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Methoden der Einkunftsartenabgrenzung sowie der Bestimmung des steuerbaren Bereichs im Einkommensteuerrecht

von Hanna Brentrup (Autor:in)
©2023 Dissertation 228 Seiten

Zusammenfassung

Mit der Einkunftsartenabgrenzung widmet sich die Autorin einem klassischen Thema, das jedoch an Aktualität nicht verloren hat. Im Gegenteil: Die moderne Arbeitswelt stellt das Steuerrecht vor immer neue Herausforderungen.
Einführend werden die verfassungsrechtlichen Grundlagen, insbesondere im Hinblick auf die mit der Einkünftequalifizierung einhergehenden Rechtsfolgenunterschiede, erarbeitet. Im Rahmen der Abgrenzung zum nicht steuerbaren Bereich steht die Überzeugungskraft der Markteinkommenstheorie im Fokus. Im Rahmen der Einkunftsartenabgrenzung, dem Kernstück des Werkes, erarbeitet die Autorin unter Rückgriff auf vorhandene Literatur und Rechtsprechung sowie mittels Parallelen zu anderen Rechtsgebieten allgemeingültige Kriterien, die einkunftsartenübergreifend Anwendung finden können.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • § 1 Einführung
  • A. Problembeschreibung und Gang der Arbeit
  • I. Problembeschreibung
  • II. Gang der Arbeit
  • B. Das Einkommen und der Dualismus der Einkunftsarten
  • C. Verfassungsrechtliche Grundlagen
  • I. Grundrechtliche Bindung
  • II. Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit
  • 1. Freiheitsrechtliche Ausprägung
  • 2. Gleichheitsrechtliche Ausprägung
  • 3. Folgerichtigkeit
  • a) Verwaltungsvereinfachung
  • b) Lenkungszwecke
  • c) Umgehungsgestaltung
  • 4. Fazit
  • III. Objektives und subjektives Nettoprinzip
  • 1. Subjektives Nettoprinzip
  • 2. Objektives Nettoprinzip
  • 3. Durchbrechungen des subjektiven und objektiven Nettoprinzips
  • IV. Fazit
  • § 2 Abgrenzung zum nicht steuerbaren Bereich
  • A. Markteinkommenstheorie
  • I. Markteinkommen oder Einkommen aus Erwerbsgrundlage
  • II. Der Äquivalenzgedanke im Einkommensteuerrecht
  • III. Der Belastungsgrund als steuerbegrenzendes Element
  • 1. Belastungsgrund
  • 2. Relevanz für die Rechtmäßigkeit einer Steuer
  • 3. Herleitung des Belastungsgrundes
  • a) BVerfG
  • b) Literatur
  • c) Bewertung
  • IV. Einfachgesetzliche Ausgestaltung
  • V. Fazit
  • B. Abgrenzung zum Privatbereich
  • I. Liebhaberei
  • 1. Rechtsgrundlagen
  • 2. Einkunftsartenspezifische Besonderheiten
  • 3. Zweigliedriger Liebhabereibegriff
  • a) Negative Prognose
  • b) Persönliche Motive
  • 4. Anwendungsbereich
  • a) Keine „gewinnbringende Liebhaberei“
  • b) Leistungsfähigkeitsprinzip
  • 5. Fazit
  • II. Private Lebensführung
  • 1. Anwendbarkeit bei Einnahmen und Ausgaben
  • 2. Konkretisierung des Veranlassungszusammenhangs
  • a) Rechtsprechung
  • b) Literatur
  • 3. Wertende Zurechnung
  • a) Vergleich mit anderen Rechtsgebieten
  • b) Wertendes Element im Steuerrecht
  • c) Zwischenfazit
  • 4. Fallgruppen
  • a) Handeln zu Erwerbszwecken/Privatzwecken
  • b) Willensunabhängige Vermögensänderungen
  • c) Verlust von Wirtschaftsgütern
  • 5. Gemischte Veranlassung
  • 6. Fazit
  • C. Fazit
  • § 3 Konkurrenzen der Einkunftsarten
  • A. Problemstellung
  • B. Auswirkungen der Zuordnung
  • I. Art der Einkünfteermittlung
  • II. Buchführungspflicht
  • III. Steuersatz
  • IV. Erhebungsform
  • V. Steuersatzvergünstigungen
  • VI. Steuerverstrickung des Vermögens
  • VII. Verlustausgleichsbeschränkungen
  • VIII. Steuerbefreiungen/Freibeträge/Freigrenzen
  • IX. Pauschbeträge
  • X. Gewerbesteuer
  • XI. Sozialversicherungspflicht
  • XII. Fazit
  • C. Verschiedene Arten von Konkurrenzen
  • D. Sonderfall: Wahlrecht des Steuerpflichtigen bei Betriebsaufgabe
  • I. Wahlrecht bei Betriebsaufgabe
