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Fixsterne der venezianischen Historienmalerei um 1700

Erfolgsfaktoren einer sesshaften Existenz am Beispiel von Gregorio & Elisabetta Lazzarini und Giulia Lama

von Désirée Monsees (Autor:in)
©2024 Dissertation 722 Seiten

Zusammenfassung

An der Wende zum 18. Jahrhundert standen venezianische Maler:innen vor einer wegweisenden Entscheidung: Sollten sie in ihrer Heimatstadt nach Anerkennung streben oder ihr Glück in anderen Kunstzentren Europas suchen? Die vorliegende Studie konzentriert sich auf jene Malerindividuen Venedigs um 1700, die sich in der Historienmalerei etablieren konnten und dabei auf eine sesshafte Existenz zielten. Am Beispiel der Geschwister Lazzarini – Gregorio und Elisabetta – sowie Giulia Lama wird exemplarisch untersucht, welche Faktoren den in der Lagunenstadt ansässigen Malerinnen und Malern zum Erfolg verhalfen. Dazu konzentriert sich die sozialgeschichtliche und kulturhistorische Analyse auf die für den Erfolg eines Malerindividuums wesentlichen Kriterien: Sichtbarkeit, Beziehungs- und Patronagegeflecht, Motivrepertoire, Stil, Formen der Arbeitspraxis sowie Selbstdarstellung. Ergänzend werden Alleinstellungsmerkmale identifiziert und das akkumulierte symbolische Kapital ergründet, durch welche die hier betrachteten Fallbeispiele im Vergleich zu anderen Maler-individuen trumpfen konnten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Danksagung
  • Abkürzungen
  • Bemerkung zur Sprache …
  • … und zur Transkription
  • I Einleitung
  • I.1 Fragestellung und Verortung
  • I.2 Methodische und theoretische Ansätze
  • I.3 Quellenlage
  • I.4 Forschungsstand
  • II Rahmenbedingungen – Venedig um 1700
  • II.1 Die institutionelle Organisation der Malerindividuen in Venedig
  • II.2 Die Akademie- und Zunft-Frage, das Collegio und die Bedeutung der künstlerischen Gemeinschaft
  • II.3 Die Nachfrage nach Gemälden – Akteure der Kunstförderung, Verkaufs- und Erwerbsarten
  • II.4 Sozio-kulturelle und ökonomische Aspekte der Produktion von Gemälden
  • II.5 Praktiken der künstlerischen Produktion – Arbeitsteilung und Formen der Zusammenarbeit
  • II.6 Berufsziel Malerei – Ausbildung und Wissenserwerb
  • II.7 Die querelle des femmes – die berühmte Debatte über die Ausbildung von Frauen zu Beginn des Settecento
  • III Fallbeispiele sesshafter venezianischer Historienmalerinnen und-maler um 1700
  • 1 Die Lazzarinis –am Puls des Zeitgeschmacks
  • 1.1 Gregorio Lazzarini – Der venezianische Raffael
  • 1.1.1 Grundsteine für eine erfolgreiche Karriere – vom barbiere zum Maler
  • 1.1.2 Die Etablierung als Maler – Förderer, Auftraggeber und Bildthemen
  • 1.1.3 Prestigesteigerung: Arbeiten für den Patriarchen von Venedig und die Serenissima – in der Kirche San Pietro di Castello (1691) …
  • Bildliche Strategien
  • Formen künstlerischer Konkurrenz
  • 1.1.4 … und im Dogenpalast (1694/95)
  • Kontakte und Reputation – Faktoren für die Auftragsvergabe und zukünftige Vorteile
  • Bildliche Strategien
  • 1.1.5 Das Atelier ‚Lazzarini‘ – Organisation, Verortung, Praxisformen und Geschäftspolitik
  • 1.1.6 Familiäre Netzwerkbeziehungen – Unterstützen, Wirtschaften, Vermitteln
  • 1.1.7 Formen der Zusammenarbeit unter Kollegen – Bellucci, Lazzarini und Molinari
  • 1.1.8 Neue Helligkeit und brillante Farben – Stil, Kunstauffassung und der Umgang mit bildlichen Ressourcen
  • 1.1.9 Cittadino, virtuoso, Unternehmer – Zur Selbstdarstellung Gregorio Lazzarinis
  • 1.1.9.1 Die Selbstportraits in jungen Jahren, als etablierter Maler …
  • 1.1.9.2 … und im Alter
  • 1.2 Elisabetta Lazzarini – im Schatten ihres Bruders
  • 1.2.1 Diventare „Elisabetta … Lazarini Pitrice“ – Rahmenbedingungen einer venezianischen Malerin
  • 1.2.2 Essere „Elisabetta … Lazarini Pitrice“ – Handlungsspielräume einer venezianischen Malerin
  • 1.2.3 Berufliche Anerkennung, Erfolg und Ruhm – Das Schicksal des eigenen Œuvres
  • 2 Giulia Lama – erfolgreich abseits des Mainstreams
  • 2.1 Giulia Lama figlia dell’arte – Ausgangsbedingungen einer künstlerischen Karriere
  • 2.2 Giulia Lama pittrice – Die Etablierung als Historienmalerin
  • 2.2.1 Öffentliche Sichtbarkeit – Ruhm und Anerkennung durch großformatige Kirchengemälde
  • 2.2.1.1 Das Altarbild für Santa Maria Formosa
  • 2.2.1.2 Das Altarbild für San Vidal
  • 2.2.2 Öffentliche Wirksamkeit – prestigeträchtige Gemälde für die Scuola Grande di San Teodoro
  • 2.2.3 Erweiterung der Klientel – Gemälde kleinerer Formate
  • 2.2.3.1 Judith und Holofernes – spannungsvolle Bildwirkung und Neuinterpretation
  • 2.2.3.2 Die Marter des Heiligen Johannes Evangelist – Verortung eines seltenen Bildthemas
  • 2.2.4 Künstlerische Kompetenz – Die Zeichnungen
  • 2.2.5 Praxisformen, Umgang mit bildlichen Ressourcen und Geschäftspolitik
  • 2.2.6 Spannungsvolles Helldunkel und erdige Farben – Stil und Kunstauffassung
  • 2.3 Giulia Lama poetessa – Die Erweiterung des Handlungsspielraumes
  • 2.3.1 Kreative Strategien dichterischer Positionierung – Motive, Praktiken des Schreibens und Beziehungen
  • 2.3.1.1 Liebeslyrik – Anknüpfen an legitimierte Formen weiblichen Sprechens und tradierte Motive
  • 2.3.1.2 Hochzeitsgedichte (Epithalamien), Gratulation zum Amtsantritt (Enkomiastik I) und Begräbnisgedichte (Epicedien) – gesellschaftliche Verflechtungen, ‚Sich-Empfehlen‘ und dichterischer Ruhm
  • 2.3.1.3 Enkomiastik II – die Strategie der Schwesterlichkeit
  • 2.3.2 (Förder-)Netzwerke von und um Giulia Lama in Kultur und Wissenschaft
  • 2.3.2.1 Lisalba – Schreiben im Horizont der Accademia dell’Arcadia
  • 2.3.2.2 Luisa Bergalli – Ein herausragendes intellektuelles Netzwerk und die gezielte Förderung von Frauen
  • 2.3.2.3 Luigi Lazzari – Vermitteln in gönnerschaftliche Kreise
  • 2.3.2.4 Antonio Conti – Ein Kontakt in die kulturell interessierte europäischen Elite der Zeit
  • 2.4 Cittadina, pictrix docta, Selbstständige – Zur Selbstdarstellung Giulia Lamas
  • 2.4.1 Das Selbstportrait in den Uffizien von 1726
  • 2.4.2 Die konstitutive Kraft des Blickes
  • 2.4.3 Die künstlerische Hand – Malerei im Spannungsfeld von Intellekt, Hand und Geschlecht
  • 2.4.3.1 Die inszenierte weibliche Hand – Die mano donnesca
  • 2.4.3.2 Das Perlenarmband – Schmink- und Luxusdiskurse sowie weibliche Ornamente
  • 2.4.4 Die nicht-idealisierte und zurückgenommene Erscheinungsweise
  • 2.4.4.1 Die Konstruktion von weiblicher Schönheit in Text und Bild um 1700
  • 2.4.4.2 Die Thematisierung der äußeren Erscheinung von Malerinnen – von der ‚schönen‘ zur ‚hässlichen‘ Malerin
  • 2.4.4.3 Der hässliche Körper des Künstlerindividuums in Text und Bild – genderspezifische Unterschiede
  • 2.4.4.4 Vorbilder, Darstellungskonventionen und Alleinstellungsmerkmale
  • 2.4.5 Das Potential des Darstellungstypus’
  • IV. Resümee
  • V. Anhang – Dokumente, Tabellen und Gedichte
  • VI. Abbildungsverzeichnis und Nachweis
  • VII. Quellen- und Literaturverzeichnis

