Lade Inhalt...

Zivilrechtliche Haftung bei Leerverkaufsattacken

von Bastian Siegert (Autor:in)
©2024 Dissertation 366 Seiten

Zusammenfassung

Der Versuch von Investoren, aktiv Einfluss auf die Kapitalmärkte zu nehmen, ist ein bekanntes Phänomen. Das Interesse, die größtmögliche Wertsteigerung seiner Investitionen zu erreichen, ist nachvollziehbar und nicht überraschend. Durch den Paradigmenwandel in der Mediennutzung sind jedoch neue Möglichkeiten der Einflussnahme hinzugetreten. Das Internet und die sozialen Medien dezentralisieren Informationen und potenzieren Reichweiten- und Skaleneffekte. Beides sind zentrale Erfolgsfaktoren für Leerverkaufsattacken. Doch während Leerverkäufe historisch der Absicherung von Kursrückgängen dienten, sorgen Leerverkaufsattacken für spektakuläre Gewinne in kürzester Zeit. Mit diesen Gewinnen gehen spiegelbildliche Verluste von Aktionären einher, wodurch der Aufschrei in den Medien häufig groß ist. Doch Leerverkaufsattacken sind mehr als monokausale Ereignisse. Dieses Buch ist ein Versuch, Leerverkaufsattacken interdisziplinär einzuordnen und zivilrechtliche Haftungsfragen zu klären.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung und Gang der Darstellung
  • I. Ziel der Arbeit
  • II. Herangehensweise
  • B. Zivilrechtliche Einordnung von Leerverkäufen
  • I. Schuldrechtliche Einordnung
  • 1. Gedeckte Leerverkäufe
  • 2. Ungedeckte Leerverkäufe
  • 3. Zwischenergebnis
  • 4. Zwingende Voraussetzungen für ein Deckungsgeschäft
  • a) Unbedingtheit
  • b) Dauer der verbindlichen Deckung
  • c) Ausreichende Anzahl
  • d) Vor- oder gleichzeitiger Abschluss des Deckungsgeschäfts
  • e) Gewährleistung der Abwicklung
  • 5. Ergebnis zur schuldrechtlichen Einordnung
  • II. Dingliche Einordnung von Leerverkäufen
  • 1. Zivilrechtliches Eigentum
  • a) Übertragung
  • b) Miteigentümerstellung und Übertragung verwahrter Aktien
  • c) Dingliche Einigung
  • d) Besitzverschaffung
  • e) Durchführung
  • f) Unterschiede beim außerbörslichen Handel
  • g) Ergebnis zum zivilrechtlichen Eigentum
  • 2. Wirtschaftliches Eigentum im Kontext von Leerverkäufen
  • a) Sinn und Zweck der Differenzierung
  • b) Grundsatz des wirtschaftlichen Eigentums nach der EU-LVVO
  • c) Klarstellung durch die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 918/2012
  • d) Ausnahmen der EU-LVVO
  • e) Divergierende Verständnisse in Bezug auf wirtschaftliches Eigentum
  • f) Wirtschaftliches Risiko im Kontext des wirtschaftlichen Eigentums
  • aa) Verständnis der dinglichen Rechtslage
  • bb) Verständnis der EU-LVVO
  • g) Ergebnis zur dinglichen Einordnung
  • C. Ordnungsrechtlicher Rahmen bei Leerverkäufen
  • I. Gedeckte und ungedeckte Leerverkäufe im Ordnungsrahmen
  • II. Einschränkungen und Verbote in Ausnahmesituationen
  • III. Melde-,Veröffentlichungs- und Anzeigepflichten
  • 1. Netto-Leerverkaufsposition
  • 2. Zweistufige Transparenzkontrolle
  • 3. Weitere Pflichten und Ausnahmen
  • 4. Folgen bei Verstößen gegen die EU-LVVO
  • 5. Zwischenergebnis
  • D. Problemstellung bei Leerverkaufsattacken
  • I. Einflussnahme der Leerverkäufer – Leerverkaufsattacken
  • II. Zielrichtung und betroffene Parteien der Leerverkaufsattacke
  • III. Erfolgreiche Leerverkaufsattacken
  • 1. Ströer
  • 2. Aurelius
  • 3. Wirecard
  • 4. Ergebnis
  • E. Interdisziplinäre Einbettung des Problemkreises
  • I. Ökonomische Grundlagen von Leerverkäufen
  • 1. Historische Einordnung und ,Hedging‘
  • 2. Aktives und passives Investieren aus ökonomischer Sicht
  • a) Aktive und passive Portfoliostrategie
  • b) Aktive und passive Leerverkäufe
  • c) Ökonomische Vorteile von Leerverkäufen
  • d) Positive Effekte durch aktive Leerverkäufer
  • e) Missbrauchspotenzial durch Leerverkaufsattacken
  • f) Fazit der ökonomischen Betrachtung
  • II. Qualitative Entwicklung des medialen Manipulationsregimes
  • 1. Verbreitung über das Internet und soziale Netze
  • 2. ,Social Bots‘ und deren Einflussnahme auf die Meinungsbildung
  • 3. Ergebnis
  • III. Fazit zur interdisziplinären Einbettung
  • F. Einordnung von Leerverkaufsattacken als Tatsache oder Werturteil
  • I. Tradierte Abgrenzungskriterien
  • II. Äußerungsbezogene Darstellung von Leerverkaufsattacken
  • 1. Ströer. /. Muddy Waters
  • a) Einleitung und Prägung des Berichts
  • b) ,Ergebnis‘ mit vermeintlichem Tatsachenbezug
  • c) Zwischenergebnis zum Muddy-Waters-Bericht
  • d) Gegendarstellung durch Ströer
  • e) Einordnung als Werturteil oder Tatsache als Conclusio ,beider Seiten‘
  • aa) Untersuchung des Begriffs der organischen Wachstumsrate
  • bb) Bilanzielle Gestaltung als Wertungsfrage
  • cc) Die organische Wachstumsrate als Zeitpunktproblem
  • dd) Wertungsfrage und Werturteil im bilanziellen Kontext
  • f) Ergebnis der Untersuchung des Muddy-Waters-Berichts
  • 2. Aufstellung einer These zu ökonomisch-derivativen Äußerungen
  • 3. Aurelius. /. Gotham City Research
  • a) Einleitung und Prägung des Berichts
