen außerordentlichen Einfluss auf die deutschsprachige Gelehrtenrepublik hatte, so hat er mit seiner Kritik der reinen Vernunft zu dem entstehenden Rassismus in Deutschland beigetragen. Von besonderem Interesse ist für mich die gegenwärtige Diskussion über Versklavung, die in den deutschsprachigen Ländern etwas später eingesetzt hat und die auch heute erst allmählich von einer größeren Leserschaft wahrgenommen wird. In der Forschung hingegen gibt es schon seit einigen Jahren ein lebhaftes Interesse an den Themen ‚Versklavung‘, ‚Afrika‘ und ‚Rasse‘, und einige Verlage und Universitäten haben eigene Forschungsgruppen zu diesen Bereichen eingerichtet.3 Viele der neueren Arbeiten zu diesem Gebiet stellen interessante Verbindungen her zwischen Rassismus, soziopolitischen und kulturellen Themen, sowie dem Leben Schwarzer Menschen in der (europäischen) Diaspora. Derartige Themen haben auch mich in meinen kritischen Arbeiten zur deutschen Gesellschaft und Kultur beschäftigt, viele waren mir aus meinen Studien der ‚Empirischen Kulturwissenschaften‘ bereits bekannt. Dennoch betrete ich mit dieser Studie Neuland. Fragen, wie kulturelle, soziale und ‚Gender‘-geschlechtliche Themen von Menschen einer anderen ethnischen Gruppe aufgenommen und verstanden werden, spielen auch bei der Übertragung von Equianos Lebensgeschichte eine große Rolle insbesondere bei einer Rückschau ins 18. Jahrhundert, als im Rahmen der europaweiten Aufklärung auch Untersuchungen zur Entwicklung der Menschheit sehr populär waren.4

Ich habe mich als Literaturwissenschaftler an diese Arbeit begeben und eine gewisse Gradwanderung versucht: Als Germanist habe ich mich bemüht, Equianos Englisch in ein dem Original historisch entsprechendes Deutsch zu übertragen, habe es aber bisweilen für geboten gehalten, aus dem historischen Wortschatz herauszutreten, um der Intention des Autors in der heutigen Zeit gerecht zu werden. Hierbei handelt es sich meist um Wörter, die über die Jahrhunderte ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben und jetzt neu formuliert werden müssen, damit sie heutigem Denken gerecht werden können. Dies gilt zum Beispiel für das ‚N-Wort‘, das heute einen so pejorativen Wert hat, dass man es nicht einmal als Schimpfwort gebrauchen sollte. Als Humanwissenschaftler habe ich mich der seit Jahrhunderten gebräuchlichen Methode bedient, das ‚Eigene‘ mit dem ‚Anderen‘ zu vermitteln. Als Wissenschaftler muss man sich jedoch bewusst sein, dass eine solch hermeneutische Arbeitsweise Gefahren birgt, welche zu ‚falschen‘, meist subjektiv-lastigen Vergleichen führen kann, so etwa, wenn das ‚Eigene‘ auf Kosten des ‚Anderen‘ zu stark in den Vordergrund gerückt wird. Auch Equianos Autobiografie ist in dieser Beziehung lehrreich, da er sowohl in einer ihm ursprünglich fremden Sprache als auch in einer anderen Religion arbeitete und naturgemäß Vergleiche mit seinem Heimatland anstellte. Das Werk Equianos unterscheidet sich aber in mancher Hinsicht von vielen anderen Werken seiner Zeitgenossen, da sein Leben vielfach in anderen Bahnen verlief: Im Unterschied zur Mehrheit der Versklavten in der Karibik musste Equiano nicht auf irgendeiner Plantage mit Tausenden seiner Leidensgenossen schwerste Arbeit verrichten, sondern wurde von einem britischen Offizier gekauft, der ihn nach England brachte und ihn dort in den Kreis der englischen Bourgeoisie einführte, wo er auch Zugang zur anglikanischen Kirche hatte. Darüber hinaus hatte er als Seemann zahlreiche Gelegenheiten, andere Kulturen in verschiedenen Weltteilen kennenzulernen.

