Rezeptionsgeschichte der neuen Dichtung (1917–1949) in China
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Zum Autor
- Zum Übersetzer
- Inhaltsverzeichnis
- Tabellenverzeichnis
- Vorwort
- 1. Einführung
- 1.1 Verbreitung, Rezeption und Entstehung der neuen Dichtung
- 1.2 Öffentliche Kommunikation und Entstehung der Modernität der neuen chinesischen Dichtung
- 1.3 Rezeption der Leserschaft und Kanonisierung der neuen Dichtung
- 2 Hu Shis neue Gedichte und Image in Anthologien und Literaturgeschichten
- 2.1 Changshi ji in Anthologien
- 2.2 Hu Shi und seine neuen Gedichte in Literaturgeschichten
- 3 Guo Moruos Rezeption und Legitimation der Baihua-Dichtung
- 3.1 Rezeptionsgeschichte und Entstehung des Dichterimages
- 3.2 Auftritt und Kanonisierung von Nüshen
- 3.3 Fenghuang niepan in Anthologien
- 4 Xu Zhimo und seine Kanonisierung im politisch-poetischen Diskurs
- 4.1 Das Dichterimage im Konflikt der Diskurse
- 4.2 Kanonisierung des Gedichts Zaibie kangqiao in Anthologien
- 5 Li Jinfa: Rezeptionsgeschichte und Herausbildung eines modernen ästhetischen Bewusstseins
- 5.1 Keimen, Anbahnen und Ersterwähnung
- 5.2 Kultivierung, Ausbreitung und Darstellung
- 5.3 Darstellung und Darlegung trotz der Kritik
- 5.4 Unterdrückung und Erwachen
- 5.5 Akzentuierung und Verinnerlichung
- 6 Politik, Poesie und Rezeptionsgeschichte von He Qifang
- 6.1 Zeitkontext und Rezeption von He Qifang im Wandel der Zeiten
- 6.2 Das „He-Qifang-Phänomen“ in Anthologien
- 7 Rezeption der Dichtung des Juli-Dichterkreises im politisch-poetischen Dialog
- 7.1 Überblick über die Rezeption der Dichtung des Juli-Dichterkreises
- 7.2 Das Dichterbild Ai Qing im Leserhorizont
- 7.3 Kanonisierung des Gedichtes Dayanhe, meine Amme
- 8 „Schule der neuen chinesischen Dichtung“ im poetisch-politischen Raum
- 8.1 Vom „Neun-Blätter-Dichterkreis“ bis zur „Schule der neuen chinesischen Dichtung“
- 8.2 Kanonisierung Mu Dans in Anthologien
- 8.3 Mu Dans Schicksal im Wandel des Kontextes
- 9 Die neue Dichtung seit hundert Jahren: Reflexionen über ihre Rezeption und Kanonisierung
- 9.1 Text und Kritik: Bedeutungserschließung
- 9.2 Anthologien: Auswahl von Dichtern und Gedichten
- 9.3 Literaturgeschichtswerke: Positionierung von Dichtern und Gedichten
- 9.4 Die Beziehungen zwischen Kritiken, Anthologien und Geschichtswerken
- 9.5 Reflexionen über die Kanonisierung der neuen Dichtung
- Literaturverzeichnis
- Personenregister
- Sachregister
Fang Chang’an
Übersetzt von Chen Hongyan
Korrekturgelesen von Hartmut
Walravens & Gu Zhengxiang
Rezeptionsgeschichte der neuen Dichtung (1917–1949) in China
New York - Berlin - Bruxelles - Chennai - Lausanne - Oxford
Library of Congress Cataloging-in-Publication Control Number: 2024950405
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ISBN 9783034354264 (hardback)
ISBN 9783034355070 (ebook)
ISBN 9783034355087 (epub)
DOI 10.3726/b22473
This edition is an authorized translation from the Chinese language edition《中国新诗 (1917–1949) 接受史研究》
Published by arrangement with China Social Sciences Press
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This book is published with financial support from the Chinese Fund for the Humanities and Social Sciences.