  • b) Gestaltung mit vermeintlichem Tatsachenbezug
  • c) Angeführte Erkenntnisse von Gotham City Research
  • d) Vergleiche mit dem Muddy-Waters-Bericht
  • e) Validierung der aufgestellten These zu ökonomisch-derivativen Äußerungen am Beispiel des Goodwills
  • aa) Untersuchung des Goodwill-Problemkreises
  • bb) Ansatzmöglichkeiten des erworbenen Goodwills
  • cc) Folgebewertung anhand des Impairment-Tests
  • dd) Zwischenergebnis zum Goodwill-Problemkreis
  • ee) Rechtliche Bewertung des Goodwills als Tatsache oder Werturteil
  • ff) Ergebnis zur rechtliche Einordnung des Goodwill als ökonomisch-derivative Äußerung
  • f) Rechtliche Einordnung der Äußerungen zur Person und Historie
  • g) Einordnung der personenbezogenen Äußerungen
  • h) Ergebnis der Untersuchung des Gotham-City-Berichts
  • 4. Erkenntnisse zur These der ökonomisch-derivativen Äußerungen
  • 5. Wirecard. /. Zatarra Research & Investigations
  • a) Zusammengefasste Wiedergabe des Inhalts
  • b) Aufbau und sprachliche Ausgestaltung
  • c) Gesamtzusammenhang und Einordnung
  • aa) Implizite Aussage des Zatarra-Berichts
  • bb) Einordnung der (Bild-)Zitate
  • cc) Einordnung der Vermutungen
  • dd) Ergebnis zur Einordnung von Werturteil und Tatsachenbehauptung
  • ee) Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München gegen Zatarra
  • ff) Das Aufdeckungspotenzial von Leerverkäufern im Fall Wirecard
  • 6. Vergleich der dargestellten Leerverkaufsattacken
  • 7. Abschließende Anmerkungen zu ökonomisch-derivativen Äußerungen
  • 8. Ergebnis der Untersuchungen
  • G. Einordnung von Leerverkaufsattacken nach der Marktmissbrauchsverordnung
  • I. Falsche Anlageempfehlungen i. S. v. Art. 20 Abs. 1 MAR
  • 1. Anwendungsbereich des Art. 20 Abs. 1 MAR
  • a) Sachlich
  • aa) Information über Finanzinstrumente oder den Emittenten
  • bb) Explizite oder implizite Empfehlung
  • cc) Für Verbreitungskanäle oder die Öffentlichkeit vorgesehen
  • dd) Weitere sachliche Voraussetzungen und Zwischenergebnis
  • b) Persönlich
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Offenlegung des Interessenkonflikts
  • 3. Objektivität
  • a) Trennungsgebot
  • b) Angaben und Bewertung der Informationsquellen
  • c) Klarheitsgebot
  • d) Zwischenergebnis zu den Objektivitätsanforderungen
  • 4. Ergebnis
  • II. Marktmanipulation i. S. v. Art. 15, 12 MAR
  • 1. Aufbau der Normstruktur
  • 2. Art. 12 Abs. 1 lit. a) MAR
  • a) Abschluss eines Geschäfts und jede andere Handlung
  • b) ,Trash and cash‘ als Fall des Art. 12 Abs. 1 lit. a) MAR
  • 3. Art. 12 Abs. 1 lit. b) MAR
  • a) Streitpunkt der handlungsgestützten Marktmanipulationen
  • b) Informationsgestützte Marktmanipulationen unter Art. 12 Abs. 1 lit. b) MAR
  • c) Scalping als Unterfall des Art. 12 Abs. 1 lit. b) MAR
  • 4. Art. 12 Abs. 1 lit. c) MAR
  • 5. Art. 12 Abs. 1 lit. d) MAR
  • 6. Zwischenergebnis und Abgrenzung von ,Trash and Cash‘ sowie Scalping
  • III. Ergebnis
  • H. Sanktionskatalog bei Marktmanipulationen
  • I. Verwaltungsrechtliche Sanktionen und Maßnahmen
  • 1. Personelle Sanktionen
  • 2. Monetäre Sanktionen
  • 3. ,Naming and Shaming‘
  • 4. Ergebnis
  • II. Strafrechtliche Sanktionen
  • 1. Europäische Vorgaben zur Strafbarkeit nach der Crim-MAD
  • a) Selbstständige Tatbestandsvarianten der Crim-MAD
  • b) Unterschiede zwischen MAR und Crim-MAD
  • aa) Tatsächliche Preisbeeinflussung
  • bb) Vorsatzerfordernis
  • cc) Vorliegen eines schweren Falls
  • c) Strafandrohung
  • 2. Nationale Umsetzung des Verbotstatbestands und der Crim-MAD
  • a) Umsetzung der Vorgaben zu verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen
  • b) Umsetzung der Vorgaben der strafrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen
  • c) Zwischenergebnis und Einordnung der Sanktionsvorgaben
  • III. Verhältnis der verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen
  • IV. Ergebnis und Einordnung als ,Public Enforcement‘
  • V. Ausschluss zivilrechtlicher Sanktionen
  • 1. Schweigen der MAR und Crim-MAD
  • 2. Schweigen mit Negativerklärung
  • a) Methodische Problemstellung beim gesetzgeberischen Schweigen
  • b) Qualifiziertes Schweigen der MAR auf Unionsrechtsebene
  • c) Auswirkungen des Schweigens auf das Recht der Mitgliedstaaten
  • 3. Aussagekraft des Art. 32 MAR für das Private Enforcement
  • 4. Sperrwirkung durch die Einheitlichkeit der Kapitalmarktunion
  • a) Österreich
  • b) Frankreich
  • c) Irland
  • d) Zypern
  • e) Großbritannien (historisch)
  • f) Zwischenergebnis zur transnationalen Betrachtung
  • VI. Ergebnis
  • I. Voraussetzungen für zivilrechtliche Ansprüche als Sanktion nach dem Unionsrecht
  • I. Effektive Durchsetzung des Unionsrechts
  • 1. Unionsrechtlicher Sanktionsbegriff
  • a) Ziel der Einhaltung von Verhaltensnormen
  • b) Abschreckende Wirkung
  • c) Verhältnismäßigkeit
  • 2. Ergebnis
  • II. Ursprung der funktionalen Subjektivierung und Herleitung des Anforderungskatalogs für implizite Klagerechte
  • 1. Courage-Entscheidung
