Lade Inhalt...

Das Wunder des Ostens

Die jesuitischen Missionsstrategien im Licht der Übersetzung religiöser Literatur im frühneuzeitlichen Japan

von Jan Levin Propach (Autor:in)
©2024 Dissertation 220 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Studie untersucht, wie die jesuitischen Japan-Missionare in der frühen Neuzeit christliche Inhalte in einen fremden Kontext übertragen und übersetzt haben. Dies geschieht anhand von zwei japanischen Quellen: einem – ins Japanische übersetzten – portugiesischen Katechismus sowie einer Sammlung biblischer Geschichten, die japanische Christen während der beinahe dreihundertjährigen Verfolgungszeit im Untergrund bewahrt und weitergegeben haben. Teile dieser Quellen werden zum ersten Mal übersetzt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Hinführung
  • Von Jerusalem nach Athen – von Rom nach Edo
  • Ziel, Quellen und Aufbau der Studie
  • Methodisches
  • Forschungsüberblick
  • Japanische Religiosität
  • Ältere japanische Kirchengeschichte
  • Die Apostolische Kirche des Ostens in Japan
  • Aufstieg und Fall des katholischen Christentums in Japan
  • Die Frühphase (1549–1580)
  • Die Mittelphase (1580–1614)
  • Die Spätphase (1614–1714)
  • Die Jesuiten und ihre Missionsstrategien in Asien
  • „Pfeffer und Seelen!“ – Die Mission der Jesuiten im Kontext der portugiesischen Expansion
  • Die Jesuiten und das portugiesische Padroado Régio
  • Die Finanzierung der jesuitischen Mission
  • „Wie ein Uhrwerk!“ – Die Hierarchie- und Zuständigkeitsstrukturen der Jesuiten
  • Die Provinziale und Vize-Provinziale in Japan
  • Die Visitatoren in Japan
  • Die Diözesanbischöfe von Funai/Nagasaki
  • Das Trojanische Pferd der Jesuiten – Die Akkommodationsstrategie im Estado da Índia
  • Die Notwendigkeit der Akkommodationsstrategie in Asien
  • Akkommodation – Zwischen Kulturdialog, Fehlinformation und nachtridentinischem Elan
  • Top-Down-Missionierung
  • Babylonische Sprachverwirrung – Spracherwerb, Übersetzungen und Publikationen in der japanischen Landessprache
  • Das Nachwuchsproblem
  • Anwendung der jesuitischen Missionsstrategien und ihre mittelfristigen Auswirkungen: Der japanische Katechismus どちりいなきりしたん (dochiriina kirishitan)
  • Die Blütezeit der Katechismen
  • Die dochiriina kirishitan – Entstehung, Aufbau und Intention
  • Erlösung und Satisfaktion in der dochiriina kirishitan
  • Erlösung und Satisfaktion im Kontext der articuli fidei innerhalb des Kapitels VI der dochiriina kirishitan
  • Erlösung und Taufe in Kapitel XI der dochiriina kirishitan
  • Erlösung und Buße in den Kapiteln IX und XI der dochiriina kirishitan
  • Fazit
  • Die Anwendung der jesuitischen Missionsstrategien und ihre langfristigen Auswirkungen: Die Sammlung 天地始之事 (tenchi hajimari no koto)
  • Das Schicksal des japanischen Christentums zwischen 1614 und 1853
  • Das Schicksal des japanischen Christentums nach 1853
  • Die Entdeckung der Sammlung tenchi hajimari no koto, ihr Aufbau und Inhalt
  • Biblische Erzählungen in der frühneuzeitlichen Japanmission
  • Exkurs: Das Trienter Konzil über volkssprachliche Bibelübersetzungen und ihre Auswirkungen auf die Japanmission
  • Biblische Erzählungen in japanischer Sprache im Nachgang des Trienter Konzils: Die Handschriftensammlung Reg. Lat. 459 Manoel Barretos aus dem Jahr 1591
  • Ausgewählte Passagen aus der Sammlung tenchi
  • Theologisch unproblematische Transformationsprozesse innerhalb der Sammlung tenchi
  • Theologisch problematische Transformationsprozesse innerhalb der Sammlung tenchi
  • Fazit
  • Ertrag
  • Latinisierung japanischer Begriffe, Makra und japanische Eigennamen
  • Zeittafel
  • Karte Kyushus
  • Quellenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Stichwort-, Orts- und Namensregister

