Die Bedeutung der Rezeptionsliteratur für Bildung und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750), Bd. II
Beiträge zur zweiten Arbeitstagung in Haldensleben (Mai 2013)
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Edited By Alfred Noe and Hans-Gert Roloff
Die Genesis des frühneuhochdeutschen Romans am Beispiel von Jörg Wickrams Ritterromanen Galmy (1539) und Gabriotto und Raimund (1551) – eine Ästhetik bürgerlicher Lebensmuster: Barbara Lafond-Kettlitz
Die Genesis des frühneuhochdeutschen Romans am Beispiel von Jörg Wickrams Ritterromanen Galmy (1539)1 und Gabriotto und Raimund (1551)2 – eine Ästhetik bürgerlicher Lebensmuster
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Der Titel meines Beitrags mag widersprüchlich erscheinen, wie lassen sich bürgerliche Wertvorstellungen und Lebensmuster mit der Ästhetik des Ritterromans vereinbaren? Das Motiv der Genesis weist bereits auf die Schwellensituation hin, auf den Übergang von der Epik zur Prosa, von der höfischen zur bürgerlichen Gesellschaft. Denn es bestehen Abhängigkeiten „zwischen Erzähl- und Kulturmustern“, es gibt den „Nexus zwischen dem literarischen Text und der Kultur, die ihn hervorbringt“.3 Es soll gezeigt werden, wie der bürgerliche Autor aus Colmar, Jörg Wickram (1505–1562), frühneuzeitliche Traditionen verschiedener Provenienz rezipiert, vielmehr amalgamiert: Übersetzungen humanistisch-neulateinischer Literatur, höfischer Romane, der Renaissancenovelle sowie zeitgenössische volkstümlich-vernakulare Literatur, welche Verschiebungen, Umakzentuierungen und Transformationen er dabei vornimmt, die für die bürgerlichen Lebensmuster von Relevanz sind. Aus verschiedenen Hypo- oder Prätexten gestaltet Wickram seinen eigenen Textkosmos, den Hypertext. Diese kreative Leistung soll zunächst untersucht werden, und zwar im Hinblick auf ihre Ästhetik, ihre gesellschaftlich-historische Dimension und ihre innovative Semantik und Diskursivierung von Liebe, Ehe und Freundschaft. ← 119 | 120 →
Die literarische Tradition der Ritterwelt wirkt über die historischen Bedingungen hinaus, denen sie ihre Entstehung zu verdanken hat, sie sind im Vergleich zu Wickrams bürgerlicher Alltagswelt obsolet, doch der Verkaufserfolg der Ritterromane ist ein Indiz dafür, dass sie nachhaltig faszinierend auf imaginäre Strukturen wirken, sei es auch in einem anderen geistigen Klima und mit neuen Inhalten befrachtet.
Jörg Wickram ist ein brisantes Fallbeispiel in der Rezeptionsliteratur, wenn es darum...
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