  • II. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
  • § 4 Abgrenzung durch Auslegung
  • A. Wortlaut
  • B. Telos
  • C. Systematik
  • I. Allgemeines
  • II. Äußere Systematik
  • III. Dualismus der Einkunftsarten
  • IV. Innere Systematik
  • D. Wirtschaftliche Betrachtungsweise
  • I. Abweichung von zivilrechtlichem Verständnis
  • 1. Rechtsprechung
  • 2. Literatur
  • 3. Bewertung
  • II. Rechtsfortbildung
  • 1. Ausfall einer privaten Kapitalforderung
  • 2. Insolvenzbedingter Untergang von Aktien
  • III. Fazit
  • E. Normspezifische Auslegung
  • I. Rechtsprechung
  • II. Analyse der BFH-Entscheidung
  • III. Bewertung
  • F. Typusbegriffe
  • I. Begriffsbestimmung
  • II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
  • III. Typusbegriff als Abgrenzungskriterium
  • 1. Gewerbebetrieb
  • 2. Arbeitnehmer
  • 3. Ähnlicher Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG
  • IV. Fazit
  • § 5 Bestimmung mittels Gesamtgepräge
  • A. Getrennte oder einheitliche Betrachtung
  • I. Rechtsprechung
  • II. Literatur
  • III. Bewertung
  • IV. Abfärberegelung als Ausnahme
  • B. Gesamtgepräge
  • C. Betroffene Einkunftsarten
  • I. Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft
  • II. Andere Einkunftsarten
  • 1. Rechtsprechung
  • a) Gewerbliche Einkünfte vs. Vermietung und Verpachtung
  • b) Vermietung und Verpachtung vs. Sonstige Einkünfte
  • 2. Übertragbarkeit der Grundsätze
  • 3. Fazit
  • D. Sonderfall: Einheitliches Geschäftskonzept
  • I. Bewegliche Gegenstände
  • 1. Rechtsprechung
  • 2. Literatur
  • 3. Bewertung
  • a) Gesamtplan
  • b) Dogmatische Einordnung
  • c) Würdigung der Kritik
  • II. Immobilien
  • 1. Rechtsprechung
  • 2. Literatur
  • 3. Bewertung
  • E. Fazit
  • § 6 Auflösung echter Konkurrenzen
  • A. Allgemeine juristische Methodenlehre
  • B. Vorgaben durch das EStG selbst
  • C. Veranlassungszusammenhang
  • I. Das Veranlassungsprinzip als Mittel zur Einkunftsartenabgrenzung
  • 1. Allgemeines
  • a) Ebene der Ausgaben
  • aa) Rechtsprechung
  • bb) Literatur
  • b) Ebene der Einnahmen
  • aa) Rechtsprechung
  • bb) Literatur
  • c) Fazit
  • 2. Einnahmen
  • a) Abgrenzung zur einheitlichen Tätigkeit
  • b) Rechtsprechung
  • aa) Arbeitgeberbeteiligungen
  • bb) Abgrenzung von § 20 EStG zu § 21 EStG
  • cc) Nebeneinkünfte
  • dd) Sonderfall: Vorrangiges Interesse
  • (1) Rechtsprechung
  • (2) Bewertung
  • (3) Ermittlung des vorrangigen Interesses
  • (4) Abgrenzung zu gewerblichen Einkünften
  • (5) Verhältnis zum Veranlassungszusammenhang
  • 3. Ausgaben
  • a) Aufteilungsgebot
  • b) Rechtsprechung
  • aa) Arbeitgeberbeteiligungen
  • bb) Übernahme von Bürgschaften
  • cc) Darlehen an den Arbeitgeber
  • 4. Fazit
  • II. Einheitliche Kriterien zur Konkretisierung des Veranlassungszusammenhangs
  • 1. Unmittelbarkeit
  • 2. Auslösendes Moment
  • 3. Wertungselement
  • a) Leistungsfähigkeitsprinzip
  • b) Gegenstand der Wertung
  • 4. Fazit
  • III. Reichweite und Grenzen des Veranlassungsprinzips
  • 1. Verhältnis von Zuordnung und Zurechnung
  • 2. Einschränkung durch Erfordernis von Interdependenz
  • a) Literatur
  • b) Bewertung
  • c) Ebene der Einnahmen
  • IV. Sonderfall: Betriebsvermögenseigenschaft
  • V. Unterbrechung des Veranlassungszusammenhangs
  • 1. Überlagerung des Veranlassungszusammenhangs
  • a) Rechtsprechung
  • b) Literatur
  • c) Bewertung
  • 2. Entfallen des Veranlassungszusammenhangs
  • a) Allgemeines
  • b) Nachträgliche Schuldzinsen
  • aa) Rechtsprechung
  • bb) Literatur
  • cc) Bewertung
  • dd) Weiterentwicklung der Rechtsprechung
  • ee) Literatur
  • ff) Bewertung
  • VI. Fazit
  • § 7 Ausblick und Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis
  • Hinweise zur Zitierung der Rechtsprechung