1 Hinführung

Im Januar 1867 schrieb Pius IX. (1792–1878) einen Brief an den Priester Bernard- Thadée Petitjean (1829–1884) von den Missions étrangères de Paris in Japan. Zwei Jahre zuvor, am 17. März 1865, waren einige Japaner auf den französischen Missionar zugekommen und hatte ihn nach der Statue Mariens gefragt. Diese Begebenheit, die doch so unscheinbar klingt, bezeichnete der Papst in seinem Brief als ein Wunder des Ostens. Denn nach einer zweieinhalb Jahrhunderte andauernden massiven Christenverfolgung in Japan waren die europäischen Missionare, die ab 1854 erneut nach Japan gelangten, davon überzeugt gewesen, dass die frühneuzeitlichen Missionstätigkeiten der Jesuiten völlig vergeblich und die Kirche in Japan nicht überlebt hatte. Welch Wunder war es da, dass sich diese Gruppe japanischer Christen dem Priester zu erkennen gaben. Von nun an war klar: Das Christentum war durch die Jahrhunderte der Verfolgung im Untergrund, ohne Sakramente und Priester, treu von Generation zu Generation weitergegeben worden. Das Werk der jesuitischen Missionare um Franz Xaver (1506–1552) war also nicht vergeblich gewesen. Sie hatten sich nicht umsonst auf den langen und gefährlichen Weg nach Osten gemacht, um unter Strapazen und Entbehrungen den christlichen Glauben in die Kultur und Gesellschaft Japans hinein zu übersetzen und ihn fernab ihrer Heimat zu verkündigen.

1.1 Von Jerusalem nach Athen – von Rom nach Edo

Θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε

μονογενὴς θεὸς ὁ ὢν εἰς τὸν κόλπον

τοῦ πατρὸς ἐκεῖνος ἐξηγήσατο (Joh 1,18).

Die Inkarnation des ewigen logos kann als die Übersetzung schlechthin betrachtet werden:1 Der unsichtbare, ewige, vollkommene und unendliche Gott legt sich selbst in seinem Sohn aus (exegesato). Der fleischgewordene logos ist der Dolmetscher, Ausleger und Übersetzer des Vaters oder. Er ist die lebendige Metapher Gottes aus Fleisch und Blut.2 Zumindest im Rahmen klassisch- theistischer Denkformen bedeutet Inkarnation also, dass sich der unbegrenzte Gott in der Begrenztheit seiner Schöpfung, in einem Menschenkind, offenbart. Dass dieser unendliche Gott sich sogar in dem ihm Fremden, dem Endlichen, begrenzt; dass sich der Ewige in der Erdenzeit zeitigt, übersteigt, wenn es nicht überhaupt widersprüchlich ist, menschliches Vorstellen und Denken. Und doch geht der christliche Glaube davon aus, dass in der Person Jesu Christi beide Wirklichkeiten – menschliche und göttliche Natur – unvermischt und ungetrennt vereint sind. Wenn die Inkarnation die Übersetzung schlechthin ist, dann zeigt sich in ihr das Wesentliche des Übersetzens und Übertragens: Das Fremde muss insofern angenommen werden, dass das Wesentliche in ihm erscheinen kann – aber bloß soweit, wie einerseits das Fremde fremd bleiben muss und nicht zum Eigenen werden kann und andererseits das Eigene noch sein es Auszeichnendes, ihm Wesentliches zu behalten vermag.

Auch in der Verkündigung des Evangeliums und dem Bezeugen der Inkarnation setzt sich dies fort: Die Erfahrungen der Jünger und Apostel mit Christus vollziehen sich – genauso wie unsere eigenen – in der Erste-Person-Perspektive und sind für Außenstehende zunächst unzugänglich. So wie ich nicht weiß, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein oder wie es sich anfühlt, eine bestimmte Farbwahrnehmung zu haben, so sind auch die Erfahrungen der Jünger Jesu für uns nicht unmittelbar zugänglich.3 Es bedarf der Sprache (im weitesten Sinne), die das eigene Erleben für andere nachvollziehbar werden lässt. Verkündigung setzt also immer eine Vermittlung, Übersetzung und Auslegung der eigenen, in der Erste-Person-Perspektive gewonnen Erfahrungen voraus. Damit das Gegenüber hieran teilhaben kann, muss eine Übertragung in die Erfahrungswelt des Gegenübers stattfinden. Das setzt ein ausreichendes Wissen um diese Erfahrungswelt voraus, um tatsächlich das Erfahrene angemessen darlegen zu können.