  • a) Sachverhalt und Würdigung
  • b) Schlussfolgerungen aus der Courage-Entscheidung
  • c) Kritik an der Courage-Entscheidung
  • 2. Manfredi-Entscheidung
  • a) Sachverhalt und Würdigung
  • b) Schlussfolgerungen aus der Manfredi-Entscheidung
  • 3. Die Grundsätze nach Courage und Manfredi
  • 4. Muñoz-Entscheidung
  • a) Sachverhalt und Würdigung
  • b) Schlussfolgerungen aus der Muñoz-Entscheidung
  • 5. Lehren aus den Rs. Courage, Manfredi, Muñoz
  • III. Subjektive Rechte als allgemeines Strukturprinzip im Unionsrecht
  • 1. Anforderungen an ungeschriebene subjektive Rechte
  • a) Unmittelbare Anwendbarkeit
  • b) Qualität der persönlichen Betroffenheit
  • aa) Allgemeiner Normvollziehungsanspruch
  • bb) Schutzzweckerwägungen nach der Schutznormtheorie
  • cc) Prinzip der funktionalen Subjektivierung
  • (1) Grundidee
  • (2) Sachliches Kriterium der Schutzintention
  • (3) Personelles Kriterium der faktischen Betroffenheit
  • 2. Ergebnis zum Verständnis subjektiver Rechte
  • 3. Schmolkes Einwände zur institutionellen Balance
  • a) Kernaussagen der Grundsätze
  • b) Stellungnahme
  • c) Berücksichtigung der institutionellen Balance bei der weiteren Prüfung
  • 4. Bestimmen eines Durchsetzungsdefizits
  • a) Gebot maximaler Wirksamkeit als angestrebtes Durchsetzungsniveau
  • b) Erstrebte Effektivität als angestrebtes Durchsetzungsniveau
  • c) Zwischenergebnis
  • d) Bestehen eines Durchsetzungsdefizits
  • e) Institutionelle Aspekte der Rechtsfortbildung bei Durchsetzungsdefiziten
  • f) Zwischenergebnis
  • IV. Abstraktes Prüfungsvorgehen zur Begründung subjektiver Rechte
  • J. Übertragung der Ergebnisse auf das Marktmanipulationsregime
  • I. Institutionelle Aspekte und Vorliegen eines Durchsetzungsdefizits
  • 1. Vorliegen eines institutionellen Konflikts
  • 2. Harmonisierungsgrad
  • 3. Durchsetzungsdefizit
  • a) Erstrebtes Durchsetzungsniveau
  • b) Vorliegen eines Durchsetzungsdefizits
  • aa) Blickwinkel der ESMA und Berichtspflicht des Art. 38 MAR
  • bb) Ältere Studien von La Porta/Lopez-de-Silanes und Jackson/Roe
  • cc) Neuere Studie von Mitts
  • dd) US-Petition zur SEC Rule 10b-5 von Coffee/Mitts et al. (2020)
  • ee) Übertragbarkeit der US-Studien auf den europäischen Kapitalmarkt
  • ff) Besondere Situation in Deutschland
  • (1) Jahresbericht der BaFin
  • (2) Fazit zur besonderen Situation in Deutschland
  • gg) Vergrößerung des Durchsetzungsdefizits durch technischen Fortschritt
  • hh) Stellungnahme zum Durchsetzungsdefizit
  • ii) Wahrung der institutionellen Balance
  • II. Unmittelbare Anwendbarkeit unter Privaten
  • III. Vorliegen einer faktischen Betroffenheit
  • IV. Effektivitätsgewinn durch funktionale Subjektivierung
  • 1. Grammatikalische Erwägungen und Einbettung des Regelungsziels
  • a) Leitbild der Erwägungsgründe
  • b) Programmatik des Art. 1 MAR
  • c) Anlegerschutz als Anknüpfungspunkt
  • aa) Anlegerschutz als neues Regelungsziel der MAR
  • bb) Bestätigung durch andere Sprachfassungen der MAR
  • cc) Grammatikalische Auslegung des Anlegerschutzes
  • dd) Teleologisch-intendierte Auslegung des Anlegerschutzes i. S. d. MAR
  • ee) Zweckdichotomie und inhaltliche Interdependenzen des Anlegerschutzes
  • d) Ergebnis der grammatikalischen Erwägungen
  • 2. Systematische Erwägungen
  • a) Marktmissbrauchsverordnung
  • aa) Rechtsakt der Verordnung
  • bb) Aktivierung Privater im Wege des Public Enforcement (Art. 32 MAR)
  • (1) Ansatz der MAR
  • (2) Studien zur Effektivität von Whistleblowern (Dodd-Frank Act)
  • (3) Schlussfolgerungen für die Marktmissbrauchsverordnung
  • (4) Ergebnis
  • cc) Überprüfungsbestreben als Überarbeitungsprärogative
  • dd) Zwischenergebnis zur systematischen Betrachtung der Marktmissbrauchsverordnung
  • b) Rechtsaktübergreifende Erwägungen
  • aa) Richtlinien
  • (1) Transparenz- und Prospektrichtlinie
  • (2) MiFID I und II
  • bb) Verordnungen
  • (1) Leerverkaufsverordnung
  • (2) Ratingagenturen-Verordnung (Ratingagenturen-VO)
  • (3) PRIIP-Verordnung
  • (4) Verordnung über langfristige EU-Investmentfonds (ELFIF/ELTIF)
  • (5) Benchmark-Verordnung
  • (6) Prospektverordnung
  • cc) Ergebnis zur rechtsaktübergreifenden Betrachtung
  • c) Ergebnis der systematischen Erwägungen
  • 3. Historisch-entwicklungsbezogene Erwägungen
  • 4. Teleologisch-ökonomische Erwägungen
  • a) Vorteile des Public Enforcement
  • b) Nachteile des Public Enforcement
  • c) Vorteile des Private Enforcement
  • d) Nachteile des Private Enforcement
  • e) Zwischenergebnis zu den Vor- und Nachteilen der Enforcement-Ansätze
  • 5. Ergebnis der Auslegung der MAR
  • V. Erfüllung der Sanktionsanforderungen
  • 1. Wirksamkeit
  • 2. Abschreckung
  • a) Sanktionshöhe
  • b) Sanktionswahrscheinlichkeit und ,Unterabschreckung‘
  • c) Empirische Messschwierigkeiten bei Sanktionen
  • 3. Verhältnismäßigkeit und ,Überabschreckung‘
  • 4. Zwischenergebnis
  • VI. Gesamtergebnis des Kapitels
  • 1. Darstellung der Ergebnisse