Danksagung

Die vorliegende Publikation ist die leicht überarbeite Fassung meiner Dissertation, die im Dezember 2020 an der Kunsthochschule der Universität Kassel angenommen wurde und von mir im Mai 2021 verteidigt wurde. Hier ist nun der Ort, all jenen Menschen und Institutionen herzlich zu danken, deren vielfältige Unterstützung und Begleitung diese Arbeit erst ermöglicht haben.

Mein herzlichster Dank gilt meiner Doktormutter für die Betreuung der Arbeit und den wichtigen Impuls für die Beschäftigung mit der venezianischen Malerei um 1700. Meinem Zweitprüfer danke ich herzlich für die Übernahme des Zweitgutachtens und die wertvollen Denkanstöße. Dem Kollegium des Studiengangs Kunstwissenschaft danke ich ebenfalls für die herzliche Unterstützung während meiner Promotion, vor allem Stefanie Rehm, Daniel Wolf, Simone Weber, Dr. Susanne Märtens und Sophie-Luise Mävers. Fachbereichsüber- greifend möchte ich mich besonders bei Prof. Dr. Ingrid Baumgärtner für ihre Unterstützung bedanken sowie bei Dr. Hans Grote, der mir für Fragen zur italienischen Dichtung eine unersetzliche Hilfe war.

Das Stipendium am Deutschen Studienzentrum in Venedig ermöglichte mir nicht nur ein finanziell sorgenfreies Forschen in Venedig, sondern auch den disziplinübergreifenden lebendigen Austausch mit Wissenschaftler*innen vor Ort ebenso wie mit meinen Mitstipendiat*innen des Centro’. Hier gilt mein Dank vor allem Ludwika Lengert, Lotte Kosthorst, Thomas Manetsch, Vera Grund und besonders Juliane Märker, die mich auch tatkräftig beim Manuskript unterstützte. Ein Grazie di cuore geht an das großartige Team des Studienzentrums.

Dankbar bin ich zudem dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) für das Kurzeitstipendium in Venedig, um die Recherchen dort abschließen zu können. Ebenso gilt mein Dank der Rudolf-und-Ursula- Liebrum-Stiftung Kassel für ein Stipendium, das mir erste Forschungsarbeiten in Rom ermöglichte. Die erfolgreiche Weiterführung dieser Arbeiten habe ich dem Forschungsstipendium am Deutschen Historischen Institut in Rom zu verdanken. Hier danke ich dem gesamten Team sowie den Mitstipendiat*innen für die wertvollen Tipps und den konstruktiven Austausch.

Mein herzlicher Dank geht auch an die Mitarbeiter*innen der verschiedenen Archive, Bibliotheken und Museen für ihre Unterstützung bei meinen Recherchen, ohne welche die vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Meine Familie und mein Freundeskreis waren mir durch ihre unermüdliche Unterstützung, unerschütterliche Geduld und ihre stete Ermutigung eine unermessliche Hilfe. Sie haben mich durch dieses Projekt getragen. Ein besonderes Merci an Christine Hauck für den umfassenden kritischen Austausch und an meine Mutter für ihren wunderbar kraftvollen Blick auf die Dinge. Meinen Eltern – ad memoriam – widme ich diese Publikation.

Bemerkung zur Sprache …

Die Arbeit bemüht sich um eine gender- und differenzreflexive Sprache, die alle Personen unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität gleichermaßen anzusprechen und zu repräsentieren versucht. Aus diesem Grunde habe ich mich für geschlechtsneutrale Benennungen entschieden und ergänzend geschlechterumfassende Benennungen mit dem Gender-Sternchen* verwendet. Da die Arbeit im 17. und 18. Jahrhundert verortet ist, in denen oftmals ein explizit männlicher Adressatenkreis angesprochen wird, ist in diesen Teilen die historische Bezeichnung beibehalten worden. Formulierungen, die an die Konzeption des Betrachters und des Rezipienten rückgebunden sind, behalten die traditionelle männliche Form bei. Diese schließt die entsprechende weibliche Form gleichberechtigt mit ein.

… und zur Transkription

Bei der Transkription wurde die originale Orthographie beibehalten. Um den Lesefluss zu vereinfachen, sind bei den meisten Abkürzungen die fehlenden Buchstaben in runden Klammern ergänzt sowie Währungszeichen aufgelöst worden. Ein einfacher Schrägstrich kennzeichnet Zeilenumbrüche, ein doppelter Seitenumbrüche.

I Einleitung

„Tutta Venezia viene in servizio della Serenissima Casa Palatina e la sola Sig.ra Rosalba se ne resterà in Canal Grande alla Salute?“1

Bleiben oder gehen – für viele venezianische Maler am Ende des 17. zu Beginn des 18. Jahrhunderts führte der berufliche Weg ins Ausland. Durch ihre unermüdlichen Reisen durch Europa verbreiteten sie Anfang des 18. Jahrhunderts die Verve und den Ruhm Venedigs und verhalfen der venezianischen Malerei zu neuem Glanz.2 Der Hof in Düsseldorf, für den Rosalba Carriera in den zitierten Zeilen gewonnen werden sollte, war hierbei eine beliebte Station.3 Diese Abwanderung der Besten ihrer Profession beklagte Cosmo Valutelli im Jahre 1713 vor dem Collegio dei pittori, dem neu gegründeten Zusammenschluss der Figurenmaler in Venedig. Als Beispiele nannte er fast ausschließlich Maler einer Generation: Antonio Bellucci, Sebastiano Ricci, Niccolo Cassana und den jüngeren Antonio Pellegrini. Bis auf Cassana, der vornehmlich für seine Portraits geschätzt wurde, zählten sie zu den bedeutendsten Historienmalern ihrer Zeit. Ihre enorme Mobilität führte er auf eine Schwäche des Binnenmarktes zurück, aus der die schlechte Lage der venezianischen Maler um 1700 in der Lagunenstadt resultierte.4 Die Stadt in der Lagune zu verlassen, erscheint gemäß Valutellis Argumentation als logische Konsequenz und berufliche Notwendigkeit, um als venezianisches Malerindividuum von der Malerei leben zu können. Er war nicht der Einzige in Venedig, der das Narrativ einer strukturellen Krise der venezianischen Malerei und des venezianischen Kunstmarktes bediente und mit Formen beruflicher Mobilität der Kunstschaffenden in Verbindung brachte.5

