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Die emissionshandelsrechtlichen Pflichten in der Insolvenz des Anlagenbetreibers

- zugleich ein Beitrag zur Behandlung öffentlich-rechtlicher Rechte und Pflichten in der Insolvenz -

by David Fabian Krüger (Author)
©2024 Thesis 132 Pages

Summary

Der Verfasser untersucht die Pflichten aus dem Emissionshandelsrecht in der Insolvenz des Anlagenbetreibers. Das Insolvenzrecht als besonderes Verfahrensrecht hat als vorrangiges Schutzgut den Gläubigerschutz zum Gegenstand. Insoweit bestehen Unsicherheiten, wie es sich mit einem offenbar gegenläufigen Rechtsgebiet verhält, das den Klimaschutz zum Gegenstand hat. Diese Arbeit zeigt Spannungsfelder auf und gibt Lösungsvorschläge.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Literaturverzeichnis
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Einführung
  • II. Problemstellung
  • III. Gang der Darstellung
  • B. Vorrangstellung eines Rechtsgebiets
  • a) Umwelt- und Klimaschutz in der EU
  • b) Umweltschutz im Grundgesetz
  • c) Möglicher Vorrang der Insolvenzordnung im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten
  • d) Zwischenergebnis
  • C. Die Stellung des Insolvenzverwalters und des Sachwalters in der Eigenverwaltung des in der Insolvenz befindlichen emissionshandelspflichtigen Anlagenbetreibers
  • I. Der Insolvenzverwalter als Betreiber einer Anlage im Sinne des TEHG
  • 1. Die Fortgeltung der Emissionsgenehmigung gem. § 4 TEHG in der Insolvenz
  • 2. Anlagenbetreiberbegriff des TEHG gem. § 3 Nr. 2 TEHG
  • a) Verwaltungs- und Verfügungsmacht oder Entscheidungsgewalt
  • b) Wirtschaftliches Risiko
  • c) Die Begriffsdefinition des europäischen Emissionshandelsrecht ist nicht mit der Stellung des Insolvenzverwalters in Einklang zu bringen
  • 3. Weiterführung des Betriebs gem. § 25 Abs. 3 Satz 2 TEHG
  • 4. Benennung der Personen in § 25 Abs. 3 Satz 3 TEHG
  • 5. Zwischenergebnis: Gesetzgeberische Klarstellung führt zu einer dem Insolvenzrecht wesensfremden Eigenschaft des Insolvenzverwalters
  • II. Der vorläufige Insolvenzverwalter als Anlagenbetreiber im Emissionshandelsrecht
  • 1. Vorläufiger schwacher Insolvenzverwalter
  • 2. Vorläufiger starker Insolvenzverwalter
  • 3. Problematik der Pflicht zur Betriebsfortführung gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO
  • III. Die Betreiberstellung in der Eigenverwaltung
  • D. Insolvenzmassezugehörigkeit der Emissionsberechtigungen in der Insolvenz des Anlagenbetreibers
  • I. Begriff der Emissionsberechtigung
  • 1. Begriffsbestimmung gemäß der Emissionshandelsrichtlinie und des TEHG
  • 2. Harmonisierung des Begriffs im Europäischen Emissionshandelsrecht
  • 3. Rechtliche Wirkung der Emissionsberechtigung
  • 4. Emissionsberechtigung ist die vorzugswürdige Bezeichnung des Emissionszertifikats im deutschen Recht
  • II. Rechtsnatur der Emissionsberechtigungen
  • 1. Emissionsberechtigungen als (nunmehr) andere Finanzinstrumente aufgrund von MiFID II
  • 2. Meinungsstand hinsichtlich der Rechtsnatur der Emissionsberechtigungen
  • a) Privatrechtliche Rechtsnatur der Emissionsberechtigungen
  • b) Öffentlich-rechtliche Rechtsnatur der Emissionsberechtigungen
  • c) Hybride Rechtsnatur der Emissionsberechtigungen
  • 3. Stellungnahme
  • a) Die Luft als dem Anlageneigentum zugehörig
  • b) Vergleichbarkeit zu anderen Rechtsinstituten