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Autorenangaben
Prof. Dr. Fang Chang’an ist neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit an der Fakultät der chinesischen Sprache und Literatur der Universität Wuhan auch Herausgeber von Yangtze River Academic und Writing. Er leitet das Forschungszentrum der neuen chinesischen Dichtung an der Universität Wuhan und ist zugleich Präsident der Chinese Writing Association, stellvertretender Präsident der Gesellschaft der modernen chinesischen Literatur der Provinz Hubei und geschäftsführender Direktor der Forschungsgesellschaft der modernen chinesischen Literatur. Zu seinen Hauptforschungsgebieten gehören die neue chinesische Dichtung und die Beziehungen zwischen chinesischer und ausländischer Literatur im 20. Jahrhundert. Bis heute hat er neun Monografien und über 180 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, darunter sind mehr als 40 Arbeiten in renommierten Zeitschriften wie Xinhua Wenzhai, Chinese Social Science Digest, China University Academic Abstracts und von der Datenbank der Renmin University of China nachgedruckt. Er hat über zehn NSSFC-Forschungsprojekte und Forschungsprojekte des chinesischen Bildungsministeriums geleitet und erfolgreich abgeschlossen. Seine Forschungsergebnisse wurden in die Nationalbibliothek für Philosophie und Sozialwissenschaften aufgenommen und mit mehreren Preisen auf staatlicher Ebene und auf Provinzebene ausgezeichnet.
Über das Buch
Der Forschungsgegenstand des vorliegenden Buchs ist die Rezeptionsgeschichte der neuen chinesischen Dichtung (1917–1949) seit ihrer Entstehung. Am Beispiel der ausgewählten Dichter – Hu Shi, Guo Moruo, Xu Zhimo, Li Jinfa, He Qifang, Ai Qing und Mu Dan – wird die Rezeptionsgeschichte der neuen Dichtung rekonstruiert und vergegenwärtigt. Dabei werden nicht nur die rezeptionsgeschichtlichen Besonderheiten verschiedener Phasen aufgearbeitet, sondern die innere Logik der literarischen Rezeption mit zusammenhängenden Faktoren wird auch aufgezeigt. Es wird beleuchtet, wie das Leseverhalten das dichterische Schaffen und die poetischen Auseinandersetzungen beeinflusst. Außerdem wird untersucht, welche bedeutenden Gedichte vor allem aufgrund literarischer Qualität ausgewählt sind und welche durch nichtliterarische Faktoren in den Kanon aufgenommen sind. Ziel ist es, eine verlässliche Grundlage für die Neupositionierung der Werke zu finden und den Grundstein für eine Neuschreibung der Literaturgeschichte zu legen. Die Beschäftigung mit der Rezeptionsgeschichte der neuen Dichtung schließt somit eine Lücke und bietet eine neue Perspektive für die weitere Forschungsarbeit.
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Zum Autor
Prof. Dr. Fang Chang’an ist neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit an der Fakultät der chinesischen Sprache und Literatur der Universität Wuhan auch Herausgeber von Yangtze River Academic und Writing. Er leitet das Forschungszentrum der neuen chinesischen Dichtung an der Universität Wuhan und ist zugleich Präsident der Chinese Writing Association, stellvertretender Präsident der Gesellschaft der modernen chinesischen Literatur der Provinz Hubei und geschäftsführender Direktor der Forschungsgesellschaft der modernen chinesischen Literatur. Zu seinen Hauptforschungsgebieten gehören die neue chinesische Dichtung und die Beziehungen zwischen chinesischer und ausländischer Literatur im 20. Jahrhundert. Er hat neun Monografien und über 180 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, darunter sind mehr als 40 Arbeiten in renommierten Zeitschriften wie Xinhua Wenzhai, Chinese Social Science Digest, China University Academic Abstracts und von der Datenbank der Renmin University of China nachgedruckt. Er hat über zehn NSSFC-Forschungsprojekte und Forschungsprojekte des chinesischen Bildungsministeriums geleitet und erfolgreich abgeschlossen. Seine Forschungsergebnisse wurden in die Nationalbibliothek für Philosophie und Sozialwissenschaften aufgenommen und mit mehreren Preisen auf staatlicher Ebene und auf Provinzebene ausgezeichnet.