Einige Hinweise zum Thema ‚Versklavung‘ und zur kritischen Aufarbeitung des europäischen Sklavenhandels

Vorbemerkung

Es ließe sich leicht nachweisen, dass es seit der Entstehung der Menschheit schon immer Versklavte gab.5 In der Antike, in Ägypten, Griechenland und im Römischen Reich gehörten Versklavte und der Sklavenhandel zum täglichen Leben, viele Kriegsgefangene wurden versklavt, Zentren des antiken Sklavenhandels waren Delos und Ephesos. Allgemein herrschte eine wahrnehmbare Kluft zwischen Freien und Versklavten, wobei letztere als Ware gehandelt wurden. Selbst im Königreich Benin blühte im 17. Jahrhundert der Sklavenhandel und auch im christlichen Mittelalter wurde der Sklavenhandel praktiziert, Versklavte wurden bevorzugt aus noch ‚heidnischen‘ Gebieten herangezogen. An manchen Fürstenhäusern Deutschlands waren junge Schwarze Versklavte geradezu ein Statussymbol.6 Eine etwas freiere Definition des Begriffs ‚Versklavung‘ wird auch die Leibeigenen darunter subsumieren, die im Mittelalter und der Zeit des Absolutismus in rechtlicher und persönlicher Abhängigkeit als ‚Unfreie‘ von einem ‚Grundherrn‘ abhängig waren. Selbst heute gibt es noch Beispiele der Versklavung, was zwar juristisch eine Straftat darstellt, aber oft verschleiert wird. Zu Beginn der Neuzeit betätigten sich vor allem spanische und portugiesische, später auch britische Kaufleute an der Versklavung afrikanischer Bevölkerungsgruppen und deren Versand auf den amerikanischen Kontinent, sie wurden zur Zwangsarbeit auf Plantagen und in Bergwerken eingesetzt. Durch den Ausbau dieser Ökonomie, aber auch wegen seuchenartiger Erkrankung ortsansässig Versklavter wurde im 18. Jahrhundert der Sklavenhandel in Afrika ausgedehnt: Bei dem sogenannten Dreieckshandel tauschten europäische Sklavenhändler an der afrikanischen Westküste einfache Waren gegen Menschen um, die sie dann nach Amerika transportierten und dort verkauften.

Unter den europäischen Staaten waren vor allem die Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Portugal und Spanien am Sklavenhandel beteiligt, aber auch Deutsche beteiligten sich daran, segelten aber häufig unter dänischer Flagge. Durch den kommerziellen Anbau von Tabak, Zucker, Kakao und vor allem Baumwolle in der Karibik und den amerikanischen Südstaaten war der Bedarf an Arbeitskräften groß, die ihrerseits kommerziell als Ware gehandelt wurden. Den Transport von der Westküste Afrikas in die Karibik und nach Amerika überlebten nur die Gesündesten, etwa fünfzehn Prozent der Versklavten erlitten auf der Überfahrt den Tod. Als Sklavenschiffe wurden oft Briggs oder Schoner verwendet, meist ausgemusterte Handelsschiffe, in die ein Zwischendeck eingebaut wurde, so dass sie Hunderte von Versklavten ‚laden‘ konnten. Die Versklavten waren auf engen Massenpritschen angekettet und wurden die meiste Zeit unter Deck gehalten. Auch deutsche Staaten beteiligten sich am Sklavenhandel, das preußische Sklavenschiff Friedrich III. konnte bis zu 800 Versklavte aufnehmen, mehr als 30.000 Afrikaner wurden im 18. Jahrhundert von deutschen Schiffen nach Westindien und Amerika verfrachtet.7 Heinrich Heine hat in einem zynischen Gedicht die kapitalistische Komponente des Sklaventransports besungen:

Sechshundert Neger tauschte ich ein

Spottwohlfeil am Senegalflusse.

Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,

Wie Eisen vom besten Gusse.

Ich hab zum Tausche Branntewein,

Glasperlen und Stahlzeug gegeben;