§ 1 Einführung

A. Problembeschreibung und Gang der Arbeit

I. Problembeschreibung

Der Einkommensteuer liegt – mehr als jeder anderen Steuer – der Gedanke der Steuergerechtigkeit zugrunde.1 Das Steueraufkommen soll von allen Bürgern entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit erbracht und durch eine gerechte Lastenverteilung sichergestellt werden.2 Johannes Popitz, Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, bezeichnete die Einkommensteuer aus diesem Grund einst als „Königin der Steuer“.3

Ausfluss dieses Gerechtigkeitsgedankens ist nicht zuletzt die Idee der synthetischen Einkommensteuer:4 Alle Einkünfte – gleich aus welcher Quelle – sollen in einem Grundtatbestand erfasst und einem einheitlichen Tarif unterworfen werden.5 Damit erfüllt die synthetische Einkommensteuer eine „elementare Gleichheitsforderung“.6 Gegenmodell der synthetischen Steuer ist die analytische Schedulenbesteuerung.7 Diese teilt die Einkünfte je nach Art der zugrundeliegenden Einkunftsquelle in verschiedene Abteilungen (Schedula) auf und knüpft an diese unterschiedliche Rechtsfolgen, bis hin zu einem eigenen Tarif.8 Die Zuordnung von Einkünften zu einer Schedule hat daher entscheidenden Einfluss auf die Steuerlast.