Auch Rosalba Carriera, die das Angebot vom Hof in Düsseldorf ausschlug, gehörte zu den neuen Stars der venezianischen Malerei. Sie stieg in erster Linie durch ihre Pastellportraits zur gefeierten venezianischen Malerin von europäischem Rang auf. Obwohl auch sie längere Aufenthalte in Paris und Wien unternahm, war sie hauptsächlich in Venedig ansässig, vermied das Reisen weitgehend und knüpfte von dort aus ein Beziehungs- und Patronagegeflecht auf europäischer Ebene, das es ihr ermöglichte, als erfolgreiche Unternehmerin ihr Studio in der Lagunenstadt zu leiten. Bei der berühmten Pastellmalerin deutet sich an, dass es neben der künstlerischen Emigration an die europäischen Höfe und in die Kunstzentren der Zeit eine weitere Möglichkeit gab, durch die eine erfolgreiche Laufbahn sogar in der höchsten Gattung, der Historienmalerei, erreicht werden konnte. Diese bildete einen Gegentypus zum Wander- und Reisekünstler6, der exemplarisch in der Historienmalerei von Gregorio Lazzarini verkörpert wurde: Von Venedig aus gelang es ihm, zu einem der gefragtesten venezianischen Figurenmaler seiner Zeit aufzusteigen, dessen Gemälde auch von einer auswärtigen Klientel über die italienische Halbinsel hinaus nachgefragt wurden, und sein Atelier förmlich in ein Zentrum in einem Netzwerk von Förderern – sowohl auf innervenezianischer als auch auf europäischer Ebene – zu verwandeln. Lazzarini gehörte zur gleichen Generation der von Valutelli angeführten europäisch nachgefragten Maler.7 Ebenso fielen die zur selben Zeit tätigen Historienmalerinnen, zum Beispiel Elisabetta Lazzarini oder die deutlich jüngere Giulia Lama, nicht durch Reisen auf.

I.1 Fragestellung und Verortung

In der kunsthistorischen Forschung sind bisher vornehmlich die an anderen europäischen Stätten tätigen Malerinnen und Maler Venedigs betrachtet worden. Diese Untersuchung richtet sich auf diejenigen, die als Gegentypus zum Reise- und Wanderkünstler in und/oder aus Venedig heraus agierten. Ausgangspunkt ist die Grundannahme, dass die Malerinnen und Maler im Venedig um 1700 ihren Erfolg nicht allein ihren künstlerischen Fähig- und Fertigkeiten verdankten. Vielmehr war das Zusammenspiel der Akteure und Institutionen des venezianischen Kunstbetriebes der Zeit von zentraler Bedeutung für ihre Karriere. Hier setzt die vorliegende Studie an: Gegenstand ist die Frage, wie sich die einzelnen Aspekte des Spannungsfeldes des Kunstbetriebes in Venedig um 1700 in ihrem Zusammenwirken auf die Konstituierung und den Verlauf der Laufbahn8 der nicht-reisenden bzw. sesshaften Historienmalerinnen und -maler am exemplarischen Beispiel der Lazzarinis – der Geschwister Gregorio und Elisabetta – sowie Giulia Lamas auswirkten und welche Strategien sie zur künstlerischen Positionierung ergriffen. Ziel ist es, die individuellen Netzwerkstrukturen und die besonderen strukturellen und institutionellen Bedingungen zu rekonstruieren sowie die Austauschwege von Bildern und Ideen zwischen Malerindividuen untereinander und Malerindividuen und Förder*innen offenzulegen, um die jeweiligen Erfolgsfaktoren aufzuzeigen. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf den Künstlerinnen der Lagunenstadt.9

Neben der Aktivität auf dem Gebiet der Historienmalerei, der auch damals noch höchsten Gattung, sind die weiteren Auswahlkriterien für die näher zu beleuchtenden Malerindividuen, dass diese ungefähr einer Generation angehören und ihre künstlerisch fruchtbarste Zeit um die Jahrhundertwende vom Sei- zum Settecento hatten. Die Fokussierung auf die Geschwister Lazzarini, Gregorio und seine jüngere Schwester Elisabetta, sowie Giulia Lama führt verschiedene Karrierestrategien bzw. künstlerische Laufbahnen vor Augen, die zum einen als individuelle Profile der Person gerecht werden und zum anderen zugleich als exemplarisch für die Zeit um 1700 gelten dürfen. Die Wahl der deutlich jüngeren Giulia Lama neben Elisabetta Lazzarini ermöglicht, die Kunstproduktion von Malerinnen über einen sehr eng begrenzten Zeitraum hinaus zu betrachten, um durch eine diachrone Kontextualisierung eine differenziertere Neubewertung ihres künstlerischen Schaffens vornehmen zu können. Dadurch ist der größere Schwerpunkt auf die Künstlerinnen der Lagunenstadt im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen begründet.

Eine generelle Schwierigkeit der Forschung zu den Lazzarinis und Giulia Lama stellt die relativ karge Quellenlage sowie die Praxis nicht-signierter Gemälde dar. Zum einen betrifft dies die Artefakte selbst: Allgemein blieben in diesem Zeitraum nur wenige dekorative Zyklen unversehrt, wurden Leinwandgemälde für einen bestimmten Bestimmungsort und Kontext schlichtweg aus diesem herausgerissen und gelten heute zum Teil als verschollen. Überdies bestanden bereits nach wenigen Jahren Zuschreibungsprobleme. Zum anderen gilt diese Problematik hinsichtlich schriftlicher Überlieferungen. Denn es existieren nur spärliche schriftliche Aufzeichnungen und Beschreibungen, insbesondere für Gemälde in den Privathäusern. Ebenso gestaltet es sich für Dokumente, die eine fundierte Aussage über einzelne Aspekte des komplexen Zusammenhanges von Leben und Werk einzelner Malerindividuen ermöglichen.

I.2 Methodische und theoretische Ansätze

Um die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit zu erreichen, wird ein quellenanalytischer und wissenschaftshistorischer Ansatz gewählt, der sich auf die Beziehung des Künstlerindividuums zu den verschiedenen Aspekten seiner Umwelt im Sinne einer sozialgeschichtlichen und kulturhistorischen Betrachtung konzentriert. Insbesondere die im 21. Jahrhundert neu geprägte Begrifflichkeit der Künstlersozialgeschichte verweist auf ein Forschungsfeld, welches das schöpferische Individuum in seinen vielschichtigen Handlungsspielräumen in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt.10 Verbunden mit der Kritik und Abkehr von der Konzeption des Künstlers als Genie und ausgehend von der Abhängigkeit der künstlerischen Produktion und damit einhergehend der Laufbahn von sozialen und kulturellen Semantiken, erlaubt das heute weit differenzierte methodische Instrumentarium des sozialgeschichtlichen Ansatzes, die verschiedenen Akteure und Institutionen im Spannungsfeld des Kunstbetriebes sowie ihre Beziehungen untereinander in den Blick zu nehmen.

