Genuss und Arbeit im Angestelltenroman
Von Irmgard Keun bis Elfriede Jelinek
Series:
Lucas Alt
Ist ‚gutes Leben‘ im Kapitalismus möglich? Diese Frage verhandeln Angestelltenromane seit ihrer Entstehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die vorliegende Studie analysiert das Spektrum zwischen Müssen und Muße, Lust und Frust, Arbeit und freier Zeit vor dem Hintergrund einer allgegenwärtigen Verwertungsmoral. Die interdisziplinäre Darstellung verbindet dabei Ergebnisse der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften und ermöglicht einen Einblick in die paradoxen Psychodynamiken moderner Arbeitsverhältnisse.
Book (EPUB)
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- 978-3-631-82695-9
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- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 466 S.
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhalt
- 1. Einführung
- 2. Krisen
- 2.1 Was ist eine Krise? – Annäherungen an Struktur und Begriff
- 2.2 Wirkungsweisen von Krisen
- 2.3 Krisen und kollektives Bewusstsein
- 2.4 Die Krise und das Ich – Individualität in überindividuellen Krisen
- 2.4.1 Formen des Umgangs mit Krisen: Anpassung – die Krise als Krise
- 2.4.2 Formen des Umgangs mit Krisen: Widerstand – die Krise als Katastrophe
- 2.5 Der Angestellte als Figuration der Krise
- 3. Arbeit und Freizeit im Angestelltendiskurs des 20. und 21. Jahrhunderts
- 3.1 Der Aufstieg geistiger Arbeit
- 3.1.1 Vom Privileg zum Massenphänomen – der Angestelltenstatus als Politikum
- 3.1.2 „Klassenbewusstsein“ in der linken Ideologie – Die Angestellten als „Stehkragenproletariat“ zwischen den Klassen
- 3.1.3 Der Schein bestimmt das Bewusstsein – Symbolische Ordnungen der Distinktion
- 3.1.4 Die Diskursivierung des Angestellten zwischen Klischee und Kritik
- 3.1.5 Geistige Arbeit im Nationalsozialismus
- 3.2 Von der Angestelltenrepublik zum Strukturbruch
- 3.2.1 Die Nachkriegsgesellschaft der BRD als „Angestelltengesellschaft“
- 3.2.2 Die Angestellten zwischen Fordismus und Postfordismus – die Automation des Büros
- 3.2.3 Der Sinn der Arbeit an den Grenzen der Moderne
- 3.2.4 „Erfahrungshunger“ – Entfremdung als hedonistischer Impuls und Revolutionspotential
- 3.3 Zum Wandel geistiger Arbeit im Postfordismus
- 3.3.1 Entgrenzte Arbeit
- 3.3.2 Subjektivierte Wirklichkeiten
- 3.3.3 Die Ästhetik der Prekarität
- 3.4 Fazit – Freizeit und Nichtarbeit in Zeiten entgrenzter Arbeit
- 4. Hedonismus
- 4.1 Von der Antike zur Gegenwart: Hedonismus als emanzipatorisches Projekt
- 4.2 Zeitgenössische Elemente hedonistischer Philosophie – Robert Pfallers Theorie des kulturellen Genießens
- 4.2.1 Asketischer Eigensinn versus humorvolle Lustkompetenz – Verdopplung, Übertretung und das besondere Genussmittel
- 4.2.2 Bedürfnisarmut in der Überflussgesellschaft – symbolische Ersetzungen als Quellen narzisstischer Lust
- 4.2.3 Freundschaft, Gesellschaft, Kultur – Hedonismus und Kollektivität
- 4.3 Fazit – Formen der Lust: solidarisches und narzisstisches Genießen
- 5. Irmgard Keun: „Gilgi. Eine von uns“ – Sinnlichkeit als Last und Hindernis
- 5.1 Hinführung
- 5.2 Figurenanalyse
- 5.2.1 Gilgi: Die Genussverzichterin
- 5.2.2 Martin: der Genuss suchende Narzisst
- 5.2.3 Olga: die hedonistische Genießerin
- 5.2.4 Pit: der misanthrope Sozialist
- 5.3 Themengeleitete Analyse
- 5.3.1 Kontakt mit Welt? – Innerlichkeit versus Äußerlichkeit, Narzissmus versus Solidarität
- 5.3.2 Kulturelle Genussgebote und die Krise patriarchalen Genießens
- 5.3.3 Interpassivität
- 5.4 Fazit
- 6. Hans Fallada: „Kleiner Mann – was nun?“ – Ideologie des ‚kleinen Glücks‘?