Während die Schedulenbesteuerung zum Teil als veraltet9 bezeichnet wird, erscheint die synthetische Einkommensteuer als Leitbild, nach dem es zu streben gilt.10 Auch von der deutschen Einkommensteuer heißt es, sie verfolge das Ideal einer synthetischen Gesamt- oder Einheitseinkommensteuer.11

Konsequenterweise dürfte es im System einer synthetischen Einkommen-steuer nicht von Bedeutung für die effektive Steuerlast sein, welcher von verschiedenen Einkunftsarten eine Einnahme zugeordnet wird. Im Gegenteil müsste eine Steuer, die dieses System verwirklicht, sogar auf ein Nebeneinander verschiedener Einkunftsarten verzichten können.12 Die deutsche Einkommensteuer kennt jedoch sieben Einkunftsarten und scheint damit prima facie dem Leitbild einer synthetischen Einheitseinkommensteuer zu widersprechen.

Im Wesentlichen ist dies allerdings historisch begründet. Im ersten reichseinheitlichen Einkommensteuergesetz von 1920, welches an der Reinvermögenszugangstheorie ausgerichtet war,13 war der Einkommensbegriff noch generalklauselartig umschrieben.14 Aufgrund von negativen Erfahrungen in der praktischen Anwendung entschied sich der Gesetzgeber des Reichseinkommensteuergesetzes von 1925 dafür, die Einkommensbesteuerung nicht an einer Einkommenstheorie auszurichten, sondern die Steuerbarkeit von Einnahmen in einem abschließenden Einkünftekatalog festzulegen.15 Durch eine enumerative Aufzählung der Einkunftsarten sollte das Reichseinkommensteuergesetz von 1925, das insoweit Vorläufer des heutigen EStG ist, dem Bedürfnis nach einer handhabbaren Regelung für den sachlichen Umfang der Besteuerung Rechnung tragen.16

Ursprünglich lag dem Einkünftekatalog also ein rein praktisches Bedürfnis zugrunde. Im Laufe der Jahre hat jedoch eine Vielzahl an Sonderlasten und Sondervorteilen Einzug in das EStG erhalten17 und damit die Kritik beflügelt, bei der deutschen Einkommensteuer handle es sich in Wahrheit um eine versteckte Schedulenbesteuerung.18 Im Jahr 2008 wurde mit der Abgeltungssteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 32d Abs. 1 EStG i. V. m. § 43 Abs. 5 EStG) sogar ein echtes Schedulenelement in das EStG eingeführt.19 Auch im Übrigen bestehen zwischen den einzelnen Einkunftsarten aber erhebliche Unterschiede.20 Dies wird zum Teil stark kritisiert und hat in der Vergangenheit Anlass zu zahlreichen Reformvorschlägen gegeben.21

Bislang hat der Gesetzgeber den „großen Wurf“22 einer grundlegenden Steuerreform jedoch nicht gewagt. Vielmehr begnügt er sich mit punktuellen Änderungen, wenn Reformbedarf in einzelnen Regelungsbereichen erkannt wird.23 Auch das Koalitionsprogramm der aktuellen Bundesregierung lässt keinen Vorstoß in diese Richtung erkennen.24 Es steht also zu vermuten, dass der aktuelle Zustand noch längere Zeit Bestand haben wird.25

Aus diesem Grund ist es umso bedeutender, dass die sieben Einkunftsarten des EStG klar voneinander abgegrenzt werden. Der Vorwurf, dies erfolge rein kasuistisch,26 wiegt insbesondere vor dem Hintergrund der Steuergerechtigkeit schwer. Denn das Steuerrecht als öffentliches Eingriffsrecht27 kann einem verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanspruch nur dann genügen, wenn der Eingriff auch gleichmäßig gegenüber allen Steuerpflichtigen erfolgt.28 Dies setzt voraus, dass sich die Besteuerung an allgemeingültigen Kriterien ausrichtet und nicht Gegenstand von Einzelfallentscheidungen ist.

In der vorliegenden Arbeit wird daher der Versuch unternommen, allgemeine Leitlinien für die Abgrenzung der Einkunftsarten herauszuarbeiten und auf diesem Wege zu einer allgemeingültigen, vorhersehbaren und transparenten Besteuerung beizutragen.