Gewinne daran achthundert Prozent,

Bleibt mir die Hälfte am Leben.8

Die britische Regierung betonte das absolute Besitzrecht der weißen Herren über ihre Versklavten und verhinderte, dass Versklavte irgendeine Form der Bildung erhielten. Neben den Kaufleuten und Handelshäusern beteiligten sich auch die Kirchen am Gewinn aus diesem Handel. Innerhalb der katholischen Mächte war Portugal führend, und noch 2007 sprach Papst Franziskus seine Entschuldigung wegen kirchlicher Verfehlungen im Sklavenhandel aus. Auch die anglikanische Staatskirche Englands hat aus dem Sklavenhandel ihren Profit gezogen, obgleich William Wilberforce entscheidend am Verbot des Sklavenhandels mitwirkte. Der ehemalige Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, anerkannte 2006 die Mitschuld der Kirche an diesem Handel. Andererseits muss betont werden, dass sich die Quäker und Methodisten resolut gegen die Sklaverei aussprachen. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die Versklavung an Schwarzen Menschen eine Form der Unmenschlichkeit darstellt, die alle anderen Formen der Versklavung weit übertrifft und eng mit dem sich etablierenden Kapitalismus in der Frühzeit der Industrialisierung zusammenhängt, dass es aber gleichzeitig in der europäischen Aufklärung auch Stimmen gab, sowohl in der Literatur als auch in den nicht etablierten Kirchen, die dieses Unrecht kritisierten und zu seiner Abschaffung beitrugen.

Im 21. Jahrhundert erlebte die Kritik am Sklavenhandel eine neue Blüte. Die Studie von Abdul Mohamud und Robin Whitburn9 gibt eine detaillierte Übersicht über den Sklavenhandel im 18. Jahrhundert und schließt auch die Kritik an dieser kolossalen Unmenschlichkeit mit ein. Die Royal African Company (RAC) war über den Duke of York, den Bruder des Königs James II. gut ‚vernetzt‘ und konnte sich auf die Unterstützung der britischen Marine verlassen. Unter den prominenteren Kritikern des Sklavenhandels sei hier auf Thomas Browne (1605–1682) verwiesen, der sich vor allem gegen eine Verwendung der Hautfarbe bei rassistischen Klassifizierungen aussprach. In der französisch-karibischen Kolonie Saint Domnik gab es einen gewaltigen Aufstand gegen die Sklavenbesitzer, geleitet von dem dort gebürtigen Versklavten Toussaint Louverture (1743–1803), der sich anfangs auch gegen die maritimen Unterwerfungsversuche der europäischen Kolonialmächte durchsetzen konnte. Auch die in der Karibik geborenen afrikanischen Versklavten Phillis Wheatley (1753–1784) und Ignatius Sancho (1729–1780) müssen neben Equiano genannt werden, ihre schriftliche Kritik wird weiter unten noch genauer erwähnt.

Die amerikanische Bewegung Black Lives Matter fand in Großbritannien und Canada ein großes Echo, auch in Deutschland wurde die BLM-Bewegung nach 2020 zur Kenntnis genommen. Weitere Morde von Afroamerikanern durch die Polizei, so etwa die Tötung von George Floyd (2020) führte in zahlreichen Ländern zu Massendemonstrationen und einer Kritik am Rassismus in den USA, aber auch in weiten Teilen Europas. Die im Zusammenhang mit diesen Bewegungen entstandene Forschungsliteratur von Ryan Hanley, Catherine Hall und David Olusoga wird in der Auswahlbibliographie genannt, aber auch frühere Werke wie David Richardsons Studie zur Rolle Bristols wird dort aufgeführt. Populärere Beiträge, die auch in einigen Tageszeitungen erschienen, betonten den Umfang des Sklavenhandels und erwähnten die riesigen Summen, die 1833 den Plantagenbesitzern als Kompensation nach Aufhebung des Sklavenhandels ausgezahlt wurden. Unter den ‚Nutznießern‘ befanden sich frühere Premierminister und anderer Politiker, deren Vorfahren am Handel beteiligt waren und die jetzt diese Tatsache verharmlosen. Darüber hinaus zirkulieren Berichte, die darauf hinweisen, dass etwa in der Londoner Polizei (Metropolitan Police Force) rassistische Vorurteile auch heute noch vorherrschen; Skandale, die teilweise auch in der deutschen Presse gemeldet wurden.