An die Ergebnisse des sozialgeschichtlichen Forschungszweiges anknüpfend, der in der jüngeren Forschung vermehrt die künstlerische Selbststilisierung betrachtete und eine stärkere Einbeziehung von Künstlerinnen vornahm, gilt es, die jeweiligen Strategien und Erfolgsfaktoren der Fallbeispiele innerhalb der komplexen wechselseitigen Beeinflussung von individuellen Voraussetzungen und objektiven Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Etablierung in der Historienmalerei zu untersuchen. Dabei findet eine historisch kontextualisierte, gendersensible und multiperspektivische Analyse Berücksichtigung, die auf zum Teil neuerschlossenem Quellenmaterial basiert.11

Die Wechselwirkungen zwischen Künstlerindividuum und seinem sozialen Umfeld können im Anschluss an das Habitus-Konzept von Pierre Bourdieu, das untrennbar mit seiner Feldtheorie und den Kapital-Sorten verbunden ist, in den Blick genommen werden. Der Habitus vermittelt als „strukturierte und strukturierende Struktur“12 zwischen sozialer Struktur und Praxis, zwischen Individuum und Kollektiv. Grundlegend ist die Annahme einer fundamentalen Einbettung des Akteurs in sein jeweiliges soziales und situationsgebundenes Umfeld, die seine Formen des Handelns, Denkens und Wahrnehmens beeinflusst. Durch die vielschichtigen und dialektischen Prozesse der Sozialisation und Erziehung, der Konditionierung und Disziplinierung, mit Bourdieu gesprochen der Habitualisierung, erwirbt das Individuum ein System von Dispositionen – den Habitus –, die als Denk-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata fungieren. Dieses angeeignete Muster ist übertragbar auf andere Situationen und kann variiert werden, gemäß der Tendenz in ähnlichen Situationen ähnlich zu handeln. Der Habitus ist demnach Ergebnis der Einverleibung, der Inkorporation von gesellschaftlichen Strukturen, und erzeugt wiederum ihm angepasste Praxisformen, die obwohl sie bewusst sein können, sich dem Bewusstsein entziehen und zur Reproduktion und Aufrechterhaltung des Vorgegebenen beitragen. Der Habitus ist langfristig betrachtet weitgehend stabil und dauerhaft, jedoch nicht starr und inflexibel. Auch Bourdieus habitusimmanenter Strategiebegriff, der auf den Erhalt sowie auf die Verbesserung sozialer Positionen zielt und auf den Akteuren innewohnenden praktischen Sinn für Entscheidungen verweist, umfasst sowohl die bewussten Anteile menschlichen Denkens, Handelns und Wahrnehmens als auch – in Abgrenzung zu rational choice theory – vor allem den überwiegenden Teil, die weitgehend automatisierten, die unbewussten Anteile als generierte Praktiken des Habitus’.13

Wird der immanente Determinismus nicht eng ausgelegt, fasst der Habitus in seiner dialektischen Konzeption gesellschaftliche Prägung und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten, der eine „Offenheit und Beweglichkeit der künstlerischen Positionierung“14 ermöglicht, sowie auch ihre Begrenzung festlegt.15 Die Ausbildung des Habitus’ vollzieht sich gemäß Bourdieu in der Praxis, immer in Relation zu bestimmten Feldern, wobei er die Art und Weise jedoch nicht bestimmt, da er keine Sozialisierungstheorie vorgelegt hat.16 Mit dem Ausdruck der sozialen Mimesis im Anschluss an Gunter Gebauer und Christoph Wulf lässt sich die ursprüngliche und vorrangige Art der Habitualisierung fassen. Hiernach verschränken sich in mimetischen Prozessen Rezeptivität und Aktivität, Subjektivität und Objektivität.17

Der Kunstbetrieb ist für Bourdieu ein eigenes soziales Feld, genauer das künstlerische Feld, das von einem Netz objektiver Relationen zwischen den Positionen definiert ist, die durch eine ungleiche Verteilung von Ressourcen geprägt sind. Ganz allgemein ist es als Spielfeld, als „Kräftefeld zu begreifen, auf dem soziale Akteure strategisch um begehrte Positionen und Ressourcen kämpfen“18. Für den Erfolg eines Künstlerindividuums im künstlerischen Feld ist entscheidend, dass es gemäß der spezifischen Logik dieses Feldes agiert, über die illusio verfügt, den kollektiven Glauben an den Sinn und den Wert der Aktivitäten im Feld, die ebenfalls in der Regel vorbewusst ist.19 Es muss zudem die Einsätze, Regeln und das Ziel kennen, um sich erfolgreich auf dieses soziale Spiel einzulassen. Die Malerinnen und Maler stehen durch die ungleich verteilten Kräfte in einem steten Ringen miteinander. Es geht darum, das eigene symbolische Kapital, jene individuelle Akkumulation des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals, so einzusetzen, um die bestmögliche Position innerhalb des Feldes einzunehmen, die eigene Position zu verbessern, zumindest jedoch zu bewahren. Nur auf diese Art und Weise ist künstlerischer Ruhm zu erlangen, der auf Bekanntheit und Anerkennung beruht.20 Ausschlaggebend für die Etablierung in diesem Feld ist gemäß Bourdieus relationaler Distinktions-These, „sich an Unterscheidungsmerkmalen (einer Manier, einem Stil, einer Besonderheit), d. h. sublimen Differenzierungen zu erkennen und erkennen zu lassen“21. Der künstlerische Stil und die inhaltlich-motivische Produktion sind Resultat des Habitus’. Sie beziehen sich verstanden als Positionierungen (und Lösungsmöglichkeiten) immer auf bereits Vorhandenes im künstlerischen Feld und dessen speziellen Anforderungen.22 Gerungen wird auch um die Spielregeln selbst, die sie zu ihren Gunsten zu beeinflussen versuchen. Bourdieu selbst beschäftigte sich intensiver mit dem literarischen Feld, dessen recht anschauliche Bestimmung sich leicht auf das bildkünstlerische übertragen lässt:

„Das Feld ist ein Netz objektiver Beziehungen (Herrschaft oder Unterordnung, Entsprechung oder Antagonismus usw.) zwischen Positionen: der einer Gattung zum Beispiel wie dem Roman oder einer Untergattung wie dem Gesellschaftsroman oder, unter einem anderen Blickwinkel zwischen der Position, die eine Zeitschrift, ein Salon oder ein Zirkel als Sammelpunkt von Produzenten spielen. […] Alle Positionen hängen in ihrer Existenz selbst und in dem, was sie über ihre Inhaber verhängen, von ihrer aktuellen und potentiellen Situation innerhalb der Struktur des Feldes, das heißt innerhalb der Struktur der Verteilung der Kapital- (oder Macht-)sorten ab, deren Besitz über die Erlangung spezifischer, innerhalb des Feldes umstrittener Profite (wie literarisches Prestige) entscheidet.“23

In diesem Zusammenhang unterstrich Bourdieu bereits die besondere Bedeutung des Images eines Schriftstellers für dessen Position.24 Für die Selbstdarstellung der Malerinnen und Maler würde dies innerhalb der Bourdieuschen Konzeption bedeuten, dass diese immer intuitiv-strategisch ist, zum wesentlichen Teil habitualisiert und unbewusst erfolgt. Identitätsbildung und mit ihr einhergehende berufliche Laufbahn sind demnach nicht vollkommen determiniert, sondern erhalten eine bestimmte Richtung. Bourdieu untersuchte allerdings keine Individuen, sondern Gruppen und Klassen, so dass er interpersonale Beziehungen vernachlässigte und sich auf distinktive und objektive Beziehungen konzentrierte.

Um das Künstlerindividuum, seine individuellen Beziehungen und den Akt der Selbstinszenierung in den Mittelpunkt zu stellen sowie den in Bourdieus Theorie enthaltenen Determinismus zu relativieren, bieten sich zwei korrigierende Ergänzungen an. Zum Ersten eignet sich der von Stephen Greenblatt in seiner historisch-kultursoziologischen Prägung geschaffene Begriff self-fashioning, um die Intentionalität der Selbstdarstellung und Identitätsentfaltung in den Vordergrund zu rücken sowie mit der Zuweisungen und Ausübung von sozialen Rollen zu verbinden.25 Zum Zweiten ermöglicht eine Verknüpfung der Habitus- und Feldtheorie Pierre Bourdieus mit der Netzwerkperspektive bzw. Historischen Netzwerkanalyse, nicht nur Gruppen oder Klassen in den Blick zu nehmen, sondern das Künstlerindividuum und seine verschiedenen interpersonalen Beziehungen zu untersuchen.26 Sie bietet „die Möglichkeit, individuelle Strategien als eine Kombination aus objektiven Positionen, individuellen Eigenschaften sowie Interaktionen zu analysieren“27.