Dabei soll der sachliche Umfang der Arbeit nicht auf die Abgrenzung der Einkunftsarten untereinander beschränkt werden. Zur Abgrenzung der Einkunftsarten im weiteren Sinne gehört auch die Abgrenzung zum nicht steuerbaren Bereich, denn nach der Grundentscheidung des EStG sind Einnahmen und Ausgaben nur dann dem steuerbaren Bereich zuzuordnen, wenn sie einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG unterfallen. Es findet also keine Zweischritt-Prüfung dergestalt statt, dass zunächst über die Steuerbarkeit als solche und in einem zweiten Schritt über die Zuordnung zu einer Einkunftsart entschieden wird.29 Vielmehr fällt eine Einnahme oder Ausgabe in den nicht steuerbaren Bereich, sofern eine Zuordnung zu einer der sieben Einkunftsarten ausscheidet. Auch die Abgrenzung zum nicht steuerbaren Bereich muss gleichheitsrechtlichen Anforderungen genügen und sich daher ebenfalls an allgemeingültigen, vorhersehbaren und transparenten Kriterien ausrichten.

II. Gang der Arbeit

Die Arbeit widmet sich zunächst den Grundlagen der Einkommensbesteuerung. In der gebotenen Kürze werden die Aspekte dargestellt, die für die weitere Arbeit von grundlegender Bedeutung sind: Der Dualismus der Einkunftsarten sowie die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Einkommensbesteuerung.

Paragraph 2 beschäftigt sich mit der Abgrenzung zum nicht steuerbaren Bereich. In diesem Abschnitt werden vorab und losgelöst von den einzelnen Einkunftsarten zwei Problemkreise der Abgrenzung zum nicht steuerbaren Bereich beleuchtet: zum einen die sogenannte Markteinkommenstheorie und zum anderen die Abgrenzung zum Privatbereich unter den Gesichtspunkten der Liebhaberei sowie des Veranlassungsprinzips.

Paragraph 3 führt in das Problem der Konkurrenzen zwischen den verschiedenen Einkunftsarten ein und nimmt eine Unterteilung in drei verschiedene Kategorien von Konkurrenzen vor, um sich dem Problem der Einkunftsartenabgrenzung methodisch zu nähern. Vorab werden die Rechtsfolgen der verschiedenen Einkunftsarten herausgearbeitet und damit die Tragweite und die Relevanz der Abgrenzung von Einkunftsarten verdeutlicht.

Auf dieser Grundlage widmet sich Paragraph 4 sodann der Abgrenzung durch Auslegung und Paragraph 5 der Abgrenzung durch Bestimmung des jeweiligen Gesamtgepräges. Im Anschluss beschäftigt sich Paragraph 6 mit den in Paragraph 3 als „echte Konkurrenzen“ identifizierten Normkollisionen und rückt dabei das Veranlassungsprinzip in den Fokus.

B. Das Einkommen und der Dualismus der Einkunftsarten

Unter dem Dualismus der Einkunftsarten wird gemeinhin die in § 2 Abs. 2 EStG angelegte Unterscheidung zwischen Gewinneinkunftsarten und Überschusseinkunftsarten verstanden.30 Gewinneinkünfte sind die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb sowie aus selbständiger Arbeit. Überschusseinkünfte sind die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung sowie die sonstigen Einkünfte.

Den Überschusseinkunftsarten liegt die Quellentheorie zugrunde, wonach nur die laufenden Erträge aus dauernden Quellen besteuert werden.31 Wertveränderungen des zur Einkünfteerzielung eingesetzten Vermögensstamms sind danach steuerlich unbeachtlich.32