Zum Übersetzer
Dr. Chen Hongyan, ao. Professorin für Germanistik an der Shanghai International Studies University, ist Mitglied des NSSFC-Schwerpunkt- projekts „Übersetzung der sämtlichen Werke Goethes“. Neben der Übersetzung „Die Logik der chinesischen Wirtschaftsreformen“ hat sie in letzter Zeit mehrere Bücher mit chinesischen Geschichten veröffentlicht.
Vorwort
Als sich Prof. Fang Chang’an mit der Bitte, ein Vorwort für seine Monografie Rezeptionsgeschichte der neuen Dichtung (1917–1949) in China zu schreiben, die in die „Nationale Buchreihen der Philosophie und Sozialwissenschaften“ aufgenommen wurde, an mich wandte, sagte ich gleich mit Freude zu. Soviel ich weiß, hat er sich bereits mehrere Jahre mit der Forschungsarbeit der neuen chinesischen Dichtung beschäftigt und damit dem Forschungsgebiet neue Impulse gegeben. Den Weg in das Gebiet hatte Prof. Lu Yaodong eingeschlagen, er war Betreuer vom leider früh verstorbenen Professor Long Quanming und brachte ihn ebenfalls auf diesen Weg. Als Prof. Long Quanmings Schüler war Fang Chang’an somit die dritte Generation des Forschungsteams. Dieser kurze Rückblick mag andeuten, dass die Forschungstätigkeit in diesem Bereich auf einer soliden Grundlage basiert und gut gepflegt wird. Es ist kein Wunder, dass Prof. Fang Chang’an nach mehr als zehn Jahren unermüdlicher Arbeit diese Leistungen erzielte, was mich an Lu Yous (陆游, 1125–1210) Worte erinnerte: Wenn man sich keine Mühe scheut, kommt das Ursprüngliche wie von selbst. Ich bin sehr stolz auf ihre akademischen Leistungen, und zugleich spüre ich auch deutlich, dass das Leben einer Wissensdisziplin an der Innovation liegt. Nehmen wir die genannten drei geistigen Köpfe als Beispiel: Prof. Lu Yaodong ist Wegbereiter auf dem Gebiet der Geschichte der neuen chinesischen Dichtung, und sein dreibändiges Werk Geschichte der neuen chinesischen Dichtung hat weitreichenden Einfluss im literarischen Forschungskreis. In seinem Geschichtswerk bemühte sich Long Quanming, nicht nur die geschichtliche Entwicklung zu skizzieren, sondern auch auf die Veränderungen einzugehen. Fang Chang’ans Verdienst besteht darin, rezeptionsästhetische Ansätze in die Forschungsarbeit über die neue Dichtung einzuführen und eine Rezeptionsgeschichte der neuen Dichtung in China zu rekonstruieren.
Diese neuen Ansätze stellen einen neuen Trend der literaturwissenschaftlichen Forschung seit etwa 20 Jahren dar. Dieser Trend ist aber keine Modeerscheinung, da LiteraturwissenschaftlerInnen nicht die geringste Absicht haben, mit der Mode zu gehen. Vielmehr ist darin ein neuer wissenschaftlicher Wachstumspunkt, eine Möglichkeit der Bedeutungserschließung und der Wertsteigerung enthalten. Für mich hängt dieser neue literaturwissenschaftliche Trend unmittelbar mit der in den 1980er Jahren eingeführten Rezeptionsästhetik und Leserreaktionskritik zusammen. Eventuell hat er auch etwas mit Karl Marx’ Theorien über die Kunstproduktion zu tun. Obwohl eine explizite Ausführung über die Beziehung zwischen Kunstproduktion und -konsum bei Karl Marx nicht zu finden ist, geben seine Auseinandersetzungen mit der Produktion und dem Konsum von materiellen Produkten dar- über wichtige Aufschlüsse. Man hat auch berechtigten Grund anzunehmen, dass diese neuen Forschungsansätze mit dem Aufkommen der Massenmedien und angesichts der Globalisierung mit der interkulturellen Kommunikation, einschließlich der vergleichenden Literaturwissenschaft, zu tun haben. Dies zeigt, dass diese Ansätze in etablierten Theorien ihre Ursprünge haben und keine neue Erfindung sind.