  • c) Herleitung des subjektiv-öffentlichen Rechts mithilfe allgemeiner Grundsätze
  • d) Allgemeine Handelbarkeit bedeutet noch keine zwingende Zuordnung zu einer privatrechtlichen Rechtsnatur
  • e) Keine Dispositionsfeindlichkeit subjektiv-öffentlicher Rechte
  • f) Gegen die Bezeichnung „hybride Rechtsnatur“ aufgrund von Rechtssicherheitsbedenken
  • g) Verbriefungsmöglichkeit eines subjektiv-öffentlichen Rechts
  • 4. Zwischenergebnis: Emissionsberechtigungen sind öffentlich-rechtlich verbriefte Legitimationsberechtigungen
  • III. Vermögenswert der Emissionsberechtigung
  • 1. Vermögensbegriff der Insolvenzmasse und Eigentumszuordnung der Emissionsberechtigungen
  • 2. Vermögenswert der Milchreferenzmenge als ähnliches Rechtsinstitut
  • 3. Zwischenergebnis
  • IV. Vollstreckbarkeit des Vermögenswerts der Emissionsberechtigung
  • 1. Maßstab der §§ 857, 828 ZPO
  • 2. Vollstreckung in subjektiv-öffentliche Rechte
  • 3. Vollstreckbarkeit der Emissionsberechtigungen
  • V. Keine weitere Zuteilung bei Betriebseinstellung und damit kein „Neuerwerb“ zur Anreicherung der Insolvenzmasse
  • VI. Zwischenergebnis: Emissionsberechtigung können im Grundsatz Bestandteil der Vermögensmasse gem. § 35 InsO sein
  • E. Die Pflichten des Insolvenzverwalters nach dem TEHG in der Insolvenz des emissionshandelspflichtigen Anlagenbetreibers
  • I. Die Abgabepflicht gem. § 7 Abs. 1 TEHG
  • 1. Abgabebegriff
  • 2. Abgabepflicht als „Vorteilsabschöpfung“ im Katalog der öffentlich-rechtlichen Abgaben
  • 3. Insolvenzrechtliche Behandlung öffentlich-rechtlicher Abgaben und Pflichten
  • a) Öffentlich-Rechtliche Abgaben
  • aa) Steuern
  • (1) Insolvenzrechtliche Behandlung
  • (2) Vergleichbarkeit mit dem Emissionshandel
  • bb) Andere Abgaben und Gebühren
  • cc) „Vorteilsabschöpfung“ des Emissionshandelsrechts als eigene öffentlich-rechtliche Abgabe
  • b) Sonstige Rückschlüsse aus Gebieten des öffentlichen Rechts im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht
  • aa) Ordnungspflichten aus dem Gefahrenabwehrrecht
  • bb) Abfallrechtliche Beseitigungspflichten und Altsanierungspflichten
  • cc) Einordnung der Problematik und Vergleichbarkeit
  • c) Zwischenergebnis: Emissionshandelsrecht ist aufgrund seiner Besonderheiten nicht mit anderen öffentlich-rechtlichen Pflichten oder Rechten vergleichbar
  • 4. Insolvenz- oder Masseforderung
  • a) Zeitpunkt des Entstehens der Abgabepflicht
  • b) Wirkung des § 25 Abs. 3 TEHG bezüglich der Abgabepflicht
  • c) Forderungscharakter der vor Insolvenzantrag entstandenen Abgabepflicht bei Fortführung des Betriebs
  • aa) Forderungsbegriff des § 45 InsO
  • bb) Öffentlich-rechtliche Pflicht aus § 7 Abs. 1 TEHG könne keine Insolvenzforderung sein
  • cc) Diskussion
  • d) Abgabepflicht als die Masse treffende Verpflichtung
  • e) Unterschiede bei Entstehen der Abgabepflicht im Eröffnungs- im Vergleich zum eröffneten Verfahren
  • f) Zwischenergebnis
  • 5. Entfallen der Abgabepflicht aufgrund der Freigabe des Grundstücks durch Insolvenzverwalter aufgrund eines auf Abwicklung gerichteten Planinsolvenzverfahrens
  • 6. Entfallen der Abgabepflicht bei einem Verkauf des Grundstücks an einen Dritten?
  • a) Ansicht des VG Berlin: Keine Ausnahme wegen insolvenzrechtlicher Besonderheiten und Auseinandersetzung
  • II. Berichtspflicht nach § 5 TEHG