  • 2. Schlussfolgerungen
  • K. Das Haftungspostulat in Deutschland
  • I. Haftung gegenüber dem Emittenten
  • 1. § 117 Abs. 1 S. 1 AktG
  • 2. Art. 35a Abs. 1 UAbs. 2 Ratingagenturen-VO
  • 3. § 4 Nr. 1 und 2 UWG
  • 4. Treupflicht des Leerverkäufers gegenüber dem Emittenten
  • a) Herleitung der Treupflicht
  • aa) Entwicklung der Rechtsprechung
  • bb) Traditionelle Ansichten in der Literatur
  • cc) Treuhandrechtliche Begründung
  • dd) Zwischenfazit
  • b) Umfang der Treupflicht
  • aa) Persönlich
  • bb) Sachlich
  • (1) Mitgliedschaftlicher Bereich
  • (2) Allgemeine Nebenpflicht
  • c) Subsumtion von Leerverkaufsattacken als Treupflichtverletzung
  • aa) Leerverkäufer ist Aktionär
  • (1) Wertpapierleihe und vergleichbare Rechtsverhältnisse
  • (2) Lokalisierungsvereinbarung nach Art. 12 Abs. 1 c) EU-LVVO
  • (3) Zwischenergebnis
  • bb) Zeitpunkt der Aktionärsstellung
  • cc) Vor- bzw. nachmitgliedschaftliche Verletzung
  • d) Stellungnahme
  • 5. § 824 BGB
  • 6. § 823 Abs. 1 BGB
  • a) Das Recht am Unternehmen
  • aa) Schutzobjekt
  • bb) Betriebsbezogener Eingriff
  • (1) Tatsächliche Auswirkungen der Leerverkaufsattacke für das Unternehmen
  • α) Reputation als Teil des Rechts am Unternehmen
  • β) Reputation als Disziplinierungsmittel
  • γ) Reputation als Vermögenswert
  • δ) Berechnung des Reputationsschadens
  • ε) Karpoff/Lee/Martin-Studie zum Reputationsverlust
  • ζ) Übertragbarkeit der Event Study auf Leerverkaufsattacken
  • η) Zwischenergebnis der Reputation als Teil des Rechts am Unternehmen
  • (2) Zwischenergebnis
  • cc) Rechtswidrigkeit
  • (1) Güter- und Interessenabwägung
  • (2) Strengere Anforderungen an die Rechtswidrigkeit
  • α) Ratingagenturen
  • β) Boykottaufruf ohne wettbewerbliche Zielsetzung
  • γ) Kirch. /. Deutsche Bank
  • δ) Fazit
  • (3) Äußerste Grenze zur Rechtswidrigkeit
  • dd) Ergebnis
  • b) Unternehmenspersönlichkeitsrecht
  • aa) Übertragbarkeit auf Unternehmen
  • bb) Verletzungshandlung
  • cc) Rechtswidrigkeit
  • dd) Ergebnis
  • 7. § 823 Abs. 2 BGB
  • a) Begriff des Schutzgesetzes
  • b) Einzelne Schutzgesetze
  • aa) § 187 StGB
  • (1) Taugliche Tatobjekte
  • (2) Tathandlungen und subjektiver Tatbestand
  • (3) Einordnung von Leerverkaufsattacken in den Tatbestand des § 187 Hs. 2 StGB
  • (4) Ergebnis
  • bb) § 186 StGB
  • cc) § 185 StGB
  • dd) Art. 15, 12 MAR
  • c) Ergebnis
  • 8. § 826 BGB
  • a) Sittenwidrigkeit als Tatbestandsmerkmal
  • b) Einordnung von Leerverkaufsattacken
  • c) Subsumtion der Sittenwidrigkeit
  • aa) Verwerflichkeit des Zwecks
  • bb) Verwerflichkeit des Mittels
  • cc) Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation
  • dd) Pervertierung durch Leerverkaufsattacken
  • d) Ergebnis
  • 9. Gesamtergebnis aus Sicht des Emittenten
  • II. Haftung gegenüber den Aktionären
  • 1. § 117 Abs. 1 S. 1, 2 AktG.
  • 2. Art. 35a Ratingagenturen-VO
  • 3. Treupflicht des Leerverkäufers gegenüber den anderen Aktionären
  • 4. § 824 BGB
  • 5. § 823 Abs. 1 BGB
  • 6. § 823 Abs. 2 BGB
  • a) Art. 15, 12 MAR
  • aa) Schutzgesetzqualität
  • (1) Schutznormtheorie
  • α) Grammatikalische Erwägungen
  • β) Systematische Erwägungen
  • γ) Historische Erwägungen
  • δ) Teleologische Erwägungen
  • ε) Zwischenergebnis
  • (2) Unionsrechtskonforme Auslegung im Rahmen der funktionalen Subjektivierung
  • bb) Anspruchsberechtigung
  • (1) Abgrenzung zwischen Alt- und Neuanlegern
  • α) Altanleger
  • β) Neuanleger
  • (aa) Einschränkungen des Schutzzwecks
  • (bb) Vergleich zur ähnlich gelagerten Diskussion bei § 263 StGB
  • (cc) Schlussfolgerungen für Art. 15 MAR
  • (dd) Zwischenergebnis zum Schutzgut des Art. 15 MAR
  • (2) Ergebnis
  • cc) Kausalität
  • (1) Abgrenzung von haftungsbegründender und -ausfüllender Kausalität
  • (2) Haftungsbegründende Kausalität
  • α) Fraud-on-the-market Theory
  • β) Informationsarbitragegewinne und Preisintegrität
  • (3) Haftungsausfüllende Kausalität
  • α) Darstellung der bisherigen Rechtsprechungslinie des BGH
  • β) Einordnung und Stellungnahme
  • dd) Schadensermittlung
  • (1) Vertragsabschlussschaden
  • (2) Kursdifferenzschaden
  • (3) Kursfolgeschaden
  • (4) Entgangener Gewinn
  • (5) Vorteilsausgleich
  • (6) Zwischenergebnis zum Schadensbegriff
  • ee) Verschulden
  • (1) Verankerter Verschuldensmaßstab in Art. 12 MAR
  • (2) Hinweise für den Verschuldensmaßstab im Sinne des Public Enforcement
  • (3) Unionsrechtsdogmatische Erwägungen
  • (4) Zwischenergebnis und Übertragung auf Leerverkaufsattacken
  • (5) Vorsatzhaftung
  • (6) Fahrlässigkeitshaftung
  • (7) Ergebnis zum Verschulden
  • ff) Ergebnis zu § 823 Abs. 2 i. V. m. Art. 15, 12 MAR
  • b) Weitere Schutzgesetze
  • 7. § 826 BGB
  • a) Unionsrechtskonforme Auslegung der Sittenwidrigkeit
  • b) Vorsatzerfordernis
  • c) Haftungsausfüllung und Kausalität
  • d) Ergebnis
  • 8. Gesamtergebnis aus Sicht der Aktionäre
  • L. Wesentliche Ergebnisse dieser Arbeit
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