Das lässt sich mit einem entlehnten Begriff aus der Wirtschaftswissenschaft kurz zusammenfassen: Die Literaturwissenschaft hat sich lange Zeit ausschließlich auf die Angebotsseite bzw. auf den literarischen Schöpfungsprozess und den Nutzen und die Wirkung von literarischen Werken konzentriert, während die Nachfrageseite, d.h. die Literaturrezeption sowie ihre Rolle und Wirkung auf die Literaturschöpfung, gewissermaßen vernachlässigt worden sind. Zur letzteren gehören auch verschiedenste Medien zwischen der Angebots- und Nachfrageseite sowie die Rolle und Wirkung der literarischen Rezeption auf die Produktion und den Konsum von literarischen Produkten. Folglich weiß man wenig, wie literarische Werke als Produkte der literarischen Tätigkeit die Massen erreichen, wie sie auf die Massen einwirken und wie die Feedbacks der Massen wiederum auf die Literatur zurückwirken und die weitere Produktion von Literatur beeinflussen. Diese Defizite in der grundlegenden literaturtheoretischen Forschung müssen allerdings behoben werden. Die Rezeptionsästhetik und Leserreaktionskritik, die in den 1980er Jahren nach China vermittelt wurden, trugen zum Abbau der Defizite bei, aber damals fanden sie nur begrenzte Anwendung – hauptsächlich in der theoretischen Auseinandersetzung durch Übersetzungen und in einzelnen Literaturkritiken. Es hat ziemlich lange gedauert, bis diese Ansätze in der literaturgeschichtlichen Forschung zur Anwendung kommen und es zu einem grundlegenden Wandel im Literaturgeschichtlichen Schreiben kommt: Statt des literarischen Schaffens bzw. Schriftsteller und Werke werden die Reaktion des Lesers und die literarische Wirkungsgeschichte in den Mittelpunkt gerückt. Aus einer Geschichte des literarischen Schaffens wird eine Geschichte der literarischen Rezeption und aus einer Geschichte literarischer Produkte wird eine Geschichte des Konsums von literarischen Produkten. Dabei findet die Forschung anfangs auf der Mikroebene statt, d.h. die Forschung fokussiert sich auf einzelne Schriftsteller und einzelne Werke. Darauf baut sich eine umfassende Rezeptionsgeschichte oder eine Rezeptionsgeschichte einer Literaturgattung auf der Makroebene. Soweit ich informiert bin, dürfte das vorliegende Werk das erste seiner Art auf dem Gebiet der neuen chinesischen Dichtung sein und ist daher beachtenswert.
Die Literaturgeschichte aus der rezeptionsästhetischen Perspektive zu betrachten, ist eine schwierige Aufgabe, wofür es keinen Präzedenzfall gibt. Eine Schwierigkeit ist, dass alle vorhandenen literaturgeschichtlichen Unterlagen und Forschungsergebnisse eigentlich auf die traditionelle Literaturgeschichtsschreibung zugeschnitten und ihren Anforderungen gerecht sind. Geht man von rezeptionsästhetischen Ansätzen aus, muss man dementsprechend die einschlägige Literatur auswählen, aufbereiten und bearbeiten, egal ob es um eine ganzheitliche Literaturgeschichte oder um eine spezielle Geschichte eines Teilgebietes geht. Außerdem sind die Leserreaktionen aufgrund ihrer privaten, spontanen und zufälligen Natur meist nicht dokumentiert, weshalb sich der Forscher unterschiedlichste Methoden und Instrumente zu eigen machen muss. Er kann aus der Betrachtung der äußeren Umwelt mit ihrem kulturellen Kontext und gesellschaftlichen Bedingungen schlussfolgern, was für ein Bedarf da besteht und welche literarischen Texte gern gelesen und begrüßt werden, während einige kritisiert und abgelehnt werden. Die unterschiedlichen Meinungen der Öffentlichkeit werden dann durch Schriften der fachkundigen Leser bestätigt oder verworfen, zu denen Kritiken, Anthologien und Literaturgeschichten zählen. Anders als die