  • F. Die Sanktion des § 30 TEHG in der Insolvenz des Anlagenbetreibers
  • 1. Einordnung der Sanktion in das System der Strafen und Bußgelder
  • 2. Vor der Verfahrenseröffnung entstandene Sanktion
  • 3. Nach Verfahrenseröffnung entstandene Sanktion
  • G. Die Auswirkung der Insolvenz des Anlagenbetreibers auf die Erwerbstatbestände des Emissionshandelsrechts
  • I. Ersterwerb der Emissionsberechtigungen
  • 1. Entgeltlicher Ersterwerb unter Wettbewerbsbedingungen
  • 2. Unentgeltliche Zuteilung in Form eines begünstigenden Verwaltungsakts als wettbewerbsfremde Ausgestaltung
  • 3. Ausgabe der Emissionsberechtigungen
  • 4. Zwischenergebnis im Lichte des Insolvenzrechts
  • II. Der Übertragungsakt zwischen Handelsteilnehmern des Emissionshandels gem. § 7 Abs. 3 TEHG (Zweiterwerb)
  • 1. Handelsmarkt
  • 2. Verpflichtungsgeschäft
  • 3. Erfüllungsgeschäft
  • a) Erfüllungsgeschäfte und Verfügungen im Allgemeinen
  • b) Meinungsstand bei der Übertragung von Emissionsberechtigungen nach § 7 Abs. 3 TEHG
  • aa) Zivilrechtliches Erfüllungsgeschäft
  • bb) öffentlich-rechtliches Erfüllungsgeschäft
  • (1) Grundsätzliche Zulässigkeit
  • (2) Argumentation
  • cc) Praktische Relevanz
  • dd) Stellungnahme
  • (1) Wortlaut
  • (2) Rechtswegproblematik
  • (3) Vergleichbarkeit zum Grundbuch
  • (4) Öffentlich-rechtliches Nutzungsverhältnis kein taugliches Argument
  • (5) Zivilrechtlicher Übertragungsvorgang
  • (6) Zwischenergebnis: Strenge Trennung der Rechtsnatur des Erst- und Zweiterwerbs
  • 4. Der Übertragungsakt in der Insolvenz des Handeltreibenden
  • 5. Insolvenzanfechtung
  • 6. Emissionshandelsregister gem. § 17 TEHG
  • H. Insolvenzrechtliche Einordnung des neuartigen Brennstoffemissionshandel ab dem Jahr 2021
  • I. Grundlagen und Ausgestaltung
  • 1. Zweck und Anwendungsbereich
  • 2. Verantwortliche
  • 3. Weiterer Ausgleich indirekter Belastungen
  • 4. Finanzverfassungsrechtliche Kritik und Auswirkungen auf die Frage der Pflichtenerfüllung in der Insolvenz
  • 5. Zwischenergebnis und Vergleich der Handelssysteme
  • a) Unterschiedliche Einordnung der Abgabepflicht
  • II. Die Stellung des Insolvenzerwalters im BEHG
  • III. Pflichten in der Insolvenz des Pflichtigen im BEHG
  • IV. Nationale Emissionszertifikate als Bestandteil der Insolvenzmasse
  • 1. Rechtliche Wirkung
  • 2. Kritik an der Bezeichnung
  • 3. Vermögenswert
  • V. Sanktionen in der Insolvenz des Anlagenbetreibers
  • VI. Insolvenzrechtliche Besonderheiten am Handelsmarkt des BEHG
  • VII. Ausblick
  • I. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesenform und Vorschläge zur Gesetzesanpassung
  • I. Verhältnis Emissionshandelsrecht und Insolvenzrecht
  • II. Emissionsberechtigungen / Emissionszertifikate
  • III. Handeltreibende im Insolvenzverfahren
  • IV. Emissionshandelsrechtliche Pflichten im Insolvenzverfahren
  • V. Gesetzesanpassungen zur weiteren Aufhebung des Spannungsfelds zwischen Emissionshandelsrecht und Insolvenzrecht
  • 1. Unionsregister
  • 2. Kostenlose Zuteilung der Emissionsberechtigungen im Spannungsfeld des Insolvenzrechts
  • 3. Neufassung des § 25 Abs. 3 TEHG hinsichtlich der Abgabepflicht
  • 4. Änderung des § 22 InsO hinsichtlich der Fortführungspflicht des starken vorläufigen Insolvenzverwalters
  • 5. Anpassung des Gesetzes hinsichtlich der Betreibereigenschaft des Insolvenzverwalters
  • Reihenübersicht