Die Arbeit ist in zwei große Teile untergliedert. Den Auftakt bildet im ersten Teil ein Überblick über die historischen sozio-kulturellen und institutionellen Strukturen Venedigs um 1700 mit einem Schwerpunkt auf den spezifischen Rahmenbedingungen des Kunstbetriebes. Von dieser Grundlage ausgehend werden im zweiten Teil die Fallbeispiele der Geschwister Gregorio und Elisabetta Lazzarini sowie Giulia Lama analysiert, um deren Erfolgsfaktoren und Strategien herauszuarbeiten. Aufgrund der unterschiedlichen Quellenlage für die exemplarischen Beispiele der Lazzarinis und Giulia Lama ist ein symmetrischer Aufbau der Arbeit nur bedingt möglich, folgt jedoch stets dem Narrativ von Sichtbarkeit, Beziehungs- und Patronagegeflecht, Motivrepertoire, Stil sowie Formen der Arbeitspraxis und der Selbstdarstellung. Aus diesem Grund wurde bei Gregorio Lazzarini zunächst ein primär chronologischer Zugang gewählt, der sich anschließend thematischen Aspekten zuwendet. Bei Elisabetta Lazzarini sowie Giulia Lama dient das Kriterium der Öffentlichkeitswirksamkeit als Gliederungskriterium, um ihre Werke und ihre künstlerische Etablierung im Horizont einer chronologischen Kontextualisierung der künstlerischen Laufbahn zu thematisieren. Im Anschluss erfolgt bei Giulia Lama wiederum eine thematische Strukturierung.

I.3 Quellenlage

Die zugrundeliegenden Quellen sind vielgestaltiger Art: Herangezogen wurden zeitgenössische Biographien, Memoiren, Kritiken, Journale, Reiseberichte und Einträge in Lexika, Briefwechsel, Publikationen der Guiden-Literatur und Gedichtbändchen sowie eine Vielzahl archivalischer Dokumente. Die bildlichen Quellen umfassen Gemälde, Kupferstiche und Zeichnungen. Die ausgewerteten Archivalien sind aufgrund der aufgezeigten Quellenlage verstreut und wurden in verschiedenen Archiven zusammengetragen, um durch eine Synthese des fragmentierten Wissens bildlich gesprochen, jedem Teil den ihm gebührenden Platz im Puzzle zuzuweisen. Wesentlich für die Auseinandersetzung mit dem Atelier ‚Lazzarini‘ ist die Vita Gregorio Lazzarinis von Vincenzo Da Canal, die aber erst 1809 von Giannantonio Moschini publiziert wurde.28 Innerhalb einer quellenkritischen Einbettung bietet sie grundlegende Auskünfte über das komplexe Verhältnis von Malerindividuum und Auftraggeber und seinen verschiedenen Aspekten. Von den bereits publizierten Briefwechseln ist derjenige zwischen Abate Antonio Conti und Mme de Caylus mit Bemerkungen zu Giulia Lama hervorzuheben29 sowie die Korrespondenz zwischen Conte Stefano Conti aus Lucca und verschiedenen Malerindividuen bezüglich der Aufträge für seine Galerie, zu denen auch Gregorio Lazzarini gehörte30. Neu erschlossen sind die in der Biblioteca dei Concordi in Rovigo sowie im Staatsarchiv von Reggio Emilia archivierten Briefe von Luigi Lazzari aus Venedig an Antonio Vallisneri, die neue Einsichten in das Beziehungs- und Patronagegeflecht Giulia Lamas offenbaren.31 Das dichterische Œuvre Lamas konnte insbesondere durch die Durchsicht von zeitgenössischen Publikationen zu besonderen Anlässen und von mit Luisa Bergalli in Verbindung stehender Veröffentlichungen sowie durch Hinweise aus Manuskripten zu venezianischen Autor*innen und herausragenden Venezianerinnen um weitere Gedichte ergänzt werden, die hier erstmals betrachtet werden.

Notariatsdokumente im Staatsarchiv von Venedig und für die Lazzarinis zudem im Staatsarchiv von Pordenone sowie Tauf-, Heirats- und Sterberegister im Archivio Storico del Patriarcato di Venezia bilden die Grundlage für die Rekonstruktion der familiengeschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge. Das in diesem Zusammenhang gehobene Testament Elisabetta Lazzarinis eröffnet neue Einblicke von sozialgeschichtlicher Relevanz.32

In Venedig sind im Staatsarchiv zu den Malerindividuen sowie einzelnen Aufträgen und Werken vorrangig die Akten der Arti, der Dieci Savi alle Decime in Rialto, der Milizia da Mar, der Provveditori alle Pompe, der Giustizia Vecchia, des Senato, der Giudici di Petizion und der Provveditori al Sal herangezogen worden. Hinzu kommen hier Archivalien der Scuola di San Teodoro, der Avogaria di Comun und der Scuole Piccole e suffragi. Ergänzt wird dieser Corpus zum einen durch das im Archivio Storico del Patriarcato di Venezia konservierte Archivmaterial zu den Pfarren von Santa Maria del Giglio, San Canciano, San Pantalon, San Vidal zu Artefakten in den dortigen Kirchen sowie den Unterlagen des Archivio Segreto zur klerikalen Laufbahn Antonio Lazzarinis. Zum anderen wird er vervollständigt durch Inventare und Manuskripte aus dem Bestand der Biblioteca del Museo Correr und der Biblioteca Nazionale Marciana sowie Unterlagen aus dem Familienarchiv Foscari Widmann Rezzonico (Mira).

Für Gregorio Lazzarinis Arbeiten für die Bounaccorsi in Macerata stellten die Einsicht und Auswertung der kopierten ausgehenden Briefe (Copie Lettere) Raimondo Bounaccorsis sowie der Hauptbücher (Libri Mastri) und Rechnungsbücher (Libri dei conti) der Bounaccorsi, die im Staatsarchiv von Macerata archiviert sind, eine wertvolle Quelle dar.

In Rom ist der Quellencorpus des Archivs der Accademia degli Arcadi in der Biblioteca Angelica – die Atti Arcadici, das mehrbändige Manuskript Catalogo dei Pastori arcadici dal 1690 al 1824 und die Manoscritti – herauszustellen, der im Hinblick auf Giulia Lama ermöglichte, die Aufnahmemodalitäten der aus Venedig stammenden Mitglieder sowie speziell der weiblichen zu erfassen, die nichtpublizierten literarischen Beiträge durchzusehen und zudem die vielschichtigen Netzwerke rund um die römische Arcadia mit ihrem Beziehungsgeflecht zur Lagunenstadt nachzuvollziehen.

I.4 Forschungsstand

Die venezianische Malerei des Sei- und Settecento ist erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein Thema in der kunsthistorischen Forschung. Lange Zeit bestanden Zugangsschwierigkeiten zum künstlerischen Schaffen dieser Periode in Venedig, obwohl einige Malerinnen und Maler der Serenissima zu internationalem Ruhm gelangt waren. Als Barriere wirkte u. a. der jeweilige Zeitgeschmack. Neue Aufmerksamkeit erhielten insbesondere die reisenden und in Gesamteuropa beliebten Künstlerinnen und Künstler der Lagunenstadt des Settecento.33 Gerade die Übergangsphase zwischen den beiden Jahrhunderten fand dabei wenig Beachtung, stellten die verschiedenen zeitgleichen Stile und die Aufnahme von erneuernden Elementen eine Herausforderung der Kategorisierung dar. Dies wird besonders offensichtlich durch einen Blick in die beiden Standardwerke zur venezianischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, die Rodolfo Pallucchini geordnet nach Kriterien stilistischer Verwandtschaft im Abstand von 20 Jahren schrieb.34 Neuere Überblickswerke zur venezianischen Malerei der Serie La pittura nel Veneto stellen daher verknüpft mit dem Wissenszuwachs der letzten Jahrzehnte weniger die einzelne Person als vielmehr das Kunstwerk in seinem vielschichtigen Kontext betrachtet in den Mittelpunkt.35