- 6.1 Hinführung
- 6.2 Krise und Genuss
- 6.2.1 Kleinbürgerliches Genießen
- 6.2.2 Alternatives Genießen
- 6.3 Soziales Genießen: Die Krise als Spalter und Bindemittel
- 6.4 Rauschhaftes Schauen – das Kino als problematisches Medium visuellen Genießens
- 6.5 Fazit
- 7. Elfriede Jelinek: „Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft“ – die Kritik patriarchalen Genießens als Utopie
- 7.1 Hinführung
- 7.2 Gewalt und Lust: Patriarchales Genießen
- 7.3 Der Mythos von der Arbeit als Freude
- 7.4 Medialität und Realität: Formen der Hybridität und Verwechslung als (Un-)Lustregime
- 7.5 Fazit
- 8. Wilhelm Genazino: „Abschaffel“ – Auf der Suche nach der verlorenen Lust – Entfremdung als hedonistisches Revolutionspotential?
- 8.1 Hinführung
- 8.2 Müdigkeit, Entfremdung, Langeweile – die Minimalform des Daseins als ästhetisches Konzept
- 8.3 Arbeit und Nichtarbeit – Die Welt „als Fortsetzung des Büros“
- 8.4 Soziales Genießen
- 8.4.1 Einsamkeit, Isolation und narzisstisches Genießen
- 8.4.2 Solidarität und Freundschaft
- 8.4.3 Transformationen sexuellen Genießens
- 8.4.4 Die Sozialform Familie als antihedonistische Lustökonomie und als Unterdrückungsregime
- 8.4.5 Soziabilität als Exotismus: Das andere Genießen der „Gastarbeiter“
- 8.5 Gustatorisches Genießen
- 8.5.1 Transformationen gustatorischen Genießens
- 8.5.2 Kulturelle Funktionen gustatorischer Genussmittel
- 8.6 Fazit
- 9. Thomas von Steinaecker: „Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen.“ – Die Nutzbarmachung der Sinnlichkeit
- 9.1 Hinführung
- 9.2 Optimierung und Ökonomisierung des Selbst oder: narzisstisches Genießen
- 9.3 Interpassivität: Kulturkapitalistische Statusanzeiger und symbolische Ersetzungen
- 9.4 Mit Emotionen arbeiten – Manipulation und Instrumentalisierung des Sinnlichen…
- 9.5 Entsolidarisierung in Zeiten entgrenzter Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse
- 9.6 Illusion und das Bedürfnis nach Authentizität und Unmittelbarkeit
- 9.7 Fazit
- 10. Philipp Schönthaler: „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ – Selbstermächtigung und -akkumulation – die Einsamkeit des Daseins
- 10.1 Hinführung
- 10.2 Leistungsdiskurse – Arbeitssucht und Faulheitsverzicht
- 10.3 Die Arbeit am Selbst – das Ethos der Selbstakkumulation
- 10.4 Materialität als (Un-)Lustpotential – Körperlichkeit zwischen Kränkung und Krankheit
- 10.5 Fazit
- 11. Fazit
- 12. Literatur
- Reihenübersicht
8. Wilhelm Genazino: „Abschaffel“ – Auf der Suche nach der verlorenen Lust – Entfremdung als hedonistisches Revolutionspotential?