A. Einleitung

I. Einführung

Das Emissionshandelsrecht als Teil des klimaschützenden Energierechts ist auch nach mehr als 15 Jahren im fortlaufenden Wandel. Permanente Anpassungen führen insoweit zu einem sich stetig verändernden System. Wesentliche Teilbereiche des Emissionshandelsrechts sind indes weiterhin ungeklärt. Bemerkenswert ist, dass insbesondere die Rechtsnatur der Emissionszertifikate und deren Übertragung noch nicht abschließend geklärt ist. Die Funktionsfähigkeit in klimaschützender Hinsicht scheint trotzdem gegeben zu sein. Jedenfalls führt das Emissionshandelsrecht zu einer permanenten Senkung der unionsweiten Treibhausgasemissionen,1 sodass das System in diesem Zusammenhang als erfolgreich zu bewerten ist. Diese Annahme teilt auch der deutsche Gesetzgeber, da nunmehr weitere treibhausgasemittierende Bereiche unter ein Emissionshandelssystem gestellt werden. Mit dem ab 2021 allein in Deutschland geltenden Brennstoffemissionshandel wird über nationale Senkungsmechanismen ein Beitrag zum weitergehenden Klimaschutz eingeführt. Ob auch diese Art des Klimaschutzes von Erfolg gekennzeichnet ist, wird die Zukunft zeigen. Diese Arbeit soll ohnehin keinen Beitrag zur vielfach geäußerten Kritik am Emissionshandelssystem darstellen, sondern dieses vielmehr als gegeben annehmen und die rechtlichen Gegebenheiten diskutieren.

Insbesondere das Spannungsfeld zum Insolvenzrecht und dabei die Betreiberpflichten aus dem Emissionshandelsrecht im Insolvenzverfahren soll herausgearbeitet werden. Diese Diskussion ist noch nicht ausgiebig geführt worden, daher besteht insoweit der Bedarf einer vorläufigen Einordnung, welche nicht den Anspruch hat, die Diskussion zu beenden, sondern vielmehr dem Spannungsfeld zwischen öffentlichem Recht und Insolvenzrecht neue Impulse zur Harmonisierung mitzugeben.

Eingangs sind die Grundlagen des CO2-Emissionshandels herauszuarbeiten. Insgesamt soll sich bei der Darstellung auf die Punkte zur Entwicklung des Emissionshandelsrechts werden, die die Ziele des Emissionshandels verdeutlichen. Die vorherige politische Auseinandersetzung hinsichtlich der Meinungsbildung und Debatten wird insoweit außer Acht gelassen. Dies ist an anderer Stelle bereits umfassend dargestellt worden.

Das Hauptaugenmerk der hier angezeigten Darstellung erstreckt sich daher auf die wesentlichen Fragen des Emissionshandels und erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit bezüglich der einzelnen Senkungsziele und weiteren politischen Entscheidungen. Dennoch sind Erklärung und Darstellung der Richtlinien, Verordnungen sowie die deutsche Umsetzung von großem Belang, um den Sinn und Zweck des Emissionshandels sowie dessen rechtliche Umsetzung zu verstehen. Die ökonomische und verfassungsrechtliche Kritik wird an den relevanten Stellen aufgegriffen, kann aber in dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden, sodass auch hier Verweise zu weiterführender Literatur unumgänglich sind.