Nachdem primär Stilfragen, Zuschreibungsprobleme und Ausstattungskonzepte von Gebäuden Gegenstand der kunsthistorischen Untersuchungen bildeten, kam durch eine stärker sozialhistorisch orientierte Forschung, nicht zuletzt durch eine „kulturhistorische Wende“36 und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, das Verhältnis von Künstler und Auftraggeber genauer in den Blick. Francis Haskell schuf mit Patrons and Painters37 1963 ein grundlegendes Standardwerk hinsichtlich dieser Beziehung im italienischen Barock, in dem er mit Schwerpunkt auf Rom und Venedig, aber auch auf periphere Zentren des Kunstsammelns wie Macerata oder Lucca, die sozialen, ökonomischen, kulturellen und künstlerischen Bedingungen des 17. und 18. Jahrhunderts untersuchte. Speziell für das frühneuzeitliche Venedig analysierte Michel Hochmann in seiner sozialgeschichtlich angelegten Arbeit Peintres et commanditaires à Venise (1540–1682)38 das komplexe Verhältnis zwischen Auftraggeber und Maler. Hochmann grenzte die Studie auf vorwiegend bekannte Maler ein und endete im ausgehenden 17. Jahrhundert, so dass Malerinnen und Maler, die ab der Mitte des Seicento aktiv waren, ausgeklammert sind. Für das Verständnis der Sammelkultur in der Lagunenstadt sind die sozio-kulturell verorteten Arbeiten von Krzysztof Pomian von Relevanz, in denen er die verschiedenen Typen von Sammlern betrachtet, deren Motivation sowie die verschiedenen Objektgruppen beleuchtet.39 Eine wegweisende Studie zum venezianischen Kunstmarkt des Seicento und einen Überblick zu demjenigen des Settecento leisten die Untersuchungen von Isabella Cecchini.40 Seitdem sind verschiedene Beiträge entstanden, die sich mit dem Phänomen des Kunstmarktes des 17. und 18. Jahrhunderts in Venedig und einzelnen Aspekten beschäftigen.41 Die Sammeltätigkeit innerhalb der Lagunenstadt sowie einige Akteure werden durch die beiden von Linda Borean und Stefania Mason Rinaldi 2007 und 2009 herausgegebenen Sammelbände greifbarer.42 Hervorzuheben ist zudem der 2015 erschienene Beitrag von Evelyn Korsch, in dem sie das Zusammenspiel der am Kunstmarkt beteiligten Akteure und Institutionen für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts aus sozio-ökonomischer Perspektive aufzeigt.43

Über die Organisation der Maler untereinander, der in Venedig eine besondere Rolle zukam, geben verschiedene Studien Aufschluss. Uneinigkeit besteht über die Gründe für die im Vergleich zu anderen italienischen Kunstzentren der Zeit späten Autonomiebestrebungen der venezianischen Maler, die sich 1682 mit der Gründung des Collegio dei Pittori von dem zunftartigen Zusammenschluss der Arte dei Depentori lösten44 und erst 1750 eine offizielle Kunstakademie gründeten, wie sie bereits in Florenz, Rom und Bologna bestand45. Eine weiterführende Untersuchung steht hier noch aus.46 Neben dem bislang nur in Ansätzen untersuchten künstlerischen Selbstverständnis der Malerinnen und Maler der Lagunenstadt und ihrer Selbststilisierung spielt hier ebenso die Bedeutung der verschiedenen informellen accademie mithinein.47 Erste Ergebnisse für die Selbstdarstellung der venezianischen Maler im Seicento bieten die Recherchen von Linda Borean, welche die Relevanz der Herausbildung des Prototyps des doctus artefix und des artista gentiluomo für die Generation der Maler betont, die in den 1650ern geboren sind, zu denen auch Gregorio Lazzarini gehörte.48 Diese Erkenntnisse sind bislang jedoch nicht für die um 1700 aktiven Maler aufgegriffen worden. Eine Weiterführung im Hinblick auf die berufliche Selbststilisierung Gregorio Lazzarinis fehlt. Von Malerinnen abstrahiert diese Untersuchung vollkommen. Mit einer komparativen Ausrichtung zu zeitgenössischen berühmten Malern aus Rom, Venedig und Bologna hat Anette Hojer bereits zuvor in ihrer Dissertation die Selbststilisierung des neapolitanischen, europaweit erfolgreichen Malers Francesco Solimena (1657–1747) analysiert. Dabei konzentrierte sie sich bei den Protagonisten aus der Lagunenstadt allerdings auf diejenigen, die in die Kategorie ‚Reisekünstler‘ fallen.49

Aus einer ökonomischen Perspektive betrachtet stellte Philip Sohm auf Grundlage der bisher in der Forschung gewonnenen Daten und Informationen 2010 die verschiedenen Variablen dar, welche die wirtschaftlichen Umstände der venezianischen Maler beeinflussten.50 Er spannte dabei einen Bogen vom Tode Tizians bis zum Aufstieg Tiepolos, d. h. von 1550 bis ca. 1750, ohne neue Forschungsergebnisse für ein vollständigeres Panorama zu ergänzen.

Der Begleitband zur Ausstellung Officina veneziana. Maestri e botteghe nella Venezia del ’700 im Jahre 2002 stellte die Bedeutung der künstlerischen Produktion im Spannungsfeld zwischen Kunst und Gewerbe im venezianischen Settecento in den Mittelpunkt, indem das traditionelle Konzept der Werkstatt (bottega), Formen künstlerischer Zusammenarbeit, Spezialisierungsformen, Arten und Orte der Weitergabe künstlerischen Wissens sowie verschiedene Beschäftigungsarten beleuchtet wurden.51 Diese Ergebnisse bilden einen Anknüpfungspunkt für eine differenzierte Rekonstruktion des künstlerischen und kulturellen Hintergrundes.

Ein interdisziplinär angelegtes Forschungsfeld zu venezianischen Frauen inklusive der zahlreichen Künstlerinnen der Lagunenstadt hat epochenübergreifend die genderspezifischen sozio-kulturellen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Rollenzuweisungen, Geschlechterbilder und den Status der Frau untersucht. Diese Ergebnisse liefern wichtige Impulse für die weitere Erforschung der venezianischen Künstlerinnen. Auf dieser Grundlage formulierte Susanne Winter 2007 die Leitfrage nach der Existenz und Funktion einer Art Netzwerk venezianischer Künstlerinnen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts52, die bisher noch nicht hinreichend beantwortet wurde.53 Insbesondere für Künstlerinnen der Frühen Neuzeit verdeutlichten verschiedene Studien in jüngerer Zeit, dass neues Archivmaterial das Verständnis ihrer künstlerischen Produktion erweitert.54