A. Einleitung und Gang der Darstellung

Der Versuch von Investoren, aktiv Einfluss auf die Kapitalmärkte zu nehmen, ist ein bekanntes Phänomen.1 Das Interesse, die größtmögliche Wertsteigerung seiner Investitionen zu erreichen, ist nachvollziehbar und nicht überraschend. Durch den technischen Fortschritt und den Paradigmenwandel in der Mediennutzung sind jedoch neue Möglichkeiten der Einflussnahme hinzugetreten.2

Das Internet und die sozialen Medien dezentralisieren Informationen und potenzieren Reichweiten- und Skaleneffekte.3 Anhand einer algorithmischen Auswertung großer Datenmengen4 sowie der gesammelten und aggregierten Informationen5 kann der Verbreitungsgrad von Informationen immer gezielter vorhergesagt und strategisch genutzt werden.6 So gibt es kaum noch Zweifel daran, dass auf politische Ereignisse wie die Wahl des US-Präsidenten oder den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gezielt Einfluss genommen wurde.7

Diese Entwicklungen wirken sich ebenfalls auf die Politik aus. So versuchen Investoren, die Reichweite der neuen Medien auszunutzen, um aktiv Einfluss auf die Wertentwicklungen an den Kapitalmärkten zu nehmen.8 Bei sog. Leerverkaufsattacken soll ein möglichst großer Wertrückgang der Aktien des Zielunternehmens erreicht werden. Aktivistische Leerverkäufer bauen zunächst Leerverkaufspositionen auf, bei denen sie einen Verkauf von Aktien zum aktuellen Kurs versprechen, ohne wirtschaftlicher Eigentümer9 zu sein. Anschließend veröffentlichen sie einen negativen Bericht über das Zielunternehmen, um dann von den Kursreaktionen zu profitieren und die Papiere günstig erwerben zu können. Bei erfolgreichen Leerverkaufsattacken werden innerhalb weniger Sekunden Kurseinbrüche im zweistelligen Prozentbereich erzielt.10 Für das Zielunternehmen und die investierten Anleger können auf diese Weise in kurzer Zeit hohe Schäden entstehen. Eine Möglichkeit, präventiv und kurzfristig auf Leerverkaufsattacken zu reagieren, existiert praktisch nicht.

I. Ziel der Arbeit

Im Rahmen dieser Studie überprüft der Verfasser die Möglichkeiten zivilrechtlicher Haftungsansprüche aus Sicht der Emittenten sowie der Aktionäre de lege lata und berücksichtigt dabei interdisziplinäre Forschungsergebnisse. Hierbei sollen die Vor- und Nachteile, die Leerverkäufe und Leerverkaufsattacken mit sich bringen, hinreichend Eingang finden. Gleichzeitig wird versucht, international gewonnene Erkenntnisse einzubinden und zu bewerten.

II. Herangehensweise

Einleitend werden Leerverkäufe zivilrechtlich eingeordnet.11 Anschließend wird der bestehende Ordnungsrahmen dargestellt12 und die Problemstellung von Leerverkaufsattacken illustriert13. Die interdisziplinäre Einbettung des Problemkreises soll das Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Recht und Digitalisierung verdeutlichen, in dem sich Leerverkaufsattacken bewegen.14 Anschließend wird der Aussagegehalt von Leerverkaufsattacken überprüft und in die tradierte Abgrenzung von Werturteil und Tatsachenbehauptung gebracht,15 um dann eine tatbestandliche Einordnung anhand der Marktmissbrauchsverordnung vorzunehmen.16 Im weiteren Verlauf der Arbeit wird der Sanktionskatalog bei der Verletzung des Marktmanipulationsverbots untersucht.17 Das unionsrechtliche Verständnis von Sanktionen und deren Voraussetzungen werden herausgearbeitet18 und anschließend auf das Marktmanipulationsregime übertragen, um die Möglichkeit impliziter Klagerechte nachzuweisen.19 Mit dieser Vorleistung soll die Möglichkeit zivilrechtlicher Haftungsansprüche de lege lata in Deutschland veranschaulicht werden, um so ein höheres Anlegerschutzniveau im Sinne der unionsrechtlichen Vorgaben zu erreichen. Letztlich werden weitergehende Überlegungen unternommen, inwieweit zivilrechtliche Haftungsansprüche aufgrund dieser unionsrechtlichen Vorgaben verpflichtend erscheinen.20 Die wesentlichen Ergebnisse dieser Abhandlung werden abschließend zusammengefasst.21


1 Bliss/Molk/Partnoy, Washington University Law Review 1333 (2020), S. 12 f.; siehe dazu auch: Mitts, Columbia Law and Economics Working Paper No. 615, S. 9 f.; zur Abgrenzung von aktiven und passiven Investoren siehe auch: Zhao, Rotman School of Management Working Paper 2852041, abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=2852041 [Stand: 23.09.2022].

2 Möllers, NZG 2018, 649; Thieltges/Hegelich, ZfP 64 (2017), 493, 509; siehe dazu aber auch: Mitts, Columbia Law and Economics Working Paper No. 615, S. 9 ff.

3 Thieltges/Hegelich, ZfP 64 (2017), 493, 502.

4 zur sog. Big Data Auswertung, siehe: Schröder/Schwanebeck, S. 77.

5 Zur Nutzung von sog. social bots und aggregierten Informationen, siehe: Abokhodair/Yoo/D. W. McDonald, S. 839.

6 Zum sog. micro-targeting, siehe: Robertson, S. 63, 299.

7 Stieglitz et al., S. 381

8 Bliss/Molk/Partnoy, Washington University Law Review 1333 (2020), S. 5, 9 f., Mitts, Columbia Law and Economics Working Paper No. 592, S. 17 ff.; Renault, Market manipulation and suspicious stock recommendations on social media, abrubar unter: http://www.thomas-renault.com/wp/market-manipulation-suspicious.pdf [Stand: 23.09.2022].