Die Grundlagen des Emissionshandels sind durch das sogenannte „Cap-and-Trade“-System2 begründet. Demnach ist die absolute Begrenzung der staatlich festgelegten Zertifikatsmenge in Form eines „Cap“(= Obergrenze) bestimmt, welches in festgelegten Abständen um bestimmte Anteile reduziert wird. Durch den damit verknüpften Handel („Trade“) wird die Möglichkeit eines Austausches des verknappten Guts „Luftverschmutzungsrecht“ am Markt implementiert, um wettbewerbliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die letztlich dem Klimaschutz in ökonomischer Weise dienen sollen, ohne dass dafür unmittelbare ordnungsrechtliche Maßnahmen – bis auf die absolute Mengenbegrenzung und dessen in bestimmten Zeitabschnitten festgelegte Kürzungen – herangezogen werden.3 Die auf die Wirksamkeit bezogene Annahme ist insoweit, dass die Anreize einer marktwirtschaftlichen und wettbewerblichen Ausgestaltung eine effektivere Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen hinsichtlich der Anlagenoptimierung im Hinblick auf den Klimaschutz haben, da die „Verschmutzer“ der Luft im Rahmen ihrer die Luft verschmutzenden Anlagen in Form von Ablagerungen in der Atmosphäre angehalten sind, bei der Anlagentechnik klimaschonende Verbesserungen vorzunehmen, deren Grundlage genuin unternehmerische Entscheidungen sind.4 Die rechtlichen Grundlagen des EU-Emissionshandels gehen auf den völkerrechtlichen Vertrag der internationalen Staatengemeinschaft zu Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen – dem Protokoll von Kyoto – zurück, welcher zum Gegenstand hatte, die Treibhausgasemissionen5 dauerhaft zu senken, um dem Klimawandel entgegenzuwirken.6 Die Konferenz in Kyoto im Dezember 1997 hatte die Unterzeichnung des Protokolls der damaligen Mitgliedstaaten der EG am 29. April 1998 zur Folge. Zunächst sollten die Treibhausgasemissionen im Zeitraum von 2008 bis 2012 der unterzeichnenden Länder um mindestens 5 % gegenüber dem Stand von 1990 verringert werden.7 Die weitergehende Ausgestaltung innerhalb der Mitgliedsstaaten der damaligen EU8 wurde demgegenüber differenzierter ausgestaltet.9 Sodass auf die verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Zielvorgaben angefallen sind. Vorgesehen war außerdem ein zunächst nur staatenbezogener Emissionshandel über eigene flexible Mechanismen, um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen.10 Darin ist die erste völkerrechtliche Bemühung eines länderübergreifenden Emissionshandelssystems zu sehen, ohne jedoch tiefergehende strukturelle Fragen zur Ausgestaltung festzulegen. Durch die in der damaligen Zeit anstehende EU-Osterweiterung 2004 sah man sich zuvor im Jahr 1998 einer Diskussion der ausgleichenden Lastenverteilung der Klimaschutzziele ausgesetzt, die mithilfe des Lastenverteilungsabkommens (sog. Burden-Sharing-Agreement)11 ein Ende fand und als Teil des Kyoto-Protokolls aufgenommen wurde.12 Geregelt wurde damit, dass die (damals) neuen Mitglieder der EU nicht unter den als streng empfundenen Klimaschutzregelungen volkswirtschaftlich zu leiden haben und die industriell, mithin volkswirtschaftlich stärkeren Mitgliedstaaten einen Beitrag zur diesbezüglichen Lastenverteilung leisten.13 Zusätzlich wurde das Grünbuch zum Handel mit Treibhausgasemissionen in der EU14 in der Folge verabschiedet, um erste Handlungsparameter des Emissionshandels aufzustellen. Dabei wird der aus der damaligen Perspektive angestrebte neuartige Handel zwischen den Unternehmen mitunter als „Experimentierfeld“15 bezeichnet. Außerdem reifte in der EU die Erkenntnis, dass ein eigens kontrollierbares System des Emissionshandels vorzugswürdiger war, um die Klimaziele zu erreichen, da die rechtliche Kontrollier- und Durchsetzbarkeit des durch das Kyoto-Protokoll angedachte Emissionshandelssystem im breiten UN-Konsens nicht gewünscht war.16