Die Areopagrede des Apostels Paulus liefert das Grundrezept für diesen Vorgang (vgl. Apg 17, 16–34). Paulus kannte die epikureische und stoische Philosophie und die religiösen Praktiken der Athener. Dieses Wissen gebrauchte er, sensibel für den kulturellen und religiösen Kontext, um das Evangelium angemessen zu verkünden. Bei allem Einlassen auf die fremde Kultur und Religiosität war Paulus allerdings nicht bereit, das Wesentliche der christlichen Religion anzutasten. Für den Apostel zählten, so macht es die Areopagrede deutlich, die unangefochtene Souveränität Gottes, die allumfassende und notwendige Reue angesichts von Schuld und Sünde, die Wirklichkeit und Wahrheit des zukünftigen Gerichts und das Offenbarwerden Gottes in Jesus Christus dazu.4

Sowohl die Inkarnation des ewigen logos als auch die Verkündigung der Apostel und Jünger können als Auslegung und Übersetzung aufgefasst werden: Gott legt sich selbst im sarx, im Endlichen, aus. Die Erste-Person-Perspektive der Jünger und Apostel muss, soll sie zur Verkündigung der Kirche werden, in Sprache gegossen und übersetzt werden. In diese Übersetzungs- und Auslegungsgeschichte, die offenbar zum Wesen des Christentums selbst gehört, reiht sich auch die Mission der Jesuiten in der Frühen Neuzeit ein. Die sich globalisierende, post-tridentinische römische Kirche muss abermals das bisher in westlichen Denk- und Sprachformen sich ausdrückende Christentum in andere Kontexte und Kulturen hinein übersetzen und auslegen. Schon in der Areopagrede des Apostels zeigte sich, was 1.500 Jahre später fernab Europas verhandelt werden sollte:5 Wieweit muss und darf das Christentum an fremde kulturelle Kontexte angepasst werden, um den Übersetzungsvorgang erfolgreich zu bewältigen, jedoch ohne dabei sein Wesen preiszugeben?

Die Jesuiten um Franz Xaver, die ab 1549 Fuß auf japanischen Boden setzten, standen vor der Herkulesaufgabe, dieses Wesentliche des Christentums, der Landessprache nicht mächtig und mit der Kultur und den Religionen Japans nicht vertraut, in diesen ihnen fremden Kontext hinein auszulegen. Und bereits kurz nach der Ankunft der Jesuiten begannen – auch heute noch geführte – Streitigkeiten darüber, wie weit sich die Missionsaktivitäten an den Kontext anzupassen hätten und was eigentlich unter dem Wesentlichen der christlichen Religion zu verstehen wäre: Die eine Seite, für die der Superior der Mission zwischen 1570 und 1581, Francisco Cabral (1529–1609), steht, plädierte dafür, die Anpassung möglichst gering zu halten. Die andere Position, die sich insbesondere dank dem Visitator der Gesellschaft Jesu, Alessandro Valignano (1539–1606), durchsetzte, verlangte eine weitestgehende Anpassung der Missionsaktivitäten an den japanischen Kontext. Die Streitigkeiten betrafen nicht bloß alltägliche Fragen nach dem Tragen von Kleidung oder der Speiseordnung in den jesuitischen Kommunitäten, sondern, theologisch brisanter, ebenso solche nach der Etablierung eines japanischen Klerus oder dem Umgang mit der in Japan weitverbreiteten Ahnenverehrung.

Um diesen Übertragungs- und Übersetzungsvorgang bewältigen zu können, entwickelten die Jesuiten früh unterschiedliche Strategien. Diese Studie möchte diese und ihre mittel- und langfristigen Folgen für das Christentum in Japan ausgehend von zwei japanischen Quellen untersuchen.

1.2 Ziel, Quellen und Aufbau der Studie

Diese Studie möchte die christliche Mission Japans durch jesuitische Missionare der Frühen Neuzeit in den Fokus stellen. Die Geschichte dieser Mission und die Anwendung der jesuitischen Missionsstrategien sollen dabei vor dem Hintergrund folgender Leitfragen betrachtet werden:

  1. I. Was waren die mittelfristigen Folgen der jesuitischen Missionsstrategien in Japan?
  2. II. Was waren die langfristigen Konsequenzen der Missionsstrategien und welche Bedeutung hatten sie für die Art und Weise der Weitergabe des christlichen Glaubens unter den Bedingungen der Christenverfolgung und dem Zusammenbruch der amtskirchlichen Strukturen in Japan seit 1614?
  3. III. Welche Rückschlüsse lassen sich aufgrund von I. und II. auf die Missionsstrategien selbst ziehen?

Für die Beantwortung von III. eignet sich die Geschichte des japanischen Christentums besonders, weil m.W. bloß dort das Christentum für beinahe drei Jahrhunderte ohne Kontakt zur kirchlichen Hierarchie, fern von Entwicklungen und Veränderungen der Kirche und in den Untergrund gezwungen, fortbestand. Damit ist die japanische Kirchengeschichte wie eine Zeitkapsel, in der die Anfänge der Mission und ihre Strategien konserviert wurden.