traditionelle Literaturgeschichte, die methodisch und stilistisch schon ausgeformt ist, müssen für die Literaturrezeptionsgeschichte Forschungsmethoden wie Datenerhebung, empirische Analysen und Instrumente der Literaturkritik eingesetzt werden, um die „Erwartungshorizonte“ der Zielgruppen, das Zusammenspiel zwischen den Lesererwartungen und dem Werk sowie die Wirkung zu rekonstruieren. Gelingt es dem Forscher, ein umfassendes Bild an den Tag zu legen, ist die Aufgabe der literaturgeschichtlichen Forschung erfolgreich bewältigt. Aus der vorliegenden Monografie ist ersichtlich, dass sich der Autor der oben erwähnten Methoden zur Rekonstruktion der Rezeptionsgeschichte bedient hat, und ggf. leicht variiert und angepasst je nach dem Rezeptionsvorgang. Bezüglich der Struktur und des Aufbaus finden sich in diesem Werk zwar immer noch Spuren einer chronologischen Literaturgeschichte, aber die ausgewählten Dichter mit ihren ausgewählten Gedichten bilden jeweils eine relativ eigenständige Einheit. Auf der Grundlage dieser „Mikroanalysen“ kommt dann die Rezeptionsgeschichte der neuen chinesischen Dichtung zustande. Der Vorteil ist, dass ein umfassendes Bild von der Aufnahme und Wahrnehmung der untersuchten Dichter in verschiedenen Zeiten geboten werden kann. Da die einzelnen Rezeptionsgeschichten miteinander im engen Zusammenhang stehen, vermitteln sie dem Leser ein Gesamtbild der Rezeptionsgeschichte der neuen Dichtung. In dieser Hinsicht ist Fang Chang’ans Forschungsarbeit mit seinem literaturgeschichtlichen Schreiben einmalig, das den Anforderungen und der Logik der Geschichtsschreibung gut entspricht.
Die Studie über die Literaturgeschichte hat ihre eigene Gesetz- und Zweckmäßigkeit wie die Literaturgeschichte selbst, und das gilt ebenfalls für die Studie über die Literaturrezeptionsgeschichte. Das Ziel der traditionellen Literaturgeschichte, die sich vor allem mit dem literarischen Schaffen befasst, ist, literarische Merkmale einer Epoche und Gesetzmäßigkeiten ihrer Entwicklung aufzuzeigen. Die Literaturrezeptionsgeschichte ist eigenartig, da der Untersuchungsgegenstand das künstlerische Leben eines Werks ist. Es handelt sich dabei um einen historischen Prozess der Auswahl, der sich nicht wie eine einfache Subtraktion oder eine endgültige Lösung einer mathematischen Aufgabe erweist. Vielmehr wird der mögliche Interpretationsraum immer erweitert, und eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten wird präsentiert. In diesem Prozess sind einige Schriftsteller zum Kanon avanciert, während der Kanonisierungsprozess von einigen Texten noch nicht abgeschlossen ist. Möglich ist auch, dass einige Schriftsteller und Texte vorübergehend nicht als Kanon gelten oder scheinbar gar keine Chance haben, als Kanon anerkannt zu werden, aber das sollte nicht bedeuten, dass sie nicht dafür qualifiziert sind, denn jedes künstlerische Produkt hat ein einzigartiges künstlerisches Leben. Solange ein literarisches Produkt immer gelesen wird und sich im Rezeptionsvorgang befindet, kann kein endgültiges Urteil gefällt werden. Es sollen aber dank der rezeptionsästhetischen Ansätze die Lebenszustände und das Schicksal des Textes in verschiedenen Zeiten unter verschiedenen Lesergruppen aufgezeigt werden. Diese Gesetz- und Zweckmäßigkeit verfolgt die vorliegende Monographie über die Rezeptionsgeschichte der neuen chinesischen Dichtung. Für Fang Chang’an bedeutet es konkret, dass das Problem der Kanonisierung zu einer Leitfrage wird, die sich durch seine ganze Untersuchung hindurchzieht. Dadurch erhält dieses Geschichtswerk neben seiner literaturgeschichtlichen Dimension auch eine geistige Kraft.