Chapter
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Extract
„Abschaffel“910, der erste Roman der gleichnamigen Trilogie von Wilhelm Genazino, erscheint 1977 zunächst als abgeschlossener, eigenständiger Text bei Rowohlt. Seine Fortsetzungen „Die Vernichtung der Sorgen“ (1978)911 und „Falsche Jahre“ (1979)912 satteln im Abstand von jeweils einem Jahr auf den Erfolg ihres Vorläufers auf; fortan werden alle drei Texte in einem Band veröffentlicht.913 Nach dem Debüt-Roman „Laslinstraße“914 (1965) und ersten Gehversuchen als freier Schriftsteller verhilft die „Abschaffel“-Trilogie dem 1943 in Mannheim geborenen Genazino zum eigentlichen Durchbruch.915 Der Angestelltenroman wird zur bevorzugten Gattung Genazinos,916 ←267 | 268→der von nun an in regelmäßigen Abständen belletristische Publikationen vorlegt.917
Den zentralen Gegenstand dieser Analyse wird der erste Band der Abschaffel-Trilogie ausmachen, da das hedonistische Potential der Figur Abschaffel im Zuge ihrer zunehmenden gesellschaftlichen Eingliederung im Laufe der Trilogie eher ab-als zunimmt. Eine Analyse des zweiten und dritten Teils würde also kaum relevante Erkenntnisse, die über die Beschreibung der hedonistischen Höhepunkte des ersten Teils hinausgehen, liefern.
Poetologisch kann der Roman – mit Einschränkungen – im Stil der Neuen Innerlichkeit bzw. Neuen Subjektivität verortet werden, wobei er jedoch das implizite Versprechen der Bemühungen introspektiver Selbsterforschung, eine zunehmende Selbsterkenntnis, geradezu persifliert. So bedeutet für Abschaffel die Zunahme an Selbstbewusstsein durch Selbstreflexion nicht selten auch den Erwerb eines leidvollen Bewusstseins für neue, unberechenbare Eigenschaften, Bedürfnisse und Abgründe. Dem romantischen Ideal eines selbstklärenden, therapeutischen Schreibens, das zum Ende der 1970er Jahre zum...
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- Über das Buch
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- 1. Einführung
- 2. Krisen
- 2.1 Was ist eine Krise? – Annäherungen an Struktur und Begriff
- 2.2 Wirkungsweisen von Krisen
- 2.3 Krisen und kollektives Bewusstsein
- 2.4 Die Krise und das Ich – Individualität in überindividuellen Krisen
- 2.4.1 Formen des Umgangs mit Krisen: Anpassung – die Krise als Krise
- 2.4.2 Formen des Umgangs mit Krisen: Widerstand – die Krise als Katastrophe
- 2.5 Der Angestellte als Figuration der Krise
- 3. Arbeit und Freizeit im Angestelltendiskurs des 20. und 21. Jahrhunderts
- 3.1 Der Aufstieg geistiger Arbeit
- 3.1.1 Vom Privileg zum Massenphänomen – der Angestelltenstatus als Politikum
- 3.1.2 „Klassenbewusstsein“ in der linken Ideologie – Die Angestellten als „Stehkragenproletariat“ zwischen den Klassen
- 3.1.3 Der Schein bestimmt das Bewusstsein – Symbolische Ordnungen der Distinktion
- 3.1.4 Die Diskursivierung des Angestellten zwischen Klischee und Kritik
- 3.1.5 Geistige Arbeit im Nationalsozialismus
- 3.2 Von der Angestelltenrepublik zum Strukturbruch
- 3.2.1 Die Nachkriegsgesellschaft der BRD als „Angestelltengesellschaft“
- 3.2.2 Die Angestellten zwischen Fordismus und Postfordismus – die Automation des Büros
- 3.2.3 Der Sinn der Arbeit an den Grenzen der Moderne
- 3.2.4 „Erfahrungshunger“ – Entfremdung als hedonistischer Impuls und Revolutionspotential
- 3.3 Zum Wandel geistiger Arbeit im Postfordismus
- 3.3.1 Entgrenzte Arbeit
- 3.3.2 Subjektivierte Wirklichkeiten
- 3.3.3 Die Ästhetik der Prekarität
- 3.4 Fazit – Freizeit und Nichtarbeit in Zeiten entgrenzter Arbeit
- 4. Hedonismus
- 4.1 Von der Antike zur Gegenwart: Hedonismus als emanzipatorisches Projekt
- 4.2 Zeitgenössische Elemente hedonistischer Philosophie – Robert Pfallers Theorie des kulturellen Genießens
- 4.2.1 Asketischer Eigensinn versus humorvolle Lustkompetenz – Verdopplung, Übertretung und das besondere Genussmittel
- 4.2.2 Bedürfnisarmut in der Überflussgesellschaft – symbolische Ersetzungen als Quellen narzisstischer Lust
- 4.2.3 Freundschaft, Gesellschaft, Kultur – Hedonismus und Kollektivität
- 4.3 Fazit – Formen der Lust: solidarisches und narzisstisches Genießen
- 5. Irmgard Keun: „Gilgi. Eine von uns“ – Sinnlichkeit als Last und Hindernis
- 5.1 Hinführung
- 5.2 Figurenanalyse
- 5.2.1 Gilgi: Die Genussverzichterin
- 5.2.2 Martin: der Genuss suchende Narzisst
- 5.2.3 Olga: die hedonistische Genießerin
- 5.2.4 Pit: der misanthrope Sozialist
- 5.3 Themengeleitete Analyse
- 5.3.1 Kontakt mit Welt? – Innerlichkeit versus Äußerlichkeit, Narzissmus versus Solidarität
- 5.3.2 Kulturelle Genussgebote und die Krise patriarchalen Genießens
- 5.3.3 Interpassivität
- 5.4 Fazit
- 6. Hans Fallada: „Kleiner Mann – was nun?“ – Ideologie des ‚kleinen Glücks‘?