Das unionsweite Emissionshandelssystem wurde mit der Richtlinie 2003/87/EG17 für die Mitgliedstaaten verabschiedet. Ausweislich des Erwägungsgrunds 1 baut die Richtlinie 2003/87/EG auf dem Grünbuch zum Handel mit Treibhausgasemissionen auf, sodass die Auslegung auch im Lichte des Grünbuches zu erfolgen hat. Hervorgegangen ist sie aus der Vorgängerrichtlinie 96/61/EG, dem sechsten Aktionsprogramm der Gemeinschaft für Umwelt und dem Kyoto-Protokoll.18 Die Vorgabe an die Mitgliedsstaaten zur Ausgestaltung des Emissionshandelssystems beinhaltete dabei schon in der ursprünglichen Fassung solche zur Emissionsgenehmigung (Art. 4 ff.), die Aufstellung nationaler Allokationspläne (Art. 9), die Zertifikatszuteilung (Art. 10 f.) sowie die Ausgestaltung des Handels- und Abgabesystems (Art. 12 f.). Daher sind schon mit der Emissionshandelsrichtlinie die Grundpfeiler des Emissionshandelsrechts in der heutigen Ausprägung gelegt worden. Erkennbar ist jedoch außerdem, dass sich auf unionsebene lediglich Gedanken gemacht wurden, wie der Emissionshandel an einem funktionierenden Markt ausgestaltet werden soll, nicht hingegen, hinsichtlich der Frage, inwieweit Regelungen zu erlassen sind, die diejenigen emissionshandelspflichtigen Akteure betreffen, die zahlungsunfähig werden.

Die Ausgestaltung der ersten Handelsperiode innerhalb einer dreijährigen sog. Test- und Lern- oder Probephase19 sah eine zu mindestens 95 % kostenlose Zuteilung von Zertifikaten ab dem 1. Januar 2005 vor.20 In der folgenden Konsolidierungsphase (2. Handelsperiode) wurde die kostenlose Zuteilung auf 90 % für einen fünfjährigen Handelszeitraum ab 1. Januar 2008 abgesenkt.21 Insgesamt ist erkennbar, dass in der Anfangszeit des Emissionshandels die klimaschützenden Maßnahmen nicht sehr streng umgesetzt worden sind. Ab Anfang 2012 wurde auch der Luftverkehr in den Emissionshandel einbezogen, nach einer ab 2010 laufenden Überwachungsphase der Treibhausgasemissionen.22

Der ersten und zweiten Handelsperiode war immanent, dass insoweit die Zuteilungsausgestaltung den Mitgliedsstaaten gem. Art. 11 Abs. 2 RL 2003/87/EG überlassen worden ist, wenngleich die Kommission schon innerhalb dieser Handelsperioden durch die Einführung konkreter Vorgaben bezüglich der nationalen Allokationspläne Verkürzungen hinsichtlich der Zuteilungsobergrenzen durchgesetzt hat, um die Klimaziele zu erreichen.23

Die Emissionsberechtigungen sind zwar als Emissionszertifikate im europarechtlichen Sinne europaweit handelbar, die anhand der Richtlinie gemachten Vorgaben an die Mitgliedstaaten sind dabei jedoch denkbar knapp.24

Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 g RL 2003/87/EG gibt lediglich vor, dass die Zertifikate zwischen natürlichen und juristischen Personen innerhalb der Gemeinschaft sowie zwischen Personen innerhalb der Gemeinschaft und Personen in Drittländern, mit denen Abkommen im Sinne von Art. 25 Abs. 1 RL 2003/87/EG über die gegenseitige Anerkennung der Zertifikate geschlossen wurden, übertragbar sind.