9 Ausführlich dazu bei: B. II.

10 Siehe dazu: D. III.

11 Siehe dazu: B. Zivilrechtliche Einordnung von Leerverkäufen.

12 C.

13 D.

14 E.

15 F.

16 G.

17 H.

18 I.

19 J.

20 L.

21 M.

B. Zivilrechtliche Einordnung von Leerverkäufen

Als Leerverkauf wird ein Kaufvertrag bezeichnet, bei dem der (Leer-)Verkäufer im Zeitpunkt des Eingehens der Verkaufsvereinbarung mit dem Käufer selbst nicht Eigentümer der verkauften Wertpapiere ist. Wäre der (Leer-)Verkäufer Eigentümer der Wertpapiere, läge begrifflich kein Leerverkauf vor.22 Zunächst sollen sowohl die schuldrechtlichen als auch die sachenrechtlichen Rechtsverhältnisse beleuchtet werden.

Es ist voranzustellen, dass der Eigentumsbegriff im Kontext von Leerverkäufen nicht nach dem deutschen Sachenrecht zu verstehen ist. Es wird vielmehr auf das „wirtschaftliche Eigentum“23 abgestellt, das dem deutschen Sachenrecht fremd ist. Wirtschaftlicher Eigentümer ist derjenige, der das wirtschaftliche Risiko trägt (vgl. dazu Art. 2 Abs. 1 b) EU-LVVO).24 Präzisiert wird diese Definition durch Art. 3 der delegierten Verordnung (EU) Nr. 918/201225 bzw. Durchführungsverordnung (EU) Nr. 827/201226 und durch das Konsultationspapier27 der ESMA.

I. Schuldrechtliche Einordnung

Da es nicht auf das (deutsche) sachenrechtliche, sondern auf das europäisch-wirtschaftliche Verständnis von Eigentum ankommt und Leerverkäufer sowie Eigentümer nie personengleich sind, muss zwischen dem Leerverkäufer und dem Eigentümer ein schuldrechtlich-geprägtes Rechtsverhältnis bestehen (,Deckungsverhältnis‘). Dieses Deckungsverhältnis kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Es wird zwischen gedeckten (,Covered Short Sales‘) und ungedeckten (,Naked Short Sales‘) Leerverkäufen unterschieden.

1. Gedeckte Leerverkäufe

Bei gedeckten Leerverkäufen stellt der Leerverkäufer gegenüber dem ,(Leer-)Käufer‘ sicher, dass er bei Fälligkeit die verkauften Aktien diesem Käufer liefern kann. Im Regelfall liegt im Verhältnis von Eigentümer und Leerverkäufer eine Wertpapierleihe vor. Ausreichend für einen gedeckten Leerverkauf ist allerdings bereits, dass der Leerverkäufer sicherstellt, dass der (Leer-)Käufer bei Fälligkeit einen unbedingt durchsetzbaren Anspruch auf Übertragung der Aktien hat und dieser tatsächlich abgewickelt werden kann.28

Bei einer Wertpapierleihe oder einem vergleichbaren Rechtsgeschäft leistet der entleihende Leerverkäufer keinen Kaufpreis für die Aktien, sondern sichert diese nur mit Sicherheiten ab. Der entleihende Leerverkäufer übernimmt die zeitweisen Chancen und Risiken aus den Aktien und schuldet die Rücklieferung der gleichen Aktien(-gattung). Da lediglich die Aktien der gleichen Gattung zurückgegeben werden müssen, begreift die ganz h. M. die Wertpapierleihe als Sachdarlehen i. S. v. § 607 BGB.29 Die Wertpapierleihe begründet mithin eine Gattungsschuld.30

2. Ungedeckte Leerverkäufe

Abzugrenzen davon sind ungedeckte Leerverkäufe, die e contrario ohne ein schuldrechtlich-geprägtes Rechtsverhältnis zur späteren Lieferung der Aktien ausgestattet sein dürften.

Der Begriff der ,ungedeckten Leerverkäufe‘ ist in Art. 12 EU-LVVO indes falsch bezeichnet, denn in der Vorschrift wird die Ausgestaltung von Deckungsverhältnissen bei ,ungedeckten Leerverkäufen‘ definiert. Demnach sind ungedeckte Leerverkäufe nur zulässig, sofern sich der Leerverkäufer die Finanzinstrumente „geliehen“31 oder alternative Vorkehrungen getroffen hat, die zu den gleichen rechtlichen Ergebnissen führen (Art. 12 Abs. 1 lit. a) EU-LVVO). In diesem Deckungsverhältnis kann eine Leihvereinbarung oder ein vertragsrechtlich oder eigentumsrechtlich unbedingt durchsetzbarer Anspruch auf Übertragung des Eigentums der Aktien der bestimmten Gattung (Art. 12 Abs. 1 lit. b) EU-LVVO) vorliegen. Ein eigentumsrechtlich unbedingt durchsetzbarer Anspruch ist im deutschen Recht nicht normiert, sondern ausschließlich in anderen Mitgliedstaaten der EU denkbar. Der typische Fall für einen vertraglichen Anspruch ist die Wertpapierleihe. Ausreichend ist ebenso eine Lokalisierungszusage32 (Art. 12 Abs. 1 lit. c) EU-LVVO),33 wonach der Leerverkäufer berechtigterweise darauf vertrauen darf, dass der Zusagende durch Vorkehrungen gegenüber Dritten sichergestellt gestellt hat, dass die konkrete Transaktion bei Fälligkeit abgewickelt werden kann. Die Anforderungen an die Lokalisierungszusage, auf die berechtigterweise vertraut werden darf, ergeben sich im Einzelnen aus Art. 6 DVO (EU) 827/201234.35

Die zahlreichen möglichen Nuancen von Deckungsgeschäften werden in Art. 5 DVO (EU) 827/201236 konkretisiert.37

3. Zwischenergebnis

Bei gedeckten Leerverkäufen besteht ein Deckungsverhältnis zwischen Leerverkäufer und Entleiher über eine Gattungsschuld an den Aktien zur Lieferung bei Fälligkeit, das im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet sein kann.

Begrifflich davon abzugrenzen sind ungedeckte Leerverkäufe, bei denen kein Deckungsverhältnis besteht. Die Zulässigkeitsregelung des Art. 12 EU-LVVO setzt jedoch ein Deckungsverhältnis voraus. Der Begriff und die Zulässigkeitsvoraussetzungen widersprechen sich. Die Regelung der ,ungedeckten Leerverkäufe‘ ist somit irreführend38 und beinhaltet vielmehr ein Verbot von ungedeckten Leerverkäufen. Im Umkehrschluss ergibt sich hieraus, dass lediglich gedeckte Leerverkäufe zulässig sind.