Es ist schwierig, die Geschichte der Literaturrezeption zu studieren, und es ist noch schwieriger, die Geschichte der neuen chinesischen Dichtung zu studieren. Denn die neue Dichtung ist seit ihrer Entstehung sehr umstritten und wird stets kontrovers diskutiert. Es gibt bis heute noch kein abschließendes Urteil über die poetische Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bei der die klassische Poesie durch die neue Dichtung in modernem Chinesisch abgelöst werden sollte. Selbst Hu Shi, der Begründer der neuen Baihua-Dichtung, wandte sich später wieder dem alten Stil der Dichtung zu. Die gängige Meinung von heute ist, dass die neue Dichtung „erfolglos“ sei. Gegenwärtig ist die neue Dichtung nicht nur immer wieder der Kritik ausgesetzt, sondern sie sieht sich auch immer vor Herausforderungen der alten traditionellen Dichtung gestellt. Angesichts dessen werden die Entstehung und Identität der neuen Dichtung als moderne Literaturgattung immer in Frage gestellt, geschweige denn, dass ihre Rezeption genau untersucht wird. Trotzdem ist nicht zu leugnen, dass die neue Dichtung mit ihren zahlreichen renommierten Dichtern, die der modernen chinesischen Literatur unzählige poetische Kunstschätze hinterlassen haben, eine unübersehbare Existenz darstellt. Trotz der vielfachen Kritik hat sich die neue Dichtung gut bewährt, was von ihrer Unvergänglichkeit zeugt. In diesem Sinne gibt die vorliegende Monographie einerseits Zeugnis von dem schweren Schicksal der neuen Dichtung seit hundert Jahren und andererseits ist sie ein historischer Beweis für den künstlerischen Geist der neuen Dichtung, die trotz aller Kritik nicht untergeht.
In diesem Sinne wird das Vorwort verfasst.
1. Einführung*
1.1 Verbreitung, Rezeption und Entstehung der neuen Dichtung
Mit dem Begriff „neue chinesische Dichtung“ (中国新诗) sind im vorliegenden Buch Gedichte gemeint, die zwischen 1917 und 1949 geschrieben und veröffentlicht sind. Die Gedichte in modernem Chinesisch, die nach der Gründung der Volksrepublik China erschienen sind, sind nicht einbezogen. Die Entstehung der neuen Dichtung war ein höchst kompliziertes Phänomen, das nicht nur mit der literarischen Entwicklung in China und mit den erfinderischen Versuchen einzelner Dichter zu tun hatte. Darauf hatten auch der internationale Kulturaustausch, Begegnungen chinesischer und ausländischer Dichter, moderne Printmedien, Lehrcurricula und -angebote sowie Radio und Fernsehen ihren Einfluss. Dabei war es nie genug, die Reaktionen des Lesers zu betonen, die neben Rahmenbedingungen und Vermittlungsmechanismen der öffentlichen Kommunikation auf die Existenz, die Psyche, die Schreiberfahrung und das dichterische Konzept des Dichters einwirkten. All diese Faktoren prägten die lyrischen emotionalen Strukturen und den ästhetischen Charakter der neuen Dichtung.
In der ausgehenden Qing-Dynastie (1636–1912) befand sich China im Übergang von einer traditionellen zu einer modernen Gesellschaft. Moderne Städte entstanden, in denen das aufstrebende Bürgertum im Wandlungsprozess Chinas politisch und gesellschaftlich aktiv agierte. Es hatte ein starkes Interesse am Lesen und wollte sich unterhalten: Es wollte nicht nur erfahren, was auf der Welt außerhalb seiner unmittelbaren Umgebung passiert war und was man geleistet und erzielt hatte, sondern es hatte auch einen starken Wunsch, sich zu artikulieren und zu präsentieren, sich Gehör zu verschaffen, mit anderen zu kommunizieren und sich in die neue Welt zu integrieren. Bedarfsgerecht wurden Zeitungen, Zeitschriften, Kioske, Verlage, Übersetzungsgesellschaften, moderne Theater und Kinos ins Leben gerufen. Diese einmalige Chance ergriffen die fortschrittlich gesinnten Intellektuellen, die Zeitungen und Zeitschriften, Schulen und Theater neuen Stils gründeten, um der Öffentlichkeit ihre Ideale näherzubringen. Sie wollten ihre Landsleute aufklären, die mit der neuen Entwicklung der Welt Schritt halten sollten. Neue Felder, die aus sichtbaren medialen Räumen und unsichtbaren Bedeutungsfeldern bestanden, bildeten sich heraus und erweiterten sich mit der Zeit.
