Die Stiftung
Jahreshefte zum Stiftungswesen 17. Jahrgang 2023
Summary
Excerpt
Table Of Contents
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Editorial
- Inhalt
- Konjunkturen, Kritik und Krisen – Stiftungen in der Geschichte
- (Unternehmens-)Stiftungen krisensicher gestalten aus zivilrechtlicher Sicht
- (Unternehmens-)Stiftungen krisensicher gestalten aus steuerrechtlicher Sicht
- Aktuelle Probleme aus Sicht der Stiftungsaufsicht
- Aktuelle Rechtsprechung im Stiftungsrecht
Michael Borgolte*
Konjunkturen, Kritik und Krisen – Stiftungen in der Geschichte
I. Vortrag vom 24.02.2023
II. Abstract
I. Vortrag vom 24.02.2023
Meine Damen und Herren,
Sie haben Ihren Stiftungsrechtstag 2023 unter die Überschrift „Stiftung und Krise“ gestellt. Als mich Professor Andrick im Mai letzten Jahres einlud, hier den Eröffnungsvortrag zu halten, wofür ich ihm und den Veranstalter*innen Frau Professorin Uffmann und Herrn Professor Unger, herzlich danke, habe ich zuerst irritiert zurückgefragt. Was sollte mit „Stiftung und Krise“ gemeint sein? Kollege Andrick, aus dessen Antwort ich sicher zitieren darf, gab eine doppelte Auskunft: Am ehesten käme ihm als Thema, wie er schrieb, „die Stiftung in Krisenzeiten“ entgegen, vielleicht sogar „der stabilisierende Charakter“ der Stiftung „in Krisenzeiten“; man wolle jedenfalls „nicht verengt die Krise der Stiftung in den Blick“ nehmen, obschon es Beispiele dafür gebe, dass Stiftungen in der Gegenwart in die Krise geraten könnten.1 Und in Ihrem Programm für heute lese ich, dass es unter anderem darum gehen solle, wie „(Unternehmens-) Stiftungen krisensicher“ zu gestalten wären, sei es aus zivilrechtlicher, sei es aus steuerrechtlicher Sicht.2 Es liegen also mehrere Deutungsangebote für das Thema Ihrer Tagung vor, zu denen ich eingangs Stellung nehmen muss; ich tue dies, wie Sie wissen, als Historiker, der, weiter einschränkend, Spezialist für die älteren, vormodernen Zeiten, aber kein Neu- oder gar Zeithistoriker ist.
„Krísis“, der antike griechische Begriff, meint im medizinischen Sinn eine Entscheidungssituation zwischen Leben und Tod, sonst auch zwischen Recht und Unrecht, Heil und Verdammnis. In der Geschichte dient er zur Bezeichnung von erwarteten oder erfahrenen Umbrüchen, die negativ oder positiv bewertet werden. Mit seinen Wurzeln in der Antike zählt „Krise“ seit der Moderne, etwa seit 1780, zu den historischen Grundbegriffen und drückt eine allgemeine Zeiterfahrung aus. Der Begriff gehört „zur strukturellen Signatur der Neuzeit“3. Während er in diesem Sinne ein Produkt des Revolutionszeitalters war, wurde er gleichzeitig auch schon verallgemeinert, so dass er „zum Dauerbegriff für ‚Geschichte‘“ schlechthin wurde. „Krise“ kann also historisch eine „kritische Übergangszeit“, eine bestimmte Periode oder die Geschichte selbst charakterisieren.4 Wenn ich Herrn Andrick richtig verstanden habe, beruht demnach die Konzeption der Tagung auf der Annahme, dass wir uns in einer besonderen Krisenzeit befinden; es müsste dann gesagt werden, was ihre Eigenart im Unterschied zu anderen Perioden ausmacht.
Das Adjektiv „krisensicher“ ist eine verhältnismäßig sehr junge Wortschöpfung; in der großen begriffsgeschichtlichen Analyse von Reinhart Koselleck vom Jahr 1982 wird sie noch nicht nachgewiesen5, und tatsächlich weist das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, das unter anderem auf den Textcorpora von Tageszeitungen beruht, einen zunehmenden Gebrauch erst seit 1987/1990 und einen (vorläufigen) Hype im Jahr 2022 nach.6 Zum Beleg wird aus der „Süddeutschen Zeitung“ aus dem Jahr 2001 zitiert, wo von „krisensicheren Jobs“ die Rede ist, und ein Artikel der „Zeit“ von 2010 aufgerufen, in dem schon die Sorge anklingt, die Unternehmen für die Zukunft krisensicherer zu machen. Offensichtlich geht es hier darum, die Krise zu vermeiden, weil ihr nur ein Verhängnis, aber keinerlei Chance zugeschrieben wird. Nun wird niemand behaupten, arbeitslos zu werden oder pleite zu gehen, sei eine wirkliche Option, aber man fragt sich doch, ob sich hinter dem Gebrauch des Adjektivs „krisensicher“ nicht eine Angst vor dem Leben selbst verbirgt. Noch deutlicher wird das beim Attribut „krisenfest“, das das Wörterbuch als Synonym zu „krisensicher“ nachweist. „Krise“, die auf Bedrohung verengt wird, kann nicht mehr als konstitutive Bedingung moderner Existenz oder allgemeines Kennzeichen von Geschichte verstanden werden. Ein ähnlicher Befund ergibt sich auch aus der Ankündigung eines Buches, das am 13. März unseres Jahres bei Herder erscheinen soll. Verfasst hat es der Freiburger Ökonom Lars P. Feld unter dem Titel „Krisensicher“.7 Nach der Verlagsanzeige geht es zwar um den Nachweis „mutiger Veränderungen“ und die Verbesserung der „Widerstandskraft von Wirtschaft und Gesellschaft“, aber eben auch darum, „für die kommenden Krisen besser gerüstet zu sein“.
Als Historiker, der Geschichte als zwar gelegentlich retardierten, im Prinzip aber unaufhörlichen Wandel versteht, neige ich dazu, Krise als Dauerzustand zu verstehen; ich möchte aber im Sinne ihres Vorhabens gern nach geschichtlichen Umbrüchen fragen, die Widerstände oder Änderungen im Stiftungswesen hervorbringen konnten. Ich beziehe dabei auch die „Kritik“ ein – eine Kategorie des Denkens, die dem Mittelalter eher fremd war. Man kann aber als moderner Zeitgenosse mit der „Krise“ kaum umgehen, ohne zu beachten, dass Kritik Krisen vorantreiben, begleiten oder reflektierend bewältigen kann.8 Schließlich erscheint es mir sinnvoll, auch den ökonomischen Begriff der „Konjunktur“ einzubeziehen. Bei näherer historischer Betrachtung zeigt sich nämlich, dass nicht nur Kritik und Krise von außen auf Stiftungen einwirken, sondern dass die Geschichte der Stiftungen Auf- und Abschwünge kennt und so oder so selbst krisenhafte Folgen für Staat und Gesellschaft haben können. Ihnen allen ist ja auch die Debatte über die politischen Auswirkungen von Megastiftungen in den Vereinigten Staaten gegenwärtig.9
Details
- Pages
- 86
- Publication Year
- 2024
- ISBN (PDF)
- 9783631922644
- ISBN (ePUB)
- 9783631922651
- ISBN (Softcover)
- 9783631922231
- DOI
- 10.3726/b22042
- Language
- German
- Publication date
- 2024 (September)
- Keywords
- Stiftung Stiftungswesen Gemeinnützigkeit Fundare Stiftungsrechtsreform
- Published
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 86 S.
- Product Safety
- Peter Lang Group AG