Demgegenüber liegt den Gewinneinkunftsarten die Reinvermögenszugangstheorie zugrunde, die den gesamten Wertzuwachs des bewirtschafteten Vermögens als Einkommen erfassen will.33 Die Gewinnermittlung erfolgt hier grundsätzlich mittels Betriebsvermögensvergleich, §§ 4, 5 EStG.34 Anders als die Einnahmenüberschussrechnung, die allein auf Zu- und Abflüsse abstellt (§ 11 EStG),35 erfasst der Betriebsvermögensvergleich jegliche Wertveränderungen des Betriebsvermögens einschließlich der Veräußerung von Wirtschaftsgütern.36 Obwohl der Dualismus der Einkunftsarten durch seine Verankerung in § 2 Abs. 2 EStG normativ die Gestalt einer formalen Unterscheidung zwischen den Einkünfteermittlungsmethoden annimmt, verbergen sich dahinter also materiell zwei verschiedene Einkommensbegriffe.37

In den vergangenen Jahren wurde die quellentheoretische Grundstruktur der Überschusseinkunftsarten jedoch zunehmend durchbrochen.38 Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Besteuerung von Veräußerungsvorgängen. Während die Einkünfte aus Kapitalvermögen früher zu den traditionellen Überschusseinkünften gehörten und allein die aus der Quelle sprudelnden Einkünfte umfassten, sind heute alle Gewinne aus Kapitalveräußerungen von § 20 Abs. 2 EStG erfasst und ebenfalls als Kapitaleinkünfte steuerbar.39 Zudem wurden in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG die Haltefristen für die Besteuerung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens ausgeweitet und in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, der in der Sache ebenfalls private Veräußerungsgeschäfte besteuert, die Beteiligungsgrenze auf inzwischen 1 Prozent abgesenkt.40 Dies führte zu einer Annäherung der genannten Überschusseinkünfte an die Gewinneinkünfte.41

Trotz allem gilt der Dualismus der Einkunftsarten mangels einer grundlegenden Reform als nicht überwunden,42 denn zahlreiche Vorschriften des EStG knüpfen nach wie vor an die Unterscheidung zwischen Quellentheorie und Reinvermögenszugangstheorie an.43 Aufgrund der damit einhergehenden Ungleichbehandlung wird der Dualismus der Einkunftsarten von weiten Teilen der Literatur für verfassungswidrig gehalten.44 Von der Rechtsprechung wird er jedoch gebilligt45 und die Gesetzgebung hält zumindest im Grundsatz an ihm fest. In jedem Fall kann aber konstatiert werden, dass aus der Unterscheidung zwischen Quellentheorie und Reinvermögenszugangstheorie zahlreiche Streitigkeiten über den Umfang und das Ausmaß der Besteuerung resultieren, insbesondere in Betreff der Steuerbarkeit von Gewinnen und Verlusten im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern des Privatvermögens.46

C. Verfassungsrechtliche Grundlagen

I. Grundrechtliche Bindung

Steuerrecht ist Eingriffsrecht.47 Es gewährt dem Staat das Recht, auf das Vermögen seiner Bürger zuzugreifen. Aus diesem Grund bedarf die Erhebung von Steuern einer grundrechtlichen Rechtfertigung.48

Setzt man noch eine Stufe früher – auf staatstheoretischer Ebene49 – an, stellt sich die Frage nach der allgemeinen Steuerrechtfertigung: Warum ist es dem Staat grundsätzlich gestattet, Steuern zu erheben?50

Das Grundgesetz hält hierfür keine Antwort bereit. Die Art. 105, 106 GG enthalten zwar Regelungen zu Besteuerungskompetenzen und zur Steuerlastverteilung. Eine Befugnis zur Erhebung von Steuern wird dem Staat jedoch nicht explizit eingeräumt, sondern von der Finanzverfassung vielmehr stillschweigend vorausgesetzt.51

Dennoch scheint es allgemein akzeptiert, dass der Staat mittels Steuererhebung auf das Vermögen seiner Bürger zugreifen darf.52 Da der Staat sich nicht selbst wirtschaftlich betätigt, ist er zur Finanzierung seiner Aufgaben auf die Erhebung von Steuern angewiesen. Dies entspricht dem Verständnis von Deutschland als „Steuerstaat“.53