Auch bei Gregorio Lazzarini ist die Beschäftigung mit seinem Werk in der kunsthistorischen Forschung erst relativ spät erfolgt, obwohl er unter seinen Zeitgenossen ein hohes Ansehen genoss. Giuseppe Maria Pilo beschäftigte sich bereits Ende der 1950er Jahre intensiver mit dem Werk des venezianischen Malers und rekonstruierte dessen fortuna critica.55 Eine eigenständige Monographie liegt trotz einzelner wichtiger Studien zur Erweiterung und Erstellung eines Kataloges des vielseitigen und umfangreichen Œuvres von Lazzarini bis heute allerdings nicht vor.56 Einige von Lazzarinis großformatigen Arbeiten, beispielswiese für den Palazzo Correr, fanden im Zusammenhang von Untersuchungen zu Ausstattungskonzepten einzelner Gebäude verstärkte Aufmerksamkeit in Forschungskreisen.57 Funktionsgeschichtlich ausgerichtete Untersuchungen lieferten für die beiden prestigeträchtigsten Aufträge – für die Kirche San Pietro di Castello und für den Triumphbogen im Dogenpalast – einen Wissenszuwachs einzelner Teilaspekte.58 Dass die Offenlegung von Patronageverhältnissen und Vermittlungsstrukturen für das Verständnis für das Werk Lazzarinis aufschlussreich ist, zeigen die bisherigen Studien zu einzelnen Auftraggebern außerhalb der Serenissima, beispielsweise für die Sammlung Conti in Lucca.59 Im Rahmen der Aufarbeitung des Œuvres seiner nahezu gleichaltrigen venezianischen Kollegen Antonio Molinari und Antonio Bellucci, zu denen Alberto Craievich 2005 und Fabrizio Magani 1995 jeweils einen Catalogue raisonné vorlegten60, streiften die Untersuchungen, in denen wirkungs- und rezeptionsästhetische Kriterien sowie soziokulturelle Aspekte an Bedeutung gewannen, auch das Werk Lazzarinis sowie Einzelaspekte seiner künstlerischen Tätigkeit, die es zu vertiefen gilt. Marcello De Vecchi und Gian Piero Del Gallo haben erstmalig weitere Mitglieder der Familie Lazzarini in den Blick genommen sowie die Relevanz der Verbindung zu Cinto und Umgebung herausgestellt, um die Bedeutung des Aspektes ‚Familie‘ für die Erfolgsgeschichte des Ateliers ‚Lazzarini‘ hervorzuheben.

Weitgehend unerforscht sind heute noch die zu dieser Zeit tätigen Malerinnen mit Ausnahme von Rosalba Carriera (1673–1757). Zwar wurde die Venezianerin Giulia Lama (1681–1747) im Jahre 1933 von Rodolfo Pallucchini ‚wiederentdeckt‘61, lange Zeit jedoch immer in Abhängigkeit des heute berühmteren Giambattista Piazzetta dargestellt – und zwar als seine Schülerin. Hierfür gibt es jedoch keine stichhaltigen Belege. Durch seine Aussage im Jahre 1970, dass Giulia Lama aktuell nicht den ihr zustehenden Platz innerhalb der venezianischen Malerei einnehme, hinterfragte Pallucchini diese Beziehung in einem gewissen Maße und relativierte seine eigene, zehn Jahre zuvor publizierte Aussage.62 Die Forschung konzentrierte sich zunächst auf eine Rekonstruktion ihres zeichnerischen und malerischen Œuvres, um schrittweise vor allem durch die Studien von Rodolfo Pallucchini und Ugo Ruggeri, der 1973 den grundlegenden Werkkatalog vorlegte, ein künstlerisches Profil der Malerin erstellen zu können.63 Regelrecht ausgeklammert ist bis jetzt die Aufschlüsselung von Auftraggeberverhältnissen und Patronagebeziehungen.

Giuseppe Fiocco kommt das Verdienst zu, das Selbstportrait Lamas 1929 aufgespürt zu haben.64 Liana De Girolami Cheney, Alicia Craig Faxon und Kathleen Russo betrachteten 2009 erstmals die professionale Selbststilisierung Giulia Lamas im größeren Zusammenhang der Entwicklung der piktoralen Selbstdarstellung von italienischen Malerinnen des 18. Jahrhunderts.65 Sie untersuchten in ihrem Überblickswerk Self-Portraits by Women Painters die Selbstverständnisse, die jede Malerin durch ihr Selbstportrait sich zu vermitteln entschied, sowie Konzepte von female agency und weiblicher Identität. Trotz dieser impulsgebenden Thematisierung steht eine umfassende Analyse der beruflichen Selbstdarstellung Lamas im Kontext von Ausdrucksformen künstlerischer Selbstinszenierung von Malerinnen im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert in Italien noch aus. Die Rezeptionsgeschichte von Giulia Lama demonstriert, dass tradierte Wahrnehmungsmuster und Bewertungskriterien entlang der Genderdifferenz auch in einer feministisch beeinflussten Kunstgeschichte weiterhin Anwendung fanden.66 Insbesondere der Topos der hässlichen Malerin ist in der Forschung bisher unzureichend analysiert worden, weder hinsichtlich sozialer Fremdwahrnehmung noch bezüglich nicht-idealisierter Selbstinszenierung. Richtungsweisend sind hier die Studien von Julia K. Dabbs, in denen sie die Wahrnehmungs- und Darstellungsmuster von Künstlerinnen in schriftlichen Überlieferungen zu diesen aufzeigt und in Beziehung zu einer nicht-idealisierten Selbstdarstellung setzt.67

Obwohl schon Egidio Martini 1982 erkannte, dass eine genauere Untersuchung der Aktivitäten Lamas auf dem Gebiet der Dichtung die Positionierung der Venezianerin in der kulturellen Sphäre der Lagunenstadt und darüber hinaus erhellen würde, ist dies noch immer ein offenes Desiderat, das lediglich in Ansätzen in zwei universitären Studienabschlussarbeiten jüngeren Datums berücksichtigt wurde.68 Zwar setzte sich jüngst Lina De Girolami Cheney zum Ziel, die Forschungslücken hinsichtlich der dichterischen Fähigkeiten sowie des innovativen Potentials Lamas in der Malerei zuschließen, jedoch nahm sie nur von den bereits bekannten Gedichten eine werkimmanente Analyse vor.69 Auch von Seiten der literaturhistorischen Forschung ist bislang keine nennenswerte Auseinandersetzung mit Lamas dichterischen Werk erfolgt.70 Erschwerend tritt hinzu, dass parallel zu den Malerinnen auch die Dichterinnen dieser Zeit erst in der aktuellen Forschung zum Gegenstand wurden und selbst Studien zu ihren männlichen Kollegen noch ausstehen.71 Mit der Würdigung der Doppelbegabung Lamas stellte Pietro Delpero die Künstlerin 2011 erstmals in einen größeren kulturellen Zusammenhang und erhellte auf Grundlage bekannter Überlieferungen ihr individuelles Beziehungsgeflecht.72 Dennoch blieb eine weiterführende Erforschung ihres sozialen Netzwerkes ein Desiderat, das einen Wissenszugewinn hinsichtlich beruflicher Laufbahn Lamas und ihrer Verortung in der sozio-kulturellen Sphäre verspricht.

Viel weniger ist über Elisabetta Lazzarini (1662–1729) bekannt, die nur in Abhängigkeit von ihrem heute berühmteren ebenfalls malenden Bruders Gregorio thematisiert wurde. Erstmalig und bisher einmalig widmete ihr 1996 Giovanna Baldissin Molli einen monographischen Beitrag in der Anthologie Le tele svelate, die in ihrer Gesamtschau neue Perspektiven auf die Kunstproduktion von venezianisch-venetischen Malerinnen eröffnete.73 Wichtigste und nahezu einzige Quelle für ihre Biographie und ihre bildkünstlerische Produktion stellte bis dato die von Da Canal geschriebene Vita ihres Bruders Gregorio dar.74

Die in der Forschung aufgegriffenen Teilaspekte werden in der vorliegenden Arbeit verbunden und um bisher nicht thematisierte Fragestellungen und neue Lesarten ergänzt, um eine Verortung der Lazzarinis und Giulia Lamas im venezianischen Kunst- und Kulturbetrieb und darüber hinaus vorzunehmen.


1 Giorgio Maria Rapparini in seiner Funktion als Agent für den Kurfürsten von der Pfalz in einem Brief an Rosalba Carriera vom 28.05.1712, publ. in: Sani, Bernardina: Rosalba Carriera. Lettere, diari, frammenti, Bd. 1, Florenz 1985, S. 202.