- 6.1 Hinführung
- 6.2 Krise und Genuss
- 6.2.1 Kleinbürgerliches Genießen
- 6.2.2 Alternatives Genießen
- 6.3 Soziales Genießen: Die Krise als Spalter und Bindemittel
- 6.4 Rauschhaftes Schauen – das Kino als problematisches Medium visuellen Genießens
- 6.5 Fazit
- 7. Elfriede Jelinek: „Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft“ – die Kritik patriarchalen Genießens als Utopie
- 7.1 Hinführung
- 7.2 Gewalt und Lust: Patriarchales Genießen
- 7.3 Der Mythos von der Arbeit als Freude
- 7.4 Medialität und Realität: Formen der Hybridität und Verwechslung als (Un-)Lustregime
- 7.5 Fazit
- 8. Wilhelm Genazino: „Abschaffel“ – Auf der Suche nach der verlorenen Lust – Entfremdung als hedonistisches Revolutionspotential?
- 8.1 Hinführung
- 8.2 Müdigkeit, Entfremdung, Langeweile – die Minimalform des Daseins als ästhetisches Konzept
- 8.3 Arbeit und Nichtarbeit – Die Welt „als Fortsetzung des Büros“
- 8.4 Soziales Genießen
- 8.4.1 Einsamkeit, Isolation und narzisstisches Genießen
- 8.4.2 Solidarität und Freundschaft
- 8.4.3 Transformationen sexuellen Genießens
- 8.4.4 Die Sozialform Familie als antihedonistische Lustökonomie und als Unterdrückungsregime
- 8.4.5 Soziabilität als Exotismus: Das andere Genießen der „Gastarbeiter“
- 8.5 Gustatorisches Genießen
- 8.5.1 Transformationen gustatorischen Genießens
- 8.5.2 Kulturelle Funktionen gustatorischer Genussmittel
- 8.6 Fazit
- 9. Thomas von Steinaecker: „Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen.“ – Die Nutzbarmachung der Sinnlichkeit
- 9.1 Hinführung
- 9.2 Optimierung und Ökonomisierung des Selbst oder: narzisstisches Genießen
- 9.3 Interpassivität: Kulturkapitalistische Statusanzeiger und symbolische Ersetzungen
- 9.4 Mit Emotionen arbeiten – Manipulation und Instrumentalisierung des Sinnlichen…
- 9.5 Entsolidarisierung in Zeiten entgrenzter Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse
- 9.6 Illusion und das Bedürfnis nach Authentizität und Unmittelbarkeit
- 9.7 Fazit
- 10. Philipp Schönthaler: „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ – Selbstermächtigung und -akkumulation – die Einsamkeit des Daseins
- 10.1 Hinführung
- 10.2 Leistungsdiskurse – Arbeitssucht und Faulheitsverzicht
- 10.3 Die Arbeit am Selbst – das Ethos der Selbstakkumulation
- 10.4 Materialität als (Un-)Lustpotential – Körperlichkeit zwischen Kränkung und Krankheit
- 10.5 Fazit
- 11. Fazit
- 12. Literatur
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