Dass der Frage der allgemeinen Steuerrechtfertigung wenig Beachtung geschenkt wird, mag mitunter daran liegen, dass dies ohne Folgen für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Besteuerung ist.54 Denn aus dem grundsätzlichen Recht zur Besteuerung folgt weder die Zulässigkeit einzelner Steuern noch ergeben sich daraus Vorgaben für deren konkrete Ausgestaltung.55 Vielmehr folgt aus der Bindung aller Staatsgewalten an die Grundrechte, dass sich eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Besteuerung zwingend an den Grundrechten zu orientieren hat.56

II. Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit

Der Einkommensteuer wohnt seit jeher der Gedanke der Gerechtigkeit und der Gleichheit inne: Die Besteuerung von Einkommen soll sich an der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen ausrichten.57 Ein Großteil der Literatur sowie die ständige Rechtsprechung des BVerfG erachten das Leistungsfähigkeitsprinzip sogar als systemtragendes Prinzip des Einkommensteuerrechts.58 Dabei erscheint das Postulat der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in zweierlei Gewand: zum einen in seiner freiheitsrechtlichen Ausprägung, zum anderen in seiner gleichheitsrechtlichen Ausprägung.59 Beide sind begrifflich und in ihrer dogmatischen Herleitung voneinander zu trennen.60

1. Freiheitsrechtliche Ausprägung

Aus den Freiheitsgrundrechten folgt, dass eine Besteuerung des Ertrags nur erfolgen darf, wenn der Steuerpflichtige auch leistungsfähig ist.61 Das setzt zunächst eine gewisse Wirtschaftskraft voraus, sodass ein Mittelloser nicht besteuert werden darf. Zum anderen darf der Steuerzugriff keine erdrosselnde Wirkung haben, das heißt er darf die Quelle der Leistungsfähigkeit nicht erschöpfen62 und keine Gestaltungswirkung von derart weitreichendem Ausmaß haben, dass es zu einer „Erdrosselung“ von (freiheits-)grundrechtlich geschütztem Verhalten kommt.63 Letzterers ist insbesondere dann der Fall, wenn potentiell Steuerpflichtige ihr Verhalten im Hinblick auf die zu erwartende Steuerlast ändern, etwa indem sie von einer beruflichen oder einer künstlerischen Betätigung absehen.64 Das jeweils einschlägige, verletzte Freiheitsgrundrecht ist daher abhängig von dem konkret erdrosselten Verhalten.65 Betroffen sein kann etwa die Eigentumsfreiheit, die Freiheit der Kunst oder die Berufsfreiheit,66 wobei das BVerfG in steuerrechtlichem Kontext zuletzt maßgeblich auf die Eigentumsfreiheit abstellt.67

2. Gleichheitsrechtliche Ausprägung

Erst wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige leistungsfähig ist und damit die freiheitsrechtliche Hürde genommen ist, kommt das gleichheitsrechtliche Leistungsfähigkeitsprinzip zum Tragen.68 Danach müssen die Steuerpflichtigen im Verhältnis zueinander entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden. Dies folgt aus dem in Art. 3 GG verankerten Gleichheitsrecht. Konkreter wird hier eine Unterscheidung zwischen vertikaler und horizontaler Leistungsfähigkeit vorgenommen.69

Nach dem vertikalen Leistungsfähigkeitsprinzip geht ein steigender Vermögenszuwachs mit einer gesteigerten Leistungsfähigkeit einher. Hieraus wird gefolgert, dass ein Steuerpflichtiger mit höherem Einkommen einer höheren Steuerbelastung unterliegen muss als ein solcher mit geringerem Einkommen.70 Damit ist aber noch keine zwingende Vorgabe für die Ausgestaltung des Steuertarifs getroffen. Sowohl ein linearer als auch ein progressiver Tarif können dieser Anforderung bei entsprechender Ausgestaltung gerecht werden.71 Dem Gesetzgeber wird in diesem Zusammenhang ein weiter Gestaltungsspielraum zugebilligt.72