Im Zuge des EU-Klimapakets 202025 war eine weitere Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2020 in Höhe von mind. 20 % und bis 2050 von mind. 50 % im Vergleich zu 1990 vorgesehen.26 Demnach erfolgten signifikante Anpassungen durch die Änderungsrichtlinie 2009/29/EG, um insbesondere die Möglichkeiten der nationalen Ausgestaltung unternehmensfreundlicher Allokationspläne zu beenden.27 Mithin sollte eine unionsweite Emissionsobergrenze gewährleisten, dass die Klimaziele erreicht werden. Außerdem war eine grundlegende Harmonisierung der Umsetzung des Emissionshandels innerhalb der Mitgliedstaaten in der dritten Handelsperiode ab 2013 bis 2020 vorgesehen.28 Diesbezüglich wurde die Vollversteigerung der Zertifikate als Allokationsmethode und das Grundprinzip der Zuteilung gem. Art. 10 2009/29/EG in Verbindung mit Erwägungsgrund 15 eingeführt.

Der zeitliche und administrative Ablauf wurde mithilfe der VO 1031/2010 (Versteigerungsverordnung) ausgestaltet.29 Damit sollte insbesondere die Funktionsfähigkeit der Maßnahmen des Emissionshandels erhöht werden, indem ein Preis für die Zertifikate durch den Markt bestimmt werden sollte.30

Die sogenannten Carbon-Leakage-Sektoren31 waren jedoch von der Versteigerung ausgenommen und erhielten in der dritten Handelsperiode weiterhin kostenlos eine anhand eines Benchmarks auszurichtende Menge an kostenlosen Zertifikaten, um der Abwanderung besonders energieintensiver Bereiche aus der EU vorzubeugen.32 Die Gesamtzuteilungsmenge verringerte sich jedoch jährlich bis 2020 um einen linearen Faktor von 1,74 %.33

Vor dem Hintergrund der Minderungsziele hat die Kommission zusätzlich Maßnahmen ergriffen, um die Effektivität des Emissionshandels im Laufe der dritten Handelsperiode zu steigern. Die niedrigen Preise der Zertifikate34 haben nämlich tiefgreifende Investitionen zugunsten der Emissionsminderung nicht notwendigerweise erforderlich gemacht. Daher wurden Emissionsberechtigungen zeitweise durch die EU zurückgehalten („Backloading“)35 und in eine „Marktstabilitätsreserve“36 überführt.37 Dies konnte den zwischenzeitlichen Preisverfall aufhalten und führte zu einer Stabilisierung der Preise am Markt.38 Ausgangspunkt der Mühen um eine weitere Herabsenkung der Treibhausgasemissionen ist auch die die 2018 eingeführte EU-Klimaschutzverordnung in VO 2018/842/EU.39 Diese Verordnung sieht gem. Abs. 1 in den Erwägungsgründen eine Senkung der Treibhausgasemissionen von mindestens 40 % bis 2030 im Vergleich zum Basisjahr 1990 vor.

Ein Werkzeug zur Erreichung dieser Ziele ist die weitere Reform des Emissionshandels, woraufhin durch die Richtlinie 2018/410/EU40 die Reform des EU-Emissionshandels in der von 2021 bis 2030 andauernden 4. Handelsperiode weitergeführt wird.

Details

Pages
132
Publication Year
2024
ISBN (PDF)
9783631916537
ISBN (ePUB)
9783631916544
ISBN (Hardcover)
9783631916506
DOI
10.3726/b21682
Language
German
Publication date
2024 (August)
Keywords
Insolvenzrecht Emissionshandelsrecht Klimaschutz Gläubigerschutz
Published
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024., 132 S.
Product Safety
Peter Lang Group AG

Biographical notes

David Fabian Krüger (Author)

David Krüger hat an der Freien Universität Berlin, der University of Birmingham und der Universität zu Köln Rechtswissenschaften studiert. Im Anschluss an das erste juristische Staatsexamen war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäisches Wirtschaftsrecht. Nach Abschluss des Vorbereitungsdienstes in Niedersachsen, ist er nun Richter in Hamburg.

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