Im Sprachgebrauch der Praxis herrscht dementsprechend ein Missverständnis. So spricht beispielweise der Broker Lynx von ungedeckten Leerverkäufen, wenn keine Wertpapierleihe abgeschlossen wurde.39 Selbst der Bundestag geht in der Begründung zur Einführung der EU-LVVO noch davon aus, dass bei ungedeckten Leerverkäufen keine Leihvereinbarungen oder ähnliche Rechtsverhältnisse bestehen.40 Gleichermaßen wird aber kurz darauf festgestellt, dass ungedeckte Leerverkäufe künftig nur noch zugelassen werden, sofern vergleichbare Deckungsverhältnisse wie bei gedeckten Leerverkäufen bestehen.41 Hierbei handelt es sich um eine falsa demonstratio.

In der vorliegenden Arbeit wird einheitlich von zulässigen Leerverkäufen nach Maßgabe des Verständnisses der EU-LVVO ausgegangen. Es handelt es mithin um Leerverkäufe, die durch eine Wertpapierleihe oder vergleiche Rechtsgeschäfte gedeckt sind.

4. Zwingende Voraussetzungen für ein Deckungsgeschäft

Aufgrund der vielzähligen Möglichkeiten, einen Leerverkauf durch ein Deckungsgeschäft zu sichern, wird mit den europäischen Regelungen versucht, ein möglichst breites Anwendungsfeld zu erfassen. Aus der Tatbestand-Ausnahmen-Systematik der EU-LVVO sowie deren DVO und dem Konsultationspapier der ESMA lassen sich fünf gemeinsame Kriterien herausarbeiten, die jedes Deckungsgeschäft erfüllen muss, damit ein zulässiger Leerverkauf vorliegt.42

a) Unbedingtheit

Zunächst muss der Anspruch im Deckungsverhältnis unbedingt durchsetzbar sein. Der ,Entleiher‘ muss die Fälligkeit allein von seinem Willen abhängig machen können oder zumindest gewährleisten, dass diese bei Abschluss des Leerverkaufs zwingend eintritt.43 Die Unbedingtheit ist als Potestativbedingung zu sehen.

b) Dauer der verbindlichen Deckung

Zweitens muss die Deckungsvereinbarung für die ,Dauer des Leerverkaufs‘ rechtlich verbindlich sein. Die Dauer des Leerverkaufs versteht sich als Zeitraum zwischen dem Handelstag, also dem Abschluss des Leerverkaufs, und dem Settlement, also der Erfüllung der Hauptleistungspflicht des Verkäufers durch die von ihm veranlasste Einbuchung der Aktien. Da im deutschen Börsenhandel eine zweitägige Lieferfrist üblich ist, muss der Leerverkauf im Börsenhandel mindestens für diese Zeit gedeckt sein. Im außerbörslichen Handel muss die Zeit bis zur Belieferung gedeckt sein, gerade dann, wenn vertraglich ein späterer Tag für die Erfüllung vereinbart wurde.44

c) Ausreichende Anzahl

Drittens muss das Deckungsverhältnis quantitativ so ausgestaltet sein, dass die Anzahl der leerverkauften Aktien abgedeckt wird.45

d) Vor- oder gleichzeitiger Abschluss des Deckungsgeschäfts

Viertens muss das Deckungsgeschäft zeitlich vor- oder zumindest gleichzeitig mit dem Leerverkauf abgeschlossen worden sein. Ausreichend ist es, wenn das Deckungsgeschäft in derselben juristischen Sekunde wie der Leerverkauf abgeschlossen wird.46

e) Gewährleistung der Abwicklung

Letztlich muss die tatsächliche Abwicklung des Leerverkaufs bei Fälligkeit sichergestellt werden.47 Je nach technischer Ausführung (beispielsweise Termingeschäft, Swap oder Repo-Vereinbarung) kann dies nach Eigenart des Geschäfts anders benannt sein. Bei Termingeschäften und Swaps wird ein Liefer- oder Ablauftermin vereinbart. Bei Repo-Geschäften wird dies als Rückkauftermin bezeichnet und bei Optionen wird ein Ablauftermin festgelegt. Letztlich handelt es sich hierbei um sprachliche Differenzen, die inhaltlich das Gleiche verlangen: Aus formaler Sicht bedarf es eines expliziten Termins für die Rückabwicklung, damit die Aufsichtsbehörde vorab nachvollziehen kann, ob der konkrete Leerverkauf vom Deckungsgeschäft tatsächlich gedeckt ist. Materiell ist es erforderlich, dass der vereinbarte Termin abstrakt dazu geeignet ist, die rechtzeitige Erfüllung des Leerverkaufs zu gewährleisten. Entscheidend ist, dass die voraussichtliche Einbuchung zur Deckung mindestens gleichzeitig stattfindet oder zeitlich vor dem Liefertermin des Leerverkaufs liegt.48

5. Ergebnis zur schuldrechtlichen Einordnung

Zusammenfassend lässt sich definitorisch festhalten, dass im Deckungsverhältnis ein unbedingter Anspruch auf eine ausreichende Anzahl leerverkaufter Aktien bestehen muss, der zeitlich und quantitativ den Leerverkauf deckt und bei dem der Leerverkäufer berechtigterweise davon ausgehen kann, dass er auch tatsächlich abgewickelt werden kann.

II. Dingliche Einordnung von Leerverkäufen

Die Frage nach dem wirtschaftlichen Eigentum an den Aktien wird durch das Deckungsverhältnis determiniert. Die dingliche Rechtslage ist mit diesen Ausführungen aber noch nicht geklärt, denn durch die unterschiedlich geprägten Deckungsverhältnisse wird es regelmäßig zu einem Auseinanderfallen zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums kommen, nämlich immer dann, wenn der zivilrechtliche Eigentümer einem Dritten durch ein Schuldverhältnis das wirtschaftliche Eigentum verschafft, dabei aber gleichzeitig zivilrechtlicher Eigentümer bleibt oder das zivilrechtliche Eigentum an einen Dritten überträgt. Zudem könnte der Leerverkäufer selbst durch das Deckungsverhältnis zum wirtschaftlichen Eigentümer werden, was wiederum begrifflich einen Leerverkauf mit der Konsequenz ausschließen würde, dass die EU-LVVO nicht anwendbar wäre.