Daneben gebietet es das horizontale Leistungsfähigkeitsprinzip, dass zwei Steuerpflichtige, die gleichermaßen leistungsfähig sind, keiner unterschiedlichen Besteuerung unterworfen werden.73

Vor diesem Hintergrund wird das Modell der synthetischen Einkommensteuer, wonach die verschiedenen Einkünfte summiert und in ihrer Gesamtheit einem einheitlichen Steuertarif unterworfen werden,74 zum Teil als „nicht nur steuerpolitisch, sondern auch verfassungsrechtlich geboten“ erachtet.75 Indes sind Unterschiede in der Besteuerung je nach Zuordnung zu einer Einkunftsart verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Sie unterliegen jedoch besonderen Rechtfertigungsanforderungen.76 Allein die systematische Unterscheidung zwischen den verschiedenen Einkunftsarten genügt hierfür nicht.77

3. Folgerichtigkeit

Darüber hinaus hat der Gesetzgeber im Rahmen der Steuergesetzgebung insbesondere das eng mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip verbundene Gebot der Folgerichtigkeit zu beachten.78 Hierbei handelt es sich nicht um einen eigenständigen Verfassungssatz, sondern um eine „Argumentationshilfe zur Operationalisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes vor allem im Bereich des Steuerrechts“.79 Zwar steht dem Gesetzgeber hinsichtlich der Bestimmung des Steuergegenstandes sowie der Festlegung des Tarifs im Grundsatz ein weiter Gestaltungsspielraum zu.80 Der Gleichheitssatz gebietet es jedoch, dass eine „einmal getroffene Belastungsentscheidung“ „folgerichtig im Sinne einer Belastungsgleichheit“ umgesetzt wird.81

Fehlt es einer gesetzgeberischen Maßnahme an einer folgerichtigen Ausgestaltung, so liegt darin ein Indiz für eine Ungleichbehandlung.82 Ob tatsächlich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliegt, ist sodann anhand der durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Prüfung von Gleichheitsverstößen zu ermitteln.83 Während das BVerfG zu diesem Zweck Jahrzehnte lang auf die Willkürformel abstellte und eine Ungleichbehandlung bereits bei Vorliegen eines „vernünftige[n], sich aus der Natur der Sache ergebende[n] oder sonst wie sachlich einleuchtende[n] Grund[es] für die gesetzliche Differenzierung“84 als gerechtfertigt ansah,85 entwickelte es in den 1980er Jahren die sogenannte Neue Formel86, nach der ein Gleichheitsverstoß anhand einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ermitteln war. In Fortentwicklung dieser Rechtsprechung ist das BVerfG in jüngeren Entscheidungen zu einem stufenlosen Prüfungsmaßstab übergegangen und nimmt eine strengere Bindung des Gesetzgebers nunmehr insbesondere dann an, „wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind […] oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern“.87

Details

Seiten
228
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631903902
ISBN (ePUB)
9783631903919
ISBN (Hardcover)
9783631902028
DOI
10.3726/b20933
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Juli)
Schlagworte
Steuerrecht Herausforderungen Einkünftequalifizierung einhergehenden Rechtsfolgenunterschiede, erarbeitet Leistungsfähigkeitsprinzip Markteinkommenstheorie Typusbegriff Veranlassungsprinzip Konkurrenzen
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 228 S.

Biographische Angaben

Hanna Brentrup (Autor:in)

Hanna Brentrup studierte Rechtswissenschaft an der Universität Passau. Im Anschluss daran absolvierte sie einen Master of Laws an der Universität Stellenbosch, Südafrika. Nach dem Referendariat am OLG Bamberg trat sie in die bayerische Finanzverwaltung ein und ist seither im Staatsministerium der Finanzen und für Heimat tätig.

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