Als sichtbare mediale Räume zählten Zeitungen, Zeitschriften, Buchhandlungen, Schulen neuen Stils und Lehrwerke, in denen sich die unsichtbaren Bedeutungsfelder entfalteten. Es handelte sich dabei um geistige Räume mit öffentlichen Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten, die durch Geschichte, Kultur, Denkrichtungen, kulturelle Modetrends, Ansprüche der Schreibenden und Erwartungen der Lesenden gemeinsam bestimmt wurden. Das aktive Zusammenspiel zwischen den medialen Räumen und dem sozialen Wandlungsprozess wirkte sich dann auf die kulturelle und literarische Produktion aus und belebte die lyrische Landschaft Chinas. Neues wurde dem Alten hinzugefügt, was die Entstehung und Entwicklung der neuen Dichtung beschleunigte.
Der Dichter, der im öffentlichen medialen Raum für das breite Leserpublikum dichtete, musste lernen, sich mit den neuen Rahmenbedingungen zurechtzufinden. Anders als traditionelle Dichter, die meistens im Freundeskreis dichteten und ihre persönlichen Empfindungen und Erlebnisse in einer autarken Welt zum Gegenstand ihrer Dichtung machten, waren viele moderne Dichter aktive Mitglieder einer öffentlichen Kulturgemeinschaft. Zu nennen sind beispielsweise Liang Qichao (梁启超, 1873–1929), Hu Shi (胡适, 1891–1962), Guo Moruo (郭沫若, 1892–1978), Liu Bannong (刘半农, 1891–1934), Liu Dabai (刘大白, 1880–1932), Zhou Zuoren (周作人, 1885–1967), Shen Yinmo (沈尹默, 1883–1971), Li Jinfa (李金发, 1900–1976), Wen Yiduo (闻一多, 1899–1946), Xu Zhimo (徐志摩, 1897–1931), Bian Zhilin (卞之琳, 1910–2000), Dai Wangshu (戴望舒, 1905–1950), Ai Qing (艾青, 1910–1996), Zang Kejia (臧克家, 1905–2004), Tian Jian (田间, 1916–1985), Li Ji (李季, 1922–1980), Zheng Min (郑敏, 1920–2022) und Mu Dan (穆旦, 1918–1977). Sie setzten sich voll für ihre Ideale und Wertvorstellungen ein und betrachteten das Dichten in gewisser Hinsicht als gesellschaftliches Engagement. Sie waren nicht mehr in ihrer kleinen dichterischen Welt versunken und konnten sich mit der traditionellen Funktion der Dichtkunst nicht mehr zufriedengeben, vielmehr war für sie das Dichten eine Verantwortung, eine Pflicht und eine seriöse Arbeit, die das breite Publikum bilden und zum Nachdenken anregen sollte. Diese imaginären Zielgruppen bestimmten und begleiteten den Schreibprozess vieler Dichter in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Details
- Seiten
- XX, 530
- Erscheinungsjahr
- 2025
- ISBN (PDF)
- 9783034355070
- ISBN (ePUB)
- 9783034355087
- ISBN (Hardcover)
- 9783034354264
- DOI
- 10.3726/b22473
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2025 (Januar)
- Schlagworte
- neue chinesische Dichtung Anthologien Literaturgeschichtswerke Bewertung der neuen Dichtung poetische Konstruktion dichterische Auswirkungen Modernität
- Erschienen
- New York, Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, Oxford, 2025. XX, 530 pp., 13 b/w tables.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG