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Neue Häuser der Erwachsenenbildung 1959 und 2019

Bleibt alles anders?

von Bernd Käpplinger (Band-Herausgeber:in)
©2020 Sammelband 246 Seiten

Zusammenfassung

Nach dem zentralen Beitrag von Franz Pöggeler von 1959 wird 60 Jahre später der aktuelle Stand der Raum- und Ortssituation der Erwachsenenbildungshäuser präsentiert und diskutiert. Konzepte für Lernzentren und andere Lernorte fließen dabei ein und bereichern das Spektrum der räumlichen Optionen und Positionen wie Erwachsenenbildung architektonisch sichtbar und lokalisiert wird.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Bernd Käpplinger: Einleitung: Neue Häuser der Erwachsenenbildung 1959 und 2019
  • Richard Stang: Häuser für Bildung und Kultur: Entwicklungen, Chancen und Grenzen kommunaler „Dritter Orte“
  • Jörg Dinkelaker: Schwellen der Bildung: Zum pädagogischen Umgang mit räumlichen Grenzen in der Erwachsenenbildung
  • Silke Schreiber-Barsch: Architektur – Pädagogik – Teilnehmende. Wer folgt wem und wohin? Einblicke in den Campus für lebenslanges Lernen in Osterholz-Scharmbeck
  • Jana Trumann: Unperfekthaus, Impact Hub und Fachgeschäft – Drei Beispiele für informelle ‚Häuser‘ der Erwachsenenbildung in der Stadt Essen
  • Malte Ebner von Eschenbach: Anverwandlung – Skizze einer begrifflichen Neuorientierung in der erwachsenenbildungswissenschaftlichen Raumforschung
  • Karsten Schuldt: Vom Unbehagen mit „den Bibliotheken“ von Aat Vos
  • Kai Eicker-Wolf: Investitions- und Sanierungsstau im Bereich der Bildungsinfrastruktur – Ein Überblick
  • Ralph Egler, Kirsten Karnstädt und Holger Müller: Mehrgenerationenhaus als lernförderlicher Ort zivilgesellschaftlicher Kompetenzentwicklung
  • Ingrid Schöll: Das Haus der Bildung: Architektur reflektiert, demonstriert und materialisiert Bildungsaufträge
  • Stefan Bruns: Neues Leben in die Alte Mälzerei! Erwachsenenbildung im Zentrum der Stadtgesellschaft
  • Christoph Köck: Zwischen Ornithologenpub und Oodi: Eine Reise zu Dritten Lernorten in Skandinavien
  • Bernd Käpplinger: Neue Festival-Volkshochschule in Roskilde eröffnete in 2019: Denkbare Synergien zwischen Alt und Neu?
  • Autorinnen und Autoren

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Bernd Käpplinger

Einleitung
Neue Häuser der Erwachsenenbildung 1959 und 2019

Diese Publikation schließt an den Sammelband „Verlorene Orte der Erwachsenenbildung“ (Käpplinger/Elfert 2018) an und eröffnet weitere Perspektiven zum Thema, die wohl in einer Triologie ihre Abrundung finden werden. Zudem ist dieser Band als Würdigung und Erinnerung an den Wissenschaftler und Andragogen Franz Pöggeler (1926–2009) gedacht, der die Publikationsreihe Pädagogik, Andragogik und Gerontagogik begründet hat. Die Steffi Robak (Universität Hannover) und ich haben diese vor einigen Jahren übernommen und dürfen sie so fortführen. Das Wirken von Franz Pöggeler ist vielfältig. Er hatte Professoren in Trier (1957–1962) sowie Aachen (1962–1992) und unternahm eine Vielzahl an Forschungsaktivitäten. Er war sehr aktiv befasst mit Gremientätigkeiten und wurde mehrfach mit Auszeichnungen wie u.a. dem Großen Bundesverdienstkreuz gewürdigt. Sein Nachlass ist am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung in Bonn erschlossen und zugänglich. Dort wird er in einer Kurzbiografie wie folgt gewürdigt: „Er erwarb sich in diesen Jahren eine hohe Geltung als Wissenschaftler, Experte und Ratgeber in ganz unterschiedlichen Öffentlichkeiten, Themenfeldern und Publikationsorganen.“1

Klaus Heuer (2012, S. 42) unterstreicht die große Bedeutung von Franz Pöggeler und seiner Schrift „Neue Häuser der Erwachsenenbildung“ von 1959 wie folgt: „Pöggeler gebührt das Verdienst, dass er als Erster auf den engen Zusammenhang von Architektur und Bildung hingewiesen hat: „Das Gelingen der Erwachsenenbildung hängt weitgehend davon ab, ob ihr der angemessene Raum und Ort, die rechte Einrichtung ihrer Stätten und eine Umgebung geboten wird, welche die ihr zuträgliche Atmosphäre schaffen hilft. Die Forderung nach eigenen, zweckmäßigen Häusern wird neuerdings immer dringender« (Pöggeler 1959, S. 9).“ Es ist generell jedoch riskant, zu meinen, Ursprünge einer Idee oder eines Argumentes so eindeutig zuordnen zu können. Finden sich doch oft frühere Fundstellen. Gehen doch Argumente und Ideen über die Zeit und die großen Zivilisationsbrüche im 20. Jahrhundert hinweg leicht in Vergessenheit. So kann man schon 1924 bei dem berühmten Leipziger Volksbildungsamtsleiter, Hochschullehrer in Berlin und Frankfurt sowie verfolgtem Emigranten ←7 | 8→Hermann Heller lesen: „Schaffung einer eigenen Stätte zur Pflege der Arbeits- und Lebensgemeinschaft, besonders auch für die Volkshochschuljugend. Wir betrachten diesen Programmpunkt als keine untergeordnete Frage, sondern als eine höchst wichtige und bedeutsame. Wir müssen den Weg zu einem gemeinsamen eigenen Heim finden. Wir wollen unabhängig sein von fremden Räumlichkeiten, besonders auch deshalb, um die Stätte, wo wir gemeinsam wirken wollen, in schöner und zweckdienlicher Weise zu gestalten. Künstlerhand und eigene schöpferische Arbeit sollen durch eine schöne Ausgestaltung auch in der Raumkultur wegweisend wirken.“ (Heller 1924, S. 37) Heller ergänzt diese Ausführungen durch knapp ein Dutzend an Zeichnungen, Skizzen und Grundrissen für verschiedene Häuser der Erwachsenenbildung durch den Architekten Johannes Niemeyer, den Heller vermutlich in seiner Kieler Zeit kennenlernte. Nur ein Beispiel dafür sei hier abgebildet:

Abbildung 1: Pläne für ein Haus der Volkshochschulgemeinschaft Leipzig von dem Architekten Johannes Niemeyer (Quelle: Heller 1924, S. 216)

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Angesichts des Grundsatzstreites zwischen sogenannten Extensiver und Intensiver Richtung bzw. Alten und Neuen Richtung in der Erwachsenenbildung/Volksbildung der Weimarer Zeit, der oft sehr unversöhnlich und dichotomisch war, kann man dieses Lehrgebäude als eine Art mittleren Weg interpretieren. Ein Vortragswesen für die große Zahl und Arbeitsgemeinschaften mit kleinen Gruppen in räumlicher Nähe sollten miteinander kombinierbar sein. Schließlich wurde hier – durchaus megalomanisch und in sozialistischer Massenadressierung – an einen Vortragssaal mit 3.000 Plätzen gedacht, von dem dann „eine Anzahl kleinere Räume für die Arbeitsgemeinschaften von 30–40 Menschen abgetrennt werden kann“ (Heller 1924, S. 216) Dieses Haus der Volkshochschulgemeinschaft Leipzig wurde zwar nicht gebaut, aber es zeigt trotz der damals ökonomisch wie politisch schwierigen Zeiten die Utopiefähigkeit und Innovationskraft der 1920er Jahre an, was bei weitem nicht nur für das im Jubiläumsjahr so stark präsente Bauhaus und die dortigen Protagonistinnen und Protagonisten gilt, wobei spätere Entwürfe und Gebäude von Niemeyer für ein Volksbildungsheim in Leipzig zentrale Ideen und die Ästhetik des Bauhauses aufgreifen. So wurde zumindest ein anderes, wesentlich kleineres Bauprojekt für ein Haus der Volksbildung in Leipzig dann doch im typischen Bauhausstil verwirklicht, was aufgrund der Nazi-Zeit nur kurz im geplanten Sinne genutzt werden konnte (vgl. Grotlüschen 2018). Danach hat der Architekt Johannes Niemeyer in den 1930er Jahren in der NS-Zeit versucht, weitere Bildungshäuser zu bauen, die allein schon ästhetisch abstoßend sind.

Abbildung 2: Entwurf für ein Haus der Arbeit von Johannes Niemeyer aus den 1930er Jahren (Foto: Kai-Annett Becker/Berlinische Galerie, Architektursammlung)

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Arne Meisel bewertet das vorherige Leipziger Volksbildungsheim aus den 1920er Jahren wie folgt: „ein eigens dafür geplantes Heim im Bauhausstil, in welches das Volkshochschulheim von Frau Hermes zog. Dieses Haus ist das erste Bauwerk in Deutschland, welches ausschließlich für die Belange der Erwachsenenbildung geplant und gebaut wurde.“ (Meisel 2007, S. 62) Die Publikation von Heller und Mitarbeitenden von 1924 und die Leipziger Baupläne insgesamt könnten sich ggf. durch intensive historische Recherchen um weitere, noch frühere Pläne für Häuser der Erwachsenenbildung ergänzen lassen. Ideen und Argumente entstehen oft nicht allein in einem Kopf, sondern formen sich diskursiv in Zeiten der kontinuierlich oder diskontinuierlichen Latenz oder Manifestation erst aus. Der Irrweg des Nationalsozialismus fand auch bauliche Entsprechungen, was für das Lernen Erwachsener kaum erforscht ist.

Stellt sich somit die von Klaus Heuer in seinem Artikel ausgesprochene Anerkennung für Pöggeler als gänzlich falsch bzw. als Überbewertung dar? Wohl kaum. Schließlich hat sich Pöggeler in seiner Schrift 1959 so ausführlich, gründlich und vielfältig mit Häuser- und Raumfragen der Erwachsenenbildung beschäftigt, wie es niemand zuvor und wohl auch nur wenige danach getan haben. Auf 275 Seiten werden in seinem Buch in den Kapiteln die Geschichte der Volksbildungshäuser, die Unzulänglichkeiten zweckfremder Häuser aus der Perspektive von Pöggeler, die Notwendigkeit zweckgemäßen Eigenraumes, die Bildungsfunktionen von Gebäuden/Einrichtungen/Orten der Erwachsenenbildungshäuser, neue Häuser, Mehrzweck-Bauten, Um-/Anbauten, bildungspolitische Aspekte sowie Vergleiche/Forderungen aufgestellt und diskutiert. Dies ist begleitet von einem reichhaltigen Fundus an Fotografien und Grundrissen als zeithistorischem Schatz, den es so gebündelt und durchdacht wohl kaum von keinem Jahrzehnt davor und danach in der Erwachsenen- und Weiterbildung gibt. Allein schon dieser Bildschatz macht die Schrift von 1959 zu einer reichhaltigen Fundgrube und kann dazu anregen, den Zustand der damaligen Häuser mit heute zu vergleichen (vgl. Käpplinger in diesem Band zur Volkshochschule Roskilde) oder die heutige Bausubstanz der Erwachsenenbildung zu dokumentieren. Zudem ist bemerkenswert, dass Pöggeler schon 1959 intensiv den Blick über den nationalen Tellerrand hinaus gesucht hat. Er tat dies jedoch nicht mit der Intention eines „educational borrowing“, was man heute nicht selten beobachten kann. So finden sich in dem Buch von Pöggeler Bilder von Erwachsenenbildungseinrichtungen in Dänemark, England, den Niederlanden, Österreich, Schweiz sowie der damaligen DDR, die er nach eigener Angabe (Pöggeler 1959, S. 10) zwischen 1946 und 1957 selbst besuchte, was für einen Deutschen in dieser Zeit eine bemerkenswerte Reisetätigkeit darstellte. Im Vorwort beschreibt Pöggeler wie folgt seinen Ansatz, den man in heutiger Sprache auch als empirischen Zugang beschreiben kann:

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Pöggeler sieht in hohem Maße die Zukunft der damals noch jungen und im Entstehen befindlichen Erwachsenenbildungswissenschaft von der Verbindung und gar Überzeugungskraft für die Praxis abhängig. Dadurch will er einen Beitrag für eine deskriptive Bestandsaufnahme leisten, wobei man dies eher als empirische Vorgehensweise bezeichnen muss, da er normativ wie konzeptionell in seiner Publikation ganz klar eigene Positionierungen verfolgt, die über ein bloß deskriptives Vorgehen hinausgehen. So sieht und betont er immer wieder konzeptionell einen Zusammenhang zwischen „äußeren Bedingungen“ und „inneren Vollzug“. Räume sind bedeutsam und es macht für ihn einen Unterschied, wo man lehrt und lernt.Nebenbei sei erwähnt, dass Pöggeler sich – wie man in seinem Nachlass am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung in Bonn ersehen kann – immer wieder mit der von ihm gewünschten Idee eines Museums zur Geschichte der Erwachsenenbildung befasst hat. Er wollte mehr als primär die schulische Pädagogikgeschichte (vgl. Peege 1993) in Museen sichtbar gemacht sehen. Somit hatte er mit einem Museum einen eigenen Erinnerungsort für die Geschichte der Erwachsenenbildung im Sinn. Eine innovative Idee, die heute noch aktuell ist und angesichts der rund 50 Schulmuseen in Deutschland ist es eigentlich überfällig, über Umsetzungen nachzudenken bzw. anzugehen. In einem solchen Museum könnten zum Beispiel die vielen entstandenen und gelungenen Ausstellungen im Kontext des Jubiläum 100 Jahre Volkshochschule einen dauerhaften Ort finden sowie multimedial mit einem Foto-/Videoarchiv und einem deutschen Programmarchiv kombiniert werden. In Deutschland gibt es fast 7.000 Museen mit jährlich weit über 100 Millionen Besucherinnen und Besuchern. Sollte da wirklich kein Platz und kein Interesse für ein Museum der Erwachsenenbildung bestehen, wenn dies ansprechend animierend gestaltet ist? Schließlich sind Interessen oft nicht abstrakt vorhanden, sondern brauchen den Kontakt mit einem Gegenstand, um zu wachsen. Allerdings fällt generell auf, dass die Geschichte der Pädagogik auch jenseits der Erwachsenenbildung kaum Gegenstand allgemeiner historischer Darstellungen ist. Sie findet kaum den Weg in historische Museen, wo man eigentlich sozialgeschichtliche Ausstellungsabteilungen zum historischen Alltag des Lehrens und Lernens durchaus erwarten könnte. Stattdessen dominieren oft traditionelle Darstellungen zu Kriegen und zu den vermeintlich großen Herrscherinnen und vor allem zu Männern als Herrschern.

Kommt man nach diesem Exkurs nun zurück auf die Neuen Häuser, dann ist es gleichzeitig angemessen, den Ansatz und die Ideen von Pöggeler einer kritischen Prüfung zu unterziehen und auf seine Aktualität hin zu hinterfragen. Dazu waren die Autorinnen und Autoren in dem Band auf Basis einiger eingescannter Textpassagen aus dem Buch von 1959 explizit eingeladen. Dies ←12 | 13→haben sie mal mehr oder weniger dezidiert verfolgt in den Beiträgen. Es zeigt sich ein weites Spektrum an eigenen Zugängen, Hintergründen, Positionen und Interpretationen auf, die meines Erachtens zum Diskurs und Debatte oder gar Kontroverse einladen. Oftmals haben jeweils regionale Kontexte eine große Bedeutung. Regionalität und Bauen sind oft untrennbar miteinander verwoben. Daran ändert die Digitalisierung auch relativ wenig, wenngleich diese heute sicherlich mitzudenken ist. Der Beitrag von Smythe (2018) im letzten Band zu den Verlassenen Orten sensibilisiert dabei dafür, wie schnell Inhalte auch aus dem Internet verschwinden können. Das Netz vergisst leider sehr wohl und relativ schnell wie man oft an „toten Links“ feststellen kann, was hoffentlich nicht für die Links in diesem Band gilt.

Ein roter Faden in den Beiträgen ist, dass immer wieder erörtert und diskutiert wird, ob die Erwachsenen- und Weiterbildung wirklich eigene Häuser braucht oder ob gerade im Kontext des lebenslangen und intergenerativen Lernens nicht doch eher multi-funktionale Häuser mit mehr (jüngeren) Zielgruppen über Erwachsene hinaus sowie Häuser im Schnittfeld von schulischer wie außerschulischer Bildung und Kultur für alle Altersgruppen die Zukunft gehört? So könnte einer Versäulung des Bildungswesens entgegengewirkt oder generell Übergänge zu erleichtert werden. Der eingangs zitierte Hermann Heller hat auch diese Frage wie Pöggeler bereits schon diskutiert. Dies zeigt ihre immer wiederkehrende Bedeutung auf. Vielleicht muss sie in jeder Zeit neu diskutiert und entschieden werden? Heller wie Pöggeler plädierten sehr engagiert für eigene Häuser der Erwachsenenbildung. Sie sahen Mehrzweckhäuser eher als Notlösung oder Übergangsphänomene an. Dies ist wenig erstaunlich, da diese „Gründerväter“ der Erwachsenenbildung und Erwachsenenbildungswissenschaft erst einmal einen Raum für die damals viel umstrittenere Erwachsenenbildung definieren und sichern mussten. Heute sehen einige Autorinnen und Autoren in diesem Band dies partiell anders, während andere Autorinnen und Autoren eher weiterhin für eigene Häuser und eigene Räumlichkeiten plädieren. Es gibt hier ein Spektrum an Positionen. Diese Frage wird sehr wahrscheinlich auch in Zukunft zu diskutieren sein, was sowohl pragmatische Gründe (z.B. wegen Raumnot) als auch inhaltliche Gründe (z.B. wegen Intergenerativität) hat. Manchmal scheint es aktuell jedoch des Öfteren eher der Fall zu sein, dass vor allem schnell Raum für Bildung geschaffen werden soll. Aufgrund einer verfehlten Bildungsplanung der Administrationen und Politik findet Bildung tatsächlich oft eher in Containern statt, während die ästhetische Qualität von Lehr- und Lernräumen sekundär gerät. Die Gefahr ist absehbar, dass in einigen Jahren der böse Aphorismus von George Sand wieder traurige Relevanz und Aktualität gewinnt: „Ärzte können ihre Fehler begraben, aber ein Architekt kann seinen ←13 | 14→Kunden nur raten, Efeu zu pflanzen“ (zitiert nach Stang/Vollmer 2012, S. 25). Dies sollte trotz dem oft massiven, öffentlichen Investititionsstaus für Bildungsbauten bedacht werden.

Meine eigene Positionierung in diesem diskursiven Raum geht dabei aus einer Reihe an Gründen viel eher in die Richtung eigener, neuer Häuser für die Erwachsenen- und Weiterbildung. So ist der bestehende Raumbestand der Erwachsenenbildung bislang kaum angemessen und schon gar nicht repräsentativ angesichts der gewachsenen Bedeutung des lebenslangen Lernens und der weiter ansteigenden Zahl älterer Menschen, die auch ein Menschenrecht auf Bildung haben. Auch würden repräsentative und vor allem ästhetische anziehende Gebäude die Sichtbarkeit und das Ansehen der Erwachsenen- und Weiterbildung weiter erhöhen. Nicht allein innere Werte überzeugen, sondern auch der Wert der Oberflächen und Materialien können beeindrucken und Interesse wecken. Zu leicht können ansonsten erhebliche Leistungen relativ unsichtbar im Hinterhaus oder den Peripherien bleiben. Im Zweifelsfall werden zu oft die Bedarfe anderer Bildungsbereiche als wichtiger eingestuft. Der Beitrag Eicker-Wolf in diesem Band zeigt einerseits die Unterfinanzierung des Bildungssystems insgesamt auf. Andererseits wird dabei deutlich, wie marginal die Erwachsenenbildung mit räumlichen Ressourcen finanziert ist. Die Trias Politik – Macht – Architektur (vgl. Hofmann 2014) gilt auch heute, was man nüchtern fern von Naivität und affirmativer Anpassung an die Verhältnisse sehen muss. Häuser sind bedeutsamer als mehr oder weniger ästhetisch schöne Container für bestimmte Funktionen. Sie symbolisieren Wertigkeiten bis Prioritäten und dies oft über längere Zeiträume hinweg. Architektur ist ein ganz wesentlicher Teil der kulturellen Identität einer Gesellschaft. Würden wir fern der Sonntagsreden wirklich in Wissensgesellschaften und einer Gesellschaft des Lebenslangen Lernens leben, dann hätte die Erwachsenen- und Weiterbildung sicherlich repräsentative(re) und schönere Räume. Räume sind ein Lackmus-Test für die Realisierung des Slogans vom Lebenslangen Lernens. Darum galt es in Pöggelers Zeit zu streiten und auch heute ist dies aktuell. Welche Strategien auf diesem Weg eingesetzt werden sollten, ist dabei sicherlich diskutabel. Wahrscheinlich können verschiedene Wege zum Ziel führen? Insgesamt lässt sich hierzu vortrefflich debattieren oder gar streiten, wozu dieser Band in einem konstruktiven Sinne dezidiert anregen will. So versammelt der Band dezidiert keine einheitliche Denkrichtung oder Schule. So mancher angefragte Beitrag kam leider nicht zustande und der Band hebt dezidiert nicht ansatzweise den Anspruch, dass nahezu alle oder die Mehrheit der Neuen Häuser der Erwachsenenbildung hier versammelt seien. Es tut sich viel Erfreuliches. Ähnlich wie bei dem vorherigen Band „Verlorene Orte“ würde sich der Herausgeber sogar dezidiert freuen, wenn andere Autorinnen ←14 | 15→und Autoren sich auf der Suche und dem Berichten über weitere und andere Neue Häuser der Erwachsenenbildung machen würden, sodass dieser Band ein Anfang und Impuls wäre.

Im Folgenden werden die einzelnen Beiträge kurz eingeführt und in Relationen zueinander gestellt. Richard Stang (Hochschule der Medien in Stuttgart) nimmt „Häuser für Bildung und Kultur – Entwicklungen, Chancen und Grenzen kommunaler „Dritter Orte““ in den Blick. Er greift explizit Problembeschreibungen von Pöggeler auf. Er bemängelt das Fehlen einer wissenschaftlich fundierten Kartographie von Räumen und Orten der Erwachsenenbildung in den letzten Jahren, auch wenn das Lernraumthema in den letzten fünf Jahren bezogen auf die Erwachsenenbildung an Relevanz gewonnen hat. Dass die Relevanz dieses Themas in der Erwachsenenbildungsforschung über Jahrzehnte hinweg kaum in den Fokus gerückt ist, sei nur schwer nachvollziehbar. Der Diskurs über die sogenannten „Dritten Orte“ fand in den letzten Jahren vor allem im Bibliotheksbereich statt. „Häuser für Bildung und Kultur“ erfüllen Stang folgend diese Anforderungen für „Dritte Orte“, während dies für „Häuser der Erwachsenenbildung“ wahrscheinlich nur bedingt gelte.

Details

Seiten
246
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631808641
ISBN (ePUB)
9783631808658
ISBN (MOBI)
9783631808665
ISBN (Hardcover)
9783631808412
DOI
10.3726/b16421
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Weiterbildung Lernarchitektur Raum Lernzentren Geschichte
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 246 S., 45 farb. Abb., 10 s/w Abb., 4 Tab.

Biographische Angaben

Bernd Käpplinger (Band-Herausgeber:in)

Bernd Käpplinger leitet als Professor den Arbeits- und Lehrbereich Weiterbildung an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er ist seit 2018 Vorsitzender der Sektion Erwachsenenbildung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft.

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