In dieser Arbeit scheint es jedoch geboten, sich der deutschen Stellung zum Sklavenhandel zuzuwenden. In der deutschen Literatur gab es um 1800 ein vergleichsweise großes Echo auf den Sklavenhandel, schon Schubart drückt dem Versklavten sein Mitleid aus: „Tränen quollen mir über dein Schicksal, du armer, schwarzer Mann!“10 August von Kotzebues Theaterstück Die Negersklaven (1796) bringt ein „Gemählde von Scheusslichkeiten und Grausamkeiten auf die Bühne“,11 auch Grabbes Herzog Theodor von Gothland (1822) enthält einen ehemaligen afrikanischen Versklavten als Gegenspieler zu Herzog Theodor, ein Drama, das auch heute noch als grausam und unmenschlich betrachtet wird.12 Gellerts Fabeln und Erzählungen vermitteln ein eher sentimentales Bild, während Willebrands Geschichte eines Hottentotten, von ihm selbst erzählt (1773)13 stattdessen ein positives Bild des Weißen vermittelt und die Bewohner Südafrikas als Barbaren darstellt.

Wichtiger scheint mir ein kurzer Exkurs zur Haltung deutscher Philosophen um 1800 zum Thema Rasse und Sklavenhandel. Sowohl Kant als auch Hegel zeigen keinerlei Sympathie Schwarzen Menschen gegenüber, sie befürworten sogar den Sklavenhandel. Beide gehen vorwiegend von der Theorie aus, haften an abstrakten Begriffen und Ideen und behaupten, einzig von der Hautfarbe und im Sinne einer eurozentrischen Wahrnehmung ausgehend, dass die Menschen Afrikas der Vernunft unfähig seien. Ganz im Sinne ihrer spekulativen logozentrischen Philosophie, die andere Disziplinen kaum berücksichtigt, betonen beide den Gegensatz von Barbarei und Zivilisation und sehen die Entwicklung der Menschheit als ein Fortschreiten der Kultur.14 Hier kann man wohl an Herbert Marcuses Wort vom „affirmativen Charakter“ der Kultur denken, mit welchem dieser die „bürgerliche Epoche des Abendlandes“ anklagt, welche „die geistig-seelische Welt als ein selbständiges Wertreich von der Zivilisation ablösen und über sie zu erhöhen“ sucht.15 Hegel geht in seinem negativen Urteil über die Schwarzen Menschen noch weiter. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte betrachtet er völlig eurozentrisch „die Afrikaner als Menschen in einer Art Zwischenzustand“,16 sie seien „keiner Entwicklung und Bildung fähig“17 und es sei „nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden.“18 Sie lebten „jenseits des Tages der selbstbewußten Geschichte in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt.“ Hegel hält zwar die Sklaverei „an und für sich [für] Unrecht, denn das Wesen des Menschen sei die Freiheit“, da der Afrikaner zu dieser aber „erst reif werden“ müsse, befürwortet er es, dass „die Neger von den Europäern in die Sklaverei geführt und nach Amerika hin verkauft“ werden, da bei ihnen zuhause ohnehin der Sklavenhandel ebenso wie der Kannibalismus an der Tagesordnung seien. – Solche Verlautbarungen weisen zwar auf die Anfänge des Rassismus hin, das Wort „Race“ aber bedeutete in ihren Schriften vor allem Unterschiede verschiedener Typen von Mensch, ein Thema, das Anthropologen im 18. Jahrhundert im Rahmen einer Entwicklungsgeschichte der Menschheit ganz besonders interessierte.19 Wichtiger ist wohl eine in deutschen akademischen Kreisen oft bemerkbare Tendenz der Typisierung, einer einseitigen Betonung von Vernunft und einer davon abgeleiteten Bildungsidee, welche auch im eigenen Land zur Anwendung kam und meist unwillig oder unfähig war, empirisch erworbene Kenntnisse zu verarbeiten.20

Details

Seiten
VIII, 274
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9781800799431
ISBN (ePUB)
9781800799448
ISBN (Hardcover)
9781800799455
DOI
10.3726/b19921
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (März)
Schlagworte
Olaudah Equianos Autobiographie Versklavung und Rasse Versklavung Sklavenhandel Bekämpfung des Sklavenhandels
Erschienen
Oxford, Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, 2024. VIII, 274 S., 2 farb. Abb., 1 s/w Abb.

Biographische Angaben

Hans-Joachim Hahn (Autor:in)

Hans-Joachim Hahn, seit 2003 Professor emeritus, war Vorstand der Abteilung für Germanistik an der Oxford Brookes University. Er hat zahlreiche Publikationen über das intellektuelle und kulturelle Leben im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts verfasst. Seine Forschungsschwerpunkte sind die deutsche Romantik und der deutsche Vormärz (1830 bis einschließlich der Revolution von 1848).

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