2 Vgl.: Romanelli, Giandomenico: Venedig und seine Kunst im 18. Jahrhundert, in: Trudzinski, Meinolf; Schälicke, Bernd (Hrsg.): Venedigs Ruhm im Norden, Ausst.-Kat., Hannover 1991, S. 11.

3 Vgl.: Haskell, Francis: Maler und Auftraggeber. Kunst und Gesellschaft im italienischen Barock, Köln 1996 (OT: Patrons and Painters. A study in the relations between Italian art and society in the age of baroque, New York 1963), S. 404.

4 Vgl.: ASVe, Milizia da Mar, b. 550–551, Pittori (14.07.1713), erstmals publ. in: Favaro, Elena: L’arte dei pittori in Venezia e i suoi statuti, Florenz 1975 (Pubblicazioni della Facoltà di Lettere e Filosofia / Università degli Studi di Padova; 55), Dok. VII, S. 221–222.

5 Bspw. sprach auch Antonio Zanchi, priore des Collegio dei pittori, 1690 von der „istabilità della professione dei pittori“ (ASVe, Milizia da Mar, b. 550–551, Pittori, Rollo de’ pittori matricolati nel Collegio (05.06.1690), publ. in: Favaro 1975, Dok. VI, S. 215–219, hier S. 219).

6 Zur Problematik des Begriffs Wanderkünstler siehe: Caeser, Claudia: Der „Wanderkünstler“. Ein kunsthistorischer Mythos, Berlin [u. a.] 2012 (Grazer Edition; 8) (Zugl.: Kassel, Univ., Diss. 2006).

7 Vor diesem Hintergrund differenzierte Angelo De Coster als cancellario des Collegio dei Pittori 1724 drei Typen von venezianischen Malern und damit einhergehend drei verschiedene mögliche Karrierestrategien: 1) die virtuosi, die sich um ihre Werkstatt, ihr Studio kümmerten, um Ruhm zu erwerben und ihre Heimat zu ehren; 2) die sogenannten Wanderkünstler, die mal hier mal dorthin gehen, umherzeihen (vagando), um irgendwo fortbestehen zu können; 3) die Maler, die eine bottega da quadri besitzen, d. h. eine Werkstatt, die mit Gemälden Handel betreibt. Malerinnen berücksichtigt diese Kategorisierung jedoch nicht. Zu den Worten von Angelo De Coster (1680−1736), dem in Venedig geborenem und auch verstorbenen Sohn des aus Antwerpen stammenden Malers Pieter De Coster vgl.: Favaro 1979, Dok. VIII, S. 225.

8 Der Begriff Laufbahn fasst die berufliche Entwicklung einer Person, die weder Aussagen über die Qualität noch die Richtung dieser beinhaltet. Das oftmals synonym verwendete Wort Karriere impliziert bereits beruflichen Erfolg und eine Aufwärtstendenz. Zum Begriffsverständnis von Laufbahn und Karriere im Horizont eines deutschen und anglo-amerikanischen Vergleichs siehe: Gasteiger, Rosina M.: Selbstverantwortliches Laufbahnmanagement. Das proteische Erfolgskonzept, Göttingen [u. a.] 2007, S. 25–27.

9 Dabei ist hervorzuheben, dass diese Arbeit kein reiner Beitrag zu Malerinnen Venedigs darstellt. Vielmehr sollen aus einer gendersensiblen Perspektive allgemeine Möglichkeiten und Bedingungen aufgezeigt werden, die sowohl für venezianische Malerinnen als auch Maler galten, um im Betrachtungszeitraum die Historienmalerei in Venedig auszuüben.

10 Zum Forschungsfeld der Künstlersozialgeschichte vgl.: https://www.arthis​tori​cum.net/the​men/port​ale/kuenst​lers​ozia​lges​chic​hte/. Ergänzend sei exempl. verwiesen auf: Tacke, Andreas (Hrsg.): Der Künstler in der Gesellschaft. Einführungen zur Künstlersozialgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2011.

11 Einflussreiche Studien in diesem Bereich sind: Haskell, Francis: Maler und Auftraggeber. Kunst und Gesellschaft im italienischen Barock, Köln 1996 (OT: Patrons and Painters. A study in the relations between Italian art and society in the age of baroque, New York 1963); Baxandall, Michael: Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1977 (OT: Painting and experience in fifteenth century Italy. A primer in the social history of pictorial style, Oxford 1972); Warnke, Martin: Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985 (DuMont’s Bibliothek der Kunstwissenschaft) (Teilw. zugl.: Münster, Univ., Habil.-Schr. 1969).

Für die künstlerische Selbststilisierung bspw. für England und Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jh.: Joachimides, Alexis: Verwandlungskünstler. Der Beginn künstlerischer Selbststilisierung in den Metropolen Paris und London im 18. Jahrhundert, München [u. a.] 2008 (Münchener Universitätsschriften des Instituts für Kunstgeschichte; 9) (Teilw. zugl.: München, Univ., Habil.-Schr. 2006); für Caravaggios marktorientierte Strategien: Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen, staunen, glauben. Der Maler und sein Werk, München 2009. Als Beispiel zu Studien über Künstlerinnen der Frühen Neuzeit siehe: Barker, Sheila (Hrsg.): Women artists in Early Modern Italy. Careers, fame, and collectors, London; Turnhout 2016 (The Medici Archive Project series); Münch, Birgit Ulrike [u. a.] (Hrsg.): Künstlerinnen. Neue Perspektiven auf ein Forschungsfeld der Vormoderne, Petersberg 2017 (Kunsthistorisches Forum Irsee; Bd. 4).

12 Bourdieu, Pierre: Feine Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, übers. v. Bernd Schwibs u. Achim Russer, Frankfurt am Main 1987 (OT: La distinction. Critique sociale du jugement 1979), S. 280.

13 Vgl.: Bourdieu 1987a, S. 210; Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, übers. v. Günter Seibt, Frankfurt am Main 1987 (OT: Le sens pratique 1980), Frankfurt am Main 1987, S. 114–118; Bourdieu, Pierre: Meditationen: zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main 2001, S. 178 (OT: Méditations pascaliennes, Paris 1997). Bourdieu spricht von „Strategien ohne strategische Berechnung“ (Bourdieu 1987b, S. 116). Zu Bourdieus Begriff der Strategie siehe: Kumoll, Karsten: Strategie (stratégie), in: Fröhlich, Gerhart; Rehbein, Boike: Bourdieu-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart [u. a.] 2009, S. 225–227.

14 Schneider, Nobert; Held, Jutta: Grundzüge der Kunstwissenschaft. Gegenstandsbereiche – Institutionen – Problemfelder, Köln 2007, S. 202.

15 Vgl. dazu auch: Bourdieu 1987b.

Details

Seiten
722
Erscheinungsjahr
2024
ISBN (PDF)
9783631924525
ISBN (ePUB)
9783631924532
ISBN (Hardcover)
9783631924518
DOI
10.3726/b22194
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Dezember)
Schlagworte
Gregorio Lazzarini Elisabetta Lazzarini Giulia Lama Malerinnen Venedig Italien Malerei Kunst der Neuzeit (15. – 18. Jahrhundert) Künstlersozialgeschichte, Sozialgeschichte der Kunst Kunstsoziologie
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 722 S., 67 farb. Abb., 35 s/w Abb., 2 Tab.
Produktsicherheit
Peter Lang Group AG

Biographische Angaben

Désirée Monsees (Autor:in)

Désirée Monsees studierte Kunstwissenschaften und Philosophie an der Universität Kassel. Sie war als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Kunstgeschichte tätig, wo auch ihre Promotion erfolgte.

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Titel: Fixsterne der venezianischen Historienmalerei um 1700