Als Grundlage für die Beantwortung von I. und II. dienen in dieser Studie zwei japanische Quellen:

  1. a) Anhand der どちりいなきりしたん (dochiriina kirishitan), einer japanischen Übersetzung des jesuitischen „Standardkatechismus“ während des sogenannten Zeitalters der Entdeckungen aus dem Jahr 1591, soll die konkrete Anwendung der Strategien im Prozess von Übersetzungen religiöser Literatur im Japan der Frühen Neuzeit beleuchtet werden (Kapitel 5).
  2. b) Ihre Langzeitfolgen sollen anhand von 天地始之事 (tenchi hajimari no koto), Der Anfang von Himmel und Erde, einer Sammlung von biblischen Erzählungen, nachvollzogen werden, die seit 1614, während der beinahe drei Jahrhunderte dauernden Christenverfolgung, mündlich tradiert wurden (Kapitel 6).

Um jedoch die Leitfragen dieser Studie beantworten zu können, ist es zunächst unerlässlich, die Besonderheiten japanischer Religiosität herauszustellen, denn die jesuitischen Missionsstrategien wurden auf einen Kontext angewendet, der vollständig von japanisch-religiösen Vorstellungen und Praktiken durchdrungen war. Ebenso prägte das religiöse Umfeld Japans die Weitergabe des christlichen Glaubens während der Verfolgungszeit und dem Ende der jesuitischen Mission selbst (Kapitel 2). Bevor in einem weiteren Schritt die Strukturen, Intentionen, Arbeitsweisen und Strategien der Gesellschaft Jesu in der Frühen Neuzeit im Allgemeinen und in der ostindischen Ordensprovinz, zu der auch Japan gehörte, im Besonderen untersucht werden (Kapitel 4), wird die japanische Kirchengeschichte zwischen 1549 und 1714 überblicksartig dargestellt (Kapitel 3).

1.3 Methodisches

Geschichte ist nicht, sondern wird erst durch unser selektives Interpretieren. Bei der Sichtung von Quellen und Zeugnissen kommt der Forscher nicht aus sich heraus: Religiöse Sozialisation, anerzogene Ästhetik, grundgelegte Metaphysik, verinnerlichte Wertesysteme etc. – all das prägt, trotz sorgsamer Arbeit mit dem Ziel größtmöglicher Objektivität, unweigerlich die Perspektive des eigenen Interpretierens und stellt alles Forschen unter den Vorbehalt der subjektiven Färbung. Auch wenn uns der Zugang zu der Geschichte verschlossen bleibt – bloß Gott ist diese Perspektive möglich –, so können wir uns dieser doch annähern.

Eine grundsätzliche Herausforderung dieser Studie besteht darin, dass sie versucht, in das Fremde – sei es der religiöse und gesellschaftliche Hintergrund einzelner Jesuiten in der Japanmission, erst recht aber das soziale, kulturelle und religiöse Umfeld der japanischen Christinnen und Christen – hineinzuversetzen, ohne, dass es dabei vollständig anhand eigener begrifflicher Schemata zerlegt und einsortiert würde, wodurch man diesem keineswegs gerecht und geradezu konträr zum Ansatz dieser Studie handeln würde. Dies gilt erst recht für jene Texte, die zunächst durch Jesuiten des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem Portugiesischen mühevoll ins Japanische übersetzt und in dieser Studie erstmals ins Deutsche übertragen wurden. Wie beim Übersetzen buddhistischer Texte vom Sanskrit ins Chinesische, der Übertragung der griechischen Philosophie ins Arabische während des Früh- und deren Übersetzung ins Latein des Hochmittelalters handelt es sich auch bei den Übersetzungen der jesuitischen Missionare in Ostasien, und letzten Endes auch den Übersetzungen in dieser Studie, nicht bloß um einen Transfer von einer Sprache in eine andere, sondern stets von einer Kultur in eine andere.6

Details

Seiten
220
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783631915745
ISBN (ePUB)
9783631915752
ISBN (Hardcover)
9783631912461
DOI
10.3726/b21646
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Mai)
Schlagworte
Jesuiten Inkulturation Akkommodation Missionsgeschichte Kirchengeschichte
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 220 S.

Biographische Angaben

Jan Levin Propach (Autor:in)

Xaver M. Propach, O.P. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Dogmatik und Ökumenische Theologie der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Zurück

Titel: Das Wunder des Ostens