Zunächst sollen deshalb grundlegend die Eigentumsverhältnisse und der Übergang des zivilrechtlichen Eigentums an Aktien49 dargestellt werden, um anschließend den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums hiervon abzugrenzen.

1. Zivilrechtliches Eigentum

Die rechtsgeschäftliche Übertragung des Eigentums an den Aktien50 kann sich nach den Vorschriften der §§ 929 ff. BGB oder nach denjenigen der §§ 413, 398 BGB richten.

a) Übertragung

Sofern lediglich die verkörperten Mitgliedschaftsrechte51 aus den Aktien übertragen werden sollen, erfolgt die Übertragung im Wege der Abtretung nach §§ 413, 398 BGB.

Dagegen richtet sich die Übertragung des Eigentums an den Aktien selbst nach den Vorschriften über die Übertragung an beweglichen Sachen i. S. d. §§ 929 ff. BGB.52 Teilweise wird auch vertreten, dass das Eigentum an den Aktien ebenfalls nach den §§ 413, 398 BGB übertragen werden könnte, da die verkörperten Mitgliedschaftsrechte anerkanntermaßen durch Abtretung übertragen werden. Ferner würde es § 952 Abs. 2 BGB geradezu verbieten, das Eigentum an den Aktien und der Mitgliedschaft aufzuspalten.53 Falls das Eigentum an den Aktien im Wege der Abtretung übertragen würde, sollten dann aber zumindest die Aktien anschließend übergeben werden.54 Dagegen wird vorgebracht, dass keine Notwendigkeit bestünde, weitere Übertragungsmöglichkeiten neben den anerkannten §§ 929 ff. BGB zu schaffen. Dessen ungeachtet könne es so zu einem Auseinanderfallen von Papierbesitz und rechtlicher Eigentümerstellung kommen, was in der Folge zu einer Verwirrung des Rechtsverkehrs führen könnte.55

Letztlich kann dieser Streitpunkt indes dahinstehen, da die Aktien in der Praxis regelmäßig von einer Depotbank verwahrt werden und sich die Übertragung üblicherweise nach den §§ 929 ff. BGB richtet.56 Für die Konstruktion weiterer Übertragungsformen existiert kein Bedarf. Insoweit ist der Streitpunkt weitestgehend akademischer Natur und spielt im Kontext von Leerverkäufen keine weiterführende Rolle.

b) Miteigentümerstellung und Übertragung verwahrter Aktien

Da Aktien regelmäßig von Banken verwahrt und übertragen werden, entsteht bei der Übertragung denknotwendig ein Mehrpersonenverhältnis. Aktien werden üblicherweise57 im Wege der Sammelverwahrung i. S. d. § 5 Abs. 1 DepotG verwahrt. Der Kunde schließt dazu einen Depotvertrag58 mit einem Verwahrer59, typischerweise einer Bank, ab.

Sobald die Aktien in die Sammelverwahrung aufgenommen werden, verliert der Eigentümer sein Alleineigentum an den Aktien und wird im Gegenzug zum Miteigentümer des Sammelbestands (§ 6 Abs. 1 DepotG). Der Eigentümer wird damit kraft Gesetzes zum Miteigentümer nach Bruchteilen des Sammelbestands (§§ 1008 ff., 741 BGB).60 Zugunsten der Praktikabilität wird der Miteigentümer des Girosammelbestands Miteigentümer an jeder einzelnen Aktie des Sammelbestands.61 Der Bruchteil bestimmt sich nach dem Verhältnis seiner eingelieferten Aktien.62

In der Praxis werden die Aktien regelmäßig bei einer Wertpapiersammelbank verwahrt (,Girosammelverwahrung‘).63 In Deutschland übernimmt diese Aufgaben die Clearstream Banking AG, eine hundertprozentige Tochter der Deutsche Börse AG64, die auf Anweisung ihrer Mitglieder65 die Übertragung der Aktien vornimmt.66 Da nur Kredit- und Finanzdienstleistungsunternehmen Aktien bei der Wertpapiersammelbank verwahren lassen können, entsteht regelmäßig ein mehrfach gestuftes Besitzmittlungsverhältnis (§871BGB).67 Die Wertpapiersammelbank ist demnach unmittelbarer Fremdbesitzer der Aktien, die Depotbank mittelbarer Fremdbesitzer auf erster Stufe und der Hinterleger regelmäßig mittelbarer Eigenbesitzer auf zweiter Stufe. Denkbar ist ebenfalls die Einschaltung weiterer Depotbanken als Zwischenverwahrer, die sich entsprechend in das gestufte Besitzmittlungsverhältnis einfügen.68

In diesem mehrfach gestuften Besitzmittlungsverhältnis wird das Eigentum an den Girosammeldepotanteilen grundsätzlich nach den Vorschriften für die Übereignung beweglicher Sachen (§§ 929 ff. BGB) übertragen.69

c) Dingliche Einigung

Die dingliche Einigung erfolgt regelmäßig konkludent mit der (schuldrechtlichen) Wertpapiertransaktion, sobald der Kunde diese bei seiner depotführenden Bank veranlasst. Nach ganz h. M. ist darin eine Ermächtigung i. S. v. § 185 BGB zu sehen.70 Falls Zwischenverwahrer beteiligt sind, dienen diese als Erklärungsboten.

Mit dem Zugang der Anweisung zur Umbuchung liegt das dingliche Übereignungsangebot vor. Der Zugang der Annahmeerklärung ist nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten und deshalb entbehrlich (§ 151 S. 1 Alt. 1 BGB).71 Jedenfalls konkludent angenommen ist das dingliche Angebot aber mit der Depotumbuchung durch Clearstream.72

Details

Seiten
366
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783631913352
ISBN (ePUB)
9783631913369
ISBN (Hardcover)
9783631910894
DOI
10.3726/b21477
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Februar)
Schlagworte
Leerverkaufsattacken Marktmanipulation Marktmissbrauch Scalping Börse Hedging KI Wirecard Ströer Aurelius Kapitalmarkthaftung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2024. 366 S.

Biographische Angaben

Bastian Siegert (Autor:in)

Bastian Siegert studierte Wirtschaftsrecht und Rechtswissenschaften in Recklinghausen, Bayreuth und Würzburg. Heute ist er als Jurist, Chefredakteur, Aktienanalyst und Start-up-Investor tätig. Herr Siegert leitet ein Team aus Finanzredakteuren und -analysten und strukturiert junge Unternehmen von der Gründung bis zum Exit.

Zurück

Titel: Zivilrechtliche Haftung bei Leerverkaufsattacken